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Karl Liebknecht 19180515 Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

Karl Liebknecht: Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

[Karl Liebknecht: Reden und Aufsätze. Hrsg. von Julian Gumperz, Hamburg 1921, S. 321/322; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 14/15; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 102-105; Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 18; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 98-101; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 31/32; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 107; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 279; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 240/241; Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 15-18, 18 f.; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 106 f.; IML, ZPA, NL 1/65, Bl. 149-152; IML, ZPA, NL 1/25, Bl. 16/17; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 122 f., 108 Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 498-524]

Sozialismus als Parole

Der Krieg ist ein leidenschaftliches, eindringliches, überzeugendes Plädoyer für die Sozialisierung der Volkswirtschaft. Die Nahrungsmittelnot, die kapitalistischen Kriegsgewinne zwingen zu dieser Schlussfolgerung. Der Zusammenhang der kapitalistischen Wirtschaft und der politischen Reaktion wurde nie heller beleuchtet. Die kapitalistischen Ursachen des Krieges liegen zutage.

Dass der Fortdauer und der Wiederholung aller dieser Nöte nur durch Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft vorgebeugt werden kann, erkennt heute jeder, der unter ihnen seufzt.

Nie war eine Zeit günstiger für die Propaganda des sozialistischen Endziels; es heißt sie nutzen.

Wer nicht für die Revol. ist, ist wider die Revol.! Die ganze Revolution – die eine u. unteilbare!

Ganze Arbeit – kein Zaudern, kein Hinschleppen- u. Laufenlassen; alle Kräfte eingesetzt – nur so Erfolg möglich – nicht durch Passivität u. Zuschauen, was draus wird.

Nicht Unterlassen der bisherigen Gegenarbeit genügt!! Nicht die bloße Hinwegräumung bisheriger Hindernisse u., Hände verschränkt, abwarten, was nun kommen mag.

Es handelt sich um den ungeheuersten Kampf! Eine größere Macht als die des Zarismus steht dem deutschen Prolet. gegenüber, die stärkste irgendwo auf der Erde vorhandene Machtposition (Bollwerk, Festung, Stellung) der besitz. Kl[assen] gilt's zu nehmen!

Da hilft kein Blinzeln, kein Drehen u. Wenden – dem muss klar ins Gesicht geschaut werden! Da hilft kein Mundspitzen – es muss gepfiffen werden.

Nach altem Klischee

Die heutigen Vorgänge im Osten kopieren vielfach die Vergangenheit. Zur Illustration einige Hinweise, vorzüglich preußische und napoleonische Exempel.

Zunächst von Plebisziten und Selbstbestimmung, wobei wir die fünf „Volksabstimmungen", mit denen die beiden Napoleons1 ihre diversen cäsaristischen Staatsstreiche verkleideten, außer acht lassen, aber daran erinnern, dass 1814 die Verbündeten bei ihrem Einmarsch in Paris „begeistert" empfangen wurden. Wozu ein nationalliberaler Historiker vielsagend bemerkt: „Ein Volk oder einen Pöbel, der dem Sieger zu jauchzt, gibt es unter solchen Umständen überall."2

1802 lässt sich Bonaparte zum Präsidenten der „italienischen (bisher ,zisalpinischen') Republik" wählen; im gleichen Jahre wird eine neue Verfassung für die „Helvetische Republik" mit Hilfe von Schweizer Notabeln in Paris fabriziert und durch Mediationsakte eingeführt.

1805 wird die Ligurische Republik (Genua) durch Volksabstimmung Frankreich einverleibt.

1806 erscheint eine holländische Deputation in Paris und erbittet für die bisherige „Batavische Republik" aus dem glorreichen napoleonischen Hause – den dritten Bruder Bonapartes, Ludwig, dessen Ernennung zum König von Holland bald erfolgt.

1860 wird in Savoyen und Nizza durch Volksabstimmung die Einverleibung in das Frankreich Louis Napoleons beschlossen.

1863 beruft der französische Eroberer Mexikos, General Forey, eine mexikanische Notabelnversammlung, die den österreichischen Maximilian zum Kaiser von Mexiko erwählt; ein „Plebiszit" bestätigt diese Wahl; das Ende dieser „Selbstbestimmung" erzählt der 19. 6. 1867 und der Sandhaufen, auf den Maximilian gestellt wurde.3

1865 macht Louis Napoleon Preußen Vorschläge, mit denen u. a., wenn die Karte Europas ausschließlich zum Vorteil einer Großmacht verändert würde, für Frankreich eine territoriale Kompensation gefordert wird, jedoch nur, wenn „die Bevölkerung der betreffenden Grenzgebiete selbst ihren Anschluss an Frankreich verlangen sollte". – Die Vorschläge fielen unter den Tisch. Zwei Monate vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges aber konnte der schon vom Tode Gezeichnete noch einen Triumph buchen: die Ablehnung der von Ollivier eingebrachten, vom gesetzgebenden Körper bereits angenommenen Konstitution durch Volksabstimmung.4

Die preußischen Fälle sind minder zahlreich, aber um so lehrreicher.

1793 muss das 1772 übriggebliebene Rest-Polen unter dem „Schutz" preußischer und russischer Waffen auf einem Reichstag, der unter eben diesem „Schutz" gewählt ist (wobei jakobinisch oder patriotisch Gesinnte nicht wählbar sind! Vgl. heute Baltikum, Litauen usw.!), seine zweite Zerfetzung selbst beschließen!

Im Prager Frieden vom 23. 8. 66 (§ 5) wird für den nördlichen Teil von Schleswig die Wiedervereinigung mit Dänemark stipuliert, „wenn die Bevölkerung den Wunsch dazu durch freie Abstimmung zu erkennen gibt"; diese Bestimmung wurde – einfach nicht ausgeführt.

Von Unabhängigkeit und Selbständigkeit ein weniges:

1806 feiern die deutschen Rheinbundregierungen die französischen Siege gegen Österreich und Preußen als „für die vaterländische Unabhängigkeit" erfochten.

1813 schreibt Stein an Münster: „Mein Wunsch ist, dass Deutschland groß und stark werde, um seine Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Nationalität wiederzuerlangen."5 Ein Wunsch, der nach napoleonischem und heutigem deutschen Jargon ganz sinnlos war, da in diesem Sinn Deutschland damals so selbständig und unabhängig war wie möglich, wie – Polen, Ukraine, Finnland e tutti quanti. So dass darnach die deutschen Freiheitskriege überflüssig waren.

Tönende Freiheitsversprechungen erhielt Polen von Napoleon I. Der polnische Adel strömt ihm zu; 1806 wird eine napoleonbegeisterte Proklamation Kosciuszkos6, der damals in Amerika, verbreitet – natürlich gefälscht; Kosciuszko teilte das hingebende Vertrauen seiner Landsleute auf den fremden Despoten, der jede Nationalität mit Füßen trat, nur allzu berechtigterweise nicht.

Nur allzu berechtigterweise.

Wie 1793 die „Einschließung der Republik Polen in engere Grenzen" auch als „Mittel, dem um sich greifenden Jakobinismus zu steuern", vollführt wurde (vgl. heute die „Randstaaten" als Puffer gegen den „Bolschewismus" usw.), fand Napoleon selbst noch 1812 eine so rückhaltlose Anerkennung des Nationalitätsprinzips, wie sie die Wiederherstellung Polens bedeutet hätte, für bedenklich, da „man nicht wissen könne, wie" (und wir setzen hinzu: „wo") „der Brand, den man damit erregen würde, endige"7.

Legitimität und Nationalität" waren die beiden „natürlichen Feinde" Napoleons, wie Nationalität und Sozialismus, Nationalismus und proletarischer Internationalismus die natürlichen Feinde des deutschen Imperialismus. Gegen Napoleon erhob sich 1813 alles, was alt und vornehm war (Schlosser)8, wie sich 1918 alles gegen Russland erhob, was alt, vornehm und wohlsituiert war – in Russland selbst und anderwärts, auch im Friedensgewande den Dolch verborgen.

Auch die monarchischen Kostgänger und Kreaturen des Welterschütterers fielen über ihn her, als die Zeit erfüllt war – die Rheinbündler und selbst ein Bernadotte9, selbst ein Murat10.

Zu Russland

Eines tut unseren Freunden in Russland, tut den Sowjets in der heutigen Lage Not, mehr als alles sonst: sich so schnell wie möglich handfeste Machtmittel zu verschaffen, die hinreichen, vor allem, allem andern dem deutschen Imperialismus eine Parole zu bieten – sich seinem Würgegriff zu entziehen, auch der Ukraine, Finnland und den übrigen Randstaaten festen Rückhalt zu gewähren, so die Neukristallisation Russlands auf föderativer Grundlage vorzubereiten; die Dauer des sozialistischen Regimes zu sichern und ihm die Durchführung seiner sozialen Aufgaben zu ermöglichen, damit es als Vorbild und Pionier für das Proletariat der anderen Länder der sozialen Weltrevolution die Bahn bereiten kann, die Bahn, auf der als erstes und schwerstes Hindernis der deutsche Imperialismus liegt. Eins ist den russischen Sowjets Not – vor allem, allem andern –, nicht Demonstrationen und Dekorationen, sondern derbe, handfeste Macht. Wozu allerdings außer Energie auch Klugheit und Zeit gehören – Klugheit auch, um Zeit zu gewinnen, deren selbst die höchste und klügste Energie zum Erfolge bedarf.

[Auf Rückseite dieses Blattes steht:]

Vieles wieder unter den Tisch gefallen – besonders Russisches!

Das System Eichhorn-Mumm11

Preußen-Deutschland ist gewiss ein ganz einzigartiges Staatswesen, das auch in seinen außenpolitischen Praktiken konkurrenzlos dasteht, nur sich selbst übertreffen kann, aber auch immer zu übertreffen weiß, so dass man sich hüten mag, je zu wähnen, dieses Mal habe es den höchsten Gipfel erklommen, und mit den Superlativen der Entrüstung sparsam umgehen muss, will man nicht zu früh den Atem verlieren. Das deutsche Vorgehen in der „Ukraine" war von Anbeginn eine erstklassige Schurkerei, aber es entfaltet sich von Tag zu Tag weiter zur höchsten Büberei. Dieser Einmarsch auf Grund halb gefälschter, halb erpresster12 Vollmacht; dieses Einschleichen unter der Maske der Freundschaft, um alsbald den tückisch überrumpelten Freund an der Gurgel zu packen, zu knebeln und auszuplündern, findet seinesgleichen nur in der preußischen Vergangenheit: in dem Streich von 1792 gegen Polen.13

Der „Frieden" von Brest-Litowsk ist kein Friede, denn der Krieg geht weiter – direkt und indirekt gegen „Groß-Russland", mit dem man in „Frieden" lebt, im Baltikum, in Finnland, in der „Ukraine", der Krim, im Dongebiet, im Kaukasus, im ganzen Osten; und wer weiß, bald um Moskau; und wer weiß, wie bald ist der Blut- und Eisenring ums Schwarze Meer geschlossen, der neue Alexanderzug mit Alpen-(Kaukasus-)Übergang à la Hannibal, Cäsar, Napoleon vollbracht. Der Krieg geht weiter – er ist nur in eine andere (revolutionäre) Phase getreten. Der „Friede" von Brest-Litowsk war von vornherein nur ein kriegstaktisches und wirtschaftspolitisches Manöver Deutschlands, nur ein raffiniertes Mittel, die Widerstandskraft Russlands völlig zu brechen und für Eroberungs- und Beutezüge größten Stils unter geringsten Opfern die Wege zu ebnen. Nur dazu wurde die Schwindelgründung der Kiewer Rada vollzogen und benutzt; weil sie dazu nicht mehr brauchbar war, ist diese Schattenregierung gestürzt und durch eine andere ersetzt; nicht, weil sie machtlos war, sondern weil sie anfing, Macht, eigene Macht zu erwerben und zu betätigen. Das alles liegt jetzt offen zutage, wird auch zynisch eingeräumt. So also sieht das Muster eines deutschen Verständigungsfriedens à la Kühlmann-Erzberger-Scheidemann aus, wie ihn alle übrigen Feinde auch hätten haben können, wenn sie guten Willens gewesen wären. Nun wissen die Ententevölker, woran sie sind! Was sie von deutscher Friedensbereitschaft zu gewärtigen haben! Auch die Neutralen wissen nun, was für sie auf dem Spiel steht, was deutsche Vormacht, deutsche „Freundschaft" auch für sie bedeutet. Und auch das deutsche Volk, die Völker des Vierbunds haben eine neue Belehrung über den Nutzen ihrer Siege und warum der Krieg kein Ende nimmt. Man schließt mit der Ukraine Frieden – und durchzieht sie mit Feuer und Schwert; man schließt mit ihr Frieden – und raubt sie aus, hängt und würgt, was sich verteidigt; man schließt mit ihr Frieden und erobert, besetzt sie; man schließt mit ihr Frieden, anerkennt ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit – und verhängt über sie preußisches Gendarmenregiment, preußische Militärdiktatur, preußisches Standrecht; man anerkennt ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit – und sperrt ihre Regierung ein wie eine Bande Landstreicher! Und – fordert zu guter Letzt für all diese Gaunereien, Gewalttaten, Erpressungen, Räubereien, Mordbrennereien von der begaunerten, vergewaltigten, ausgeraubten Ukraine eine – Entschädigung!

Jetzt, angesichts dieser Vorgänge und der Erfahrungen im Innern, mit dem Belagerungszustand, in der Wahlrechtsfrage, in der Steuerpolitik und sonst, wird man unsere frühere Bemerkung verstehen: Ein Sieg in den Händen der jetzigen deutschen Machthaber wäre ein Verhängnis für das deutsche Volk, eine Heimsuchung für die Welt.

Alle diese Infamien werden sich rächen – sie gebären ihre Vergeltung aus sich selbst. Nimmer wird die blutige Faust des deutschen Militarismus Frieden schaffen; nimmer wird der Osten oder ein anderer Teil der Welt unter der preußischen Pickelhaube Ruhe finden. Unmöglich kann der deutsche Imperialismus auf die Dauer Hunderte von Millionen Europäer vergewaltigen. Unmöglich kann er neben jeden Polen, Letten, Esten, Finnen, Ukrainer, Russen, Rumänen, Ungarn, Tschechen, Serben, Slowenen, Bulgaren, Türken usw. einen Gendarmen stellen. Überall brodelt und gärt es. Schon vielerorten zeigt sich klar, auf wie unsicheren Fundamenten die protzige und klotzige Gewaltpolitik ruht, die so viel Wasser auf die Mühlen der Kriegsschürer in der Entente leitet, wie sie nur wünschen können. Den Weg nach Persien und Afghanistan verbarrikadiert, statt ihn zu öffnen, alle Welt immer heftiger gegen Deutschland aufgepeitscht und selbst den Bestand des Vierbunds immer ernster gefährdet. Welcher Zündstoff in den besetzten Gebieten angehäuft ist, dafür bieten einen Anhalt die letzten Ukraine-Ereignisse, deren Kern nichts anderes ist als eine Revolution der ukrainischen Massen gegen die deutsche „Intervention", d. h. gegen die deutsche Diktatur, als eine Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Krieges in revolutionärer Form, als eine Volkserhebung gegen die heimtückischen deutschen Okkupanten, als eine so elementare Bewegung, dass sich ihr selbst die deutschen Kreaturen der Rada-„Regierung" nicht entziehen konnten – Revolte der Werkzeuge gegen ihre Anwender! Massenerhebung gegen die deutsche Besatzungsarmee, und Gegenrevolution, wohlvorbereiteter gegenrevolutionärer Staatsstreich des Generals Eichhorn, der sich dabei als Wandschirm gewisser großagrarischer und großkapitalistischer Kreise bediente, die sich durch halb-sozialistische Pläne der Rada-Regierung bedroht fühlen, aber darum noch längst nicht willenlose Puppen des deutschen Militärs sind. Der deutsche Staatsstreich ist unternommen, um die deutsche Macht zu erhalten und zu befestigen – für fernere Ziele, die wir besprachen, und für zwei unmittelbar dringende Aufgaben: die wirtschaftliche Ausplünderung des unglücklichen Landes und seinen Friedensschluss mit Russland, bei dem auch die Abgrenzung des Gebiets und die sonstige staatliche Zukunft der Ukraine zur Entscheidung kommen, Fragen, deren Erledigung im deutschen Sinne, denn auch der Ukraine-Russland-Frieden soll in Berlin diktiert werden!, offenbar der Rada-Regierung nicht mehr zugetraut wurde. Sicher hat das edle Paar Eichhorn-Mumm alle Register der Lüge, der Intrige, der Lockspitzelei und des beliebten Polizei-Putschismus gezogen, um den erwünschten Vorwand für sofortiges Eingreifen zu schaffen. Und es lässt sich bei der verlogenen deutschen Berichterstattung nicht klar übersehen, welchen Umfang und welche Formen die revolutionäre Massenerhebung beim Beginn des Staatsstreichs bereits angenommen hatte. Dass aber die Kleinbauern und Landarbeiter sowie das städtische Proletariat, d. h. die ungeheure Mehrheit des ukrainischen Volkes, dem Eindringling vom ersten Tage an heftigsten Widerstand entgegensetzte und dass der Hass gegen die Invasionsarmee durch ihr Auftreten nur verallgemeinert und vertieft worden ist, dass in der Tat das ganze Land in mehr oder weniger offener Empörung stand, unterliegt keinem Zweifel. Selbst wenn an all den romantischen Geschichten, die man dem deutschen Volke jetzt auftischt, kein wahres Wort ist. Dass selbst manche Kreise, die aus sozialen Gründen die Intervention gewünscht und gefördert hatten, trotz Fortdauer der sozialen Revolution unter dem Eindruck der Invasion anderen Sinnes geworden sind, erweist die Rada und ihre Regierung. Der deutsche Imperialismus, den man als Klassengenossen gegen den gemeinsamen sozialen Feind ins Land gerufen hatte, entpuppte sich als räuberischer Ausbeuter und Unterdrücker auch der ukrainischen Bourgeoisie, und in solchem Maße, dass das imperialistische Gegengift ihr meist schlimmer bekam als das soziale Gift, vor dem sie Rettung suchte. Im Kriege wendet14

Zur „Ausnahmesituation" – (Solidarität gewisser Teile der Bourgeoisie mit Prolet. gegen den auswärtigen Bedrücker u. Ausbeuter – bei Überwiegen der sozialen Gefährdung durch diesen) in der Ukraine (vgl. Apen [?] c, von Anfang Mai 18). In solchen Situationen kann zwar die Bourgeoisie dem Proletariat solidarisch werden gegen den auswärtigen Raub …15 – für Einzelfall, vorübergehend, aber nur, wenn Prolet. ihr nicht alles zu nehmen willens oder fähig ist – also nicht bei vollkommener soz. Revolution: In der Extremität bleibt Überwiegen des Klassengegensatzes unbedingt!! – selbst wenn Prolet. die Staatsgewalt in Händen hat, nicht aber das Prolet. solidarisch mit der Bourgeoisie, solange diese herrscht, d. h. als Klasse, als Bourgeoisie existiert, denn in diesem Fall hat das Prolet. auch vom auswärtigen Feind nicht mehr zu verlieren – u. wenn doch – so tritt die Bedrückung u. Ausbeutung durch ihn als ein vorübergehender Umstand hinter der dauernden Klassenunterdrückung u. -ausbeutung an Bedeutung trotzdem zurück. Und selbst wenn dies nicht in dem Maß der Fall, wenn das Übel der auswärtigen Bedrückung u. Aussaugung (polit. u. wirtsch. Schädigung durch auswärt. Feind) dem Prolet. – wenn auch verschiedenen Grades – mit Bourg. gemeinsam ist: Das spezifische politische Mittel zur Bekämpfung dieses Übels ist der internationale Klassenkampf! Und dieses Mittel ist allen anderen voran festzuhalten!!

Dem Prolet. als einer internationalen Klasse steht jedes soziale Übel, das allgemeinen, gesellschaftlichen Charakter trägt, als ein internationales gegenüber, die internationale Solidarität des Proletariats verwandelt die nationalen Gegensätze in internationale soziale Gegensätze u. führt damit zu einer Umkehrung der Technik des Kampfs gegen jene Übel, auch soweit sie im Gewand national-staatlicher Gegensätze auftreten: Die eine prolet. Weltarmee wird derart verwendet, dass jede nationale Sektion von ihr den Kampf gegen den Teil des Feindes führt, der ihr unmittelbar gegenübersteht – mit sozialen Mitteln: Aufhebung zugleich des Übels u. seiner Wurzel!!

Grenzen der brutalen Gewaltpolitik

So plump, wie Deutschland jetzt im Osten, kann auch der stärkste Imperialismus nicht arbeiten, ohne sich sein eigenes Grab zu graben. Selbst gegen afrikanische Wilde sind solche Methoden riskant genug, geschweige gegen europäische Völker. Auch in der finnischen Bourgeoisie hat die Gärung eingesetzt; die Mannerheim-Krise spricht Bände.

Und in der rumänischen Suppe, die doch ganz nach ihrem Rezept eingebrockt ist, finden selbst die Reventlows schon ein Haar: „Bedenkt man, dass ihre (der rumänischen Verpflichtungen gegen Deutschland) Innehaltung durch die Organe des deutschen Oberkommandos im Lande dauernd kontrolliert werden, auch sonst das Land mit seinen Verkehrseinrichtungen usw. deutsch überwacht wird, so ist klar, mit welch glänzendem Erfolg ein nach der Entente und nach Österreich-Ungarn hin stimmungsmäßig orientiertes Rumänien erbittertstes Odium für alles auf Deutschland und die Deutschen häufen wird." („Deutsche] Tgsztg.", 25. 5. 18.) Fiasko in Polen, Fiasko in der Ukraine, Fiasko in Finnland, Fiasko in Rumänien – aber sie rennen weiter in ihr Verhängnis. Wähnen sie sich als Herren des „Südostkanals"? Die „Kaukasusbrücke" nach dem Orient wird noch viel gefährlicher sein als die gefährliche Balkanbrücke und der rumänische Weg. Nimmer wird's ihnen gelingen, die wilden, kühnen, durch und durch revolutionierten Bergvölker des Kaukasus à la Prussienne zu kujonieren und zu bändigen. Explosivstoffe, wohin man blickt. Sie mögen sich bemühen, wie sie wollen; es gibt in der ganzen Welt keine „realen Garantien", um eine solche wahnwitzige Volksaufpeitschungspolitik verlässlich zu fundamentieren. Schimpflich und verdient wird sie zusammenbrechen und in ihren Sturz die ganze imperialistische Welt reißen.

Zum russ. „Frieden"

Auch der Raub des Kaukasusgebiets (Petroleum – Batum etc.) durch die Landesverrats-Propag. in den Gefangenenlagern etc. vorbereitet (Georgische, Grusinische Republik).

Auch die kaukasische „Regierung", die um Intervention bat (oder doch Frieden anbot an Türkei – Ende Februar!), ist Kreatur der Mittelmächte – ganz à la Ukraine u. Finnland.

Die russischen Volker werden ihnen eins aufspielen, dass ihnen die Haare zu Berge stehen!

Das sind keine geduldigen deutschen Schafe/Lämmerherden/!

Sie sind mit dem Zarismus fertig geworden – sie werden auch den Preußen Flötentöne beibringen.

Die Ukraine-Kosaken-Kaukasus-Brücke nach dem Orient wird noch viel gefährlicher als die gefährliche Balkanbrücke u. der rumänische Weg.

Nimmermehr wird's gelingen, die wilden u. kühnen u. durch u. durch revolutionierten Völker, am wenigsten die Bergvölker des Kaukasus, à la Prussienne zu kujonieren u. zu bändigen.

Das Dilemma des Imperialismus

Die Ausbeutung ganzer Staaten und Völker neben der kapitalistischen Klassenausbeutung kennzeichnet den Imperialismus, diesen qualifizierten Kapitalismus, im Unterschied zum einfachen, auf Klassenausbeutung beschränkten Kapitalismus. In ihm schlägt das Soziale ins Staatliche und Nationale um, der Klassengegensatz in den sozialen Gegensatz ganzer Länder und Völker, der aber hinter dem andauernden Klassengegensatz selbst weit zurückbleibt, oft wechselseitig ist, dauernd dem niveauausgleichenden Einflüsse kapitalistischer und proletarischer Wandlung unterliegt und den internationalen Charakter von Kapital und Arbeit nicht aufhebt, die Tendenz zu seiner Betätigung eher stimuliert, jedenfalls wenn und soweit er das Kapital im Kampf um den Profit „nationalisiert", zerspaltet und verfeindet, um so mehr das Proletariat zum Kampf gegen die Ausbeutung internationalisiert, verbündet, solidarisiert: ein Gegensatz, bei dem sich natürlich der Schaden im ausgebeuteten wie der Gewinn im Ausbeuterstaate unter die Klassen nach kapitalistischer Manier verteilt und die herrschenden Klassen des ausgebeuteten letzten Endes noch Versippte und Mitschuldige der herrschenden Klassen des Ausbeuterstaates sind.

Bei alledem macht es nur einen formalen Unterschied, ob die auszubeutenden Völker Staats- oder „völkerrechtlich" dem Ausbeuterstaat irgendwie angegliedert sind oder nicht, ob sich der Aussaugungs- und Verdauungsvorgang innerhalb eines formal geschlossenen imperialistischen Komplexes abspielt oder nicht; ob die Vergewaltigung „friedlich" oder kriegerisch stattfindet; der „friedliche" und der kriegerische Aggregatzustand des Imperialismus sind nicht zu trennen.

Der Gegensatz der verschiedenen imperialistischen Komplexe ist nicht nur Konkurrenz um die Ausbeutung der außerhalb ihres staats- und Völker„rechtlichen" Bereichs liegenden Länder und Völker (Naturschätze und Vorteile – Klima usw. – und menschliche Reichtümer, Arbeitskräfte und Markt), sondern auch um die Ausbeutung der innerhalb dieser Grenzen befindlichen, und zwar sowohl der an den Ausbeuterstaat angegliederten Ausbeutungsgebiete (Kolonien, Ägyptisierungsobjekte) wie auch der imperialistischen Herrenvölker selbst, und zwar auch hier um natürliche Schätze und Vorteile aller Art (Klima usw.), menschliche Reichtümer, Arbeitskräfte, Markt.

Die höchste Steigerung imperialistischen Kampfes ist der Kampf der verschiedenen imperialistischen Komplexe um die Frage: welcher von ihnen nicht nur den oder die andern aus der Beherrschung der übrigen Welt verdrängen, sondern auch den oder die andern unterwerfen und zu seinem Ausbeutungsobjekt machen wird. Dieser Kampf hat längst begonnen; der ihm zugrunde liegende Gegensatz ist von Anfang an in den imperialistischen Gegensatz impliziert – er wird immer mehr zum Hauptstück, je mehr sich die andern, die „auswärtigen" Expansivmöglichkeiten erschöpfen. Die Entscheidung dieser Frage wird schließlich zum einzigen und ganzen Objekt und Ziel des imperialistischen Kampfes. Damit ist seine letzte Form erreicht, zugleich der Endpunkt der Entwicklung des Imperialismus, der nicht ohne Expansion leben kann, aber an der Expansion, ohne die er nicht leben kann, stirbt, nachdem er alle ihre Möglichkeiten erschöpft hat – der Flamme gleich, die mit dem Verzehr ihrer Nahrung erlischt, ihre Existenzbedingungen vernichtet hat. Die Kulmination der imperialistischen Sonne ist zugleich ihr Untergang.

Das Dilemma zwischen dem Produktions- und Absatzinteresse, die Gefahr, die Henne zu schlachten, die die goldenen Eier legt, besagt:

Der Imperialismus kann weder mit der wirtschaftlichen Blüte der Konkurrenten noch ohne sie leben; eine Seite des inneren Zwiespalts, des Antagonismus, der zu seinem Wesen gehört. Die kapitalistische Konkurrenz ist Konkurrenz um die Profitmöglichkeiten. Die Haupteigenschaften des Kapitalismus sind die Ausbeutung der Arbeitskraft und die Akkumulation des Kapitals. Aus der Kombination beider folgt zweierlei: die Expansion usw., die Notwendigkeit, dass der kapitalistische Absatzbereich größer sein muss als der kapitalistische Produktionsbereich.

Fände nur Ausbeutung statt, keine Akkumulation, so würde der Profit vom Kapitalisten verzehrt: Produktions- und Absatzgebiet würden sich decken; fände nur Akkumulation statt, ohne Ausbeutung, in welchem Falle die Aktion keine kapitalistische wäre, so würde das nicht akkumulierte Arbeitsprodukt von den Produzenten verzehrt: Produktions- und Absatzgebiet würden sich wiederum decken. Indem aber die Ausbeutung bewirkt, dass die Produzenten (die in der Produktion tätigen Arbeitskräfte) nicht das ganze Arbeitsprodukt verzehren können, und Akkumulation bedeutet, dass die Kapitalisten nicht den ganzen Profit verzehren, sondern laufend einen Teil von ihm kapitalistisch neu anlegen, ergibt sich, dass das Arbeitsprodukt auch von den Kapitalisten und den Produzenten (Arbeitern) gemeinsam nicht ganz verbraucht, dass es zum Teil an außerhalb des Produktionsbereichs befindliche Käufer abgesetzt werden muss, und zwar derjenige Teil, dessen Ertrag als neues Kapital angelegt (akkumuliert), in ein neues Kapital umgewandelt werden soll.

Aber wo wird das Akkumulierte abgesetzt??

Fände nur Ausbeutung statt, keine Akkumulation, so würde weder ein Bedürfnis nach erweitertem Absatz aufkommen, da das abzusetzende Produkt nicht zunimmt, noch ein Mehrbedarf an Rohstoffen, Produktionsmitteln usw., da die Produktion auf der gleichen Stufe verharrt. Fände nur Akkumulation statt, keine Ausbeutung, so würde das Mehrprodukt von den Produzenten konsumiert werden, der Mehrbedarf könnte entweder im bisherigen Bereich, eventuell mit Hilfe neuer Entdeckungen und Erfindungen befriedigt werden; oder in anderen Bezirken; auch in diesem Falle läge keine kapitalistische Expansion vor, da voraussetzungsgemäß eben die Ausbeutung ausgeschlossen, die zum Wesen der kapitalistischen Expansion gehört. Erst indem …16 usw.

Zu unterscheiden ist die Ausbeutung im Produktionsbereich (innerhalb des Produktionsprozesses) und die Ausbeutung im Absatzbereich – innerhalb des Absatzprozesses.

Um beide Bereiche geht der imperialistische Kampf, außerdem um die Naturkräfte und -schätze, um die Möglichkeit ursprünglicher Akkumulation. Die Expansion ergreift den Produktionsbereich, einschließlich des Bereichs, in dem sich die Bedingungen der Produktion befinden, und den Absatzbereich: Stets aber ist der letztere weiter als der erste. Er muss zuerst an die Schranken stoßen usw.

Die expansive Tendenzspirale bildet das Motorische des imperialistischen Trieblebens. Die Expansion ergreift den Produktionsbereich und den Absatzbereich. Sie erfolgt in einer sich ständig erweiternden Doppelspirale: Das ist die Bahn der imperialistischen Entwicklung. Beide Spiralen führen schließlich ans „Ende der Welt" – diejenige des Absatzbereiches zuerst. Ausbeutung und – kapitalistische! – Akkumulation werden aus einer Notwendigkeit eine Unmöglichkeit. Mag sich der Imperialismus durch teilweise Selbstzerstörung, die ihm gestattet, bereits geleistete Arbeit vorübergehend zu wiederholen, eine Gnadenfrist schaffen; er mag herum- und herausfahren, aus allen Pfützen saufen und die ganze Erde zernagen und zerkratzen: Seine Uhr ist abgelaufen. So führt der Imperialismus, wenn ihn die soziale Katastrophe nicht vorher ereilt, automatisch zur wirtschaftlichen Katastrophe. Selbstvernichtung durch Erzeugung der sozialen Macht, die ihn überwinden wird, Selbstvernichtung durch Aufhebung seiner eigenen wirtschaftlichen Voraussetzungen – das ist sein doppelt besiegeltes Schicksal.

Begriffliches

Begrifflich zu unterscheiden sind – obwohl sie in der Praxis sich oft verschlingen und auch zusammenfallen können:

wirtschaftliche und innerpolitische (auch soziale) Kriegsziele und wirtschaftliche und innerpolitische (auch soziale) Gesichtspunkte der Kriegsstrategie.

je nachdem der wirtschaftliche und innerpolitische (soziale) Erfolg Zweck oder Mittel der Kriegführung ist.

Von wirtschaftlichen Gesichtspunkten der Kriegsstrategie sind diktiert z. B. die Anleihe- und Valutaoffensiven, die Nahrungsmittel- und Rohstoffraubzüge, die Störung der feindlichen Wirtschaft (Abschneiden der Rohstoffquellen, Produktionsmittel, Verkehrswege);

von innerpolitischen Gesichtspunkten der Kriegsstrategie: die Hindenburgschen „Entlastungsoffensiven" zur Ablenkung und Beruhigung der missmutigen Massen, besonders bei Streikgefahr.

Die Antiwahlrechtsoperationen sollen der Fortdauer der deutschen Reaktion dienen; sie fallen damit ins Gebiet der innerpolitischen und sozialen Kriegsziele, in das alles gehört, was sich gegen die revolutionäre Entwicklung wendet, alles, was die politische Rückständigkeit und die Klassenherrschaft des Preußentums und die kapitalistische Ordnung erhalten soll.

Der Weltkrieg – revolutionär?

Wenn etwas am jetzigen Krieg revolutionär ist, so ganz gewiss nicht das Emporkommen des deutschen Imperialismus, d. h. der Höchstkonzentration gegenrevolutionärer Kräfte, sondern die Erfahrung, Aufklärung, Aufreizung auf sozialem, wirtschaftlichem, politischem Gebiet, die Aufrüttelung und Mobilisation zurückgebliebener Völker, die peitschende Kraft seiner Schrecken, des Elends, das er erzeugt hat; nicht seine Wirkung, sondern seine Kontrastwirkung; das gilt auch für die wichtigsten Fortschritte – die wirtschaftliche Technik und Organisation.

Diesen Kontrastwirkungen gegen den Krieg stehen die reaktionären Wirkungen des Krieges gegenüber. Sie werden nur dann der Periode des Weltkrieges einen revolutionären Gesamtcharakter aufprägen, wenn sie dauernd, die reaktionären Wirkungen nur vorübergehend sein werden.

Dafür zu sorgen ist Sache des sozialistischen Proletariats. Das Bestreben der Lensch, Parvus17 usw., die ihre erbärmliche Apostasie hinter Gesten revolutionärer Verzückung verbergen möchten, verfolgt das entgegengesetzte Ziel.

An Sophie Liebknecht18

Luckau, 11. Mai 1918

553. Tag! Rest 907

(mit Untersuchung: 740!)

Liebste!

Bleistift, da Löschpapier, verzeih.

Zunächst zum Fall Bob. Ganz Deiner Ansicht, wenn Du sie auch selbst als „kleinbürgerlich" karikierst; komme aber doch zu anderem Ergebnis, das ich Dir unterbreite, allersubmissest, ohne Dir vorzugreifen, ganz unmaßgeblich; Du entscheidest. Nur Erwägungsgründe für Dein Urteil, von denen ich natürlich auch den Jungen nichts sage; u. dies geht im geschlossenen Kuvert. Also: Die Jungen befinden sich jetzt in einem Ausnahmeverhältnis, gerade wenn sie die Schule besuchen. Der Unterricht, die Schulfeiern, alle sonstigen Einwirkungen der Schule sind heute für sie eine fast ununterbrochene Kette von Widerwärtigkeiten u. Demütigungen. Das ist mir nach den Schilderungen der Briefe, die die Wirklichkeit, wie ich weiß, noch bei weitem nicht erreichen, wieder so lebendig geworden, dass ich es aussprechen muss. Auch ich habe in meiner Jugend eine Fülle politischer Anfechtungen erfahren, in der Schule und anderwärts, und ich habe sie mit Stolz u. Verachtung u. – Mitleid getragen; u. sie haben mich befestigt u. erhoben. Ich denke nicht daran, meine Kinder verzärteln zu wollen; mögen sie sich früh Narben holen, so werden sie rechtzeitig hart sein. Aber in der Schule handelt es sich heute um keinen Kampf, der stählt, sondern um passives Erdulden, um stumpfe Ergebung, die entnervt; und noch mehr: um hässliche Kompromisse von Tag zu Tag. Du entsinnst Dich der Kaiserhoch-Affäre Bobs. Bob war vor Gott u. der – anständigen – Welt im Recht, da er nur als aufrechter, ehrlicher Junge sich geweigert hatte, an einem Akt teilzunehmen, der seinem ganzen Empfinden u. Denken widersprach. Das gab selbst Dr. Prenzel zu; u. dennoch wurde das Ultimatum gestellt: entweder künftig alles mitmachen – ohne Rücksicht auf die Gesinnung – oder die Schule verlassen; u. so kam der Kompromiss zustande, unter dem die armen Kerle jetzt im Krieg dauernd leiden. Fortgesetzt aufgezwungene Unwahrhaftigkeit, tiefste Unsittlichkeit – nun, Du weißt ja, was ich meine. Sie müssen sich ja fügen, wollen sie ihr Leben nicht im Keime zerstören; nicht einmal der Weg ins Ausland steht ihnen ja heute offen, wenn sie geschasst werden. Kurz u. gut: Kann man ihnen diese demoralisierenden Erlebnisse abkürzen – so soll man es tun, scheint mir. Genug, um ihnen die fürs Leben nötige Fügsamkeit beizubringen, bleibt doch noch übrig. Ich rede nicht vom Lernen. Handelte es sich darum, so wäre ich unerbittlich u. ganz Peitsche. – Sage nicht, dass solche Demütigungen usw. heute auch Dir, auch jedem außerhalb der Schule nicht erspart bleiben; sicher – aber die Fälle liegen doch verschieden, u. die Erleichterung, die möglich ist, sollte man, scheint mir, beiden Jungen, auch Bob, zuteil werden lassen. Sie sind eben in einer Ausnahmelage gegenüber der Schule; indem man sie davon befreit, stellt man sie in die Situation, in der sich ihre – mit dem Strome schwimmenden – Kameraden befinden. Dies meine Ansicht.19

Natürlich kommt ein Dispens nur in Frage, wenn er möglich ist, d. h., wenn er bei der Schule erzielt werden kann u. wenn ein vernünftiges Unterkommen gefunden wird u. überhaupt eine Verwendung des Dispenses zu erwarten ist, die nicht schlimmer ist als das zu vermeidende Übel. Natürlich darf das Schulziel nicht gefährdet werden. Daran, dass Bob auch ohne Schule ordentlich lernen wird, zweifle ich nicht. Natürlich darf er nicht ins Bummeln u. Liederjanen geraten; Ordnung tut ihm vielleicht noch mehr Not als Helmi. Von dem Zeichen-Steckenpferd fürchte ich nichts – aus eigener Erfahrung mit andren Steckenpferden; natürlich muss man vorsichtig dämpfen – schon weil dann kraftloses Strohfeuer um so rascher erlischt u. eine Auslese des Wertvolleren stattfindet.

Überlege Dir die Sache u. entscheide. Findest Du keinen Entschluss, so berate mit Th.20, unter Mitteilung meiner Ansicht, die nicht aus Weichheit u. Nachgiebigkeit, sondern aus dem Willen zur Charakterfestigung der Kinder geboren ist u. mit Phantastik, Romantik, Hypochondrie oder sonst was nichts zu tun hat. Sei nicht bös, dass ich hier nicht einfach zustimme. Hältst Du weiteren Gedankenaustausch geboten, so schreib gleich; ich werde den Brief bekommen u. bei der Dringlichkeit sicher auch alsbald beantworten dürfen.

Deinen Paketbrief vom 26. 4. bekam ich am 30. u. erfuhr dann, dass ein Paket zurückgeschickt war, weil es mit einem Abstand von nur 3 Tagen kam; dass vorher eine entsprechend längere Pause gewesen war, wurde nicht berücksichtigt. Nun sollst Du Dich im Allgemeinen möglichst an einen etwa 14tägigen Zwischenraum halten. Vielen, vielen Dank Dir u. allen für alles. Sorgt aber wirklich vor allem für Euch.

Deine Sportnachrichten freuen mich. Nur nicht nachlassen – Beharrlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Ich hoffe, dass Dein Pessimismus wegen Lenes Gesundheit Lügen gestraft wird21; ihre Konstitution hat schon manchen Ansturm glücklich abgeschlagen. Sorgt nur gut für sie; ich wünsche alles Beste u. grüße vielmals …

Seit einiger Zeit bin ich in den Stand der Tütenkleber getreten; die beschäftigungslose, die köstliche Zeit hat leider nicht lang gewährt. Vorläufig noch Lehrling. Das Pensum beträgt: 1000 pro Tag. Durch Zählen (1-2-3 bei jeder Tüte – bis zu 3000 = Pensum!) suche ich mich zu spornen u. zu unterhalten. Die Arbeit ist reinlich und relativ angenehm. Für mein Studium bleibt jetzt nur wenig übrig: Von 6 früh bis ¾8 abends bleiben außer der Mittags- u. Abendpause nur ein paar Viertelstunden, in denen auch zu essen und der „Haushalt" zu ordnen ist. Aber die Abende werden länger, ich werde sie nach Kräften ausnutzen – ich bin so durstig u. möchte das Meer austrinken. Aber – andres Thema:

Die Vögel sind da u. tirilieren mir durchs Gitter, leider ohne sich mir vorzustellen. Nur eines Nam' u. Art konnte ich doch erforschen: des Gartenlaubsängers, auch Bastardnachtigall genannt, der berühmte „Spottvogel", ein Imitator hoher Qualitäten.

Die Passverweigerung22 ist eine traurige Schikane – die Grobheit eine hier des Landes noch immer gebräuchliche Zugabe. Kehre dem Burschen, der Dir das bietet, den Rücken; jedes Atom von Erregung oder Ärger darüber wäre Verschwendung. Die Beschwerde ist nötig, um die höhere Verantwortlichkeit festzunageln. Erfolg ausgeschlossen, da die Versagung von oben ausgeht. Hoffentlich findet sich für Helmi u – eventuell – Bob ein Plätzchen, wo Arbeit in enger Fühlung mit der Natur u. bei guter Ernährung möglich ist; wie wir's in Borsdorf23 hatten – im primitivsten Quartier, in engsten Kammern u. Verschlägen eines baufälligen Hauses, wir in Wind u. Wetter drauß, aber Wind u. Wetter auch bei uns drin; u, neben Wind u. Wetter Sonnenschein die Fülle; geturnt, geprügelt, Schmetterlinge gezüchtet, gewandert, in Wald, Wiesen, Getreidefeldern verkrochen mit den herrlichsten Büchern – u. allen Musen im Leibe. Kuhstall, Obstgarten, Erntearbeit mit den Knechten, Jauchefässer geritten – honny soit qui mal y pense. Mausi soll doch ins Gymnasium, scheint mir; ihre Lust kann nicht entscheiden, da sie nicht weiß, worum sich's handelt. Schlimmstenfalls ist's zu viel; u. daraus kann man sich immer noch retten. Mit dem Zuwenig, wenn nachher die Lust kommt, ist's unbequemer. Aber noch ist Zeit bis zum Entschluss.

Ja, mein Kind, der „Friede im Osten ist geschlossen"! Du wunderst Dich? Auch das Wort „Frieden" hat heut seine Bedeutung verändert. In der Tat, eine neue Sprache ist Not. Und eine neue Geographie u. Völker- u. Sprachenkunde. Du, Rostowerin, wusstest bisher nicht, dass Du eine Ukrainerin bist? Jetzt wird Dir's eingepaukt. Aber ruhig, Liebstes – Episode, Episode, Episode. Kartenhaus, Kartenhaus, Kartenhaus. Eintagsfliegen, Eintagsfliegen, Eintagsfliegen. Und was ich sonst noch sagen möchte u. nicht sagen darf, weißt Du.24

Du unpolitischstes Geschöpf der Erde empfandest in der russ. Botschaft doch richtiger als die Politiker, von denen Du erzählst.

Grüß Joffe25 u. die Übrigen von mir – dass Du um alles in der Welt bei ihnen u. anderen keinen Firlefanz, keine Wehleidigkeiten, kein Brimborium irgendwelcher Sorte um mich machst; meine jetzige Lage ist eine Selbstverständlichkeit u. Kleinigkeit, nichts weiter.26 So fasse ich's, so fasst Du's, so fassen's meine Kinder. Und damit basta.

Aber was rote Fahne, Mai-Kommers, Karl-Marx-Amnestien – Spielereien, Spielereien. Treiben sie die rechte Politik – darauf allein kommt's an. Von Dekors u. Honneurs mag ich heutzutage nichts hören.

Gern wär ich drauß – um kämpfen zu können; möchte zugleich hier sitzen u. drauß wirken u. schaffen, was mein Herz begehrt. Wäre meine Kraft so groß wie mein Wille! Genug davon. -

Die wetterängstliche Verzärtelung kann einen Hund jammern. Heraus ins Freie! Abhärtung. Soll ewig jeder Luftzug einen Schnupfen bringen u. jeder Schnupfen zitterndes Zimmerhüten, so mag ein Frosch Mensch sein.

Die Jungen haben sich in den Briefen über Schule u. Passverweigerung etwas burschikos ausgedrückt, so dass sich Beanstandungen ergaben27, so sehr sie auch sachlich im Recht waren. Ich werde ihnen das am Montag näher erklären.

Es wird dunkel. – Leb wohl, Liebste, die ich mit tausend Fäden meiner Sehnsucht zu mir ziehen möchte.

Ich küsse Dich u. küsse Dich, Deine Hände, Deine Augen, Deinen Mund. Vergiss mich nicht!,

Deinen Karolus

Für Pfemfert:

Zur Diesterweg-Skizze von Benn28: Bei aller Abstrusität der Form – sie imponiert mir; ein Stück tiefer Expressionismus – alles Sein u. Geschehen ausschließlich u. unbedingt nur in der Spiegelung erfasst, die es in der Seele Diesterwegs findet; im Schatten, den es in die Höhle seines Innern wirft – nach Platos großem Bilde; an Hansums Auflösung der Welt in Stimmung u. Empfindung gemahnend, auch in der Eindringlichkeit der Schilderung ihm verwandt.

Das Tolstoische Gespräch begrüße ich – natürlich sind Tolstois Ideen nicht die unsern.

Pachem – der übrigens 1906 bei der Gorki-Feier im Deutschen Theater (Du entsinnst Dich!) Schildkraut las –, das ist der deutsche Imperialismus.

Bakunin bekam ich leider nicht.

Danke Pfemfert u. grüße beide.

13. 5. 18

Otto Bracke29 kam noch immer nicht. Gestern (12. 5.) wurde ich vom Untersuch.richter des Reichsgerichts über irgendeinen mir unbekannten Menschen informatorisch (als Zeuge) gehört. Keine Ahnung, worum sich's handelt. So etwas gehört zu den interessanten Unterbrechungen des Einerlei.

Zur Wahl in Zwickau

Was Wunder! Sie u. alle andren Wahlen unter dem Belagerungszustand sind vollkommen vergleichbar, gleichzustellen den Wahlen, den Selbstbestimmungskomödien in den besetzten Gebieten! Ganz Deutschland ist ein solch besetztes Gebiet, das unter dem bleiernen Druck der Gewalt u. dem vergiftenden Einfluss der Korruption steht.

Die meisten Führer der Spart.Gruppe eingesperrt oder sonst matt gesetzt/lahmgelegt/. Ihre Presse verboten oder lahmgelegt/gehindert/; ihre Versammlungen unterbunden oder aufgelöst oder zum Schweigen verurteilt; des Koalitionsrechts u. der sonstigen Palladien der bürgerl. Freiheit entblößt. -

Da können die Regier.soz. triumphieren. Es verlautet, Scheidemann habe gegen das brutale Vorgehen in der Ukraine, in Finnland, in Litauen u. im Baltikum protestiert. – Wen kann das darüber täuschen, dass die Regier.soz genau solche Nutznießer des deutschen Militarismus sind wie die ukrainischen, baltischen, finnischen Großgrundbesitzer u. Kapitalisten? Und dass ihre bei den Belagerungszustandswahlen erwählten Protegés solche Kreaturen der deutschen Regierung sind wie der neue Hetman der Ukraine – der wird schon bald genug die Zähne zeigen –, kann man nicht sagen, aber wie die Mitglieder der baltischen u. litauischen Landesräte.

Deutsche Neuorientierung über Karl Marx

Deutschlands Demokratisierung macht reißende Fortschritte. Was „persönliches Regiment", Militärdiktatur, Imperialismus, Standrecht, Wahlrechtstrug, Steuerplünderung! Kleinigkeiten! Aber unser Parlamentarismus! Unser Hertling30, unser Payer31, unser Müller32! Deutscher Parlamentarismus versteht sich, veredelter Parlamentarismus! Nicht wie im Wilden Westen Bindung der Regierung durch die Parteien, sondern Ankettung der Parteien an die Regierung; nicht wie im Wilden Westen die oppositionelle Mehrheit zur Regierung erhoben, sondern die Regierung von der Opposition befreit, Ausrottung der „Opposition", die niemals Opposition war, durch Zulassung zur Staatskrippe. Veredelter deutscher Parlamentarismus! Und nun gar: Festartikel zu Karl Marx' hundertjährigem Geburtstag in der „Nordd. Allg. Ztg."! In der „Nordd. Allg. Ztg."! Wisst ihr, was das heißt? Das ist mehr als die Zulassung „sozialistischer" Blätter zum Bahnhofsverkauf; mehr als die Entbindung „sozialpolitischer" Funktionäre vom Kriegsdienst; mehr als die Vorder- und Hintertreppenschlüssel zu den Ministerien und als die Empfänge im Hauptquartier, beim Kronprinzen und bei Ihm selbst. Wisst ihr, was das heißt? Karl Marx regierungsfähig, Karl Marx hoffähig geworden. Karl Marx durch die Gosse des Regierungssozialismus in die Königlich Preußische Allerwelts-Kloake geschwemmt. Deutschlands Demokratisierung macht reißende Fortschritte.

Wie die Ostseeprovinzen „deutsch" wurden

Der deutsche Klassiker Johann Gottfried Herder, ein Mann geistlichen Standes, schreibt in den berühmten „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", 20. Buch, III:

„… Die Deutschen Ritter, die, von einem Herzoge in Masowien gegen die heidnischen Preußen zu Hilfe gerufen, von einem deutschen Kaiser alles das zum Geschenk erhielten, was sie daselbst erobern würden und was ihm, dem deutschen Kaiser, selbst nicht gehörte, sie eroberten Preußen, vereinigten sich mit den Schwertbrüdern in Livland, erhielten Estland von einem Könige, der es auch nicht zu erhalten wusste, und so herrschten sie zuletzt von der Weichsel bis zur Düna und Newa in ritterlicher Üppigkeit und Ausschweifung. Die alte preußische Nation ward vertilgt, Litauer und Samojiten, Kuren, Letten und Esten wie Herden dem deutschen Adel verteilt. Nach langen Kriegen mit den Polen verloren sie zuerst das halbe, sodann das ganze Preußen, endlich auch Liv- und Kurland; sie ließen in diesen Gegenden nichts als den Ruhm nach, dass schwerlich ein erobertes Land stolzer und unterdrückender verwaltet worden, als sie diese Küsten verwaltet haben …"33

Nachkommen jener deutschen Adligen, denen Letten, Esten usw. „wie Herden verteilt" werden, sind die baltischen Barone, die bis heute jene Völker wie Herren behandeln und den Ruhm zu wahren wussten, dass schwerlich ein Land „stolzer und unterdrückender verwaltet" wurde als das Baltikum von ihnen. Und die, bis vor wenigen Monaten bewährteste Sklaventreiber des Blutzaren, heute vor dem revolutionären Russland fliehend, jene Letten und Esten den deutschen Galgen und Füsilladen ausgeliefert und die Überlebenden „wie Herden" dem deutschen Imperialismus zu getrieben haben.

Fürwahr – würdige Repräsentanten des Deutschtums! Fürwahr – glänzende deutsche Rechtstitel!

1 Napoleon I. (1769-1821) und Napoleon III. (1808-1873). Die Red

2 Oskar Jäger: Geschichte der neuesten Zeit. 1789-1900, Bielefeld und Leipzig 1912, S. 346. Die Red.

3 Napoleon III. erstrebte die Errichtung eines von Frankreich abhängigen mexikanischen Staates. Während der militärischen Intervention Frankreichs gegen Mexiko, an der anfänglich auch Großbritannien und Spanien teilnahmen, besetzten französische Truppen im Juni 1863 die Hauptstadt und erklärten Erzherzog Maximilian von Österreich (1831–1867), Bruder Kaiser Franz Josephs, am 10. April 1864 zum „Kaiser von Mexiko". Erbitterte mexikanische Gegenwehr sowie diplomatischer Druck der USA erzwangen 1867 den Abzug der Aggressoren. Damit brach zugleich das „Kaiserreich" zusammen. Maximilian wurde am 19. Juni 1867 in Queretaro standrechtlich erschossen.

4 Ende 1869 hatte Napoleon III. Emile Ollivier zum Leiter des Ministeriums ernannt. Ollivier wollte das kaiserliche Frankreich in eine konstitutionelle Monarchie umwandeln. Die dem Ministerium vorgelegten Verfassungsänderungen wurden genehmigt und am 28. März 1870 dem Senat vorgelegt. Napoleon III. verlangte jedoch die Sanktionierung der neuen Verfassungsbestimmungen durch ein Plebiszit. Die Abstimmung am 8. Mai 1870 mit 7,35 gegen 1,5 Millionen Stimmen wurde zu einer Kundgebung für Napoleon III. und das persönliche Regime, da die Fragen so formuliert waren, dass eine Ablehnung die Missbilligung der Politik des Kaisers bedeutet hätte.

5 Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757–1831) führte 1808 eine Städtereform durch, reformierte die obersten Staatsbehörden und hob die bäuerliche Erbuntertänigkeit auf. 1813/1814 war er Leiter der Zentralverwaltung für die befreiten Gebiete. Ernst Friedrich Herbert Graf zu Münster-Derneburg (1766–1839) förderte die Erhebung gegen Napoleon. Karl Liebknecht zitiert die Briefstelle nach Oskar Jäger: Geschichte der neuesten Zeit. 1789–1900, Bielefeld und Leipzig 1912, S. 293/294.

6 Tadeusz Kosciuszko (1746-1817), polnischer Freiheitskämpfer und Nationalheld; verurteilte ein Zusammengehen mit Napoleon. Die Red.

7 Zit. nach: Oskar Jäger: Geschichte der neuesten Zeit. 1789-1900, S. 122 u. 276. Die Red.

8 Gemeint ist Friedrich Christoph Schlossers „Weltgeschichte für das deutsche Volk". Die Red.

9 Jean Baptiste Bernadotte (1763-1844), französischer General, 1810 vom schwedischen Reichstag zum Kronprinzen gewählt, als Karl XIV. König von Schweden; 1812 schloss er sich der antinapoleonischen Koalition an. Die Red.

10 Joachim Murat (1765-1815), französischer Marschall, 1808-1815 König von Neapel, fiel 1814 von Napoleon ab, schloss sich ihm 1815 erneut an, versuchte nach Napoleons zweitem Sturz Neapel wieder zu erobern und scheiterte; wurde 1815 standrechtlich erschossen. Die Red.

11 General Hermann von Eichhorn (1848-1918), Oberbefehlshaber der deutschen Okkupationstruppen in der Ukraine; fiel am 30. Juli 1918 in Kiew einem Attentat zum Opfer. – Alfons Mumm von Schwarzenstein (1859 bis 1924), von März bis November 1918 als Vertreter des Deutschen Reiches in Kiew tätig, arbeitete eng mit General Eichhorn zusammen. Die Red.

12 In einem Kassiber bat Karl Liebknecht seine Frau, hinter „halb gefälschter" „halb erpresster" einzufügen. Die Red.

13 1792 – polnischer Aufstand gegen russische Intervention. Preußen, das Polen durch Vertrag verpflichtet war, stellte sich auf die Seite Russlands; 1793 zweite Teilung Polens. 15. Dezember 1805 – Vertrag von Schönbrunn zwischen Frankreich und Preußen, obwohl Preußen erst am 3. November 1805 einen Bündnisvertrag mit Russland gegen Frankreich geschlossen hatte. Die Red.

14 Manuskript bricht hier ab. Die Red.

15 Ein Wort nicht zu entziffern. Die Red.

16 Punkte in der Quelle. Die Red.

17 Ehemalige linke Sozialdemokraten, die zu extremen Sozialchauvinisten geworden waren. Die Red.

18 Brief ging durch die Zensur der Zuchthausverwaltung. Die Red.

19 Da seine Kinder in der Schule ständig Schikanen durch Lehrkräfte und Mitschüler ausgesetzt waren, drängte Karl Liebknecht, für Wilhelm und Robert eine Ausnahmeregelung zu erwirken. Sie sollten sich extern auf das Examen vorbereiten. Die Red.

20 Theodor, Bruder Karl Liebknechts. Die Red.

21 Leo Jogiches

22 Karl Liebknechts Sohn Robert, der zur Erholung nach Holland reisen sollte, war der Pass verweigert worden. Die Red.

23 Borsdorf bei Leipzig. Aufenthaltsort Wilhelm Liebknechts und August Bebels, als sie während des Sozialistengesetzes aus Leipzig, wo 1881 der kleine Belagerungszustand verhängt worden war, ausgewiesen wurden. An Sonn- und Feiertagen und während der Schulferien war die Familie Liebknecht, die in Leipzig wohnte, in Borsdorf vereint. Die Red.

24 Vgl. dazu die Notizen Karl Liebknechts über den Raubfrieden der deutschen Imperialisten von Brest-Litowsk. Die Red.

25 Adolf Abramowitsch Joffe (1883-1927), von März bis November 1918 diplomatischer Vertreter der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik in Berlin. Die Red.

26 Aus verschiedenen Andeutungen in Briefen geht hervor, dass die sowjetische Botschaft den Plan hatte, mit der deutschen Regierung über einen Austausch Karl Liebknechts gegen Gefangene zu verhandeln. Die Red.

27 Bei der Briefzensur. Die Red.

28 Gottfried Benn (1886-1956), Lyriker und Essayist, lebte als Arzt in Berlin. Die Red.

29 Verteidiger Karl Liebknechts. Die Red.

30Georg Graf von Hertling (1843-1919), führender Vertreter des konservativen Flügels des Zentrums, Reichskanzler vom 1. November 1917 bis 30. September 1918. Die Red.

31 Friedrich von Payer (1847-1931), Mitglied der Fortschrittlichen Volkspartei, von November 1917 bis November 1918 Vizekanzler. Die Red.

32 Ernst Müller (1866-1944), Abgeordneter der Freisinnigen Volkspartei im Reichstag. Die Red.

33 Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Bd. 2, Berlin und Weimar 1965, S. 465. Die Red.

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