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Von nun an liegen nur noch wenige Briefe vor, von Marx sogar keiner1, von Freiligrath im Ganzen drei. Der erste seit Lassalles Tod ist vom 7. November 1865 datiert und beweist mit seinem familiär-geschäftlichen Inhalt nur die ungetrübte Fortdauer der freundschaftlichen Beziehungen. Deshalb ist anzunehmen, dass gerade aus diesen Jahren manche Briefe verlorengegangen sind. Es ist aber auch möglich, dass der Briefwechsel in der Tat nach und nach eingeschlafen ist, ohne dass deshalb persönliche oder auch nur politische Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Männern eingetreten sind.

Wenige Wochen nach Lassalles Tod wurde die Internationale Arbeiterassoziation gegründet, die für Marx eine Fülle von Arbeit mit sich brachte, zu einer Zeit, wo seine Arbeitskraft schon aufs äußerste angespannt war. An Freiligrath aber trat der Kampf ums Dasein noch einmal in seiner nacktesten Form heran; die Schweizer Bank löste im Jahre 1865 ihre Agentur in London auf, und der Dichter, der sich dem sechzigsten Lebensjahre näherte, war mit seiner zahlreichen Familie vor die Existenzfrage gestellt. Es kam die vielleicht schwerste Zeit seines Lebens. Aber sie änderte nichts an seiner stolzen politischen Haltung: gerade im Jahre 1866, wo die Not am größten war, dichtete er mehrere Trutzlieder gegen den deutschen Bruderkrieg und die Politik Bismarcks.

So fehlte dem Gedanken, den alternden Dichter durch eine nationale Spende "aus allen Nöten zu befreien, jeder verdächtige Beigeschmack. Die erste Anregung ging von Juch aus, dem Redakteur des Londoner „Hermann", doch gewann die Sache erst Hand und Fuß, als alte rheinische Freunde Freiligraths sich ihrer annahmen. An einen dieser Freunde schrieb Freiligrath: „Das Ding ist ohne mein Zutun an mich herangetreten, ohne dass ich im allerentferntesten, ohne dass ich auch nur im Traum daran gedacht hätte. Meine Lage ist, gottlob, wenn auch durchaus keine sorgenfreie, doch nicht eine so verzweifelte, dass ich, um nur aus der Not herauszukommen, für mich sammeln lassen sollte! Noch einmal: Nationaldank und Kollekte ist zweierlei, und nur jener ist es, an den die hiesigen Freunde gedacht und den ich (wenn es dazu kommen sollte) gutgeheißen habe." Für Freiligrath, wie er auch sonst äußerte, war die „allgemeine nationale Zustimmung" die Vorbedingung der „Freiligrath-Dotation", die keine politische Parteikundgebung sein sollte, während Marx sich oft von politischen Freunden hat helfen lassen, von Engels, von Lassalle, von Freiligrath selbst, aber alles verschmähte, was einer „öffentlichen Bettelei" auch nur entfernt ähnlich sah.

Das war zunächst kein persönlicher, sondern ein sachlicher Gegensatz zwischen dem Dichter und dem Parteiführer, bei dem jeder von beiden Teilen in seinem Rechte war. Und im allgemeinen muss man auch anerkennen, dass die damalige Bourgeoisie, in der, namentlich am Rhein, noch manche Erinnerungen an 1848 nachwirkten, die Sammlung für Freiligrath so taktvoll und würdig betrieb, wie er beanspruchte. Indessen an einzelnen Entgleisungen fehlte es doch nicht. An die Spitze des Berliner Freiligrathkomitees hatte sich Gustav Rasch zu drängen gewusst, der nicht eigentlich „ein Lump" war, wie Marx ihn titulierte, aber ein auf- und vordringlicher Hans in allen Gassen, der über „verlassene Bruderstämme" flach-reklamenhafte Schriften veröffentlichte und nicht einmal von seinen eigenen Freunden ernsthaft genommen wurde. Dieser Biedermann hielt es nun für angezeigt, im Jahre 1867 gemeinsam mit G. Struve eine elende Scharteke zu veröffentlichen, in der neben elf anderen „Streitern der Revolution" auch Freiligrath verhimmelt wurde, auf Kosten von Marx, Engels, Dronke und Wolff+++

Da Wolff von Rasch mit verschimpfiert war, so wandte sich Marx in einem nicht erhaltenen Briefe an Freiligrath2 und erhielt am 20. Juli 1867 folgende Antwort:

Man hätte viel zu tun, wenn man auf alles Gerede hören wollte! Es sind vier oder fünf Jahre her, seit Rasch mich hier besuchte, und ich erinnere mich nicht, mit ihm über Dich gesprochen zu haben. Sollte er das Gespräch auf Dich und unseren Streit über die Vogt-Kolb-Liebknechtsche Angelegenheit haben bringen wollen, so siehst Du aus der betreffenden Stelle selbst, dass ich auf den Gegenstand nicht eingegangen bin. Was er mit jener ,Handlung' meint, weiß ich nicht. Jedenfalls ist er selbst die geeignetste Person, Dir den gewünschten Aufschluss darüber zu geben."

Wie Marx an Kugelmann schrieb, fand er, dass dieser Brief „trocken und mit ausweichender Philisterschlauheit" geschrieben sei. Als er gleich darauf den ersten Band des „Kapitals" herausgab, sandte er zwar ein Exemplar an Freiligrath, schrieb aber nicht, wie es früher wechselseitig unter ihnen Sitte gewesen war, seinen Namen hinein. Freiligrath antwortete dann erst am 3. April 1868:

Die Sendung der Hochzeitskarten Eurer Laura hat uns aufs angenehmste überrascht. Wir hatten gar nicht gewusst, dass das frohe Ereignis so nahe bevorstand, und wünschen jetzt dem jungen Paare wie Dir und Deiner lieben Frau von ganzem Herzen Glück dazu.

Lass mich Dir nun auch endlich Dank sagen für das Zeichen Deines freundlichen Gedenkens, das Du mir durch das Geschenk des ersten Bandes Deines Werkes ,Das Kapital' gegeben hast, und schließe, darum bitte ich Dich angelegentlich, aus der Verspätung dieses Dankes nicht auf eine geringere Wärme und Aufrichtigkeit desselben! Ich hatte immer vor, ihn Dir persönlich abzustatten, aber in den mancherlei Arbeiten und Aufregungen, welche diese letzten Monate mir gebracht haben, bin ich immer nicht dazu gekommen. Lass Dir meinen Dank nun auch jetzt noch gefallen und sei überzeugt, dass, wenn irgendwer, gewiss ich einer von den vielen bin, die den Geist, das Wissen und den staunenswerten Fleiß, durch die Du Dir in diesem Werke ein monumentum aere perennius gesetzt hast (und ferner setzen wirst), mit freudiger Anerkennung bewundern. Du weißt, ich bin nicht Mann vom Fach (eben nur Nationalökonom ,mit dem Gemüt'), und verlangst darum kein aufs einzelne eingehendes Urteil, aber ich kann Dir wohl sagen, dass ich aus der Lektüre oder ich will lieber sagen: dem Studium des Buches schon die mannigfachste Belehrung, den reichsten Genuss geschöpft habe. Es ist eben ein Buch, das studiert sein will, und darum ist der Erfolg vielleicht kein überschneller und überlauter, aber die Wirkung im Stillen wird dafür um so tiefer und nachhaltiger sein. Ich weiß, dass vom Rhein viele junge Kaufleute und Fabrikbesitzer sich für das Buch begeistern. In diesen Kreisen wird es seinen eigentlichen Zweck erfüllen, für den Gelehrten wird es nebenbei als Quellenwerk unentbehrlich sein. Nochmals herzlichen Dank! Und, nicht wahr, bei der nächsten Gelegenheit schreibst Du mir auch Deinen Namen in das Exemplar?

Unsere Luise hat sich nun auch verlobt. Wenn die Kinderkrankheit des Verlobens und Hochzeitmachens einmal einreißt in einem Hause, so hilft nichts dagegen. Die Geschichte muss ihren Lauf nehmen. The matrimonial measles! [Die ehelichen Masern.]

Übrigens hat es mit der Hochzeit noch gute Wege. Luise ist noch sehr jung und muss noch warten. Ihr Verlobter ist Heinrich Wiens, ein Cousin von Käthchens Mann, und auch ein richtiger Ostseepirat, wie sie dem alten Poeten die Töchter wegkapern.

Mit Deiner Gesundheit geht es hoffentlich wieder besser. Wir kommen bald einmal hinaus, um uns davon zu überzeugen.

Unterdessen die herzlichsten Grüße an Dich und Deine Damen von uns
allen! Dein
F. Freiligrath."

Dies ist der letzte Brief, der sich aus dem Briefwechsel zwischen Freiligrath und Marx erhalten hat, und vermutlich auch der letzte, der überhaupt geschrieben worden ist. Bald darauf siedelte Freiligrath nach Deutschland zurück, und seitdem hat jede Verbindung zwischen ihnen aufgehört.

1 Es liegt noch ein Brief vor, den Mehring nicht kannte. Er ist vom 20. Juli 1867 datiert. In: Ebenda, Bd. 31, S. 554.

+ ++ Indem, Rasch über einen Besuch berichtet, den er einige Jahre früher bei Freiligrath in London abgestattet hatte, schrieb er: „Mit Hoffnung und Zuversicht blickte Freiligrath in die kommende Zeit. Da war nichts von der pessimistischen Anschauung, von dem gehässigen, neidvollen und verbitterten Wesen, wie es mir bei einem Aufenthalt in Paris so oft bei Freiligraths früheren Kollegen, bei den ehemaligen Leitern der ,Neuen Rheinischen Zeitung' entgegengetreten war. Hätte der Kampf und das Streben für dieselben Ideen Freiligrath nicht mit Marx, Engels, Dronke und Wolff verbunden, so hätte sich Freiligraths innerstes Wesen von dem Wesen dieser Männer abgestoßen fühlen müssen. Wie hätte sonst der Dünkel, die Bitterkeit, die Selbstgefälligkeit und die Arroganz von Karl Marx zu dem humanen, herzlichen und wohltuenden Wesen Freiligraths gepasst! Freiligraths Beziehungen zu Marx hatten, obschon derselbe in London lebt, auch schon seit mehreren Jahren gänzlich aufgehört; eine gar nicht zu entschuldigende Handlung Marxens, welche ich hier verschweigen will, hatte ihnen den letzten Stoß gegeben. Sie ist nur aus der Gehässigkeit eines Charakters wie Marx zu erklären. Als ich eines Tages, empört über dieselbe, nach den Details derselben fragte, überging er sie schonend. Auf die Entwicklung des dichterischen Genius oder des Charakters Freiligraths hat diese Verbindung mit Marx, wie Beta in einer in der ,Gartenlaube' enthaltenen Schilderung des Dichters ganz irrigerweise gemeint hat, gar keinen Einfluss gehabt. Marx hat den Spiegel von Freiligraths Seele auch nicht mit dem leisesten Hauche getrübt. Beta wurde wohl zu diesem gar nicht zu entschuldigenden Ausspruch, der Freiligrath übrigens auch mit Recht sehr verdrossen hat, durch seinen Hass gegen Marx hingeführt." Auch auf Beta und Rasch passt Goethes Wort: Einer dieser Ehrenmänner wird vom andern abgetan.

2 Siehe vorige Anmerkung.

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