Franz Mehring 18950300 Sizilianische Bauernehre

Franz Mehring: Sizilianische Bauernehre

(Cavalleria rusticana)

Volksszenen aus Sizilien von Giovanni Verga

März 1895

[Die Volksbühne, 3. Jg. 1894/95, Heft 7, S. 8/9. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 54 f.]

Vergas „Sizilianische Bauernehre", die vor etwa zehn Jahren einen überwältigenden Erfolg auf allen italienischen Bühnen erzielte, lässt sich schwer in einer dramatischen Rubrik unterbringen. Der Dichter selbst hat sie als Volksszenen bezeichnet, und aus nicht mehr als einigen solcher Szenen besteht das Stück. Es ist interessant, dass seine erste Aufführung beinahe daran gescheitert wäre, dass die Darsteller sich in den letzten Proben von seinem Mangel an Bühnenfähigkeit überzeugt zu haben glaubten; nur der Einspruch der berühmten Schauspielerin Duse rettete das kleine Drama, das dann einen fast beispiellosen Triumphzug über alle Bühnen von den Alpen bis zum Ätna antrat.

Ein Teil dieses Erfolges mag auf das nationale Bewusstsein zu setzen sein, aber auch nur ein Teil. In ihrer Art sind diese anspruchslosen, knapp geschürzten Szenen aus dem engen Rahmen eines sizilianischen Dörfchens ein dramatisches Meisterwerk. Sie scheinen einem alltäglichen Vorgange abgeschrieben zu sein; kein Wort verrät die Kunst des Dichters. Und doch sind sie sozusagen ein dramatisches Epigramm, an dem kein Wort gestrichen werden darf, ohne die dramatische Wirkung zu gefährden. Der Verfasser selbst schrieb darüber an den Regisseur einer deutschen Bühne, welche die Aufführung der „Sizilianischen Bauernehre" vorbereitete: „Ich könnte von den kleinen charakteristischen Lokalzügen, ohne meiner Arbeit zu schaden, bei der Aufführung nichts opfern. Das Stück sollte gespielt werden, so wie es geschrieben ist oder gar nicht… Das Geheimnis oder die Schwierigkeit der Darstellung liegt darin, dass jede Übertreibung aufs strengste vermieden werden muss. Auch die Ausbrüche der stärksten Leidenschaften wollen mit der größten Ruhe behandelt sein, wenn der den Sizilianern eigene Charakter, der ja so ungemein viel von dem orientalischen hat, getroffen werden soll. Die Szene der Herausforderung durch den Biss ins Ohr muss mit aller Diskretion aufgeführt werden – der Biss darf nur angedeutet werden – der Sizilianer berührt das Ohrläppchen des Gegners leicht mit den Lippen – sicherlich würde die geringste Übertreibung darin leicht ins Groteske fallen." In der Tat wirken die paar Szenen so durch sich selbst, dass der Schauspieler nichts davon nehmen und nichts dazu tun darf.

Umso mehr erübrigt sich eine weitläufige Besprechung des kleinen Stückes, das auf einer Volksbühne immer eines verständnisvollen Empfanges sicher sein darf.

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