II. Die Französische Revolution

II

Die Französische Revolution

Frankreich und Preußen

Zunächst berührte sich der altpreußische Staat mit der Französischen Revolution in durchaus freundlicher Weise. Das österreichische Bündnis, das einst zum Siebenjährigen Kriege geführt hatte, war in Frankreich niemals populär geworden, wie es denn auch den altfranzösischen Überlieferungen widersprach, die darauf gerichtet sein mussten, Österreich durch Preußen zu zähmen, nicht aber Preußen durch Österreich zu vernichten.

Die Misserfolge des Siebenjährigen Krieges hatten dann alle Befürchtungen bestätigt, die an eine so völlige Umkehr der französischen Politik geknüpft worden waren, allein die französischen Könige hatten längst die Fühlung mit dem nationalen Bewusstsein verloren und sich nur noch enger mit den Habsburgern verbündet; die Gemahlin Ludwigs XVI., unter dem im Jahre 1789 die Französische Revolution ausbrach, war die jüngste Tochter Maria Theresias und beim französischen Volke um so verhasster, als die Revolution an ihr in der Tat einen entschlosseneren und kräftigeren Gegner hatte als am Könige selbst.

Dagegen erschien der preußische Staat den französischen Revolutionären mehr oder weniger im Lichte eines freisinnigen und modernen Gemeinwesens. Mirabeau freilich, der in dem ersten Jahre der Revolution die Nationalversammlung beherrschte, wusste es besser; er hatte gleich nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II. einen offenen Brief an den neuen König gerichtet, worin er ihm eine Reihe durchgreifender Reformen empfahl: Umwandlung der militärischen Sklaverei in eine nationale Miliz mit kurzer Dienstpflicht und gänzlichem Ausschluss der ausländischen Werbung, Niederreißung der ständischen Schranken, allgemeine Bauernbefreiung, Gleichstellung der königlichen Beamten und der Offiziere, Aufhebung der Zensur, Proklamierung unbeschränkter Toleranz, Aufbesserung der Landschulen und anderes mehr, woran ein preußischer König gar nicht denken durfte. Allein die französischen Revolutionäre mussten ja auch erst mit der feudalen Trümmerwelt aufräumen, und sie hofften in Berlin auf ein desto willigeres Verständnis ihrer Aufgaben; die alte Lehensherrschaft über Preußen, die französischen Tendenzen des alten Fritz und seine lebhaften persönlichen Beziehungen zu den französischen Aufklärern, alles das wirkte zusammen, um den preußischen Namen in Frankreich so populär zu machen, wie der österreichische Name unpopulär war.

Von preußischer Seite aber wurde diese Sympathie durchaus erwidert. Graf Hertzberg, der einflussreichste der preußischen Minister, schrieb am 5. Juli 1789 an seinen König: „In Frankreich ist das königliche Ansehen vernichtet, die Truppen haben nicht handeln wollen; Ludwig hat dem Volke erklärt, dass er die königliche Sitzung als nicht geschehen betrachte, das kündigt fast eine Szene Karls I. an; es ist eine Gelegenheit, von der die guten Regierungen Vorteil ziehen müssen." Der König war mit dieser Auffassung seines Ministers auch im höchsten Grade einverstanden und ermächtigte seinen Gesandten von der Goltz, mit der demokratischen Partei der französischen Nationalversammlung in einen Verkehr zu treten, der bald sehr vertraulich werden sollte.

Man hat diese sympathische Politik damit entschuldigen oder selbst verherrlichen wollen, dass man gesagt hat, in den ersten unschuldigen Jahren der Revolution habe sie die Sympathie aller braven und rechtlichen Menschen verdient, die sich damals für den historischen Fortschritt erwärmt hätten, und gerade durch solche Sympathie habe sich der preußische Staat als ein Anhänger des historischen Fortschrittes bewährt; erst später hätten ihn die ruchlosen Gewalthaber der Schreckensherrschaft auf den konterrevolutionären Weg gedrängt. Diese borussische Legende wird durch die Legende der französischen Bourgeoisie gestützt, wonach sie 1789 in aller friedsamen Gesetzlichkeit mit schönen parlamentarischen Reden eine heilsame Reform begonnen haben will, die zum allgemeinen Frieden und Wohlgefallen für die Menschen geführt haben würde, wenn nicht einige fürchterliche Blutmenschen und die Plünderungsinstinkte eines zügellosen Pöbels eine bluttriefende Diktatur errichtet hätten.

Tatsächlich hat aber die edle, sanftmütige Bourgeoisie ihre große Revolution sowenig mit Rosenwasser gemacht, wie Revolutionen überhaupt mit Rosenwasser gemacht zu werden pflegen. Sie begann 1789 vielmehr mit einer Schreckensherrschaft, die viel blutiger, grausamer und namentlich räuberischer war als einige Jahre später die Schreckensherrschaft der Robespierre und St.-Just. Freilich hat sie sich damals, wie immer, die Kastanien von anderen Leuten aus dem Feuer holen lassen.

Die ersten Jahre der Revolution, in denen nur die bürgerliche Beredsamkeit unter der Führung des genial-feilen Abenteurers Mirabeau ihre Triumphe gefeiert haben will, waren tatsächlich ein fortlaufender Bauernaufruhr. Vom März bis Juli brachen nicht weniger als 300 Aufstände in Frankreich aus. Überall im Lande wurden die Schlösser verbrannt, die Edelleute getötet oder misshandelt, die Kirchen verwüstet, die Gutshöfe geplündert. Ein Ausschussbericht der Nationalversammlung vom 5. August 1789 sagt darüber: „In allen Provinzen ist jede Art des Eigentums dem schändlichsten Raube zur Beute; die Auflagen, die gutsherrlichen Rechte, alles ist zerstört; die Gesetze sind ohne Kraft, die Behörden ohne Ansehen, die Rechtspflege ein eitles Scheinbild." Die Nationalversammlung tat nur, was sie nicht lassen konnte, als sie in der berühmten Augustnacht alle feudalen Rechte zum Fenster hinauswarf; wenn sie dabei von Begeisterung entflammt gewesen ist, wie die Historiker der Bourgeoisie versichern, so war es Begeisterung über den kolossalen Raub, den sie am feudalen Eigentum begehen konnte, nachdem die feudalen Besitzer von den Bauern zum Teufel gejagt worden waren.

Neben den Bauern war die gedrückteste Klasse des alten Frankreichs diejenige städtische Bevölkerung, die außerhalb der offiziellen Gesellschaftsorganisation stand. Gewerbe und Handel lagen durch das ganze Reich hin in den Banden des strengsten Zunftzwanges; nach und nach waren selbst die geringfügigsten Erwerbszweige zu zünftigen Handwerken umgestempelt worden. Die Monopolisierung der Gewerbe machte es unzähligen Gesellen unmöglich, je zur Meisterschaft zu gelangen; sie durchzogen ganz Frankreich, ohne einen Ort zu finden, wo es ihnen gestattet worden wäre, sich niederzulassen, bis sie endlich in ihre Heimat zurückkehrten, um heimlich und verstohlen, gehetzt und verfolgt von der Polizei, ihrer Hände Arbeit zu verrichten. Man musste sich schließlich damit abfinden, diese ungerechte und unsinnige Organisation der nationalen Arbeit beständig durchlöchert zu sehen, und man fand sich in sehr bezeichnender Weise damit ab. So wie es für Schuldner und selbst für Verbrecher Asyle gab, in denen die Herrschaft der Gesetze aufhörte, so gefiel man sich darin, Asyle für die heimat- und rechtlose Arbeit zu schaffen. In Paris gab es zwei solche Zufluchtsstätten, den Bezirk des Temple und die Vorstadt St.-Antoine. Namentlich in dieser Vorstadt hatten sich bis zum Ausbruch der Revolution 70.000 Arbeiter niedergelassen; jede Ecke und jeder Winkel war hier übersät von Ausgeschlossenen, die auf dem offiziellen Boden der Gesellschaft keinen Raum mehr finden konnten. Die Vorstadt St.-Antoine wurde der eigentliche Herd der Revolution; aus ihr strömten die Stürmer der Bastille, und sie war der Wall, an dem die Stöße der Gegenrevolution sich brachen.

Über den gewaltsamen Charakter der Revolution konnte man sich in Berlin also nicht täuschen und hat sich auch nicht darüber getäuscht. Wie der Minister Hertzberg schon neun Tage vor dem Sturm auf die Bastille die Hinrichtung Ludwigs XVI. prophezeite, so frohlockte er vierzehn Tage nach diesem Sturm über den Sturz des französischen Königtums. Er verkannte dabei nicht den gewaltsamen, aber wohl den historischen Charakter der Französischen Revolution; er bildete sich ein, an diesem Feuer die Eier der hohenzollernschen Hausmachtpolitik rösten zu können. Mit dem Sturze der französischen Monarchie sah er auch ihr österreichisches Bündnis vernichtet. „Das scheint", schrieb er an den König, „die rechte, aber auch die letzte Epoche zu sein, die Ew. Majestät benutzen kann, um Ihrer Monarchie den höchsten Grad der Festigkeit zu geben." Der König wieder schrieb an den preußischen Gesandten in Paris: „Mich interessieren diese Dinge nur, insoweit sie für den Einfluss Frankreichs auf die europäischen Angelegenheiten von Wichtigkeit sind", und Goltz antwortete ihm: „Ew. Majestät Stellung wird durch den Bastillesturm und die Ohnmacht der Königin bedeutend verstärkt." So wenig ahnten alle diese Biedermänner von der elementaren Kraft der Französischen Revolution.

Es war die unheilbare Selbstverblendung der unaufhaltsam niedergehenden Staaten. Sie wurde nicht einmal gehoben, als die Fanale der Revolution weithin über Europa leuchteten, sondern schlug nur in die andere unheilbare Selbstverblendung um, dass sich ein Flammenmeer mit ein paar zerbrochenen Spritzen löschen lasse.

Preußen und Österreich

Was in den preußischen Gewalthabern überschwängliche Hoffnungen erweckte, waren die Agonien Josephs II.

Er war im Jahre 1780 nach dem Tode seiner Mutter Maria Theresia Alleinherrscher des österreichischen Gesamtstaats geworden. Von Kindesbeinen an hatte er in dem preußischen Friedrich nicht minder sein Vorbild als seinen Todfeind gesehen. Jedoch unterschied er sich von ihm darin, dass er mit dem aufgeklärten Despotismus, den Friedrich nur im Munde führte, wirklichen Ernst machte. Er führte in seinen Staaten mit rücksichtsloser Energie eine Reihe einschneidender Reformen durch, nahm dem Adel die Steuerfreiheit und die unbeschränkte Verfügung über die Bauern, dem Klerus zahlreiche Klöster, dem auf Stellenkauf beruhenden Beamtenadel seine Sporteln.

Aber es zeigte sich nun auch, wie ohnmächtig der aufgeklärte Despotismus war, wenn er wirklich seinen Namen verdienen und nicht bloß nach der Pfeife der bevorrechteten Klassen tanzen wollte. Unter diesen Klassen entstand eine heftige Gärung, die sich in einzelnen Ländern zum offenen Aufstande steigerte, so in Belgien, das damals noch habsburgisches Besitztum war, so auch in Ungarn, so endlich in Galizien. Alle diese Aufstände genossen die Unterstützung der preußischen Krone; nach Belgien sandte Friedrich Wilhelm II. einen Diplomaten, um die Rebellen zu beraten, und einen General, um ihre Streitkräfte zu organisieren; in Wien stand der preußische Gesandte Jacobi in enger Verbindung mit den Führern der ungarischen Opposition und trieb sie zu jedem Schritte, der den offenen Aufstand gegen den Kaiser herbeiführen konnte; in Galizien hatte Lucchesini, der preußische Gesandte in Warschau, alle Fäden der aufständischen Bewegung in der Hand, lieferte ihr Geld und Waffen.

Zu gleich günstigen Ergebnissen für Preußen und gleich ungünstigen Ergebnissen für ihn selbst führte die auswärtige Politik Josephs II. Er konnte den Verlust Schlesiens nicht verschmerzen und war auf neuen Landerwerb bedacht; als ihm Friedrich durch den bayrischen Erbfolgekrieg1 die Annexion Bayerns vereitelt hatte, warf er sich nach dem Tode seiner Mutter in die Arme der Zarin Katharina, die um eines so viel wertvolleren Bundesgenossen willen ihren preußischen Satrapen gleichmütig in die Ecke schob. Vergeblich hatte Friedrich seinen Thronfolger nach Petersburg gesandt, um dieses herbe Schicksal abzuwenden; der erlauchte Gesandte wurde von der Zarin wie ein dummer Junge misshandelt. Zwar lief der preußisch-russische Vertrag noch bis zum Jahre 1788, aber im Mai 1781 schloss die Zarin mit Joseph ein Verteidigungsbündnis auf acht Jahre und enthüllte ihm ein Jahr darauf ihre Pläne, die in erster Reihe auf die Wiederherstellung des alten griechischen Kaisertums in Konstantinopel gingen, als einer russischen Sekundogenitur, mit ihrem zweitgeborenen Enkel Konstantin auf dem Thron.

Indessen Josephs Gegenforderungen griffen ihr zu weit; es kam zunächst nur dazu, dass sie die Krim erwarb, Joseph aber mit seinem Plane, Bayern gegen Belgien einzutauschen, nicht ans Ziel gelangte; er scheiterte freilich mehr an dem Einspruch seines französischen Verbündeten als an dem deutschen Fürstenbunde2, den Friedrich in seinen letzten Lebensjahren stiftete, einer diplomatischen Eintagsschöpfung, zu der sich einige deutsche Fürsten unter Friedrichs Ägide bereit fanden, aus Angst vor den ausschweifenden Eroberungsabsichten Josephs. Unter diesen Umständen war es für Preußen von Bedeutung, nach dem Tode Friedrichs wieder namhafte Verbündete in England und Holland zu gewinnen, und zwar um so mehr, als nunmehr im Jahre 1787 der Krieg zwischen den beiden Kaiserhöfen und der Türkei ausbrach. Durch diesen Krieg war nicht nur die Türkei, sondern auch Polen bedroht; beide sahen in Preußen ihren Retter und verbündeten sich mit ihm; Schweden erklärte bereits im Juli 1788 den Krieg an Russland. Die Türken selbst leisteten in diesem Jahre den Russen kräftigen Widerstand und richteten die Österreicher sogar aufs übelste zu; als dann im Jahre 1789 die Revolution in Frankreich ausbrach, verlor Österreich auch diesen alten Verbündeten und geriet in die gefährlichste Lage.

So erklärt sich die anfängliche Begeisterung der preußischen Regierung für die Französische Revolution, die ihr äußerlich eine so glänzende Stellung gab, wie sie nie zuvor gehabt hatte. Es schien jetzt bei ihr zu liegen, den Stoß ins Herz des österreichischen Todfeindes zu führen. Jedoch wie die auswärtige Politik des Königs Friedrich immer nur darauf ausgegangen war, ein Stück Land mehr zu erschnappen, unbekümmert um alle anderen und namentlich auch um alle nationalen Rücksichten, so wollte auch sein Schüler Hertzberg die günstige Gelegenheit allein zu einem großen Länderschacher ausbeuten. Er rechnete darauf, dass die Kaiserhöfe und die Türkei sich gegenseitig abmatten würden, wie denn auch im Jahre 1789 das Kriegsglück sich wandte, die Türken schwere Niederlagen erlitten und alles Land im Norden der Donau räumen mussten. Zwischen die ermatteten Kämpfer wollte dann Preußen treten und den Frieden unter der Bedingung diktieren, dass die Türkei große Landstriche an Österreich und Russland abträte, wofür ihr der Rest ihres Besitzes von den europäischen Mächten für ewig verbürgt werden sollte; dann sollte Österreich Galizien an Polen und Russland finnische Bezirke an Schweden auflassen, Preußen aber als Lohn für diese Vermittlung die Städte Danzig und Thorn sowie die Palatinate Posen und Kalisch von Polen, endlich Vorpommern von Schweden erhalten. Mit diesem „großen Plane" wollte Hertzberg das Vorbild nachahmen, das ihm sein Lehrer und Meister Friedrich bei dem ersten Raub an Polen gegeben hatte.

Aber zunächst erreichte er dadurch nur, dass er seine Bundesgenossen vor den Kopf stieß. Die Türken schrien, Schlimmeres könnten ihnen die Kaiserhöfe auch nicht zumuten; in Polen ging eine allgemeine Entrüstung durchs Land, nicht eine Scholle polnischer Erde dürfe dem angeblichen Bundesgenossen, dem habgierigen Nachbarn, überlassen werden; auch England und Holland versagten sich völlig diesen weit ausgreifenden Plänen. Derweil starb Kaiser Joseph am 20. Januar 1790 mit dem schmerzlichen Geständnis, er habe das Unglück gehabt, alle seine Entwürfe scheitern zu sehen. Sein Bruder und Nachfolger Leopold aber, der bisherige Großherzog von Toskana, ein kühl rechnender Kopf, war von jeher mit der josephinischen Politik nicht einverstanden gewesen; er beeilte sich, den inneren Frieden des Reiches wiederherzustellen, indem er auf die Reformen Josephs verzichtete; dann wandte er sich am 20. März in einem eigenhändigen Briefe an Friedrich Wilhelm II., versicherte ihm seine Friedensliebe und bot als Freund dem Freunde die Hand, um jedes Missverständnis zu beseitigen. So schwer ihm dies Entgegenkommen fallen musste nach all den Wühlereien, durch die Preußen den bewaffneten Aufstand in Belgien, Galizien und Ungarn zu schüren versucht hatte, so machte er in Berlin zunächst geringen Eindruck; ich erwarte nur heimtückische und unannehmbare Vorschläge, schrieb der König an Hertzberg. Jedoch wurde die kriegerische Stimmung des Königs wesentlich gedämpft, als England gleich darauf eine ausdrückliche Verwahrung gegen jede Verstümmelung des österreichischen Ländergebietes einlegte und einen allgemeinen Frieden verlangte auf Grund des alten Besitzstandes, wie er vor dem Kriege der Kaiserhöfe mit der Türkei bestanden hatte.

Immer aber sollte der „große Plan" noch nicht ganz aufgegeben werden; mindestens Danzig und Thorn wollte Hertzberg schlucken. Mit großem Eifer und Erfolg half er eine Gefahr beschwören, die sich plötzlich von Frankreich her erhob. Zwischen England und Spanien waren Streitigkeiten über den Nootkasund in Kalifornien ausgebrochen; die Spanier hatten englische Kaufleute, die sich um des Pelzhandels willen an jenem Sunde niedergelassen hatten, mit brutaler Waffengewalt vertrieben; England drohte mit Krieg, und Spanien rief die Hilfe Frankreichs an, die ihm vertragsmäßig zustand, ebenso wie England vertragsmäßig die preußische Hilfe beanspruchen konnte. Der französischen Krone war ein auswärtiger Krieg nicht unwillkommen, um die inneren Wirren zu beschwichtigen; sie verlangte von der Nationalversammlung die Geldmittel für vorbereitende Rüstungen, wogegen sich die Jakobiner entschieden erklärten. Sie vertieften die Frage, indem sie der Krone das Recht absprachen, aus eigener Machtvollkommenheit den Krieg zu erklären, und sie fanden dabei den eifrigsten und wirksamsten Bundesgenossen an dem preußischen Gesandten.

Goltz stand seit langem mit Petion, der mit Robespierre zur äußersten Linken der Nationalversammlung gehörte, in stiller Verbindung; er versah ihn nun mit dem historischen Material über den unverantwortlichen Missbrauch, den das Königtum von Gottes Gnaden mit seinem Rechte der Kriegserklärung getrieben hatte, und in der achttägigen heißen Debatte, die am 16. Mai 1790 über die Geldforderung der Regierung entbrannte, wussten Petion und andere Jakobiner das ihnen gelieferte Material in einer Reihe durchschlagender Reden zu verwerten. Vergebens warf sich ihnen Mirabeau entgegen, der sich zwei Tage vorher dem Hofe verkauft hatte und nunmehr in dieser entscheidenden Frage sein Probestück liefern sollte. Er wagte gar nicht einmal, das unbeschränkte Recht der Entscheidung über Krieg und Frieden für den König zu beanspruchen, sondern wollte es in echt liberaler Kunst der „Vereinbarung" gleichmäßig auf die Krone und die Nationalversammlung übertragen, konnte aber den Beschluss nicht hindern, dass der Krieg nur durch die Nationalversammlung erklärt werden könne, nach einem ausdrücklichen und unumgänglichen Antrage des Königs und unter dessen Sanktion.

Damit war die Gefahr eines englisch-französischen Krieges beschworen; allein wagte Spanien mit England nicht anzubinden und gab die verlangte Sühne. Nun beantragte Hertzberg beim preußischen Könige die Mobilmachung, nicht um wirklich Krieg zu führen, sondern um den Österreichern zu imponieren und ohne Blutvergießen zum Ziele zu gelangen, das heißt zum Besitze Danzigs und Thorns. Da England nicht auf der strengen, sondern nur auf der allgemeinen, kleine Grenzverschiebungen nicht ausschließenden Wiederherstellung des Besitzstandes vor dem Kriege bestand, so war die Sache an sich nicht aussichtslos, wenn sie anders nur der Rede wert gewesen und die Ansammlung eines großen Heeres in Schlesien gelohnt hätte, in dessen Hauptquartier sich der König begab. In den Konferenzen, die Ende Juni in Reichenbach zwischen den österreichischen und preußischen Bevollmächtigten stattfanden, verlangte Hertzberg, dass Österreich für türkische Grenzstriche ein Stück Galiziens an Polen und Polen für dies Stück Galizien die Städte Danzig und Thorn an Preußen überlassen solle. Er hatte auch die Genugtuung, dass die Österreicher sehr bald darauf eingingen; sie empfahlen in Wien, auf diese Bedingungen hin abzuschließen, da die türkischen Grenzstriche, die Hertzberg ihnen anbiete, von viel größerem Werte seien als die galizischen, die er von ihnen fordere, wozu dann noch komme, dass Preußen durch dies Benehmen sich in Konstantinopel wie in Warschau völlig unmöglich mache. Das sah man denn auch in Wien ein und genehmigte die Vorschläge Hertzbergs.

Allein zur selben Zeit hatte Lucchesini, der preußische Gesandte in Warschau, die gleichen Gesichtspunkte beim Könige hervorgehoben, unterstützt von Jacobi, dem preußischen Gesandten in Wien. Sie machten geltend, mit diplomatischen Finten sei nichts zu erreichen; weder die Polen noch die Türken wollten von einem Gebietsaustausch etwas wissen; wolle man Österreich ernstlich schädigen, so solle man ihm den Krieg machen und ihm das Ultimatum stellen, auf alle türkischen Eroberungen zu verzichten und den genauen Besitzstand vor dem Kriege wiederherzustellen. Hierzu entschloss sich der König, und Hertzberg bekam im letzten Augenblick die entsprechenden Befehle. Über dieses launenhafte Herumwerfen der ganzen Verhandlung grollten zwar die Österreicher, fügten sich aber schließlich, und am 26. Juli 1790 wurde der Vertrag von Reichenbach abgeschlossen, durch den Österreich auf die Frucht dreier mühseliger Kriegsjahre verzichtete.

Das war immerhin noch ein Triumph für den preußischen Nebenbuhler, aber mehr ein äußerlicher und scheinbarer als wirklicher Erfolg. Tatsächlich stieg das Ansehen Österreichs in Europa ebenso durch die geschickte Art, wie sich Leopold aus einer äußerst ungünstigen Lage herausgewunden, wie das Ansehen Preußens sank durch die ungeschickte Art, wie es eine äußerst günstige Lage verfahren hatte. Darüber sind sich auch die preußischen Historiker einig, doch ist es sehr irreführend, wenn sie von der „unseligen Konvention" einen gründlichen Umschwung der preußischen Politik datieren in dem Sinne, dass nunmehr die Günstlinge des neuen Königs, die pfiffigen Ränkeschmiede vom Schlage der Bischoffwerder und Lucchesini, emporgekommen seien an Stelle des alsbald verabschiedeten Hertzberg, der bei allen seinen Fehlern doch immer der letzte starke Vertreter der friderizianischen Diplomatie gewesen sei.

Sicherlich kannte kein preußischer Diplomat die friderizianischen Traditionen so gut wie Hertzberg; vom Beginn des Siebenjährigen Krieges bis zum Tode des Königs, dreißig Jahre lang, war er dessen vertrauter Mitarbeiter gewesen, hatte den Hubertusburger Frieden geschlossen und fast alle preußischen Staatsschriften in dieser langen Zeit verfasst. Eben aber die friderizianische Tradition, der Länderschacher um jeden Preis, hatte ihn zum Vertrage von Reichenbach geführt, und es war gerade den neuen Günstlingen des Königs zu danken, wenn in zwölfter Stunde noch ein gewisser Erfolg erreicht wurde. Deshalb dachten die Lucchesini und Konsorten freilich nicht daran, die friderizianische Tradition des Länderschachers aufzugeben, die sie denn auch glücklich bis Jena geführt hat, und zwar zunächst in die Gefolgschaft desselben Österreich, das eben in Reichenbach gedemütigt worden war.

Leopold hatte sofort einen Waffenstillstand mit der Türkei abgeschlossen, aber die endgültigen Friedensverhandlungen, die auf einem Kongress in dem bulgarischen Städtchen Sistowa stattfanden, schleppte er mit zäher Gewandtheit hin und wusste immer neue Schwierigkeiten zu schaffen. Dazu dachte die Zarin gar nicht daran, auf den Einspruch eines „toll gewordenen Katers" hin, wie sie in ihren vertraulichen Briefen den preußischen König unehrerbietig genug nannte, sich zum Frieden zu bequemen; sie bedrängte die Türkei nur um so heftiger, so dass sich diese um Hilfe nach London und Berlin wandte, hierher kraft des Bündnisvertrages, worin ihr Preußen seine Hilfe nicht nur gegen Österreich, sondern auch gegen Russland zugesagt hatte.

Darüber war Friedrich Wilhelm nun zwar keineswegs erfreut; aber er schwelgte noch in seinem vermeintlichen Triumphe von Reichenbach, und zudem winkte ihm eine lockende Aussicht auf einen kaum preisgegebenen Länderschacher. Die herannahende Möglichkeit eines Krieges mit Russland veranlasste England, seinen bisherigen Widerstand gegen den preußischen Appetit auf Danzig aufzugeben; verlor es seinen russischen Markt durch den Krieg, so wünschte es sich einen neuen Zugang zu den slawischen Gebieten zu sichern, indem es die polnische Weichsel von den preußischen Zöllen befreite. Zunächst wollte sich Friedrich Wilhelm für die drohende Verwicklung mit Russland den Rücken gegen Frankreich und Österreich decken; er entschloss sich deshalb, den Boden vertraulich zu sondieren, und sandte nach Paris den Juden Ephraim, das Haupt oder ein Glied der berüchtigten Falschmünzerfamilie, während er seinen Freund Bischoffwerder bei dem Fürsten Reuß, dem österreichischen Gesandten in Berlin, anklopfen ließ.

Ephraims Sendung nach Paris blieb erfolglos. Er meldete zwar, dass er sowohl beim Ministerium wie bei den einflussreichen Mitgliedern der Nationalversammlung die günstigste Stimmung für ein preußisches Bündnis gefunden habe, aber der offizielle Gesandte selbst mahnte zur Vorsicht; an dem Punkte, bis zu dem sich im Herbste 1790 die inneren Zustände Frankreichs entwickelt hatten, scheint ihm doch die „Solidarität der konservativen Interessen" eingeleuchtet zu haben; er meinte, ehe ein französisches Bündnis für Preußen wertvoll werden könne, müsse das Ansehen des Königs gekräftigt und eine festere Regierung hergestellt werden. Zudem machte sich Ephraim durch seine Eitelkeit und Prahlerei so unangenehm bemerkbar, dass er auf Wunsch des französischen Ministeriums zurückberufen werden musste.

Nicht viel besser ließ sich die vertrauliche Verhandlung mit Wien an. Bischoffwerder sagte zu dem Fürsten Reuß, sein König wünsche lebhaft eine innige Verbindung mit Österreich, wodurch alle Unruhen in Europa mit einem Schlage gebannt werden könnten; in diesem Falle würde der König geneigt sein, auf österreichische Verwendung, trotz Englands Widerspruch, den Russen ihre türkischen Eroberungen zu überlassen. Gleichzeitig mit dieser Botschaft konnte Reuß aber nach Wien die Nachricht senden, die der österreichische Gesandte aus Petersburg alsbald bestätigte, dass Bischoffwerder in denselben Tagen den russischen Gesandten in Berlin sondiert habe, ob sich nicht ein preußisch-russischer Vertrag ermöglichen ließe, der den Russen gegen preußische Erwerbungen in Polen ihre türkischen Eroberungen sichere. Danach war es sehr begreiflich, dass die Minister in Wien zu der preußischen Sondierung wegwerfend die Achseln zuckten und dem Kaiser rieten, sich auf nichts einzulassen.

Leopold aber war anderer Meinung. Politische Sentimentalitäten lagen diesem kaltblütigen Despoten ganz fern, und er war sich vollkommen klar darüber, dass die josephinische Politik des russischen Bündnisses den österreichischen Interessen durchaus widerspreche. Sein Wunsch, von Russland loszukommen, begegnete sich auf halbem Wege mit dem Wunsche des preußischen Königs, gegen Russland gedeckt zu sein. Er ließ also Bischoffwerder nach Wien kommen, und die Erscheinung des Mannes überzeugte die österreichischen Minister sehr bald, wie unrecht sie daran getan hatten, in ihm einen gefährlichen Spion zu wittern. Bischoffwerder ließ sich bereitwillig über alle Intimitäten der preußischen Politik ausholen, erhielt seinerseits zwar kein unbedingtes Versprechen österreichischer Neutralität beim Ausbruch eines preußisch-russischen Krieges, aber doch die Zusicherung, dass man Russland zur Mäßigung mahnen werde, und war schließlich selig über die Bereitwilligkeit Leopolds zu einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Könige, die wegen der eben bevorstehenden Reise des Kaisers nach Italien später stattfinden sollte.

In den leitenden Kreisen der preußischen Regierung war man nicht ebenso entzückt über Bischoffwerders Leistung. Jedoch teilte man die friedliche Gesinnung Leopolds nach England mit, wo eben der Versuch, für den russischen Krieg zu rüsten, einen allgemeinen Sturm hervorgerufen hatte wegen der Gefährdung des überaus einträglichen Ostseehandels. Die englische Regierung schickte sofort den jungen Lord Elgin nach Florenz, um dem Kaiser ein Verteidigungsbündnis anzubieten, wenn er in Petersburg für einen Frieden wirken wolle, der sich mit den englischen Interessen vertrüge. Daraufhin zögerte man auch in Berlin nicht länger und sandte am 12. Mai 1791 das Erbieten zu einem Bündnis beider Kronen in amtlicher Form nach Wien; als seinen einzigen Zweck gab man die möglichst vollständige Isolierung Russlands an.

Allein bereits vor diesem 12. Mai war ein Ereignis eingetreten und bald nach ihm trat ein anderes Ereignis ein, die dem geplanten Bündnis eine ganz andere Richtung gaben. Seit dem ersten Raube an Polen, der dem polnischen Adel doch einen gehörigen Schrecken in die Glieder gejagt hatte, war eine polnische Reformpartei entstanden, um die Grundlagen eines modernen Staats zu schaffen. Sie hatte freilich nichts vor sich gebracht, weil eine herrschende Klasse niemals freiwillig auf ihre Vorrechte verzichtet und in Polen der dritte Stand fehlte, der auf den Adel den notwendigen Druck hätte ausüben können. Aller guter Wille für Reformen erlischt dann in dem Augenblick, wo aus ihm die praktischen Folgerungen gezogen werden sollen, und sei es auch im bescheidensten Maße. Um nur ein Beispiel anzuführen, so hatte der polnische Reichstag nach 1772 Andreas Zamoyski mit Herstellung eines reformierenden Gesetzbuchs betraut. Einen Entwurf dazu legte Zamoyski sechs Jahre später vor, worin eine ganz leichte Besserung der feudalen Fronverfassung vorgesehen war: Einmal sollten zwei Söhne eines Leibeigenen unter allen Umständen an die Scholle gefesselt bleiben, aber seine übrigen Söhne frei abziehen können, und zweitens sollte ein Leibeigener gerichtliche Klage gegen seinen Herrn erheben dürfen, wenn er von diesem grausam misshandelt würde oder der Herr einen mit dem Leibeigenen geschlossenen Vertrag nicht hielte. Allein diese ganz geringfügigen Erleichterungen einer furchtbaren Knechtschaft genügten schon, um den polnischen Reichstag in einen Zustand völliger Raserei zu versetzen. Er zerriss das Gesetzbuch Zamoyskis und brandmarkte es als einen „des Scheiterhaufens würdigen Verrat"; dann beschloss er, dass der Reichstag in aller Ewigkeit nicht wieder mit solchen Vorschlägen belästigt werden dürfe.

So schleppten sich diese ohnmächtigen Reformversuche hin, bis sie noch einmal aufflackerten, als der altpreußische Staat sich mit der polnischen Republik gegen die beiden Kaiserhöfe verbündete. Die polnischen Reformer fanden nunmehr eine Stütze an dem neuen Verbündeten, der mit jeder Einschränkung der polnischen Anarchie die russische Herrschaft über Polen erschüttert sah. Allein sehr bald erfuhren sie die preußische Treulosigkeit; Hertzbergs Absichten auf Danzig und Thorn erbitterten sie ebenso wie der Reichenbacher Vertrag und die Annäherung zwischen Österreich und Preußen; sie argwöhnten einen neuen Raubplan auf polnischen Boden und überrumpelten am 3. Mai 1791 den spärlich besuchten Reichstag, indem sie seine Zugänge mit Truppen besetzen ließen und ihm eine neue Konstitution von zwölf Artikeln aufzwangen, die zwar immer noch die Leibeigenschaft so gut wie völlig unangetastet ließ, aber wenigstens das liberum veto abschaffte und statt der Wahl- die Erbmonarchie einsetzte.

In Russland wurde dieser Staatsstreich als ein Schlag ins Gesicht empfunden, und die Zarin hatte nun keinen dringlicheren Wunsch, als den türkischen Krieg vom Halse zu haben, um sich mit voller Gewalt auf Polen zu stürzen. In Berlin war die Überraschung kaum weniger unangenehm, denn die noch so entfernte Möglichkeit eines selbständigen Polens widersprach allen Überlieferungen des altpreußischen Staats. Allein da die Gefahr eines russischen Krieges noch nicht beseitigt war, so wollte man sich durch einen Protest doch nicht Polen entfremden und Österreich vor den Kopf stoßen. Denn Leopold hatte sich wie in der türkischen, so auch in der polnischen Frage von der josephinischen Politik abgewandt; die Wiedergeburt Polens bot ihm Sicherheit gegen preußische Feindschaft und Unabhängigkeit von russischem Einfluss. So sandte denn der preußische König seine Glückwünsche nach Warschau, natürlich mit dem Hintergedanken, die polnischen Reformer zu verraten, sobald es möglich sei.

Beinahe hätte sich diese preußische Arglist nun in ihrer eigenen Schlinge gefangen. Die bereitwillige Zustimmung zu der neuen polnischen Verfassung erweckte den Argwohn in Wien, sie sei durch die Abtretung Danzigs und Thorns erkauft worden, und ein hohenzollernscher Prinz solle den polnischen Thron besteigen. Der Verdacht wurde sofort dem Kaiser mit aller Bestimmtheit nach Florenz gemeldet, und er sprach sich nun höchst erbittert über die preußische Intrige aus, die er in dem polnischen Staatsstreiche witterte. Österreich nahm sofort eine drohende und fast kriegslustige Haltung ein. Allein vorher hatte Leopold in seiner noch friedlichen Stimmung mit dem Lord Elgin verhandelt, sich bereit erklärt, die Sperrereien auf dem Kongress in Sistowa aufzugeben, den türkischen Frieden nach den Reichenbacher Grundsätzen abzuschließen, auf ein gleiches Verfahren bei Katharina zu wirken, und übrigens den Wunsch ausgesprochen, den trefflichen Obersten Bischoffwerder wiederzusehen. Das hatte Elgin nach Berlin gemeldet, und hieran knüpfte die preußische Regierung an, um sich von dem ungerechten Verdachte zu reinigen, der in der polnischen Sache auf sie gefallen war.

Am 28. Mai wurde Bischoffwerder nach Florenz geschickt, mit dem wiederholten Anerbieten eines Bündnisses für den Fall, dass der Kaiser in Sistowa rückhaltlos abschließe und sich bei einem russisch-preußischen Kriege ausdrücklich zur Neutralität verpflichte. An dem polnischen Staatsstreiche sei man in Berlin gänzlich unschuldig, doch habe man gegen die Garantie Polens in seinen jetzigen Grenzen und einer freien unabhängigen Verfassung Polens nichts einzuwenden; auch sei man bereit, in dem Vertrage die drei Nachbardynastien von dem polnischen Thron auszuschließen. Im Übrigen sollte Bischoffwerder vor endgültiger Genehmigung des Vertrages noch in Berlin anfragen und das sächsische Lustschloss Pillnitz als den Ort für eine Zusammenkunft beider Monarchen vorschlagen.

Wie dieser Entwurf zeigt, wünschte die preußische Regierung das österreichische Bündnis immer nur erst als Rückendeckung gegen Russland. Allzu gescheit war das nun gerade nicht, denn es war leicht vorherzusehen, und eine bald nach Bischoffwerders Abreise einlaufende Depesche aus Petersburg bestätigte es obendrein, dass Russland nach dem polnischen Staatsstreiche den türkischen Krieg los sein wollte, so dass von dieser Seite keine Gefahr mehr drohte. Leopold sah darin schärfer, und als Bischoffwerder am 10. Juni in Mailand erschien, wo er den Kaiser traf, meinte dieser, er werde nach Sistowa die nötigen Instruktionen zum sofortigen Abschluss ergehen lassen und dann nur noch aus Anstandsrücksichten den russisch-türkischen Frieden abwarten, um ein Bündnis mit Preußen abzuschließen. Er war seiner Sache so sicher, dass er Bischoffwerder gleich bei sich behielt, um die Einzelheiten des Vertrages festzusetzen, und er konnte es in der Tat auch sein, denn Russland, das mit Schweden bereits Frieden geschlossen hatte, stimmte seine Ansprüche an die Türkei auf die öde Steppe zwischen Bug und Dnjestr herab, so dass nunmehr auch dem Frieden zwischen den beiden Kaiserhöfen und der Pforte nichts mehr im Wege stand.

Darauf brachte Leopold einen neuen Gesichtspunkt in die Verhandlungen mit Bischoffwerder. Er hatte sich bisher allen Hilferufen seiner Schwester, der Königin von Frankreich, ganz unzugänglich erwiesen und ebenso den konterrevolutionären Plänen der französischen Prinzen und Junker, die aus Frankreich geflohen waren und mit schamloser Frechheit ihre landesverräterischen Rüstungen in der rheinischen Pfaffengasse betrieben. Nun aber beabsichtigte das französische Königspaar, aus Paris zu entfliehen, sich in eine Grenzfestung zu werfen und, auf treu gebliebene Truppen gestützt, dem gänzlichen Verfall der monarchischen Gewalt zu steuern; die Königin bat ihren Bruder, diesen Plan durch Ansammlung deutscher Truppen an der Grenze zu fördern. Hierauf ging Leopold ein, obgleich er dem Fluchtplan dringend widerriet. Er war noch im ungewissen, was in Paris geschehen werde, als er mit Bischoffwerder verhandelte, sondierte diesen aber sofort über die französischen Angelegenheiten. Er fürchte die Propaganda der Jakobiner in Italien; das Übel müsse mit der Wurzel ausgerottet werden, das werde er mit dem Könige in Pillnitz erwägen. Leopold suchte die Rechtmäßigkeit einer Einmischung des Auslandes durch die Aufhetzungen in den Nachbarländern und die Gefährdung der königlichen Familie zu begründen, fügte jedoch hinzu, ein einzelner Staat könne da nicht helfen, das einzige Mittel sei ein großer Verein aller europäischen Mächte.

Inzwischen war der Fluchtversuch des französischen Königs gescheitert und hatte ihm schwere Demütigungen eingetragen. Daraufhin erließ Leopold am 6. Juli 1791 von Padua aus ein Rundschreiben an alle europäischen Souveräne, worin er sie aufforderte, sich der Sache Ludwigs XVI. als einer gemeinsamen Sache anzunehmen; zugleich sprach er seine Absicht aus, sein ganzes Heer auf den Kriegsfuß zu setzen, was jedoch nur zum kleinsten Teile geschah. Dann reiste er mit Bischoffwerder nach Wien zurück und beredete ihn hier zu einem Bündnisvertrage, den der preußische Abgesandte unterschrieb, ohne vorher in Berlin nochmals anzufragen. Beide Mächte verbürgten sich ihren Besitzstand, versprachen, kein ferneres Bündnis mit dritten Mächten ohne Vorwissen des neuen Genossen einzugehen, sagten sich zu, nichts gegen den Besitzstand und die Verfassung Polens zu unternehmen, schlossen die drei Nachbardynastien von dem polnischen Throne aus, verbanden sich zu gegenseitiger Hilfe bei inneren Unruhen in ihren Staaten und verpflichteten sich, den Verein über die französischen Angelegenheiten, zu dem der Kaiser eben die europäischen Mächte aufgefordert hatte, ungesäumt herbeizuführen.

In einer besonderen Denkschrift von demselben Tage erläuterte der Kaiser dann näher seine Ansichten über den europäischen Verein. Er begründete die Rechtmäßigkeit einer Intervention in die französischen Angelegenheiten durch die ansteckende Natur des revolutionären Giftes und schlug eine gemeinsame Erklärung aller Mächte an die französische Nationalversammlung vor, worin diese zum Innehalten auf ihrem revolutionären Wege aufgefordert werden sollte. Bliebe dieser Schritt wirkungslos, so sollten die Mächte allen Handel und Verkehr mit Frankreich abbrechen und zu einem Kongress zusammentreten, um die weiteren Maßregeln zu beraten. Dort würde man, für den Fall des kriegerischen Einschreitens, sich über die künftige Verfassung Frankreichs einigen, von vornherein aber zu Ehren der großen gemeinsamen Sache auf jede selbstsüchtige Vergrößerung verzichten.

Obgleich sich Bischoffwerder bei Abschluss des Vertrages von Leopold völlig hatte übertölpeln lassen, so dass der Vertrag ein Löwenvertrag zu Österreichs Gunsten war, ging man in Berlin bereitwillig darauf ein, und der dicke Wilhelm begeisterte sich für den Gedanken, sein „ritterliches" Schwert für die gefährdete Würde des französischen Königs zu ziehen, dem er eben das wichtige Kronrecht der Kriegserklärung hatte abknöpfen helfen. Gegen die kaiserliche Denkschrift wurden in Berlin allerdings einige Bedenken laut. Namentlich meinte man, dass der Verzicht auf jede Vergrößerung in der Ordnung sei, wenn man wirklich die Restauration Ludwigs XVI. durchsetze, aber wenn man nicht dazu gelange, sondern nur etwa Elsass-Lothringen erobere, weshalb solle man diese Beute dann herausgeben? Und wer solle sie behalten? In der Sucht des Länderschachers, die in Berlin noch größer war als in Wien, sorgte man sich schon um das Fell des Bären, lange ehe der Bär erlegt war.

Inzwischen nahmen auch andere Mächte ihre Stellung zu der Frage einer Intervention gegen die Französische Revolution. Die englische Regierung lehnte sie kategorisch ab und erklärte, dass sie bei einem Bruche zwischen Österreich und Frankreich die genaueste Neutralität beobachten würde. Dagegen legte sich die Zarin Katharina mit heiligem Eifer für die unbefleckte Reinheit der französischen Krone ins Zeug; es gelang ihr auch, ihren alten Gegner, den König von Schweden, mit dem sie eben erst Krieg geführt hatte, für einen Kreuzzug gegen die Revolution zu begeistern; gemeinsam mit ihm schloss sie mit den französischen Prinzen, die aus Frankreich geflohen waren, einen Vertrag, worin diese feigen Ausreißer als die allein berechtigte Regierung Frankreichs anerkannt wurden; selbst einen Gesandten beglaubigte die Zarin bei ihnen. Natürlich dachte Katharina nicht daran, auch nur einen Mann gegen die Revolution marschieren zu lassen; in erster Reihe lag ihr daran, die deutschen Mächte in einen Krieg mit Frankreich zu hetzen; sie erklärte ihren Ministern mit aller Offenheit, dass sie auf diese Weise freien Ellenbogenraum gewinnen wolle, um Polen zu unterwerfen. Und wenigstens auf den preußischen König verfehlte ihr scheinbarer Fanatismus seinen Eindruck nicht, obgleich er von seinen eigenen Ministern vor dem durchsichtigen Spiel der Zarin gewarnt wurde.

Bei dem Kaiser Leopold verfing der Schwindel allerdings nicht so leicht. Als er am 27. August mit dem preußischen König in Pillnitz zusammenkam, dämpfte er dessen „großmütige" Wallungen so weit, dass beide dem von Katharina beschützten Emigrantengesindel noch eine unzweideutige Absage erteilten. Aber sie erließen doch eine Erklärung, die auf eine Sammlung der „reaktionären Masse" gegen die Französische Revolution hinauslief. Sie bezeichneten die französischen Zustände als einen Gegenstand, der alle europäischen Souveräne gemeinsam berühre, und knüpften die Hoffnung daran, dass diese Souveräne nicht ablehnen würden, aufs wirksamste dafür tätig zu sein, dass der König von Frankreich in vollster Freiheit die Grundlagen einer Ordnung feststellen könne, die den Rechten der Souveräne ebenso entspreche wie der Wohlfahrt der Franzosen. „Dann und in diesem Falle sind Ihre genannten Majestäten entschlossen, rasch und in gegenseitigem Einverständnis mit den nötigen Kräften für das vorgesetzte gemeinsame Ziel zu wirken. Einstweilen werden sie ihren Truppen die nötigen Befehle geben, damit diese bereit sind, sich in Bewegung zu setzen."

So spielten der österreichische und der preußische Despot mit dem Feuer, ohne zu ahnen, wie schmerzlich dies Feuer ihre und ihrer Nachfolger Finger versengen würde.

Der Kreuzzug gegen die Revolution

Es konnte nicht fehlen, dass diese Vorgänge einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Französischen Revolution gewannen.

Sie hatte zunächst eine durchaus friedliche Stellung zum Auslande genommen; noch in dem Streit um den Nootkasund hatte sie der Krone das Recht der alleinigen Entscheidung über Krieg und Frieden entrissen, um sie an einem Kriege zu hindern. Das tat sie natürlich in ihrem eigenen Interesse, aber einen Grund zur Beschwerde hatte das Ausland deshalb doch nicht, und zwar umso weniger, als die preußische Krone dabei tapfer mitgeholfen hatte.

Auch „Hetzereien" im Auslande konnten der Revolution bis dahin nicht zum Vorwurf gemacht werden. Es ergab sich aus der Natur der Dinge selbst, dass die bürgerliche Revolution in Paris überall, wo die Massen der Bevölkerung unter dem feudalen Joche schmachteten, mit frohem Aufatmen begrüßt wurde; es genügt, an die Begeisterung zu erinnern, mit der die Klopstock und Herder, die Kant und Fichte die neue Morgendämmerung der Weltgeschichte begrüßten. In Deutschland blieb diese Teilnahme an der bürgerlichen Revolution leider so gut wie nur theoretisch; was in den rheinischen Gebieten an kleinen Bauernunruhen vorkam, zählte nicht weiter mit. In anderen Ländern, wie Belgien, Holland, Italien, fand die Revolution mehr oder minder auch ein praktisches Echo, was jedoch den Zuständen dieser Länder und nicht den „Hetzereien" der französischen Revolutionäre zu danken war.

Nur in einem Punkte hatte die Revolution völkerrechtliche Verträge verletzt, gleich in ihren Anfängen, durch die Beschlüsse der berühmten Augustnacht, die mit den mittelalterlichen Vorrechten des Feudaladels und der Feudalklerisei aufräumten. Dadurch wurde eine ganze Anzahl deutscher Reichsstände, geistlicher wie weltlicher, die mehr oder minder umfangreiche Besitzungen im Elsass hatten, in ihren Ausbeutungsinteressen berührt, ebenso wie später auch noch die geistlichen Reichsstände durch die Säkularisation des Kirchengutes und die neue Kirchenverfassung. Sie fuhren dabei um nichts schlechter als die französischen Junker und Pfaffen, aber ihre Privilegien waren ihnen bei der Abtretung des Elsasses an Frankreich von der französischen Regierung verbürgt worden, beruhten also auf internationalen Verträgen und konnten somit nicht einseitig von Frankreich kassiert werden. Materiell kennzeichnete ihre Vernichtung natürlich einen großen Kulturfortschritt, der das Elsass tatsächlich mit Frankreich verschmolzen hat; es war selbst in jener Zeit weltkundig, wie schwer diese elsässischen Untertanen bedrückt wurden durch ihr doppeltes Verhältnis als Steuerpflichtige der französischen Krone und als Lehnsuntertanen der deutschen Reichsstände. Hier lag also ein Konflikt vor, der am billigsten durch eine Entschädigung ausgeglichen werden konnte, die Frankreich den geschädigten Reichsständen zahlte, und hierzu war die Nationalversammlung auch bereit. Allein die von ihr gekränkten Reichsstände verlangten die Wiederherstellung ihres feudalen Kehrichts, was selbstverständlich von Frankreich zurückgewiesen werden musste.

Sie wandten sich nun mit ihren Beschwerden an den Reichstag in Regensburg, bei dessen schneckenhaftem Geschäftsgange die Sache auf Jahre hinaus verschleppt wurde. So lange zu warten, hatten einige dieser feudalen Ausbeuter aber keine Neigung, und so machten namentlich die geistlichen Kurfürsten am Rhein der Revolution in ihrer Weise den offenen Krieg, indem sie die Emigranten bei sich aufnahmen und ihnen gestatteten, einen bewaffneten Einfall in Frankreich vorzubereiten. Namentlich in Koblenz, das zum Kurfürstentum Trier gehörte, ließen sich der Graf von Provence und der Graf von Artois, die Brüder des französischen Königs, mit einem mächtigen Schwarm von Flüchtlingen nieder, verbrachten ihre Zeit in einem so ausschweifenden, liederlichen und zuchtlosen Leben, dass selbst die Ehrfurcht des deutschen Philisters darüber in die Brüche ging, richteten zugleich aber ein Finanz-, ein Polizei-, ein Kriegsministerium ein, exerzierten und rüsteten ein paar tausend Mann aus und prahlten in marktschreierischer Weise mit dem Kriege, den sie über die französische Grenze tragen würden, um die alte feudale Gesellschaft wiederherzustellen, wie sie bis zum Jahre 1789 bestanden hatte. Dabei fanden sie nicht nur die Duldung, sondern auch die Unterstützung deutscher Fürsten. Der Kurfürst von Trier wies ihnen amtliche Gebäude an, ließ sie Magazine errichten, öffentliche Aufrufe zur Werbung bekanntmachen, ja gab ihnen selbst Waffen aus dem kurfürstlichen Zeughause. Andere deutsche Fürsten unterstützten sie mit Geldmitteln; sogar der König von Preußen ist ruchlos genug gewesen, in zehn Monaten nicht weniger als fünf Millionen Francs an die geflüchteten Prinzen zu zahlen aus dem Staatsschatze, der durch einen blutigen Steuerdruck erpresst worden war noch vor dem Ausbruch des Krieges und ohne dass er auch nur einen scheinbaren Grund zur Beschwerde über Frankreich gehabt hätte.

Für diese krasse Verletzung des Völkerrechts gab es nur die eine Entschuldigung, dass die Emigrantenbande ebenso feige wie liederlich war, also ihr Landesverrat keine wirkliche Gefahr für Frankreich bildete. Allein umso gehässiger erschien der offizielle Schutz, den sie in Deutschland fand, und dann hatte ihr wüstes Treiben allerdings auch eine Seite, die ihm ein sehr lebhaftes Interesse bei den Massen der französischen Nation sicherte. Sie ersahen daraus, was ihrer warte, wenn diese Gesellschaft einmal wieder das Heft in die Hand bekam; Koblenz hielt ihnen wie in einem Miniaturbilde alle Schrecken des alten Frankreichs wach. Deshalb machte auch der Fluchtversuch des Königs einen so überwältigenden Eindruck auf sie. Sie hatten dabei keinen anderen Gedanken, als dass der König sich an der Grenze mit seinen Brüdern vereinigen und, auf Hunderttausende von fremden Soldaten gestützt, zurückkehren werde, um über Blut und Tränen das alte Frankreich wieder zu errichten. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sich auf solche Aussicht hin das ganze Volk wie ein Mann erhob. Die Nationalversammlung benutzte den. Anstoß, den die versuchte Flucht des Königs gegeben hatte, um eine gleichförmige Organisation der Bürgergarde durch das ganze Reich und die Organisation von 169 Bataillonen nationaler Freiwilliger mit selbstgewählten Offizieren zu verfügen; 60 davon waren schon binnen wenigen Wochen in die Garnisonen der Nordgrenze abgerückt.

Es ist richtig, dass Ludwig XVI. und auch die Königin das Treiben der Emigranten heftig verleugneten. Aber es ist ebenso richtig, dass die Massen in vollkommenem Rechte waren, auf diese Verleugnung auch nicht einen Pfifferling zu geben. Gelang die Restauration des Königtums durch die Hilfe des Auslandes, so waren die Emigranten obenauf und der König eine Puppe in ihrer Hand; man hatte damals schon heikle Erfahrungen mit königlichen Versprechungen gemacht, die in der Not gegeben werden. Mitten in die Erregung, die durch den Fluchtversuch des Königs verursacht worden war, fiel nun die Kunde von dem Rundschreiben, das Leopold am 6. Juli aus Padua erlassen hatte, von dem österreichisch-preußischen Bündnis, von der Pillnitzer Erklärung mit ihren unverhüllten Drohungen. Kein Wunder, dass der nationale Nerv des französischen Volkes in heftige Zuckungen geriet.

Dann schien sich noch einmal alles zum Guten zu legen, als die Nationalversammlung im September 1791 die neue Verfassung vollendet und der König sie beschworen hatte. Österreich und Preußen erkannten die Verfassung an, und der Frieden schien gesichert zu sein. Nun aber wandte sich das Blatt; in der neuen Nationalversammlung, die aus neuen Männern bestand, trat die republikanische Linke, der ihre Mitglieder aus Bordeaux den Namen der Gironde gaben, so drohend und stolz gegen das Ausland auf und trieb die Dinge so auf die Spitze, dass sie bereits am 20. April 1792 den König zwingen konnte, den Krieg an Österreich zu erklären.

So erzählen die preußischen Historiker, die Sybel und Treitschke; nach ihnen sind die armen Unschuldslämmer Österreich und Preußen von der Gironde überfallen worden, weil diese aus doktrinärer Begeisterung für die republikanische Staatsform das Königtum durch einen Krieg mit dem Schwager des Königs habe stürzen wollen. Es lohnt sich kaum, ein Wort der Widerlegung an diesen Widersinn zu verschwenden; die parlamentarische Fraktion soll noch erst gefunden werden, die mit einer doktrinären Schrulle die Welt an allen vier Ecken anzuzünden verstände. Historische Tatsache ist vielmehr, dass Kaiser Leopold nach wie vor, trotz seiner Pflichten als Reichsoberhaupt, die Emigranten in den rheinischen Kurfürstentümern weiter toben ließ und dass der fromme König von Frankreich nach seinem Eide auf die Verfassung ebenso Landesverrat trieb wie vorher. Sowohl Ludwig XVI. wie Marie-Antoinette bombardierten alle europäischen Monarchen mit flehentlichen Bitten um Einberufung eines europäischen Kongresses, der mit Waffengewalt die Mittel schaffen sollte, die Fraktionen zu bändigen, die Verfassung zu annullieren, die Ausbreitung der Revolution zu hindern. Es war also wirklich nicht sinnlose Kriegslust, als die neue Versammlung, nicht nur unter dem Jubel der Girondisten, sondern aller Parteien, am 29. November 1791 beschloss, der König möge die rheinischen Kurfürsten zur Auflösung des Emigrantenheeres auffordern, die Entschädigung der im Elsass begüterten deutschen Fürsten rasch erledigen, das diplomatische Personal in patriotischem Sinne wechseln und sofort die nötigen Streitkräfte an der Grenze versammeln, um dem allem den nötigen Nachdruck zu geben. Der König versprach am 14. Dezember, diesem Ansinnen nachzukommen, und richtete Beschwerdenoten an den Kurfürsten von Trier sowie an den Kaiser.

Der Kurfürst erwiderte mit der patzigen Lüge, es geschehe nichts Feindliches gegen Frankreich in seinen Landen. Darauf sandte Frankreich einen Gesandten nach Koblenz, um nochmals seine Beschwerden mündlich zu wiederholen. Das half so viel, dass am 3. Januar 1792 eine kurfürstliche Verordnung erschien, die die Organisation militärischer Körperschaften, militärische Kantonnements und Übungen untersagte. Aber der Kurfürst hinderte nicht, dass die Emigranten den Vertreter ihres Königs in der bubenhaftesten Weise insultierten, ihm Katzenkonzerte brachten und seine Wohnung mit Unrat besudelten, ohne dass er selbst auch nur mit einem Worte die Grenzen taktvoller Mäßigung überschritten hätte. Im Übrigen traten die Emigranten der Verordnung ihres kurfürstlichen Beschützers mit unanständigem Trotz entgegen und übten ihre Truppen ruhig weiter. Als dann aber der französische Gesandte eine Note seiner Regierung zu überreichen hatte, worin sie für die Verordnung vom 3. Januar dankte und ihrerseits mitteilte, sie habe den Zivil- und Militärbehörden den gemessenen Befehl erteilt, jede Beunruhigung der Grenzen zu vermeiden, fuhr das amtliche Blatt des Kurfürstentums den Gesandten an: „O Schande, o ewige Schande, die durch kein Blut mehr abgewaschen werden kann. Ein Spion aus dem Jakobinerklub, ein Zögling des Mirabeau und des Necker erfrecht sich, vor Clemens Wenzeslaus zu treten, vor den tugendhaftesten Fürsten seiner Zeit." Das ist eine kleine Probe der nichtswürdigen Herausforderungen, die sich damals das revolutionäre Frankreich von den deutschen Zwergdespoten bieten lassen musste.

Nicht so lümmelhaft war die Antwort des Kaisers auf die französische Beschwerde wegen der Emigranten, aber immerhin höhnisch und verletzend genug. Er schrieb am 21. Dezember, der Kurfürst von Trier, der die Emigranten längst entwaffnet habe – was erfunden war –, habe ihn um Schutz gebeten für den Fall eines französischen Angriffs. Der Kaiser vertraue zwar der Mäßigung König Ludwigs, aber da er besorge, dass trotz dieser Mäßigung Gewalttaten gegen Trier verübt werden könnten, so habe er den Marschall Bender in Luxemburg angewiesen, in solchem Falle dem Kurfürsten die wirksamste Hilfe zu leisten. Er hoffe jedoch, dass solche äußersten Maßregeln nicht nötig sein würden, weder für Kaiser und Reich noch für die Mächte, die sich zur Erhaltung der Ruhe und zur Sicherheit der Kronen vereinigt hätten. Hier drohte also Leopold offen mit dem Vereine der europäischen Mächte, auf den das französische Königspaar seine heimlichen landesverräterischen Hoffnungen setzte. Nichts begreiflicher, als dass nunmehr die französische Versammlung den unumwundenen Verzicht auf alle Interventionspläne verlangte und, als er verweigert wurde, an Leopold oder vielmehr – da er am 1. März 1792 gestorben war – an seinen Nachfolger Franz den Krieg erklärte.

Gleichwohl kann man jener preußischen Legende den mildernden Umstand zubilligen, dass sie nur ein Rückschlag auf die französische Legende ist, wonach das feudale Europa einen Vernichtungskrieg gegen die Französische Revolution begonnen habe. Das ist in dieser Form auch nicht richtig; einen feudalen Prinzipienkrieg hat eigentlich nur der halbnärrische König von Schweden gewollt und die verschlagene Zarin Katharina geheuchelt. Man macht sich das wirkliche Verhältnis, wie es damals bestanden hat, am leichtesten an den Erfahrungen der proletarischen Revolution in unseren Tagen klar. Eine revolutionäre Bewegung wird zunächst von den herrschenden Klassen unterschätzt und als ungefährlich von ihnen für ihre eigenen Katzbalgereien auszunützen gesucht; sobald sie aber eine gewisse Höhe erreicht hat, erkennen die herrschenden Klassen, dass hier ein Feind heranwächst, der ihnen allen Tod und Verderben droht, und sie suchen sich zu einer „reaktionären Masse" zusammenzuschließen, um die Revolution zu erdrücken. Allein der Höhe des revolutionären Fortschritts entspricht immer die Tiefe ihres reaktionären Verfalls; sie besitzen nicht mehr die intellektuellen und moralischen Kräfte, um einen großen Prinzipienkampf mit derjenigen Ausdauer und Energie, mit derjenigen Disziplin und Opferfähigkeit zu führen, die ihnen allein den Sieg verbürgen könnten. Sie sind viel zu sehr daran gewöhnt, ihre engsten Interessen in kurzsichtigster Weise zu verfolgen, als dass sie einem gemeinsamen Interesse auch nur das Geringste opfern möchten; ungleich mehr, als der Sieg selbst, interessiert sie die Beute, die nach dem Siege auf ihren Anteil fallen könnte; indem sie Schulter an Schulter vorwärts marschieren sollen, schielen sie bei jedem Schritte ängstlich um sich, ob ihnen ihr Neben- oder Hintermann nicht unversehens einen Puff versetzt; sie trauen sich gegenseitig nicht einen Schritt über den Weg und haben auch allen Grund zu diesem Misstrauen; so geraten sie meistens schon in eine allgemeine Rauferei untereinander, ehe sie nur an den Feind gekommen sind, oder wenn sie je handgemein mit ihm werden, so hat seine in revolutionärer Kraft geschlossene Phalanx leichtes Spiel, die zerfahrene Rotte vom Schlachtfelde zu fegen. Der verschlissene Fetzen von gemeinsamer Fahne, die sie aufziehen, sät in ihren eigenen Reihen nur Zank und Zwietracht, während er alle Keime dazu in den gegnerischen Reihen tötet, die sich nun umso enger zusammenschließen.

Diese Erfahrung, die das revolutionäre Proletariat in der Gegenwart immer von neuem macht, lässt sich schon an allen feudalen Koalitionen gegen die Französische Revolution beobachten und besonders klar gleich an der ersten dieser Koalitionen. Solange nur erst die französische Monarchie bedrängt erschien, sahen die anderen Monarchien mit einer gewissen Schadenfreude den Nöten der gefürchteten Nebenbuhlerin zu; auch der altpreußische Staat schob einige Scheite in den Brand, der an dem französischen Thron empor leckte. Dann aber begann sich die „reaktionäre Masse" zusammenzuballen, als die empfindlichen Demütigungen, die über das französische Königspaar nach dessen gescheitertem Fluchtversuch hereinbrachen, eine Gefahr signalisierten, die allen europäischen Thronen drohte, wie es Kaiser Leopold in seinem Rundschreiben von Padua aussprach. Er verkündete auch ganz richtig das Programm, das die „reaktionäre Masse" hätte haben müssen, wenn sie auf einen Erfolg rechnen wollte, indem er sagte, um der großen gemeinsamen Sache willen müsse jede Macht auf selbstsüchtige Absichten verzichten. Allein gleich der erste Bundesgenosse, mit dem er verhandelte, erklärte ihm kategorisch: Ja, aber was fällt dabei für mich ab?

Hierbei blieb die preußische Regierung auch bestehen, als die unmittelbare Gefahr des Krieges herangerückt war, und die österreichische Regierung musste sich bequemen, in dem Verteidigungsbündnis, durch das sie im Februar 1792 den Julivertrag des Vorjahres bekräftigte, den preußischen Anspruch auf eine Entschädigung für die Kriegskosten zuzugestehen. Je mehr sich der dicke Wilhelm für den Gedanken begeisterte, mit seinem rostigen Spieß den Drachen der Revolution zu erlegen, um so hartnäckiger beharrte er darauf, ein gutes Trinkgeld für den Liebesdienst zu fordern, den er allen heiligen Gütern der Menschheit erwies.

Mit diabolischem Geschick verstand nun die Zarin, zwischen die deutschen Mächte, die sie mit allen Kräften in den französischen Krieg hetzte, zugleich den Samen innerer Zwietracht zu streuen, indem sie in einer für sie ganz unverbindlichen Weise dem preußischen Könige ein Stück Polens in lockende Aussicht stellte, dagegen in Wien anregen ließ, man solle doch zum Ausgleich auf den alten österreichischen Lieblingsplan, Belgien gegen Bayern auszutauschen, das heißt auf die österreichische Herrschaft über Süddeutschland, zurückkommen. In Berlin wie in Wien verfing der Köder, doch schlang man ihn in Berlin noch gieriger hinunter als in Wien. Der „ritterliche" König von Preußen vergaß, dass er durch einen feierlichen Vertrag zum Schutze des polnischen Gebietes verpflichtet war und nicht minder feierlich die polnische Maiverfassung anerkannt hatte, so dass er nur unter schmählichster Befleckung seiner Ehre einen neuen Raub an Polen begehen konnte, und er vergaß ebenso, dass die Zulassung der österreichischen Herrschaft über Süddeutschland von seinem Vorgänger stets aufs schärfste, selbst auf die Gefahr eines Krieges hin, bekämpft worden war und vom borussischen Standpunkt aus sicherlich auch aus triftigen Gründen. Inzwischen wollte man aber auch in Wien nicht auf halbem Wege stehenbleiben, nachdem man sich einmal auf die schiefe Bahn der Entschädigungsfrage begeben hatte; unter dem Vorgeben, dass ein Tausch noch kein reeller Zuwachs an Land und Leuten sei, verlangte man noch die Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth, althohenzollernschen Besitz, der eben an die preußische Krone durch den Verzicht des letzten Markgrafen zurückgefallen war. Das ging nun wieder dem preußischen Könige wider den Strich; er lehnte die Forderung ab, natürlich nur mit dem Erfolge, dass Österreich, das noch immer in hohem Grade an der Erhaltung Polens interessiert war, um so argwöhnischer gegen die polnischen Pläne seines Verbündeten wurde.

So beobachteten sich Österreich und Preußen mit leisem Knurren wie zwei misstrauische Raubtiere, als sie sich im Juli 1792 zum Sprunge auf das revolutionäre Frankreich anschickten. Obgleich der Krieg allein an Österreich erklärt worden war und Preußen nur als dessen Verbündeter ins Feld zog, stellte es doch am Rheine das Hauptheer und den Oberbefehlshaber: 42.000 Mann, die unter dem Befehle des Herzogs Karl Wilhelm von Braunschweig aus Koblenz nach Frankreich einrücken und je nachdem Paris erobern sollten, was die Emigranten in Koblenz als einen gefahrlosen Spaziergang schilderten. Der Herzog von Braunschweig war im Grunde seines Herzens dieser Ansicht nicht; er war ein deutscher Zwergdespot, selbst unter seinesgleichen hervorragend als einer der verrufensten Menschenverkäufer, dazu ein Menschenquäler, der das letzte Lebens Jahrzehnt Lessings zu einer traurigen Leidensstation gemacht hat, aber gerade noch gebildet genug, um ein unheimliches Grauen vor den dämonischen Mächten der Revolution zu empfinden. Er führte den Krieg nur mit halbem Herzen, zumal da er auch ein sehr berechtigtes Misstrauen in seine Feldherrentalente setzte, die ihm als einem Lieblingsneffen des alternden Königs Friedrich von beflissenen Liebedienern mehr zurecht geredet worden waren, als dass er sie je hätte betätigen können.

Jedoch trotz dieser leisen Anwandlungen besserer Einsicht ließ sich der Herzog von dem Emigrantengesindel beschwatzen und brach mit jenem berüchtigten Manifeste auf, das Paris dem Erdboden gleichzumachen drohte, der französischen Nation allen Jammer einer feindlichen Invasion verhieß, dazu die Rückkehr des Despotismus und die Rache. Es war eine jener herzbrechenden Dummheiten, wie man sie nur in der preußischen Geschichte, aber in ihr auch gleich dutzendweise, findet: Im Augenblicke, wo das österreichisch-preußische Bündnis schon in allen Fugen krachte, erklärte es den feudalen Prinzipienkrieg und stürmte die französische Nation bis zum letzten Mann auf. Dem unverschämten Manifeste antworteten die unsterblichen Klänge der Marseillaise, die in Straßburg gedichtet wurde: aux armes, citoyens! Und ehe das preußische Heer, das den König von Frankreich befreien sollte, auch nur die französische Grenze erreicht hatte, war das französische Königtum gestürzt.

Dennoch marschierte der Herzog von Braunschweig mit der majestätischen Langsamkeit, die allein des friderizianischen Heeres würdig zu sein schien, über die Grenze, eroberte auch ein paar kleine Festungen, kehrte dann aber, als er bei Valmy auf Heereskörper stieß, die ihm wirklichen Widerstand leisten konnten, obgleich sie seinen Truppen immer noch nicht gewachsen waren, nach einer nutz- und wirkungslosen Kanonade mit feierlicher Würde um3. Die Franzosen überließen es dem Herbstwetter und dem Schmutze der Champagne, das preußische Heer zu vernichten, das die Hälfte seiner Mannschaft eingebüßt hatte, als es wieder auf deutschen Boden gelangte. Sie selbst eroberten Belgien und Mainz, die Hauptfestung Deutschlands, und so nahm der Kreuzzug gegen die Revolution ein Ende, das so schmachvoll wie verdient war.

Der zweite Raub an Polen

Derweil hatte sich die Zarin mit gewaffneter Hand in den Besitz Polens gesetzt.

Ein Teil des großen polnischen Adels, der von ihr erkauft worden war oder aus seinen eigensüchtigen Klasseninteressen heraus sein Vaterland an sie verriet, hatte sich zur Konföderation von Targowice4 verbunden, um die Maiverfassung zu stürzen. Mit Hilfe der russischen Waffen erreichte er sein Ziel, aber sein Versuch, sich nunmehr zum Herrn des polnischen Staats zu machen, scheiterte sofort an dem Widerspruche der Zarin. „Die Kaiserin will das Wohl der Nation und nicht das Wohl einiger Individuen", ließ sie den Targowicern kaltblütig erklären. Polen sollte nach dem Willen Katharinas bleiben, was es tatsächlich schon war: eine russische Provinz.

Allein Preußen verlangte nun ungestüm seinen Anteil an der Beute. Dem widersetzte sich Österreich, das auf seine Entschädigung aus dem durchschlagenden Grunde verzichten musste, weil das Tauschobjekt Belgien sich in der Gewalt der Franzosen befand. Aber ebendiese Tatsache lähmte nun auch wieder den Einspruch Österreichs. Es bedurfte der preußischen Hilfe, um Belgien und Mainz zurückzuerobern, und die preußische Regierung drohte, ihren Frieden mit Frankreich zu machen oder doch ihre Truppenleistung auf die 20.000 Mann zu beschränken, zu deren Stellung sie nach dem Wortlaut des Bündnisvertrags nur verpflichtet war, wenn sie nicht zur Deckung ihrer bisherigen und zukünftigen Kriegskosten ein Stück Polens erhielte. Das war auch für die Zarin keine erfreuliche Aussicht, denn immer blieb es ein Hauptziel ihrer Politik, die deutschen Mächte in den Krieg mit Frankreich verwickelt zu sehen.

Was sie aber in letzter Instanz bewog, dem preußischen Begehren nachzugeben und unter Ausschluss Österreichs einen Teil des polnischen Raubes an Preußen abzutreten, war ihre Sorge, dass ihr der allzu große Bissen in der Kehle steckenbleiben könne. Ihr letzter Türkenkrieg hatte 400.000 Menschen verschlungen, ein gewaltiger Verlust für ihr menschenarmes Land, und die russischen Finanzen waren von Grund aus zerrüttet. Auf der anderen Seite erhob sich ein unerwartet heftiger Widerstand gegen ihre Raubpläne in Polen selbst. In der unglücklichen Nation erwachte das Bewusstsein, dass sie am Ende ihrer Tage stehe, und was sie noch an nationaler Kraft besaß, bäumte sich heftig auf gegen den drohenden Untergang. Die Partei der Maiverfassung machte den Targowicern den erbittertsten Krieg; die polnischen Städte, soweit es ihrer gab, waren empört über die Vernichtung der an sich ja sehr bescheidenen Rechte, die ihnen in der Maiverfassung eingeräumt worden waren, und selbst die leibeigenen Bauern wurden sehr schwierig, nicht aus nationaler Begeisterung, aber doch aus Empörung über die Ausschweifungen und Rohheiten der russischen Truppen. Dazu kam der Widerhall der Französischen Revolution, der zur Gründung geheimer revolutionärer Klubs in Warschau und von hier über andere Städte führte. Wie Lelewel in seiner polnischen Geschichte erzählt, verständigten sie sich durch das eigentümliche Mittel eines schlüpfrigen Romans, den als solchen alle Welt las, während die Eingeweihten in ihm einen Schlüssel für ihre Korrespondenz und ein Muster für ihre Organisation fanden.

Diese Lage der Dinge war nicht ohne große Gefahr für die Zarin, namentlich wenn Preußen mit Frankreich seinen Frieden machte und, gestützt auf die polnische Patriotenpartei, gegen den russischen Umsturz in Polen einschritt, wozu es nicht nur berechtigt, sondern nach seinem noch immer fortdauernden Vertrage mit Polen sogar verpflichtet war. Deshalb erklärte die Zarin am 16. Dezember 1792 dem preußischen Gesandten in Petersburg nach langem Hinhalten, sie genehmige die von Preußen begehrte Erwerbung und die Besetzung dieser Landstriche durch preußische Truppen. Am 6. Januar 1793 verkündete ein preußisches Manifest, dass Preußen durch die jakobinischen Umtriebe in Polen im Interesse seiner eigenen Sicherheit genötigt sei, die Grenzlande zu besetzen, und am 14. Januar überschritt der General Möllendorff mit fünf Heersäulen, die gleichzeitig von Ostpreußen, der Mark und Schlesien hereinbrachen, die polnische Grenze, um die begehrten Landesteile gegen Polen abzusperren.

So reich die Geschichte des modernen Absolutismus an ähnlichen Gewaltstreichen ist, so mag darunter doch kaum einer sein, der sich an schmählicher Perfidie mit diesem preußischen Streiche messen konnte. Selbst in jener skrupellosen Zeit machte der Raubanfall auf ein verbündetes Land, das dem Räuber nicht den geringsten Grund zur Beschwerde gegeben hatte, ein ungeheures Aufsehen, und Katharina hatte es abermals erreicht, neben diesem tückischen Schakal eine Art Löwin zu spielen. Zudem hieb sie den Helfershelfer bei der Teilung der Beute wieder übers Ohr. Sie nahm 4500 Geviertmeilen mit mehr als drei Millionen Einwohnern, während sich Preußen mit 1065 Geviertmeilen und noch nicht anderthalb Millionen Einwohnern begnügen musste, darunter den Städten Danzig und Thorn.

Der Rest von Polen blieb bestehen unter russischer Botmäßigkeit, aber doch als ein angeblich selbständiges Land, so dass seine Zustimmung zu den Abtretungen an Preußen und Russland notwendig war. Den russischen Gaunern und ihren preußischen Spießgesellen war es natürlich ein Kinderspiel, mit Lug und Trug eine angebliche Zustimmung zu inszenieren. Die Konföderation von Targowice musste einen Reichstag nach Grodno einberufen, doch wurden die Wahlausschreiben an den Grenzen der Provinzen, die von Preußen und Russen besetzt waren, von den Postbehörden angehalten und vernichtet. Was dann die Wahlen in dem noch unabhängig gebliebenen Polen anbetraf, so schrieb der preußische Gesandte in Warschau an den General Möllendorff: „Die Wahlen der Landboten zum Reichstag bewirkt der (russische) General Igelström durch russische Stabsoffiziere und Detachements von Truppen, die diejenigen, welche der vorliegenden Sache nicht günstig sind, fortjagen und fazile Leute nehmen." Der so gewählte Reichstag genehmigte am 22. Juli die russischen Forderungen ohne Zögern, aber selbst die „fazilen Leute" waren nicht zu bewegen, den preußischen Verrat gutzuheißen.

Erst am 22. September verstanden sie sich dazu, nachdem die russischen Truppen einige von ihnen verhaftet hatten. Allein auch jetzt machten sie noch die unerlässliche Bedingung, dass der Palast, worin sie tagten, militärisch besetzt und sie unter scheinbarem Zwange in tiefem Schweigen verharren dürften. Dies war die „stumme Sitzung", die von den preußischen Historikern als ein freches Gaukelspiel verspottet zu werden pflegt.

Sicherlich mit Recht, aber wie erhebend musste die Sache sein, der selbst bestochene Halunken öffentlich nicht anders zuzustimmen wagten, als gedeckt durch ein freches Gaukelspiel!

Der rote Schrecken

Der neue Raub an Polen wirkte zersetzend auf das innerlich schon zerrüttete Bündnis zwischen Österreich und Preußen.

Der neue Herrscher in Wien, der inzwischen auch wie seine Vorgänger zum deutschen Kaiser gewählt worden war, ein junger Mensch von einigen zwanzig Jahren, besaß nichts von dem aufgeklärten Despotismus seines Oheims Joseph und auch nichts von der geduldig abwägenden Nüchternheit seines Vaters. Kaiser Franz war ein bornierter Despot, „menschenfeindlich, egoistisch, gottlos, bigott, zäh und schwach", wie ihn ein guter Menschenkenner genannt hat; er antwortete auf den polnischen Raub dadurch, dass er Thugut, den preußenfeindlichsten seiner Diplomaten, zum leitenden Minister ernannte, und Thugut nahm zwar nicht entfernt die innere Reformtätigkeit Kaiser Josephs, aber doch dessen ausgreifende Eroberungspolitik wieder auf. Er begann damit, den preußischen Einfluss in Polen niederzuhalten und sich der Zarin zu nähern, der nichts willkommener war, nachdem sie mit größtem Widerstreben einen Teil des polnischen Raubes an Preußen abgetreten hatte.

Dafür rächte sich Preußen, indem es dem bayrisch-belgischen Tauschplane möglichst viele Hindernisse in den Weg wälzte, ihn von der freien Zustimmung des Hauses Wittelsbach abhängig machte, auf die nicht zu rechnen war, und übrigens erklärte, die Rückerwerbung Belgiens sei in erster Reihe nicht seine, sondern Österreichs Sache. Überhaupt hatte Preußen, nach Einheimsung der polnischen Beute, alle Neigung zum Kriege gegen Frankreich verloren, obgleich die revolutionäre Propaganda nunmehr, nachdem sie durch den täppischen Einfall in Frankreich herausgefordert worden war, viel gefährlichere Seiten für das feudale Europa entwickelte, das denn auch im Jahre 1793, mit Ausnahme Dänemarks, der Schweiz, der Türkei und sonst einiger kleinen Staaten, gegen sie in den Waffen stand.

Am Tage nach der Kanonade von Valmy war der nationale Konvent in Paris zusammengetreten, der nach dem Sturze des Königtums als nunmehriger Souverän Frankreichs gewählt worden war. Er tagte unter dem Vorsitze desselben Petion, der ehedem die preußische Hilfe genossen hatte, um der französischen Monarchie ihr wichtigstes Recht zu entreißen, und der für seine demokratischen Reden von Friedrich Wilhelm II. beglückwünscht worden war. Der Konvent handelte nach den Worten Dantons vom 2. September 1792: „Die dröhnende Sturmglocke gibt nicht das Lärmzeichen, sie ist der Stoß auf die Feinde des Vaterlandes. Um sie niederzuschmettern, bedarf es der Kühnheit, noch einmal der Kühnheit, abermals der Kühnheit, und gerettet ist Frankreich!" Und mit dieser Kühnheit wurde Frankreich gerettet.

Der Konvent machte dem schuldigen Könige den Prozess und ließ ihn am 23. Januar 1793 hinrichten; als darauf England den französischen Gesandten auswies – nicht aus sentimentalem Mitleid mit Ludwig XVI., sondern weil es das Anwachsen der französischen Macht durch das eroberte Belgien fürchtete und nicht minder das Hinübergreifen des revolutionären Feuers nach Irland und England, wo es keineswegs an Zündstoff fehlte –, erklärte der Konvent am 1. Februar an England und seinen Verbündeten Holland den Krieg. Einen Monat später folgte die Kriegserklärung an Spanien, zu gleicher Zeit auch an den Papst, nachdem in Rom der Gesandte der Republik durch eine fanatisierte Pöbelrotte ermordet worden war. Dann schlossen sich Portugal, Sardinien und Neapel dem Kriege gegen die Französische Revolution an, gegen die sich nun auch im Innern des Landes eine Reihe von Landschaften und Städten erhob. Sie schien nahezu wehrlos zu sein, da das alte Heerwesen sich aufgelöst und ein neues sich noch nicht gebildet hatte.

Aus dieser Überfülle der Gefahren rettete sich die Revolution durch den roten Schrecken. Seine Kerntruppen waren die Pariser Proletarier, die dadurch eine große historische Mission erfüllten, auch wenn sie nicht dauernd eine Herrschaft behaupten konnten, deren reale Vorbedingungen noch nicht existierten. Die Pariser Arbeiter standen erst an der Schwelle des modernen Proletariats, wie die ökonomische Entwicklung Frankreichs erst an der Schwelle der großen Industrie stand; die sozialistische Weltanschauung lebte noch im Reiche der Träume, und selbst die hitzigsten Jakobiner, die konsequentesten Männer des roten Schreckens, sahen in ihr nur „ein Schreckgespenst, von Spitzbuben ersonnen, um Schwachköpfe zu betören". Das Jakobinertum war in seinem historischen Wesen durchaus ein kleinbürgerliches Produkt, und das Kleinbürgertum konnte selbst in der großartigsten Erscheinung, die es je gezeugt hat, nicht die Herrschaft an sich reißen, die der Bourgeoisie nach dem Rechte der Geschichte gebührte.

Wie es die Art des Kleinbürgertums ist, so stellte es auch in den Tagen des roten Schreckens seine Helden und Wortführer nicht aus den eigenen Reihen, sondern nahm sie aus der bürgerlichen Intelligenz; es waren Ärzte, Advokaten, Schriftsteller, manche anrüchige und faule Gesellen darunter, doch auch unsterbliche Revolutionäre, Männer, denen die Bewunderung und die Dankbarkeit der Nachwelt gebührt, mag auch die Reaktion, und nicht zuletzt die bürgerliche, ihr Andenken unter einem Berge von Verleumdungen zu begraben versucht haben. Fast alle haben mit ihrem Leben ihr Verdienst besiegelt und ihre Schuld bezahlt, vor allem die drei, deren Namen sprichwörtlich geworden sind für die Tage des roten Schreckens: Marat, Danton und Robespierre. Marat, der am ehesten schon die proletarische Ader in den Pariser Arbeitern zu wecken verstand, fiel unter dem meuchlerischen Messer einer betörten Schwärmerin für die blaue Republik. Danton, der genialste von allen, ein Mann nicht ohne Schlacken, aber „eine feurige Wirklichkeit, aus dem großen Feuerschoße der Natur selbst", erkannte bald, wie hoffnungslos die Blutarbeit für die Herstellung dauernder Zustände sei, ohne das ungeheure Schicksal bannen zu können, das er beschworen hatte und nun selbst erduldete. Robespierre, die fleischgewordene Formel, ein Mann, der mit seinem unerschütterlichen Glauben an Rechtschaffenheit, Tugend und Wohlwollen in ruhigen Zeiten eine trockene Musterfigur für jeden Philister geworden wäre, säuberte mit der Guillotine hinweg, was der Herrschaft der Rechtschaffenheit, der Tugend, des Wohlwollens im Wege stand, bis ihn selbst das Gegenteil von Rechtschaffenheit und Tugend mit der Guillotine wegsäuberte.

Man hat die Opfer des roten Schreckens auf viertausend Köpfe berechnet, wozu Thomas Carlyle, ein genialer, obgleich nichts weniger als umstürzlerischer Historiker der Französischen Revolution, an seinem Teile bemerkt: „Es ist eine schreckliche Summe menschlichen Lebens; zehnmal soviel gehörig auf einem Schlachtfelde erschossen, und man hätte seinen glorreichen Tag mit Tedeum haben können. Es ist ungefähr der zweihundertste Teil von dem, was im ganzen Siebenjährigen Kriege umkam. Und welchen Zweck hatte der Siebenjährige Krieg? Ein Stückchen Land an sich zu reißen und sich für ein Epigramm zu rächen! Die Geschichte, blickt sie auf dies Frankreich zurück vor langen Zeiten, zurück auf Turgots Zeiten z. B., als die stumme Plage hin wankte zum Palast ihres Königs und in weitverbreitetem Elend, mit bleichen Gesichtern, in Schmutz und Lumpen hieroglyphisch ihre Beschwerdeschrift überreichte und zur Antwort an einen neuen, vierzig Fuß hohen Galgen gehängt wurde, muss traurig bekennen, dass es keine Periode gibt, worin die fünfundzwanzig Millionen im allgemeinen weniger litten als in der Periode, die man die Schreckensregierung nennt. Aber es waren nicht die stummen Millionen, die hier litten, es waren die sprechenden Tausende und Hunderte und einzelne, die schrien und schrieben und die Welt mit ihrem Jammer erfüllten, wie sie konnten und sollten. Das ist die Eigentümlichkeit." In der Tat, das ist die Eigentümlichkeit, die sich gleich nach der umgekehrten Richtung bewähren sollte, als der weiße Schrecken nach dem Sturze Robespierres, der ihn sterbend mit den Worten gebrandmarkt hatte: „Die Räuber triumphieren", unter den „stummen Millionen" viel schauerlicher wütete als ehedem der rote Schrecken unter der schreibenden und sprechenden Minderheit.

Aber so sicher der rote Schrecken notwendig war, um Frankreich zu retten, so unmöglich wäre es ihm doch gewesen, dies Ziel zu erreichen, wenn ihm die innere Zwietracht im gegnerischen Lager nicht die nötige Zeit gelassen hätte, alle Hilfsquellen zu eröffnen, die nur nach und nach wirksam werden konnten: das Aufgebot in Masse, die unbeschränkte Requisition aller Hilfsmittel für den Krieg, die kolossalen Rüstungen an Waffen und Munition. Die wohlgedrillten Heere der feindlichen Koalition waren militärisch noch immer den französischen Freiwilligen überlegen, die keineswegs von Anfang an die Helden waren, die später die revolutionäre Legende aus ihnen gemacht hat. Bei aller Lässigkeit, womit die Preußen den Krieg führten, gelang es ihnen doch, Mainz wiederzuerobern, und auch Belgien fiel schnell an die Österreicher zurück. Es waren schließlich Heeresmassen von mehr als 250.000 Mann, denen der Einmarsch in Frankreich offenstand und denen die französische Kriegsmacht noch nicht entfernt gewachsen war.

Allein in Belgien zankten sich Engländer und Österreicher so lange, bis die günstige Gelegenheit vorüber war; die Engländer verlangten nach dem Besitze von Dünkirchen, die Österreicher wollten die Picardie erobern. Darüber gewannen die Franzosen neue Erfolge, die ihnen zwar noch nicht wieder Belgien einbrachten, aber die moralische Kraft ihrer jungen Truppen wesentlich stärkten. Ganz ähnlich ging es auf dem rheinischen Kriegsschauplatze, wo der Herzog von Braunschweig, der wieder die preußischen Truppen befehligte, gemeinsam mit dem österreichischen General Wurmser agieren sollte, tatsächlich aber in unaufhörlichem Hader mit ihm lag. Wurmser wollte das Elsass erobern als Entschädigung für Österreich, und sich dafür ins Zeug zu legen, hatte der Braunschweiger keine Neigung. Er blieb tatlos im pfälzischen Gebirge stehen, und es gelang ihm, bei Pirmasens und Kaiserslautern die Angriffe des jungen Generals Hoche zurückzuschlagen, der, ein ehemaliger Stalljunge, zu den ersten der glänzenden militärischen Talente gehörte, die nunmehr die Französische Revolution zu erwecken begann. Aber dann warf sich Hoche auf Wurmser, schlug ihn in einer Reihe von Gefechten, entsetzte das von den Verbündeten belagerte Landau und trieb die Österreicher über den Rhein zurück, worauf auch die Preußen die Pfalz räumen mussten. Die einzige Frucht ihres Feldzuges blieb das wiedereroberte Mainz.

Es war abermals ein kläglicher Ausgang; das preußische Heer hatte über zehntausend Mann verloren, und der preußische Kriegsschatz, den der König Friedrich im Betrage von mehr als 50 Millionen Talern hinterlassen hatte, war nunmehr völlig erschöpft. Umgekehrt entwickelte sich reißend die kriegerische Kraft der Franzosen; Carnot, der „Organisator des Sieges", wusste die alten Linientruppen und die neue Bürgergarde in glücklichster Weise zu verschmelzen und ein fähiges Offizierskorps zu schaffen, dem die Guillotine alle verräterischen Neigungen austrieb; aus dem Aufgebot der Massen, die für ihre Lebensinteressen fochten, entstand eine neue Kriegsweise, die mit ihren Volksheeren, ihrer ungestümen Tirailleurtaktik, ihrem schnell durchgreifenden Requisitionssystem durch die Länder fegte und gewaltig emporwuchs über die alten Söldnerheere mit ihrer steifen Lineartaktik und ihrer weitläufig schleppenden Magazinverpflegung.

Finis Poloniae

Ehe nun aber das preußische Heer zu einem dritten Waffengange mit der Französischen Revolution antreten konnte, hatte es den polnischen Aufstand zu bestehen, der im Frühjahr 1794 gegen die russische Oberherrschaft ausbrach. Es war ein letztes Aufflackern der nationalen Kraft, nicht ohne erhebende und großartige Züge; unter 700 Vereinen mit mehr als 20.000 Mitgliedern, die sich zu blindem Gehorsam auf Tod und Leben gegen alle Befehle des nationalen Feldherrn Kosciusko verpflichtet hatten, fand sich auch nicht ein Verräter; der Boden des ganzen Landes dröhnte unheimlich unter den Füßen der Russen, ehe sie auch nur einen Feind sahen, den sie packen konnten.

Es war die Absicht, den Ausbruch des Aufstandes noch eine Weile hinzuziehen, bis die russischen Heere in einen neuen Krieg mit der Türkei verwickelt wären, den die Zarin sofort wieder angezettelt hatte, als sie Polens sicher zu sein glaubte. Ihre Truppen befanden sich schon auf dem Marsche gegen die Türken; in Polen waren nicht viel über zehntausend Mann zurückgeblieben, und um sich hier zu sichern, hatte die Zarin von der polnischen Regierung die Entwaffnung einer Anzahl von polnischen Regimentern verlangt und auch zugebilligt erhalten. Das hieß eine große Zahl von Offizieren und Soldaten ins nackte Elend stoßen, und der Widerstand, den sie ihrer Auflösung entgegensetzten, machte jede weitere Zögerung unmöglich. Am 6. März sandte Kosciusko nach Paris, bat um Geld und Offiziere, kündigte an, dass der Tag des Losschlagens bevorstehe. Zugleich entschuldigte er sich, dass er nicht mit der reinen Demokratie hervortreten könne, er sei zu sehr an die Hilfe des Adels und der Geistlichkeit gebunden und müsse in erster Reihe auf die Erhaltung der inneren Eintracht sehen. Man gewährte ihm in Paris, was er verlangte, um durch eine bewaffnete Erhebung in Polen die Ostmächte lahmzulegen; unter dem entscheidenden Gesichtspunkte der bürgerlichen Emanzipation bestand keine Gemeinsamkeit zwischen der Französischen und der polnischen Revolution.

So war sie von vornherein zum Untergange verurteilt, obgleich sie am 17. April Warschau in zweitägigem Straßenkampfe eroberte, den russischen General Igelström unter schweren Verlusten in die Flucht jagte und auch mit den preußischen Truppen leichtes Spiel hatte. Kosciusko ließ dem preußischen Gesandten in Warschau erklären, er sei zum Frieden mit Preußen und selbst zur Garantie der gegenwärtigen preußischen Grenzen bereit, wenn Preußen russischen Truppen keine Aufnahme gewähre, und auf den König blieb dies Anerbieten nicht ganz ohne Eindruck. Allein die Junker seiner Umgebung trieben ihn, lüstern nach neuem Raube, in den Krieg mit Polen; er ging am 12. Mai selbst über die Grenze, jedoch nur mit dem Erfolge, dass nunmehr im Osten ein womöglich noch kläglicherer Krieg geführt wurde als im Westen.

Bereits zwei Tage früher war der General Favrat mit 11.000 Mann in Polen eingebrochen; ein resoluter Marsch von ein paar Tagen hätte genügt, das so gut wie wehrlose Krakau zu erreichen und dort alle Kassen und Vorräte Kosciuskos wegzunehmen. Aber Favrat gehörte zu jener Sorte preußischer, nun schon das ganze Heer überwuchernder Gamaschenknöpfe, von denen ein preußischer Historiker schreibt: „Im Quartier entwarfen sie mit aller Anstrengung ihres Geistes künstliche Marsch- und Schlachtordnungen, mit denen sie jeden darauf eingehenden Feind zu zermalmen hofften, fanden aber draußen im Felde, dass sie sich nicht rühren, geschweige denn fechten könnten, weil ihre Truppen noch keine regelrechte Bäckerei, ja nicht einmal die etatsmäßigen Kochtöpfe hätten." Favrat brauchte acht Tage, ehe er sich zu einem Angriff auf einige Krakusen entschloss, die Kosciusko zwei Meilen vor Krakau aufgestellt hatte, und als sie bei seiner Annäherung auseinanderstoben, so dass er nur einen einzigen Gefangenen machte, war er über diese Vereitelung seines am grünen Tische ersonnenen Schlachtplans so empört, dass er abermals ruhig stehenblieb und dann sogar auf einen bloßen Alarmschuss hin wieder umkehrte. Es käme ihm nicht zu, den Krieg zu beendigen, erklärte er einem russischen General, der ihn zu schnellerem Handeln bewegen wollte; er müsse die Ankunft des Königs abwarten. So gewann Kosciusko eine mehrwöchige Waffenruhe, die er aufs dringendste brauchte, um zu einem erfolgreichen Widerstande zu rüsten.

Er hatte immerhin erst 17.000 Mann zusammen, darunter etwa zur Hälfte frisch ausgehobene, nur mit Sensen bewaffnete Bauernhaufen, als er am 6. Juni einer preußisch-russischen Übermacht von 25.000 wohlgedrillten Truppen bei Rawka erlag. Der König von Preußen, der mit ansehnlichen Verstärkungen in Favrats Lager erschienen war, hatte jedoch nur für einen Augenblick etwas lebhaftere Bewegung in die Heeresoperationen gebracht; sobald Kosciusko nach seiner Niederlage Krakau preisgab und auf Warschau zurückwich, folgten ihm die Preußen so langsam, dass sie erst am 13. Juli vor der schwach befestigten Hauptstadt anlangten. Im Ganzen waren jetzt 50.000 Mann preußischer Truppen gegen die polnische Insurrektion aufgeboten; davon lagen 25.000 vor Warschau, im Bunde mit 13.000 Russen, so dass ein Sturmangriff einen so gut wie sicheren Erfolg verhieß. Er war aber auch vom politischen Standpunkt aus geboten – wenn man anders die preußische Raubpolitik als gegeben voraussetzt –, denn mit der Eroberung Warschaus hätte der König die erste Hand im polnischen Spiele gehabt, bei dem ihm dieses Mal Russland sowenig wie Österreich etwas gönnte.

Indessen gerade weil er dies wusste, wurde der König von einem Geheimagenten der Zarin unter der treuherzigen Miene warnender Freundschaft beschwatzt, seine militärischen Kräfte für eine etwaige Auseinandersetzung mit Österreich und Russland zu schonen. Die Zarin ließ ihre Heersäulen vom Marsche gegen die Türkei schleunigst umkehren, um nun erst Polen niederzuwerfen; bis ihre Truppen vor Warschau eintrafen, kam es ihr darauf an, den preußischen König an jeder ernsthaften Festsetzung in Polen zu hindern, und so durchsichtig ihr Spiel war, so glückte es vollkommen bei dem königlichen Tölpel. Friedrich Wilhelm gab den Sturmangriff auf Warschau preis, den selbst Held Favrat für vollkommen ausführbar hielt, und entschloss sich zu einer regelrechten Belagerung, die, mit dem nötigen technischen Ungeschick unternommen, nicht von der Stelle rückte und von Kosciusko durch unaufhörliche Ausfälle beunruhigt wurde, bis sie damit endete, dass am 6. September das Heldenheer mitsamt dem Heldenkönige einen lächerlichen Rückzug in die heimischen Gefilde antrat. Dort erwartete sie in den polnischen Landesteilen aber auch der Aufruhr, den kecke Streifzüge der polnischen Insurgentenführer unausgesetzt schürten; sie holten sich Tausende von Rekruten aus Südpreußen, wie der preußische Anteil an dem zweiten Raubanfall auf Polen getauft worden war, und eroberten am 2. Oktober sogar die Stadt Bromberg, was in Potsdam einen ohnmächtigen Wutanfall des Königs hervorrief.

Das Schicksal Polens aber erfüllte sich, als die Zarin genügende Kräfte gesammelt hatte, um sie unter ihrem bewährtesten Feldherrn, dem General Suworow, gegen den Aufstand zu senden. In einer Reihe von Treffen schlug Suworow die Polen; bei Maciejowice fiel Kosciusko am 10. Oktober schwer verwundet in russische Gefangenschaft; am 4. November erstürmte Suworow unter blutigen Gräueln Praga, eine Vorstadt von Warschau, worauf die polnische Hauptstadt kapitulierte. An den preußischen General Schwerin meldete Suworow mit höhnendem Lakonismus: „Hier bin ich, mit meinen, mit Siegeskränzen geschmückten Truppen", und an den König von Preußen: „Praga raucht, Warschau zittert. Auf den Wällen von Praga. Suworow."

Hässlicher als dieser Jubelschrei einer naturwüchsigen Barbarei war das geflügelte Wort, womit sich die borussische Zivilisation an dem Untergange Polens beteiligte, die „schmachvolle Lästerrede", wie Kosciusko sie nannte, den sie betraf. Die amtliche „Südpreußische Zeitung" wusste am 25. Oktober zu melden, Kosciusko habe den Russen seinen Säbel ausgeliefert mit dem Rufe: Finis Poloniae! das Ende Polens! Es war eine so boshafte wie feige Lüge, doppelt boshaft und feige gegenüber der heldenmütigen Aufopferung, mit der Kosciusko und seine Waffengefährten das Schicksal ihres Vaterlandes noch in zwölfter Stunde zu wenden gesucht hatten. Aber es war auch das Grinsen des Thersites am eigenen, schon offenen Grabe, in das ihn der Verrat an Polen mit einem letzten Stoße schleuderte.

Nach nunmehr schon hergebrachter Praxis musste der altpreußische Staat nach der Unterwerfung des polnischen Aufstandes den russischen Hetzhund spielen und sich danach mit der Beute des Schakals begnügen. Im August 1794 beantragte die Zarin in Berlin eine abschließende Verhandlung über das Schicksal Polens, worauf die prompte Antwort einlief: Gänzliche Aufteilung und für Preußen alles Land zwischen Schlesien, Südpreußen und der Weichsel. Zum ersten Punkte sagte Katharina mit der Miene einer tragisch bewegten Komödiantin ja und amen, zum zweiten aber: Ihr seid wohl nicht recht bei Troste! Von den etwa 1300 Geviertmeilen polnischen Landes, die Preußen begehrte, wollte sie ihm ungefähr die Hälfte zugestehen, die andere aber zum kleineren Teile für sich behalten, zum größeren Teile an Österreich geben, angeblich, um es für seine Anstrengungen gegen die Französische Revolution reichlich zu entschädigen, tatsächlich, weil sie mit dem bereitwilligen Thugut wieder die alten josephinischen Eroberungspläne erneuern wollte. Dagegen spielte die Berliner Diplomatie „die reellen Ansprüche Preußens als einer in erster Reihe gegen Polen kampfführenden Macht" aus, eine so komische wie unverschämte Tirade, die auf das hartgesottene Gemüt der Zarin natürlich nicht den mindesten Eindruck machte.

Sie verbündete sich vielmehr am 3. Januar 1795 mit Österreich, dem sie gegen freie Hand in der Türkei freie Hand zur Erwerbung Bayerns, Bosniens und Serbiens sowie der Venetianischen Republik zugestand, die Aufteilung Polens aber so abschloss, dass die Hauptanteile an Österreich und Russland fielen und Preußen mit Warschau und einem schmalen Strich an der ostpreußischen Grenze abgefunden wurde. Die beiden Kaiserhöfe verpflichteten sich zum Kriege gegen Preußen, wenn es sich diesen Bedingungen nicht füge. Obgleich dieser Vertrag noch mehrere Monate geheim blieb, wusste man in Berlin doch, woran man war, und begnügte sich mit den Lappen, womit die Kaiserhöfe allein die Berliner Habgier sättigen wollten. Am 19. Oktober 1795 wurde der Teilungsantrag so angenommen, wie ihn Katharina und Thugut vorgeschrieben hatten: Russland erhielt ein Gebiet von 2030, Österreich von mehr als 1000, Preußen von kaum 700 Geviertmeilen mit etwa einer Million Einwohnern. Das neue Gebiet wurde, möglichst sinnlos, Neuostpreußen getauft.

Die neuen Landesteile hatten nicht einmal den mäßigen Genuss, von der Traufe unter den Regen zu kommen. Was die Französische Revolution vermocht hatte: das Elsass zur treuesten Provinz Frankreichs zu machen, indem sie seinen Boden vom feudalen Schmutze säuberte, das vermochte der altpreußische Staat natürlich nicht. Es blieb bei der alten Junkertraufe, nur dass die preußischen Junker sich beeilten, ihre polnischen Klassengenossen zu plündern, was den polnischen Bauern, die von den einen wie von den anderen geschunden wurden, sehr gleichgültig sein konnte. Die dritte Teilung Polens war ein Raub nicht nur im staats-, sondern auch im privatrechtlichen Sinne. Im Jahre 1796 zog der preußische König die starosteilichen und geistlichen Güter ein, natürlich im Interesse der Kultur, der leibeigenen Bauern, der Germanisierung usw.; wenn der preußische Aar seine Flügel regt, macht er allemal echt preußischen Wind. Aber wie immer rafften auch diesmal die Junker die Beute.

Der Minister Hoym, der die neuen polnischen Landesteile verwalten sollte, der General Bischoffwerder, der geisterseherische Günstling des Königs, ein gewisser Triebenfeld, der als Lakai im Dienste mehrerer polnischer Großen gestanden hatte, endlich Rietz, der Kammerdiener des Königs und ehelicher Schanddeckel seiner Hauptmätresse, taten sich zu einem Konsortium zusammen, um durch die eingezogenen Güter Polen zu „germanisieren" oder, wie es in einer königlichen, an Hoym gerichteten Kabinettsorder vom 18. September 1796 heißt, „Euer Augenmerk darauf zu richten, dass in den neuen Acquisitions und in Südpreußen auf gute deutsche Landwirte gehalten werde und dass erbliche und auf adeliche Rechte konferierte Güter nicht wieder in die Hände der vormahligen Pohlen kommen". Dieser famose Germanisierungsgedanke, den neunzig Jahre später das patriotische Deutschland als einen funkelnagelneuen Genieblick Bismarcks bewunderte, ist ihm urkundlich von dem Konsortium Hoym-Bischoffwerder-Triebenfeld-Rietz vorgedacht worden.

Dieses Konsortium schätzte die eingezogenen polnischen Güter zu einem mehr oder minder geringen Bruchteile ihres Wertes ein und überließ sie entweder umsonst als sogenannte Gratialgüter oder aber um den Betrag des fiktiven Preises an „gute deutsche Landwirte", die ihm, dem Konsortium, ansehnliche Trinkgelder zu zahlen bereit waren. Die Erwerber beeilten sich dann, die Güter weiterzuverkaufen, gleichviel an wen, Polen, Juden, Russen, Türken, vorausgesetzt, dass sie den wirklichen Kaufwert ganz oder annähernd erhielten. Um das famose Geschäft an einigen Beispielen klarzustellen, so ließ sich Bischoffwerder ein Gut schenken, das angeblich 18.000, tatsächlich 190.000 Taler wert war und von ihm für 115.000 Taler verkauft wurde. Geheimrat v. Goldbeck erhielt für ein ihm geschenktes Gut, das angeblich 28.600 Taler wert war, sofort 80.000 Taler. Graf Lüttichau bekam Güter, die auf 84.000 Taler geschätzt waren, er verkaufte sie für 800.000 Taler. Dazu kaufte er für 26.000 Taler acht Domänen, von denen eine einzige bald darauf gerichtlich auf 90.000 Taler taxiert wurde. Generalmajor v. Rüchel, nicht zufrieden mit einem ihm geschenkten „Gratialgute", „kaufte" noch eine Domäne, die er sofort für 130.000 Taler weiterverkaufte. Auch Blücher erhielt Güter in beträchtlichem Umfange, die er, ohne sie je gesehen oder auch nur einen Pfennig hineingesteckt zu haben, für 140.000 Taler an einen Kaufmann in Elbing verschacherte. Selbst die heilige preußische Tradition, wonach nur Adlige in den Besitz von Rittergütern gelangen durften, war vor diesem Gaunerkonsortium nicht sicher. Es ließ sich nicht bloß mit Junkern, sondern auch mit der bürgerlichen Kanaille ein, wenn sie tüchtige Trinkgelder zahlte: mit Advokaten, Gastwirten, Kaufleuten, Gewürzkrämern. Ein untergeordnetes Werkzeug der Triebenfeld und Rietz, der Galanteriewarenhändler Tresckow, durfte für 86.000 Taler Güter „kaufen", die unter Brüdern 350.000 Taler wert waren, und für diese Tat patriotischer Aufopferung erhielt er noch obendrein den erblichen Adel.

Wie hoch in die Millionen sich der kolossale Diebstahl belaufen hat, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Die ehrlicheren preußischen Geschichtsbücher, die davon überhaupt zu erzählen wissen, schwanken in ihren Angaben allzu sehr und sind nur einig in den Angaben, dass dieser an der Staatskasse verübte Betrug einen ungeheuren Umfang angenommen habe. Wozu vielleicht die schüchterne und in unseren aufgeklärten Tagen gewiss recht rückständige Bemerkung zu machen wäre, dass eigentlich doch nicht der preußische Adler, sondern der polnische Adel und Klerus die Leidtragenden waren. Anzuerkennen ist jedoch, dass einzelne preußische Beamte sich dem Schwindel zu widersetzen wagten. Nur bekam es ihnen sehr übel. Der Kriegsrat v. Coelln, der gegen ein betrügerisches Geschäft des Triebenfeld zu protestieren wagte, wurde auf Anordnung Hoyms sofort zum Steuerrate degradiert und zur Strafe versetzt. Noch ärger erging es dem Kriegsrate Zerboni, der freilich das Konsortium gestört hatte, als es gerade eine Million stibitzen wollte. Er wurde in den Kasematten der Festung Glatz untergebracht, „weil seine Denkungsart und sein Benehmen solches nötig" machten, und dann durch Kabinettsjustiz wegen seiner „auf Zerrüttung der Ordnung und Ruhe abzielenden unerlaubten und gefährlichen Verbindungen" in einen feuchten Keller der Zitadelle Magdeburg geworfen, wo er härter als überführte Diebe und Mörder gehalten wurde.

So sah der historische Rechtstitel der höheren Kultur aus, durch den die preußischen Raubanfälle auf Polen angeblich entsühnt sein sollen.

Der Baseler Friede

Als am 19. Oktober 1795 die endgültige Entscheidung über das Schicksal Polens zwischen Russland, Österreich und Preußen getroffen wurde, hatte der Krieg zwischen Frankreich und Preußen schon seit einem halben Jahre sein Ende gefunden.

Der dritte Feldzug, im Jahre 1794, brachte den preußischen Waffen so geringe Lorbeeren wie die beiden ersten. Am Schlusse des zweiten hatte bereits der Herzog von Braunschweig den Oberbefehl niedergelegt, „moralisch krank", wie er selbst sagte; jene Angst vor den dämonischen Mächten der Revolution, die in seinem engen und langsamen Geist jeweilig einen Lichtschimmer erweckte, ließ ihn den Finger auf die wunde Stelle der feudalen Koalition legen: Er meinte, wenn eine große Nation, wie die französische, durch Begeisterung und Schrecken zu großen Taten geführt werde, so sollte auch ein einziger Grundsatz und ein einziger Wille alle Schritte der verbündeten Gegner leiten; wenn dagegen jedes Heer für sich ohne festen Plan, ohne Einheit, ohne Grundsatz, ohne Methode handle, so käme dabei nichts heraus als ein allgemeiner Wirrwarr.

Es war eine richtige, aber bei dem historischen Wesen aller „reaktionären Massen" ganz unfruchtbare Erkenntnis. Solche Massen zerreißen immer in sich, aber unter dem Druck der siegreich fortschreitenden Revolution ballen sie sich immer wieder zusammen. Auch der preußische König wollte noch nicht von dem Kampfe gegen die Jakobiner lassen; es kostete seiner junkerlichen Umgebung viel Mühe, ihn in den polnischen Feldzug zu drängen, während er nach konterrevolutionären Lorbeeren am Rhein lechzte, so kostspielig sie zu werden begannen. Denn wenn es auch leicht war, Braunschweig durch Möllendorff, einen Gamaschenknopf durch den anderen, zu ersetzen, so fehlte es doch gänzlich an der ersten Voraussetzung aller Kriegführung, am Gelde. Es blieb nichts übrig, als das preußische Heer, in der Stärke von 62.400 Mann, in den Sold der Seemächte zu geben. Dadurch setzte sich Preußen auf die Stufe der deutschen Kleinstaaten herab, die wenige Jahre früher ihre Truppen an England für den Krieg in Amerika verkauft hatten; durch den Haager Vertrag vom 17. April 1794 wurde bestimmt, dass alle Eroberungen der preußischen Truppen den Seemächten gehören und dass die Truppen da verwandt werden sollten, wo es den Interessen der Seemächte am zuträglichsten erscheine, jedoch, wie die preußischen Unterhändler mit einer letzten Regung von Scham in den Vertrag setzen ließen, nach einer militärischen Übereinkunft zwischen England, Holland und Preußen.

Während dieser mühseligen Versuche, die wankende Koalition zusammenzuhalten, rüsteten die Franzosen, die nun aus dem vollen zu schöpfen begannen, den Krieg auf großem Fuße. Sie gedachten, den Hauptangriff gegen die Niederlande zu richten, die Engländer und Österreicher aus Belgien zu vertreiben, Holland zu erobern. Von den Ardennen an bis nach Dünkirchen sammelten sie gegen 300.000 Mann; Carnot war bei der Leitung der Operationen tätig; das Kommando der Nordarmee führte Pichegru, ein rasch entschlossener Feldherr revolutionären Ursprungs, unter ihm dienten Moreau, Macdonald, Vandamme, Bernadotte und andere kühn aufstrebende Talente. Immer noch mochten die Gegner die taktische Überlegenheit in dieser oder jener Waffengattung besitzen, aber weder an energischer Führung noch an todverachtenden Massen konnten sie sich mit den Franzosen messen, die denn auch unaufhaltsam vorwärtsstürmten. Nun riefen die Seemächte nach ihren preußischen Soldtruppen, aber Möllendorff stützte sich auf jene zweideutige Klausel des Haager Vertrages und erklärte aufs bestimmteste, ohne seine Zustimmung dürfe über seine Truppen nicht verfügt werden; er gehe schlechterdings nicht nach Belgien; die militärischen Operationen in den Niederlanden unterstützte er am wirksamsten durch eine glückliche Bewegung gegen Elsass und Lothringen. So klaffte die kaum gekittete Koalition wieder auseinander; es kam zu den heftigsten und widerwärtigsten Auseinandersetzungen, die endlich zum völligen Bruche zwischen England und Preußen führten.

Dem Sinne des Vertrages nach waren die Seemächte in ihrem Rechte, und auch der preußische Minister Hardenberg meinte: „Darin werden wir doch alle einig sein, dass die Rettung Hollands äußerst wichtig ist und dass wir dem einmal mit den Seemächten geschlossenen Traktat mit Treu und Glauben nach aller Möglichkeit nachkommen müssen, wenn wir nicht dem Vorwurf einer insidieusen Politik uns noch mehr aussetzen und uns allgemein gehasst und verlassen sehen wollen." Aber er drang nicht durch gegen seinen einflussreicheren Kollegen Haugwitz, der eben jene Klausel in den Haager Vertrag gesetzt hatte und nunmehr auf die Seite Möllendorffs trat.

So stellten die Engländer ihre Soldzahlungen ein, und die preußische Kriegführung blieb nach wie vor gelähmt. Von einem Zuge gegen Elsass und Lothringen war überhaupt nie die Rede gewesen; Möllendorff hatte nur die Stellungen in der Pfalz wieder besetzt, aus denen die Preußen im vorigen Jahre vertrieben worden waren. Er musste sie dann aber auch aufgeben und hinter den Rhein retirieren, als die Österreicher im Herbst aus Belgien herausgeschlagen worden und über den Rhein zurückgegangen waren, so dass den Franzosen als Frucht des Feldzuges nicht nur Belgien, sondern auch das linke Rheinufer zufiel. Und auch damit nicht genug, so eroberte Pichegru gegen Weihnachten dieses Jahres noch Holland und rief die Batavische Republik aus, die erste der Tochterrepubliken, mit denen sich die Französische Republik nunmehr zu umgürten begann.

Der altpreußische Staat aber war in voller Auflösung. Von Frankreich durch die breite Kluft der Revolution getrennt, mit England unheilbar überworfen, von den beiden Kaiserhöfen unter der Spitze des Schwerts gehalten, am polnischen Raube erstickend, mit gänzlich zerrütteten Finanzen und einem durch jämmerliche Feldzüge entwürdigten Heere, stand er am Rande des Abgrundes. Eine Rettung gab es für ihn nicht mehr, sondern nur noch eine Galgenfrist, die durch einen demütigenden Friedensschluss von der Gnade des revolutionären Frankreichs zu erkaufen war. Das Maulheldentum des Manifestes von 1792 war den preußischen Junkern gründlich ausgetrieben worden; Diplomaten wie Generale drängten zum Frieden mit Frankreich, über den Leib des dahinsiechenden Königs hinweg, der noch immer nicht von der fixen Idee lassen wollte, dass er als „ritterlicher Monarch" nicht mit „Königsmördern" unterhandeln dürfe. Sie machten ihm die Sache schmackhaft, indem sie darauf hinwiesen, dass Robespierre gestürzt sei, und indem sie versprachen, die Unterhandlungen durch Barthelemy zu leiten, den französischen Gesandten in der Schweiz, einen Diplomaten noch aus den Tagen Ludwigs XVI. her.

In Paris ging man auf das preußische Friedensangebot gern ein. Man lebte noch immer in dem holden Wahne von dem verhältnismäßig modernen Charakter des altpreußischen Staates und war selbst zu einem Bündnis mit Preußen bereit. Deshalb vergaß man freilich nicht, die eigenen Interessen zu wahren und dem Besiegten ein kaudinisches Joch zu errichten. Preußen musste einfach aus dem Koalitionskriege ausscheiden und auf seine linksrheinischen Besitzungen verzichten, falls es den Franzosen gelänge, das linke Rheinufer zu behaupten; für diesen Fall sollte es beim allgemeinen Frieden eine Entschädigung erhalten, durch Beraubung rechtsrheinischer, geistlicher Reichsstände, wie in holdem, aber stillschweigendem Einvernehmen vorausgesetzt wurde. Dann setzte der Friede, der am 5. April 1795 in Basel geschlossen wurde, eine Demarkationslinie fest, die an der ostfriesischen Küste begann, südwärts bis an den Main und von da ostwärts bis Schlesien lief, also ganz Nord- und Mitteldeutschland umfasste; die Franzosen versprachen, diese Linie zu respektieren, falls die von ihr eingeschlossenen Reichsstände strenge Neutralität beobachten würden.

Der preußische Unterhändler dieses Friedens war derselbe Hardenberg, der eben seine warnende Stimme vor einer Politik erhoben hatte, die Preußen allgemein gehasst und verachtet machen müsse, und der nun selbst diese Politik auf einen Gipfel führen musste, den sie bisher bei alledem noch nicht erreicht hatte. Man hat daraus geschlossen, dass der Baseler Friede bei all seiner Schmach eine absolute Notwendigkeit für Preußen gewesen sei. Das ist auch keineswegs falsch; es ist sogar noch viel richtiger, als die historischen Schönfärber meinen. In der feudalen Koalition war dem altpreußischen Staate zuerst der Atem ausgegangen; er war schon vollständig fertig, intellektuell und moralisch, finanziell und militärisch, nach einem kurzen Ringen mit der Revolution, das die anderen Mächte der feudalen Koalition noch eine gute Weile mit wechselndem Glücke fortzusetzen vermochten. Er zog sich aus den großen Welthändeln zurück, um unter dem Schutze einer feigen Neutralität ein Scheinleben zu führen; für den Preis, allgemein gehasst und verachtet zu werden, erkaufte er sein letztes Lebensjahrzehnt.

Friedrich Wilhelm III.

Am wenigsten vermochte der Thronwechsel im Herbst 1797 eine heilsame Umwälzung der Dinge herbeizuführen; er zeigte vielmehr von neuem, wie wenig dies Königtum in dem Staate der ostelbischen Junker bedeute.

Von den Lastern, mit denen Friedrich Wilhelm II. den herrlichen Bau des friderizianischen Staates untergraben haben sollte, war sein Sohn und Nachfolger völlig frei, aber unaufhaltsamer denn je brach die verfallene Ruine in sich zusammen.

Friedrich Wilhelm III. zählte erst 27 Jahre, als er das traurige Erbe seines Vaters antrat. Schlecht erzogen wie dieser, aber von Natur noch weniger begabt, blöden, beschränkten und versteckten Geistes, unfähig, selbst nur einen zusammenhängenden Satz zu sprechen, mit der physischen Tapferkeit eines Unteroffiziers eine moralische Feigheit verbindend, die auch vor der ärgsten Demütigung nicht zurückschreckte, dabei beherrscht von allen dünkelhaften Marotten des Gottesgnadentums, war er doch weder ein Frömmler noch ein Wüstling. Er jagte, bald nachdem er zur Macht gelangt war, den elenden Wöllner fort und gestattete dem schwachatmigen Aufkläricht, der im märkischen Sande gedieh, alle Segnungen über das dürstende Volk zu schütten, wobei denn freilich nichts herausgekommen ist.

Dann aber räumte der neue König auch mit der Mätressenwirtschaft seines Vorgängers gründlich auf. Er lebte in ehrbar-spießbürgerlicher Ehe mit seiner legitimen Frau, einer kleinen mecklenburgischen Prinzess, die später als Königin Luise zur preußischen Nationalheiligen avanciert ist. Höflinge haben sie mit überschwänglichem Glorienscheine geschmückt, von ihrem Standpunkt aus auch nicht ohne Grund, da diese Königin ganz und gar im höfischen Treiben aufging. Ohne Zweifel war sie nicht so borniert wie der König, und jeweilig flackerte sie wohl auf über Demütigungen, die ihren Mann noch lange nicht rührten. Aber es war dabei mehr Hochmut als Stolz, mehr Laune als Würde. Urteilsfähige Personen, die sie gekannt haben, urteilten sehr hart über sie; Alexander v. Humboldt nannte sie „äußerst selbstsüchtig, verschlagen und versteckt", und nicht viel milder sprach der Freiherr v. Stein von ihr. Er meinte, bei mehr Bildung, Konsequenz und tieferen Gefühlen hätte sie einen wohltätigen Einfluss auf den König haben können; sie sei auch eine angenehme, sehr gutmütige Frau, aber gefallsüchtig, von mangelhafter Bildung, fürs Gute leicht auflodernd, jedoch wegen der Oberflächlichkeit ihres Geistes unglücklich in der Wahl der Mittel, wenig ausdauernd in ihrer Anwendung; auch erfülle sie sehr unvollkommen ihre Pflichten als Mutter.

Der wirkliche Wert dieser Landesmutter enthüllte sich freilich erst nach dem furchtbaren Zusammenbruche des altpreußischen Staats, unter dem Drucke eines Schicksals, das auch kleine Seelen hätte erheben und läutern können. Zur Zeit, wo Hunger und Not wie die apokalyptischen Reiter durch das ausgesogene und verwüstete Land jagten, jammerte die Königin über die notwendige Einschränkung der verschwenderischen Hofhaltung: „Wir haben zu Mittag vier Gänge, zum Abend drei, das ist alles. Wir leben von der Luft", und um eine Vergnügungsreise nach Petersburg antreten zu können, scheute sie sich nicht, öffentliche Gelder anzugreifen, die dem verheerten Masuren gehörten und zu dessen Wiederherstellung bestimmt waren. Als sich Stein dem widersetzte, verband sich die Königin mit dem verächtlichsten Junkerpack, um den Reformminister zu stürzen, zum abermaligen Erweise der traurigen Erfahrungen, durch die gewarnt die deutschen „Untertanen" jener Zeit sich noch mehr davor fürchteten, dass ihr Angestammter in legitimer Liebe entbrannte, als dass er einen großen Harem von Buhldirnen hielt. Es ist natürlich auch byzantinischer Schwindel, dass die Königin Luise an gebrochenem Herzen gestorben sein soll, aus patriotischem Kummer über die fremde Tyrannei. Sie starb an einem körperlichen Leiden, wieder auf einer Vergnügungsfahrt, die sie in heiterster Stimmung angetreten hatte.

In den ersten Jahren der neuen Regierung aber mischte sie sich noch nicht in die öffentlichen Angelegenheiten, und alle preußischen Herzen schlugen höher über das tugendhafte Paar, das auf dem Throne saß. Allein an der allgemeinen Fäulnis der gesellschaftlichen Zustände wurde dadurch kaum etwas geändert, nicht einmal an der grenzenlosen Liederlichkeit in den königlichen Residenzen Berlin und Potsdam. Es blieb wieder alles beim alten, und wenn Friedrich Wilhelm II. bei seinem Regierungsantritte noch diese oder jene allzu gehässige Maßregel seines Vorgängers beseitigt hatte, so machte sich Friedrich Wilhelm III. nicht einmal eine so wohlfeile Mühe, sondern begnügte sich mit einigen wohlwollenden Kabinettsorders. Sie waren beiläufig von dem Kabinettsrat Mencken verfasst, dem Großvater Bismarcks von mütterlicher Seite her, der schon dem Kabinett des alten Fritz gedient hatte. Aus dem Kabinette des Nachfolgers als „Jakobiner" hinausgegrault, wurde Mencken nun von Friedrich Wilhelm III. wieder berufen, anscheinend nur um jenen biedern und freisinnigen Schein zu verbreiten, der keinem neuen Regimente fehlen darf. Denn schon nach wenigen Monaten schied Mencken wieder aus. Er war nach Steins Urteil ein liberal denkender, gebildeter, feinfühlender, wohlwollender Mann von den edelsten Absichten und Gesinnungen. An seine Stelle trat der bisherige Kammergerichtsrat Beyme, über den Stein viel ungünstiger urteilte.

Die ganze Kabinettsregierung war, je länger sie währte, umso unsinniger geworden. König Friedrich hatte nur subalterne Schreiber in sein Kabinett genommen, mit der einzigen Ausnahme Menckens, der ein studierter Jurist war und aus einer alten Juristenfamilie stammte, und er hatte sie in strammster Zucht gehalten, so dass sie höchstens verstohlen und von hinten herum ihre „Insinuationes" anbringen konnten. Das war nun ganz anders geworden; je mehr sich der Staat vergrößert hatte, namentlich durch die polnischen Raubzüge, und je träger oder unfähiger die Könige geworden waren, um so mehr war die Arbeit des Kabinetts auf seine Mitglieder übergegangen, die viel weniger Werkzeuge des Monarchen waren, als dass er vielmehr ihr Werkzeug wurde. Damit wurde der König vollständig von den Ministern und überhaupt von dem staatlichen Behördenorganismus getrennt und ein Spielball in den Händen völlig unberufener Menschen, die sich hinter dem Schirme seiner Unverantwortlichkeit und Unverletzlichkeit versteckten, um ohne jede Kontrolle den Staat für ihre eigennützigen Interessen auszubeuten.

Von dem Kabinette Friedrich Wilhelms III., wie es bis zu Jena geblieben ist, hat Stein eine ebenso kräftige wie treffende Schilderung entworfen in einem Berichte, der den König von der Unhaltbarkeit dieses Zustandes überzeugen sollte. Stein ist so billig, anzuerkennen, dass Beyme ursprünglich so übel nicht gewesen sei. Er habe als Kammergerichtsrat Achtung wegen seines geraden, offenen Betragens, seiner gründlichen und gesunden Beurteilung, seiner Arbeitsamkeit und Rechtskenntnis besessen. Doch habe es ihm schon immer an nationalökonomischer Bildung gefehlt, und seit seinem Eintritt in das Kabinett sei er durch Lombard verdorben worden.

Über diesen schreibt dann Stein: „Lombard ist physisch und moralisch gelähmt und abgestumpft, seine Kenntnisse schränken sich ein auf französische Schöngeisterei; die ernsthaften Wissenschaften, die die Aufmerksamkeit des Staatsmannes oder des Gelehrten an sich ziehen, haben diesen frivolen Menschen nie beschäftigt. Seine frühzeitige Teilnahme an den Orgien der Rietz, an den Ränken und Abscheulichkeiten dieser Menschen haben sein moralisches Gefühl erstickt und an dessen Stelle eine vollkommene Gleichgültigkeit gegen das Böse und Gute bei ihm gesetzt. In den unreinen und schwachen Händen eines französischen Dichterlings von niederer Herkunft, der mit der moralischen Verderbtheit eine physische Lähmung und Hinfälligkeit verbindet, der seine Zeit in dem Umgange leerer und erbärmlicher Menschen mit Spiel und Polissonnerien vergeudet, ist die Leitung der diplomatischen Geschäfte dieses Staats in einer Periode, die in der neueren Staatsgeschichte nicht ihresgleichen findet."

An dies Porträt Lombards schließt Stein eine Schilderung des Kabinettsministers Haugwitz, der mit Lombard an einem Strange zog: „Sein Leben ist eine ununterbrochene Folge von Verschobenheiten oder von Verworfenheiten. In seinen akademischen Jahren behandelte er die Wissenschaften seicht und unkräftig, sein Betragen war süßlich und geschmeidig. Er folgte dann den Toren, die in Deutschland vor dreißig Jahren das Geniewesen trieben, strebte nach dem Nimbus der Heiligkeit, die Lavater umgab, ward Theosoph, Geisterseher und endigte mit der Teilnahme an den Gelagen und Intrigen der Lichtenau, ward ihr geschmeidiger Gesellschafter, verschwendete die dem Staate gehörige Zeit am L'Hombre-Tisch und seine Kräfte in tierisch-sinnlichen Genüssen jeder Art. Er ist gebrandmarkt mit dem Namen eines ränkevollen Verräters seiner täglichen Gesellschafterin, eines schamlosen Lügners und eines abgestumpften Wollüstlings." An anderen Stellen spricht Stein von Haugwitz als von einem „elenden und charakterlosen Menschen", als von einer „ebenso verächtlichen wie perfiden Kreatur".

Was die Kabinettsräte für die Verwaltung, das war für das Heerwesen der Generaladjutant, ein sicherer General Köckeritz. Von ihm sagt Stein, er sei ein eingeschränkter, ungebildeter Kopf, von gemeinem Charakter und gemeiner Denkungsart, die ihm einen unwiderstehlichen Hang zur Plattheit in Ansichten, in Beschlüssen und in der Auswahl seiner Umgebungen gebe.

Nimmt man hierzu noch einen General Zastrow, der dem Köckeritz glich wie ein Ei dem anderen, oder einen Marquis Lucchesini, der als Hausnarr des alten Fritz begann und als Kammerherr einer napoleonischen Prinzess endete, in der Zeit der beiden Friedrich Wilhelme aber den preußischen Gesandten in Warschau, in Wien und in Paris spielen durfte, so hat man ungefähr die Clique zusammen, die am Steuerruder des altpreußischen Staates saß, als er in die Strudel von Jena schoss.

Sie war das richtige Produkt der Verhältnisse, womit jedoch nicht ausgeschlossen ist, dass Friedrich Wilhelm III. mit allem an ihr hing, was er von Herz besaß. In seiner schüchternen Menschenscheu war ihm der Verkehr mit den staatlichen Behörden unbequem, und zudem besaß er den angeborenen Hass des Idioten gegen jeden überlegenen Geist, wie die Gneisenau, Scharnhorst und Stein später bis zum Überdruss erfahren haben.

Der Reichsdeputationshauptschluss

Noch vor dem preußischen Thronwechsel hatte der erste Koalitionskrieg sein Ende gefunden. Zwei Jahre nach dem Frieden von Basel schloss Österreich mit Frankreich den vorläufigen Frieden von Leoben und ein halbes Jahr darauf, am 17. Oktober 1797, den endgültigen Frieden von Campo Formio.

Es hatte für die gemeinsamen feudalen Ziele immerhin mit anderer Kraft gefochten als Preußen, im südlichen Deutschland manchen Erfolg über die französischen Waffen davongetragen, war aber endlich auf dem italienischen Kriegsschauplatze der überlegenen Kriegskunst des jungen Generals Bonaparte erlegen, der die neue Kriegsweise zwar entfernt nicht erfunden hatte, aber sie unter den militärischen Talenten der Französischen Revolution am genialsten anzuwenden und auszubilden verstand.

Auch waren die Friedensbedingungen für die österreichische Hausmacht nichts weniger als ungünstig. Sie trat Belgien, das sie schon lange nur als verlorenen Außenposten betrachtet hatte, an Frankreich ab, ebenso verzichtete sie auf die Lombardei und genehmigte die Herstellung der Cisalpinischen Republik, die außer der Lombardei noch aus Modena, den päpstlichen Legationen und einem Stück Venetien bestehen sollte, wo Bonaparte den verfallenen Geschlechterstaat über den Haufen geworfen hatte. Dafür erhielt Österreich den größeren Teil Venetiens sowie Istrien und Dalmatien, eine vortreffliche Abrundung seines Gebiets, die ihm zugleich eine maritime Stellung ermöglichte. Die Schmach dieses Friedens lag für Österreich darin, worin die Schmach des Baseler Friedens für Preußen gelegen hatte; der Kaiser verpflichtete sich, das Reich zu berauben, indem er der Französischen Republik behilflich zu sein versprach, das linke Rheinufer zu erwerben. Darüber sollte auf einem Kongress in Rastatt verhandelt werden zwischen den Bevollmächtigten des Deutschen Reichs und den Bevollmächtigten der Französischen Republik.

Dieser Kongress wurde im Dezember 1797 eröffnet und tagte über ein Jahr in ebenso gehässigen wie unfruchtbaren Zänkereien, mit denen der große Leichenraub am Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation begann. Die französischen Bevollmächtigten traten schon völlig als die Herren und Gebieter des Reichs auf, und sie hatten allen Grund dazu; sie wurden von den deutschen Fürsten wie von einer Meute lüsterner Jagdhunde schmeichelnd umschnobert. Keinem dieser Edlen erweckte der Verlust des linken Rheinufers auch nur eine Spur nationaler Empfindung, aber sie alle wollten ihren Anteil haben an dem Raubzuge auf das Kirchengut. In Basel wie in Campo Formio war die stillschweigende Voraussetzung gewesen, dass die Verluste, die weltliche Fürsten durch die Abtretung des linken Rheinufers erlitten, durch Säkularisation der geistlichen Gebiete auf dem rechten Rheinufer eingebracht werden sollten; damit war einer unersättlichen Habgier Tür und Tor geöffnet, und sie tobte sich in einer Weise aus, die das Herz Bonapartes, der dem Kongress einen flüchtigen Besuch abstattete, für immer mit einer tiefen Verachtung dieses fürstlichen Gesindels erfüllte.

Auf dem Rastatter Kongresse zeigte sich zum ersten Male vor aller Welt, wie tief das moralische Ansehen Preußens gesunken war. Die vermittelnde Stellung, die es durch seine Neutralität erworben zu haben behauptete, erwies sich als ein leerer Schein; seine eigenen Schützlinge unter den deutschen Fürsten stürmten achtlos an ihm vorüber zu den französischen Gesandten als den wahren Gnadenspendern; es musste sich begnügen, wie selbst Treitschke sagt, die traurige Rolle des ersten unter den beutelustigen Kleinstaaten zu spielen. Aber ihm am wenigsten gönnte Österreich eine Vergrößerung; hatte es sich doch in den geheimen Artikeln des Vertrages von Campo Formio ausbedungen, dass nur die preußischen Besitzungen auf dem linken Rheinufer nicht an Frankreich übergehen sollten, damit Preußen keinen Anspruch auf anderen Erwerb gewinne.

In denselben geheimen Artikeln hatte sich Österreich die französische Vermittlung zum Erwerbe des Erzbistums Salzburg ausgemacht; mitessen wollte es auch vom geistlichen Gute. Aber die tolle Jagd in Rastatt ging ihm wider den Strich; wurde alles Kirchengut heimgeramscht, so wurde seine Herrschaft über das Reich, die namentlich auf den drei geistlichen Kurfürstentümern5 beruhte, arg erschüttert. Es kam hinzu, dass die revolutionäre Propaganda immer weiter um sich griff. Bonaparte war nach Ägypten gegangen, um die englische Weltherrschaft im Orient, als ihrem wundesten Punkte, anzugreifen; dann wurde am 15. Februar 1798 die Römische, am 12. April die Helvetische Republik ausgerufen. Und als im November 1798 neapolitanische Truppen ins römische Gebiet einbrachen, wurden sie zurückgeworfen; die französischen Truppen eroberten Neapel, das am 25. Januar 1799 in die Parthenopeische Republik verwandelt ward.

So schürzten sich schon im Sommer 1798 die Fäden zur zweiten feudalen Koalition gegen die Französische Revolution. Österreich entschloss sich, die Waffen wiederaufzunehmen, die England noch nicht niedergelegt hatte, und diesmal war auch Russland nicht bloß mit Worten, sondern ebenso mit Waffen von der Partie. Der Zarin Katharina war ihr Sohn Paul gefolgt, wie sein Vater ein halbverrückter Mensch, der den feudalen Kreuzzug gegen Frankreich, womit Katharina die deutschen Mächte nur genarrt hatte, nunmehr mit fanatischem Eifer aufnahm. Diese zweite Koalition, der auch noch Neapel, Portugal, Schweden und die Türkei beitraten, war ungleich gefährlicher als die erste; einen Vorgeschmack der Erbitterung, womit diesmal gekämpft werden sollte, gab die ruchlose Ermordung der französischen Gesandten durch österreichische Husaren, als der Rastatter Kongress nach dem Ausbruche des Krieges im Frühjahr 1799 auseinanderstob.

Die preußische Regierung rieb sich derweil vergnügt die Hände. Sie bildete sich ein, im Mittelpunkt Europas zu stehen, indem sie ihre Kräfte sammele, während die anderen Mächte ihre Kräfte gegenseitig zerstörten. Den Franzosen begann nun allmählich ein Licht aufzudämmern über den altpreußischen Staat. Sieyès, der französische Gesandte in Berlin, berichtete nach Paris: „Der König von Preußen fasst die schlechteste aller Entschließungen, die nämlich, sich für keinen zu entscheiden. Preußen will allein bleiben; das ist sehr bequem für Frankreich; es kann während dieser preußischen Betäubung mit den anderen fertig werden. Mit Unrecht sagt man, Berlin sei der Mittelpunkt der europäischen Verhandlungen; die ganze Weisheit des Berliner Hofes besteht darin, mit Ausdauer und Hartnäckigkeit eine passive Rolle zu spielen." Auf der anderen Seite hegte man anfangs den Argwohn, dass Preußen mit Frankreich unter einer Decke stecke, aber als man dahinterkam, dass die reine Nullität vorlag, wurde die Furcht auch keineswegs durch die Achtung abgelöst.

Die zweite Koalition errang große Erfolge. In Deutschland kämpften die Österreicher mit Glück, und bei Abukir vernichteten die Engländer die französische Kriegsflotte; dann wurde Italien namentlich durch die Siege der Russen erobert; die italienischen Tochterrepubliken Frankreichs verschwanden; an ihre Stelle traten wieder der Kirchenstaat und das Königreich Neapel. Mit dieser äußeren Bedrängnis wuchs die innere Zwietracht der Französischen Republik; die Direktorialregierung, in der sich die unmittelbare Herrschaft der Bourgeoisie verkörperte, zeigte sich weder nach innen noch nach außen den Schwierigkeiten der Lage gewachsen. Aber die Nation hielt fest an den Errungenschaften der Revolution; sie empfing mit großem Jubel den General Bonaparte, den die Nachricht von den italienischen Niederlagen aus Ägypten zurückgerufen hatte, und ertrug es willig, als er durch den Staatsstreich des 18. Brumaire (9. November 1799) die Direktorialregierung auseinanderjagte und sich zum Alleinherrscher machte, zunächst als Konsul mit zwei Kollegen, die nur dekorative Bedeutung hatten. Bonaparte schöpfte seine Kraft aus dem Erbe der bürgerlichen Revolution, das er nach außen und nach innen zu liquidieren begann; das erste Wort, das über den Sieger des 18. Brumaire laut wurde, ist zugleich das treffendste geblieben. „Das ist der Jakobinismus ganz und gar, konzentriert in einem Menschen und bewaffnet mit allen Werkzeugen der Revolution", sagte Graf Markow, der russische Gesandte in Paris.

Es ist hier nicht der Ort, auf Bonapartes innere Politik einzugehen; in der äußeren Politik fand er die Dinge schon wesentlich vereinfacht vor. Wie alle feudalen Koalitionen, so war auch die zweite, trotz ihrer Erfolge, bald von gegenseitigem Hass und Neid zerfressen worden; gerade in Italien, wo sie am glücklichsten gekämpft hatte, kam es zum Bruch zwischen Österreichern und Russen. Thugut, der auf der Apenninischen Halbinsel freie Hand für die habsburgische Hauspolitik haben wollte, drängte den russischen General Suworow von seinem Siegespfade über die Alpen in die Schweiz, worüber sich der Zar empörte und bereits im Oktober 1799, zur Zeit, wo Bonaparte aus Ägypten zurückkehrte, aus der Koalition ausschied. Dann aber warf sich seine verrückte Laune völlig herum; blinder als sein Pariser Gesandter, sah er nach dem 18. Brumaire in Bonaparte den Wiederhersteller der Ordnung und begann, auf ihn die Schwärmerei zu übertragen, die er bis dahin der altfranzösischen Königsfamilie geschenkt hatte.

Gegen England und Österreich aber erbot sich der nunmehrige Erste Konsul zum Frieden. Es mag nur ein taktischer Schritt gewesen sein, obgleich das Ammenmärchen von dem unersättlichen Eroberer, der immer wieder über die feudalen Friedensfürsten hergefallen sei, um eine Weltherrschaft zu begründen, heute selbst von den bürgerlichen Historikern aufgegeben zu werden beginnt. Jedoch wenn es nur ein taktischer Schritt gewesen sein sollte, so war er geschickt genug; der jüngere Pitt antwortete grob, der einzige Weg zum Frieden sei die Wiederherstellung des alten Frankreichs in seinen alten Grenzen; Thuguts Antwort war in der Form zwar maßvoller, allein er lehnte doch ab, den Frieden auf Grundlage des Vertrags von Campo Formio zu schließen, wie Bonaparte angeboten hatte. So folgte der Feldzug des Jahres 1800, der durch die Schlachten bei Marengo und Hohenlinden den Sieg wieder an die französischen Fahnen fesselte. Österreich musste sich zum Frieden bequemen, der am 9. Februar 1801 in Luneville abgeschlossen wurde und ihm ungleich härtere Bedingungen auferlegte als der Friede von Campo Formio.

Vor allem musste der Kaiser nicht nur in seinem, sondern auch im Namen des Reiches einwilligen, dass die Französische Republik mit voller Souveränität und als Eigentum die Gebiete am linken Rheinufer dergestalt besitze, dass der Talweg des Rheins fortan die Grenze zwischen der Französischen Republik und dem Deutschen Reiche bilde. Ein Gebiet von 1150 Geviertmeilen und fast vier Millionen Einwohnern, ziemlich einem Siebentel seiner Bevölkerung, war damit für Deutschland verloren. Ferner aber legte der Friede von Luneville dem Kaiser die ausdrückliche Verpflichtung auf, die bisherige Verfassung des Reiches aufzuopfern; die Erbfürsten des linken Rheinufers sollten im Innern des Reiches entschädigt werden, eine Bestimmung, die in ihren Konsequenzen das Deutsche Reich unter die Füße der Französischen Republik warf.

Formell allerdings hatte der Reichstag in Regensburg die Entschädigungsfrage zu regeln. Nach achtmonatigem Hadern setzte er auch eine Reichsdeputation für diesen Zweck ein; sie bestand aus Österreich, Preußen, Kurmainz, Sachsen, Bayern, Württemberg, Hessen-Kassel und einem der geistlichen Ritterorden, die es noch in Deutschland gab. Aber sie kam nicht von der Stelle; in ekelhaftem Zank stritten sich namentlich Österreich und Preußen um jeden Fetzen Erde, den Bonaparte ihrer Habgier gönnte. Es war nur zu richtig, was ein französischer Historiker darüber spottend sagt: Preußen und Österreich, die das Reich in Kriege gestürzt hatten, wollten sich nun selbst vergrößern auf Kosten dieses Reiches, das sie kompromittiert hatten. Und wo suchten sie diese Entschädigungen? In den Gütern der Kirche! Diese Verteidiger von Thron und Altar, die ausgezogen waren, um die bedrohte Kirche gegen die Revolution zu schützen, ahmten nun gerade die Revolution nach. Und sie verlangten von dem siegreichen Vertreter dieser Revolution, er solle die Beute des Altars unter sie verteilen, da sie selber mit der Teilung nicht fertig zu werden wussten.

Der Tross des deutschen Fürstengesindels wusste sofort, wo die Entscheidung lag, und jagte nach Paris. „Wie das Geschmeiß hungriger Fliegen", schreibt selbst Treitschke, „stürzte sich Deutschlands hoher Adel auf die blutigen Wunden seines Vaterlandes. Talleyrand aber eröffnete mit zynischem Behagen das große Börsenspiel um Deutschlands Land und Leute … Die hochgeborenen Bekämpfer der Revolution bettelten um seine Gnade, machten seiner Mätresse den Hof, trugen seinen Schoßhund zärtlich auf den Händen, stiegen dienstfertig zu dem kleinen Dachstübchen hinauf, wo sein Gehilfe Matthieu hauste … Das Gold der kleinen Höfe, das sie niemals finden konnten, wenn das Reich sie zur Verteidigung des Vaterlandes aufrief, floss jetzt in Strömen; jedermann in der diplomatischen Welt kannte den Tarif der Unterhändler und wusste, wie hoch der Kurswert einer Stimme im Fürstenrate des Reichstages sich stellte. Ein Fürst von Löwenstein, ein Nachkomme des siegreichen Friedrich von der Pfalz, spielte den Makler bei dem schmutzigen Handel. Auch die Pariser Gaunerschaft nahm die gute Gelegenheit wahr; mancher der gierigen deutschen Fürsten lief in seiner kleinstädtischen Plumpheit einem falschen Agenten Talleyrands ins Garn, bis Bonaparte selber gegen den Unfug einschritt."

Ein volles Jahr sah sich Bonaparte dies Treiben an, und es ist sicherlich ein ungerechter Vorwurf, dass er sich zu einer schiedsrichterlichen Entscheidung gedrängt hätte, die ihm vielmehr von den deutschen Fürsten aufgedrängt wurde. Er hatte nun auch seinen Frieden mit England gemacht, zu Amiens am 1. Oktober 1801, und einige Tage später einen Vertrag mit Russland geschlossen, wo inzwischen am 23. März der Zar Paul durch eine Palastrevolution gestürzt und ermordet worden war. Es war mehr als eine bloße Redensart, als sein Nachfolger Alexander in dem Manifeste, womit er seine Thronbesteigung ankündigte, im Sinne seiner Großmutter Katharina zu regieren versprach. Alexander besaß nichts von dem, was man Katharinas genialen Zynismus nennen mag, aber falsch wie Galgenholz, verlogen bis ins Mark, kokettierte auch er bald mit modernen Ideen, bald mit fanatischen Restaurationsgedanken, um unter diesen wechselnden Masken eine wüste Eroberungspolitik zu treiben. Katharinas Methode, sich den Händeln des Westens fernzuhalten, aber die deutschen Mächte um so tiefer in sie zu verwickeln und so im Osten freie Hand zu haben, war freilich durch die gewaltigen Fortschritte der Französischen Revolution überholt; Alexanders Politik bewegte sich um die Gedanken einer gemeinschaftlichen Beherrschung Europas mit Frankreich oder einer Niederwerfung der Französischen Revolution an der Spitze der feudalen Mächte.

Nach dem Scheitern der zweiten Koalition neigte sie sich mehr der ersten Möglichkeit zu; in geheimen Artikeln des französisch-russischen Vertrags vom Oktober 1801 wurden die Lose über die deutschen Dinge geworfen. Beide Mächte verpflichteten sich zu vollkommenem Einverständnis, um die interessierten Parteien zur Annahme ihrer Pläne zu vermögen, die auf Erhaltung des Gleichgewichtes zwischen Österreich und Preußen, dann aber auf möglichste Vergrößerung der Fürstenhäuser von Bayern, Württemberg und Baden abzielten. Immerhin war der Zar dabei schon an seinen Meister gekommen; er hatte nur aus dynastisch-verwandtschaftlichen Rücksichten die Begünstigung der süddeutschen Dynastien verlangt, während Bonaparte dabei einem wohlüberlegten politischen Plane folgte. Ihm kam es darauf an, aus den süddeutschen Gebieten, die in eine Unzahl hilfloser Trümmer aufgelöst waren, einige leidlich abgerundete Mittelstaaten zu schaffen, die, völlig von Frankreich abhängig, der französischen Herrschaft feste Stützpunkte mitten in Deutschland sichern sollten.

Das Gleichgewicht zwischen Österreich und Preußen bedeutete im französischen wie im russischen Sinne die Zuspitzung des preußischen Dorns im österreichischen Fleisch. So konnte Preußen von vornherein auf ein gutes Geschäft rechnen, während Österreichs Stellung viel schwieriger war. Es suchte noch immer so viel wie möglich von den geistlichen Staaten zu retten und schlug vor, auch die Reichsstädte in die Masse zu werfen, was mit jubelndem Hallo von der hungrigen Meute begrüßt wurde, ohne dass sich deshalb im mindesten ihr Appetit auf das Kirchengut schwächte. Aber Preußen hatte ebenfalls mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen, da seine Gier auch von wohlwollenden Lehnsherren schwer zu sättigen war. Lucchesini schacherte als preußischer Gesandter in Paris mit Talleyrand zum Herzerbarmen. Bonaparte wollte gern die preußische Nachbarschaft am Rhein los sein, er schlug vor, Preußen solle Mecklenburg nehmen und die mecklenburgischen Herzöge mit dem Reste seiner rheinisch-westfälischen Besitzungen entschädigen. Der Vorschlag war auch ganz im Geiste der friderizianischen Staatskunst gemacht, doch die mecklenburgischen Herzöge wollten auf den Handel nicht eingehen. Endlich wurde am 23. Mai 1802 eine geheime Übereinkunft zwischen Lucchesini und Talleyrand getroffen, wonach Preußen zwar weniger erhielt, als es begehrte, aber doch viel mehr, als es verloren hatte.

Preußen hatte durch die Abtretung des linken Rheinufers nur etwa 48 Geviertmeilen mit 127.000 Einwohnern und etwa anderthalb Millionen Gulden Einkünften eingebüßt, einschließlich der einträglichen Rhein- und Maaszölle. Nunmehr erhielt es die Bistümer Hildesheim und Paderborn, den besten Teil des Hochstiftes Münster mit der Stadt selbst, Erfurt und die kurmainzischen Besitze und Rechte in Thüringen, das Eichsfeld, die Abteien Herford, Quedlinburg, Elten, Essen, Verden und Kappenberg und die Reichsstädte Mühlhausen, Nordhausen und Goslar – zusammen einen Besitz, der über 230 Geviertmeilen betrug, mehr als eine halbe Million Einwohner zählte und nach mäßiger Berechnung nahezu vier Millionen Gulden Einkünfte abwarf.

Kaum hatte der preußische König diese französische Anweisung in der Tasche, als er sich auf den Weg machte, sie von dem russischen Lehnsherrn kontrasignieren zu lassen. Er traf in Memel mit dem Zaren zusammen, der sich dabei als gewandter Komödiant produzierte und eine Freundschaft heuchelte, die den armseligen König für immer einfing. Friedrich Wilhelm trug fortan als geduldiger Russenknecht das Joch, das seinen Vorgängern doch mitunter die Schultern wund gescheuert hatte; in diesen Memeler Tagen hat der Zar die preußische Vasallenschaft niet- und nagelfest gemacht. Nach einem kurzen kritischen Stirnrunzeln genehmigte er huldvoll die Pariser Übereinkunft, und nun stürzte sich der preußische Staat, ungefragt des Reichs, das noch keinen Beschluss gefasst hatte, auf die Beute, die ihm fremde Mächte zugebilligt hatten.

Der Reichsdeputationshauptschluss selbst erfolgte erst am 23. Februar 1803. Er war natürlich nach französisch-russischen Diktaten abgefasst. Im Ganzen vernichtete er 112 deutsche Staaten; von den geistlichen Ständen und den Reichsstädten blieben nur kümmerliche Reste übrig, von jenen drei, von diesen sechs. Österreich wurde nur eben für seine Verluste entschädigt, dagegen wurden noch weit reichlicher als Preußen die süddeutschen Staaten bedacht, namentlich Bayern, Württemberg und Baden.

Man wird nicht leicht versucht sein, diese deutsche Revolution von 1803 mit der Französischen Revolution von 1789 zu vergleichen. Dennoch verrichtete sie ein notwendiges Werk, indem sie dem Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation den vernichtenden Todesstoß gab. Alles, was heilsam an ihr war, verdankte sie der Französischen Revolution; ihre menschliche Niedertracht und ihre nationale Schande gebührte ganz den deutschen Fürsten.

Reformversuche

So sicher der Untergang des altpreußischen Staates seit dem Baseler Frieden besiegelt war, so hat es seinem letzten Jahrzehnt doch nicht an Reformversuchen gefehlt. Er war keine einsame Insel im Weltmeer; die ungeheuren Umwälzungen, die sich um ihn her vollzogen, wirkten auch auf ihn zurück.

Es ist unsinnig zu sagen, er habe eine konsequente Reformtätigkeit begonnen, die durch die Niederlage von Jena nur in unheilvoller Weise unterbrochen worden sei, aber es wäre ungerecht zu bestreiten, dass die Gewitterwolken, die über ihm hingen, hier oder da bemerkt worden sind und das Bemühen veranlasst haben, den einen oder den anderen Blitzableiter aufzustellen. Im äußersten Süden, im äußersten Westen und im äußersten Osten erwuchsen ihm Reformer: man kann sagen, überall, wo er sich mit einer zivilisierteren Welt berührte, denn auch in Ostpreußen war es der rege Handelsverkehr mit England, der eine leise Wendung zum Bessern herbeiführte.

Die Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth, die 1792 an den altpreußischen Staat zurückgefallen waren, hatten in ihrer sozialen Struktur wenig mit ihm gemein; sie waren ein Gebiet freier Bauern und wohlhabender Kleinbürger, das im ausgehenden Mittelalter durch die Bergwerke im Fichtelgebirge eine ähnlich hervorragende Stellung gewonnen hatte wie Sachsen, wenn auch auf kleinerer Stufenleiter. Ihre Verwaltung war schon unter dem letzten Markgrafen an Hardenberg gekommen, einen geborenen Hannoveraner, der ehedem in hannoverschen und braunschweigischen Diensten gestanden und weite Reisen in Frankreich, England und Holland gemacht hatte. Hardenberg war ein gebildeter Mann, ein Freund Goethes noch aus dessen Leipziger Frühzeit, später ein geselliger Kumpan Lessings in den braunschweigischen Weinkellern; verwandtschaftliche Beziehungen zur deutschen Literatur hatte er durch den Dichter Hardenberg, der sich als Dichter Novalis nannte. Unter Hardenberg arbeitete als Oberbergmeister der junge Alexander von Humboldt, als Kriegs- und Domänenrat aber Altenstein, der später als preußischer Unterrichtsminister der wohlwollende Beschützer der Hegelschen Philosophie wurde; gelernt hat hier ferner Nagler, der später das preußische Postwesen technisch reorganisierte, aber freilich zugleich zur größten Diebesfalle der Welt machte und sich auch sonst auf die reaktionäre Seite schlug.

Ähnlich wie in den fränkischen Markgrafschaften gab es in den rheinisch-westfälischen Besitzungen des Staats keine Erbuntertänigkeit, dagegen ein Stück kommunaler und provinzialer Selbstverwaltung. Auch hier entwickelte sich ein Beamtentum von freierem und weiterem Blick; es genügt, Vincke zu nennen und namentlich den Reichsfreiherrn vom Stein, der aus dem Nassauischen stammte. Der Titel ist in diesem Falle untrennbar vom Mann: Erst als Reichsritter wird Stein verständlich, als ein Spätling der Hutten und Sickingen, in seiner nationalen Begeisterung, in seinem unbändigen Hasse gegen die Fürsten und ihre Schreiberseelen, in seinem heftigen, gewaltsamen, ungestümen Charakter. Kein Revolutionär und nicht einmal ein Liberaler, blieb er immer seines Ursprungs gedenk, blieb er immer ein Freund des Adels; in der zukünftigen Verfassung Deutschlands wollte er dem Adel eine eigene Vertretung sichern, neben der, wie ein bürgerlicher Historiker sagt, das heutige preußische Herrenhaus demokratisch genannt werden müsste. Deshalb stand er doch hoch über dem ostelbischen Krautjunkertum, auf das er voll herber Verachtung herabblickte; die Spuren seiner Schandtaten sah er in dem bösen scheuen Wolfsblick, den er in den verwitterten Zügen der ostelbischen Bauern finden wollte.

Ungern genug fügte sich sein steifer Nacken in das Joch des Staatsdienstes, zu dem ihn die Armut seiner Familie zwang. Es ist nicht ganz klar, was ihn nach Preußen führte, während die Traditionen seiner Klasse nach Wien wiesen. Den diplomatischen Dienst hat er immer verschmäht; für dies Lug- und Trugspiel hielt er sich zu gut. Umso glücklicher war der Zufall, der ihn in die Bergwerksverwaltung führte und ihm eine Reise nach England ermöglichte, wo er die Berg- und Hüttenwerke studierte. Darüber hinaus hat ihm das englische Leben das Bild der aristokratisch gegliederten Selbstverwaltung gegeben, das ihm immer als Ideal vorschwebte. Wie er der ästhetischen Bildung der Zeit fern stand, so war er auch kein systematischer Denker, aber er war ein Charakter, der im Bereiche seiner praktischen Wirksamkeit klar und sicher durchzugreifen wusste. Auf der roten Erde mit ihren Resten von Gemeindefreiheit, die von Berlin aus nie ganz hatten verkümmert werden können, fühlte er sich am wohlsten, doch rückte er im Jahre 1804 auf dem Wege der Anciennität zu einer Art Finanzminister im Berliner Generaldirektorium auf.

Der ihm später aber der tätigste Gehilfe werden sollte, Theodor von Schön, machte am entgegengesetzten Ende der Monarchie seine Schule. In Ostpreußen gab es so gut wie gar keine Fabriken, die Provinz lebte wesentlich vom Ackerbau; dünn bevölkert, wie sie war, produzierte sie in guten Jahren einen ansehnlichen Überschuss an Getreide, den sie ebenso wie Korn und Holz aus dem polnischen Hinterlande, mit dem sie durch bequeme Wasserstraßen verbunden war, nach Schweden, Holland und namentlich nach England verfrachtete. Aus England wieder erhielt sie, was sie an Industrie- und Kolonialprodukten brauchte; sie konnte es von dorther leichter und schneller beziehen als aus den übrigen Provinzen des eigenen Staates, mit denen sie nur durch sehr kümmerliche Straßen verknüpft war. Im engsten Zusammenhange mit diesen wirtschaftlichen Beziehungen ging nun eine ungewöhnlich starke geistige Einwirkung von England auf Ostpreußen aus. Da die Beamten dieser Provinz geborene Freihändler waren, im Gegensatze zu dem Berliner Prohibitiv- und Protektionssystem, so wurden sie begeisterte Anhänger von Adam Smith; sie näherten sich dem Liberalismus im modernen Sinne des Wortes, wie denn Schön behauptete, dass Stein im Innersten immer ein Reaktionär geblieben sei.

Bei Hardenberg, Stein, Schön wirkte mehr oder minder der englische Einfluss mit. Unmittelbar drängten dann im Heerwesen die bloßen Gebietsumwälzungen auf Reformen hin. Eine amtliche Denkschrift aus dem Dezember 1803 schildert anschaulich, wie das eine der beiden Beine, auf denen das preußische Heer stand, durch diese Gebietsumwälzungen zertrümmert wurde, nämlich die ausländische Werbung. Es wird darin ausgeführt, dass zunächst das ganze linke Rheinufer, wo sowohl am Ober- wie am Niederrhein und selbst bis an die Maas und Mosel hin die ergiebigsten und vorteilhaftesten Werbeplätze gewesen wären, verlorengegangen sei. Dann sei Ansbach und Bayreuth, von wo sonst die besten und sichersten Ausländer gekommen wären, dem preußischen Staate einverleibt worden; auch sei ganz Polen, „woraus sich die diesseitige Armee so ansehnlich an Ausländern rekrutierte", der preußischen Werbung entrissen worden. Endlich sei diese Werbung völlig durch den Reichsdeputationshauptschluss zugrunde gerichtet worden, „indem nun nicht allein unsere eigenen Entschädigungslande nicht mehr als Ausland zu betrachten und mithin für die Werbung verlorengegangen, sondern auch die sämtlichen Reichsstädte, mit Ausnahme einiger weniger, sowie alle geistlichen Besitzungen, welche fast noch einzig unseren Werbern zum Aufenthalt dienten, mehrenteils großen Reichsfürsten zuteil geworden sind, welche selbst Truppen halten, mithin keine fremden Werbungen in ihren Territoriis gestatten und daher unsere Werber fast überall haben abziehen lassen".

Diese bewegliche Jeremiade zeigt klar genug, aus welchen erhebenden Beweggründen schon vor 1806 die Frage einer preußischen Heeresreform erörtert worden ist, wobei Herabsetzung der Friedensheeresstärke neben Ausbildung eines Überschusses an Mannschaft für den Krieg, Aufhebung der vielen Befreiungen von der Dienstpflicht, Einrichtung einer Nationalmiliz, bessere Besoldung und reichlichere Verpflegung der Mannschaften, Milderung der Strafgesetze, Zulassung von Bürgerlichen in die Offizierslaufbahn und ähnliches mehr erörtert wurde. Am reifsten war eine Denkschrift des Obersten Scharnhorst, die damit begann, dass es im Kriege nicht nur auf die physischen, sondern auch auf die moralischen Kräfte ankomme, also das gerade Gegenteil der friderizianischen Kriegsweisheit verkündete. Scharnhorst empfahl die Einrichtung einer Nationalmiliz, in der jeder Staatsbürger ohne Ausnahme dienen müsse; „sowohl in Frankreich als in England hat erst die Formierung einer Nationalmiliz den militärischen Geist der Nation geweckt und einen Enthusiasmus für die Unabhängigkeit des Vaterlandes erzeugt, der nicht so lebhaft in anderen Ländern sich zeigt". Scharnhorst warnte vor jeder Spielerei mit dem Milizgedanken; „eine kleine unbedeutende Miliz würde eine halbe Maßregel sein und als eine solche mehr schaden als nützen; nur die ganze Macht kann imponieren und zu großen Resultaten führen". Dazu empfahl Scharnhorst die Entfernung der „anerkannt unfähigen Befehlshaber" wenigstens beim Ausmarsch in den Krieg; er zeigte, dass er von den Jakobinern gelernt hatte, indem er riet, bei jeder unglücklichen Affäre einige Befehlshaber zu kassieren und die Verantwortlichkeit in einem Grade zu erhöhen, dass keiner der gewöhnlichen Menschen eine Befehlshaberstelle zu haben wünschte.

Es ist danach wohl kaum nötig, hervorzuheben, dass Scharnhorst kein märkischer oder pommerscher Junker war. Zum Fuchteln und Spießrutenlaufen stellten die ostelbischen Strohköpfe das nötige Material, aber für den Dienst des Generalstabes bedurften sie des Auslandes und mussten dann selbst in den sauren Apfel beißen und „Roturiers" als hohe Offiziere aufnehmen. Die bekanntesten Generalstäbler vor Jena waren der Württemberger Massenbach und der Hannoveraner Scharnhorst. Massenbach war auf der Karlsschule in Stuttgart erzogen worden, wo er nicht viel Kriegskunst und Kriegswissenschaft lernen konnte; begabt mit glücklichen Schwadroniertalenten, blieb er doch immer ein luftiger Phantast, der gleichermaßen für König Friedrich und Bonaparte schwärmte. Von ganz anderem Schlage war Scharnhorst: verschlossen, wortkarg, aber von tiefen Anlagen, die er gründlich ausgebildet hatte. Scharnhorst war ein Bauernsohn und hatte seine Bildung in der Kriegsschule auf dem Wilhelmstein genossen; sein Lehrer war Graf Lippe, ein Waffengefährte des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, der im Siebenjährigen Kriege im westlichen Deutschland die französischen Einfälle abgewehrt hatte. Hier waren die friderizianischen Traditionen schon etwas gedämpft: Generalstabschef des Herzogs Ferdinand war bekanntlich sein bürgerlicher Geheimsekretär Westphalen.

Immer blieb Scharnhorst in seinen Anfängen von den Überlieferungen des Siebenjährigen Krieges beherrscht, trat energisch für die stehenden Heere ein, verteidigte die friderizianische Kriegführung scharf gegen die herabsetzende, aber vielfach sehr berechtigte Kritik, die sie durch Berenhorst und andere erfuhr. Dann aber lernte er in den französischen Revolutionskriegen, in denen er sich als praktischer und tapferer Soldat bewährte, die neue Kriegsweise der Franzosen kennen, und sein bäuerlicher Ursprung half ihm zum allmählichen Verständnis einer Strategie und Taktik, die von Bauern erfunden worden war. So wurde er der erste deutsche Militärschriftsteller. Junkerliche Anmaßungen verleideten ihm den hannoverschen Kriegsdienst, und er trat 1801 als Oberstleutnant ins preußische Heer ein, wo ihm freilich auch der junkerliche Hochmut die Wirksamkeit verschränkte, die ihm gebührt hätte. Nach vier Jahren preußischen Dienstes schrieb er an seinen Sohn, indem er dessen Mut und Patriotismus anerkannte, die bitteren Worte: „Lerne diese Tugenden früh besiegen; sie haben mir von jeher mehr Kummer als irgendein Laster gemacht." Aber er besaß den großen Sinn, der sich immer nur auf die Sache richtet, und eine zähe Kraft des Widerstandes, die sich durch nichts ermatten ließ.

Alle Bemühungen um eine Heeresreform scheiterten nun aber in der Zeit vor Jena, bis auf eine geringfügige Erhöhung der Brotportion, die im Jahre 1799 durchgesetzt wurde. Die alten friderizianischen Kommissstiefel waren für nichts zu haben. Der siebzigjährige Herzog von Braunschweig lobte zwar in seiner höfisch-geschmeidigen Art diesen oder jenen Reformvorschlag, aber endete immer mit dem Ergebnis, dass sie sich für eine königlich-preußische Armee nicht eigneten. Kürzer fasste sich der achtzigjährige Feldmarschall Möllendorff, indem er mit näselndem Kommandotone schnarrte: „Das ist vor mir zu hoch." Oder der fünfzigjährige General Rüchel, der in seiner Art auch an Reformen bastelte, fand schließlich doch, dass die preußische Armee, „trotz alledem, was arrivieret ist", immer noch unverbesserlich die erste Armee der Welt sei, und schwor auf der Potsdamer Wachtparade, dass es in ihr mehrere solcher Generale gebe wie den Herrn Bonaparte.

Allein gerade diesem Gamaschenknopfe, der treffend eine „konzentrierte Säure des Preußentums" genannt worden ist, war es gegeben, den eigentlichen Grund zu entdecken, weshalb jeder Versuch einer Heeresreform vor Jena nicht nur scheiterte, sondern auch scheitern musste. Rüchel pflegte zu sagen: „Die preußische Militärverfassung und Staatswirtschaft ist ein ehrwürdiges Original, rührt man ein Glied an, so erhält die ganze lange Kette einen Schlag." Das war vollständig richtig. Eine Reorganisation des Heeres auf nationaler Basis war schon deshalb unmöglich, weil die Bevölkerung zu zwei Fünfteln aus Polen bestand, denen man keine Waffen geben konnte ohne die Gefahr, dass diese Waffen sofort gegen den Staat selbst gekehrt würden. Es war der Fluch der polnischen Raubzüge, dass sie dem altpreußischen Staate die letzte Möglichkeit einer fortschreitenden Entwicklung nahmen.

Aber freilich nur die letzte Möglichkeit, denn auch sonst wäre jede einzelne Reform unmöglich gewesen, weil jede mit der Gesamtreform unlöslich zusammenhing und die Gesamtreform wieder unlöslich mit der völligen Umwälzung des altpreußischen Kastenstaats. Seine ganze Einschachtelung in Geburtsstände hätte erst aufgelöst werden müssen, ehe ein nationales Heer entstehen konnte. Verlor das Offizierskorps seine adlige Ausschließlichkeit, so fielen auch die Privilegien der Rittergüter. Sollten bürgerliche Elemente in die Mannschaft aufgenommen werden, so mussten die Fuchtel und die Spießruten abgeschafft werden, aber wenn der Offizier seine Rekruten nicht mehr peinigen konnte, wie durfte dann der Junker noch seine Bauern prügeln? Die Abschaffung der Erbuntertänigkeit war die erste Voraussetzung jeder Heeresreform, und deshalb war jede Heeresreform undenkbar und unmöglich.

Eben hier zeigte sich wieder, dass im altpreußischen Staate nicht die Krone herrschte, sondern das Junkertum. Die Könige hatten seit Friedrich Wilhelm I., und wesentlich auch aus militärischen Gründen, an der Erbuntertänigkeit gerüttelt, sie nach und nach auf ihren Domänen aufgehoben, die Bauern von den Fronden befreit, an deren Stelle eine Geldabgabe trat, und sie mit echtem Eigentum ausgestattet. Aber die Junker dachten gar nicht daran, ihre Bauern freizugeben; sie hielten zähe an allen ihren Privilegien fest, von ihrem Standpunkt aus auch mit allem Fug, denn sie fühlten instinktiv, dass ein derber Stoß das ganze innerlich vermorschte Gebäude ihrer Herrlichkeit rettungslos über den Haufen werfen würde.

Es darf endlich nicht übersehen werden, dass die Reformer selbst sich vor derben Stößen gar sehr hüteten. Sie lebten und webten schließlich doch auch in dem altpreußischen Staat und konnten sich seiner entnervenden Atmosphäre nicht entziehen. Hardenberg hat den Baseler Frieden unterhandelt und an allen Sünden der Neutralitätspolitik reichlichen Anteil gehabt; erst im Frühjahr 1806, als der nahende Tod schon hörbar an die Tür pochte, fand er sich halbwegs zurecht. Zur selben Zeit unternahm auch erst Stein seinen grimmigen Vorstoß gegen die elende Kabinettsregierung, womit er dann auch auf halbem Wege stehenblieb, indem er seine Kritik der Haugwitz, Köckeritz und Lombard auf Abraten der Königin dem Könige nicht überreichte, und nicht früher entwarf Scharnhorst die Denkschrift, worin er die Einrichtung einer großen Milizarmee forderte.

Darin heißt es sogar, die Offiziere der preußischen Armee besäßen ein höheres Ehrgefühl als die französischen und seien diesen auch an Bravour überlegen. So ins Blaue hinein tastete selbst noch ein Scharnhorst ein halbes Jahr vor Jena.

Austerlitz

Die Entschädigungslande, die der Reichsdeputationshauptschluss dem altpreußischen Staat in den Schoß warf, waren der letzte scheinbare Erfolg der Neutralitätspolitik seit dem Baseler Frieden; ihre bitteren Früchte begannen nunmehr zu reifen, als französische Truppen im Sommer 1803 das Kurfürstentum Hannover besetzten.

Es geschah als Folge des englisch-französischen Krieges, der wieder ausgebrochen war, nachdem sich der Friede von Amiens als ein unsicherer Waffenstillstand herausgestellt hatte. Eine Schuld daran gab es im Sinne der moralisierenden Geschichtsschreibung weder hüben noch drüben; der Krieg zwischen Frankreich und England war eine historische Notwendigkeit, ein Ringen der ökonomisch entwickeltsten Nationen um den Weltmarkt, so wie ihn der prophetische Blick des deutschen Dichters sah:

Zwo gewaltige Nationen ringen

Um der Welt alleinigen Besitz;

Aller Länder Freiheit zu verschlingen,:

Schwingen sie den Dreizack und den Blitz.

Gold muss ihnen jede Landschaft wägen,

Und wie Brennus in der rohen Zeit,

Legt der Franke seinen ehrnen Degen

In die Waage der Gerechtigkeit.

Seine Handelsflotten streckt der Brite

Gierig wie Polypenarme aus,

Und das Reich der freien Amphitrite

Will er schließen wie sein eignes Haus.

Aber es war der Kampf des Löwen mit dem Haifisch. Die gewaltigen Gegner konnten sich nicht in pressender Umarmung packen, Frankreich nicht Englands Seemacht, England nicht Frankreichs Landmacht niederringen. Die einzige verwundbare Stelle Englands auf dem Kontinent blieb Hannover, das durch Personalunion mit ihm verbunden war. Die Absicht, diese Einfallspforte der englischen Waren auf den Kontinent zu sperren, führte zur Besetzung Hannovers durch französische Truppen. Aber damit war die Neutralität des nördlichen Deutschlands, die im Baseler Frieden verbürgt worden war, aufs schwerste bedroht. Hannover grenzte an die Stammlande des preußischen Staates, umklammerte Bremen und Hamburg, beherrschte die untere Elbe und Weser, reichte bis fast an die Tore Lübecks und die Gestade der Ostsee. Französische Truppen standen jetzt zwei Märsche von Magdeburg, fünf Märsche von Berlin, sieben Märsche von Stettin.

Jedoch in Berlin fehlte der Mut, ernsthaften Einspruch gegen die Zertrümmerung der vielgerühmten Demarkationslinie zu erheben. Der Kabinettsrat Lombard ging mit einem leise protestierenden Schreiben des Königs nach Brüssel, wo sich Bonaparte gerade befand, ließ sich von diesem aber in der lächerlichsten Weise über den Löffel barbieren. Der Bericht, den Lombard nach seiner Rückkehr über die Erfolge seiner Mission an den König erstattete, gehört zu den ergötzlichsten Aktenstücken borussischer Schwachköpfigkeit. „Was ich nicht wiedergeben kann", heißt es darin, „das ist der Ton von Güte und edler Offenheit, womit der Erste Konsul seine Achtung für Ihre Rechte bekannte, um Ew. Majestät das Vertrauen einzuflößen, dessen er so würdig ist." Lombard rühmte „die so edle Einfachheit und so gewinnende Vertraulichkeit" Bonapartes: „Er scheint mir fest entschlossen, die Rechte der Neutralen zu respektieren. Zugleich hat er eine ausgesprochene Achtung vor Ew. Majestät militärischer Macht und, wenn ich mich nicht völlig in meinen Beobachtungen täusche, wird er niemals wagen, um einer ungerechten Sache willen das Gewicht Ihrer Waffen auf sich zu lenken." Bonaparte hatte damals gute Gründe, die Leimruten auszustecken, auf die der preußische Gimpel so blind flatterte; er wollte, nach dem Worte eines französischen Historikers, aus Preußen den Schlagbaum machen, der die Küsten des Festlandes den englischen Waren überhaupt sperren sollte. Er war selbst bereit, Hannover zu räumen, wenn Preußen sich mit ihm gegen England verbünden wollte, aber da hierzu wieder ein Entschluss nötig war, den die preußische Schwäche nicht zu fassen wagte, so blieb es bei der Aussaugung Hannovers durch französische Truppen, bei der Sperre der Elbe und Weser, beim Ruin des preußischen Handels.

Derweil rüstete Bonaparte im Lager von Boulogne ein großes Heer, um nach England überzusetzen und den Todfeind im eigenen Land ins Herz zu treffen. Seine Macht stieg ununterbrochen; im Jahre 1804 ließ er sich zum Kaiser Napoleon ausrufen und vom Papst krönen; so auch setzte er sich die eiserne Krone der Lombardenkönige auf, machte sich zum Könige, seinen Stiefsohn Eugene Beauharnais zum Vizekönige von Italien, verleibte Genua und Parma dem französischen Reich ein. Sein Wille gebot in Holland und der Schweiz; die süddeutschen Fürsten sahen zu ihm als ihrem Protektor auf; indem er Hannover besetzte, brach er eine breite Bresche in das nördliche Deutschland.

So spann denn Pitt an einer dritten Koalition, um den übermächtigen Feind niederzuwerfen. Es gelang ihm, neben einigen kleinen Staaten Österreich und Russland zu gewinnen. In Wien konnte man den Frieden von Luneville sowenig verwinden, wie ehedem den Frieden von Campo Formio, und noch viel weniger das, was auf den Frieden von Luneville gefolgt war: den Verlust der habsburgischen Machtstellung in Deutschland und in Italien. Man empfand schon instinktiv, dass der alte deutsche Kaisertitel jeden Inhalt und Wert verloren habe; nachdem das französische Kaisertum geschaffen worden war, wurde das österreichische Erbkaisertum ausgerufen. Nun wollte man noch einmal das Glück der Waffen versuchen, ehe man die Ansprüche und Erinnerungen der Jahrhunderte begrub.

Aus anderen Gründen entschloss sich der Zar Alexander, der dritten Koalition beizutreten. Bei dem Versuche, mit dem französischen Herrscher die Herrschaft über die Welt zu teilen, war er ganz leer ausgegangen, während die andere Seite überreichlich einheimste. So schlechte Geschäfte hat die russische Raubgier aber nie geliebt; Alexander wollte es jetzt einmal mit dem Gegenpol seiner doppelten Methode versuchen, wollte sich als Befreier Europas von der gallischen Tyrannei aufspielen. Selbstverständlich verheimlichte er seine Eroberungsgelüste in echt zarischer Weise; was er mit besonderer Vorliebe heraushängte, war herzbrechender Kummer über den Tod des Herzogs von Enghien, eines Prinzen aus dem altfranzösischen Königshause, den der Erste Konsul im Badischen hatte aufheben und im Fort von Vincennes erschießen lassen, als Revanche für die royalistischen Attentate, womit sein eignes Leben bedroht wurde. Wer war auch berufener, die Fahne der beleidigten Legitimität zu hissen, als das Haus Romanow, dessen Erbfolge umschichtig durch frechen Ehebruch und heimtückischen Mord reguliert wurde, als der Chef dieses Hauses, eben der Zar Alexander, der die Mörder seines eignen Vaters sorgsam hätschelte und liebkoste, ja ihnen trotz ihrer militärischen Unfähigkeit den Befehl in dem Kampfe für die heiligsten Güter der Menschheit anvertraute!

Im April 1805 war die dritte Koalition fertig. Sie war so reaktionär wie die beiden ersten. Als ihr Ziel verkündete sie: Frankreich auf seine alten Grenzen zurückzuführen, durch die Verteilung der Eroberungen eine starke Grenze gegen Frankreich aufzurichten und sich über ein allgemeines System des öffentlichen Rechts in Europa zu vereinbaren, will sagen, über die Wiederherstellung der feudalen Gesellschaft. Aber so viel hatte die neue Koalition doch von ihren Vorgängerinnen gelernt, dass man den Bären erst erlegen müsse, ehe man sein Fell verteilen könne, und die drei Großmächte trauten es sich nicht zu, selbst mit gemeinsamer Kraft den Erben der Revolution zu überwältigen. Sie wollten, mit Güte oder Gewalt, auch den preußischen Staat im Bunde haben.

So wurde der Berliner Hof von beiden Seiten umworben, und die damaligen Offiziösen verkündeten mit der Großmäuligkeit, die sie ungeschwächt auf ihre heutigen Nachfahren vererbt haben: „Noch nie erhob sich die preußische Politik auf den erhabenen Standpunkt, auf dem sie sich jetzt befindet; Berlin ist in dem gegenwärtigen Augenblicke gleichsam der Brennpunkt der Diplomatie." Trüber sah Stein die Sachlage an, indem er prophezeite: „Wir werden keinen Vorteil ziehen aus der Perfidie unserer Grundsätze, denn die Charakterlosigkeit unseres Benehmens macht uns zum Gegenstand allgemeiner Verachtung und allgemeinen Abscheus." In der Tat war es die allgemeine Verachtung, in der sich nun die Geschicke des altpreußischen Staates erfüllten.

Zunächst gab der Zar Alexander dieser Verachtung einen unverhüllten Ausdruck. Pitt spekulierte auf die preußische Habgier; er wollte Preußens Eintritt in die Koalition durch das Versprechen des linken Rheinufers und im Notfalle Belgiens erkaufen. Das war jedoch dem Zaren zu viel für den preußischen Vasallen; er bot nur eine bedeutende, aber unbestimmte Vergrößerung im Westen und suchte die Anziehungskraft dieses imaginären Zuckerbrotes durch sehr reelles Knallen mit der Peitsche zu ergänzen. Das klang in Berlin um so unlieblicher, als Napoleon nochmals den Besitz Hannovers anbot gegen ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen Frankreich und Preußen. Hardenberg war dafür, aber Haugwitz dagegen, und nach längerem Hin und Her fasste der König den einzigen Entschluss, dessen er überhaupt fähig war, nämlich keinen Entschluss zu fassen und sich auf dem alten Lotterbett der striktesten Neutralität zu wälzen.

Inzwischen hatte Österreich am 8. September den Krieg begonnen, indem es den Inn überschritt und in Bayern einfiel. Dabei zeigte sich sofort wieder die Verlotterung und Zerfahrenheit dieser feudalen Koalitionen; man hatte von Stettin bis Neapel alles mobilmachen und am Rhein erscheinen wollen, ehe Napoleon nur ahnte, welche Gefahr ihm drohe; tatsächlich stand Napoleon mit überlegenen Streitkräften schon in Schwaben, ehe auch nur ein russischer Soldat am Inn erschienen war. Erst am 19. September traf in Berlin ein Kurier aus Wilna ein, mit einem Briefe des Zaren, worin der König zu einer Zusammenkunft aufgefordert und zugleich kurzerhand angekündigt wurde, nunmehr würden 100.000 Mann russischer Truppen durch Südpreußen und Schlesien marschieren, um sich mit dem österreichischen Heere zu vereinigen. Da man sich eben gegen Frankreich zur striktesten Neutralität verpflichtet hatte, so hielten Hardenberg und Haugwitz mit den namhaftesten Generalen eine große Beratung, worin man sich einigte, die Neutralität und Selbständigkeit Preußens mit den Waffen in der Hand zu behaupten. Doch müsse man vor allem Zeit gewinnen, um zu rüsten. Deshalb solle die Zusammenkunft des Königs mit dem Zaren nicht abgelehnt, sollten friedliche Verhandlungen nicht abgeschnitten werden; man wolle vorerst in Wien und Petersburg damit drohen, dass man sich in Frankreichs Arme werfen würde, wenn der Zar sich in gewaltsamen Schritten gefalle.

Demgemäß wurde die Mobilmachung des Heeres angeordnet, aber während sie noch im Gange war, kam die Nachricht, dass Napoleon einen seiner Heerhaufen ohne jede Anfrage in Berlin durch das Ansbachsche Gebiet habe marschieren lassen, um ihn schneller an den Feind zu bringen. Nun warf sich die Stimmung in Berlin völlig herum, zumal da im Lager der Koalition nicht schlecht gehöhnt wurde, wenn Preußen jeden Störer seiner Neutralität mit den Waffen züchtigen wolle, so möge man sich nun an den Rechten wenden. Am 14. Oktober kam denn auch eine preußische Protestnote zustande, worin gesagt war, dass der König aus den Vorgängen in Ansbach „wichtigere Schlüsse über die Absichten des Kaisers hätte folgern können", aber sich darauf beschränke, sich „als frei von allen früheren Verpflichtungen anzusehen". Damit war noch nicht viel, ja umso weniger gesagt, als die preußische Regierung ruhig die 66.000 Gulden annahm, die Napoleon für den in Ansbach angerichteten Schaden anbot.

Allein die Mächte der Koalition beeilten sich, das Eisen zu schmieden, solange es noch heiß war; am 25. Oktober kam der Zar, ein paar Tage später der Erzherzog Anton nach Berlin. Der Zar bot alle seine schauspielerischen Kräfte auf, und es gelang ihm, die geschmeichelte Königin für den Krieg zu enthusiasmieren. Am 3. November wurde der Potsdamer Vertrag geschlossen, worin Preußen die bewaffnete Vermittlung zwischen den kriegführenden Mächten übernahm, auf Grundlage eines Friedens, der namentlich die Unabhängigkeit des Deutschen Reiches, Hollands und der Schweiz sichern und die italienische von der französischen Krone trennen sollte. Nahm Napoleon diese Vermittlung nicht innerhalb vier Wochen an – diese Zeit verlangte der Herzog von Braunschweig, um das Heer schlagfertig zu machen –, so trat Preußen mit 180.000 Mann der Koalition bei, wofür es sich eine Gebietserweiterung ausbedang; der Zar versprach in einem geheimen Artikel des Vertrages, dahin zu wirken, dass England in die Abtretung oder den Tausch Hannovers willige. Bekräftigt wurde das Bündnis durch eine komödiantenhafte Szene, die der Zar zur mitternächtigen Stunde am Sarge des alten Fritz mit dem König und der Königin aufführte.

Es kam jetzt alles darauf an, dass Preußen schnell handelte und das österreichisch-russische Heer die militärische Entscheidung hinzögerte, bis die preußischen Truppen in den Krieg eingreifen konnten. Napoleon hatte im Bunde mit den süddeutschen Fürsten den Krieg mit schweren Schlägen begonnen, durch die Kapitulation von Ulm eine ganze österreichische Armee gefangen genommen, dann Wien erobert. Er stand nun in Mähren einer russisch-österreichischen Heeresmacht gegenüber, die ihm nicht unbedeutend überlegen war. Seine Lage war auch sonst nicht günstig; nicht nur dass Nelson am Tage von Ulm die französische Flotte bei Trafalgar vernichtet hatte, sondern von Italien und Tirol her war ein österreichisches Heer im Anmarsch auf Wien; griffen nun noch die Preußen in den Kampf ein, so geriet Napoleon in eine bedenkliche Klemme.

Aber die beiden Voraussetzungen fehlten, auf denen der Erfolg der Koalition beruhte. Obgleich im Vertrage vom 3. November bestimmt war, dass der preußische Unterhändler unverzüglich seine Reise ins französische Hauptquartier antreten sollte, verließ Haugwitz erst am 14. November die preußische Hauptstadt, nicht allein mit dem Potsdamer Vertrage in der Tasche, sondern auch mit einer geheimen Instruktion des Königs, unter allen Umständen den Frieden zwischen Frankreich und Preußen zu sichern. Haugwitz reiste so langsam, dass er erst am 28. November in Brünn vor Napoleon erschien. In der vierstündigen Unterredung, die sie hatten, sagte er keine Silbe von seinem Auftrage und ließ sich dann nach Wien schicken, um mit Talleyrand zu verhandeln, der ihn mit leeren Höflichkeiten hinhielt. Vier Tage nach seiner Audienz bei Napoleon aber überstürzte der Zar in einem Anfalle törichter Selbstverblendung den Angriff auf das französische Heer, und die österreichisch-russischen Truppen wurden in der Schlacht bei Austerlitz betäubend aufs Haupt geschlagen. Ebenso übereilt schloss zwei Tage später der österreichische Kaiser einen Waffenstillstand, dessen erste Bedingung der Abzug der Russen war. Die dritte Koalition war gesprengt, umso sicherer gesprengt, als inzwischen auch zwischen Österreichern und Russen bitterer Hader entstanden war.

Haugwitz empfing die Botschaft von der Austerlitzer Schlacht mit dem Rufe: „Gottlob, nun sind wir gerettet." Er antichambrierte mit dem großen Bande der Ehrenlegion bei den französischen Würdenträgern, erhielt aber erst wieder am 7. Dezember eine Audienz beim Kaiser. Er schwieg auch jetzt von seinem Auftrage und gratulierte nur zum Siege bei Austerlitz. „Das ist ein Kompliment", antwortete Napoleon trocken, „dessen Adresse das Schicksal geändert hat." Noch aber lagen die Dinge so, dass er eine gewisse Schonung für nötig hielt; nur in seinen Bulletins sprach er schon ziemlich geringschätzig von der preußischen Macht, und im Gespräche äußerte er: „Hätte ich die Schlacht bei Austerlitz verloren, so wäre mir der Präfekt von Berlin durchgegangen: Er wäre dann austro-russisch geworden."

Sobald er die Österreicher so weit kirre hatte, dass er ihnen nur noch die letzte Hoffnung auf preußische Hilfe zu nehmen brauchte, entbot er den Berliner Gesandten wieder zu sich und betäubte ihn mit einem furchtbaren Donnerwetter. Dann diktierte er ihm einen Vertrag in die Feder, worin sich Preußen zu einem Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich verpflichtete. Beide Mächte verbürgten sich ihre beiderseitigen Gebiete und versprachen, die Ratifikation des Vertrages innerhalb dreier Wochen zu vollziehen. Preußen trat die Markgrafschaft Ansbach an Bayern, das rechtsrheinische Cleve und die Festung Wesel an Frankreich ab; dafür sollte es mit Hannover entschädigt werden und mit einem Gebiete von 20.000 Einwohnern, das ihm Bayern abzutreten habe. Am 15. Dezember, demselben Tage, wo die preußischen Heere gegen Napoleon ins Feld rücken sollten, wurde dieser Schönbrunner Vertrag vollzogen.

Mit dem kostbaren Dokumente in der Tasche, reiste Haugwitz nach Berlin zurück. Man empfing ihn hier nicht als Hoch- und Landesverräter, sondern als einen Mann, der das volle Vertrauen seines Königs verdiene, dessen Werkzeug er ja freilich auch nur gewesen war. Im Übrigen wusste man wieder nicht nein noch ja zu sagen, sondern sandte Haugwitz nach Paris, um einige Änderungen des Vertrages zu erlangen; namentlich von den Abtretungen wollte man lieber nichts hören oder sie doch auf die lange Bank schieben. Sonst wiegte man sich in holder Sicherheit und rüstete die Armee ab, als sei nur noch eitel Friede und Freundschaft in der Welt.

Den biederen Haugwitz erwartete aber in Paris ein neues Donnerwetter Napoleons, der nachgerade dahinterkam, dass dies Preußen so dumm wie falsch sei. Er bequemte sich allerdings zu einigen Änderungen des Vertrages, aber nur, wie sie ihm passten und wie sie für den preußischen König ein neuer Schlag ins Gesicht waren; er strich die Entschädigung, die Bayern für Ansbach zahlen sollte, und setzte die Verpflichtung Preußens hinein, die Elb- und Wesermündungen sowie alle seine Seehäfen für die englischen Schiffe zu sperren. Der also verschlechterte Vertrag wurde am 15. Februar abgeschlossen und einige Wochen später in Berlin genehmigt.

Es war der würdige Ausgang einer diplomatisch-militärischen Kampagne, die in der Tat mit ihrer unvergleichlichen Mischung von Dummheit und Falschheit einzig dasteht, auch in der Geschichte der Monarchien.

Der Rheinbund

Mit dem Schönbrunner Vertrage war für Österreich jede Aussicht auf preußische Hilfe erloschen; die Friedensverhandlungen nahmen nun einen raschen Fortgang; am 26. Dezember wurde der Friede zu Preßburg geschlossen.

Österreich verstand sich darin zu einer Reihe von Gebietsabtretungen in Italien und in Deutschland, es waren im Ganzen 1140 Quadratmeilen mit beinahe 800.000 Einwohnern. Venetien, Istrien, Dalmatien fielen an das Königreich Italien, Tirol an Bayern und eine Reihe deutscher Gebiete, die bisher österreichischer Besitz gewesen waren, an Bayern, Württemberg und Baden. Ferner erhielten Bayern und Württemberg die Königskrone; beide sowie der Kurfürst von Baden sollten auf diesen neuen Gebieten, wie in ihren alten Landen, der „vollen Souveränität und aller daraus fließenden Rechte" genießen, ganz so, wie der Kaiser von Österreich und der König von Preußen sich deren in ihren Ländern erfreuten.

Es war der Anfang des Rheinbundes, das Ende des Deutschen Reiches. Napoleon ließ seine Heere im südlichen Deutschland stehen, um jeden Widerspruch Österreichs oder Preußens im Keime zu ersticken. Dann ging er daran, die Reste der Reichsverfassung zu zertrümmern, die der Reichsdeputationshauptschluss noch übriggelassen hatte, die Unzahl der kleinen reichsunmittelbaren Fürsten, Grafen, Herren und Ritter wegzufegen, zugunsten einiger Mittelstaaten, die als Gegner Frankreichs niemals gefährlich, als seine Vasallen aber nützlich werden konnten. Sobald diese neuen Mediatisierungspläne ruchbar wurden, begann abermals die schmähliche Bettelfahrt des deutschen Fürstengesindels nach Paris; wieder floss sein Gold in Strömen, um die Taschen der französischen Minister zu füllen; einer dieser Biedermänner ließ sich von einem bedrohten deutschen Fürsten 200.000 Flaschen Champagner für einen enormen Preis abkaufen, ein anderer eine halbe Million Francs zahlen. Bestechung, Laune oder Zufall retteten manchen der Kleinen und Kleinsten; über ihre Masse aber wurde ein strenges Gericht gehalten. Was im Süden und Westen Deutschlands noch übrig war an winzigen Reichsständen, musste daran glauben; im ganzen wurde ein Gebiet von 550 Geviertmeilen mit fast fünfviertel Million Einwohnern mediatisiert und unter die sechzehn Fürsten verteilt, die sich im Juli 1806 vom Reiche lossagten, alle Reichsgesetze für sich als null und nichtig erklärten und den Rheinbund schlossen, als dessen Protektor sie den französischen Kaiser anerkannten. An ihrer Spitze standen Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt.

Alles in allem war es ein Gebiet von 2400 Geviertmeilen und acht Millionen Einwohnern, das auf diese Weise unter die mittelbare Herrschaft Frankreichs geriet. Die Rheinbundsfürsten verpflichteten sich, im ganzen 63.000 Mann für die französischen Festlandskriege zu stellen; im Innern ihrer Staaten erhielten sie die völlige Souveränität. Sonst ist von der Rheinbundverfassung, die im Kabinett Napoleons ausgearbeitet und den sechzehn deutschen Fürsten auferlegt worden war, ohne dass sie erst groß gefragt wurden, nichts praktisch geworden; ihr Bundestag, der in Frankfurt zusammentreten, aus einem königlichen und einem fürstlichen Kollegium bestehen sollte, hat nie getagt.

Gentz, der spätere Soldschreiber Metternichs, der zur Zeit, wo der Rheinbund gestiftet wurde, sich noch auf den deutschen Patrioten hinaus spielte, verhöhnte grimmig die „Schimpf- und Spottkonstitution, gebildet aus drei köstlichen Bestandteilen, einem Sklavenvolke unter einem doppelten Herrn, Despoten in erster Potenz, selbst Sklaven eines höheren Gebieters, und einem selbstgeschaffenen, alles verschlingenden Oberdespoten". Auch Stein machte – ein Jahr früher schon – viel von sich reden durch einen geharnischten offenen Brief an den Herzog von Nassau, der die beiden Gütchen, auf denen Steins Reichsritterschaft beruhte, gewaltsam mediatisiert hatte. Gentz wie Stein suchten „Deutschlands Unabhängigkeit und Selbständigkeit" nicht in der „Konsolidation der reichsritterschaftlichen Besitzungen mit den sie umgebenden kleinen Territorien", sondern in der Vereinigung dieser kleinen Territorien mit den beiden großen Monarchien, von deren Existenz die Fortdauer des deutschen Namens abhänge, also mit Österreich und Preußen.

Was damit aber für „Deutschlands Unabhängigkeit und Selbständigkeit" erreicht worden wäre, wenn Österreich und Preußen das übrige Deutschland unter sich geteilt hätten, zeigte genugsam die deutsche Geschichte seit dem Siebenjährigen Kriege. So große Schmach an den deutschen Fürsten hängen mag, die den Rheinbund stifteten, so waren sie doch gezwungen, das südwestliche Deutschland halbwegs von dem feudalen Schmutze zu säubern, worin die beiden großen Monarchien erstickten. Niemand wusste besser als Napoleon, was der historische Rechtstitel seiner Eroberungen war; immer, wo er seine siegreichen Adler aufpflanzte, führte er bürgerliche Reformen ein. „Ich habe die Feudalrechte abgeschafft; jedes Individuum kann jetzt wirtschaften, Mühlen, Brennereien, Fischereien errichten und seiner Tätigkeit freien Lauf lassen, unter der einzigen Bedingung, die Gesetze zu beobachten. Der Egoismus und die glückliche Lage einer kleinen Anzahl von Menschen war euerem Ackerbau schädlicher als die Hundstagshitze." So Napoleon in seiner Proklamation an die europäischen Völker, die er als Erbe der bürgerlichen Revolution in diesem Sinne wirklich befreit hat.

So war denn das Heilige Römische Reich Deutscher Nation unselig entschlafen. Am 6. August erklärte Kaiser Franz „das reichsoberhauptliche Amt" für erloschen, nach einem vergeblichen Versuch, den leeren Schein der deutschen Kaiserkrone gegen reelle Vorteile in Paris zu verschachern. Der Versuch aber, ein norddeutsches Kaisertum auf feudaler Grundlage zu errichten, führte nun zur völligen Zertrümmerung des altpreußischen Staates.

1 Kaiser Joseph II. versuchte nach dem Aussterben der bayrischen Wittelsbacher einen Teil Bayerns dem Habsburger Reich einzuverleiben. Um ein Erstarken Habsburgs zu verhindern, rückte Friedrich II. von Preußen in Böhmen ein. Das führte zum Bayrischen Erbfolgekrieg 1778/1779. Der Krieg erschöpfte sich in kleinen Operationen. Die preußischen Truppen mussten sich wegen Verpflegungsschwierigkeiten und zahlreicher Desertionen wieder zurückziehen. Frankreich und Russland vermittelten den Frieden von Teschen (13. Mai 1779), mit dem Österreich das bayrische Innviertel erhielt.

2 Friedrich II. versuchte, die deutschen Fürsten im sogenannten Fürstenbund (1785) gegen die Pläne Josephs II. zu einigen, die österreichischen Niederlande gegen Bayern zu tauschen.

3 Die Schlacht bei Valmy (20. September 1792) war der erste Sieg des revolutionären
Frankreichs über die konterrevolutionäre feudale Koalition.

4 Gemeint ist die von Russland unterstützte, gegen die Konstitution vom 3. Mai 1791 gerichtete Konföderation des preußischen Adels vom 14. Mai 1792. Sie bildete den Anlass zum Einmarsch der russischen Truppen als Auftakt der zweiten Teilung Polens.

5 Gemeint sind die Erzbistümer Mainz, Köln und Trier.

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