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Freiligrath zählte acht Jahre mehr als Marx, und sein Leben hatte sich, ehe sie sich trafen, in ganz anderen Bahnen bewegt. Er war der Sohn eines Schullehrers in Detmold, dessen Armut wohl mehr noch als die etwas phantastische und niemals verwirklichte Aussicht auf das Erbe eines reichen Oheims in Edinburgh den jungen Freiligrath das Gymnasium nur bis zur Prima besuchen und dann den kaufmännischen Beruf wählen ließ.

Er hat den Mangel akademischer Bildung stets wie einen wunden Fleck auf der Haut empfunden, sehr im Unterschied von Engels, der es auch nur bis zur Prima gebracht hat, um dann Kaufmann zu werden. Freilich hatte der Sohn des großen Barmer Fabrikanten von vornherein ganz andere Aussichten als der Sohn des kleinen Detmolder Lehrers, der damit beginnen musste, fünf Jahre lang für die Honoratioren der westfälischen Kleinstadt Soest Kaffee und Zucker abzuwiegen. So sind Freiligraths oft so bittere Klagen über den Zwiespalt zwischen seiner kaufmännischen Tätigkeit und seinen dichterischen Neigungen begreiflich genug. Aber man wird sich hüten müssen, sie allzu wörtlich zu nehmen. Sie würden kaum anders erschollen sein, wenn Freiligrath studiert hätte und wie sein Landsmann Grabbe als Auditeur oder sein Beschützer Immermann als Richter „morgens zur Kanzlei mit Akten, abends auf den Helikon" gegangen wäre. Es war nicht sowohl der kaufmännische als der bürgerliche Beruf überhaupt, der den Poeten bedrückte. Die glänzenden Zeugnisse, die sich Freiligrath in allen seinen kaufmännischen Stellungen erworben hat, zeugen doch dafür, dass er für diese Tätigkeit eine entschiedene Begabung und somit auch wohl Neigung gehabt hat; als Kaufmann hat er die ersten Einblicke in den Weltverkehr gewonnen, die seiner Dichtung ein so eigentümliches und hinreißendes Gepräge gaben, und als Kaufmann durfte der Flüchtling wenigstens das „Beefsteak des Exils" essen, statt am Hungertuch zu nagen, wie so viele seiner Schicksalsgenossen.

Entscheidender ist, dass Freiligrath trotz der ungemein reichen Bildung, die er sich aus eigener Kraft erwarb, doch nie ein tieferes Interesse für irgendeine Fachwissenschaft bekundet hat, am wenigsten für die Fachwissenschaften, die den jungen Marx mit unwiderstehlicher Gewalt anzogen. Noch im Alter bekannte er, ein Nationalökonom nur mit dem Gemüt zu sein; die Philosophie war ihm ein lästiges „Hecheln und Hegeln", und auf dem politischen Gebiet blieb er ungewöhnlich lange im Stande völliger Unschuld, selbst wo es sich mit dem literarischen Gebiet berührte. Er zählte doch schon sechsundzwanzig Jahre, als er die harmlosen Männlein des Jungen Deutschlands, von denen Gutzkow ihm sogar freundlich entgegengekommen war, heftig bekämpfte und gegen die „fluchwürdige Tendenz dieser von Menzel hinlänglich gebrandmarkten Schule" wetterte. In dem abgeschmackten Streit, den die schwäbischen Dichterlein mit Heine anzettelten, nahm Freiligrath unbesehen die Partei der Schwaben, ohne auch nur daran zu denken, dass er dadurch den alten Chamisso, der seinen „Fräälikrat" wie sein besseres Selbst liebte, empfindlich verletzte. Mit seiner Vorliebe für exotische Stoffe, mit seinen innig-zarten Familienliedern, mit seinen Anfängen politischer Poesie ist Chamisso in der Tat der Vorläufer Freiligraths in der deutschen Literatur gewesen.

Bei alledem aber hatte Freiligrath doch vollkommen recht, wenn er in späteren Jahren schrieb: Meine erste Phase, die Löwen- und Wüstenpoesie, war im Grunde auch nur revolutionär; es war die allerentschiedenste Opposition gegen die zahme Dichtung wie gegen die zahme Sozietät. Gerade hieraus erklärt sich die gewaltige Wirkung seiner ersten Gedichte auf die deutschen Zeitgenossen, eine Wirkung, die wir heute kaum noch verstehen, wenn wir den „Mohrenfürsten" oder die „Meerfabel" lesen. Allein um so klarer sehen wir die revolutionären Funken schon in seiner ersten Gedichtsammlung sprühen, vom „Moostee" bis zum „Bannerspruch" :


Ich fühl's an meines Herzens Pochen:

Auch uns wird reifen unsre Saat!

Es ist kein Traum, was ich gesprochen,

Und jener Völkermorgen naht!


Ich seh' ihn leuchten durch die Jahre,

Ich glaube fest an seine Pracht;

Entbrennen wird der wunderbare,

Und nimmer kehren wird die Nacht!


Jedoch einstweilen war dies revolutionäre Element dem Dichter selbst noch nicht bewusst. Mag man den rassepsychologischen Spekulationen über das Wesen eines Mannes noch so abgeneigt gegenüberstehen, so kommt man bei Freiligrath doch schwer um das herum, was man als westfälische Eigenart zu bezeichnen pflegt: er verband kernhafteste Manneskraft mit einer fast frauenhaften Weichheit und Zartheit des Empfindens. Wenigstens einen Herrscher gab es, vor dem er stets den trotzigen Nacken gebeugt hat: den Herrscher Tod. Sehr fein sagt Guido Weiß in seinem Nachruf auf Freiligrath: „Dieses nun geschlossene Auge, wie es auch farbetrunken die weite Welt durchwanderte, am innigsten hat es stets geweilt da, wo des Todes bleicher Purpur sich breitete. Sei es das unvergänglich im Herzen wiedertönende Lied später Reue: ,Wo du an Gräbern stehst und klagst', sei es ,Zur Winterszeit in Engelland' oder ,Starrend durchs Regnen, Der Lockenträuflung', sei es als ,Wir ritten hindann, Rundum die Wachtfeuer lohten', oder endlich in dem letzten seiner Gedichte, der Widmung an Deutschland, jener gewaltig sich dreimal wiederholende Klageruf: ,Begraben, begraben, begraben' – in solcher Stimmung hat sein Lied die Seele stets am tiefsten getroffen." Und die später veröffentlichten Briefe Freiligraths haben gezeigt, wie ihn die Majestät des Todes, wo immer sie ihm nahte, ergriffen und erschüttert hat.

Nichts törichter daher, als wenn seiner ersten Gedichtsammlung vorgeworfen wurde, mehr Hufschlag als Herzschlag zu enthalten. Freiligrath antwortete darauf mit Fug, wer in seinen Wüsten das Ohr an den Boden lege, höre nicht bloß Hufe, sondern doch auch das Pochen einer fühlenden, ja krampfhaft zuckenden Menschenbrust. Und es ist der Herzschlag, der ihn mählich zum politischen Dichter gemacht hat. Schon sehr bald nach seinem schiefen Urteil über das Junge Deutschland rief die Vertreibung der sieben Professoren aus Göttingen die Frage in ihm wach, ob Hölty auch wohl Mailieder gemacht hätte, wenn Anno 1773 sieben Professoren par ordre du mufti exiliert worden wären? Er fügte hinzu: „'s ist eine schwüle Zeit, der Poet steht vereinsamt in ihr, ein überflüssiges Gerät! Wohl ihm, wenn er die Interessen der Zeit so versteht wie Grün und Beck." Namentlich für Beck begeisterte er sich – „der edelste Liberalismus und dabei eine Phantasie wie Feuer und Flamme" –, aber auch Grün und Lenau überlieferten ihn den „wilden Schlaflosigkeiten des Themistokles", den bekanntlich der Ruhm des Miltiades nicht schlummern ließ.

Ein Rückschlag scheint dann einzutreten, als Herwegh im Jahre 1841 mit seinen „Gedichten eines Lebendigen" den Ruhm der Beck, Grün und Lenau weit überstrahlte. Doch ist es wieder falsch, von Freiligraths Neid auf Herwegh zu sprechen. Kein Mensch konnte neidloser sein als dieser Dichter. In seinen vertraulichen Briefen spricht er von Herwegh als einem „famosen", einem „werten Kerl", der „durch und durch Poet" und ein „immenses Talent" sei, das sich durch „Wahrheit der Gesinnung" auszeichne. Was ihn von Herwegh abstieß, war dessen „vager, ins Blaue hineinstürmender Fanatismus", also dasselbe, was auch Heine mit fast denselben Worten an Herwegh nicht vertragen konnte. Demgegenüber glaubte Freiligrath die ewigen Rechte der Poesie zu wahren, als er die Parole ausgab, dass der Dichter auf einer höheren Warte stehe als auf den Zinnen der Partei.

Diesem „keck hingeschmissenen Worte" ging es wie so manchem anderen geflügelten Worte auch: es wirkte nicht durch den Sinn, den der Dichter hineingelegt hatte, sondern durch den Sinn, den die Hörer und Leser herauslasen. Freiligrath wollte nicht sowohl Herwegh angreifen, als sich selbst verteidigen, indem er seinen Versen auf die standrechtliche Erschießung eines spanischen Royalisten hinzufügte:


Die ihr gehört – frei hab' ich sie verkündigt!

Ob jedem recht: – schiert ein Poet sich drum?

Seit Priams Tagen, weiß er, wird gesündigt

In Ilium und außer Ilium!


Er beugt sein Knie dem Helden Bonaparte

Und hört mit Zürnen d'Enghiens Todesschrei:

Der Dichter steht auf einer höhern Warte,

Als auf den Zinnen der Partei.


Nimmt man diese Strophe ihrem Sinne nach, so enthält sie nicht mehr als die hausbackene Wahrheit, dass der schöpferische Dichter über seinen Geschöpfen steht, dass er Menschen bildet mit souveräner Kraft, ob sie ihm selbst gefallen oder nicht, etwa wie Schiller den ihm höchst unsympathischen Wallenstein zum tragischen Helden geschaffen hat. Aber die Strophe wurde als ein Ausfall gegen Herweghs politische Poesie ausgelegt, und Freiligrath nahm diese Auslegung an; er meinte, es wäre doch grauenvoll, wenn man einzig politische Gedichte machen dürfe.

Herwegh antwortete in der „Rheinischen Zeitung", deren Hauptmitarbeiter und alsbaldiger Redakteur Karl Marx war, mit seinem Gedicht auf die Partei, dessen Schlussstrophe lautete:


Ihr müsst das Herz an eine Karte wagen,

Die Ruhe über Wolken ziemt euch nicht;

Ihr müsst euch mit in diesem Kampfe schlagen,

Ein Schwert in eurer Hand ist das Gedicht.

O wählt ein Banner, und ich bin zufrieden,

Ob's auch ein andres, denn das meine sei:

Ich hab' gewählt, ich habe mich entschieden,

Und meinen Lorbeer flechte die Partei.


Freiligrath fand dies Gedicht „sehr schön" und gedachte, poetisch zu antworten, und auch Herwegh gab seine friedliche Gesinnung kund, indem er am 24. März 1842 an Freiligrath schrieb, sein Gedicht richte sich nicht gegen diesen, sondern nur gegen den „trostlosen Indifferentismus unserer Poeten im allgemeinen", dem Freiligrath durch seine „schöne, aber nur im Olymp geltende Wendung" eine so brauchbare Waffe in die Hand gegeben habe. Herwegh versicherte, wie herrlich es sein würde, wenn er mit Freiligrath einen Weg gehen könnte, aber trotz allen aufrichtigen Entgegenkommens verdarb er es durch einen taktlosen Ausfall gegen „die Welt der Sagen und hundertmal abgeleierter Geschichtchen", womit er die „Rheinsage" meinte, in der Freiligrath eben die Kamele und die Leuen zum Teufel gewünscht hatte, um den alten deutschen Rhein durch seine Dichtung rauschen zu lassen.

Freiligrath antwortete nun weder auf den Brief noch auf das Gedicht Herweghs. Aber nach dem unglücklichen Ende der Triumphfahrt Herweghs durch Deutschland warf er im Januar 1843 im Zorne über Herweghs „Jungenhaftigkeit" und „Tappigkeit" ein bitteres Gedicht aufs Papier, das nur in der Schlussstrophe wieder einigermaßen einlenkte:


Zieh hin – doch um zu kehren!

Die Freiheit kann verzeihn!

Bring ein die alten Ehren,

Mit Liedern bring sie ein!

Der Dichtung Goldstandarte,

Lass wehn sie, doppelt reich:

Poet, wetz aus die Scharte,

Wetz aus den Schwabenstreich!


Es war begreiflich, dass Freiligrath, dessen bescheidener und ehrlicher Natur alles Gleißen und Prahlen ohnehin zuwider war, an der Triumphfahrt Herweghs mit ihren mancherlei Taktlosigkeiten lebhaften Anstoß nahm; immerhin hatte es seine großen Bedenken, einen Dichter zu verspotten, der eben mit Gendarmen aus dem preußischen Staate transportiert wurde. Freiligrath verschloss sich diesen Bedenken nicht, aber einmal meinte er, dass in diesem Falle eine Ausnahme zu statuieren sei, und dann machte er die Veröffentlichung des Gedichtes von dem Rate seines Freundes Buchner abhängig, der sich beeiferte, zuzureden. So erschien das Gedicht in der „Kölnischen Zeitung", um sofort von der „Rheinischen Zeitung", die schon im Sterben lag, mit einem Hagel von Angriffen beantwortet zu werden. Die erste Berührung zwischen Freiligrath und Marx war durchaus feindlich.

Freiligrath war jedoch ein viel zu aufrichtiger Mann, als dass ihn sein übereilter Schritt nicht alsbald gewurmt hätte, und die Reue darüber hat offenbar mitgeholfen, seine Augen für die scheußliche Misswirtschaft der vormärzlichen Reaktion zu öffnen. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, zu verfolgen, wie er nun nach und nach zum politischen Dichter wurde, aber eine solche Untersuchung würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgreifen, und so mag nur gesagt werden, dass es sich durchaus um eine natürliche Entwicklung handelte. Freiligrath selbst ist nicht ohne eigene Schuld daran, dass oft die entgegengesetzte Meinung laut geworden ist; namentlich durch sein Gedicht an Hoffmann v. Fallersleben, das auch ästhetisch zu seinen schwächeren Produkten gehört, hat er den Wahn genährt, als sei er plötzlich, wider seine Natur, durch fremde Einflüsse zum Revolutionär geworden. Aber er selbst hat gegen diesen Wahn stets aufs nachdrücklichste protestiert und in Anlehnung an ein Wort seines alten Gönners Chamisso den Nagel auf den Kopf getroffen mit dem glücklichen Satze: Sobald ich die Augen über mich selbst öffnete, war ich ein Revolutionär.

Sein „Glaubensbekenntnis" vertrieb ihn im Herbst 1844 aus Deutschland; er ging erst nach Ostende, dann nach Brüssel, und hier traf er persönlich mit Marx zusammen, der, im Anfang des Jahres 1845 aus Paris verwiesen, sich ebenfalls nach Brüssel gewandt hatte. Nach dem Zeugnis von Heinrich Bürgers, der ihn begleitete, hat Marx am ersten Morgen nach seiner Ankunft in der belgischen Hauptstadt gesagt: „Wir müssen heute zu Freiligrath gehen, er ist hier, und ich muss gutmachen, was die ,Rheinische Zeitung', als er noch nicht auf den Zinnen der Partei stand, an ihm verbrochen hat; sein ,Glaubensbekenntnis' hat alles ausgeglichen." Und Freiligrath schrieb am 10. Februar 1845 an Karl Buchner: „Seit einer Woche ist auch Marx hier, ein interessanter, netter, anspruchslos auftretender Kerl." Jedoch kam es damals noch zu keiner dauernden Freundschaft, schon weil der Verkehr nach wenigen Wochen abgebrochen wurde; im Anfang des März siedelte Freiligrath nach der Schweiz über.

Zudem befanden sich beide Männer in einem Zustande innerer Gärung, der einem gemeinsamen Hand-in-Hand-Gehen nicht förderlich war. Freiligraths „Glaubensbekenntnis" bewegte sich trotz der sozialen Lichter, die hier und da aufblitzten, noch im Gedankenkreis der bürgerlichen Opposition, während Marx eben damals mit seinem philosophischen Gewissen abrechnete, um den wissenschaftlichen Kommunismus zu begründen. Selbst als Freiligrath im Jahre 1846 sein „Ca ira" veröffentlichte, worin er schon offen den proletarischen Klassenkampf verkündete, urteilten Marx und Engels in einem bisher nicht gedruckten Aufsatz ziemlich spöttisch über diese herrliche Sammlung von Gedichten.1 Froh ihrer neu gewonnenen Klarheit, ließen sie ihren ästhetischen Geschmack allzu stark durch ihre ökonomischen und politischen Anschauungen beeinflussen; ich sagte darüber schon in meiner Nachlassausgabe, dass „namentlich ihr ästhetisches Urteil über Freiligraths Gedichte zu sehr durch ihr ökonomisches und politisches Bekenntnis gebunden" gewesen sei. Es war eine Dissonanz, die bald völlig zu verstummen schien, aber dann doch wieder auftauchen und neue Verstimmungen hervorrufen sollte.*

In demselben Jahre, als Freiligrath sein „Ca ira" veröffentlichte, siedelte er nach London über, wo er eine Korrespondentenstelle in einem angesehenen Handlungshaus übernahm. Zwei Jahre darauf rief ihn die Märzrevolution nach Deutschland zurück, und er trat nun in Reih' und Glied der demokratischen Partei. Aber als Dichter, nicht als Politiker, dessen Sinnen und Trachten im Parteitreiben aufgeht. Es ist wenn nicht wahr, so doch gut erfunden, was Heinrich Bürgers darüber zu erzählen weiß, wie das mächtigste Revolutionslied Freiligraths aus dem Sommer 1848 entstanden ist. In einer Vorstandssitzung des Demokratischen Vereins in Düsseldorf, wo der Dichter sich niedergelassen hatte, wurde eifrig darüber beraten, wie Geldmittel zu beschaffen seien: dabei schaute Freiligrath gleichmütig zum Fenster hinaus, was ihm einen Rüffel des Präsidenten eintrug, und nun schrieb der erzürnte Dichter sein gewaltiges Lied der „Toten an die Lebenden", dessen Verkauf – das Exemplar zu einem Silbergroschen – den Finanznöten des Vereins gründlich abhalf. Wenn einer, so hatte Freiligrath ein ganzes Herz für die Sache, aber für alle die Kleinarbeit, die nun einmal zur Politik gehört, hatte er nichts übrig: im schroffen Gegensatz zu Marx und Engels, die sich gerade in jenen Jahren mit nie erlahmender Geduld in den kleinsten Kreisen abmühten, eine Handvoll Anhänger zu gewinnen.

Der aufstürmende Ruf der „Toten an die Lebenden" trug dem Dichter eine Anklage wegen Hochverrats ein, von der ihn die Geschworenen am 3. Oktober 1848 freisprachen. Und als die „Neue Rheinische Zeitung", die im Juni von Marx und Engels ins Leben gerufen, aber wegen der Kölner Septemberkrawalle zeitweilig unterdrückt worden war, am 12. Oktober wieder erschien, konnte sie melden, dass Freiligrath in ihre Redaktion eingetreten sei. Am 21. Oktober siedelte er nach Köln über, und von nun an begann seine Freundschaft mit Marx.

1 Gemeint ist der Aufsatz Friedrich Engels' „Die wahren Sozialisten". Engels nimmt dort zu Freiligraths Gedichtsammlung „Ca ira" Stellung und verurteilt die Leichtfertigkeit und philisterhaften Vorstellungen, mit denen Freiligrath die Revolution darstellt. „Alles geht so rasch, so flott, dass über der ganzen Prozedur gewiss keinem einzigen Mitgliede des ,Proletarier-Bataillons' die Pfeif ausgegangen ist. Man muss gestehen, nirgends machen sich die Revolutionen mit größerer Heiterkeit und Ungezwungenheit als im Kopf unsres Freiligrath." (In: Marx/Engels: Werke, Bd. 4, S. 279.)

* In der Festschrift des „Vorwärts" zum hundertsten Geburtstag Freiligraths erwähnt Bernstein den Aufsatz, worin Marx und Engels unter anderem über Freiligraths „Ca ira" spotten, mit dem Hinzufügen, dass die Verfasser diese Kritik nicht an die Öffentlichkeit gebracht hätten, sei der beste Beweis, dass sie ihr keine besondere Bedeutung beigemessen hätten. Das ist nun insofern nicht richtig, als nur der Mangel eines Verlegers die Schuld daran trug, dass dieser Aufsatz, der mit dem „wahren Sozialismus" scharf ins Gericht ging, im Pulte der Verfasser liegenblieb. Bernstein selbst hat einmal in der „Neuen Zeit" erzählt, dass Engels nur durch eine äußerliche Rücksicht verhindert worden sei, den Aufsatz noch in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu veröffentlichen. Richtig ist jedoch, dass der Aufsatz wenigstens heute „keine besondere Bedeutung" beanspruchen kann; als in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einmal die Frage auftauchte, ob er in der „Neuen Zeit" zu veröffentlichen sei, waren Bernstein, Kautsky und ich übereinstimmend der Ansicht, dass es sich nicht recht lohne.

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