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Rosa Luxemburg 19140611 Die Baseler Aktion

Rosa Luxemburg: Die Baseler Aktion

[Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin), Nr. 66 vom 11. Juni 1914. Nach Gesammelte Schriften, Band 3, 1973, S. 460-463]

Die deutsch-französische Verständigungsaktion, die im vergangenen Frühjahr in Bern ihren Anfang nahm und jüngst in Basel zu einer bleibenden Einrichtung geworden ist, gehört zu jenen Improvisationen des Parlamentarismus, denen man im besten Falle mit einem lachenden und einem weinenden Auge zusehen kann. Dass zwischen den Millionen des arbeitenden Volkes in Deutschland wie in Frankreich kein Gegensatz, vielmehr engste Solidarität der Interessen besteht, dass die berufene Vertreterin dieser Millionen, die Sozialdemokratie, diesseits wie jenseits der Vogesen ein Hort des Friedens, eine feste Burg der Völkerverbrüderung ist, das ist so viele Male auf Kongressen ausgesprochen worden und wird bei jeder Gelegenheit so laut und deutlich im Tageskampfe vertreten, dass sich ein besonderes Komitee zur Verständigung zwischen deutschen und französischen Arbeitern als ein gar überflüssiges Möbelstück qualifizieren würde. Der Schwerpunkt der Baseler Aktion liegt offenbar in der Teilnahme bürgerlicher Politiker aus beiden Ländern. Wo das Licht, ist aber auch der Schatten des ganzen Unternehmens. Dass der Hunnen-Pastor Naumann, der auf die Chinaexpedition und auf die afrikanische Kolonialpolitik Lobgesänge anstimmte, dass der Freisinn, der sich in den Hottentottenwahlen an dem Militarismus prostituiert hat, dass das Zentrum, dem wir speziell die deutsche Schlachtflotte verdanken, dass sie alle plötzlich als Apostel des Völkerfriedens neben der Sozialdemokratie auftreten können, scheint uns eher ein Verlust denn ein Gewinn für die Sache zu sein. Nicht als ob wir die Handvoll Parlamentarier, die sich in Basel einfanden, persönlich für Kriegsfanatiker hielten. Im Gegenteil, wir trauen einem Pfarrer Naumann gewiss nicht zu, dass er ein Huhn zu schlachten imstande wäre, und glauben gern auch den Herren Beizer, Bolz und Bollert1, dass sie aufrichtig den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich wünschen. Nur hängen die Schicksale des Friedens und des Krieges zwischen den Völkern leider nicht von den subjektiven Wünschen und dem guten Herzen ihrer Parlamentarier, sondern von objektiven materiellen Triebkräften der kapitalistischen Entwicklung ab, und es war seit jeher der Stolz und die Stärke der sozialdemokratischen Aufklärung, dass sie in den Massen keine Illusionen über jene Triebkräfte aufkommen ließ. In dieser Ohnmacht gegen die Tendenzen der eigenen Gesellschaftsordnung liegen seit jeher die sterbliche Seite aller bürgerlichen Friedensaktion und auch die Quelle ihrer krausen Widersprüche. Wenn Leon Bourgeois, einer der eifrigsten Vorkämpfer der Friedensliga in Frankreich, zugleich für die dreijährige Dienstzeit seine Lanzen bricht, wenn Bertha von Suttner den Raubzug der Petroleummagnaten in Mexiko als notwendiges „Ordnung-Erzwingen" preist, so sind sie sich darin durchaus gleichwertig. Die Entlarvung dieser inneren Hohlheit und Zweideutigkeit der bürgerlichen Friedensschwärmerei war stets Aufgabe der Sozialdemokratie, und der Gegensatz zu jener Richtung steht sogar an der Wiege unserer Bewegung. Es war bekanntlich eine von den Differenzen zwischen Marx und Bakunin in der alten Internationale, dass letzterer die sozialistische Vertretung des Proletariats an die bürgerliche Friedensliga ankoppeln wollte, während Marx diese Bakuninsche Konfession unbarmherzig geißelte. Wenn die reinliche Scheidung angezeigt war zu einer Zeit, als die bürgerliche Friedensbewegung noch in ihren Knospen stand, so dürfte sie nicht minder notwendig sein heute, in der Ära des Imperialismus, nachdem der letzte Rest der bürgerlichen Opposition gegen die militärischen Orgien in allen Ländern geschwunden ist.

Man braucht freilich nicht gerade vom Distelstrauch Feigen pflücken zu wollen und von bürgerlichen Parlamentariern nicht einen ernsthaften Widerstand gegen den Militarismus zu erwarten. Unsere Genossen aus Deutschland wie aus Frankreich, die in der Baseler Verständigung mitmachten, täuschen sich sicher nicht einen Moment darüber, dass die Herren Hausmann, Naumann und die anderen parlamentarischen Mannen aus beiden Ländern keine ernst zu nehmenden Bürgen des Völkerfriedens sind, sowenig wie das Haager Kasperletheater von des blutigen Zaren Gnaden ein Tempel der Völkerverbrüderung ist. Worauf es unseren Genossen ankam, war im Grunde genommen ein ganz bescheidenes Ziel: die möglichste Eindämmung der Kriegshetzereien in beiden Ländern, eine gewisse Beruhigung der öffentlichen Meinung, damit die chauvinistischen Treibereien deutscher- wie französischerseits es nicht gar zu leicht haben mit ihrer vergiftenden Beeinflussung namentlich der leicht erregbaren kleinbürgerlichen Schichten der Bevölkerung. In diesem bescheidenen Maße mag die Baseler Verständigungsaktion gewiss ihr Gutes stiften. Nur dürfte dieses Gute nicht durch einen viel größeren Schaden, nämlich durch die Verdunkelung des klaren Klassenbewusstseins beim Proletariat, erkauft werden. Eine solche Verdunkelung ist aber zu befürchten, wenn das bescheidene Zwischenspiel von Basel zu einer welthistorischen Aktion, zu einer Etappe „auf dem Wege zum Weltfrieden" aufgebauscht werden sollte. Sie ist zu befürchten vor allem, wenn wir auch innerhalb dieser kleinen Aktion nicht wenigstens jene minimalsten Vorbehalte machen, die erst die Scheidegrenze zwischen schaler Posse und ernsthaftem Wollen aufrichten. Wenn wir in einer parlamentarischen Stichwahl dem bürgerlichen Kandidaten unsere Unterstützung leihen, verlangen wir nicht, dass ein lendenlahmer Liberaler den Revolutionslöwen markiert, wir stellen ihm aber bestimmte Bedingungen, die nach dem Maß seiner Leistungsfähigkeit zugeschnitten sind. Wir können gewiss von Nationalliberalen, Freisinnigen und Zentrumsleuten nicht erwarten oder verlangen, dass sie grundsätzliche Gegner des Militarismus nach unserem Vorbild werden. Wir können aber ebenso wenig eine ständige Friedensaktion gemeinsam mit Leuten veranstalten, die frischweg von den Friedensbanketten und -reden für neue Militärvorlagen stimmen. Der Angelpunkt unserer Agitation gegen die militärischen Rüstungen ist der Hinweis darauf, dass sie mit fataler Notwendigkeit zum Ausbruch der Kriege führen, dass somit, wer für die Vergrößerung der Heere eintritt, damit die Verantwortung für künftige Kriegskatastrophen auf sich lädt. Daraus ergibt sich für uns die unabweisbare Pflicht, von den bürgerlichen Freunden der deutsch-französischen Verständigung wenigstens zu verlangen, dass sie von nun an gegen jede weitere Vermehrung der Rüstungen zu Lande und zu Wasser in den beiden Parlamenten stimmen. Die sozialdemokratische Taktik verbietet uns durchaus nicht, die bürgerlichen Parteien in jedem fortschrittlichen Vorhaben zu unterstützen. Wozu sie uns aber dabei verpflichtet, ist – die bürgerliche Politik durch unsere Mitwirkung vorwärts zu treiben und nicht etwa ihre Inkonsequenzen und Schwächlichkeiten geduldig mitzumachen und zu bemänteln.

1 Emil Beizer und Eugen Anton Bolz gehörten der Zentrumsfraktion des Reichstags, Gerhard Bollert der nationalliberalen Fraktion an.

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