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Karl Liebknecht 19181230 Reden auf dem Gründungsparteitag der KPD

Karl Liebknecht: Reden auf dem Gründungsparteitag der KPD

Berlin, 30./31. Dezember 1918

[Bericht über den Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919, o. O. u. J., S. 4-6, 12, 42. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 663-667]

Die Krise in der USP

Bericht über die Rede zum 1. Tagesordnungspunkt

30. Dezember 1918

Gründungsparteitag der KPD, Berlin 1918/1919 1]

Das Referat darüber erstattete Genosse Liebknecht. Er gab einen Rückblick auf die Entstehung der USP. Sie ist entstanden im Laufe der Zersetzung der alten Sozialdemokratie, die längst vor dem Kriege eingesetzt hatte, durch den Krieg beschleunigt wurde und jetzt noch nicht ihren Abschluss gefunden hat. Die USP ist in vielen Beziehungen ein Gelegenheitsprodukt des Krieges. Sie enthielt von vornherein die verschiedenartigsten Elemente. Sie war zunächst parlamentarisches Produkt, entstanden aus der „Arbeitsgemeinschaft" im Reichstag. Erst nach eineinhalb Jahren gelang es endlich, die Mehrzahl der Fraktionsangehörigen auf eine bestimmte oppositionelle Basis zu bringen. Die Spaltung von den Regierungssozialisten erfolgte am 16. März 19161, aber ihr war vorangegangen schon eine andere, eine prinzipielle Spaltung: der Ausschluss Liebknechts und Rühles aus der Fraktion. Die selbständige Konstituierung der Partei erfolgte erst 1917. Die Art des parlamentarischen Kampfes der USP war keineswegs zielklare Klassenpolitik, sondern ständig hin und her lavierend; sie hatte weder theoretisch klare Grundsätze noch ein Aktionsprogramm. Sie konnte beides nicht haben, denn ein solcher Versuch hätte sofort zu einer Spaltung innerhalb der Partei geführt, deren rechten Flügel Revisionisten reinsten Wassers wie Bernstein bildeten. Die Partei war aber damals das relativ Erträglichste, zumal es unserer Richtung unmöglich wurde, mit allem Nachdruck in der Öffentlichkeit zu wirken. Die Politik der USP bewegte sich ganz in den ausgetretenen parlamentarischen Bahnen. Die in dieser Situation einzig mögliche Politik, die antiparlamentarische, auf die Massenaktion gerichtete, wurde abgelehnt. Daher das klägliche Versagen in der „Baralong"-Affäre, bei der Matrosenmeuterei2 usw. Dem entsprach auch die außerparlamentarische Politik der Partei. Ihr Kennzeichen ist die mechanisch beschränkte Auffassung der Revolution, die auch bei ihrer Beteiligung an der Vorbereitung dazu zutage trat. All das hat uns nicht überrascht. Wenn wir trotzdem in Gotha3 uns der USP anschlossen, so weil wir uns vollkommene Aktionsfreiheit vorbehalten hatten. Wir haben der USP angehört, um sie voranzutreiben, um sie in der Reichweite unserer Peitsche zu haben, um die besten Elemente aus ihr herauszuholen. Es war eine Sisyphusarbeit schwierigster Art. Wohl haben wir die Führer nicht genommen, aber starke Teile der Massen.

Seit der Novemberrevolution hat sich die Prinzipienlosigkeit der USP gesteigert bis zu einem Grade, der uns vor die Entscheidung stellt, wie wir unser künftiges Verhältnis zu ihr einrichten sollen.

Es erfolgte der Eintritt ins Kabinett, obwohl schon am 1. November die Mehrheitssozialisten eine klare revolutionäre Politik ablehnten. Zwei Funktionen hatten die Mitglieder der USP im Scheidemann-Kabinett: Sie waren das Feigenblatt für Ebert-Scheidemann, und sie wurden damit auch das Feigenblatt für die Gegenrevolution, deren Kulisse und geheime Helfershelfer. Sie haben den infamen Akten der Regierung durch Duldung Vorschub geleistet oder durch Mittäterschaft den Stempel aufgedrückt. Die Mehrheitspolitik verfolgte von Anbeginn an eine klare Linie: die Wiederbefestigung der kapitalistischen Klassenherrschaft des Privateigentums. Barth4 ließ sich als Wanderredner gegen die Streikbewegung herum schicken, zur „Beruhigung" der Arbeiter. Das geschah mit Billigung aller Mitglieder des Kabinetts. Weitere Etappen auf diesem Wege sind die Belassung der alten Bürokratie in ihren Funktionen, die Wiederherstellung der Kommandogewalt der Offiziere. Nichts wurde dagegen getan von den Haase und Genossen. Dann die Vorgänge vom 6. Dezember5, deren Mitwisser, wenn nicht Organisatoren die Ebert-Scheidemann waren. Die reaktionären Beschlüsse des Rätekongresses6 erfolgten unter Mitwirkung der USP-Kabinettsmitglieder. Die große Mehrheit der Führer der USP propagierte die Nationalversammlung, bekämpfte das Rätesystem. Dieser Hochverrat an der Revolution wurde vollendet auf dem Rätekongress. Die Forderung eines Parteitages, um die Masse der Parteigenossen entscheiden zu lassen, wurde abgelehnt. Diese ganze Politik führte zur Verwirrung in den Arbeiter- und Soldatenmassen. Dadurch und durch Unterstützung der tollen Hetze gegen den Spartakusbund haben die Führer der USP die Voraussetzungen mit geschaffen für die rapide Entwicklung der gegenrevolutionären Mächte, die den Untergrund des 6. wie des 24. Dezember7 bilden. Auch die Blutschuld dafür fällt mit auf ihr Haupt. Sie haben nichts gewusst. Sie mussten wissen, wessen die Ebert-Scheidemann fähig waren. Sie trugen die Verantwortung, solange sie in der Regierung waren. Wir wollten das Urteil der Mitglieder der USP über die kompromittierten Führer provozieren. Sowohl diese Forderung der revolutionären Obleute wie unser Ultimatum vom 22. Dezember, das einen Parteitag forderte, wurden abgelehnt.

Damit sind wir vor eine Lage gestellt, in der es gilt, eine klare Entscheidung zu treffen.

Jetzt ist die Frage, ob durch den Regierungsaustritt Haases usw.8 eine neue Lage geschaffen ist. Die „Freiheit" bringt die Sache heute unter der charakteristischen Überschrift: „Heraus gedrängt". Sie wären also gern im Kabinett geblieben. Dies Verhalten beweist, dass sie heute noch genau dieselben sind wie früher. Ihre Prinzipienlosigkeit und Aktionsunfähigkeit ist bestimmt durch ihre Zusammensetzung und ihre Vergangenheit; das Urteil darüber ist nicht abhängig von einem einzelnen politischen Akt: Der Zersetzungsprozess der USP schreitet auch in den Massen fort. Die Mitgliedschaften gehen vielfach bei den Wahlen mit den Mehrheitssozialisten zusammen und verschmelzen sich organisatorisch mit ihnen, nach Bernsteins Vorgang. Im Grunde ist die USP tot und in der Verwesung. Der Austritt der Haase usw. aus dem Kabinett ist nur ein missglückter Versuch, den Leichnam wieder zu beleben. Ein weiteres Verbleiben in der USP wäre Solidarisierung mit der Gegenrevolution. Die Trennung von ihr ist geboten durch die Treue zur Revolution. Keine Solidarität ist mehr möglich mit Haase-Barth-Dittmann. Es muss sofort gehandelt werden. Es gilt heute, in aller Öffentlichkeit den Trennungsstrich zu ziehen und uns als neue, selbständige Partei zu konstituieren, entschlossen und rücksichtslos, geschlossen und einheitlich im Geist und Willen, mit klarem Programm, Ziele und Mittel zusammengestimmt nach den Interessen der sozialistischen Weltrevolution. Unser Programm und faktische Grundsätze haben wir längst angewandt, wir haben sie nur noch formell festzulegen. Wir haben uns nicht als ein Neues geschaffen. Die Massen wissen bereits, was wir sind und was wir wollen. Wir haben nur förmlich zu bestätigen, was wir längst sind, und unser Werk auf breiterer Grundlage fortzusetzen. (Stürmischer Beifall.)

Berichte über Diskussionsreden

I

Für die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung

30. Dezember 1918

Genosse Liebknecht weist noch einmal darauf hin, dass in der Sache selbst keinerlei Meinungsverschiedenheiten bestehen. Glauben Sie nicht, dass es uns darauf ankommt, irgendwelchen politischen Vorteil aus der Wahlbeteiligung zu ziehen. Und glauben Sie nicht, dass wir es über uns bringen könnten, etwas zu befürworten, was der revolutionären Energie des Proletariats Abbruch tun könnte. Und trotzdem glauben wir, wir können das eine tun und brauchen deshalb das andere nicht zu lassen. War aber unsere parlamentarische Tätigkeit selbst im Reichstage gänzlich wertlos? In der Nationalversammlung könnte eine kleine Schar von uns durch Obstruktion die Arbeit, die dort zum Schaden des Proletariats geleistet wird, wesentlich beeinträchtigen und draußen die Massen aufrütteln helfen.

II

Solidarität mit dem revolutionären Russland

31. Dezember 1918

Genosse Liebknecht wies darauf hin, dass wir die Solidarität mit unseren russischen Brüdern angesichts der neuesten Schandtat der Ebert-Scheidemann-Regierung dadurch praktisch betätigen müssen, dass wir die Proletarier im Waffenrock auffordern, die schändliche Zumutung abzulehnen und sich offen gegen ihre Führer zu wenden.9 (Stürmische Zustimmung.)

1 Karl Liebknecht meint vermutlich den 24. März 1916, an dem die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion dem Notetat der Regierung zustimmte. Außer Karl Liebknecht und Otto Rühle stimmten 18 zumeist zentristische Abgeordnete unter Führung Hugo Haases gegen den Etat. In der folgenden Fraktionssitzung am gleichen Tage wurden die Etatsverweigerer mit 58 gegen 35 Stimmen aus der Fraktion ausgeschlossen. Die ausgeschlossenen Zentristen bildeten die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft; sie teilten dies in einem Aufruf vom 30. März 1916 mit.

2 Am 2. August 1917 hatten Matrosen und Heizer des Kriegsschiffes „Prinzregent Luitpold" den Dienst verweigert und das Schiff verlassen. Diese Aktion war Höhepunkt der revolutionären Matrosenbewegung 1917. Ehe der Aufstand sich jedoch ausbreiten konnte, gelang es der Reaktion, die Bewegung brutal niederzuschlagen. Die Führer der USPD, nach deren Vorstellungen die Matrosen zu handeln geglaubt hatten und mit denen sie z. T. in persönlichen Kontakt getreten waren, distanzierten sich im Reichstag von dem Aufstand und den Zielen der Matrosen.

3 Ort des Gründungsparteitages der USPD (6. bis 8. April 1917). Die Red.

4 Emil Barth (1871–1941), Mitglied der USPD, seit Frühjahr 1918 Vorsitzender der revolutionären Obleute, wurde im Dezember 1918 abgesetzt; während der Novemberrevolution Mitglied des Rates der Volksbeauftragten. Die Red.

5 Organisiert vom sozialdemokratischen Stadtkommandanten Otto Wels, war am 6. Dezember 1918 in Berlin ein Putschversuch unternommen worden. Von reaktionären Offizieren geführte Truppenteile hatten den Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte verhaftet, die Redaktion der „Roten Fahne" besetzt und Friedrich Ebert zum Präsidenten der Republik ausgerufen. Bei ihrem brutalen Vorgehen gegen eine unbewaffnete Demonstration waren von den Truppen 14 Personen getötet und mehr als 30 verwundet worden.

6 Vom 16. bis 21. Dezember 1918 fand der 1. Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte im preußischen Abgeordnetenhaus statt. Der Kongress nahm die Forderungen der revolutionären Berliner Arbeiter entgegen, die rechten sozialdemokratischen Führer verhinderten jedoch, dass über sie abgestimmt wurde. Der Kongress stimmte mit Mehrheit dem sozialdemokratischen Antrag zu, „bis zur anderweitigen Regelung durch die Nationalversammlung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt" dem Rat der Volksbeauftragten zu übertragen. Der gewählte Zentralrat, in dem nur Mitglieder der SPD vertreten waren, hatte lediglich das Recht der parlamentarischen Überwachung. Mit großer Mehrheit wurde beschlossen, die Wahlen zur Nationalversammlung auf den 19. Januar 1919 festzusetzen. Mit diesen Beschlüssen entschied der Kongress in der Grundfrage der Revolution, Rätemacht oder bürgerliche Nationalversammlung, zugunsten des bürgerlichen Staates.

7 An diesem Tage überfielen konterrevolutionäre Truppen auf Anweisung Friedrich Eberts und Philipp Scheidemanns die Volksmarinedivision im Berliner Schloss und im Marstall. Der Angriff wurde abgeschlagen, 11 Matrosen und 56 Angreifer fielen in diesen Kämpfen.

8 Am 29. Dezember 1918 traten die Vertreter der USPD, Emil Barth, Wilhelm Dittmann und Hugo Haase, aus dem Bat der Volksbeauftragten aus. Die Red.

9 Die Regierung Ebert-Scheidemann verfolgte in der Außenpolitik die konterrevolutionäre Linie der deutschen Imperialisten. Unter dem Vorwand des „Schutzes der Heimat vor dem Bolschewismus" setzte sie die militärische Intervention des kaiserlichen Deutschlands gegen Sowjetrussland fort und setzte Truppen gegen die Rote Armee ein, die, von den Volksmassen unterstützt, die baltischen Länder befreite. Der Gründungsparteitag brandmarkte die antisowjetische Intervention der Regierung Ebert-Scheidemann in den baltischen Gebieten. Er protestierte entschieden gegen „das Zusammengehen deutscher Truppen mit denen baltischer Barone und englischer Imperialisten", das „einen niederträchtigen Verrat an den russischen Proletariern und an der russischen Revolution" bedeutet.

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