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Vom Frühjahr 1860 bis zum Herbst 1864 atmet der Briefwechsel ganz denselben Geist und hat ganz dieselbe Form wie in den fünfziger Jahren. Namentlich auch, wo er politische Fragen berührt und wo sich Gelegenheit gibt, werden die Namen von Beta oder Liebknecht oder Fazy oder Klapka ganz in derselben Weise berührt, als hätte sich nie ein Streit an sie geknüpft.

Die Briefe Freiligraths aus dem Jahre 1860 drehen sich vorwiegend um den „fromm gewordenen Lappländer", einen Mann, der Anders geheißen zu haben scheint und jedenfalls früher dem Bunde der Kommunisten angehört hatte. Freiligrath nimmt sich seiner eifrig an, bis sich der „Lappländer" als „ganz unträtabel" erweist, erklärt sich aber auch dann noch zu Beiträgen bereit, falls „Pfänder oder Leßner oder Liebknecht" meinen sollte, dass noch etwas in der Sache geschehen müsse. Am 20. Dezember des Jahres 1861, nach dem Tode des Prinzgemahls, schreibt Freiligrath:

Der Nationalverein, wirst Du inzwischen gehört haben, will der Königin durch eine Adresse seine Sympathie bezeugen und wünscht, dass die Londoner Deutschen (auch Nichtmitglieder des Seydschen Kränzchens) sich an der Demonstration beteiligen mögen. Ein Envoye extraordinaire fühlte mir auf den Zahn – ich riss aber ein paar schlechte Witze und ließ den Edlen (der in der Tat ein wahres Leichenbittergesicht aufsetzte) damit abfahren."

Aber auch Marx sieht in Freiligrath nur durchaus den Gesinnungsgenossen. Er schreibt am 7. Februar 1861, als er nach einer schweren Erkrankung seiner Frau bei holländischen Verwandten pekuniäre Hilfe suchte:

Ich selbst werde gezwungen sein, nach Holland zu gehn, da ich sonst die jetzige Krise nicht überwintern kann. Willst Du so gut sein, bei irgendeinem Dir befreundeten Kaufmann zu erkunden, wie es mit den Pässen in Holland steht, ob man Pass haben muss? Die ,Gemeinheit' der ,Tribüne', die mit anderm Pech zusammenfällt, kam mir um so fataler, als ich dadurch gehindert ward, weitere Veranstaltungen für die Rekonvaleszenz meiner Frau, die der Dr. vorgeschrieben hatte, zu treffen. Obgleich nicht zur Kategorie der ,deutschen Dulder' gehörig und stets dieser Kategorie feindlich, denke ich doch, dass ich ehrlich mein Stück Pech im Asyl durchgemacht habe, – Außer von Lassalle sind mir auch von 2 andren Seiten in Deutschland publizistische Vorschläge jetzt zugegangen. Aber – und Du teilst wohl die Ansicht? – ich glaube, dass die Wellen noch nicht hoch genug schlagen, um jetzt schon auf dergleichen einzugehn."1

Wahrscheinlich teilte Freiligrath diese Ansicht, obgleich kein unmittelbares Zeugnis darüber vorliegt. Wenigstens lehnte er noch zwei Jahre später die Agitation Lassalles ebenso ab wie Marx.

Am 3. Dezember 1862 vermittelte Freiligrath die Bekanntschaft Kugelmanns mit Marx, der dadurch einen der treuesten Anhänger gewann:

Der Briefsteller war in 1848 und 1849 junger Kaufmann irgendwo in Westfalen (zu Minden, glaub' ich) und ließ sich zuweilen in unserem Klub zu Düsseldorf sehen. Irre ich nicht, so saß er damals als Prophetenschüler zu den Füßen Gottschalks in Köln. Später hat er den Kaufmann an den Nagel gehängt und Medizin studiert. Gegenwärtig, höre ich, ist er prosperierender Arzt in Hannover. Jedenfalls ein intelligenter, strebender Mensch voll Energie und guten Willens."

Am 27. April 1863 übermittelte Freiligrath Grüße von gemeinsamen rheinischen Freunden und fügte hinzu:

Die heute angekommene ,Gartenlaube' enthält ein Bild Fauchers des Großen mit biographischem Hymnus aus der Feder Betas des Kleinen. Ich empfehle Dir beides zu Deiner Belustigung."

Gemeinsam war beiden Freunden auch die Abneigung gegen Richard Wagner. In einem Briefe Freiligraths vom 29. Juli 1863 heißt es:

Inliegend nochmals ,nur der Freiligrath' für Miss Laura.++ Sie muss mir aber auch ihr Bild schicken. Und Ihr alle! – Wagners, des Edda-Stabreimers Blödsinn, folgt anliegend zurück. Vielen Dank für die erheiternde Mitteilung! Die ,jugendliche Fresse' ist doch anmutig – Hoiho, Hoiho:


Rühmlich ja reimst du,

Rasender Richard!"


Sobald die gewünschten Photographien eingetroffen waren, antwortete Freiligrath am 6. August 1863:

Das Tussichen ist ja ein allerliebstes Kind! Wie gewachsen und wie hübsch! Auch Du präsentierst Dich ganz stattlich! Wir finden das Bild sehr gut. Es ist ähnlich und charakteristisch. Ganz der Mohr!

Lassalle hat mir nun auch durch seinen Leipziger Statthalter schreiben und mir den Lebendigen (Herwegh) als leuchtendes Beispiel vorhalten lassen. Diese unablässigen Keilversuche sind doch gar zu plump."

Das Jahr 1864 brachte dann mehrfache Zeugnisse dafür, wie eng Freiligrath noch mit den alten Freunden zusammenhing. Die Briefe, soweit sie erhalten sind, mögen hier in chronologischer Reihe folgen:

2. April 1864. „Die Nachbildung des photographischen Porträts unseres Freundes Weerth ist endlich fertig geworden. Inliegend zwei Exemplare, von denen ich das kleinere gern in das Album Deiner Tochter stiften möchte. Ihr werdet das Bild gewiss sehr gelungen finden."

10. Mai 1864. „Ich brauche Dir nicht zu sagen, welch aufrichtigen Anteil ich an dem Tode unseres Freundes Wolff nehme. Einige Zeilen, die er mir vor ungefähr einem Monat schrieb, um mir die Zusendung von Weerths Bild zu danken, waren noch ganz so frisch und klar, wie er immer zu schreiben gewohnt war, und wenn er auch über sein Befinden klagte, so dachte ich doch an nichts weniger als an ein so schleuniges Zu-Ende-Gehen. Selbst Dein Brief von voriger Woche ließ mich nicht ganz alle Hoffnung aufgeben. Und nun hat er dennoch fort gemusst! Es mögen trübe, schmerzliche Tage gewesen sein für Dich und Engels. – Nach Deiner Rückkehr erzählst Du mir wohl von allem. Beim Begräbnis aber wirf auch für mich eine Scholle auf den Sarg unseres Gefallenen! Es ist mir eine Art von schmerzlicher Genugtuung, ihm noch kurz vor seinem Tode eine kleine Freude gemacht zu haben. Die Photographie Weerths schien ihm ein willkommenes Andenken zu sein. Und nun ist er Weerth nach wenigen Wochen schon gefolgt. So geht einer nach dem anderen."

11. Mai 1864. „Es war mein eigener Wunsch, dem Begräbnis unseres Freundes, wenn irgend möglich, beizuwohnen. Aber eine weniger geeignete Zeit, um mich, wenn auch nur für einen Tag, loszumachen, könnte es gar nicht geben. Seit vierzehn Tagen ist jetzt schon der dritte Administrator aus Genf bei mir angekommen, und heute Abend kommt auch noch James Fazy, unser Chairman. Ich sehe bei dieser Lage der Dinge auch nicht entfernt die Möglichkeit, auf einen Tag abwesend sein zu können. Die Genfer Herren sind ganz auf mich angewiesen, und ich darf sie, vollends nicht Fazy, gleich am ersten Tage im Stiche lassen. Dazu das tägliche Geschäft, das mich übrigens dennoch nicht halten sollte, wenn nicht der Besuch meine ganze Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nähme. Ich kann also nur im Geiste und mit meinem Herzen bei Euch sein, wenn Ihr unseren Freund in die Erde senkt. Sie sei ihm leicht! Er hat tapfer auf ihr gekämpft und gearbeitet."

1. September 1864. „Soeben erhalte ich einen Brief von Klapka aus Genf mit der traurigen Nachricht, dass Lassalle in einem am 30. August zu Genf mit einem walachischen Pseudofürsten stattgehabten Duell tödlich verwundet worden ist. Hier das Nähere. [Folgt eine kurze Darstellung der bekannten Vorgänge.] Soweit Klapka. Ich gestehe gern, dass mich die Nachricht tief ergriffen hat, und ich habe gleich an Klapka telegraphiert, dass er Lassalle, wenn er noch am Leben, meinen Anteil und meine Trauer für mich aussprechen möge. Teile doch auch Engels die böse Kunde mit. Es fehlt mir heute an Zeit, ihm zu schreiben. Übrigens benutze Klapkas rein freundschaftliche Mitteilungen (namentlich was das Verhalten des Mädchens anbetrifft – wer kennt denn den ganzen Zusammenhang?) mit Diskretion. Vielleicht, wenn Klapkas Telegramm günstig lautet, schickst Du dem armen Verwundeten auch noch einen telegraphischen Gruß."

2. September 1864. „Soeben telegraphierte Klapka wie folgt: ,Lassalle starb gestern. Leichenbegräbnis morgen. Brieflich mehr.' Also doch! Ich bin sehr, sehr bewegt! Hoffentlich hast Du gestern Abend noch einen Zug getroffen."

Aus dem letzten Satze geht hervor, dass Marx auf die Trauerkunde hin sofort zu Freiligrath geeilt ist; eine briefliche Äußerung von ihm über Lassalles Tod ist in seinem Briefwechsel mit Freiligrath nicht erhalten.

1 Ebenda, S. 581.

+ + „Nur der Freiligrath" kommt häufiger in Freiligraths Briefen vor. Nach mündlicher Überlieferung hatte es damit folgende Bewandtnis. In der ersten Zeit des gemeinsamen Exils klopfte Freiligrath einmal schon in der Morgenfrühe bei Marx an. Frau Marx, die sich noch im Morgenkleid befand, flüchtete erschreckt in das andere der beiden Zimmerchen, aus denen die Wohnung bestand. Ihr kleiner Sohn aber, der inzwischen geöffnet hatte, rief ihr beruhigend nach: „Es ist nur der Freiligrath!" Daran hatte der Dichter eine unbändige Freude.

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