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Der berüchtigte „Krönungsochsenjubel" der „Neuen Ära" fand auch in den Kreisen der deutschen Flüchtlinge seinen Widerhall; ein mehr oder minder großer Teil von ihnen hoffte auf eine Amnestie, die der preußische Prinzregent erlassen sollte, und war unter dieser Bedingung bereit, auf dem deutschen Boden für eine zweite Revolution zu kämpfen, nachdem er, gemäß Freiligraths beißendem Worte, die erste so wunderschön verfahren und verritten hatte. Haupt und Mittelpunkt dieser Richtung war wieder der unglückliche Kinkel und sein Organ, der „Hermann", eine Wochenschrift, die seit dem 1. Januar 1849 in London erschien.

Vorher jedoch noch wurde Kinkel von einem Schlage betroffen, der ihm die menschliche Teilnahme auch seiner politischen Gegner sichern konnte. Am 15. November 1858 endete seine Frau durch einen Sturz aus dem Fenster. Die allgemeine Annahme war, dass sie den freiwilligen Tod gewählt habe; das Urteil der Totenjury, das auf zufälligen Tod lautete, änderte daran nichts, denn es ist bekannt, dass solche Urteile, um den Selbstmördern das kirchliche Begräbnis zu sichern, nicht auf Selbstmord zu erkennen pflegen, wenn auch nur leise Zweifel bestehen. Und Kinkel selbst bestritt vor der Totenjury, dass seine Frau irgendeinen Anlass zum Selbstmord gehabt habe, am wenigsten in ihrem glücklichen Familienleben. Dass er bald nach dem Tode seiner Frau taktlos genug war, aus ihrem Nachlass einen Roman zu veröffentlichen, der ihn selbst in ein sehr zweideutiges Licht stellte, stimmte freilich schlecht zu dem Zeugnis, das er vor der Totenjury abgelegt hatte.

Indessen das geschah später, und selbst die Zweifel, die sich sofort beim Tode der Frau regten, waren jedenfalls nur geeignet, die Teilnahme für sie und ihre Kinder zu stärken. Sie war unzweifelhaft eine stärkere Natur als ihr Mann; ihre rastlose Energie hatte ihn aus dem Zuchthaus befreit, und Kinkel selbst hatte ehedem mit seiner „Johanna" einen Kultus getrieben, der wiederholt auch von Freiligrath in seinen Briefen an Marx verspottet worden war. Im persönlichen Verkehr scheint Freiligrath aber eine große Achtung vor der Frau gewonnen zu haben; er geleitete sie auf ihrem letzten Gange und feierte ihr Andenken in einem seelenvollen Gedicht.

Dies Gedicht sandte er am 6. Dezember 1858 an Marx und schrieb dazu:

Ich hätte Dir längst geschrieben, wie sehr Deine heitere Epistel über die Große-Männer-Fabrikation mich amüsiert hat, wenn mir nicht, seit ich sie empfing, allerlei über den Weg gelaufen wäre. Zwei meiner Kinder waren krank (jetzt gottlob wieder besser), dann verschiedener geschäftlicher Wirrwarr und endlich der Tod der Frau Kinkel, der uns tief erschüttert und namentlich meine Frau während einer ganzen Woche fast krank gemacht hat. Der Fall ist auch wirklich einer der traurigsten, die mir je vorgekommen sind, und ich glaube, dass Freund und Feind bei dieser Gelegenheit nur ein gemeinsames Gefühl für Kinkel (und seine armen Kinder) haben: das der aufrichtigen, rein menschlichen Teilnahme. Mich hat das Begräbnis, bei dem ich zugegen war, sogar zu ein paar Strophen veranlasst, die ich beilege und die vielleicht das Gute haben, dass sie in einer Zeit fast allgemeiner Amnestiewütigkeit und Heimwehbläserei (NB. Kinkels offenes Wort am Grabe stimmte nicht in diesen Ton ein – er sprach wohl von der Rückkehr, aber nur von der Rückkehr durch die Revolution) als eine Art Protest oder Misstrauensvotum gegen den liberalen Unteroffiziersschwindel in der Heimat angesehen werden können."

In der Tat wurde dieser Protest „in der Heimat" denn auch verstanden; sogar die „Kölnische Zeitung" wagte das Gedicht nur verstümmelt abzudrucken: „Furchthäsin, die sie ist", meinte Freiligrath in einem Briefe an den ihm damals noch befreundeten Rodenberg, und er fügte hinzu: „Ihre Selbstzensur sagt am besten, dass ich recht habe. Der Revolutionär kann sich einstweilen nirgends mit Anstand begraben lassen als im Exil."

Auf der anderen Seite war freilich auch Marx unzufrieden mit dem Gedicht, von dem er annahm, dass es das Signal zur Wiederbelebung des Kinkelkultus in Deutschland geben werde. Er tadelte scharf, dass Freiligrath sich durch das theatralische Gebaren Kinkels am Grabe von dessen Frau zu sehr habe imponieren lassen1, und dieser Tadel mochte insofern berechtigt sein, als Freiligrath auch hier gegenüber der Majestät des Todes alle Sorgen und Zweifel schweigen ließ. Aber deshalb blieb Freiligrath doch weit davon entfernt, den politischen Kultus Kinkels zu fördern, und es wäre ganz unrichtig, aus seinem Gedicht auf den Tod Johanna Kinkels zu folgern, dass er irgendwie nach rechts abgeschwenkt sei. Schon am 1. Januar 1859 – der Brief ist durch einen Schreibfehler vom 1. Januar 1858 datiert – schrieb er an Marx:

Lieber Mohr! Herzliche Erwiderung Deines Prosit Neujahrs von Deinem wohlaffektionierten Fürsten. Ich wollte, wir sähen uns bald einmal. Wollt Ihr nicht nächstens en famille in die mohrenfürstliche Burg einziehen? Die Welt wird schlechter und komischer mit jedem Tag. Wir müssen durchaus wieder einmal über sie räsonieren. Wie gefällt Dir der Titel einer gewissen neuen Wochenschrift? Ex ungue leonem!"

Ist hier die Anspielung auf Kinkels „Hermann" schon deutlich genug, so schreibt Freiligrath am 7. Januar 1859 an Marx:2

Ganz einverstanden, lieber Marx! Dass ich, weil ich Kinkel wegen seines Verlustes und der tragischen Nebenumstände desselben von Herzen bedauere, darum seine Politik nicht zu der meinigen mache, versteht sich doch wohl von selbst. Er hat mir den Prospektus seines ,Hermann' allerdings – und zwar schon vor Neujahr – mit der Bitte um gelegentliche Beiträge zugeschickt, doch habe ich ihm auf diese Einladung noch nicht einmal geantwortet, geschweige denn ihm meine Mitarbeiterschaft in Aussicht gestellt. Die Wahrheit ist, dass ich schon wegen beschränkter Zeit (meine Stelle absorbiert mich täglich mehr) nicht an eine regelmäßige schriftstellerische Tätigkeit denken kann. Die paar Verse, die ich dann und wann in der Stille noch schmiede, habe ich vor nach einiger Zeit wieder in einem selbständigen Hefte herauszugeben. Ich habe auf diese Weise allerschlimmstens meine eigenen Dummheiten zu verantworten – nicht auch, solidarisch, diejenigen, die um mich herum begangen werden. Dass der ,Hermann' eine kurzlebige Blamage sein wird, ist von vornherein anzunehmen. Welch ein antediluvianischer Titel schon! Da klingt doch Pensiero ed Azione schon besser und tapferer! Ob Blind mitwirken wird am ,Hermann' weiß ich nicht. Ich denke eher an Bucher und – Rudolf Schramm, den Amnestiewütigen und jetzt wahrscheinlich schon in Berlin sich Gestellthabenden. Dieser Edle fragte mich jüngst, ob er in Preußen etwas für mich tun könne. Ich antwortete ihm by return (und habe Kopie behalten), dass er sich begraben lassen möge. Das Damoklesschwert der längst gedrohten Amnestie werde uns sobald nicht auf den Schädel fallen!"

Was die Persönlichkeiten anbetrifft, die in diesem Briefe erwähnt werden, so war Karl Blind, ein badischer Flüchtling, sowohl mit Freiligrath wie mit Marx befreundet, mit jenem allerdings näher als mit diesem. Rudolf Schramm war ein preußischer Flüchtling, den Freiligrath richtig einschätzte, denn er hat es noch bis zum preußischen Generalkonsul in Mailand gebracht. Dagegen zeigt die Erwähnung Buchers in diesem Zusammenhang, dass Freiligrath sich damals nicht eingehend um Politik kümmerte; Bucher vertrat als Korrespondent der Berliner „Nationalzeitung" in der europäischen Krise von 1859 ganz andere Ansichten als Kinkel in seinem „Hermann".

Diese Krise führte bekanntlich auch zu scharf entgegengesetzten Anschauungen zwischen Marx und Engels auf der einen, Lassalle auf der anderen Seite über die Taktik der revolutionären Partei. Was die Einzelheiten betrifft, so darf ich auf die Briefe Lassalles an Marx und Engels nebst meinen Anmerkungen im vierten Bande der Nachlassausgabe verweisen. Hier kommt es zunächst auf Freiligrath an, der keine bestimmte Stellung zu dem schwierigen und verwickelten Problem nahm. In einem Briefe an einen seiner bürgerlichen Freunde, den Buchner mitteilt, schreibt Freiligrath am 12. Juli 1859: „Die Weltlage ist eine seltsame, besonders für den Demokraten und den Flüchtling. Ich wünsche Italien frei, das spricht für sich, und das Haus Habsburg mag zur Hölle fahren, aber Napoleon, der Mann des 2. Dezember, der Mörder Orsinis, der Schlüsselbewahrer von Cayenne, hat in meinen Augen nicht das Recht, als Befreier aufzutreten. Sollte er, was ich immer noch bezweifle, später auch gegen Deutschland kriegen wollen, dann ist die Lage des Demokraten noch verzwickter. Er wird als Deutscher doppelt stark gegen Napoleon fühlen und dennoch als Demokrat nicht mit den Dynastien gemeinschaftliche Sache gegen Frankreich machen wollen." Aus diesen Zeilen spricht eine gewisse Ratlosigkeit, und sie erklärt es denn auch, dass, als Freiligrath einen vom 1. April datierten Brief Karl Vogts aus Genf erhielt, worin ihm ein bestimmtes Programm für die aktuelle Politik der demokratischen Partei vorgelegt wurde – zugleich mit der Aufforderung zur Mitarbeit an einer schweizerischen Wochenschrift, die dies Programm vertreten solle –, sich um Rat an Marx wandte. Marx erwiderte, das Programm sei Kannegießerei, und dabei ließ es Freiligrath bewenden.3

Das Programm Vogts ging auf Neutralität im Italienischen Kriege, solange er deutsches Bundesgebiet nicht berühre; vollständige Kriegsbereitschaft gegen etwaige Eroberungsgelüste Frankreichs; Unterhaltung des volkstümlichen Abscheus gegen die kaiserliche Wirtschaft in Frankreich wie gegen die ultramontan-absolutistische Wirtschaft in Österreich; Verlangen einer engeren Schließung des Deutschen Bundes und gänzliche Ausschließung der außerdeutschen Provinzen; Verlangen nach freier Gestaltung im Innern und Unterhaltung der darauf gerichteten Bewegung; Gegengewicht gegen das von der „Allgemeinen Zeitung" und deren Gesinnungsgenossen unterhaltene Geschrei (für Krieg gegen Frankreich, um die österreichische Fremdherrschaft in Italien aufrechtzuerhalten). Es ist klar, weshalb Marx in diesem Programm mit seinem „Verlangen nach engerer Schließung des Deutschen Bundes, nach freier Gestaltung im Innern usw." nur die Kannegießerei des flachsten und verschwommensten Liberalismus erkannte; ein Zusammenhang mit der bonapartistischen Propaganda ging aus diesem Programm noch nicht hervor. Erst als Vogt in einer besonderen Schrift „Studien über die gegenwärtige Lage Europas" herausgab, erkannte Marx, dass Vogt im Interesse Bonapartes und mit den Stichworten von dessen offiziöser Presse arbeite.

Vorher jedoch wurde die Anklage gegen Vogt, von Bonaparte bestochen zu sein und sich im Interesse Bonapartes mit Bestechungsversuchen an deutsche Schriftsteller gewandt zu haben, von Karl Blind erhoben, der dasselbe Programm und dasselbe Ersuchen um publizistische Mitarbeit wie Freiligrath von Vogt erhalten hatte. Auf einem Meeting, das Urquhart am 9. Mai 1859 in London veranstaltete, um den Italienischen Krieg als eine Frucht russisch-französischer Intrigen darzustellen, trat Blind an Marx heran, um ihm eine Reihe positiver Einzelheiten über Vogts Bestechungsversuche mitzuteilen; in kürzerer Form erhob er die Anklage, mit deutlichen Hinweisen auf Vogt, aber ohne dessen Namen zu nennen, in einem Artikel, den er am 27. Mai in der „Free Press", einem Organ Urquharts, anonym veröffentlichte und darauf auch in einem mit X. gezeichneten und „Zur Warnung" überschriebenen Flugblatt, worin die Beschuldigungen gegen Vogts Bestechlichkeit und Bestechungsversuche in gröbster Form wiederholt wurden.

Mit diesem Flugblatt hatte es folgende nähere Bewandtnis. Freiligraths Prophezeiung, dass sich der „Hermann" als eine kurzlebige Blamage erweisen werde, sollte sich zwar im ganzen erfüllen, aber einstweilen hatte Kinkel den Erfolg, die „Neue Zeit" totzuschlagen, das von Edgar Bauer redigierte Organ des Londoner Arbeiterbildungsvereins, aus dem Marx und seine engeren Freunde seit der Spaltung des Kommunistenbundes im Herbst 1850 ausgeschieden waren. Als Arbeiterblatt hatte die „Neue Zeit" unter den damaligen Zeitläuften mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen; sie hing wesentlich von dem Kredit des Druckers ab und war deshalb geliefert, als Kinkel demselben Drucker den „Hermann" anbot. Dieser Streich Kinkels erfreute sich unter den Londoner Deutschen aber keineswegs allgemeinen Beifalls. Auf demselben Urquhartmeeting, wo Blind seine Enthüllungen über Vogt an Marx machte, wurde Marx auch von Faucher, der als Sekretär Cobdens und auswärtiger Redakteur des „Morning Star", eines manchesterlichen Blattes, in London lebte, um seine Mitarbeit am „Volk" angesprochen, einem neuen Arbeiterblatt, das Elard Biscamp, ein kurhessischer Flüchtling und bisheriger Mitarbeiter der „Neuen Zeit", mit Unterstützung des Londoner Arbeiterbildungsvereins begründet habe. Faucher erklärte ausdrücklich, dass er die Tendenz des „Volk" nicht teile, aber er fügte hinzu, dass er kein Monopol in der Londoner deutschen Presse dulden wolle und mit anderen Bekannten ein Finanzkomitee zur Unterstützung des neuen Blattes gebildet habe.

Marx gab zunächst aus Mangel an Zeit keine bestimmte Zusage, sprach aber am nächsten Tage bei einem Besuch, den ihm Biscamp und Liebknecht machten, von dem Urquhartmeeting im allgemeinen und den Mitteilungen Blinds im besonderen, von diesen nicht ohne Vorbehalt, so dass er selbst überrascht war, als Biscamp schon in der zweiten Nummer des „Volk" ein paar von den Enthüllungen Blinds zu einem Artikel benutzte, worin der ehemalige „Reichsregent" Vogt als „Reichsverräter" denunziert wurde. Biscamp übersandte diesen Artikel an Vogt, der nun im „Bieler Handelskurier" mit der „Schwefelbande" und den „Bürstenheimern" vorrückte, angeblichen Verschwörergesellschaften, die unter der Leitung von Marx und im heimlichen Einverständnis mit der Polizei die deutschen Arbeiter ins Unglück zu bringen suchten. Marx ließ sich daran genügen, den mehr noch albernen als schmutzigen Wisch durch Abdruck im „Volk" niedriger zu hängen.

Im Anfang Juli reiste er zu Engels nach Manchester, wo er eine Subskription von etwa 25 Pfund Sterling für das „Volk" zusammenbrachte. In seiner Abwesenheit fand nun Liebknecht in der Druckerei dieses Blattes einen Korrekturabzug jenes Flugblatts „Zur Warnung" vor. An dem Inhalt erkannte er sofort Blind als Verfasser; auch trugen die auf dem Abzug befindlichen Korrekturen die Handschrift Blinds, und der Setzer Vögele erzählte zudem, das von Blind geschriebene Manuskript sei von diesem an den Besitzer der Druckerei, Fidelio Hollinger, zum Drucke übergeben worden. Von Hollinger selbst erhielt Liebknecht dann einen Abzug, den er an die „Allgemeine Zeitung" in Augsburg sandte, für die er korrespondierte; er fügte hinzu, der Verfasser sei einer der ehrbarsten deutschen Flüchtlinge in London, und sämtliche von dem Flugblatt mitgeteilten Tatsachen könnten bewiesen werden. Mit diesen Bemerkungen veröffentlichte die Augsburger Zeitung in der Tat das Flugblatt und wurde nunmehr von Vogt wegen verleumderischer Beleidigung verklagt.

Begreiflicherweise verlangte darauf die Redaktion von Liebknecht die angekündigten Beweise, und Liebknecht wandte sich an Marx und Blind. Marx konnte jede Beteiligung an dem Streit ablehnen, und heute, wo man weiß, wie endlose Aufregungen und Scherereien, welche Masse kostbarer Kraft und Zeit ihn die elende Affäre kosten sollte, ohne irgendeinen nennenswerten Nutzen für die große Sache seines Lebens, möchte man wünschen, dass er es getan hätte. Was ihn dennoch bewog, sich einzumischen, war teils das Manöver Vogts, ihm die Verfasserschaft des Flugblatts aufzubürden, teils Freundschaft für Liebknecht, teils auch die Verteidigung der Augsburger Zeitung, die, so feindlich er ihr und sie ihm von jeher gesinnt gewesen war, nach seiner Ansicht doch mit der Denunziation Vogts ein gutes Werk getan hatte. Freilich konnte er nicht mehr leisten, als dass er die schon erwähnte Aussage des Setzers Vögele schriftlich beglaubigte und nach Augsburg sandte. Dagegen versagte Blind, der Urheber der gegen Vogt gerichteten Beschuldigungen, ganz und gar; er konnte zwar nicht leugnen und leugnete auch nicht, die Notiz in der „Free Press" verfasst und die mündlichen Mitteilungen über Vogts vorerwähnte Umtriebe an Marx gemacht zu haben, aber er bestritt, der Urheber des Flugblatts zu sein, und lehnte entschieden ab, sich in die Angelegenheiten einer ihm fremden Zeitung zu mischen.

Während sich so die Wolken in der Vogtschen Sache zusammenzogen, herrschte zwischen Freiligrath und Marx noch das ungetrübteste Einvernehmen.4 Am Karfreitag 1859 antwortete Freiligrath auf das Ersuchen von Marx, ihm die schönen Verse des griechischen Dichters Antiparos auf die Erfindung der Wassermühle ins Deutsche zu übersetzen:

Ich habe zufällig eine längst vorhandene Übersetzung der hübschen Distichen entdeckt und schicke sie Dir einliegend zu Deinem beliebigen Gebrauch. Ich glaube, sie genügt Deinen Zwecken vollkommen. Die deutsche Poesie hat zwar seit 1782 korrektere Hexameter und Pentameter zu drechseln gelernt, als der ältere Stolberg sie zu machen verstand, aber – ich, leider, bin keiner von denen, die von der Lektion profitiert haben. Also danken wir Gott, dass der Edle von und zu bereits vor 77 Jahren getan hat, was ich nicht besser tun könnte. – Du wirst Deiner Arbeit gewiss einen besonderen Reiz verleihen, wenn Du gelegentlich als Beleg eine gleichzeitige Völkerstimme wie diese anführst. Was kann kindlicher, naiver, rührender sein als dieser Jubel über die jetzt überflüssig gewordene Arbeit der Handmühle."

In der Tat zitiert Marx im „Kapital" die Verse des Antiparos nach der Übersetzung Stolbergs.

Am 8. April 1859 schreibt Freiligrath an Marx über das Trauerspiel Lassalles:

Lassalles Sickingen hat mich insofern überrascht, als ich unserem Freunde diese Gestaltungsfähigkeit allerdings nicht zugetraut hätte. Der Dialog ist freilich in vielen Fällen reines Plädoyer, und auf die Holprigkeit des fünffüßigen Jambus mag sich Lassalle getrost ein Patent geben lassen. Doch will ich hiermit kein Endurteil abgegeben haben. Ich habe bisher mehr geblättert als gelesen."

In diesem und anderen Briefen aus dem Sommer 1859 finden sich bittere Anspielungen auf Kinkel, der als „Pater Brey", oder auf den „Hermann", der als „Arminius" oder „Gottfried" herhalten muss, oder auch auf die Partei der „Amnestiewütigkeit", der zum Trotz sich Freiligrath schon im Oktober 1858 hatte als Engländer naturalisieren lassen. Allein es entstand nunmehr doch eine Meinungsverschiedenheit zwischen Freiligrath und Marx dadurch, dass die Fraktion Kinkel das Schillerfest von 1859 für ihre eigennützigen Zwecke auszunutzen versuchte und damit auch einen gewissen Erfolg hatte.5

Die Einschätzung dieses Festes gehörte au den Differenzpunkten, die damals zwischen Marx und Engels auf der einen, Lassalle auf der anderen Seite bestanden. Während Marx und Engels in den antifranzösischen Stimmungen des Jahres 1859 einen national-revolutionären Zug zu entdecken glaubten, sah Lassalle darin nicht durchweg, aber überwiegend ein Wiedererwachen des kreuzritterlichen Franzosenhasses mit Gott für König und Vaterland. Umgekehrt erblickte Lassalle in dem „Schillerjubel" ein Zeugnis für die „geistige Einheit" des deutschen Volkes und damit „ein fröhliches Unterpfand seiner nationalen Auferstehung", während Marx und Engels ungleich kühler über die Schillerfeier dachten, wobei denn auch ihre Abneigung gegen Schiller mitsprechen mochte. Was ihnen die Sache vollends verleiden musste, war der Unfug, den die Fraktion Kinkel mit ihr trieb. Sie hatte natürlich die deutschen Bourgeois in London auf ihrer Seite und schloss von vornherein alle diese „verdächtigen" Elemente aus. Die erste vorberatende Versammlung fand im August 1859 statt, und über sie veröffentlichte ein gewisser Betzige oder Bettziech, der sich als Schriftsteller Beta nannte, einen Bericht in der „Gartenlaube". Dieser Aufsatz spricht sehr wenig von Schiller, aber für Kinkel macht er eine wahrhaft schamlose Reklame; von dem Vertreter des Londoner Arbeiterbildungsvereins, der sich an der Feier zu beteiligen bereit war, wird gesagt, einige hätten davon gemunkelt, den Mann hinauszuwerfen, aber der kommunistische Saulus, der bis dahin unter dem Einfluss von Marx gestanden hätte – es ist vermutlich Scherzer gemeint, der an der Spitze des Arbeiterbildungsvereins stand –, habe sich als bekehrter Paulus gebärdet, so dass man ihn geduldet habe. Man kann schon daraus abnehmen, mit welchem Rechte dieser Artikel überschrieben war: Das deutsche Einheitsfest in London.

Einen „Saulus" konnte man trotz alledem nicht wohl umgehen, nämlich Freiligrath. Die poetischen Kosten des Dichterfestes ließen sich von dem dürftigen Talentchen Kinkels nicht bestreiten; auch war ihm, der als ehemaliger Nachmittagsprediger ein sogenannter „glänzender Redner" war, die Festrede zugedacht. Man wandte sich also an Freiligrath, und Freiligrath sagte zu. Daran hat Marx kein Gefallen gefunden, wie aus einem Briefe hervorgeht, den Freiligrath am 14. Oktober an ihn richtete. Es heißt darin:

Die Schillerfeier hat mir sehr viel zu tun gemacht. Zuerst baten mich die Deutschen in Philadelphia um ein Festlied, welches sämtlichen Jubiläumsfeiern in den Vereinigten Staaten zugrunde gelegt werden soll. Obgleich es schwer ist, etwas über Schiller zu sagen, was nicht an Commonplace grenzt, habe ich diesem Wunsche nichtsdestoweniger entsprochen, und irgendein New-Yorker oder Philadelphier Musiker wird eben jetzt schon daran sein, die Verse zu komponieren. Dann luden mich die Bradforder Deutschen ein, das Fest mit ihnen zu zelebrieren – was ich abgelehnt habe. Dann kam ein Berliner Buchhändler und wollte ein Gedicht haben – was ebenfalls abgelehnt worden ist. Und nun hier die Feier, von der es allerdings möglich ist, dass sie irgendwelchen persönlichen Eitelkeiten Vorschub leisten wird – von der ich jedoch, qua deutscher Poet, nicht füglich ganz mich werde fernhalten können. That speaks for itself. (Das spricht für sich selbst.) Man würde es, und mit Recht, unbegreiflich finden, wenn ich mich ausschließen wollte. Es kommt bei der Sache doch zuletzt auf mehr an als auf die Nebenzwecke einer Fraktion, wenn sie überhaupt welche hat. Und wenn nun auch Agamemnon die Briseis der Festrede davonträgt, was liegt weiter daran? Es sollen deshalb die Achille nicht schmollend in ihren Zelten sich verschließen.6

Übrigens gebe ich Dir herzlich gern zu, dass die Sache ihr Bedenkliches hat. Die erste vorberatende Versammlung (vorigen Dienstag in Seyds Hotel – bei einer früheren bin ich nicht zugegen gewesen, obgleich es sogar gedruckt worden ist!) war ledern und langweilig genug. Ich habe mich schweigend dabei verhalten, obgleich sich gegen mancherlei Unsinn mit Fug hätte opponieren lassen. Jedenfalls war mein Schweigen weise, denn ihm habe ich es zu verdanken, dass ich, laus deo, nicht ins Exekutivkomitee gewählt worden bin. Man muss jetzt abwarten, was werden wird. Die Versammlung heute Abend werde ich nicht besuchen."

Um den Standpunkt Freiligraths zu verstehen, darf man nicht übersehen, dass die Fraktion Kinkel allerlei große Pläne mit dem Schillerfest verband: aus dessen Überschüssen sollte eine Schilleranstalt gegründet werden mit einer Bibliothek und jährlichen Vorträgen, die alljährlich an Schillers Geburtstag beginnen sollten. Daraus ist freilich nichts geworden; vielmehr endete die Geschichte, trotz der 200 Pfund Sterling, die das Fest im Kristallpalast abwarf, mit einem Defizit und widerwärtigen Zänkereien. Das konnte man im Voraus aber nicht wissen; in Manchester wurde wirklich eine solche Schilleranstalt als Folge der Schillerfeier ins Leben gerufen, und ihr hat Wilhelm Wolff fünf Jahre später 100 Pfund Sterling vermacht. Auf der anderen Seite musste Marx dadurch stark an den Kopf gestoßen werden, dass der Sekretär Alberts von der preußischen Gesandtschaft – offenbar derselbe, der in dem Kölner Kommunistenprozess eine sehr zweideutige Rolle gespielt hatte – von dem Festkomitee eingeladen wurde und eine entgegenkommende Zusage erteilte.***

Im Allgemeinen fand Freiligrath mit seiner Auffassung auch unter den engeren Gesinnungsgenossen größeres Verständnis als Marx mit der seinigen. Engels freilich war wie gewöhnlich mit Marx einverstanden; nach einer Angabe Bernsteins soll er sich in einem noch ungedruckten Briefe sogar besonders heftig gegen Freiligraths Beteiligung ausgesprochen haben.7 Übrigens brach auch Engels nicht mit seinem Vetter Siebel, der für die Schillerfeier in Manchester das Festgedicht lieferte und noch obendrein eine Aufführung von „Wallensteins Lager" veranstaltete8 Lassalle aber antwortete, als sich Marx bei ihm über Freiligrath beschwerte: „Es mag sein, dass Freiligrath besser getan hätte, dem Feste nicht beizuwohnen. Aber die Kantate zu dichten, hat er jedenfalls gut getan. Sie war von allem, was zu dieser Gelegenheit erschien, bei weitem das Schönste." Auch der Londoner Arbeiterbildungsverein beteiligte sich an dem Feste, nachdem er am vorhergehenden Tage durch eine Robert-Blum-Feier, bei der Bernhard Becker und Liebknecht sprachen, sein politisches Gewissen salviert hatte. Für die Pariser Deutschen hielt Schily die Festrede. Und in Zürich wiederholten sich in gewissem Sinne die Londoner Vorgänge, indem Herwegh keineswegs als Achill in seinem Zelte grollte, obgleich Agamemnon, das heißt sein alter intimer Gegner Vischer, die Briseis der Festrede davongetragen hatte, sondern ein schönes Festlied dichtete. In Zürich führte der Konflikt allerdings nur zu allerlei Humoren, die Gottfried Keller drastisch geschildert hat.

Bei alledem war Freiligrath eine viel zu ehrliche Haut, als dass ihm das peinliche Drum und Dran des Londoner Festes nicht auf die Nerven gefallen wäre. Am 24. Oktober schrieb er an Marx nach Erledigung einer geschäftlichen Angelegenheit:

Gern möchte ich einmal die quaestio vexata (die verflixte Frage) mit Dir erörtern. Ich habe merkwürdige Erfahrungen gemacht und glaube fast (trotz meiner eingewurzelten Narrheit, Menschen und Dinge meist von der besseren Seite aufzufassen), dass Du in Deiner mir damals geäußerten Meinung recht hast. Ist dem wirklich so, so habe ich wenigstens die Genugtuung, durch meine Anwesenheit und das eine Zeichen meiner Beteiligung mehr zur Durchkreuzung gewisser Absichten beigetragen zu haben, als wenn ich mich ferngehalten hätte."

An diesem selben Tage fand nun aber die Augsburger Gerichtsverhandlung in Sachen Vogts gegen die „Allgemeine Zeitung" statt und beschwor einen neuen Konflikt herauf. Obgleich Vogt mit seiner Klage abgewiesen und in sämtliche Kosten verfällt wurde, ging er doch als Sieger aus dem gerichtlichen Streite hervor. Schon das Urteil selbst gereichte ihm zum Triumph, denn es trug den Stempel der nackten Rechtsverweigerung an der Stirn. Vogt sollte sich nämlich in der zuständigen Instanz geirrt haben und wurde an das Schwurgericht verwiesen, wo ein Wahrheitsbeweis unzulässig, aber eine Freisprechung der angeklagten Redaktion mit aller Sicherheit zu erwarten war. Das Bezirksgericht flüchtete sich hinter diesen formalen Vorwand, da es selbst die Freisprechung nicht riskierte, nachdem die angeklagten Redakteure mit ihren Beweisen für Vogts Bestechlichkeit gänzlich ausgefallen waren. Sie hatten nichts zu produzieren als das von Marx eingesandte Zeugnis des Setzers Vögele, wonach Blind der eigentliche Ankläger Vogts sein sollte. Damit war aber um so weniger bewiesen, als Blind auf Tod und Leben bestritt, das vielberufene Flugblatt verfasst zu haben.

Ein noch größerer Triumph für Vogt war die überaus blamable Verteidigung der angeklagten Redakteure Kolb und Orges. Sie plädierten, Kolb in einem Schriftsatz und Orges in einer Rede, ganz wacker den Satz, dass die persönliche Ehre eines politischen Gegners vogelfrei sei; wie könne Vogt von den Gerichten des bayerischen Staates, den er mit Schmähungen übergossen habe, eine Sühne seiner angeblich verletzten Ehre verlangen? Ein Londoner Flugblatt, anscheinend von Blind verfasst, habe die ersten Angriffe gegen Vogt gerichtet, danach das „Volk", an dem Marx und Freiligrath mitarbeiteten; es seien also Demokraten vom reinsten Wasser, Blind, Marx, Freiligrath, die als Gleiche den Reichsverrat Vogts gerichtet hätten. Kolb speziell schloss dann sein unglaubliches Kauderwelsch mit der Versicherung, dass seine Verurteilung einen wahren Jubel in der sozialistisch-demokratischen Partei Deutschlands erregen werde, die vor elf Jahren die Morgenträume ihrer Freiheit durch den Mord der Generale Latour, Gagern und Auerswald sowie des Fürsten Lichnowsky eingeweiht habe. Mit alledem aber noch nicht genug, fügte die „Allgemeine Zeitung" ihrem Prozessbericht noch eine Bemerkung hinzu, worin sie sagte, dass sie die näheren Sozialgrundsätze deutscher Flüchtlinge in London nicht kenne, aber sie alle der Lüge und Erfindung zu zeihen nehme sich etwas seltsam aus. Übrigens sei aus alter Zeit bekannt, dass Marx ein konsequenterer und schärferer Denker sei als Vogt und dass Freiligrath diesem namentlich an politischer Sittlichkeit überlegen sei.

So wurde Freiligrath in diese Sache gezogen, um die er sich bis dahin nicht gekümmert hatte und um die sich zu kümmern er weder moralisch noch politisch verpflichtet war. Man muss dies mit aller Schärfe betonen, um ihm gerecht zu werden. Da Vogt zu den Intimen Fazys gehörte, von dem Freiligraths Stellung an der Schweizer Bank abhängig war, so hätte Freiligrath seine Stellung vielleicht gefährdet, wenn er gegen Vogt aufgetreten wäre. Aber es ist klar, dass dieser Gesichtspunkt erst dann gegen Freiligrath geltend gemacht werden könnte, wenn er irgendeine Verpflichtung gehabt hätte, gegen Vogt aufzutreten. Eine solche Verpflichtung bestand für Freiligrath nicht; es war sein gutes Recht, sich nicht mit einer Sache zu befassen, die nach dem Verlauf des Augsburger Prozesses noch viel fataler erschien als schon vorher. Wohl aber war es nicht nur sein Recht, sondern auch seine Pflicht, gegen Kolb aufzutreten, denn welcher Mann von Charakter lässt wehrlos über seinen Namen disponieren, namentlich unter so kompromittierenden Begleitumständen, wie die waren, unter denen Kolb über den Namen Freiligraths verfügt hatte? Als daher die Augsburger Prozessberichte in London eintrafen, sandte Freiligrath am 5. November eine kurze Erklärung an die „Allgemeine Zeitung", die wörtlich lautete: „In bezug auf einige Behauptungen in der Kolbschen Verteidigungsschrift erkläre ich hiermit, dass ich niemals Mitarbeiter der Zeitung ,Das Volk' gewesen bin. Ebenso dass mein Name ohne mein Wissen und Wollen unter die der Ankläger wider Karl Vogt aufgenommen worden ist."

Fünf Tage darauf fand das Schillerfest der Londoner Deutschen im Kristallpalast statt. Freiligrath beteiligte sich daran mit gemischten Gefühlen, wie aus zwei Briefen hervorgeht, die Buchner in seinem Werke mitgeteilt hat. Am 30. November schrieb Freiligrath an einen Freund: „Dieses Schillerfest war doch wirklich einmal etwas, was einem das Herz hob und rascher schlagen machte! An dem Tage waren wir doch wahrhaftig einig! Die 20.000 Menschen hier im Kristallpalast, versammelt zu Ehren des einen großen guten Mannes, waren auch eine glänzende Kundgebung. Ich war dort mit allen den Meinen – mit Kind und Kegel –, auch der Kleinste soll des Tages sich erinnern, wenn er einmal ein Mann sein wird!" Bedeutend kühler aber lautet es in einem vier Tage später an einen anderen Freund geschriebenen Briefe: „Von unserer Schillerfeier will ich nicht viel mehr reden. Sie war imposant durch die massenhafte Beteiligung des Publikums – davon abgesehen blieb allerdings noch manches zu wünschen übrig. An allerlei kleinlichen Intrigen im Schoße des Komitees hat's auch nicht gefehlt."

Für Freiligrath selbst hatte das Fest noch ein unerfreuliches Nachspiel. Der „Morning Advertiser" brachte am 11. November einen Festbericht, der sich sehr begeistert über die Festrede Kinkels ausließ und diesen als einen ausgezeichneten Mann in der deutschen Poesie feierte, dann aber trocken fortfuhr, nach der Festrede sei eine Komposition vorgetragen worden, Text von F. Freiligrath, Musik von E. Pauer; der musikalische Teil habe zu wünschen übriggelassen, doch „die Poesie stand über der Mittelmäßigkeit". Verfasser dieses liebenswürdigen Berichtes war Karl Blind; darauf wies Marx in einem – nicht erhaltenen – Briefe hin, worin er von Freiligrath ein Exemplar der Kinkelschen Festrede erbat. Freiligrath antwortete am 17. November so:

Ich besitze leider kein einziges Exemplar der Rede, sonst stände es mit Vergnügen zu Diensten. Blind will an jenem boshaften above mediocrity unschuldig sein. Der Artikel, im Kristallpalast auf Wunsch des anwesenden Editors des ,Morning Advertiser' mit Bleistift geschrieben, ist allerdings von ihm, er behauptet jedoch, dass die Stelle über mich (die er in einer späteren Nummer nachträglich unverstümmelt gebracht hat) böswillig verändert worden sei. Von wem oder auf wessen Einflüsterung, weiß er nicht, will aber nachforschen. Er hat Verdacht auf jemanden, der ihn während des Schreibens seiner Bleistiftzeilen umschlichen und wahrscheinlich nachher dem Editor einen Floh ins Ohr gesetzt hat. Er gibt mir eine Personalbeschreibung des fraglichen Individuums und bemerkt dazu, dass selbiges auf Urquhartmeetings häufig in Deiner Nähe bemerkt worden sei. Mir liegt natürlich nichts an der Sache. Ich habe vor dem Feste so viel von den Süßigkeiten der kleinlichsten Intrigen kosten müssen, dass mich wahrlich nicht danach verlangt, sie nach dem Feste noch einmal in zweiter, veränderter Auflage zu genießen.

Hast Du Herrn Betas Betisen in Nr. 43 der ,Gartenlaube' gelesen?"

Sieht man zunächst von dem Schlusssatz ab, so musste Marx durch diesen Brief schwer gekränkt werden.9 Er hatte Blind nicht aus Klatschsucht bei Freiligrath denunziert, sondern er war, wie sich noch zeigen wird, durch sehr triftige Gründe veranlasst, Freiligrath auf die Intrigen Blinds aufmerksam zu machen. Indem Freiligrath in einer zweideutigen Weise, die sonst gar nicht in seiner Art lag, die Räubergeschichte Blinds von dem umherschleichenden Individuum wiederholte, beschuldigte er Marx in kaum noch verhüllter Weise, eine Intrige zur Verdächtigung Blinds angezettelt zu haben. Im übrigen war auch nicht richtig, dass Blind die „böswillig veränderte" Stelle „nachträglich unverstümmelt" im „Morning Advertiser" veröffentlicht habe. Vielmehr brachte die Nummer dieses Blattes vom 14. November neben einer neuen Lobhudelei Kinkels auch eine Apologie Freiligraths. Und das mag Blind „nachträglich" allerdings für ratsam gehalten haben, da sich ein gefährliches Gewitter über seinem Kopfe zusammenzog.

Was nun aber die „Betisen des Herrn Beta" anbetrifft, so bestanden sie in einem Artikel der „Gartenlaube", der „eine Lebensskizze Freiligraths mit Porträt" enthalten sollte. Der Generaladjutant Kinkels verherrlichte darin den Dichter ganz in dem Bombaststil literarischer Zeilenschinderei, fügte jedoch mitten in das süßliche Gesalbader eine Schimpferei hinein, die in plumpster Weise zwischen Freiligrath und Marx zu hetzen versuchte.+

Inzwischen hatte die „Allgemeine Zeitung" die Erklärung Freiligraths vom 5. November aufgenommen: mit einer Note Kolbs, worin der Londoner Korrespondent, das heißt Liebknecht, aufgefordert wurde, sich zu rechtfertigen, weil er der Redaktion am 12. September geschrieben habe: „Bringt Vogt, wozu er moralisch gezwungen ist, seinen Prozess vor die Londoner Gerichte, so werden Marx und Freiligrath gleich mir als Zeugen auftreten." Liebknecht erklärte darauf am 15. November, er habe Freiligrath nicht als Ankläger Vogts genannt, sondern nur erklärt, Freiligrath könne bezeugen, dass Blind im Privatgespräch ähnliche Anklagen gegen Vogt erhoben habe, wie sie das Flugblatt enthalte. Um diese Aussagen Blinds festzustellen, werde Freiligrath als Zeuge vorgeladen werden, falls Vogt sich entschließe, den Prozess nach London hinüberzuspielen. Dazu machte die Redaktion wieder eine Anmerkung, indem sie sagte, in einem anderen Briefe aus London heiße es, Freiligrath habe allerdings nicht am „Volk" mitgearbeitet, aber auch nicht protestiert, als das „Volk" im Juni seine Mitarbeit angekündigt habe.

Nicht erst diese Erklärung Liebknechts, sondern schon die Anmerkung Kolbs zu der Erklärung Freiligraths scheint briefliche Auseinandersetzungen zwischen Freiligrath und Liebknecht veranlasst zu haben. Doch sind diese Briefe verloren, und man kann auf ihren Inhalt nur schließen aus dem Briefwechsel zwischen Freiligrath und Marx. Marx schrieb am 23. November an Freiligrath:

Lieber Freiligrath, Ich erhalte eben Abschrift Deines Briefs an Liebknecht, worin folgender Passus: ,Ich habe von Vogt nur einen Brief in Händen, datiert vom 1. April 1859. Dieser Brief, wie Marx mir noch am vorigen Samstag zugab, enthält auch nicht eine einzige Silbe, auf die sich eine Anklage gegen Vogt gründen ließe'

Da Genauigkeit in Dingen dieser Art gut, muss ich einen förmlichen Protest gegen diese Stelle zu Protokoll geben. Erstens habe ich Nichts zugegeben. Zugeben (concedere) unterstellt Debatte, worin von einer ursprünglich aufgestellten Behauptung zurückgewichen und eine gegnerisch aufgestellte Ansicht angenommen wird. Nichts der Art fiel zwischen uns vor. Von mir ging die Initiative aus. Ich erzählte Dir, ich gab Dir nichts zu. Die Sache war die:

Ich erinnerte, dass Du selbst Herr Blind gefragt, ob er Verfasser des anonymen Pamphlets sei, da seine mündliche Erzählung in Ton und Inhalt ganz mit dem Flugblatt zusammenfiel. Ich betonte, dass ich vor der Zusammenkunft mit Herrn Blind, auf dem Urquhartmeeting vom 9ten Mai, von Vogts Tätigkeit in der italienischen Wirre nichts kannte, gar nichts außer seinem Brief an Dich. Ich rief Dir ins Gedächtnis, dass ich an dem Abend, wo Du mir diesen Brief mitteiltest, nicht im Entferntesten daran dachte, aus diesem Brief auf Vogts Bestechung u. dgl. zu schließen. Ich fand in dem Brief nur seine mir keineswegs befremdliche liberal-flache Kannegießerei. Ich hob das alles hervor, um – à tout seigneur taut honneur zu geben – Herrn Blind sein Verdienst in der Entdeckung von Vogts Landesverrat in keiner Weise zu schmälern.

Zweitens aber ist es mir nicht eingefallen zu sagen, dass ,Vogts Brief auch nicht eine einzige Silbe enthält, auf die sich eine Anklage gegen Vogt gründen ließe'. Ich habe nur gesagt, dass mir nach dem Durchlesen des Briefs nicht einfiel, solche Konsequenz zu ziehn. Der subjektive Eindruck aber, den der Brief unmittelbar auf mich machte, ist himmelweit verschieden von einem objektiven Urteil über den Inhalt des Briefs oder gar über die Konjekturen, die sich darüber aufstellen ließen. Zu einer kritischen Untersuchung des Briefs, nötig zu solch objektivem Urteil, hatte ich nie weder den Anlass noch die Gelegenheit. Dass Herr Blind z. B. die an Dich, ihn usw. gerichteten Briefe Vogts anders auslegte, ist und war Dir bekannt. In seinem Artikel in der ,Free Press' (27. Mai) sind diese Briefe z. B. ausdrücklich erwähnt als corpora delicti, wenn auch keine Namen angegeben sind. Dasselbe ist wieder der Fall in seiner A[ugsburger] ,A[llgemeinen] Z[eitung] '-Erklärung.

Von Herrn Vogt komme ich nun zu Herrn Beta, dessen Nr. 43 ich mir infolge Deines Briefs gekauft habe. Nach Durchlesung des opus beschloss ich, dasselbe zu tun, was ich seit 10 Jahren getan, derartiges Zeug zu ignorieren. Ich erhalte aber heute von zwei mir sehr nahestehenden Freunden (außerhalb London) die dringende Aufforderung, im Interesse der Partei eine Erklärung zu machen. Ich werde mir das Pro und Contra erst einmal 24 Stunden überlegen. Sollte ich nach reiflicher Überlegung sprechen, so wird meine Erklärung wesentlich folgendes enthalten:

Wolle man mir fälschlich irgendeinen Einfluss auf Dich zuschreiben, so könne dieser doch höchstens in die kurze Epoche der ,N[euen] Rheinischen] Z[eitung]' fallen, wo Du sehr famose und sicher Deine populärsten Gedichte gemacht.

In wenigen Sätzen eine biographische Skizze des Herrn Betziege, alias Hans Beta, von der Zeit, wo er in Berlin ein theatralisches Chantageblatt schrieb, … über seine spätere Leipziger Tätigkeit, als er gleichzeitig mich in der ,Gartenlaube' verleumdete, … und meine Pamphlete gegen Palmerston sich aneignete, bis zur Gegenwart, wo er als Gottfried Kinkels factotum fungiert. Es wäre vielleicht nützlich, dem deutschen Publikum zu zeigen, welch lumpenproletarische Halunkenbande in diesem Augenblick am lautesten quäkt in dem faulen Sumpf der deutschen Tagesliteratur.

Zwei Briefe von Heine an mich, wonach das Publikum zwischen der Kompetenz Heine und der Kompetenz Beta entscheiden mag.

Schließlich ein paar Briefe von Johann Kinkel und Johanna Kinkel an mich zur Zeit der ,N. Rh. Z.'. Durch letztre würde ich den melodramatischen Pfaffen von dem hohen Gaul werfen, den dieser Pater Brey (dahin ist die von Dir akzeptierte Goethische Leseart zu emendieren) mir gegenüber in der für ihn charakteristischen Arena einer ,Gartenlaube' zureitet.

Ich teile Dir das alles mit, damit, sollte ich mich zu einer Erklärung entschließen, Du, wie es zwischen Freunden passt, im Voraus davon unterrichtet bist.

Was Liebknecht angeht, so sucht Kolb offenbar vor Cotta sich zu rechtfertigen, indem er den Liebknecht, auf Grund Deines Briefs, für sein eignes, nicht Liebknechts, quid pro quo, als Sündenbock abschlachtet. Peccant reges, plectuntur Archivi, bleibt stets wahr.

Um jedes Missverständnis abzuschneiden, habe ich dem Liebknecht eine Abschrift der auf die Affäre Vogt bezüglichen Passagen dieses meines Briefs gleichzeitig mit diesen Zeilen an Dich expediert.

Dein K. M."10

Darauf antwortete Freiligrath am 28. November:

Lieber Marx! Deinen Brief vom 23. d. M. und den Liebknechts vom nämlichen Tage habe ich erhalten und beantworte beide, zur Vereinfachung der Sache, hiermit an Dich.

Was Liebknechts Brief betrifft, so hat mich derselbe weder durch seinen anmaßenden und naseweisen Ton noch durch seinen Inhalt – den missglückten Versuch, den Spieß umzudrehen – überraschen können! Sehr schön, in der Tat: der Londoner || Korrespondent der ,Augsburger Allgemeinen Zeitung' kann meinen Namen ad libitum, und ohne mich vorher davon zu benachrichtigen, zur Verfügung des Herrn Kolb stellen; ich aber, wenn ich gegen diesen Missbrauch protestiere, habe deswegen erst schuldige Anzeige zu machen!! Die Argumentation Liebknechts zugunsten dieser sauberen Doktrin ist so schülerhaft, dass sie einer eigentlichen Widerlegung meinerseits nicht bedarf. Ich bemerke dazu nur einfach: dass ich unter keinen Umständen und aus keinerlei persönlichen oder Parteirücksichten Willkürlichkeiten dieses Schlages mir gefallen lasse.

Soweit von und für Liebknecht! Und nun zu Deinem Briefe: Deinen Protest gegen den in meinem Briefe an Liebknecht (vom 21. November) vorkommenden Ausdruck ,zugab' lasse ich mit Vergnügen gelten. Ich lege keinen Wert auf jenen Ausdruck. Es versteckte sich dahinter keine Intention irgendwelcher Art, und ich hätte ebenso gut ,bemerkte' oder ,äußerte' sagen können. Also das ,zugab' sei Dir ohne Widerspruch zugegeben. Waren wir beide von vornherein der nämlichen Ansicht, um so besser!

Mit Deiner Erklärung gegen Beta musst Du es natürlich ganz nach Deinem Ermessen halten. Obgleich ich meine, Dein erster Impuls, die Sache zu ignorieren, sei der bessere und Deiner würdigere gewesen! Du wirst nun, da die zweimal 24 Stunden Überlegungszeit mehr als um sind, Deinen Entschluss gefasst haben. So oder so, mir ganz gleichgültig! Die Veröffentlichung der Heineschen Briefe an Dich wird eventuell gewiss von Interesse sein – nur sehe ich nicht ein, was sie bei dieser Gelegenheit sollen, es sei denn, dass Du sie als Atteste nötig zu haben glaubst. So wird man die Sache wenigstens auffassen.

Dass Du, ,wie es zwischen Freunden passt', mich vor Deiner Erklärung gegen Beta im voraus hast unterrichten wollen, ist sehr dankenswert. Übrigens, soviel ich verstehe, sollte Deine Erklärung gegen Beta, nicht gegen mich gerichtet sein, und hätte es darum der vorherigen Mitteilung Deiner Absicht kaum bedurft.

Jedenfalls will ich, en revanche, nicht unerwähnt lassen, dass ich wahrscheinlich auch noch eine Erklärung veröffentliche, worin ich wiederholt und ein für allemal die Hereinbeziehung meines Namens in diese Angelegenheit mir verbitte. Dein F. Freiligrath."

Aus beiden Briefen spricht eine gereizte Stimmung, die sich bei Freiligrath leicht erklärt. Er war mit Recht unwillig darüber, dass Kolb ihn in unrichtiger Weise und unter kompromittierlichen Nebenumständen in den Streit gezogen hatte. Nun ersah er aus Kolbs Anmerkung zu seiner Erklärung vom 5. November, dass Liebknecht den ersten Anstoß dazu gegeben hatte, seinen Namen in die Sache zu verwickeln, und zwar mit einer Redewendung, die immerhin von Kolb leicht missbraucht werden konnte. Ein entschuldigendes oder erklärendes Wort Liebknechts wäre deshalb gegenüber Freiligrath wohl am Platze gewesen. Wenn Liebknecht statt dessen beanspruchte, Freiligrath hätte, ehe er seine Erklärung gegen Kolb erließ, vielmehr bei ihm anfragen müssen, so musste Freiligraths Unwille nur noch gesteigert werden.

Der Brief, den Marx an Freiligrath richtete, ist nun, wie namentlich der Schlusssatz ergibt, eine Hilfsaktion für Liebknecht. Aber dieser Brief taugte wenig dazu, die verfahrene Sache ins Geleise zu bringen. Der Streit um das „Zugeben" war schließlich ein Streit um Worte11, und der schweren Artillerie, die Marx gegen Beta auffuhr, war leicht abzusehen, dass sie nicht gegen diesen schließlich doch sehr nebensächlichen Patron gerichtet war, sondern den Anspruch Liebknechts auf vorherige Mitteilung der von Freiligrath gegen Kolb gerichteten Erklärung unterstützen sollte. So fasste sie Freiligrath auf und beseitigte sie in einer spöttischen Weise, die denn auch nicht dazu geeignet war, die erzürnten Gemüter zu besänftigen.

Die Erklärung, die Freiligrath am Schlusse seines Briefes ankündigte, erschien am 11. Dezember in der Augsburger Zeitung. Sie protestierte wiederholt und ein für allemal gegen den Missbrauch seines Namens, speziell gegen jede Hereinziehung dieses Namens in die Vogtsche Sache, und setzte der Notiz über seine passive Mitarbeiterschaft am „Volk" „nur den gelassensten passiven Widerstand" entgegen. Unglücklicherweise veröffentlichte sie Kolb gemeinsam mit einer gleichzeitig eingelaufenen Reklamation Blinds, so dass der falsche Schein einer Kooperation zwischen Blind und Freiligrath entstand.

Aufgescheucht durch das Zeugnis des Setzers Vögele, das Marx der Augsburgerin eingesandt hatte, war Blind bereits am 3. November mit einer ersten Reklamation hervorgetreten. Darin erklärte er, dass er und seine Freunde von der republikanischen Partei die Handlungsweise Vogts unbedingt verurteilen müssten, bestätigte auch die Geldanerbietungen, die Vogt an Londoner Deutsche gemacht habe, aber bestritt nach wie vor, der Verfasser des Flugblatts zu sein, und sandte zwei Erklärungen ein, um seine Ableugnung zu erhärten: eine von Fidelio Hollinger, der die Behauptung des Setzers Vögele, als sei das Flugblatt in Hollingers Druckerei gedruckt worden oder als sei Blind der Verfasser des Flugblatts, als eine „böswillige Erdichtung" zurückwies, und eine zweite von dem Setzer Wiehe, der seit elf Monaten von Hollinger beschäftigt sein wollte und dessen Angaben als richtig bestätigte. Darauf hatte Marx in einer vom 15. November datierten Erwiderung ausgeführt, weshalb Blind als Verfasser des Flugblatts gelten müsse, unter anderem, weil er den Inhalt des Flugblatts schon vorher vor dessen Druck ihm und anderen, zum Beispiel Freiligrath, erzählt habe. Und hierauf antwortete nun wieder Blind in der Erklärung, die gemeinsam mit Freiligraths zweiter Erklärung erschien, indem er Marx der „platten Unwahrheit" zieh, unter nochmaliger Berufung auf Hollinger und Wiehe.

Nach der Aufnahme dieser Erklärung schloss die „Allgemeine Zeitung" die Diskussion mit einer ziemlich schnöden Bemerkung über die „betreffenden Herren", zu der die würdigen Männer Kolb und Orges das allergeringste Recht hatten. Sie hatten vorher schon eine Erklärung abgelehnt, die Marx ihnen am 7. November zusandte. Sie erschien dann in der Hamburger „Reform" und ist bemerkenswert, weil Marx in ihr sagte: „Entweder er hat wissentlich gelogen. Dies glaube ich nicht von Karl Blind. Oder er hat sich später überzeugt, dass die Data, die ihn zum Druck des Flugblattes berechtigten, falsch waren. Dann schuldet er um so mehr eine Erklärung. Oder endlich, er hat die Beweise in seiner Hand, wünscht aber aus Privatrücksichten die ganze Angelegenheit zu vertuschen und trägt mit großmütiger Resignation die faulen Eier, die auf mich, nicht auf ihn geworfen werden."12 Marx hat immer gemeint, dass von diesen drei Fällen der letzte vorliege.

Soweit sich heute jedoch noch die Sache überblicken lässt, hat Blind die Einzelheiten über Vogts Verrat aus den Fingern gesogen und sie, ohne sich viel dabei zu denken, in seiner wichtigtuerischen Art herum geklatscht. Als dann die Sache brenzlig wurde, hat er sich aufs Leugnen gelegt und sich dabei immer tiefer verstrickt. Schöner wird sein Verhalten dadurch freilich nicht.

Auf den Brief Freiligraths vom 28. November antwortete Marx umgehend:

Lieber F[reiligrath], Weder bin ich Liebknechts Briefsteller noch sein Attorney. Indes werde ich ihm Abschrift des auf ihn bezüglichen Teils Deines Briefes zustellen. Die einen Augenblick beabsichtigte Erklärung habe ich unterlassen, eingedenk des ,Odi profanum vulgus et arceo'.

Die Erklärung war allerdings gegen Beta, aber eben deshalb unvermeidlich, wie Du aus dem summary ersehn, zugleich über Dich. Schon deshalb gab ich Dir Notiz davon, von der Intimität abgesehn, worin Deine und Betas Familien in seinem opusculum erscheinen.

Es ist Dir unangenehm, Deinen Namen in der Vogtschen Angelegenheit eingemischt zu sehn. Ich frage den Teufel nach Vogt und seinen infamen Lügen im Bieler ,Handels-Courier', aber ich will meinen Namen nicht als Maske für demokratische Schlauköpfe hergeben. Ist jemand gezwungen, Zeugen aufzurufen, so weißt Du, dass kein andrer sich ,verbitten' kann, als Zeuge zitiert zu werden. Nach älterm englischen Rechtsuse konnten restive witnesses – horribile dictu – sogar zu Tod gepresst werden.

Was schließlich Parteirücksichten betrifft, so bin ich gewohnt, in der Presse für die ganze Partei mit Kot beworfen zu werden und meine Privatinteressen beständig von Parteirücksichten beschädigt zu sehn, andrerseits ebenso gewohnt, auf keine Privatrücksichten gegen mich zu rechnen.

Salut. Dein K. M."13

Auf diesen Brief hat Freiligrath nicht unmittelbar geantwortet, doch beschwerte er sich am 10. Januar 1860 in einem Briefe an Marx darüber, dass ein gewisser Reiff, der im Kölner Kommunistenprozess mit angeklagt, aber nicht verurteilt worden war, sich ungehindert unter den deutschen Kommunisten in London bewege, obgleich er aus Deutschland steckbrieflich wegen Unzucht verfolgt werde. Freiligrath erklärte, dass er abwarten wolle, wie sich die Partei zu diesem Schmutz stelle; er selbst habe dem Reiff sein Haus verboten.

Eine Antwort von Marx auf diesen Brief mit seiner unverkennbar gereizten Stimmung hat sich nicht erhalten, falls sie überhaupt erfolgt sein sollte.14

1 Die Stellungnahme von Marx und Engels war weitaus schärfer, als Mehring das hier darstellt. In einem Brief von Marx an Engels vom 11. Dezember 1858 heißt es: „Einliegend Kinkeliana. Freiligrath scheint zu glauben, dass, weil Gattin Kinkel den Hals gebrochen hat, Gatte Kinkel ein großer Mann geworden ist oder wenigstens ein edler. Kinkel hatte das Begräbnis so melodramatisch organisiert - mit der ,zitternden Hand' und dem ,Lorbeerkranz' etc. –, dass Freiligrath, der keinen Ton des Schmerzes in seiner Leier finden konnte, bei den ,tragischen' Ereignissen, sei es in der eignen Partei (wie Daniels' Tod), sei es in der Welt generally (Cayenne, Orsini and so forth), plötzlich den elenden Humbug ansingt." (In: Marx/Engels: Werke, Bd. 29, S. 373.)

2 Auf diesen Brief Freiligraths nehmen folgende Briefe von Marx und Engels Bezug: Engels an Ferdinand Freiligrath, 25. Januar 1859. Engels an Marx, 27. Januar 1859. Marx an Joseph Weydemeyer, 1. Februar 1859. Marx an Engels, 15. Februar 1859. In: Ebenda, S. 568/569, 388/389, 571/572 u. 397/398.

3 Siehe Marx an Ferdinand Freiligrath, 23. November 1859. In: Ebenda, S. 632.

4 Davon kann keine Rede sein. Das weisen nicht nur die vorgenannten Briefe (Anmerkung 125) aus, sondern auch ein Brief Marx' an Engels vom 7. Juni 1859. Dort heißt es: „Ad vocem Freiligrath. Unter uns gesagt, ein Scheißkerl. Jetzt wo er sieht, dass die Dinge revolutionären Turn nehmen (Du hast doch gehört von dem Arbeiterriot in Berlin) und Kinkel disrespectable wird, schimpft er auf ihn." In der neuesten Ausgabe seiner gesammelten Werke hatte Freiligrath sein Gedicht gegen Kinkel unterdrückt und das Gedicht auf Johanna Mockel aufgenommen.
Marx kommentierte: „Dies ist säuisch, und ich habe seine Entschuldigungen darüber mit sehr skeptischer Miene angehört. Der Teufel soll diese Sängerzunft holen." (In: Marx/Engels: Werke, Bd. 29, S. 448/449.)

5 Eine dokumentarische Darstellung der Vorgänge um die Schiller-Feste in London und Manchester findet sich in dem Aufsatz von F. P. Schiller: Friedrich Engels und die Schiller-Anstalt in Manchester. In: Der Menschheit Würde – Dokumente zum Schiller-Bild der deutschen Arbeiterklasse, Weimar 1959, S. 329-337.

6 Dieser Vergleich forderte den grimmigen Spott von Marx und Engels heraus. Siehe Marx an Engels, 3. November 1859. Engels an Jenny Marx, 5. November 1859. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 29, S. 499-501 u. 616/617.

* ** Im Festkomitee selbst hat Alberts allerdings nicht gesessen, wohl aber M. Schlesinger, der als Herausgeber einer Korrespondenz für deutsche Zeitungen nahe Beziehungen zur preußischen Gesandtschaft hatte. Sonst gehörten zu den Mitgliedern des Komitees Kinkel, Ronge und Gerstenberg, ein steinreicher Bankier und alter Schulfreund Lassalles, aber nunmehriger Gönner Kinkels. Der Rest bestand aus politisch unbekannten Namen, anscheinend deutschen Geschäftsleuten in London. Ich benutze die Gelegenheit, um dem Genossen Rjasanow meinen herzlichen Dank dafür auszusprechen, dass er auf meinen Wunsch den „Hermann", den „Morning Advertiser" und andere Londoner Blätter im Britischen Museum durchmustert und mir eine Reihe wertvoller Notizen über die Vorgänge bei der damaligen Schillerfeier in London mitgeteilt hat.

7 Darüber existieren zwei Briefe von Engels. Im Brief an Marx vom 4. November 1859 heißt es: „Der Freiligrath verdient wirklich einmal eine ernste Züchtigung, und ich hoffe, dass, ehe die Schillerschmiere vorbei ist (oder ihre Nachwehen), sich eine Gelegenheit dazu findet. Diese Poeteneitelkeit und Literatenzudringlichkeit, verbunden mit Pantoffelkriecherei, ist wirklich zu arg, und dabei schreibt ihm die ,Augsburger' politische Tugend zu!" (In: Marx/Engels: Werke, Bd. 29, S. 502.) - Siehe auch den Brief an Jenny Marx, 5. November 1859. In: Ebenda, S. 616/617.

8 Siehe dazu den Brief Engels' an Marx vom 17. November 1859. In: Ebenda, S. 508/509.

9 Marx war in der Tat auf das höchste empört. Siehe dazu Marx an Engels, 19. November 1859. In: Ebenda, S. 510-514. Aus dem Brief gehen auch klar die Gründe hervor, die Marx bewogen, gegen „die Gemeinheiten" Freiligraths nicht öffentlich aufzutreten.

+ Die Stelle, um die es sich handelt, lautet in dem Artikel Betas: „Freiligrath beteiligte sich hierauf an der ,Neuen Rheinischen Zeitung' des Dr. Karl Marx, des Meisters in Erregung und Verbreitung grimmigen Abscheus vor Demokratie, die er in wahnsinnigster kommunistischer Verirrung und in giftspritzendem Hasse gegen alle, auch demokratische Nichtkommunisten, giftig und geistreich zu vertreten suchte. Wir können mit unserer heiligen Verehrung des Dichters keine Abgötterei verbinden. Deshalb muss es hier gesagt werden, dass Freiligrath unter dem Einfluss dieses unglückseligen Virtuosen des Hasses, der viel Geistreiches, aber nie einen edlen Gedanken geschrieben, seine Stimme, seine Freiheit, seine Charakterstärke verlor. Seitdem Karl Marx ihn angehaucht, sang Freiligrath nicht oft mehr." Man würde übrigens irren, wenn man annehmen wollte, dass dieser würdige Mann damit schon die pöbelhafte Gesinnung erschöpft hätte, die ihm eigen war. Als ein Jahr später Marx seine Schrift gegen Vogt veröffentlicht hatte, die selbst seinen ärgsten Feinden, sofern sie nur noch einen Funken von Ehrlichkeit besaßen, beschämtes Schweigen auferlegte, schrieb der edle Beta im „Magazin für Literatur des Auslandes" darüber: „Zehn Jahre lang scheint dieser Herr Karl Marx gearbeitet und geschlichen und Briefe erwischt und kopiert zu haben, um auf eigene Rechnung und zum eigenen Vergnügen endlich als der erste unter allen Vidocqs und Stiebers auftreten zu können … Herr Marx ist ein Meister in konstruktiver Denunziation. Vidocq, Ohm, Stieber usw. sind Lämmer dagegen. Viele werden durch diesen aufgewühlten Schmutz mit Vergnügen waten, denn es ist meisterhafte Kalumnie, aber um Vorsicht bitten wir die Leser. Es gibt in der Affenwildnis boshafte Paviane, die in Ermangelung anderer Waffen sich des Unrats bedienen und damit Freunde und Feinde bombardieren. Man nehme sich in acht usw." Mit solchem Gesindel musste sich Marx herumschlagen! [Siehe ebenda.]

10 Ebenda, S. 632-634.

11 Mehring unterschätzt hier die außerordentliche politische Bedeutung, die die ganze Affäre um Vogt, die zu Marx' glänzender Streitschrift „Herr Vogt" führte, besaß.

13 Marx an Ferdinand Freiligrath, 28. November 1859. In: Ebenda, Bd. 29, S. 635.

14 Marx nahm zu diesem Schreiben Freiligraths in einem sehr scharfen Urteil gegenüber Engels Stellung: „Der obige Brief F[reiligrath]s ist alles, was ich von dem Teutonen seit der großen Retirade vernommen. Wie lächerlich ist dieser Brief wieder. Wie grotesk die grandeur, worunter sich das bepisste Pudelbewusstsein verstecken tut." (Marx an Engels, 11. Januar 1860. In: Ebenda, Bd. 30, S. 5/6.)

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