Franz Mehring 19080104 Bücherschau (Giosué Carducci, Ausgewählte Gedichte.)

Franz Mehring: Bücherschau

Carduccis Gedichte

4. Januar 1908

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Erster Band, S. 504/505. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 51-53]

Giosué Carducci, Ausgewählte Gedichte. Aus dem Italienischen übersetzt von Bettina Jacobson. Im Inselverlag zu Leipzig 1907. 158 Seiten. Preis geheftet 4,50 Mark, gebunden 5,50 Mark.

Carducci hat Goethes „König von Thule", Platens „Pilgrim von St. Just" und von Heine die „Weber", „Karl I," und den „Kaiser von China" meisterhaft übersetzt. In seinem Genius war etwas vom kostbarsten Erbe dieser deutschen Dichter; in seinen Elegien und Idyllen weht ein echter Hauch von Goethes Lyrik, von Platen hatte er den klassischen Rhythmus der Ode und vom fernhin treffenden Bogen der Satire schnellte er tötende Pfeile, wie sie sonst in der europäischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts nur Heines Hand geschnellt hat. Doch war Carducci als Dichter aus einem Gusse und nicht minder als Mann, ein stolzer Republikaner, der denen, die ihn durch ästhetisches Gerede von den „Zinnen der Partei" herab locken wollten, verächtlich zurief:


Sucht Dante, wenn er Blitze seiner Rache

Aus Höll' und Himmel schleudert, auf der Erde

Mit Milch und Kaffee freundlich zu begüt'gen.


In der modernen Literatur gibt es vielleicht keine furchtbarere Satire, als die Carducci im Jahre 1873 auf die Einigung Italiens dichtete. Das einige Italien erscheint nächtlicherweise auf dem Kapitol. „Still! Was soll das Geschnatter beim Mondschein, ihr Gänse des Kapitols? … Wenn ihr so viel Geräusch macht, meine Gänse, hört euch am Ende noch Antonelli… Wenn ihr des Brennus wegen so laut schreit, ei, da ist nunmehr die Wacht unnötig! Ich war so tapfer und so schlau, dass ich einzog, als er abmarschierte. Ja ja, ich trug den Zuaven den Tornister und applaudierte gestern den Turkos; heute aber tragen meine Knäblein gravitätisch die Uniform der Ulanen. Ob vor dem Käppi oder dem Helm, immer lieg' ich auf den Knien, aber schnell und klüglich schüttle ich den Staub der einen Anbetung ab, ehe ich die andere beginne. So küsse ich, die Tochter Roms, einen Fuß nach dem anderen; das Haupt mit der Mauerkrone senke ich in den Kot, um aufzuheben, was das Unglück oder die Nachlässigkeit anderer mir zukommen lässt. So kam ich schließlich zu meinem ganzen Erbteil, hier ein Krüstlein und da ein Krüstlein, zwischen dem einen Fußtritt und den anderen." Dieses grausame Gedicht, das in seinen ehernen Versen natürlich ganz anders einher klirrt, als seine prosaische Wiedergabe auch nur ahnen lässt, hat nicht gehindert, dass, als Carducci vor Jahr und Tag starb, die italienische Nation ihn als ihren größten Dichter betrauerte. Was wäre wohl dem deutschen Dichter geworden, der den diplomatischen Lug und Trug Bismarcks ähnlich gebrandmarkt hätte? Es ist nicht, weil der italienische Patriotismus unempfindlicher wäre als der deutsche; er ist im Gegenteil viel echter und deshalb viel empfindlicher. Aber Italien ist bei alledem eine alte Kulturnation, die die Pforten ihres Pantheons nicht durch kläffende Hunde untertäniger Knechtseligkeit bewachen lässt.

Der Übersetzung bietet Carducci große Schwierigkeiten, die in der vorliegenden Übertragung nicht immer überwunden sind. Aber vieles ist auch trefflich gelungen, und wir geben als Probe ein Gedicht, worin Carducci den klassischen Sonnengott gegen die romantische Mondgöttin verteidigt, denn auch darin dachte Carducci wie Goethe, dass ihm alles Klassische einfach das Gesunde und alles Romantische einfach das Kranke war:


Klassisch und romantisch

Der Sonnengott ist gütig und erfreut sich

Der arbeitsfrohen Schar;

Durch ihn reift goldner Ernte Last und beut sich

Der Sichel wogend dar.


Er lacht im Pfluge, der das Feld bereitet,

Mit blankem Spiegelschein,

Indes der Ochs bedächtig niederschreitet

Der Furchen lange Reihn.


Die Trauben, schimmernd unter Rebgehängen,

Hat er mit Glut gefüllt,

Und lächelt noch den lustberauschten Klängen

Im Herbst wehmütig mild.


Und in der Stadt, durch schwarze Dächer lugend,

Erspäht ein Strahl den Fleiß

Des Mädchens, das um ihre frohe Jugend

Kaum bei der Arbeit weiß,


Und mahnt an Lenz und Liebe sie so eigen:

Sie stimmt ein Liedchen an,

Ihr klopft das Herz, wie frohe Lerchen steigen

Die Töne himmelan.


Doch Leid und Trümmer malerisch gestalten

Ist, Luna, deine Art;

Nicht Frucht noch Blüte reift bei deiner kalten

Phantastisch luft'gen Fahrt!


Wo Hunger sich im Dunkel hingekauert,

Hast du dich eingezwängt,

Durch Fensterluken, dass er frostig schauert

Und an den Morgen denkt.


Die gotisch spitzen Türmchen schmachtend zierst du

Mit milchweiß mattem Schein,

Mit träumenden Poeten kokettierst du

Und eitler Liebespein.


Und um im Camposanto! Da verbreitet

Dein Licht sich voll und frei,

Dass es mit Totenbein und Schädel streitet,

Wer etwa weißer sei.


Ich hasse dich, zuchtlose Nonne droben,

Dein Antlitz dumm und breit,

Du unfruchtbare Frömmlerin dort oben

Im weißen Priesterkleid.

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