I. Der altpreußische Staat

I

Der altpreußische Staat

Russische Satrapie

In dem jahrhundertelangen Verwesungsprozesse des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ist der altpreußische Staat emporgekommen, selbst ein Produkt der Verwesung, deren Spuren er an Haupt und Gliedern trug.

Es war nicht von ungefähr, dass, während sich das Reich in eine unzählige Masse von Kleinstaaten auflöste, die Grenzwacht im Norden, Westen und Süden gänzlich zerfiel, Holland und die Schweiz ihre eigenen Wege gingen, Frankreich herrliche Besitzungen am Rhein an sich riss und im Norden selbst Mächte wie Dänemark und Schweden das deutsche Gebiet plünderten, dass sich zu gleicher Zeit im Osten die beiden Teilstaaten entwickelten, die in erbittertem Streit um die Herrschaft über die Trümmer des Reichs miteinander ringen sollten.

Es waren Kolonien auf erobertem slawischem Gebiet: Österreich eine bayrische, Brandenburg eine sächsische Kolonie. Sie wurden zusammengehalten durch die Gefahr, die von Osten her nicht nur die deutsche, sondern die europäische Entwicklung überhaupt bedrohte. Österreich wuchs zum mächtigen Staat empor, indem es im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert die türkische Invasion unter den Mauern Wiens und in den ungarischen Ebenen wieder und wieder zurückschlug. Auch Brandenburg war ursprünglich eine Militärkolonie, ein Schutzwall gegen die slawische Welt, jedoch gelangte die hohenzollernsche Monarchie nie in so große historische Verhältnisse wie die habsburgische. Sie wurde bald überflügelt durch den militärischen Ordensstaat Preußen, dessen Erbe sie nur in der demütigen Stellung eines polnischen Vasallen antreten durfte. Im Besitze Brandenburgs, Ostpreußens und einiger meist kleiner Landessplitter, die ihr durch Erbschaft in Pommern und Sachsen, in Westfalen und am Rhein zugefallen waren, konnte sie immer noch nicht an eine ernsthafte Nebenbuhlerschaft mit dem Hause Österreich denken; dazu verhalfen ihr erst die Schlesischen Kriege1, aus denen der altpreußische Staat in der historischen Vollendung hervorging, die ihm überhaupt beschieden gewesen ist.

Immer aber blieb er der Vasall fremder Mächte, blieb seine Devise der permanente Reichsverrat. König Friedrich folgte nur den Spuren seiner erlauchtesten Vorfahren, des Kurfürsten Joachim und des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, die Pensionäre der französischen Krone gewesen waren, als er im Vertrauen auf französische Hilfe den Raubanfall auf Schlesien unternahm. In der Tat hat er nur mit dieser Hilfe der habsburgischen Monarchie ihre schönste Provinz entrissen. Die französische Krone schuf den habsburgisch-hohenzollernschen Dualismus als das sicherste Mittel ihrer eigenen Herrschaft über Deutschland; sie sah in Friedrich nur einen „Filigrankönig", einen Vasallen, der nach ihrer Pfeife zu tanzen habe. Und so verlangte sie, als sie im Jahre 1756 in einen großen Kolonialkrieg mit England geriet2, von dem preußischen Könige den Vasallendienst, dass er im französischen Interesse Hannover besetzen solle, dessen Kurfürst zugleich der König von England war, den einzigen Punkt, wo England auf dem europäischen Kontinent gepackt werden konnte.

Dessen weigerte sich Friedrich, und sicherlich aus sehr triftigen Gründen. Er wusste, dass Österreich noch lange nicht auf Schlesien verzichtet und bereits den russischen Beistand gewonnen hatte, um diese Provinz zurückzuerobern. Nur fehlte es beiden Mächten noch an Geld, und so hütete sich Friedrich, durch einen Angriff auf Hannover die englischen Subsidien für sie lockerzumachen. Er schlug den Wunsch der Franzosen ab und schloss vielmehr mit England die sogenannte Westminsterkonvention, worin sich beide Mächte verpflichteten, in dem auf amerikanischem Boden zwischen England und Frankreich ausgebrochenen Kriege jede Invasion Deutschlands durch eine fremde Macht zu hindern. Die patriotische Legende hat diese Konvention zum Ruhme Friedrichs in dem Sinne auslegen wollen, dass er durch sie die Franzosen von einem Angriff auf Hannover, von einem Betreten des deutschen Bodens habe fernhalten wollen. Tatsächlich aber hat Friedrich die Franzosen wiederholt zur Invasion Hannovers, also zum Einbruch in Deutschland, aufgefordert, nur dass er selbst dabei aus dem Spiele bleiben wollte. Einzig weil England sich an Russland gewandt hatte, um Landtruppen für die Verteidigung Hannovers zu gewinnen, schloss Friedrich die Westminsterkonvention, aus Angst vor den Russen, von denen er annahm, dass sie ihn angreifen würden, wenn sie erst einmal in Deutschland wären. Durch die Konvention erbitterte er nun aber die Franzosen so sehr, dass sie endlich dem langjährigen Werben Österreichs nachgaben und der antipreußischen Koalition beitraten, die zwischen Wien und Petersburg längst geschlossen worden war.

So entstand der dritte und letzte Krieg um Schlesien, der sieben Jahre Deutschland verwüstet hat, wie es nur immer nach Friedrichs eigenem Zeugnis im Dreißigjährigen Kriege verwüstet worden war. Gegenüber der Koalition Frankreichs, Österreichs und Russlands erwies sich das englische Bündnis für Friedrich als sehr unfruchtbar, bis auf die Subsidiengelder, die er selbst als eine schwere Demütigung empfand. England behandelte den preußischen König ebenso als seinen Vasallen, wie es Frankreich getan hatte, als einen gemieteten Landsknecht, der ihm nach dem bekannten Worte des älteren Pitt Amerika in Deutschland erobern sollte; aus Rücksicht auf den englischen Handel lehnte jedes Ministerium ab, eine Kriegsflotte in die Ostsee zu senden, wodurch der russische Bär im Zaume gehalten worden wäre, und als der Kolonialkrieg siegreich geführt worden war, warf das Ministerium Bute den preußischen Verbündeten wie eine ausgepresste Zitrone zur Seite, indem es über seinen Kopf weg Frieden mit Frankreich schloss.

Was den preußischen König dennoch rettete in der äußersten Bedrängnis, als er seinen Untergang schon dicht vor Augen sah, war der Rücktritt Russlands von der feindlichen Koalition. Er wurde veranlasst durch das richtig verstandene Interesse der zarischen Politik, die ebenso von der trunksüchtigen Zarin Elisabeth mit ihrem blinden Hasse gegen Friedrich, wie von dem verrückten Zaren Peter mit seiner blinden Schwärmerei für Friedrich missverstanden worden war. Hat es unter den Fürsten des achtzehnten Jahrhunderts einen genialen Übermenschen gegeben, so war es nicht Friedrich, sondern die Zarin Katharina, jene hergelaufene Person, die, aus einem der kleinsten deutschen Fürstenhäuser stammend, blutarm an den russischen Thronfolger, eben jenen Peter, verheiratet worden war, diesen aber gleich nach seiner Thronbesteigung ermordet und sich selbst auf den Thron gesetzt hatte, auf den sie auch nicht die Spur eines Anrechts besaß. Sie erkannte richtig, dass den polnischen und türkischen Eroberungsplänen der zarischen Politik vor allem Österreich im Wege stand, dem sie den preußischen Dorn nicht aus dem Fleische ziehen durfte, ohne sich selbst ins Fleisch zu schneiden. Nicht die Vernichtung Friedrichs war ihre Aufgabe, sondern seine Erniedrigung zu einem Satrapen, der dem zarischen Despotismus bei dessen Raubzügen hilfreiche Hand leisten und namentlich den österreichischen Widerstand im Schach halten musste.

Die Zarin spielte mit dem Könige wie die Katze mit der Maus. Bis auf den Tod erschöpft, mit Österreich und den Westmächten tief verfeindet, war Friedrich schlechterdings auf die Gnade Russlands angewiesen. Gleich nach Abschluss des Hubertusburger Friedens3 bettelte der angebliche Sieger in Petersburg um ein Bündnis, das ihm den Besitz Schlesiens sichern sollte. Er musste sich in demütigendster Weise hinhalten lassen, bis ihm die Zarin endlich seinen Wunsch erfüllte, wogegen er sich verpflichtete, das polnische und das türkische Wild in ihr Garn treiben zu helfen. Er zahlte ihr Vasallentribut für ihre Türkenkriege, und als er mit ihr einen polnischen Schattenkönig gemacht hatte, schrieb er an sie: „Nichts scheint mir bewundernswürdiger, als dass Sie so große Dinge ohne Anstrengungen und ohne Anwendung von Gewalt ausgeführt haben. Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht. Eure Kaiserliche Majestät zwingt alle Welt bis zu der Hohen Pforte, die Trefflichkeit Ihres neuen Systems anzuerkennen. Sie sprechen, und die Welt schweigt vor Ihnen." Als Gegengabe für alle Dienste und Huldigungen durfte sich Friedrich öffentlich gerade so weit der zarischen Freundschaft rühmen, als nötig war, um in Wien zu ängstigen. „Der reelle Vorteil der Verbindung mit Russland ist diese anscheinende Intimität, die dem Wiener Hofe imponiert", schrieb Graf Finkenstein, Friedrichs Jugendfreund und Minister.

Jedoch ist anzuerkennen, dass Friedrich dies Joch mit äußerster Ungeduld ertrug. Es lohnte sich wahrhaftig, den Rebellen gegen Kaiser und Reich gespielt zu haben, um an ein so erhebendes Ziel zu gelangen. Und mindestens in den inneren Angelegenheiten des preußischen Staats wahrte er mit großer Entschiedenheit das Dekorum seiner angeblichen Souveränität. Hätte Katharina die Unverschämtheit besessen, von ihm zu verlangen, dass er eine russische Geheimpolizei auf preußischem Boden dulden solle, so würde er sich dem widersetzt haben; schon bei einem viel geringeren Eingriff in seine Verwaltung, als Russland eine Erhöhung des preußischen Posttarifs nicht anerkennen wollte, schrieb er eigenhändig unter einen der Erlasse an seinen Gesandten in Petersburg, die, wie er wusste, von der russischen Polizei regelmäßig geöffnet wurden: „Ich fange an, des Joches, das man mir auferlegen will, gründlich müde zu werden. Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, der Bundesgenosse der Russen zu sein, aber solange meine Augen geöffnet sein werden, werde ich nicht ihr Sklave sein. Das können Sie jedem sagen, der es hören will." Soweit hat er sich wirklich noch einen gewissen Respekt bei der Zarin zu erhalten gewusst; Stück für Stück auch von der inneren Souveränität des Staates an die russische Oberherrschaft preiszugeben hat er seinen Nachfahren überlassen, den Bismarck und den Bülow.

Allein, welche Wendung durch Gottes Fügung! Gegründet als militärischer Schutzwall gegen die slawische Welt, erreichte der altpreußische Staat seine klassische Höhe als Satrapie eines asiatischen Despotismus.

Ostelbischer Feudalismus

Man versteht jedoch diese Entwicklung in ihrem historischen Zusammenhange, wenn man einen Blick auf den sozialen Organismus des altpreußischen Staates wirft. Er war mehr ein Kasten- als ein Klassenstaat; eingeschachtelt in die drei Geburtsstände der Bauern, der Bürger und des Adels, erinnerte er mehr an asiatische als an europäische Zustände.

Die Masse der Bevölkerung bildeten die Bauern, die nur durch eine erdrückende Militär- und Steuerlast mit dem Staate zusammenhingen. Ihre tatsächlichen Herren waren die Rittergutsbesitzer. Die Rittergüter führten den Namen Dominium, und sie waren wirklich kleine Fürstentümer, vor denen die Souveränität des Staates ehrerbietig halt machte. Die Bauern hießen Untertanen, der Rittergutsbesitzer hieß Herrschaft.

Sie schuldeten ihm das eidliche Gelöbnis der Treue und Untertänigkeit. Sie durften das Gut ohne seine Bewilligung nicht verlassen. Entwichene Untertanen samt ihren auswärts geborenen Kindern konnte die Herrschaft überall und zu allen Zeiten aufsuchen und zur Rückkehr nötigen. Die Untertanen mussten die herrschaftliche Genehmigung zur Heirat nachsuchen; wurde sie ihnen versagt, und sie heirateten dennoch, so verfielen sie dem Gefängnis.

Die Kinder der Untertanen konnten ohne ausdrückliche Erlaubnis der Gutsherrschaft weder ein bürgerliches Gewerbe erlernen noch ein Studium ergreifen. Die Kinder aller Untertanen, die in fremde Dienste gehen wollten, mussten sich zuvor der Herrschaft anbieten; zum Auswärtsdienen bedurften sie eines Erlaubnisscheines der Herrschaft, der in der Regel nur auf ein Jahr erteilt wurde. Die Herrschaft konnte faules, unordentliches und widerspenstiges Gesinde körperlich züchtigen, die Bauern und deren Frauen durch Gefängnis zu ihrer Pflicht anhalten. Die Untertanen durften ohne Einwilligung der Herrschaft keine Schulden machen oder ihre Grundstücke veräußern und verpfänden. Bei einem wirklichen Besitzwechsel, auch im Todesfalle, konnte die Herrschaft das sogenannte Laudemium fordern, eine Abgabe bis zu zehn Prozent des Wertes, den das Grundstück hatte.

Der Herrschaft standen die Hand- und Spanndienste der Untertanen zur Verfügung, manchmal auf Tage oder Ackermaß beschränkt, oft ganz ungemessen; eine Kabinettsorder des Königs Friedrich betrachtet es als großen Fortschritt, sie auf drei oder vier Tage in der Woche zu beschränken. Völlig unabsehbar waren die sonstigen Abgaben, welche die Untertanen zu leisten hatten: Blutgeld, Kurmede, Schutzgeld, Walpurgisschoß, Schäfersteuer, Bienenzins, Wachspacht, Wasserlaufzinsen, Hundekorn, Hetzgetreide, Spinngeld, Wirkegeld, Flachs- und Federposenlieferung, Hanf-, Docht-, Sumpf-, Ablager- und Heuergeld, Dienst- und Weidehafer, Pfeffergeld usw. Ein patriotischer Schriftsteller meint, eine vollständige Liste aller dieser Abgaben und Lasten würde ein „kleines Wörterbuch unholder Namen" füllen; ein anderer hat wirklich ein solches Lexikon zusammengestellt und 750 Nummern feudaler Menschenplackereien herausgebracht, die immerhin nicht überall gleichmäßig und gleichzeitig im Schwange gewesen sind. Eine ausdrückliche Erwähnung erheischt jedoch noch eine der scheußlichsten Bauernplagen, das Jagdrecht, das die Herrschaft auf den Äckern der Untertanen ausüben durfte.

Mit alledem waren aber die Befugnisse der Herrschaft gegenüber den Untertanen noch nicht erschöpft. Die Herrschaft hatte auch kirchliche und staatliche Rechte; sie ernannte den Geistlichen und den Küster, und die Untertanen mussten alle Sonntage für sie beten. Dann stand ihr Polizei und Gerichtsbarkeit zu. Als Gerichtsherr konnte die Herrschaft ihre Gerichtseingesessenen in ihren eigenen Gerichten belangen, dagegen konnte sie wider ihren Willen in ihren eigenen Gerichten nicht belangt werden.

Alle diese tatsächlichen Rechte der Gutsherrschaft standen nun aber wieder nicht einer Klasse, sondern einer Kaste zu: dem Geburtsstande des Adels. Der Übergang eines Rittergutes in bürgerliche Hände ließ sich zwar nicht immer vermeiden, aber er galt als unwillkommene Ausnahme, die der königlichen Genehmigung bedurfte; auch blieben den bürgerlichen Besitzern die sogenannten persönlichen Ehrenrechte des Rittergutes versagt: die Jagdgerechtigkeit, die Gerichtsbarkeit, die Patronatsrechte, das Stimmrecht auf Kreis- und Landtagen. Eingehende, sorgfältig berechnete Bestimmungen begünstigten die Rückkehr solcher Güter in adligen Besitz. Der Adel hatte einen eximierten Gerichtsstand: Nur dem höchsten Gerichte der Provinz war er unterworfen. Er hatte das erste Anrecht auf die Ehrenstellen im Staate: Alle hohen und viele niederen Ämter sowie die Offiziersstellen waren sein gesetzliches Monopol.

Das Gesetz nannte den Adel geradezu den ersten Stand im Staate und sorgte für die Reinhaltung seines Blutes. Nicht nur, dass es den stiftsmäßigen Adel mit seinem Nachweise vollbürtiger Ahnen beiderlei Geschlechts aufrechterhielt; es verfügte auch schlechthin für den ganzen Adel: „Mannspersonen von Adel können mit Weibspersonen aus dem Bauern- oder geringerem Bürgerstande keine Ehe zur rechten Hand schließen." Wie hieraus schon hervorgeht, war dem Adel das Vorrecht eingeräumt, Ehen zur linken Hand einzugehen; trat jedoch ein Adliger mit Verleugnung oder Verschweigung seines Standes in eine Innung oder Zunft ein, um bürgerliche Gewerbe zu treiben, so ging er seiner adligen Rechte verlustig.

Alle Einwohner, die ihrer Geburt nach nicht zum Adel- oder zum Bauernstande gehörten, wurden zum Bürgerstande gerechnet. Der Bürger war nicht ganz so rechtlos wie der Bauer, obgleich viele Städte, die sogenannten Mediatstädte, unter einer Gutsherrschaft standen, die ihre Magistrate ernannte. Doch war das städtische Handwerk durchaus noch in die längst verfallenen Schranken der Zunft gepfercht, und als Offiziere oder Staatsbeamten fuchtelten die Junker die Bürger ebenso zusammen wie als Gutsherrschaft die Bauern. In kleinen Städten waren keine rechtlichen Bürger für den Posten eines Bürgermeisters oder Ratsherrn zu gewinnen, weil sie sich vor den Misshandlungen des Garnisonschefs fürchteten, für die es keine Sühne gab. Auch sonst waren diese Posten wenig verlockend, da von einer wirklichen Selbstverwaltung der Städte nicht entfernt gesprochen werden konnte. Sie standen völlig unter der Willkür der Regierung, die am liebsten invalide Militärs, auch wenn sie völlig unfähig waren, in die städtischen Ämter schob.

Nicht einmal einen Prozess durften die Magistrate ohne Erlaubnis der Regierung führen, nicht einmal über Gehaltszulagen von wenigen Talern, Vergütung für das Stellen der Stadtuhr, Anschaffung von Spritzen und Wagen, Bau von Brücken und Dämmen, Verbesserung des Straßenpflasters selbständig bestimmen; es kam vor, dass die Frage, ob ein Bürger neben dem Totengräberdienst die Anwartschaft auf die Nachtwächterstelle behalten dürfe, bis vor den König gelangte. Von Kulturaufgaben der Städte wusste der altpreußische Staat nun schon gar nichts; sie waren ihm reine Objekte der Ausbeutung, deren Einnahmen er zu steigern und deren Ausgaben er zu senken bemüht war, um seine eigenen Taschen zu füllen. Die Städte waren vogelfrei; durften sie über ihr eigenes Einkommen nicht verfügen, so wurden sie oft zu Leistungen herangezogen, zu denen sie in keiner Weise rechtlich verpflichtet waren; ihre Kassen mussten wohl Pensionen für Staatsbeamte zahlen, mit denen sie niemals die entfernteste Beziehung gehabt hatten.

Die politische Erniedrigung der Städte wäre unmöglich gewesen, wenn sie auf einer höheren Stufe der ökonomischen Entwicklung gestanden hätten. Aber sie hatten sich noch lange nicht von den Schlägen des Dreißigjährigen Krieges erholt, als die Schläge der Schlesischen Kriege auf sie hernieder fielen. Industrie gab es noch so gut wie gar nicht, und wenn es mit dem Handel ein wenig besser stand, wenn reichliche Ernten einen guten Absatz des Getreides nach England oder Holland ermöglichten, so fiel der Vorteil davon doch in ungleich höherem Grade dem Adel zu als den Städten. Sie waren so unmündig, wie die Bauern unfrei.

Borussischer Militarismus

Max Lehmann, ein preußischer Historiker, der durch seine lehrreichen Biographien Scharnhorsts und Steins viel zur Zerstörung der patriotischen Legende beigetragen hat, will sich das soziale Gefüge des altpreußischen Staates von der militärischen Seite her erklären.

Er meint, die brandenburgisch-preußischen Herrscher hätten es unternommen, ihren Kleinstaat in eine Großmacht zu verwandeln, und deshalb die Bahn der Eroberung betreten. Dazu wäre ein stehendes Heer unentbehrlich gewesen, das wieder stehende Steuern und stehende Behörden zur Voraussetzung gehabt hätte, während eine ständische Beschränkung der Monarchie damit unvereinbar gewesen wäre. Als Schule für das Offizierkorps dieses Heeres, das, um seinen Zweck zu erreichen, nicht klein hätte sein dürfen, hätte sich wie von selbst das Rittergut dargeboten, das ja ebenfalls die Schöpfung einer militärischen Aktion gewesen sei, die Ausdehnung deutschen Volkstums nach Osten. Die Vorrechte der Rittergüter erschienen in diesem Zusammenhange als der Dank, den die Monarchie ihren Besitzern für den auf dem Exerzierplatz und dem Schlachtfelde geleisteten Beistand erwiesen habe. Was der Adel für das Offizierkorps, seien die Bauern für den Mannschaftenbestand gewesen. „Die Abschließung des dritten Standes, dem von der nationalen Wirtschaft zufiel, was übrigblieb, und der, soweit er auf den Namen eines Bürgers Anspruch machen konnte, vom Kriegsdienst befreit wurde, ergab sich dann als etwas Selbstverständliches." Der Staat erschiene hier als ein immerwährendes Feldlager, der König als der Feldherr, der alles sehe und anordne, die Adligen als seine Offiziere, die auch im Frieden darüber wachten, dass die Diensttuer, Beurlaubten, Eximierten des Bauern- und Bürgerstandes Order parierten und die ihnen zugemessene Portion an Arbeit verrichteten.

In diesen Ausführungen liegt manches Wahre, nur dass die Wirkung zur Ursache gemacht worden ist. Hätten die brandenburgisch-preußischen Herrscher nach ihren absolutistischen Bedürfnissen den Staat einrichten können, so hätten sie uneigennützigere Leute sein müssen, als sie gewesen sind und als Fürsten überhaupt zu sein pflegen, wenn sie ihn als kaum verhüllte Junkeroligarchie hergestellt hätten. Aber das lag gar nicht in ihrer Macht. Denn die Wehrverfassung eines Landes ergibt sich aus seinen sozialen Zuständen und ist immer ihr getreuestes Spiegelbild, während sich die sozialen Zustände eines Landes niemals nach seiner Wehrverfassung umgestalten lassen.

Seitdem die Hohenzollern ins Land gekommen waren, hatten die einheimischen Junker diesen meist schwachen oder auch ganz unfähigen Fürsten die Vorrechte der Rittergüter abgehandelt oder abgelistet oder abgetrotzt, und sie waren längst in sicherem Besitze dieser Vorrechte, als nach dem Dreißigjährigen Kriege kein Staat mehr ohne stehendes Heer, stehende Steuern und stehende Behörden dauern konnte. Die endgültige Besiegelung dieser Privilegien war nicht der Dank, den der Fürst für noch gar nicht vollbrachte Exerzier- oder Kriegstaten der Junker zahlte, sondern der erste Preis, um den ihm die Junker die Errichtung eines stehenden Heeres gestatteten.

Zum zweiten aber bewilligten sie die stehenden Steuern für die Unterhaltung des Heeres nur unter der Bedingung, dass sie für immer von allen Steuern frei blieben. Am ärgsten musste der Bauer bluten, dem die sogenannte Kontribution auferlegt wurde, eine Abgabe, die sich mindestens auf den dritten Teil, in manchen Landesteilen aber bis auf die Hälfte dessen belief, was der Bauer für seinen eigenen Bedarf und für den Verkauf erntete. Die Städte wieder wurden mit der sogenannten Akzise beglückt, einer Grund-, Gewerbe- und Kopfsteuer, verbunden mit einer indirekten Steuer auf Getränke, Getreide, Fleisch, Viktualien, Kaufmannswaren und alle möglichen Artikel sonst. Der Adel blieb aber von jeder Steuer befreit, von der Kontribution wie von der Akzise, von dieser auch in seinen städtischen Besitzungen; nur in den später eroberten Provinzen Schlesien und Westpreußen wurde er zur Kontribution herangezogen, jedoch zu einem geringeren Prozentsatz als die Bauern.

Zum dritten endlich sicherten sich die Junker jene Anwartschaft auf die Ehrenstellen im Staate, namentlich im Heere, wodurch sie ungleich mehr gewannen, als sie in ihren verfallenen Ständetagen preisgaben. Die Junker und nicht die Fürsten bestimmten die Entwicklung des brandenburgisch-preußischen Heeres. Wie damals überall bestand es zunächst aus Söldnern, die freiwillig geworben oder auch gewaltsam gepresst wurden. Seine wirtschaftliche Einheit aber bildete damals, ebenfalls nach der allgemeinen Sitte, die Kompanie; der Kompaniechef war „Unternehmer an der Spitze einer Waffengenossenschaft"; gegen ein Pauschquantum, das ihm die königliche Kriegskasse zahlte, hatte er seine Leute zu besolden und zu erhalten, sie mit Kleidung und Waffen zu versehen, den durch Desertion oder Tod verursachten Abgang zu ersetzen. Diese Kompaniewirtschaft entwickelten die Junker nun zu einem raffinierten System der Ausbeutung. Um die Werbekosten zu sparen, stellten sie ihre Bauern ein, die sich viel leichter fuchteln ließen und viel schwerer desertieren konnten als das fahrende Gesindel, das sich um des teuren Handgeldes willen anwerben ließ und dann bei der ersten besten Gelegenheit ausriss; um auch den Sold einstecken zu können und die Gutsherrschaft nicht ihrer Arbeitskräfte zu berauben, wurden die also „enrollierten" Rekruten für den größten Teil des Jahres beurlaubt. Dieses System der Enrollierung und Beurlaubung ist, wie gerade Max Lehmann zuerst aus archivalischen Quellen nachgewiesen hat, von den Junkern „aus wirtschaftlichem Sonderinteresse" erfunden worden gegen den heftigen Widerstand der Fürsten, die dadurch aus guten Gründen die Schlagfertigkeit des Heeres gefährdet sahen, namentlich des Königs Friedrich Wilhelm I., der sich jedoch begnügen musste, durch das Kantonreglement von 1733 den einzelnen Regimentern beschränkte Rekrutierungsgebiete anzuweisen und die städtische Bevölkerung vom Militärdienst zu „eximieren", um sie wenigstens den gierigen Griffen der Junker zu entreißen.

Die Kompaniewirtschaft aber blieb eine nie versiegende Quelle der infamsten Erpressungen und Fälschungen, Gaunereien und Schurkereien. In den ihnen zugewiesenen Kantonbezirken herrschten die Kompaniechefs wie die Paschas; mit barem Gelde mussten sich die Kantonisten, auch wenn sie gar nicht zum Kriegsdienst herangezogen werden durften, die Erlaubnis zur bürgerlichen Niederlassung und Verehelichung erkaufen. Die Präsenzlisten wurden, wie es in einer Kabinettsorder heißt, „um schnöden Gewinstes willen" gefälscht, die Beurlaubung auch auf die Ausländer ausgedehnt, die sogenannten „Freiwächter", die innerhalb der Garnison vom Wachtdienst befreit wurden und selbst für ihren Unterhalt sorgen mussten, während die Kompaniechefs ihren Sold in die Tasche steckten. Den „Diensttuern" aber, das heißt den Soldaten, die bei der Fahne bleiben mussten, wurde Sold, Kleidung, Nahrung gekürzt, so kärglich dies alles zugemessen war; was einen Groschen kostete, wurde ihnen für zwei Groschen angekreidet; die Uniform wurde aus dem schlechtesten Tuch angefertigt, die Weste verschwand ganz bis auf einen an die vorderen Rockklappen genähten Lappen; alles Zeug war so knapp zugeschnitten, dass der Mann sich kaum rühren konnte und wie eine Gliederpuppe dastand, deren Arme und Beine sich nur bis zu einem gewissen Punkte bewegen konnten. „Die preußische Miliz stellt das Bild der entsetzlichsten Dürftigkeit dar. Die langen hageren Soldaten, mit Schultern, die sich unter den Stockschlägen krümmen, sehen eher enrollierten Galeerensklaven als Kriegsleuten ähnlich. Man hat ihre Kleidung hierzulande mit der Kleidung der Affen verglichen, welche die Bärenführer auf der Straße tanzen lassen." So schildert ein holländischer Schriftsteller die Armee des Königs Friedrich ein Jahr nach dessen Tode.

Es konnte auch nicht anders sein, denn die Kompaniechefs stellten den Zweck des Heeres völlig auf den Kopf. Die junkerlichen Helden fürchteten nichts so sehr wie den Krieg, der ihnen eine so ergiebige Grube schmutzigen Gewinnes verschütten musste. Es ist anzuerkennen, dass die preußischen Könige gegen dies System nichtswürdiger Ausbeutung angekämpft haben; sie mussten es schon tun aus dem einfachsten Triebe der Selbsterhaltung. Aber trotz unzähliger Kabinettsorders haben sie nicht viel erreicht. Am schärfsten und treffendsten ist die Kompaniewirtschaft von den späteren Reformatoren des Heeres beurteilt worden; Boyen meinte, sie habe aus Offizieren „wuchernde Krämer" gemacht, und ähnlich sprach sich Scharnhorst aus, dem Gneisenau beipflichtete, sie habe die Armee um die Achtung der Bürger und des Auslandes gebracht, den Offizieren die Liebe der Soldaten geraubt und die Moralität vieler sonst braver Männer verdorben.

Die patriotische Legende hat das Kantonreglement von 1733 als den Anfang der allgemeinen Wehrpflicht zu verherrlichen gesucht, was im günstigsten Fall eine gedankenlose Redensart ist. Der Heeresdienst galt der Bevölkerung nicht nur als Unglück, sondern auch als Schande. In dem menschenarmen Lande deckte die gewaltsame Pressung der Bauernsöhne den Bedarf an Rekruten nicht; die ausländische Werbung blieb daneben bestehen, aber sie lieferte nur noch „Vagabunden, Trunkenbolde, Diebe, Taugenichtse und andere Verbrecher", wie Scharnhorst sagte. Die Zeiten waren für immer vorbei, wo die Aussicht auf Beute oder Ehre oder wenigstens auf ein ungebundenes Abenteurerleben die Werbeplätze der Frundsberg und der Wallenstein gefüllt hatte. Von alledem war im Heere des altpreußischen Staates nichts zu holen, sondern nur Hunger und Prügel in ewigem Einerlei. Je mehr es aber nur der verächtlichste Auswurf der Gesellschaft war, der – und selbst er oft nur mit Lug und Trug – sich für den preußischen Waffendienst einfangen ließ, umso notwendiger wurde eine eiserne Disziplin, und sie wieder machte aus den „wuchernden Krämern" die grausamsten Wüteriche.

Hören wir, wie Max Lehmann das Gassenlaufen schildert, die gebräuchlichste Militärstrafe. Er schreibt: „Sie wurde von 200 Mann vollstreckt. In die von ihnen gebildete Gasse ging erst der Profess des Regiments und verteilte die langen, in Salz getauchten Hasel- und Birkenruten. Dann wurde der Sträfling vorgeführt. Der Regimentsauditeur verlas das über ihn verhängte kriegsgerichtliche Urteil, die Tamboure des linken Flügels begannen die Trommeln zu rühren, dem Verurteilten wurde der Mantel abgenommen, der seine Blößen verhüllt hatte; mit nackter Brust und nacktem Rücken trat er seinen Schmerzensgang an. Er war an den Händen gefesselt, damit er niemandem, weder sich noch anderen, ein Leid antäte, an den Füßen gefesselt, damit er nur langsam vorwärts käme und ja kein Schlag fehlginge; in den Mund war ihm eine bleierne Kugel gesteckt, um an ihr, nicht an der Zunge, den Schmerz zu verbeißen. Vor und hinter ihm schritten mit erhobenem Kurzgewehr Unteroffiziere, welche verhindern sollten, dass er zu schnell gehe oder etwa umwende; auf den Außenseiten der Gasse gingen hier der Major, dort der Adjutant auf und nieder, indem sie die eifrig Zuschlagenden belobten, die Säumigen durch heftigen, das Jammergeschrei des Gepeitschten und den Wirbel der Trommel übertönenden Zuruf bedrohten. Welch ein Anblick, wenn dann das Blut die Kleider überströmte und die Ruten beim Zurückziehen Fleischstücke losrissen; wenn der Gemisshandelte zusammenbrach, sich aufraffte, wieder zu Boden stürzte; wenn er, zum Gehen unfähig, wohl gar an einen Pfahl gebunden wurde und die Kameraden zum Schlagen an ihn herantreten mussten; nicht selten geschah, dass, wenn das höchste Maß, die dreißigste Exekution, erreicht war, der Delinquent in den Sarg gelegt wurde. Sehr begreiflich, dass der umstehende Bürger und Bauer regelmäßig für das Opfer dieser Scheußlichkeiten Partei ergriff, das ja seine Strafe oft genug für den Bruch eines Kontraktes erlitt, der durch List und Betrug zustande gekommen war. Und gar sehr würde man mit der Annahme irregehen, dass die Spießruten etwas Seltenes gewesen wären; noch im Jahre 1786 hörte ein französischer Offizier aus dem Munde eines Sachkenners die Versicherung, dass zwei Drittel von den Ausländern der Berliner Garnison die Strafe erduldet hätten." Und eine solche Exekution hat selbst einst ein Mann wie Scharnhorst kommandieren müssen.

Dabei aber war das Gassenlaufen wenigstens noch an ein vorhergehendes, mit rechtlichen Formen umkleidetes Verfahren geknüpft, wie viel oder wie wenig dies Verfahren im Übrigen wert sein mochte. Allein solche Schutzwehr fehlte beim einfachen Prügeln. Selbst ein so großer Liebhaber und Verehrer des Stockes, wie der König Friedrich war, rief einmal unwillkürlich aus: „Was führen diese armen Soldaten für ein Leben; auf dem Exerzierplatze bekommen sie mehr Schläge als Bissen Brot." Nach Friedrichs Tode wurde die Misshandlung der Soldaten etwas einzuschränken gesucht: Den Kompaniechefs wurde verboten, ohne standrechtliches Erkenntnis mehr als dreißig Schläge zu geben. Jedoch diese schüchterne Anwandlung von „Humanität" blieb ohne jede Wirkung; nach wie vor durfte nach Scharnhorsts Zeugnis jeder sechzehnjährige Fähnrich und jeder rohe Unteroffizier jeden alten Soldaten wegen eines unbedeutenden, unschuldigen Exerzier- oder Putzfehlers fast zu Tode prügeln. Und nach der Schlacht bei Jena sagte derselbe Scharnhorst: „Kein Soldat ist so erbärmlich gepeitscht worden wie der preußische, und keine Armee hat weniger geleistet."

Das Bild der schauerlichen Landplage, die dieses Offizierskorps darstellte, würde unvollständig sein, wenn nicht noch erwähnt würde, dass es seine Misshandlungen auf die bürgerliche Bevölkerung nicht minder erstreckte als auf die militärische. Darüber sagt Lehmann: „Höhere wie niedere Offiziere schimpften, prügelten und sperrten die Bürger ein, die ihnen unbequem wurden; der Gouverneur von Breslau bedrohte Geheime Räte mit dem Stock und titulierte sie Schlingel und Esel; in den mit dem Zivil schwebenden Streitigkeiten maßte sich das Militär an, selbst sein Recht zu sprechen." Und dabei waren diese Offiziere das roheste und ungebildetste Pack von der Welt; sie brüsteten sich mit ihrem Mangel an Bildung, mit ihrer Unfähigkeit, richtig Deutsch zu sprechen; fand sich ein weißer Rabe unter ihnen, der einiges Interesse für die aufkeimende bürgerliche Kultur zeigte, wie der Major Ewald von Kleist, der Freund Lessings, so war er die Zielscheibe ihres banausischen Spottes.

Friderizianischer Despotismus

Gekrönt wurde der Organismus des altpreußischen Staates durch das Königtum. Es war scheinbar allmächtig, und Friedrich II. wird als der klassische Typ des aufgeklärten Despotismus gefeiert. Aber er war eingeengt und eingeklemmt in einen verknöcherten Kastenstaat; mit seinem Despotismus war es nicht weit her, und am allerwenigsten mit seinem aufgeklärten Despotismus.

Anscheinend zwar regierte er völlig unumschränkt mit ein paar subalternen Schreibern, die seine Befehle ausfertigten. Er sah seine Minister so gut wie gar nicht, hörte nicht auf ihren Rat, kommandierte darauf los, wie ihm gerade seine Laune stand, eine Laune, die mit den Jahren immer bitterer und galliger wurde. Er hat dadurch unzählige Menschen unglücklich gemacht, und so ging ein frohes Aufatmen durch das ganze Land, als den alten Menschenquäler endlich der Tod dahinraffte, den er am liebsten mit der Faust wegschlagen wollte. Allein die Kehrseite dieser täuschenden Allmacht war, dass der König die kastenmäßige Einschachtelung des Staates in Geburtsstände wie seinen Augapfel hütete und in erster Reihe die Vorrechte des Junkertums, womit er sich den bescheidenen Genuss erkaufte, diesem oder jenem einzelnen Junker einmal auf die Hühneraugen treten zu dürfen.

Er war darin viel kurzsichtiger als sein Vater, der berufene Halbnarr, der sich wenigstens bemüht hatte, die königliche Gewalt auf Kosten des Junkertums zu erweitern, und mit nicht unrichtigem Instinkt darauf bedacht gewesen war, sich eine Behördenorganisation zu schaffen, worin es nicht ganz spärlich bürgerliche Elemente gab. Dabei hatte er sich freilich, in seinen häufigen Anfällen von Tobsucht, von diesem oder jenem intriganten General oder Minister übers Ohr hauen lassen, was Friedrich schmerzlich genug am eigenen Leibe spüren musste, als er in die bekannten Konflikte mit seinem Vater geriet. Seitdem verliebte er sich in das famose Dogma vom „ersten Diener des Staates", den der Fürst darstellen solle, um unabhängig auch von anderen Dienern des Staates ganz nach seinem souveränen Gelüste zu regieren. Was er aber tatsächlich damit erreichte, war nur zweierlei: Einmal überließ er die Anfänge eines wohlgeordneten Behördenapparats, worin sein Vater mit gutem Grund die unumgängliche Vorbedingung eines wirklichen Absolutismus erblickt hatte, wieder dem Junkertum, dann aber setzte er an die Spitze des Staates eine subalterne Schreiberwirtschaft, die unter den Ursachen von Jena nicht die letzte und unwirksamste geworden ist.

Bei alledem wusste Friedrich sehr gut, dass seine biederen Junker nicht mit sich spaßen ließen und ihm seinen spielerischen Despotismus nur gestatteten, wenn er ihre Vorrechte umso sorgsamer respektierte. In der Tat ist dieser angeblich selbstherrlichste aller preußischen Könige von allen der gehorsamste Junkerknecht gewesen; sein Vater und auch seine beiden schwächlichen Nachfolger hatten doch bis zu einem gewissen Grade – versteht sich von ihrem fürstlichen Klassenstandpunkt aus – „bürgerfreundliche" Neigungen, er aber nie. Kein aufgeblasener Hidalgo ist je so stolz auf „blaues Blut" gewesen wie dieser philosophische König, der Freund d'Alemberts und Voltaires. Die Kabinettsorders sind nicht zu zählen, worin er den Offizieren die Verehelichung mit bürgerlichen Frauen und Mädchen verbot; um nur beliebig eine herauszugreifen, so schrieb er im Oktober 1746 an den Generalleutnant v. Leps, er verweigere seine Genehmigung zur „Mesalliance" eines Leutnants v. Schwensitzky mit einer „Doktorswitwe". „Ihr habt also die Eurigen (Offiziere) vielmehr auf alle Weise davon abzuhalten, als Euch für sie wegen solcher Mariagen zu interessieren, denn Ihr sonst bald lauter Bürger zu Offiziers kriegen werdet." Diese Möglichkeit war für Friedrich der Untergang des altpreußischen Staates, und noch in seinen letzten Lebensjahren, als die Kant, Lessing, Klopstock, Goethe, Schiller längst berühmte Leute waren, meinte er, der Einbruch der Roturiers in das Offizierskorps werde der erste Schritt zum Verfall und Sturze der Armee sein, was von seinem bornierten Standpunkt aus denn freilich auch nicht unrichtig sein mochte.

In den ärgsten Nöten des Siebenjährigen Krieges hatte er zwar Bürgerliche zu Offizieren ernennen müssen, aber kaum war der Friede geschlossen, als er sie mit Schimpf und Schande davonjagte und sich statt ihrer lieber die windigsten Abenteurer aus der Fremde verschrieb, wenn sie nur von Adel waren, Abenteurer von dem Schlage des Riccaut, den Lessing verewigt hat. Auch diese geniale Idee hat ihre Nachwirkung bis in die Tage von Jena gehabt; nach der Rang- und Quartierliste für 1806 waren unter den „höheren Stabsoffizieren" in fremden Ländern geboren: Franzosen 12, Italiener 3, Griechen 1, Polen 20, Österreicher 3, Holländer 6, Kurländer und Russen 23, Schweden 15, Dänen 7, Schweizer 13, Bayern 4, Württemberger 8, Mecklenburger 39, Anhalter 10, Braunschweiger 12, Sachsen und Thüringer 108, Hannoveraner 8, Hessen 18, aus allen übrigen nichtpreußischen Gegenden Deutschlands ungefähr 50. Eine bei weitem zahlreichere und mannigfaltigere Mischung aller übrigen Nationen (auch Engländer, Schotten und Portugiesen) fand sich unter den Subalternoffizieren. Offiziere von französischen Familien und Namen, sowohl von den alten französischen Kolonien als neue Einzügler, fand man in der Rangliste über tausend.

In der inneren Politik kannte der König kein höheres Ziel, als den starren Ständestaat aufrechtzuerhalten. War es schon eine ziemlich müßige Prahlerei seines Vaters gewesen, zu sagen, er stabiliere die Souveränität und setze die Krone fest wie rocher de bronze und lasse den Herren Junkern den Wind vom Landtage, so hatte Friedrich noch viel geringeren Grund, sich als den „einen Herrn im Lande" aufzuspielen mit seiner angeblich allumfassenden Tätigkeit für die einzelnen Gebiete des Staatslebens, Politik, Diplomatie, Heerwesen, Finanzverwaltung, Kultur und Volkserziehung, Landwirtschaft, Industrie, Handel. Er blieb fast in allen Zweigen der inneren Politik hinter seinem Vater zurück, beutelte durch die fürchterlichen Plackereien der Regie die Massen noch ärger aus, aber zerstörte dafür die einheitliche Verwaltung der Finanzen, die Friedrich Wilhelm I. geschaffen hatte; er vergaß dessen Wort, dass des Königs Kriegsknecht es besser haben müsse als des Gutsherrn Ackerknecht, und ließ der junkerlichen Ausbeutung des Heeres alle Zügel schießen. Nur auf dem Gebiete der Rechtspflege gelangen ihm einige bescheidene Reformen, die der „Roturier" Cocceji durchsetzte. Ihren ärgsten Krebsschaden freilich, die junkerliche Patrimonialgerichtsbarkeit, wagte er nicht anzutasten, und auch das vielgerühmte Landrecht, das unter seiner Regierung vorbereitet, wenn auch erst unter seinem Nachfolger veröffentlicht wurde, begann mit dem Satze: „Personen, welchen vermöge ihrer Geburt, Bestimmung oder Hauptbeschäftigung gleiche Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft beigelegt sind, machen einen Stand des Staates aus", also mit der unverhüllten Proklamierung des in Geburtsstände geschachtelten Kastenstaats.

Ganz im Rahmen dieses Staates hielt sich auch Friedrichs auswärtige Politik. Er war hier, wie überall, der gehorsame Diener des Junkertums, indem er nur nach Eroberungen und Erwerbungen trachtete, die sich in das soziale Gefüge des altpreußischen Staates mit seiner ausschließlichen Junkerherrschaft einschalten ließen. Er trachtete nach der Annexion Schlesiens und Westpreußens, die er wirklich erreichte, nach der Annexion Sachsens und Vorpommerns, die ihm versagt blieb, aber die westlichen Besitzungen des Staates, die ein, auch nur im Sinne der damaligen Zeit, aufgeklärter Despot als die wertvollsten Edelsteine seiner Krone betrachtet haben würde, waren ihm geradezu eine Last, die er mit Vergnügen geopfert hätte gegen einige östliche Landstriche, die noch im Sumpfe des Feudalismus steckten. Den Grund gibt Lehmann richtig mit den Worten an: „Über die vornehmste Maxime der friderizianischen Staatskunst, die sich auf die planmäßige Trennung der Geburtsstände richtete, war der Westen längst unwiderruflich fortgeschritten." Es waren, alles in allem, immerhin 257 Quadratmeilen mit etwa einer halben Million Einwohner, darunter die Grafschaften Mark und Ravensberg, deren Industrie bereits einen Weltruf hatte. Jedoch gab es hier weder junkerliche „Herrschaften" noch bäuerliche „Untertanen"; die Teilung des Bodens war weit vorgeschritten, die Grenzen zwischen Stadt und Land verwischt; „der gemeine Mann erfreute sich hier eines höheren Grades von Kultur und Wohlstand", wie die in den preußischen Staatsdienst getretenen Rheinländer sagten, und ebendeshalb waren diese Landesteile dem König Friedrich ein Dorn im Auge.

Er war ganz frei von einem nationalen Bewusstsein, wie es in seinem Vater doch hin und wieder aufgeflackert war, wenn dieser sich rühmte, „gut kaiserlich" gesinnt und ein „deutscher Reichsfürst" zu sein, oder auf die „Blitz- und Schelmfranzosen" schalt. Preußische Historiker haben versichert, dass Friedrich in die furchtbaren Gefahren des Siebenjährigen Krieges gestürzt sei, um das linke Rheinufer vor den Franzosen zu schützen, aber das ist eiteI Lug und Trug. Vielmehr hat Friedrich sich im Siebenjährigen Kriege erboten, seine rheinischen Besitzungen den Franzosen und dazu seine ostpreußischen Besitzungen den Russen zu überlassen, wenn er dafür Sachsen erhielte. Am wohlsten fühlte er sich als französischer Vasall, und auch um die Franzosen nicht zu reizen, wäre er seine westlichen Besitzungen gern los gewesen. Er nannte den Rhein die natürliche Grenze Frankreichs, und so unlöslich hielt er sich mit Frankreich verbunden, dass er zu sagen pflegte, Elsass-Lothringen und Schlesien seien zwei Schwestern, von denen die eine den König von Frankreich und die andere den König von Preußen geheiratet habe.

Gerade seine französische Vasallenschaft verstrickte ihn in den Siebenjährigen Krieg. Wie er diesen Krieg durchgehalten hat, mit dem Gift in der Tasche, das mag für einen dynastischen Despoten des achtzehnten Jahrhunderts eine ganz achtbare Leistung gewesen sein, aber gerettet hat Friedrich sich aus der Brandung nur als russischer Vasall. Nichts falscher als dass erst die unfähigen Nachfolger des Königs den Untergang des altpreußischen Staates verschuldet haben sollen; vielmehr führt ein ununterbrochener Weg von Roßbach nach Jena.

Der erste Raub an Polen

Der Vasallentribut den Friedrich der Zarin zu entrichten hatte, bestand in erster Reihe dann, ihr freie Hand in Polen zu schaffen. In dem preußisch-russischen Vertrage vom 11. April 1764 war durch geheime Artikel bestimmt, dass der König durch gute Dienste und, wenn nötig, durch Waffengewalt die Wahl des Piasten Poniatowski, der ein abgelegter Liebhaber Katharinens und ihr willenloses Werkzeug war, zum polnischen König unterstützen solle.

Dem polnischen Junkertum war gelungen, die feudale Herrlichkeit bis in ihre letzten Konsequenzen auszubilden. Durch die Verschiebung des Welthandels an die Ufer des Atlantischen Ozeans, die sich im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert vollzog, wurde Polen schwerer betroffen als Deutschland und Italien, und zwar in dem Maße schwerer, als es ökonomisch hinter diesen Ländern zurückstand. Jedoch hatten die ökonomischen Umwälzungen des Reformationszeitalters einen neuen Handel für Polen entstehen lassen; je mehr sich die westeuropäische Geldwirtschaft entwickelte, um so mehr war Polen der „europäische Speicher" geworden, die Kornkammer für Spanien, Frankreich, Flandern, England. Entscheidend für seine Zukunft wurde nun, dass die polnischen Junker nicht nur die Getreideproduktion, sondern auch den Getreidehandel in ihren Händen zu monopolisieren wussten. Dadurch wurde die Ansammlung des Kaufmanns- und Wucherkapitals verhindert, das eine polnische Manufaktur schaffen konnte, den Ausgangspunkt der modernen industriellen Entwicklung, zu der das zünftige Handwerk aus sich selbst heraus nicht zu gelangen vermag. Indem der polnische Adel den ganzen Handel des Landes an sich raffte und die Handelskapitalien in einem luxuriösen Leben verzehrte, statt sie in gewerblicher Produktion anzulegen, schnitt er die technischen Fortschritte ab, die sich im westlichen Europa vollzogen hatten, verödete er die polnischen Städte und würgte sie gewaltsam ab; wo sie ihm nicht schnell genug verödeten, wusste er die Entstehung eines dritten Standes völlig zu hintertreiben, aus dessen Klassenkampf mit dem feudalen Adel im westlichen Europa die moderne Monarchie und der moderne Staat, die Zentralisation der Verwaltung, das stehende Heer, ein ergiebiges Finanzsystem erwachsen waren.

Damit vollzog sich eine ganz ähnliche Entwicklung wie im ostelbischen Deutschland; von allen Menschen der Welt hatten die märkischen und pommerschen Junker das geringste Recht, über die polnischen Junker den Stab zu brechen. Es lag nicht an ihrem guten oder schlechten Willen, wenn sie es nicht ebenso weit brachten wie die polnischen Junker, sondern nur daran, dass eine so völlige Ausrottung der Städte und des dritten Standes, wie in Polen, nach den historischen Existenzbedingungen Deutschlands bei alledem doch nicht möglich war. So wurde Polen das klassische Land der feudalen Anarchie: mit seiner Wahlmonarchie, mit dem Rechte der Konföderation, das heißt dem Rechte der einzelnen Adligen, sich gegen jede ihnen missliebige Entscheidung bewaffnet zu erheben, mit dem liberum veto, dem Rechte jedes einzelnen Adligen, als Mitglied des Reichstages durch die zwei Worte: Ich verbiete es, das Zustandekommen jedes Gesetzes zu hindern. Dabei war all dieses adlige Gesindel bestechlich, hatte immer offene Taschen für das Gold des Auslandes, tat nichts für die Verteidigung des Landes, so dass schon im Jahre 1662 der König Johann Kasimir, aus dem schwedischen Hause Wasa, als er nach zwanzigjähriger Quälerei mit diesem feudalen Tollhause den polnischen Staub von seinen Füßen schüttelte, dem Reichstage warnend zurief: Gott möge ihn einen falschen Propheten sein lassen, aber er fürchte, dass, dank den habenden Freiheiten des polnischen Adels, dereinst noch der Moskowiter, der Brandenburger und der Österreicher die Republik Polen unter sich teilen würden.

Anders urteilte König Friedrich über die polnische Anarchie; sie war ihm die beste Verfassung dieses Landes, die er um keinen Preis angetastet wissen wollte. Das war vom Standpunkt der altpreußischen Staatsräson auch durchaus logisch. Polen drückte auf die Mark und Pommern, umschloss Ostpreußen von allen Seiten, war auch der Provinz Schlesien in ihrer ganzen Länge vorgelagert; ein starkes Polen wäre also ein sehr unbequemer Nachbar gewesen. Aber aus demselben Grunde war es eine selbstmörderische Politik, Polen in die Hände des zarischen Despotismus zu spielen, es zum ständigen Standlager russischer Heere herzurichten, eine halb barbarische Macht in das europäische Staatensystem einzuführen und sich selbst zum gehorsamen Vollstrecker ihres Willens zu machen; eine selbstmörderische Politik gerade auch vom altpreußischen Standpunkt, wenn auch keineswegs von ihm allein aus; ein ungeheurer Frevel dazu an den Interessen der europäischen Kultur.

Friedrich war gescheit genug, diesen Zusammenhang der Dinge einzusehen und auch seine Konsequenzen zu fürchten. Aber er kannte nur den Ehrgeiz des Schakals, der hinter dem Tiger jagt und nach einem Stück von der Beute lechzt. Eine Teilung Polens war schon ein halb dutzendmal geplant worden, und ein paarmal waren die polnischen Könige selbst im Komplott gewesen; immer aber hatte sich Russland für die Unverletzlichkeit des polnischen Staates ins Zeug gelegt, scheinbar in freundnachbarlicher Großmut, tatsächlich um sich den ganzen Bissen zu sichern. Nur ging es noch nicht so schnell mit dem Verschlingen. Mit preußischer Hilfe hatte die Zarin ihr Werkzeug Poniatowski zum Könige von Polen gemacht, allein die große Familie Czartoryski, zu der Poniatowski gehörte, sah endlich ein, dass die feudale Anarchie gebändigt werden müsse, wenn Polen nicht untergehen solle; sie trug sich mit gewissen Reformen, namentlich mit der Abschaffung des liberum veto. Dafür war auch der neue König zugänglich, und bereits 1766, zwei Jahre nach seiner Wahl, mussten wieder russische Truppen ins Land rücken, um, wie Friedrich an einen seiner Gesandten schrieb, „die gegen die Freiheit der Republique übelgesinnten Pohlen in Ordnung zu halten", auf dass die „bisherige Gouvernementsform und dasjenige, so zu allen Zeiten den Grund der pohlnischen Freiheit ausgemacht (nämlich das liberum veto), nicht verändert" würde. Für die Erhaltung der polnischen Anarchie schwärmte Friedrich sogar noch mehr als die Zarin, die sich duldsamer zur Abschaffung des liberum veto gestellt hatte, solange sie hoffen durfte, dass der von ihr gebackene König unbedingt nach ihrer Pfeife tanzen würde. Dagegen warnte Friedrich die Zarin in seinem untertänigen Stil vor allzu reichlicher Anwendung von Waffendruck und Zwang; er fürchtete, dass die immer wiederholte Einlagerung von russischen Truppen auf polnischem Boden die Nachbarn, die Österreicher und auch die Türken, in Harnisch jagen würde.

Diese Befürchtung erfüllte sich denn auch zwei Jahre später. Als im Juli 1768 russische Truppen bei der Verfolgung polnischer Rebellen das türkische Gebiet verletzten, erklärte die Pforte den Krieg an Russland, nicht zuletzt aufgestachelt durch die französische Diplomatie. Sie führte den Krieg aber sehr unglücklich und rief in ihrer Not die preußische und die österreichische Vermittlung an. Nun aber stellte die siegestrunkene Zarin so harte Friedensbedingungen, dass Österreich sich unmöglich darauf einlassen konnte. Damit stand ein europäischer Krieg vor der Tür, in den Preußen als Hilfsmacht Russlands hätte eintreten müssen. Da in Wien ebenso geringe Kriegslust herrschte wie in Berlin, so war eine gewisse Annäherung zwischen beiden Höfen erfolgt; Friedrich und der junge Kaiser Joseph II., der Mitregent seiner Mutter, hatten 1769 und 1770 in Neiße und Mährisch-Neustadt Besuche ausgetauscht. Immer aber war die Spannung eines allgemeinen Krieges noch nicht gelöst, als die Zarin den äußeren Anlass einer polnisch-ungarischen Grenzstreitigkeit benutzte, um das zynische Programm auszugeben: Machen wir uns alle in Polen bezahlt!

Sie gab damit begehrlichen Winken nach, die Friedrich schon früher an sie gerichtet, aber die sie selbst bisher entschieden abgelehnt hatte und die ein Teil ihrer Minister auch jetzt noch nicht gewähren wollte. Jedoch einen allgemeinen Krieg konnte sie nicht brauchen, und wenigstens die äußere Schmach des schmutzigen Handels wälzte sie mit diabolischem Geschick auf ihren preußischen Vasallen ab; Friedrich musste die Einwilligung Österreichs zur Vergewaltigung Polens besorgen, was ihm nur nach langem Hin und Her gelang, unter heftigstem Widerstreben namentlich der Kaiserin Maria Theresia. Wie sie ihrem Kanzler Kaunitz schrieb, schämte sie sich, sich sehen zu lassen, nachdem sie in dieser Sache, „wo nit allein das offenbare Recht himmelschreyend wider Uns, sondern auch alle Billigkeit und Vernunft wider Uns ist", Ehre und Reputation in die Schanze geschlagen habe. Nach ihrem Tode werde sich offenbaren, was aus dieser Verletzung an allem, was heilig und gerecht sei, hervorgehen müsse.

Von solchen Gewissensbedenken war der preußische König völlig frei, aber wie er die eigentliche Triebkraft der ruchlosen Tat war, so hat sie sich an ihm und seinen Nachfolgern am schwersten gerächt. Sie waren fester denn je an den russischen Triumphwagen gekettet; sehr bald, nach zwei kurzen Jahrzehnten, erwies sich die polnische Sache als das letzte Schwergewicht, das den altpreußischen Staat in den Abgrund riss, weil sie ihm die letzte Möglichkeit einer inneren Reform verschloss; dann wurde der Riss, den die drei Mächte durch Polen gezogen hatten, nach einem Worte der „Neuen Rheinischen Zeitung" das Band, das die internationale Reaktion der Heiligen Allianz4 zusammenkettete, und noch in unseren Tagen hat der Reichskanzler Bülow die sogenannte Ostmarkenfrage als die unverdaulichste aller innern Fragen bezeichnet.

Im September 1772 war der Raub vollzogen, von dem Friedrich nur den Anteil des Schakals erhielt: das Bistum Ermeland und die jetzige Provinz Westpreußen, mit Ausnahme der Städte Danzig und Thorn, 660 Geviertmeilen, gegen nicht ganz 1700, die auf den russischen und etwas über 1500, die auf den österreichischen Anteil fielen. Um den Raub vor der Welt zu rechtfertigen, veröffentlichten die drei Mächte sogenannte Rechtstitel, die sie zu haben behaupteten und die Friedrich selbst als nichtig verhöhnte; die Zustimmung des polnischen Reichstages erkauften sie durch eine Bestechungskasse, in die jeder der drei Missetäter 15.000 Dukaten steuerte.

Die Fäulnis vor der Reife

Diesen ersten polnischen Handel hat König Friedrich noch um vierzehn Jahre überlebt, unter wachsendem Verfalle des altpreußischen Staats. Je mehr eine neue Zeit heraufzudämmern begann, umso verwitterter erschien das feudale Gemäuer. Aber Friedrich hatte kein Auge dafür; er verhärtete sich vielmehr nur noch in seinen Grillen, je älter er wurde.

Nicht einmal für den beginnenden Zusammenbruch des Heerwesens hatte Friedrich ein Auge. Als er in den Jahren 1778 und 1779 zum letzten Male das Schwert zog, um die bayrischen Annexionsgelüste des Kaisers Joseph zurückzuschlagen, zeigte sich vor den Augen aller Welt, dass es mit dem preußischen Kriegsruhm stark bergab ging. „Ich kenne die preußische Armee nicht mehr", schrieb ein Offizier gegen Ende des Feldzugs, „es ist kein Leben unter Generals und Offiziers, alles lässt den Kopf hängen, und es ist in keinem Stücke die mindeste Ordnung." In dem einen Feldzuge verlor das Heer mehr durch Desertion als im ganzen Siebenjährigen Kriege.

Die Führung erwies sich als völlig unzulänglich wegen der großen Zahl altersschwacher Generale und invalider Stabsoffiziere. Der König und sein Bruder Heinrich warfen sich gegenseitig die bösesten Dinge vor. Der ganze Krieg verlief kläglich, und es war nur ein schwacher Trost, dass die Österreicher auch keine Heldentaten verrichteten und sich ebenso vor einer entscheidenden Schlacht scheuten wie die Preußen. Den ruhmlosen Krieg beendete dann der ruhmlose Frieden von Teschen5, bei dem Friedrich eine Nachgiebigkeit gegen Österreich zeigte, die selbst seinem Minister Hertzberg zu weit ging; nicht aber nur ruhmlos, sondern schmachvoll war, dass neben Frankreich, dessen Schutzrecht über die deutsche Verfassung schon seit dem Westfälischen Frieden6 bestand, auf Friedrichs Betreiben nun auch der Zar ein gleiches Schutzrecht eingeräumt erhielt.

So groß die Erbitterung im Heere über den Verlauf dieses Krieges war, den König belehrte sie nicht. Er dachte weniger denn je daran, an der Heeresverfassung zu rütteln; hatte er in jüngeren Jahren wohl noch mit dem guten Willen und der Hingebung des gemeinen Soldaten gerechnet, nunmehr vertraute er nur noch dem Stock, der allein einen guten Soldaten bilden könne. „Alles, was man aus ihm machen kann, beschränkt sich darauf, dass man ihm den Korpsgeist beibringt, das heißt, eine höhere Meinung von seinem Regiment als von allen Truppen des Weltalls, und da bei gewissen Gelegenheiten die Offiziere ihn quer durch die größten Gefahren hindurchführen müssen, so muss er seine Offiziere mehr fürchten als die Gefahren, denen man ihn aussetzt." Und mit dem Prügeln wuchsen die Drill-, Exerzier- und Paradekünste, die jede kriegsmäßige Ausbildung des Heeres unmöglich machten.

Mit der Missachtung aller moralischen Triebfedern, alles Ehrgefühls und selbst nur Ehrgeizes, die in dem gemeinen Soldaten wirken konnten, hing die schroffe Scheidung zusammen, die Friedrich zwischen dem Heere und dem Volke zog. Nach seinem bekannten Worte sollte die Nation es gar nicht merken, wenn das Heer sich schlüge. An diese despotische Weisheit hatten sich nun freilich die Franzosen, Österreicher und namentlich die Russen nicht gekehrt, sie hatten die preußischen Provinzen im Siebenjährigen Kriege grausam verheert. Aber der König hatte jeden Versuch bewaffneten Widerstandes, den die Bauern und Bürger gegen die Landesfeinde machten, rücksichtslos unterdrückt und mit schnödem Hohn überschüttet. Hätte sich so etwas wie eine nationale Gesinnung in „Seiner Königlichen Majestät Provinzien und Landen" entwickelt, sie wäre ihm in den Tod verhasst gewesen, und er hätte sie mit allen Machtmitteln bekämpft, über die er gebot. Allein in seinem Kastenstaat war er sehr sicher davor; was hatte der Adel mit dem Bauern oder dem Bürger, was der Bauer mit dem Bürger gemein! Über die Mär, dass sich die neue Bildung, die sich auf deutschem Boden entwickelte, an Friedrichs Kriegstaten entzündet haben soll, ist kein Wort mehr zu verlieren, mag die preußische Legende auch noch so hartnäckig auf ein törichtes Wort des alternden Goethe pochen. Friedrich selbst ist der kräftigste Gegenzeuge; er hat diese angebliche Tochter seiner Kriege nie gekannt oder, wo er sie einmal eines Blickes würdigte, in alberner Weise beschimpft; an seinem Lebensabende noch schrieb er das elende Pamphlet über die deutsche Literatur.

Von allen Größen unserer klassischen Literatur hielt nur Kant, der eingesponnenste Philister von ihnen, unter Friedrichs Zepter aus, wie er im Siebenjährigen Kriege unter dem Zepter der ewig betrunkenen Zarin Elisabeth ausgehalten hatte. Die geborenen Preußen Herder und Winckelmann flohen voll unüberwindlichen Entsetzens dies verfluchte Land; Klopstock sang dem „Fremdling im Heimischen" zornglühende Oden, und Lessing sprach voll bitterster Verachtung von dem „sklavischsten Land in Europa"7, wo man dem „vornehmen Hofpöbel" nicht einmal so die Wahrheit sagen dürfe wie in Österreich, nicht einmal so für die Rechte der Untertanen, gegen Aussaugung und Despotismus sprechen dürfe wie sogar in Frankreich und Dänemark, von dem „französierten Berlin", wo die Freiheit zu denken und zu schreiben sich einzig und allein darauf beschränke, gegen die Religion so viel Sottisen zu Markte zu bringen als man wolle.

Französiert" war Berlin nicht sowohl durch die französischen Literaten, die Friedrich als Spaßmacher für seine Tafel einlud und besoldete, und auch nicht durch die französischen Abenteurer von Adel, die sein edles Offizierskorps ergänzen sollten, als durch die französische Regie, die groteske Steuererpressungsmaschine, die sich Friedrich nach dem Siebenjährigen Kriege einrichtete, und die französische Kolonie, durch die Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, die schon Friedrichs Vorfahren ins Land aufgenommen hatten: nicht aus edelmütiger Toleranz, wie die preußischen Schulmeister behaupten, sondern um industrielle Kapitalien ins Land zu ziehen. Privilegiert, wie alle diese Elemente waren, standen sie der einheimischen Bevölkerung so feindlich gegenüber, wie sie sich vor dem Könige gehorsam duckten; das „französierte" Berlin konnte sowenig die Geburtsstätte bürgerlicher wie nationaler Gesinnung sein. Es blieb eine servile Residenzstadt ohne eine Spur von Rückgrat; was es von der französischen Zivilisation in sich aufnahm, waren nicht ihre Tugenden, sondern ihre Laster.

Es erübrigt, an dieser Stelle die unzähligen Zeugnisse dafür anzuführen, dass Berlin unter dem Könige Friedrich vermutlich die sittenloseste, jedenfalls eine der sittenlosesten Städte in Europa geworden ist. Sie sind alle darin einig, englische, französische, italienische Berichterstatter, auch solche, die aus dem außerpreußischen Deutschland kamen und keineswegs mit Vorurteilen zuungunsten Berlins. Selbst in den Briefen der winzigen Dichterlein, die zu Friedrichs Ruhme zittrige Harfentöne erklingen ließen, fanden sich Spuren genug von einer ausschweifenden Liederlichkeit. Es müssen grauenvolle Zustände gewesen sein, die ein höherer preußischer Beamter selbst mit den Worten schildert: „Die Verderbnis der Sitten hat sich allen Ständen mitgeteilt. Der Offiziersstand aber, ganz dem Müßiggange hingegeben und den Wissenschaften entfremdet, hat es in der Genussfertigkeit am weitesten gebracht. Sie treten alles mit Füßen, diese privilegierten Störenfriede, was sonst heilig genannt wurde, Religion, eheliche Treue, alle Tugenden der Häuslichkeit. Ihre Weiber selbst sind unter ihnen Gemeingut geworden, die sie verkaufen, vertauschen und wechselweise verführen. Die Weiber ihrerseits sind so verdorben, dass selbst vornehme adlige Damen sich zu Kupplerinnen herabwürdigen, junge Frauen und Mädchen von Stande an sich ziehen, um sie zu verführen und ihnen künstliche Präservative gegen Leibessegen zu verkaufen. Es gibt vornehme Weiber in Berlin, die sich nicht schämen, im Schauspielhause auf der Bank der öffentlichen Dirnen zu sitzen, um sich hier Galane zu verschaffen. Mancher Zirkel ausschweifender Weiber von Stande vereinigt sich auch wohl, um ein möbliertes Quartier in Kompanie zu mieten, wohin sie ihre Liebhaber bestellen, um ohne Zwang Bacchanale und Orgien zu feiern, die selbst dem Herzog von Orleans unbekannt und neu gewesen wären." Diesen Verfall der Sitten hatte das „französierte" Berlin von den privilegierten Klassen des alten Frankreichs übernommen; dem titanischen Kampfe der Enzyklopädisten wusste es nichts zur Seite zu stellen als die feige und verlogene Aufklärung des Nicolai und der Nicolaiten, die nach Lessings Worte wie eine armselige Blindschleiche daher gerutscht kam.

Und in diesem Sinne hat ein gescheiter Franzose, der im letzten Lebensjahre Friedrichs nach Berlin kam, um die preußische Monarchie zu studieren, hat Mirabeau das furchtbare Urteil von der „Fäulnis vor der Reife" gefällt.

Friedrich Wilhelm II.

Je mehr König Friedrich von den preußischen Historikern in den Himmel gehoben wird, umso mehr wird sein Nachfolger von ihnen preisgegeben: Friedrich Wilhelm II., der Neffe des kinderlosen Königs. Nicht sowohl weil sie daran verzweifeln, diesen Mohren weißzuwaschen – denn in diesem Punkte scheut ihre treufleißige Loyalität kein Hindernisrennen –, als weil sie ihn als hauptsächlichen Sündenbock für Jena gebrauchen. Seine Laster und Schwächen sollen den hochragenden Bau unterwühlt haben, den Friedrich errichtet hatte.

Es hat nun auch seine Richtigkeit mit diesen Lastern und Schwächen.

Friedrich Wilhelm war von Natur unbegabt, und von seinem Oheim, der den Thronfolger mit dem argwöhnischen Hasse des Despoten betrachtete, obendrein schlecht erzogen worden. Von früh auf ergab er sich sinnlichen Ausschweifungen, wie es übrigens Friedrich auch getan hatte; nur dass dieser schon in jungen Jahren zur Regierung gelangt war und so höheren Zielen nachtrachten konnte als leichten Siegen über willige Weiber. Friedrich Wilhelm aber zählte bereits 43 Jahre, als er auf den Thron gelangte; er befand sich in einem Alter, wo sich die Lebensgewohnheiten nicht mehr zu ändern pflegen, wenigstens nicht bei schwachen Charakteren, und es ist unbestreitbar, dass er die Landplagen des friderizianischen Despotismus um eine kostspielige Mätressenwirtschaft bereichert hat.

Seine Hauptmätresse, die ihn durch sein ganzes Leben begleitete, war eine Mamsell Encke, verehelichte Rietz, und endlich Gräfin Lichtenau von Königs Gnaden. Man hat sie wohl die preußische Pompadour genannt, was eigentlich doch nur insofern zutrifft, als sie nach dem Verblühen ihrer Reize entsagend genug war, dem Könige immer neuen Jungferntribut zu schaffen. Sonst hat sie ihren gekrönten Liebhaber weder in einen Siebenjährigen Krieg getrieben noch hat sie ein Werk wie die Enzyklopädie vorm Verbrennen gerettet oder einen Francois Quesnay unter ihrem Schutz ein tableau economique schreiben lassen. Das heißt: Sie war frei von dem Glimpf wie von dem Schimpf, der aus der Pompadour bei alledem eine historische Figur gemacht hat. Doch besaß sie bei aller Leichtfertigkeit eine große Gutmütigkeit; sie hat den König bis in die schrecklichen Stunden seines Todes gepflegt, als er von seinen Höflingen und Günstlingen und selbst von seiner legitimen Familie gänzlich verlassen war.

Aber auch die beiden Nebengemahlinnen, die sich der dicke Wilhelm, wie ihn der Volksmund nach seiner unförmlichen Leibesgestalt nannte, von seinem protestantischen Hofprediger antrauen ließ, beiläufig einem „Aufklärer", gehören durchaus nur der chronique scandaleuse, nicht der Geschichte an. Die eine war eine Gräfin Voß, die auf das Zureden ihrer eigenen Familie eine adlige Dirne wurde, zu dem erhabenen Zweck, den König aus den Netzen einer bürgerlichen Dirne zu befreien, aber sehr bald starb, als sie die Erfolglosigkeit ihres patriotischen Opfers erkannte. Die andere war eine Gräfin Dönhoff, die dem Könige den Grafen Brandenburg gebar, den späteren Staatsstreichler von 1848; sie machte allerdings einen Versuch, sich in die Politik zu mischen, indem sie den König von seinem wahnwitzigen Kreuzzuge gegen das revolutionäre Frankreich zurückzuhalten suchte und ihm die ebenso derben wie vernünftigen Worte schrieb: „Ich gebe Sie ganz auf, wenn Sie Sich mit solchem Leichtsinn in ein so gewichtiges und schwieriges Unternehmen einlassen … Sie werden von der Grenze zurückgeschlagen werden. Ihre ritterliche Laune macht Sie zu einem Don Quichotte, der ebenfalls Berg und Tal durchzog, um überall das Recht wiederherzustellen, sich auf alles stürzte, was ihm in den Weg kam, und losschlug, ohne auf die Anzahl und Stärke seiner Gegner Rücksicht zu nehmen." Aber dieser Brief und ähnliche Äußerungen der Gräfin Dönhoff wurden von dem Emigrantengesindel, das am Berliner Hofe schmarotzte, dazu benutzt, sie als geheime Parteigängerin der Pariser Jakobiner dem König zu denunzieren, der sie daraufhin wirklich verstieß.

Es ist wahr, dass diese Mätressenwirtschaft nicht nur die Finanzen zerrüttete, sondern auch die Sittenlosigkeit noch steigerte, die schon unter dem Könige Friedrich eingerissen war. Der berühmte Bildhauer Schadow sagte darüber als Augenzeuge: „Zur Zeit Friedrich Wilhelms II. herrschte die größte Liederlichkeit. Alles besoff sich in Champagner, fraß die größten Leckereien, frönte allen Lüsten. Ganz Potsdam war wie ein Bordell; alle Familien dort suchten nur mit dem Könige, mit dem Hofe zu tun zu haben; Frauen und Töchter bot man um die Wette an, die größten Adligen waren am eifrigsten. Die Leute, die das wüste Leben mitgemacht haben, sind alle früh gestorben, zum Teil elendiglich, der König an der Spitze." Aber es war schon zu Lebzeiten Friedrichs nicht viel besser gewesen; es handelte sich höchstens um einen Unterschied im Grade, aber nicht in der Art; auf die historische Entwicklung des altpreußischen Staates hat die Mätressenwirtschaft von Friedrichs Nachfolger keinen irgend nennenswerten Einfluss gehabt.

Ebenso wenig aber die andere Landplage, um die Friedrich Wilhelm II. das Sündenregister des friderizianischen Despotismus bereicherte. Er verwandelte das alte Sprichwort von den jungen Dirnen und alten Betschwestern – und das war vielleicht seine originalste Leistung – aus dem Nach- in ein Nebeneinander. Von aller ernsten Tätigkeit absichtlich ferngehalten, tief in Schulden verstrickt, von einer zügellosen Sinnlichkeit erschöpft, hatte er sich früh in den katzenjämmerlichen Stimmungen, die seinen Orgien auf dem Fuße folgten, einer mystischen Frömmelei ergeben und in den geheimen Orden der Rosenkreuzer aufnehmen lassen, eine jener zahllosen Karikaturen auf den Jesuitenorden, die am Ende des achtzehnten Jahrhunderts auftauchten, als Mittel, Fürsten und Minister zu beherrschen, sei es nun nach dieser oder jener Richtung, in einer Zeit, wo öffentliche Wirksamkeit noch so gut wie ausgeschlossen war. Wie der Illuminatenorden einer seichten Aufklärung, so diente der Orden der Rosenkreuzer einer seichten Muckerei; es ist oft behauptet worden, dass er eine protestantische Abzweigung des Jesuitenordens gewesen sei. Wahrscheinlich ist es aber nicht, da die Jesuiten sich in ihrer Weise doch immer der Bildung ihrer Zeit zu bemächtigen suchten, während die Rosenkreuzer den plumpsten Hokuspokus trieben, Universalheilmittel brauten, Geister mit einer Laterna magica zitierten, aus jedem Metall Gold zu machen und eine Kanonenkugel mitten im Fluge aufzufangen versprachen, anderen Blödsinns nicht zu gedenken, der mit dem damaligen Stande der Naturwissenschaften doch schon in allzu krassem Widerspruche stand.

In diesem Orden nun bemächtigten sich zwei geriebene Gauner des preußischen Thronfolgers. Sie hießen Bischoffwerder und Wöllner, jener ein hungriger Junker, dieser ein hungriger Pfaffe. Sie führten ihren hohen Bundesbruder am Narrenseile, indem sie die Zerknirschung, die ihn in ihre Arme getrieben hatte, zu erhalten und zu steigern wussten; sie beriefen durch ihre Zauberlaterne Marc Aurel, Leibniz und ähnliche Geister, um dem erschöpften „Weiberknechte" furchtbare Strafpredigten zu halten, wobei für sie noch der Vorteil abfallen konnte, den Einfluss der Rietz zu brechen und ihr Opfer allein in ihre Hände zu bekommen. So weit haben sie es freilich nicht gebracht; von seinen Buhlerinnen ließ der dicke Wilhelm trotz aller Geistermahnungen gegen sein Lasterleben nicht. Aber für die perverse Wollust, die ihm seine rosenkreuzerischen Freunde durch ihre moralischen Geißelschläge bereiteten, blieb er ihnen doch dankbar, und sie wurden seine erklärten Günstlinge, als er den Thron bestieg.

Damit soll er nun seiner Regierung den „verhängnisvollen, unauslöschlichen Stempel" aufgedrückt, mit den „glorreichen Überlieferungen" des „großen Königs" gebrochen und den unaufhaltsamen Niedergang des Staats herbeigeführt haben. So heißt es namentlich in der liberalen Legende, die noch viel pathetischer zu deklamieren weiß als die junkerliche. Es ist aber kein wahres Wort daran, sowenig natürlich an dem Religions- und dem Zensuredikte zu loben ist, die Wöllner im Jahre 1788 als neugebackener Minister erließ. Das Zensuredikt Wöllners war eher ein Fortschritt als ein Rückschritt gegen die Zensuredikte des Königs Friedrich und ein so echt preußisches Gewächs, dass es noch vierzig Jahre nach Wöllners Tode die „Rheinische Zeitung" erschlagen und Karl Marx aus Deutschland getrieben hat.

Ebenso fußte das Religionsedikt Wöllners durchaus auf dem friderizianischen Prinzip, die Religion als despotisches Herrschaftsmittel zu missbrauchen, nur dass dem alten Fritz alle Religionen für diesen Zweck gleich lieb waren, während Wöllner der lutherischen Orthodoxie den entschiedensten Vorzug vor dem seichten Aufkläricht gab, der damals in Berlin grassierte. Wenn übrigens der „große König" als prophetischer Genius beschworen wird, weil er von Wöllner als einem „betriegerischen und intriguanten Pfafen" geschrieben hatte, so mag diese Charakteristik durchaus treffend gewesen sein, aber sie beweist nichts für den prophetischen Genius des alten Fritz, sintemal er jene ehrenvolle Titulatur auf Wöllner nicht wegen dessen religiösen Gaukeleien anwandte, sondern weil Wöllner das unverzeihliche Verbrechen begangen hatte, als „Roturier" eine geborene v. Itzenplitz zu heiraten.

Bekanntlich war kein Geringerer als Lessing der Meinung, dass die Berliner Aufklärer, wenn sie je zur Macht gelangten, sich ebenso unduldsam erweisen würden wie die Orthodoxen. Mit dieser Ansicht, so gerechtfertigt sie ohne Zweifel war, darf die Verfolgung, die Wöllner über die armen Teufel verhängte, gewiss nicht gerechtfertigt werden, aber er tat nichts Schlimmeres, als heut noch jedes preußische Konsistorium tut, wenn er verlangte, dass die evangelischen Geistlichen „die christliche Religion, so wie sie in der Bibel gelehret wird und in den symbolischen Büchern festgesetzt ist", aufrechterhalten und lehren sollten, unbeschadet ihrer Gewissensfreiheit und ohne die Absicht, ihrer inneren Überzeugung einen Zwang anzutun. Das Edikt hätte sich sogar auf Kant berufen können, der wenige Jahre früher in der „Berlinischen Monatsschrift…" ausgeführt hatte, ein Geistlicher müsse seinen Katechismusschülern und seiner Gemeinde nach dem Symbol der Kirche, der er diene, seinen Vortrag tun, denn auf diese Bedingung sei er angenommen worden. Als Gelehrter habe er aber volle Freiheit, seine abweichenden Ansichten und Vorschläge zur Besserung dem Publikum mitzuteilen. „Es ist hierbei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn was er, zufolge seines Amts, als Geschäftsträger der Kirche lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eines anderen vorzutragen angestellt ist." Darin ging das Religionsedikt allerdings über Kant, wenn auch nicht über Friedrich hinaus, dass es von jedem „guten Bürger" verlangte, seine „jedesmalige besondere Meinung" für sich zu behalten und nicht andere damit irrezumachen, aber in seinem eigentlichen Kern, in der Bedrohung aufklärerisch lehrender Geistlicher mit Amtsentsetzung, zog es nur die Folgerung aus Kants Forderung, dass es Gewissenspflicht jedes Geistlichen sei, sein Amt niederzulegen, sobald er in den Satzungen der Kirche der inneren Religion Widersprechendes zu finden glaube.

Damit sollen weder die Verfolger entschuldigt noch die Verfolgten angeklagt werden. Jedoch historisch war der ganze Handel eine sehr beiläufige Sache, die nicht den tausendsten Teil des Lärms lohnte, der darüber gemacht worden ist. Am klarsten wurde der Froschmäusekrieg in seiner Nichtigkeit beleuchtet durch den Konflikt, in den Wöllner schließlich mit dem größten oder vielmehr mit dem einzig großen der preußischen Aufklärer geriet, eben mit Kant. In seiner Schrift über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft hatte Kant dem Pfaffentum scharf abgesagt, das allemal da anzutreffen sei, wo nicht Prinzipien der Sittlichkeit, sondern statutarische Gebote, Glaubensregeln und Observanzen das Wesentliche ausmachten, und zugleich dem landläufigen Tross der Aufklärer einen Weg gezeigt, sich den Verfolgungen Wöllners zu entziehen, indem er alle noch so dicken Dogmen der lutherischen Kirche in philosophische Gemeinplätze verflüchtigte, zu denen sich alle angefeindeten oder beargwöhnten Geistlichen ohne Scheu bekennen konnten.

Darauf erging am 1. Oktober 1794 die bekannte, von Wöllner gezeichnete Kabinettsorder an Kant, worin dieser beschuldigt wurde, seine Philosophie zur Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der Heiligen Schrift und des Christentums missbraucht und unverantwortlich seine Pflicht als Lehrer der Jugend verletzt zu haben. Er wurde mit der höchsten Ungnade und bei fortgesetzter Renitenz mit unangenehmen Verfügungen bedroht. Kant hatte aber, obgleich längst ein weltberühmter Mann, nicht den Mut, diesen ungehobelten Rüffel abzuweisen, wie er es verdiente; er suchte sich demütig zu rechtfertigen und verpflichtete sich zum gänzlichen Schweigen, „als Euer Majestät getreuester Untertan", wie er sich ausdrückte, eine Floskel, die ihm, wie er nach dem Tode des Königs selbst ausführte, ermöglichen sollte, unter dem Nachfolger seine öffentlichen Vorlesungen über Religion wieder aufzunehmen. Einen Geisteskampf, der in so tragikomischer Weise selbst von einem Manne wie Kant geführt wurde, sollte man doch lieber nicht in historischem Tragödienstil behandeln.

Die Günstlinge wie die Mätressen Friedrich Wilhelms II. mögen sonst viel auf dem Gewissen haben, aber den altpreußischen Staat haben sie nicht ins Verderben gestürzt; was sie in dieser Beziehung gesündigt haben, zählt im großen Zusammenhange der Dinge kaum mit. Es wird mehr als aufgewogen durch manche kleine Reformen, die unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. durchgeführt worden sind. Man kann dahin nicht eigentlich die Aufhebung der Regie, des Kaffee- und des Tabakmonopols rechnen, denn die drückende Steuerlast wurde deshalb nicht geringer. Auch die Anknüpfung mit der deutschen Dichtung verlief nur als abgeschmackte Posse. Der alte Gleim erhielt ein königliches Handschreiben, worin sich Friedrich Wilhelm mit Vergnügen zum Beschützer der deutschen Muse erklärte, wenn alle deutschen Dichter dem Papa Gleim gleichen und ebenso unsterbliche Werke wie dieser liefern wollten. Ramler wurde mit einem Jahresgehalt von 800 Talern bedacht, und die Poetin Karschin, die den alten Fritz schon unaufhörlich angebettelt hatte, jedoch immer mit kargen Gaben von einigen Talern abgespeist worden war, erhielt ein schönes Haus geschenkt. Aber sonst wurde manche Härte des friderizianischen Regiments ausgeglichen, manch Opfer seiner Kabinettsjustiz rehabilitiert, dies oder jenes in dem Heerwesen und der Verwaltung ausgeflickt.

Im Ganzen und großen blieb alles beim Alten, wie es denn auch nicht anders sein konnte. Der altpreußische Staat konnte nicht von innen heraus reformiert werden, am wenigsten durch den Monarchen, mochte dieser beschränkt oder genial, gewissenhaft oder leichtfertig sein. Allein auch ein glücklicher Feldherr konnte der preußische König nicht mehr sein. Es fügte sich zwar, dass Friedrich Wilhelm II. mit einem raschen und unblutigen Siegeszuge durch Holland beginnen konnte, um seinen Schwager, den oranischen Erbstatthalter, vor der republikanischen Patriotenpartei zu schützen; auch war dieser Zug nicht bloß ein Familienabenteuer, das mit den sechs Millionen Kriegskosten allzu teuer bezahlt worden wäre; er führte zur Allianz mit England und Holland, die das isolierte Preußen wohl gebrauchen konnte.

Allein als der morsche Staat mit diesem festeren Boden unter den Füßen wieder eine europäische Politik beginnen wollte, offenbarte sich seine vollendete Unfähigkeit, und nun begann der Tanz mit einem Gegner, der für ihn immer unüberwindlich bleiben musste, mit der bürgerlichen Revolution.

1 Friedrich II. führte gegen Österreich drei Kriege um den Besitz Schlesiens. Der erste, 1740-1742, brachte durch den Frieden von Breslau (12. Juli 1742) beziehungsweise von Berlin (28. Juli 1742) fast ganz Schlesien und Glatz an Preußen. Der zweite, 1744-1745, ausgelöst durch den Einfall Preußens in Böhmen, führte mit dem Dresdner Frieden (25. Dezember 1745) zur Bestätigung der preußischen Ansprüche auf Schlesien und Glatz.

Der dritte schlesische Krieg, bekannter als Siebenjähriger Krieg, wurde von Preußen mit Hilfe Englands 1756-1763 gegen Österreich, Russland, Frankreich, Sachsen, Schweden und die Reichsarmee geführt. Durch den Tod Elisabeths von Russland vor dem Zusammenbruch bewahrt, rettete Preußen auf dem Frieden von Hubertusburg (15. Februar 1763) seinen Besitzstand.

2 Der englisch-französische Kampf um die Kolonien erreichte um die Mitte des 18. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. 1754 begannen die Kampfhandlungen in Kanada. 1756 schloss England mit Preußen den Vertrag von Westminster. Die Hauptstreitkräfte Frankreichs waren durch den Krieg gegen Friedrich II. (Siebenjähriger Krieg) in Europa gebunden. Der französische Absolutismus erlitt im Kolonialkrieg eine schwere Niederlage. Mit dem Verlust Kanadas und dem Verlust der Vorherrschaft in Indien (Frieden von Versailles 1763) war das Ansehen des französischen Absolutismus untergraben und England Zu einer bedeutenden Kolonialmacht geworden.

3 Gemeint ist der auf Schloss Hubertusburg bei Leipzig zwischen Preußen, Österreich und Sachsen geschlossene Frieden, der den Siebenjährigen Krieg beendete.

4 Das am 26. September 1815 auf Anregung Alexanders I. von den Monarchen Russlands, Preußens und Österreichs unterzeichnete Bündnis zur Niederwerfung aller demokratischen und nationalen Bestrebungen in Europa leitete die Restaurationsepoche ein. Es erhielt seinen Namen nach dem Manifest, das sich in schwülstigen religiösen Phrasen erging.

5 Der Frieden von Teschen vom 13. Mai 1779 beendete den Bayrischen Erbfolgekrieg zwischen Preußen und Österreich 1778/1779.

6 Der seit 1643 in Osnabrück zwischen den kaiserlichen, reichsständischen und schwedischen Gesandten und in Münster zwischen dem deutschen Kaiser und Frankreich verhandelte und am 24. Oktober 1648 in Münster unterzeichnete Frieden beendete den Dreißigjährigen Krieg.

7 In einem Brief an Friedrich Nicolai vom 25. August 1769. Ausführlicher dazu: Franz Mehring: Die Lessing-Legende, Bd. 9 der „Gesammelten Schriften", Dietz Verlag, Berlin 1963, S. 297.

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