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Franz Mehring 19100723 Der Kampf gegen die Monarchie

Franz Mehring: Der Kampf gegen die Monarchie

23. Juli 1910

[Die Neue Zeit, 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 609-612.]

Die Art, wie im „Vorwärts" und an dieser Stelle die Erhöhung der preußischen Zivilliste besprochen worden ist, hat im vorigen Hefte der „Neuen Zeit" einen herben Tadel erfahren. Es ist gesagt worden, nicht von der politischen Seite, sondern hauptsächlich als Geldfrage, als Frage des Einkommens der Familie Hohenzollern sei die Erhöhung der Zivilliste behandelt und mit mehr oder weniger Witz breitgetreten; nicht mit einer Silbe sei die republikanische Losung in unseren beiden leitenden Organen ausgegeben worden. Und man hat daran die Frage geknüpft, mit welchem punktierten Adjektiv Karl Marx wohl diese „Finte", diese Art Republikanertum „innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und politisch Unerlaubten" belegt haben würde.

Glücklicherweise ist die Antwort auf diese Frage sehr leicht. Hätten der „Vorwärts" und „Die Neue Zeit" die Erhöhung der preußischen Zivilliste benützt, um die republikanische Losung auszugeben, hätten sie die Kostspieligkeit der Monarchie als Feldgeschrei für die Republik ausgemünzt, etwa am französischen oder nordamerikanischen Staatshaushalt verglichen, was unsere dreißig und mehr Duodezvaterländer zahlen müssen, um verwaltet und gemaßregelt zu werden, so würde Marx von den „polternden Ausbrüchen einer eingebildeten Demagogie"1 gesprochen haben.

Nämlich um mit Heine zu reden: „Das alles, meine Süße, ist uns schon einmal geschehn." Zur Zeit, wo Karl Heinzen die Parole ausgab: „Ihr wollt den Akzent der Zeit auf soziale Fragen legen, und ihr seht nicht ein, dass es keine wichtigere soziale Frage gibt als die nach Königtum und Republik." Ohne Zweifel war Marx Republikaner, und ohne Zweifel ist die deutsche Sozialdemokratie republikanisch gesinnt, woraus jedoch noch nicht folgt, dass sie die Monarchie vom verkehrten Ende zu bekämpfen braucht. Ebenso wenig wie man einem Reiter, der sein Pferd nicht am Schwanze aufzäumen mag, deshalb den Vorwurf machen darf, dass er nicht reiten will.

Der „Vorwärts" und „Die Neue Zeit" haben die Erhöhung der Zivilliste allerdings auch von der politischen Seite bekämpft: als eine neue Belastung der ohnehin bis auf Haut und Knochen ausgepowerten Volksmassen, als einen Anspruch der Monarchie, der sie diesen Massen umso unerträglicher macht. Aber darüber hinaus sind sie nicht gegangen, aus dem einfachen Grunde nicht, um die Ziele des proletarischen Klassenkampfes nicht zu verschleiern, um nicht den trügerischen Anschein hervorzurufen, als ob es sich bei der Frage: Monarchie oder Republik? darum handle, dass jene etwas kostspieliger und diese etwas wohlfeiler wirtschaftet. Dies Problem war wohl geeignet, die vormärzlichen Biedermänner à la Karl Heinzen aufzuregen, die, um mit Marx zu sprechen, jenem idiotischen Kaufmann glichen, der die Kaufmannsbriefe seines reichen Rivalen kopieren wollte, um durch diese Kopie auch in den Besitz des beneideten Reichtums zu gelangen2, aber für den proletarischen Klassenkampf ist es ganz nebensächlich.

Indem Marx und Engels schon vor der Märzrevolution ablehnten, sich in diese nebensächliche Frage zu verbeißen, wurden sie von Heinzen und Genossen beschuldigt, dass sie „den Fürsten eine revolutionäre Fontanelle sichern" wollten. Darauf antwortete Marx: „Die deutschen Arbeiter unterdessen wissen sehr wohl, dass die absolute Monarchie keinen Augenblick schwankt oder schwanken kann, sie im Dienst der Bourgeoisie mit Kanonenkugeln und Peitschenhieben zu begrüßen, Warum sollten sie also die brutale Plackerei der absoluten Regierung mit ihrem halbfeudalen Gefolg der direkten Bourgeoisherrschaft vorziehen? … Die Arbeiter wissen, dass die Abschaffung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse nicht herbeigeführt wird durch die Erhaltung der feudalen. Sie wissen, dass durch die revolutionäre Bewegung der Bourgeoisie gegen die feudalen Stände und die absolute Monarchie ihre eigne revolutionäre Bewegung nur beschleunigt werden kann. Sie wissen, dass ihr eigner Kampf mit der Bourgeoisie erst anbrechen kann an dem Tag, wo die Bourgeoisie gesiegt hat. Trotz alledem teilen sie die bürgerlichen Illusionen des Herrn Heinzen nicht. Sie können und müssen die bürgerliche Revolution als eine Bedingung der Arbeiterrevolution mitnehmen. Sie können sie aber keinen Augenblick als ihren Endzweck betrachten.3 Wenn also Marx, da er einmal zum Schiedsrichter über den „Vorwärts" und „Die Neue Zeit" aufgerufen worden ist, anders recht hat, so besteht das Verbrechen dieser armen Sünder darin, dass sie sich keinen „bürgerlichen Illusionen" darüber hingegeben haben, wie der Kampf gegen die Monarchie zu führen ist.

Nun soll „die rührende Einmütigkeit sämtlicher bürgerlichen Parteien bei der byzantinischen Verhandlung der Vorlage (über die Zivilliste) wieder einmal drastisch gezeigt haben, dass die republikanische Losung in dem heutigen Deutschland zum Erkenntniswort der Klassenscheidung, zur Parole des Klassenkampfes" geworden sei. Wenn dem so sein sollte, so ist die Sozialdemokratische Partei allerdings von jeher auf Irrwegen gewandelt. Denn diese „rührende Einmütigkeit sämtlicher bürgerlicher Parteien" besteht schon sehr lange. Hören wir auch darüber Marx, der ja nun einmal Schiedsrichter sein soll: „Außer durch persönliche Vorurteile sind den Fürsten die Hände gebunden durch eine ganze Zivil-, Militär- und Pfaffenbürokratie – Bestandteile der absoluten Monarchie, die ihre herrschende Stellung keineswegs mit einer dienenden gegen die Bourgeoisie vertauschen wollen. Andrerseits halten die feudalen Stände zurück, bei denen es sich um Sein oder Nichtsein, d. h. um Eigentum oder Expropriation handelt. Es ist klar, dass der absolute Monarch trotz aller servilen Huldigungen der Bourgeoisie sein wahres Interesse auf Seiten dieser Stände erblickt."4 Die Bürokratie und die feudalen Klassen bewilligen der Monarchie als ihrem Werkzeug gern ein paar Milliönchen jährlich mehr, und die liberale Bourgeoisie tut das gleiche, aus „serviler Huldigung", in der kindischen Hoffnung, die Monarchie dadurch für sich zu gewinnen.

Von dieser „servilen Huldigung" haben wir eben jetzt ein erbauliches Stückchen erlebt. Vor einigen Wochen war an dieser Stelle die preußische Königin Luise erwähnt worden: mit ausdrücklicher Zurückweisung der übertriebenen Anschuldigungen, die Alexander v. Humboldt gegen ihren Charakter gerichtet, aber unter Anerkennung der historischen Tatsache, dass sie sich mit dem gemeinsten Pack von Bürokraten und Junkern verbunden hat, um den Reformminister v. Stein zu stürzen, weil er sich geweigert hatte, öffentliche, für die Wiederherstellung der Provinz Ostpreußen bestimmte Gelder anzuweisen für die Unkosten einer prunkhaften Vergnügungsreise, die die Königin nach Petersburg, an den Hof ihres „einzigen Alexanders", plante. Diese Tatsache ist ganz unanfechtbar, dutzendfach bezeugt gerade durch preußische Patrioten, wie den Feldmarschall v. Boyen; aber trotzdem beeilt sich die „Nationalliberale Korrespondenz", das offizielle Organ der Nationalliberalen Partei, unter einer Flut gemeiner Schimpfworte, die wir der edlen Vorkämpferin für Besitz und Bildung gern schenken, „Die Neue Zeit" dem Staatsanwalt wegen „Beleidigung des preußischen Königshauses" zu denunzieren.

Auf eine ähnliche Denunziation eines liberalen oder gar freisinnigen Blattes hin, auch der besagten Luise wegen, wurde vor einiger Zeit der Genosse Marckwald von der „Königsberger Volkszeitung" zu einer unglaublich hohen Strafe verurteilt, wenn wir nicht irren, zu fünfviertel Jahren Gefängnis. Gegenwärtig steht Genosse Marckwald wieder vor den richterlichen Schranken, weil er in den Debatten über die Erhöhung der Zivilliste den ganz harmlosen und, wie uns scheinen will, recht zweckmäßigen Vorschlag gemacht hat, dass, wenn fünfzehn Millionen Mark jährlich nicht ausreichten, um eine wachsende Zahl verheirateter Prinzen zu unterhalten, diese erlauchten Persönlichkeiten ja eine produktiv nützliche Tätigkeit entfalten könnten, sei es auf dem Gebiet der Wissenschaft – einer von ihnen hat ja wohl seinen Doktor gemacht, und noch dazu mit einer rühmlichen Geschwindigkeit, die kein profaner Sterblicher je erreicht hat –, sei es auf dem Gebiet der Industrie, denn dass alle preußischen Prinzen ein Handwerk lernen müssen, ist uns allen schon als Beweis für die Zweckmäßigkeit ihrer Existenz auf den Schulbänken eingepaukt worden. Ob Genosse Marckwald auch in diesem Falle das Opfer einer liberalen Denunziation geworden ist, wissen wir im Augenblick nicht; immerhin hielten wir es für nötig, auch diesen Fall mit heranzuziehen, da unseres Erachtens bisher die Parteipresse noch nicht genügend Alarm geschlagen hat über einen Akt bürokratischer Verfolgungssucht, den wir unerhört nennen würden, wenn überhaupt noch etwas in der preußischen Bürokratie unerhört sein könnte.

Also die rührende Einstimmigkeit, womit sich alle bürgerlichen Parteien um die Monarchie und deren reichliche Versorgung scharen, ist eine sehr alte Geschichte, wenn sie auch immer neu bleiben mag. Sie beweist aber nicht, dass die Klassengesellschaft um die Monarchie als ihren Schwerpunkt kreist, sondern nur, dass die Monarchie je nachdem das bequemste Werkzeug der Klassenherrschaft ist. Wo immer die Monarchie besteht, ist sie – und je stärker sie ist, um so mehr – die Gefangene der herrschenden Klassen, und wenn sie je einmal nach Art eines Gefangenen an ihren Ketten rüttelt, so sind die herrschenden Klassen die ersten, den Heiligenschein zu zerstören, den sie, um die beherrschten Klassen zu nasführen, durch die schnurrigsten Legenden und die verwegensten Majestätsbeleidigungsprozesse um die Monarchie zu weben pflegen.

Indem wir den Kampf gegen die Klassenherrschaft führen, führen wir auch den Kampf gegen die Monarchie, aber wer den Kampf gegen die Monarchie führt, braucht deshalb noch lange nicht den Kampf gegen die Klassengesellschaft zu führen. Aus diesem einfachen und klaren Grunde ist es ein taktischer Fehler, die Monarchie zur Parole des Klassenkampfes zu machen, und eben aus diesem Grunde hat Marx die Heinzen und Genossen weidlich verspottet.

Wer ein verfallenes Gemäuer niederreißt, sorgt hinlänglich dafür, dass der Adler, der auf dessen First horstet, sich wo er sonst mag eine neue Stätte suchen muss. Aber das ganze Geschütz auf das Nest des Adlers konzentrieren heißt mit Kanonen auf, nun ja auf Adler schießen.

2 Siehe ebenda, S. 354.

3 Ebenda, S. 352.

4 Ebenda, S. 353.

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