Franz Mehring 19090820 Derselbe und welcher

Franz Mehring: Derselbe und welcher

20. August 1909

[Die Neue Zeit, 27. Jg. 1908/09, Zweiter Band, S. 767/768. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 219-221]

Vor einer Reihe von Jahren gab Herr Gustav Wustmann, Ratsbibliothekar und Archivdirektor in der guten Seestadt Leipzig, ein Büchlein über „Allerhand Sprachdummheiten" heraus, das sich seitdem ein großes und verdientes Ansehen erworben hat als eine, wie es im Nebentitel heißt, „kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Hässlichen", als ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen.

Bei seinem Erscheinen ist das Büchlein auch in der „Neuen Zeit" seht gelobt worden, wenn auch nicht ohne starke Vorbehalte in dem Sinne, dass Herr Wustmann manchmal das Kind mit dem Bade verschütte und doch das Übel nicht tief genug an der Wurzel fasse. Das hat uns aber keineswegs gehindert, die kleine Schrift selbst mit großem Nutzen zu lesen und sie oft jüngeren Kollegen von der Zeitungspresse als einen unentbehrlichen Bestandteil ihres Schreibtisches zu empfehlen. Von dieser Ansicht etwas zurückzunehmen, haben wir auch heute keinen Anlass.

Aber auf unsere damaligen Vorbehalte möchten wir heute in einem bestimmten Punkte zurückkommen. Als die allergefährlichsten „Sprachdummheiten", deren er die Hälfte und selbst mehr als die Hälfte der herrschenden Sprachverwilderung zuschreibt, denunziert Herr Wustmann den alles Maß übersteigenden Missbrauch des Fürwortes derselbe, dieselbe, dasselbe im Sinne von er, sie, es oder dieser, diese, dieses; er will es nur im Sinne von idem, le même, the same gebraucht wissen und höhnt darüber, dass der gräuliche Missbrauch des Wortes zu der anderen „Sprachdummheit" geführt habe, seinen wirklichen Sinn nur noch durch das schwerfällige ebenderselbe wiederzugeben. Nicht minder scharf zieht Herr Wustmann gegen das Relativpronomen welcher, welche, welches (statt der, die, das) vom Leder, das er in unserer klassischen Literatur nur als schleppendes Versfüllsel gefunden haben will. Die „Krone" aller Sprachverderbnis erblickt er aber darin, wenn, wie es tausendfach geschehe, diese beiden „entsetzlichen Spracherscheinungen" nebeneinander ständen: die herrlichen Papierpronomina derselbe (statt er) und welcher (statt der).

Hiergegen machten wir geltend, dass Herr Wustmann über das Ziel hinausschieße, da er nur irgendwelche zehn Seiten von Goethe oder Lessing nachzulesen brauche, um zu finden, dass auch unsere Klassiker die Fürwörter derselbe und welcher in dem von ihm verpönten Sinne gebraucht hätten. Wenn er uns darin zu weit zu gehen schien, so hoben wir auf der anderen Seite hervor, dass er nicht tief genug grübe, wenn er die Sprachverwilderung auf das Überwuchern der Zeitungspresse und namentlich der jüdischen Zeitungspresse seit dem Jahre 1866 zurückführe, was wir dann eingehender zu begründen versuchten.

Hieran wurden wir nun lebhaft erinnert, als wir uns mit Winckelmanns Werken und den daran anknüpfenden Schriften Lessings, Herders und Goethes beschäftigten. Gleich im ersten Satze von Winckelmanns „Kunstgeschichte", also dem ersten großen Werke unserer klassischen Literatur, leuchtete uns die „Krone" gräulichen Ungeschmacks entgegen, ein welcher, eskortiert sogar von zwei derselbe: „Die Geschichte der Kunst des Altertums, welche ich zu schreiben unternommen habe, ist keine bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderung in derselben, sondern ich nehme das Wort Geschichte in der weiteren Bedeutung, welche dasselbe in der griechischen Sprache hat." Dadurch angeregt, gingen wir der Sache näher nach, und um es mit einem Worte zu sagen, so bestand das Ergebnis unserer Forschungen darin, dass die jüdische Zeitungspresse an dieser Papiersprache ganz unschuldig, ihre wirkliche Mutter vielmehr jene staubtrockene und verschnörkelte Gelehrtensprache ist, die sich in Deutschland eingebürgert hatte, nachdem der Dreißigjährige Krieg die aufblühenden Saaten der Lutherischen Sprache vernichtet hatte.

Die Sache ist ganz klar, wenn man den Gebrauch der ominösen Wörter bei unseren Klassikern verfolgt. In Winckelmanns Schriften überwuchern sie noch so stark, dass ein wustmannisch geschulter Leser geradezu gerädert wird. Wenn Herr Wustmann übertreibend sagt: „Ein Zeitungsschreiber kann heutzutage nicht eine Mitteilung von zwei Zeilen machen ohne dieses unsinnige derselbe", so kann man von Winckelmann mit derselben Übertreibung sagen: Er kann keinen Satz schreiben, ohne zweimal das unsinnige derselbe anzuwenden; außer dem eben angeführten Satze verweisen wir auf das Ganymed-Zitat in unserem Aufsatze über Winckelmann1. Lessing geht schon sparsamer mit dem Ungetüm um; immerhin finden sich auf der ersten Seite des „Laokoon" noch drei welcher neben einem derselbe; auch findet sich bei ihm ebenderselbe, worin Herr Wustmann einen schwerfälligen Notbehelf der jüdischen Zeitungspresse erblickt, so „ebendieselbe Religion" (in der Abhandlung: Wie die Alten den Tod gebildet), so auf ebenderselben Seite, in ebenderselben Sache (in den „Rettungen des Horaz"), so fortlaufend: An ebendenselben (in den „Briefen"). Noch besser wird es bei Herder und namentlich beim jungen Goethe; der Geheimratsstil des Altmeisters welcherte und derselbete, um mit Herrn Wustmann zu sprechen, wieder lustig darauf los, selbst in so sorgsam gepflegten Werken wie „Dichtung und Wahrheit". Im Großen und Ganzen aber verkümmerten diese Kinder einer weltfremden Gelehrsamkeit mehr und mehr in unserer Sprache, bis ihnen dann Herr Wustmann den Garaus gemacht hat.

Sein Erfolg spricht jedoch durchaus für unsere Auffassung; gegen diejenige Sprachverderbnis, die in dem, wenn nicht jüdischen, so doch kapitalistischen Geschäfts- und Zeitungsbetrieb der Gegenwart ihre wirklichen Wurzeln hat, kämpft sein Büchlein viel mühsamer, als gegen derselbe und welcher. Dadurch wird sein Sieg über diese „herrlichen Papierpronomina" gewiss nicht schlechter, und es liegt uns durchaus fern, ihn zu verkleinern; wir möchten nur auf das anmutige Spiel des Humors hinweisen, dass Herr Wustmann nicht, wie er glaubt, einen mächtig andringenden Judenschwarm aufs Haupt geschlagen, sondern die weichenden Scharen jener christlich-germanischen Vorzeit in die Pfanne gehauen hat, die seinem Herzen sonst so teuer ist, und daran hat er hoffentlich selbst seinen Spaß.

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