VI

VI

Ein neuer Zusammenstoß ergab sich, als Vogt im Januar 1860 eine Schrift über seinen Prozess gegen die „Allgemeine Zeitung" herausgab.

Vogt glaubte die günstige Position, die ihm der Verlauf des Prozesses verschafft hatte, noch dadurch stärken zu sollen, dass er die abenteuerlichsten Erfindungen über die „Schwefelbande" verbreitete. Sie gipfelten darin, dass Marx das Haupt einer Bande sei, die Leute in Deutschland in geheime Verschwörungen verwickele, um dann unter der Drohung, sie der Polizei zu denunzieren, Geld von ihnen zu erpressen. Hunderte solcher Fälle sollen nach Vogt vorgekommen sein. Heute würde eine so blödsinnig-infame Verleumdung platt zu Boden fallen und höchstens den Reichsverband begeistern. Damals aber lag die Sache anders. Marx war dem deutschen Publikum seit zehn Jahren aus dem Gesicht verschwunden, und Vogt hatte seine Lügen raffiniert mit halbwahren Tatsachen verquickt, dass er im ersten Augenblick selbst Männer verblüffte, die sich sonst schwer verblüffen ließen, wie Lassalle, ja dass selbst im eigenen Hause von Marx heller Aufruhr entstand, als zunächst nicht die Schrift Vogts selbst, sondern Auszüge daraus, die die „Nationalzeitung" in zwei Leitartikeln veröffentlichte, Ende Januar 1860 in London eintrafen.

Ein unglücklicher Zufall fügte, dass mitten in der ersten Aufregung ein Brief an Marx aus Deutschland kam, worin gesagt war, außer den beiden Erklärungen Freiligraths veröffentliche Vogt auch noch einen Brief des Dichters, der dessen intime Beziehungen zu Vogt bekunde, wie denn Freiligraths Name der einzige von Bedeutung sei, aus dem Vogt politisches Kapital zu schlagen versuche. Dies unbekannte Klatschmaul hat aber, wie man sich heute noch aus Vogts Schrift überzeugen kann, arg übertrieben. Vogt spottet vielmehr darüber, dass sich Kolb mit der Angst der Verzweiflung an Freiligrath zu klammern suche; er selbst macht aber durchaus kein besonderes Wesen aus den Erklärungen Freiligraths und ebenso wenig aus den kurzen Begleitzeilen, mit denen ihm Freiligrath auf seinen Wunsch seinen Brief vom 1. April zurückgesandt hatte. Diese Zeilen bekunden weder ein intimes noch überhaupt ein persönliches Verhältnis Freiligraths zu Vogt. Freiligrath hatte einer einfachen Pflicht der Loyalität genügt, als er einen in gutem Glauben an ihn gerichteten Brief zurückgab, der dem Verfasser des Briefes zur Rechtfertigung gegen schwere und einstweilen unerwiesene Beschuldigungen dienen konnte.

Indessen in der frischen Empörung über Vogts Infamien war Marx leichtgläubiger, als er sonst zu sein pflegte. Es kam hinzu, dass er sich über den wirklichen Tatbestand zunächst nicht unterrichten konnte, weil Vogt dafür gesorgt hatte, dass sein Pamphlet möglichst spät nach England gelangte. Auf der Suche danach fragte Marx auch bei Freiligrath in dessen Geschäftsräumen an, jedoch mit der spitzen Bemerkung, Freiligrath werde von seinem Freunde Vogt sicher ein Exemplar erhalten haben. Begreiflich genug, dass sich Freiligrath dadurch verletzt fühlte; er antwortete kategorisch, dass weder Vogt sein Freund sei noch dass er ein Exemplar besitze. Zunächst räumte Marx sehr schnell mit Blind auf. In einem englischen an den Redakteur der „Free Press" gerichteten Rundschreiben erklärte er öffentlich die Behauptung Blinds, Wiehes und Hollingers, wonach das anonyme Flugblatt nicht in Hollingers Druckerei gesetzt sei, für eine „infame Lüge", und nachdem er sein Beweismaterial aufgestellt hatte, schloss er: „Folglich erkläre ich abermals den obengenannten Karl Blind für einen infamen Lügner. Bin ich im Unrecht, so kann er mich leicht durch einen Appell an einen englischen Gerichtshof widerlegen."1 Auf diesen Appell verzichtete Blind wohlweislich, dagegen ließ er ein langes Inserat in der „Allgemeinen Zeitung" los, worin er gegen Vogt scharf ins Zeug ging und – unter abermaliger Verleumdung des Flugblattes – ihn durch die Blume der Bestechlichkeit zieh.

Inzwischen hatte Marx schon zu einem zweiten vernichtenden Schlage gegen Blind ausgeholt. Am 8. Februar gab der Setzer Wiehe ein Affidavit ab (das heißt eine gerichtliche Erklärung an Eides Statt, die, wenn falsch, alle gesetzlichen Folgen des Meineids nach sich zieht), worin er nunmehr bestätigte, dass er selbst den Satz des Flugblatts in Hollingers Druckerei für den Wiederabdruck im „Volk" umbrochen, auch auf dem Korrekturbogen mehrere Druckfehler in Blinds Handschrift korrigiert gesehen habe und dass ihm sein früheres Zeugnis durch Hollinger und Blind abgelockt worden sei, von jenem durch Geldversprechungen, von diesem durch Zusicherung künftigen Dankes. Dies Affidavit Wiehes ließ Marx in verschiedenen Kreisen zirkulieren, worauf am 15. Februar im „Daily Telegraph", der inzwischen die Lügen der „Nationalzeitung" abgedruckt hatte, sich ein sicherer Karl Schaible als Verfasser des Flugblatts meldete. Schaible war ein badischer Flüchtling, der in Blinds staatsmännischen Operationen die Rolle des zahmen Elefanten zu spielen pflegte und sich auch diesmal seinem Herrn und Meister opferte durch die urkomische Erklärung, „von ihm unkontrollierbare Umstände" hätten ihn bisher gehindert, sich zu nennen, wie er es Herrn Marx und Herrn Blind schulde.

Damit war Blind abgetan. Schwieriger oder doch weitläufiger lag die Sache mit Vogt. Marx entschloss sich zu einer literarischen Widerlegung, die auch Lassalle für das Richtigste hielt. Aber sie erforderte eine Korrespondenz mit Personen, die zum Teil in außereuropäischen Ländern wohnten; sie musste sich also lange Monate hinziehen, wie sie in der Tat erst nach Jahresfrist erschien. Deshalb fasste Marx auch eine gerichtliche Prozedur gegen die „Nationalzeitung" ins Auge, obgleich Lassalle, der die preußische Justiz aus dem ff kannte, dringend abriet, und ebenso gegen den „Daily Telegraph", als dieser die Lügen des Berliner Blattes wiederholt hatte. Sowohl für die gerichtliche wie für die literarische Prozedur war jedoch ein Hineinziehen Freiligraths in die Sache nicht zu umgehen. Marx hatte ihm das Rundschreiben gegen Blind und darauf das Affidavit des Setzers Wiehe mit einigen Begleitzeilen übersandt, ohne dass jedoch Freiligrath geantwortet hätte.2 Nun richtete Marx aus Manchester, wo er mit Engels und Wolff beraten hatte, einen Brief an ihn, der wörtlich so lautete:

23. Feb. 1860. Manchester, 6, Thorncliffe Grove, Oxford Road Lieber Freiligrath, Ich schicke Dir einen abermaligen, und zwar letzten Brief in der Angelegenheit Vogt zu. Den Empfang meiner beiden ersten Zusendungen hast Du nicht einmal acknowledged, was Du jedem Philister gegenüber tun würdest. Ich kann mir unmöglich denken, Du bildetest Dir ein, ich wolle einen Brief von Dir auspressen zu öffentlichen Zwecken. Du weißt, dass ich wenigstens 200 Briefe von Dir besitze, worin hinlängliches Material, um nötigenfalls Dein Verhältnis zu mir und zur Partei zu konstatieren.

Ich schreibe Dir diesen Brief, weil Du als Poet, und zugleich von Geschäften überhäuft, Dich zu täuschen scheinst über die Tragweite der zu Berlin und London von mir geführten Prozesse. Sie sind entscheidend für die historische Vindikation der Partei und für ihre spätere Stellung in Deutschland; der Berliner Prozess um so mehr, als gleichzeitig der hauptsächlich um den Kölner Kommunistenprozess sich drehende Prozess Eichhoff-Stieber verhandelt wird.

Die grievances, die Du gegen mich etwa haben kannst, sind:

Ich habe Deinen Namen missbraucht (wie Du Faucher sagtest).

Die Art von ,Szene', die ich Dir in Deinem Office machte.

ad. 1. Ich selbst habe nie Deinen Namen genannt, außer dass ich in der A[ugsburger] ,A[llgemeinen] Z[eitung]' sagte, Blind habe Dir ungefähr dasselbe erzählt wie mir. Dies ist ein fact. Ich erkannte von vornherein die Wichtigkeit, auf den wahren Ursprung des Pamphlets hinzuweisen, und ich hatte das Recht, einen Zeugen über Blinds Aussage zu zitieren.

Was Liebknechts Brief an die Redaktion der A. ,A.Z.' betrifft, worin er sich auf Dich und mich beruft (mit Bezug auf Blind), so wird er nötigenfalls eidlich versichern, dass dies ohne mein Wissen geschah, ganz wie er ohne mein Wissen und während meiner Abwesenheit zu Manchester, der Augsb. ,Allg. Zeit.' das Flugblatt ,Zur Warnung' zuschickte. Als die A.,A.Z.' von Vogt verklagt, sich an ihn wandte, zweifelte er noch, ob ich ihn, wie ich konnte, desavouieren werde oder nicht, und war sogar erstaunt, als ich sofort erklärte, ich würde mein Bestes für ihn tun.

Dass ich ihn in Schutz nahm gegen Deinen Brief an ihn – in dem Briefe, den ich an Dich richtete – geschah einfach, weil es mir ungroßmütig von Dir schien, von einem Manne von Ruhm und bürgerlicher Position, in dieser rauen Form an ein namenloses und in einem Dachzimmer hausendes Mitglied der Partei zu schreiben, mit dem Du bis dahin kordial verkehrt hattest.

Was den gereizten Ton meines eignen Briefs betraf, so war er verschiednen Gründen geschuldet.

Einmal hatte es mich tief verletzt, dass Du dem Blind mehr zu glauben schienst als mir.

Zweitens, aus einem Brief, den Du mir betreffend des Morning Advertiser (Schillerfestartikel) in sehr gereiztem Ton schriebst, schien hervorzugehn, dass Du mich der Infamie fähig hieltst, nicht nur in Blinds Artikel eine Injurie heimlich gegen Dich einzuschmuggeln, sondern diese sogar dann wieder Dir gegenüber, als Blinds Machwerk zu denunzieren. Ich wüsste durchaus nicht, wodurch ich solch infamierenden Verdacht verdient hätte.

Drittens zeigtest Du meinen Privatbrief an Dich dem Blind.

Endlich hatte ich wohl das Recht zu erwarten, namentlich nach dem ,Gartenlauben-Artikel, dass Du Deiner Erklärung in der A.,A.Z.' eine wenn auch noch so leise Andeutung zufügen würdest, die der Erklärung den Schein benahm, als sei sie ein persönlicher Bruch mit mir und eine öffentliche Lossagung von der Partei. Dass nun gar Deine zweite Erklärung mit Blinds zusammen erschien und Dein Name seine Lüge und Fälschung deckte, konnte mich unmöglich erbauen. Ich gebe Dir übrigens mein Ehrenwort, dass sämtliche Erklärungen Liebknechts in der A.,A.Z.' mir vor ihrer Veröffentlichung total unbekannt waren.

ad. 2. An dem Tage, wo ich in Dein Office kam, waren eben beide Nummern der ,Nat[ional]-Zeitung' (die erste enthielt die später im ,Telegraph' erschienenen Schandauszüge und Kommentare) in meinem Hause von Berlin angelangt. In meinem Hause herrschte der höchste Aufruhr, und der Zustand meiner armen Frau war wahrhaft erschütternd. Gleichzeitig hatte ich von Deutschland einen Brief erhalten, worin mir mitgeteilt ward, außer den in der A. ,A.Z.' erschienenen Erklärungen von Dir befinde sich in der Schandschrift Vogts ein Brief von Dir, woraus Dein intimes Verhältnis mit Vogt hervorleuchte, und dass namentlich Dein Name der einzige von Bedeutung sei, aus dem Vogt politisches Kapital mache, und der seiner Infamie Schein vor dem Publikum gebe. Versetze Dich selbst unter diese Umstände, und frage Dich, ob nicht vielleicht auch bei Dir das Blut über den Verstand einen Augenblick die Herrschaft erlangt hätte.

Ich wiederhole Dir noch einmal: dieser Brief handelt nicht von einem Privatinteresse. In dem Londoner Prozess kann ich Dich ohne Deine Erlaubnis als Zeugen subpoenaen lassen. Für den Berliner Prozess bin ich im Besitz von Briefen von Dir, die ich nötigenfalls ad acta geben kann. Ebenso wenig stehe ich in dieser Sache isoliert. Von allen Seiten – Belgien, Schweiz, Frankreich und England – hat der Schandangriff Vogts mir unerwartete Bundesgenossen zugeführt, selbst von Leuten, die ganz andrer Richtung angehören.

Aber einmal wäre es jedenfalls für beide Seiten und für die Sache besser, en entente zu handeln.

Andrerseits sage ich Dir unumwunden, dass ich mich nicht entschließen kann, einen der wenigen Männer, die ich im eminenten Sinn des Wortes als Freunde geliebt habe, wegen irrelevanter Missverständnisse zu verlieren.

Wenn ich irgendwo gegen Dich gefehlt habe, so bin ich jeden Augenblick bereit, meinen Fehler einzugestehn. Nihil humani a me alienum puto.

Schließlich begreife ich sehr wohl, dass in Deiner jetzigen Stellung jede Affäre, wie die vorliegende, Dir nur widerwärtig sein kann.

Du, Deinerseits, wirst einsehn, dass es unmöglich, Dich ganz aus dem Spiel zu lassen.

Einmal, weil Vogt mit Deinem Namen politisches Kapital macht und sich den Schein gibt, als werfe er, Deiner Zustimmung gewiss, Schmutz auf die ganze Partei, die sich rühmt, Dich zu den ihrigen zu zählen.

Zudem bist Du zufällig das einzige Mitglied der früheren Kölner Zentralbehörde, das von Ende 1849 bis Frühling 1851 zu Köln, und von da bis jetzt zu London hauste.

Wenn wir beide das Bewusstsein haben, dass wir, jeder in seiner Weise, mit Hintansetzung aller Privatinteressen, und aus den reinsten Motiven, jahrelang das Banner für die ,classe la plus laborieuse et la plus miserable' hoch über den Philisterköpfen schwangen, so würde ich es für eine kleinliche Sünde gegen die Geschichte halten, sollten wir uns wegen Lappalien – alle in Missverständnisse auflösbar – entzweien.

Mit der aufrichtigsten Freundschaft Dein Karl Marx."3

Bei der urgutmütigen Art Freiligraths hätte man erwarten sollen, dass dieser herzliche und für beide Männer gleich ehrenvolle Brief sofort zur Versöhnung geführt hätte. Auf der anderen Seite erklärt es sich jedoch auch, dass ein Konflikt mit Marx für Freiligrath schwerer zu verwinden war als ein Konflikt mit irgendeinem gleichgültigen Literaten. Es grollt deshalb noch in der Antwort, die Freiligrath am 28. Februar an Marx richtete. Sie lautete wörtlich:

Lieber Marx! Deine verschiedenen Briefe habe ich erhalten. Für die mir in dem letzten gegebene Versicherung Deiner, durch neuerliche Missverständnisse ungetrübt gebliebenen Freundschaft danke ich Dir aufrichtig und erwidere dieselben von Herzen.

Mein langes Schweigen auf Deine früheren Briefe hast Du Dir ganz richtig erklärt. Der Widerspruch zwischen dem Ton dieser Briefe und der entschiedenen Feindseligkeit Deines brüsken Besuchs an jenem Abend musste mir natürlich seltsam erscheinen. Es ist nun alles gut – Deine Aufklärungen sind mir vollkommen genügend. Du weißt ja längst, noch von der roten Erde her, dass kleinliches Nachtragen nicht meine Sache ist.

Soweit also sind wir vollkommen einverstanden. Ich freue mich, dass ich Dich noch den alten Freund weiß, und trage Dir ebenso warm und treu die Gesinnungen entgegen, von deren Aufrichtigkeit und Bestand Du Dich seit jetzt zwölf Jahren zu überzeugen Gelegenheit gehabt hast.

Nun aber lass mich auch sonst offen und ehrlich mit Dir sprechen! Bei aller persönlichen Freundschaft für Dich und bei allem Festhalten an den uns gemeinsamen Prinzipien muss ich es dennoch entschieden ablehnen, Deine Streitsache mit Vogt, Blind, Nationalzeitung und Daily Telegraph zu der meinigen zu machen! Sie ist mir, was Du auch für ihre Tragweite sagen magst, zuwider – ich habe sie in keiner Weise mit veranlassen helfen –, und ich halte mich nicht für verpflichtet, Dir in ihre Irrgänge zu folgen.

Dass Du mich in dem bevorstehenden Londoner Prozess als Zeugen laden lassen, dass Du für den Berliner alte Briefe von mir ad acta geben kannst, ist ein anderes, und wenn Du gegen meinen Wunsch dazu übergehen willst, so kann ich das natürlich nicht hindern.

Viel dabei herauskommen wird übrigens nicht. Als Zeuge kann ich nur bestätigen, was Blind selbst zugibt und erst kürzlich noch in der Augsburger Allgemeinen Zeitung', in einem Inserat: Gegen Karl Vogt, ausgesprochen hat: dass er nämlich von Vogts Schuld überzeugt ist und dieser Überzeugung, seit dem Empfang jenes Briefes von Vogt im vorigen Frühjahr, niemals Hehl gehabt hat. Mit diesem Zeugnis (und ein anderes kann ich nicht geben) ist aber für die Autorschaft des Flugblatts – das ich niemals mit Augen gesehen, das ich nur durch die Reproduktion im ,Volk' kenne, und einzig durch Dich und Liebknecht erfahren habe, dass Blind der Verfasser sei – nichts erwiesen.

Ähnlich verhält es sich mit den ad acta zu gebenden Briefen, sofern solche mein Verhältnis zu Dir und zur Partei konstatieren sollen. Dieses Verhältnis bedarf keiner Konstatierung. Bs ist hinlänglich konstatiert durch meine Teilnahme an der ,Neuen Rheinischen Zeitung', durch mein Verwickeltsein in den Kölner Prozess und durch mein abermaliges Exil seit 1851. Das ad-acta-Geben und die eventuelle Veröffentlichung jener Briefe kann mir also gleichgültig sein. Jeder kennt und ich vertrete meine Vergangenheit.

Dennoch, und obgleich ich dem Banner der ,classe la plus laborieuse et la plus miserable' immer treu geblieben bin und treu bleiben werde, weißt Du so gut wie ich, dass mein Verhältnis zur Partei, wie es war, und mein Verhältnis zur Partei, wie es ist, durchaus verschiedener Natur sind. Als der Bund, gegen Ende 1852, infolge des Kölner Prozesses für aufgelöst erklärt wurde, habe ich mich von allen Fesseln, die mir die Partei, als solche, anlegte, frei gemacht und nur mein persönliches Verhältnis zu Dir, dem Freund und Gesinnungsgenossen, aufrechterhalten. Der Partei habe ich diese sieben Jahre hindurch fern gestanden, ihre Versammlungen sind von mir unbesucht, ihre Beschlüsse und Handlungen sind mir fremd geblieben. Faktisch also war mein Verhältnis zur Partei längst gelöst, wir haben uns gegenseitig darüber nie getäuscht, es war das eine Art stillschweigender Konvention zwischen uns. Und ich kann nur sagen, dass ich mich wohl dabei befunden habe. Meiner und der Natur jedes Poeten, tut die Freiheit not! Auch die Partei ist ein Käfig, und es singt sich, selbst für die Partei, besser draus als drin. Ich bin Dichter des Proletariats und der Revolution gewesen, lange bevor ich Mitglied des Bundes und Mitglied der Redaktion der ,Neuen Rheinischen Zeitung' war! So will ich denn auch ferner auf eigenen Füßen stehen, will nur mir selbst gehören und will selbst über mich disponieren!

Auch eine andere Rücksicht hat mich mein Fernstehen von der Partei nie bereuen lassen. Wenn ich an alle die zweideutigen und verworfenen Elemente denke, die sich schon, trotz aller Vorsicht, an die Partei heranzudrängen gewusst haben, wenn ich die Tellering, Fleury und wie sie alle heißen, Revue passieren lasse, wenn ich noch zuletzt erwägen muss, dass mein Name in dem Kölner Prozess mit dem eines Subjektes wie Reiff in einer Anklageakte genannt worden ist: so bin ich, schon aus Reinlichkeitsgefühl, überfroh, dass ich einem Verband, der mich täglich wieder in ähnliche Berührungen bringen könnte, schon seit lange nicht mehr faktisch angehört habe.

Muss dieses faktische Nichtmehrangehören denn auch förmlich ausgesprochen sein, so will ich es hiermit – sine ira et studio und mit der wiederholten vollen Betonung meiner sich immer gleichen freundschaftlichen Gesinnung für Dich persönlich – förmlich ausgesprochen haben!

Du wirst nicht verkennen, lieber Marx, dass die Affäre Vogt-Blind nur dieses Aussprechen des Tatbestandes, nicht den Tatbestand selbst, veranlasst hat. Jeder frühere analoge Fall würde schon früher zu denselben Auseinandersetzungen geführt haben.

Was soll ich noch viel hinzufügen? Einzig die Versicherung, dass ich mich von ganzem Herzen freuen werde, wenn Du mir in der alten Weise zugetan bleiben willst, auch nachdem ich Dir rückhaltlos die vorstehenden Erklärungen gegeben habe.

Doch noch etwas! Eine Stelle Deines Briefes verstehe ich nicht. Es ist diese: ,Zudem bist du zufällig das einzige Mitglied der früheren Kölner Zentralbehörde, das von Ende 1849 bis Frühling 1851 zu Köln und von da bis jetzt zu London hauste.' Meinst Du damit anzudeuten, dass die Berliner Prozesse (der Deinige und der Prozess Eichhoff-Stieber, für die Du dem Redakteur des ,Hermann' Material lieferst) Enthüllungen über den Kölner Prozess von 1852 mit sich bringen sollen? Mich, obgleich meine Stellung zu dem Bunde durch die Kölner Verhandlungen durchaus nicht konstatiert worden ist – obgleich überhaupt mein Fall noch schwebt! –, könnte das weiter nicht berühren. Etwas mehr oder weniger schwarz im schwarzen Buche zu stehen macht mir nichts aus, und ich würde darum einfach erstaunt sein, wenn die preußische Polizei Dinge, welche im Jahre 1852 unerwiesen geblieben sind, jetzt auf dem Präsentierteller dieser späteren Prozesse zu beliebigem Gebrauch überreicht bekäme! Du darfst aber nicht vergessen, dass Leute in Deutschland leben, welche schwerer von solchen nachträglichen Enthüllungen betroffen werden könnten, und dass jeder Zwischenfall der Art, und mit vollstem Rechte, Wasser auf die Mühle Deiner Feinde sein würde. Du hast auch sicher nicht daran gedacht, mich zwischen den Zeilen jenes Passus einen solchen Sinn lesen lassen zu wollen. Wie gesagt, ich verstehe ihn nicht.

In unveränderter Freundschaft Dein F. Freiligrath."

Sicherlich meinte es Freiligrath mit der Versicherung seiner nunmehr wieder ungetrübten Freundschaft ehrlich, aber es lässt sich auch nicht leugnen, dass sein Brief manche Abschnitte enthielt, die für Marx nicht angenehm zu hören sein konnten. So der Passus über das durch die Partei verletzte „Reinlichkeitsgefühl" Freiligraths, Tellering und Fleury hatten dem Bunde der Kommunisten überhaupt nie angehört. Tellering war der Wiener Korrespondent der „Neuen Rheinischen Zeitung" gewesen, hatte sich aber in der Emigration durch unerträgliche Klatsch- und Zanksucht alsbald völlig unmöglich gemacht; Fleury war ein Londoner Kaufmann, der sich in dem Kölner Kommunistenprozess als Spitzel der preußischen Regierung entpuppt hatte.

Auch der Schlusspassus des Briefes enthielt kaum versteckte Vorwürfe mindestens gegen Marxens politische Umsicht. Ferner, dass Marx den Redakteur des „Hermann" unterstützte, war schwerlich ohne tadelnde Absicht eingeschaltet, da das „Volk" als Gegengewicht gegen den „Hermann" gegründet worden war. Doch war Kinkel schon im Sommer 1859 vom „Hermann" zurückgetreten, und danach hatte auch das „Volk" sein Erscheinen eingestellt. Jetzt lag die Sache insofern anders, als Juch, der gegenwärtige Redakteur des „Hermann" – derselbe beiläufig, der einige Jahre später die erste Anregung zu der Freiligrathspende gab –, dem jungen Wilhelm Eichhoff in Berlin die Spalten seines Blattes zu einer heftigen und wirksamen Fehde gegen die Stiebersche Polizeikorruption geöffnet hatte.

Milde im politischen Kampfe gehörte sonst eigentlich nicht zu den Vorzügen, die Marx auszeichneten, wenn sie denn überhaupt ein Vorzug sein soll. Es war nicht seine Art, mehr oder minder bittere Pillen zu verschlucken. Um so mehr spricht es für ihn wie für Freiligrath, dass er nach dessen Briefe nur um so größere Anstrengungen machte, den alten Freund zurückzuerobern. Es geschah in einem ebenfalls noch aus Manchester vom 29. Februar datierten Briefe, der hier wiederum wörtlich folgen mag, bis auf einen durch … angedeuteten Satz. In diesem Satze wird eine schwere Beschuldigung gegen das Privatleben Klapkas erhoben, die sich heute nicht mehr auf ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit kontrollieren lässt; da Marx sie in seiner Schrift gegen Vogt mit Schweigen übergeht und sich daran genügen lässt, Klapkas öffentliche Tätigkeit zu kritisieren, so ist es sicherlich in seinem Sinne, wenn sie auch hier wegbleibt. Der Brief lautet also:

Lieber Freiligrath, Dein Brief war mir sehr lieb, da ich nur mit sehr wenigen Menschen Freundschaft schließe, dann aber auch sie festhalte. Meine Freunde von 1844 sind es noch jetzt. Was aber den eigentlich offiziellen Teil Deines Briefs betrifft, so beruht er auf großen Missverständnissen. Daher zur Aufklärung folgendes:

1. Der Prozess Eichhoff-Stieber.

Das ,Material', das ich dem Juch geliefert (wobei ich ihm noch erklärte, er und Eichhoff verdienten aus zweierlei Gründen meine Unterstützung nicht: Erstens wegen der Art, wie sie im ,Hermann' des Kölner Prozesses erwähnt; zweitens, weil ich überzeugt sei, dass Eichhoff bloßes Instrument des Ex-Polizeirats Duncker, der sich an Stieber zu rächen suche, ganz wie früher Vidocq zu Paris an Gisquet; dass ich aber dennoch alles, was ich könne, zum Sturz und zur Bestrafung Stiebers beitragen werde, sei es auch nur, um den Tod meines Freundes, des Dr. Daniels zu rächen), dies Material' beläuft sich auf folgendes:

Ich gab Juch ein Exemplar der ,Enthüllungen über den Kommunisten-Prozess zu Köln', notabene, meine erst in der Schweiz, dann in Boston herausgegebne Druckschrift, von Vogt als bekanntes Buch zitiert, in keiner Weise ,etwas Geheimes'.

Ich sagte Juch, dass darin alles enthalten, was ich wisse.

Ich machte ihn endlich aufmerksam, dass Lewald (der Verteidiger Eichhoffs) den Hirsch, der in Hamburg sitze, als Zeugen vernehmen müsse. Letzteres geschah. Hirsch hat jetzt eidlich zugegeben, dass das ,Protokollbuch' preußisches Fabrikat war und alles andre juristisch Verfolgbare.

Also die ,Enthüllungen', die dieser Prozess vermittelst meines ,Materials' bringt, befreien die ehemaligen Mitglieder des Bundes selbst von dem Schein juristischer culpa und enthüllen das preußische Polizeisystem, das, einmal installiert durch den ,Kölner Prozess' und die infame Feigheit der Kölner Geschwornen, zu einer Herrschaft in Preußen erwuchs, die jetzt endlich den Bourgeois selbst und dem Ministerium Auerswald sogar unerträglich geworden. Voila tout.

Übrigens erstaunt mich die bloße Idee von Dir, dass ich der Polizei irgend etwas auf dem Präsentierteller reiche. Ich erinnre Dich an Dir bekannte Briefe von Köln (1849-50), worin mir direkt vorgeworfen, dass ich (was ich damals aus sehr guten Gründen tat, sicher nicht aus Rücksicht auf mich) die Bundesagitation gar zu sehr habe schlafen lassen.

2. Mein Prozess gegen die ,National-Zeitung'.

Ich bemerke d'abord, dass, nachdem der ,Bund' auf meinen Antrag im November 1852 aufgelöst wurde, ich nie mehr irgendeiner geheimen oder öffentlichen Gesellschaft angehört habe oder angehöre; dass also die Partei in diesem ganz ephemeren Sinne für mich seit 8 Jahren zu existieren aufgehört hat. Die Vorlesungen über politische Ökonomie, die ich seit dem Erscheinen meiner Schrift (seit Herbst 1859) einigen auserwählten Arbeitern, worunter auch ehemalige Bundesmitglieder, hielt, hatten nichts gemein mit geschloßner Gesellschaft, weniger sogar als etwa Herrn Gerstenbergs Vorträge im Schillerkomitee.

Du wirst Dich erinnern, dass von den Vorstehern des New-Yorker ziemlich ramifizierten Kommunistenvereins (unter denen Albr[echt] Komp, manager der General Bank, 44, Exchange Place, New York) ein Brief an mich kam, der durch Deine Hände ging, und worin ich gewissermaßen um Reorganisation des alten Bundes angegangen ward. Ein ganzes Jahr ging vorüber, bevor ich antwortete, und dann antwortete ich, dass ich seit 1852 mit keiner Verbindung mehr in Verbindung stehe und der festen Überzeugung sei, meine theoretischen Arbeiten nützten der Arbeiterklasse mehr als Einlassen in Verbindungen, deren Zeit auf dem Kontinent vorüber. In der Londoner ,Neuen Zeit' des Herrn Scherzer ward ich dann noch wiederholt, wenn nicht namentlich, so doch verständlich, bitter angegriffen wegen dieser ,Tatlosigkeit'.

Als Levy (das erste Mal) von Düsseldorf kam, der auch Dich damals frequentiert hat, bot er mir sogar auf dem Präsentierteller eine Fabrikarbeiterinsurrektion in Iserlohn, Solingen usw. an. Ich sprach mich derb gegen solche nutzlose und gefährliche Narrheit aus. Ich erklärte ihm ferner, dass ich keinem ,Bund' mehr angehöre; auch der Gefahren wegen, die [durch] solche Verbindung den Leuten in Deutschland drohe, mich unbedingt nicht auf sie einlassen könne. Levy kehrte nach D[üsseldorf] zurück, sprach sich, wie mir bald darauf geschrieben ward, sehr lobend über Dich aus, während er meine ,doktrinäre' Indifferenz denunzierte.

Also von ,Partei' in dem Sinn Deines Briefs weiß ich nichts seit 1852. Wenn Du Poet bist, so bin ich Kritiker und hatte wahrhaftig genug an den 1849-52 gemachten Erfahrungen. Der ,Bund', wie die société des saisons zu Paris, wie hundert andre Gesellschaften, war nur eine Episode in der Geschichte der Partei, die aus dem Boden der modernen Gesellschaft überall naturwüchsig sich bildet.

Was ich in Berlin zu erweisen habe (ich meine in bezug auf diese alte und veraltete Bundesgeschichte), ist zweierlei:

Einmal, dass seit 1852 keine solche Gesellschaft existiert, von der ich ein Mitglied bin; dann, dass Herr Vogt ein hündisch-infamer Verleumder ist, wenn er die bis November 1852 existierende Kommunistengesellschaft mit mehr als Telleringschem Dreck überwirft.

Für letztren Punkt bist Du nun allerdings Zeuge, und Dein Brief an Ruge (Sommer 1851) beweist, dass Du während der Periode, um die es sich hier allein handelt, derartige Angriffe als auch auf Dich gerichtet betrachtet hast.

Die Erklärungen im ,Morning Advertiser', ,Spectator', ,Examiner', ,Leader', ,People's Paper' waren von Dir mit unterzeichnet. Eine Kopie derselben befindet sich in den Kölner Gerichtsakten.

Auch nahmst Du nicht den geringsten Anstoß, dass diese Sache wieder erwähnt ward in meinen ,Enthüllungen'. (p. 47) (Boston Ausgabe.)

Ebenso erschien Dein Name, und zwar als der des Kassierers, in unsrer gedruckten Aufforderung zu Geldbeiträgen für die Verurteilten.

Indes ist es kaum nötig, dies wieder aufzufrischen.

Unerlässlich aber ist es, dass mein Berliner Advokat folgenden Brief von mir an Engels erhält, der durch den Umstand, dass er nicht enveloppiert war und die beiden Poststempel London und Manchester trägt, ein gerichtliches Aktenstück ist.

,28, Dean Street, Soho, London, 19. November 1852. Lieber Engels, Der Bund hat sich vergangnen Mittwoch auf meinen Antrag hin aufgelöst und die Fortdauer des Bundes auch auf dem Kontinent für nicht mehr zeitgemäß erklärt. Auf dem Kontinent hatte er übrigens ja seit der Verhaftung von Bürgers-Röser faktisch schon aufgehört. Einliegend eine Erklärung für die englischen Blätter etc. Außerdem mache ich noch eine ,Lithographierte Korrespondenz' (statt dessen machte ich die Broschüre bei Schabelitz) ,ausführlich über die Polizeischweinereien etc., und für Amerika eine Aufforderung zu Geld für die Gefangnen und ihre Familien. Freiligrath Kassierer. Gezeichnet von allen unsern Leuten. (Die paar Zeilen Rest irrelevant.) Dein K. M.'

In einem solchen Aktenstück kann ich natürlich keinen Namen ausmerzen. Dies ist das einzige, worin ich zur Konstatierung einer Tatsache, nämlich der Auflösung des Bundes, Deinen Namen soweit brauche, als er sich zufällig in meinem Briefe von 1852 findet. Ich sehe nicht, was darin für Dich kompromittierlich.

Einen Brief von Dir von 1851 wünsche ich zu brauchen für die Broschüre, die nach dem Prozess erscheint. Absolut nichts Juristisch-Kompromittierliches darin. Doch, da dies noch viele Wochen dauert, werde ich darüber mündlich Absprache nehmen.

Aus dem obigen folgt:

Die ,Versammlungen, Beschlüsse und Handlungen der Partei' seit 1852 gehören ins Reich der Träume, was Du übrigens auch ohne meine Versicherung wissen könntest und nach sehr zahlreichen Briefen an mich zu wissen schienst.

Die einzige Aktion, die ich nach 1852 fortsetzte, solang es nötig war, nämlich bis Ende 1853, mit einigen Gesinnungsgenossen jenseits des Ozeans, war das ,system of mockery and contempt', wie Herr Ludwig Simon es 1851 in der ,Tribüne' benamste, gegen die demokratische Emigrationsschwindelei und Revolutionsmacherei. Dein Gedicht gegen Kinkel, wie Dein Briefwechsel mit mir während jener Zeit, beweisen, dass Du vollständig d'accord mit mir gingst.

Dies hat übrigens mit den Prozessen nichts zu tun.

Tellering, Bangya, Fleury usw. gehörten nie zum ,Bund'. Dass Dreck aufgeworfen wird in Stürmen, dass keine revolutionäre Zeit nach Rosenöl riecht, dass hie und da selbst allerlei Unrat an einen anfliegt – ist sicher. Aut, aut. Übrigens, wenn man die ungeheuren Anstrengungen der ganzen offiziellen Welt gegen uns bedenkt, die, um uns zu ruinieren, den Code penal nicht etwa anstreifte, sondern tief durchwatete; wenn man das Lästermaul der ,Demokratie der Dummheit' bedenkt, die unsrer Partei nie verzeihen konnte, mehr Verstand und Charakter zu haben als sie selbst; wenn man die gleichzeitige Geschichte aller andern Parteien kennt; wenn man sich endlich fragt, was dann nun tatsächlich (nicht etwa vor einem Gericht widerlegbare Infamien eines Vogt oder Tellering) gegen die ganze Partei vorgebracht werden kann, kommt man zum Schluss, dass sie in diesem 19ten Jahrhundert durch ihre Reinheit ausgezeichnet dasteht.

Kann man im bürgerlichen Umgang oder trade dem Schmutz entgehen ? Nur ist er in letztrem an seinem naturwüchsigen Ort. Beispiel Sir R. Carden, vide das Parliamentary Blue Book über Wahlbestechungen. Beispiel Herr Klapka, über dessen Personalia ich nun instruiert bin. Klapka …

Die ehrliche Niederträchtigkeit oder niederträchtige Ehrlichkeit zahlungsfähiger (auch dies nur, wie jede Handelskrise zeigt, unter sehr zweideutigen Klauseln) Moral steht mir keinen Deut höher als die irrespektable Niedertracht, von der weder die ersten christlichen Gemeinden noch der Jakobinerklub, noch unser weiland ,Bund' sich ganz rein halten konnten. Nur gewöhnt man sich, im bürgerlichen Verkehr das Gefühl für die respektable Niedertracht oder niederträchtige Respektabilität zu verlieren.

3. Spezielle Angelegenheit Vogt-Blind.

Nach den Affidavits von Vögele und Wiehe (auf falschen Affidavits steht bekanntlich Transportation), nach den dadurch erpressten Erklärungen Blinds in der A[ugsburger] ,A[llgemeinen] Z[eitung]' und Dr. Schaibles (,Daily Telegraph' vom 15. Febr.) ist die Sache soweit abgemacht, dass jetzt Dein Zeugnis in bezug auf diesen Punkt ganz überflüssig geworden. In der Sache Blind geniert mich nur ein embarras de richesses. Ich wandte mich in dieser Angelegenheit an Ernest Jones, mit dem ich, wegen seiner albernen, jetzt öffentlich wieder aufgegebnen Stellung zu Bright, Gilpin usw. seit zwei Jahren nicht verkehrt hatte, Ich wandte mich an ihn, einmal weil er aus freiem Antrieb, wie viele andre, darunter mir ganz unbekannte Personen, mir sofort nach dem Erscheinen des ,Telegraph' vom 6ten Februar seine tiefste Entrüstung kundgab über die Infamie Vogts, der die Schamlosigkeit hat zu behaupten, der Kommunistenbund sei gestiftet worden, und habe in diesem Sinne von 1849-52 gewirkt, um unter Androhung der Denunziation Geld von den in Deutschland Kompromittierten zu erpressen, der aus meiner ,Verschwägerung' mit von Westphalen meinen ,Zusammenhang' mit der ,N[euen] Pr[eußischen] Zeit[ung]' herleitet usw. (diese Demonstration war mir lieb meiner Frau wegen, da von Damen nicht verlangt werden kann, dass die politische Hornhaut sie überwachse, und da sie gerade an Katastrophen den Ernst oder Scherz der Freundschaft zu messen pflegen); zweitens, weil ich über Blinds juristisch sehr schiefen Kasus nicht aus Rücksicht für ihn, sondern für seine Frau und Kinder, keine echt englischen Juristen konsultieren wollte. Aus derselben Rücksicht sandte ich das englische Zirkular nicht dem ,Morning Advertiser' und außer dem ,Telegraph' keinem englischen Tagesblatt. Was Jones mir sagte, war dies:

,Du kannst, und ich werde selbst mit Dir zum Magistrat gehn, sofort eine Verhaftungswarrant wegen conspiracy gegen Blind auf Wiehes Affidavit hin erwirken. Aber überlege Dir, dass die action kriminell ist und, sobald sie einmal angezeigt, es außer Deiner Macht, sie rückgängig zu machen.'

Ich fragte darauf Jones (der Dir alles wiedererzählen kann; er wohnt 5, Cambridge Place, Kensington, W.), ob es nicht möglich, dass er den Blind warne und ihn so zur Erklärung alles dessen bringe, was er über Vogt wisse, sowie zum Eingeständnis der Falschheit seiner in der A[ugsburger] ,A.Z.' beigebrachten Zeugnisse.

Jones erwiderte:

,In conspiracy cases, da sie kriminell sind, wäre jeder Versuch des Advokaten zu Compound or bring about a compromise selbst kriminalistisch strafbar.'

Jones wird als Council für mich auftreten in der ,Telegraph'geschichte.

Nach Jones' Äußerungen befand ich mich in peinlichster Verlegenheit, da ich einerseits meiner Familie schulde, den ,Telegraph' zur Revokation zu zwingen, anderseits keinen Schritt tun wollte, der die Familie Blinds juristisch lädieren konnte. Als Ausweg sandte ich Louis Blanc, Blinds Freund, eine Abschrift der beiden Affidavits, nebst einem Brief, worin es u. a. wörtlich heißt:

,Not for Mr. Blind who has richly deserved it, but for his family, I should regret being forced to lodge a criminal action against him.'

Dieser letztre Schritt brachte Schaibles (poor dear!) Erklärung zuweg, ganz wie mein gedrucktes Zirkular, das ich sofort nach seinem Erscheinen Blind zugeschickt hatte, am selben Tage seine Erklärung gegen Vogt in der A[ugsburger] ,A.Z.' zuweg gebracht hatte. Blind in seiner badischen Winkelschlauheit hatte vergessen, dass ihm jemand gegenüberstand, der rücksichtslos ist, sobald seine eigne Ehre oder die seiner Partei ins Spiel kommt.

Die Sache steht nun so: Der Prozess gegen den ,Daily Telegraph' ist eingeleitet, wird aber von meinem solicitor verzaudert werden bis nach der Entscheidung des Prozesses gegen die ,National-Zeitung'. Hätte Schaible mir offen mitgeteilt, was er gegen Vogt weiß (Schaible ist natürlich Blinds tarne elephant), so wäre es, nach seiner Erklärung im ,Telegraph' vom 15ten Febr., durchaus überflüssig für mich, die Affidavits zu London ad acta zu geben. In Berlin, wo es keine gerichtliche Folgen für Blind hat, ist das natürlich unvermeidbar. Ob Schaible der wirkliche (literarische) Autor des ,Flugblatts' oder nicht, ändert nichts an den durch die Affidavits festgestellten Tatsachen, dass die von Blind in der A[ugsburger] ,A.Z.' beigebrachten Zeugnisse falsch, dass sie durch conspiracy verschafft waren, dass das Flugblatt in Hollingers Druckerei gesetzt, in Blinds Handschrift geschrieben, von ihm dem Hollinger zum Druck übergeben war.

Widerwärtig sind diese Sachen unbedingt, jedoch nicht widerwärtiger als die ganze europäische Geschichte seit 1851 mit all ihren diplomatischen, militärischen und literarischen Kreditentwicklungen.

,Trotz alledem und alledem' wird Philister über mir für uns stets bessrer Wahlspruch sein als unter dem Philister.

Ich habe offen meine Ansicht gesagt, die Du hoffentlich im Wesentlichen teilst. Ich habe ferner das Missverständnis zu beseitigen gesucht, als ob ich unter ,Partei' einen seit 8 Jahren verstorbnen ,Bund' oder eine seit 12 Jahren aufgelöste Zeitungsredaktion verstehe. Unter Partei verstand ich die Partei im großen historischen Sinn.

Mit aufrichtigster Freundschaft Dein K. Marx."4

Auch in diesem Briefe sind noch manche Spitzen gegen Freiligrath bemerkbar: die Vorhaltung wegen Klapka, der mit Freiligrath befreundet war, und namentlich die Sätze über Frau Marx, die, wie aus einem ihrer Briefe an Frau Weydemeyer hervorgeht, auf Freiligrath viel ärgerlicher war als Marx. Aber der Grundton des Briefes war so versöhnlich, dass Freiligrath nun auch die Waffen streckte. Er antwortete einen Monat darauf, am 28. März 1860, die Sache nur noch beiläufig streifend, in einem Briefe, der sonst ganz im alten herzlichen Tone gehalten war:

Auf einzelne Punkte Deines letzten Manchesterbriefes komme ich gelegentlich noch wohl zurück. Ich hätte ihn längst beantwortet, aber ich habe (wie meine ganze Familie) eine entsetzliche Grippe durchzumachen gehabt und leide noch an den Folgen. Dabei musste ich trotz alledem täglich nach der Stadt und hatte sogar die Annehmlichkeit eines Officewechsels durchzumachen."5

Der weitere Verlauf der Affäre Vogt ist bekannt und braucht hier nicht ausführlich dargelegt zu werden. Lassalles Warnungen vor der preußischen Justiz erwiesen sich als vollkommen berechtigt; die Klage, die Marx gegen die „Nationalzeitung" eingeleitet hatte, kam nicht einmal zur gerichtlichen Verhandlung, da sämtliche gerichtliche Instanzen bis zum Obertribunal hinauf sie unter verschiedenen, wenn auch immer gleich schamlosen Gründen für unzulässig erklärten. Damit entfiel auch die Klage gegen den „Daily Telegraph". Marx war somit auf die literarische Verteidigung beschränkt. Sie erfolgte in seiner Schrift gegen Vogt, die denn auch vollkommen genügte. Durch den Verleger ließ Marx ein Exemplar an Freiligrath schicken, der den Empfang am 5. Dezember 1860 mit den Worten bestätigte:

Dein Buch (beileibe nicht Pamphlet) hat Petsch mir zugeschickt. Besten Dank! Soviel ich bis jetzt darin gelesen habe, finde ich's wie ich's erwartet hatte: voll Esprit und voll Malice. Das Detail ist so reichlich, dass es beinahe den Überblick erschwert. Auf die Sache selbst einzugehen, wirst Du mir erlassen. Ich beklage den ganzen Streit auch heute noch und stehe ihm nach wie vor fern."

Dies war Freiligraths letztes Wort in der leidigen Sache6, die leidet noch nach sieben Jahren ein Nachspiel haben sollte.

2 Marx kommentierte diese Tatsache in den allerschärfsten Ausdrücken in einem Brief an Engels vom 9. Februar 1860. Es heißt dort: „Außer Freiligrath benimmt sich fast alle Welt in dieser Krise anständig gegen mich, selbst fernstehende Personen." (In: Ebenda, Bd. 30, S. 32.)

3 Ebenda, S. 459-462.

4 Marx an Ferdinand Freiligrath, 29. Februar 1860. In: Ebenda, S. 488-495.

5 Siehe dazu Marx an Engels, 9. April 1860 und 16. April 1860. In: Ebenda, S. 44 u. 46/47.

6 Siehe Marx' bissigen Kommentar zu diesem Brief in: Marx an Engels, 6. Dezember 1860. In: Ebenda, S. 123/124. Auch dieser Brief weist aus, dass der Bruch zwischen Marx und Freiligrath vollkommen war, obwohl er noch nicht nach außen hin vollzogen wurde.

Kommentare