Franz Mehring 19140100 Die Anfänge des preußischen Staats

Franz Mehring: Die Anfänge des preußischen Staats

[Die Neue Zeit, 32. Jg. 1913/14, Erster Band, S. 569-576, 614-622, 647-653. Nach Gesammelte Schriften Band 5, S. 219-246]

Der Verlauf des offiziellen Jubeljahres 1913 hat mannigfache Gelegenheit geboten, das historische Wesen des preußischen Staats zu beleuchten und die Köpfe der Arbeiterklasse immun zu machen gegen alle borussischen Geschichtsfälschungen der herrschenden Klassen. Auch sonst ist über alle wichtigen Perioden der preußischen Geschichte manches klare Licht verbreitet worden, bis etwa auf ihre Anfänge, auf die Zeit bis zum Westfälischen Frieden von 1648, von dem ab die sozusagen moderne Geschichte dieses absonderlichen Gemeinwesens mit der Einführung eines stehenden Heeres und ständiger Steuern beginnt.

Nun kann man freilich nicht behaupten, dass die preußische Geschichte bis zum Abschluss des Dreißigjährigen Krieges ein besonders reizvolles Kapitel darstelle. Im Gegenteil: Wie die Geschichte aller deutschen Einzelstaaten, die sich seit der beginnenden Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation entwickelten, ist sie sehr langweilig zu lesen, und wer sie nicht kennt, braucht um diese Lücke seines Wissens nicht zu trauern. Aber solange der preußische Alp auf dem deutschen Volke lastet, hat sie immerhin ihr bescheidenes Interesse, namentlich soweit es sich um die Fäden handelt, die sich von ihr in die Gegenwart hinüber gesponnen haben.

Das hat die offizielle Gelehrsamkeit von ihrem Standpunkt aus sehr wohl begriffen, und der Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Herr Reinhold Koser, veröffentlicht eben – als ersten Band einer Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik – eine „Geschichte der brandenburgischen Politik bis zum Westfälischen Frieden von 1648" (Stuttgart und Berlin 1913, J. G. Cottasche Buchhandlung Nachf.). Herr Koser hat als Biograph des alten Fritz eine leidliche Unbefangenheit gezeigt, und so mochte er wohl der Berufenste sein oder sich für den Berufensten halten, eine patriotische Aufgabe zu lösen, an der sich seine Vorgänger Ranke und Droysen vergeblich abgearbeitet hatten.

Was er selbst als sein Ziel angibt – in dem Satze: „Gerade die brandenburgisch-preußische Geschichte erhärtet in ihren Wandlungen die Bedeutung der Persönlichkeit im historischen Leben, trotz der gegenteiligen Behauptungen einer materialistischen Geschichtsauffassung" –, hat Herr Koser allerdings nicht erreicht. Wir haben uns hier nicht mit dem abgetragenen Irrtum zu befassen, als ob die materialistische Geschichtsauffassung die Bedeutung der Persönlichkeit im historischen Leben verkenne; wann hätte diese Geschichtsauffassung je bestritten, dass ein Lassalle oder ein Marx für die historische Entwicklung unendlich viel mehr bedeuten als sämtliche Hohenzollern, die je gelebt haben? Allein wenn man auch von dieser grundsätzlichen Seite der Sache absieht, so lohnt es sich auch kaum, über den konkreten Fall viele Worte zu verlieren. Hat man die 500 Seiten des Herrn Koser mit allem Eifer durchschmarutzt, so begreift man erst recht nicht, welche Bedeutung das Dutzend hohenzollernscher Kurfürsten für das historische Leben gehabt haben soll; höchstens zwei oder drei von ihnen erreichen das Durchschnittsmaß normaler Menschen, während ihre Mehrzahl sei es nach ihrem Charakter oder sei es nach ihrem Verstand tief darunter bleibt.

In diesem Punkte ist also die Darstellung des Herrn Koser gänzlich verfehlt, allein es liegt uns sehr ferne, aus seinem Scheitern antimonarchisches Kapital zu schlagen. Die Hohenzollern seit 1648 bieten der schärfsten Kritik einen so ausgiebigen und sozusagen unerschöpflichen Stoff, dass man gar kein Verlangen danach zu tragen braucht, ihre hochseligen Vorfahren von vor 1648 ans Licht des Tages zu beschwören. Um so weniger, als sie im Grunde nicht besser und nicht schlechter waren als die deutschen Fürsten des fünfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts überhaupt.

Bei alledem aber enthält die Darstellung des Herrn Koser viel lehrreiches Nebenwerk. Er beherrscht vollkommen das urkundliche Material in all seiner Weitschichtigkeit, und seine Bewunderung der Hohenzollernherrlichkeit geht nicht so weit, um den Tatsachen selbst Gewalt anzutun. Er sieht sie in seiner Weise, aber er färbt sie nicht, geschweige denn, dass er sie fälscht, und so lässt sich aus seinem Werke immerhin ein Bild von den Anfängen des preußischen Staates gewinnen, das an dieser Stelle natürlich nur in einer flüchtigen Skizze nachgezeichnet werden kann.

I

Will man einmal in der patriotischen Sprache reden, die die geschichtliche Entwicklung an die Taten der Fürsten knüpft, so sind nicht die Hohenzollern, sondern die Askanier die Gründer der Mark Brandenburg gewesen. Nachdem das blutige Ringen zwischen Germanen und Slawen fast ein halbes Jahrhundert gewährt hatte, fasste Albrecht der Bär, dem das Land vom Kaiser im Jahre 1123 überwiesen wurde, endlich festen Fuß auf dem von Blut überschwemmten Boden zwischen Elbe und Oder.

Herr Koser ist aber selbst so verständig, den endlichen Erfolg nach so vielen Misserfolgen nicht den besonderen Fähigkeiten jenes Albrecht zuzuschreiben, sondern dem Umstand, dass die – oft gelungene – Eroberung des Schwertes diesmal durch den Nachschub von Ansiedlern gestärkt wurde. „Als die Bevölkerung Deutschlands so gewachsen war, dass die alte Heimat sie nicht mehr bergen und nicht mehr ernähren konnte, da ergoss sich in das Neuland aus allen norddeutschen Gauen dieser breite Strom bäuerlicher Ansiedler, der den germanischen Charakter der Mark Brandenburg für immer so fest entschieden hat, wie es die Einwanderung des Ritters und des Kaufmanns für sich allein nicht vermocht hätte. Als der Strom am mächtigsten floss, in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts askanischer Herrschaft, entstand neben immer neuen deutschen Dörfern auch die Masse der märkischen Städte; als der Strom dünner wurde, da haben auch die Grenzen der Mark sich nicht weiter vorgeschoben." An alledem aber war die landesväterliche Weisheit Albrechts des Bären und seiner Nachfolger offenbar ganz unschuldig.

In anderer Weise schlägt die historische Wahrheitsliebe des Herrn Koser seinem hohenzollernschen Idealismus ein arges Schnippchen, indem er nachweist, dass die Grundzüge der brandenburgischen Politik schon von den Askaniern gelegt worden sind und nicht erst von den Hohenzollern. „Das von ihnen in Anspruch genommene Pommern, die Provinz, die der Vereinigung mit Brandenburg von allen am heftigsten widerstrebt hat, ist ganz erst im Jahre 1815 in den preußischen Staatsverband aufgenommen worden, auch die Lausitzen, die das askanische Haus schon besessen hat, auch Danzig, das sie zweimal erobert und zweimal verloren haben. Denn auch die Richtung auf die See war ihnen schon eigen und ist ein askanisches Erbe. Die politischen Überlieferungen der ersten Dynastie bleiben die Richtschnur für ihre Nachfolger." Nun also! Natürlich haben auch die Askanier keine Politik aus freier Faust getrieben; namentlich ihr unablässiges Drängen an die See war ihnen durch die ökonomischen Lebensbedingungen der Mark Brandenburg vorgeschrieben. Aber sie haben zuerst das Muster der brandenburgischen Politik entworfen, das die Hohenzollern nur nachgeahmt und oft genug nur nachgestümpert haben.

In etwa zweihundert Jahren – von 1123, wo Albrecht der Bär die Mark Brandenburg erhielt, bis 1319, wo das Geschlecht mit dem Markgrafen Waldemar ausstarb – haben die Askanier eine ganz ansehnliche Herrschaft aufgerichtet. Sie errangen die Würde als des Reiches Kämmerer und traten dadurch in die erste Reihe der deutschen Fürsten, der sieben Kurfürsten, denen das Recht der Kaiserwahl zustand; ihr Landbesitz erstreckte sich von der hinterpommerschen Ostseeküste bis in die Lausitz und an die Ufer der Elbe, wo Dresden und Torgau ihnen gehörten. Sie besaßen die Lehnshoheit über Mecklenburg und Pommern und wussten den Dänen die Herrschaft über die Südküsten der Ostsee zu entreißen.

Jedoch war diese äußere Herrlichkeit nur das Spiegelbild eines inneren Verfalles, wie auch Herr Koser anerkennt. Ihrem Wesen nach war die Markgrafschaft erobertes Feindesland unter militärischem Befehl; der Markgraf war die höchste und einzige Obrigkeit, oberster Richter, oberster Kriegsherr, Obereigentümer von Grund und Boden, aber immerhin: Er verwaltete nur ein Amt, das ihm Kaiser und Reich übertragen hatten. Jedoch die Erblichkeit des Amtes hat die unter gleichen Umständen immer wiederkehrende Tendenz, es zu einem nutzbaren Besitz zu machen, eine Tendenz, die sich mit dem Verfall der Reichsverfassung um so stärker auswuchs; „die Summe der markgräflichen Amtsgewalt wurde zu landesherrlichen Attributen der Markgrafen" (Droysen).

Ein ganz ähnlicher Prozess vollzog sich nun auch unter der „Mannschaft", den Rittern, die das Heer bildeten, durch das die Markgrafen das Land erobert hatten und besetzt hielten. An und für sich bildete in einer Militärkolonie, wie die Mark Brandenburg war, die Rücksicht auf den Krieg die Grundlage aller Besitzverhältnisse; alle Grundstücke waren für diesen Zweck pflichtig; es wurde für sie gezinst oder Lehndienst geleistet. Diesen Lehndienst versahen die unfreien Ministerialen, die Kriegsmacht der Markgrafen; ihre Bestimmung war der Kriegsdienst und keineswegs der Ackerbau; das Lehngut sollte die Mannschaft unterhalten, und nur so viele Hufen sollten zinsfrei sein, als zur Erhaltung der lehnmäßigen Ausrüstung nötig wären; im Jahre 1280 wurde festgesetzt, dass der Ritter sechs, der Knappe vier Hufen unter dem Pfluge frei haben solle, aber für jede Hufe darüber Zinsen müsse. Allein auch diese wackeren Kriegsknechte, die Urahnen der heutigen Junker, ursprünglich, wie gesagt, unfreie Leute, wussten aus ihrem Amte einen nutzbaren Besitz zu machen; bereits hundert Jahre später, in dem märkischen Landbuch von 1375, finden sich Rittergüter von 10, 20, 25 Freihufen, die doch nur ein Lehnpferd zu liefern haben; es gibt Rittergüter von mehr als 6 Freihufen, die nur ½, ¼, ⅛ Lehnpferd leisten; drei Ritter in Wilmersdorf bei Berlin haben 10, 8, 3 Freihufen und leisten jeder nur ein Viertelpferd.

Die kriegerische Politik der Askanier begünstigte diese Entwicklung. Sie zwang die Markgrafen, ihre Mannschaft bei immer guter Laune zu erhalten und ihre Zahl möglichst zu steigern, während der unablässige und an Beute reiche Krieg in den Kriegsleuten die Lust am wilden Leben, den Anspruch auf Lohn und Gewinn steigerte. Gegen Geld und Gunst belehnten die Markgrafen ihre Ritter mit dem Hufenzins, den Hand- und Spanndiensten, kurzum mit den Gefällen, die ihnen als Landesherren von den Bauern zustanden; sie bahnten der „Gutsherrlichkeit" den Weg, indem sie aus der dinglichen Pflicht gegen den Landesherrn, die durch die Dorfobrigkeit, den Lehnschulzen, wahrgenommen wurde, eine Art von persönlicher Abhängigkeit gegenüber Personen machten, die nicht zum Dorfe gehörten; sie verkauften den Rittern die höhere und niedere Gerichtsbarkeit über die Dörfer; sie duldeten, dass die Ritter neben den ihnen verkauften Abgaben und Diensten der Bauern noch eine Fülle anderer Abgaben, Dienste und Pflichten einführten; um den Rittern diese Fronden dauernd zu sichern, nahmen die Markgrafen schließlich den Bauern die Freizügigkeit und erklärten sie als „zur Hufe geboren".

Mit dieser finanziellen Zerrüttung der Markgrafschaft ging ihre militärische Zerrüttung Hand in Hand. Vergaßen die Ritter ihr kriegerisches Amt über dessen Ausbeutung für ihre eigennützigen Zwecke, so verfiel auch die gemeine Landwehrpflicht der Bauern. In dem Maße, als obrigkeitliche Rechte in den Dorfschaften an die ritterlichen Dienstmannen verlehnt oder verpfändet wurden, sorgten diese dafür, dass die Arbeitskraft des Landmannes möglichst wenig für allgemeine Zwecke beansprucht wurde. Je mehr sich die Gutsherrlichkeit auf Kosten der Bauernfreiheit steigerte, um so mehr schwand die Kriegstüchtigkeit der bäuerlichen Klasse, und zur Zeit der Raubritterschaft, die gleich nach dem Aussterben der Askanier über die Mark Brandenburg hereinbrach, war die ländliche Bevölkerung entwöhnt, die alte Pflicht des Dreinschlagens, die sie einst gegen die Einfälle der Slawen geübt hatte, gegen die Räubereien der landeingesessenen Edelleute als ein Recht der Notwehr zu beanspruchen; wehrlos ließen die Dorfschaften sich ihr Vieh wegtreiben, ihre Höfe auspochen, ihre Häuser niederbrennen.

Hatten die Askanier verstanden, sich auf Kosten fast aller ihrer Nachbarn auszudehnen, so fielen jetzt alle ihre Nachbarn über die innerlich morsche Markgrafschaft her, als der letzte Askanier ins Grab gesunken war. Die Herrschaft über das Land kam als erledigtes Lehen zur Verfügung des Kaisers, und sie wurde hin und her gerissen in dem Streit der Bayern und der Luxemburger um die Kaiserkrone. Weder die bayerischen noch die luxemburgischen Markgrafen vermochten festen Fuß in dem Lande zu fassen; von allen Seiten her gerupft, wurde der Rest der Mark Brandenburg ein Spielball der Ritter. Im vierzehnten Jahrhundert geriet die Mark in einen entsetzlichen Zustand. Pfandweise kam der größere Teil der Uckermark in pommerschen Besitz; die Mecklenburger brachten in gleicher Weise Stücke der Prignitz an sich; die Altmark zahlte Schutzgeld an die braunschweigischen Herzöge, und die Neumark wurde erst dem König von Polen zum Kauf angeboten und, als dieser nicht genug bot, an den Deutschen Orden verschachert.

Dazu kam das Land in unablässigen Raubfehden von Schlossgesessen und Zaunjunkern gegen die Städte, die Stifter, die Nachbarn, in gleich räuberischen Überfällen der nachbarlichen Mannschaften gegen die Marken, in maßlosen Verwüstungen des platten Landes, in immer wechselnden Hauptmannschaften, die entweder ohnmächtig waren oder habgierig gehandhabt wurden, in einen Zustand vollkommener Auflösung. Neben den Edlen Herren, den Putlitz und Ruppin, standen die Bredow und die Rochow in der Mittelmark, die Alvensleben und Schulenburg in der Altmark, die Wedell jenseits der Oder, die Polenz und die Biberstein in der Lausitz, vor allem aber die Brüder Dietrich und Johann v. Quitzow in der Prignitz. Die Quitzows hatten eine ganze Reihe landesherrlicher Schlösser und fester Plätze, Friesack, Saarmund, Bötzow, Rathenow, Strausberg usw. inne; sie waren so mächtig, dass „niemand von Mannen oder Bürgern wagen durfte, um eines Bedrängten willen ein Pferd zu satteln oder ein Wort zu sprechen, das wider jene gewesen wäre". Dabei waren die Quitzows und ihre Kumpane Straßenräuber und Strauchdiebe der allergemeinsten Art. Rauben und Stehlen, sagt ein Zeitgenosse, „sei damals in der Mark die größte Kunst und das beste Handwerk gewesen", also dass, sagt ein anderer, „je näher jemand den Marken gekommen ist, je fährlicher er gereiset oder gewandert hat". Denn wie die mächtigeren Junker auf eigene Hand, so führten die zahllosen kleineren in allerlei Vereinigungen ihre Fehden, die dann als „Zugriffe", „Überfahrungen", „Nahmen" zu förmlichem Raub, Brand und Mord entarteten.

So war die Mark Brandenburg im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts ein „halbverlorenes Land", als der Luxemburger Sigismund im Jahre 1410 zum römischen König gewählt wurde und gleichzeitig die Herrschaft in der Mark wieder übernahm, die er bis dahin an seinen Vetter Jobst von Mähren verpfändet gehabt hatte. Dieser Jobst war unter allen Blutsaugern des unglücklichen Landes vielleicht der allerschlimmste gewesen. Zu dem gräulichen Verfall im Innern kam nun aber noch eine drängende Gefahr von außen. Die Schlacht bei Tannenberg hatte im Jahre 1410 die Kraft des Deutschen Ordens gebrochen, und das polnische Königtum erhob sich als drohende Macht neben den Luxemburgern, die durch rastlosen Familienzwist innerlich zerrüttet waren. Bis zur Elbe hin hatte die polnische Propaganda freie Bahn, wenn ihr nicht in der Mark Brandenburg wieder ein Damm entgegengeworfen wurde.

Einstweilen sah es damit sehr trübe aus. Als Sigismund die Mannschaft und die Städte der Mark zum 1. Mai 1411 an sein Hoflager in Ungarn entbot, um ihm als dem rechten geborenen Erbherrn des Landes die Huldigung zu leisten, kamen zwar die Boten der Städte, von der Mannschaft aber nur ein Putlitz, der Erbmarschall der Mark Brandenburg. Die Städte erhoben nun vor dem König die beweglichsten Klagen. „Sie lagen ihm an", sagt ein Chronist, „mit demütigen Bitten, dass er persönlich die Mark besuchen und von der Quitzower Beschwerung erlösen wolle, denn dies wäre ihr allerhöchstes und herzlichstes Begehren." „Sie klagten", sagt ein anderer, „dem König der Lande Missstand und Notdurft, und namentlich klagten sie die v. Quitzow an und etliche andere Mannschaften und Landsassen und deren Helfer, die dem Lande überlegen waren mit Schlössern überall, die sie unter sich gebracht hatten und von denen aus sie das Land groß beschädigen, und die mit anderen Herren und Landen umher große Kriege führten; sie baten den König, dass er Rat finden möchte, dass solche Unsteuer, Krieg und Schaden hingelegt und niedergehalten werden möge." Der König erklärte darauf, dass er selbst nicht kommen könne, da er das Reich handhaben müsse, aber er werde ihnen den Burggrafen Friedrich von Nürnberg ins Land senden, damit er ihnen behilflich sei gegen die Landplage der Quitzows. Er vollzog am 8. Juli 1411 in Ofen die Urkunde, die genannten Burggrafen zu einem „vollmächtigen gemeinen Verweser und obristen Hauptmann der Mark" bestellte; ihm wurde alle markgräfliche Gewalt übertragen; nur die Ausübung der Kur behielt sich König Sigismund einstweilen noch vor.

Die Burggrafen von Nürnberg entstammten dem schwäbischen Geschlecht der Hohenzollern. Sie waren kaiserliche Beamte; die Burggrafschaft, die sie innehatten, umfasste für Ihr Gebiet die oberste Rechtsprechung an Kaisers Statt und den militärischen Oberbefehl; ihre territoriale Ausstattung bestand nur in wenigen Dörfern bei Nürnberg. Jedoch hatten die hohenzollernschen Burggrafen ein immerhin ansehnliches Landgebiet zusammengebracht durch glückliche Heiraten und zahlreiche Ankäufe; sie besaßen die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth, zwei geschlossene, durch das große Weichbild der Stadt Nürnberg und das Bamberger Stiftsland voneinander getrennte Landschaften, wie man damals sagte, ob und unter dem Gebirge.

Jedoch ist das Geschlecht, das mehr als jedes andere dazu beitragen sollte, die kaiserliche Gewalt zu zerstören, im Dienste dieser Gewalt emporgekommen. Erst am Hofe der Staufer, dann der Habsburger, weiter der Bayern und endlich der Luxemburger haben sie Ämter und Würden bekleidet und dabei nimmer vergessen, ihr eigenes Schäflein zu scheren. In den gewöhnlich sehr bedenklichen Praktiken des Königs Sigismund – es ist derselbe, der unter Bruch seines kaiserlichen Wortes den Ketzer Hus verbrennen ließ – war der Burggraf Friedrich sein rührigster Helfer; später hat er sich als Feldhauptmann des Kaisers die schönsten Prügel von den Hussiten geholt. Es herrschte auch keineswegs immer holder Friede und süße Eintracht zwischen den beiden wackeren Brüdern; zum Grenzhüter der Mark Brandenburg namentlich gegen Polen gesetzt, begann der neue Markgraf damit, mit dem polnischen König zu mogeln und so den von Treitschke beklagten Erbfehler der Hohenzollern an seinem Teil zu bekunden: nämlich die Undankbarkeit.

Die Übertragung der Mark Brandenburg an den Burggrafen Friedrich erfolgte unter dem Rechte des Rückkaufs. Gegen Zahlung von 100.000 und nach einer späteren Abmachung von 400.000 Goldgulden behielt Sigismund sich vor, die Herrschaft über die Mark wieder an sich zu nehmen, doch ist daraus mit Unrecht gefolgert worden, es habe sich um ein Anlehen des Königs bei dem Burggrafen gehandelt, das durch die Überlassung der Mark gedeckt werden sollte. In so gedeihlichen Umständen befand sich der Burggraf nicht, um solche Darlehen zu gewähren. Nur um die Rechte der luxemburgischen Agnaten zu schonen, machte Sigismund die Sache zu einem Rückkaufsgeschäft, wobei die Rückkaufssumme als Deckung für die Ausgaben gedacht war, die der Burggraf machen musste, um sich in der Mark anzusiedeln und namentlich die landesherrlichen Burgen und Schlösser einzulösen, die den Raubrittern verpfändet waren. Im Wesen der Sache war die provisorische Abmachung von 1411 schon endgültig gemeint, und einige Jahre später, im Jahre 1415, erhielt der Burggraf Friedrich auf dem Reichstag in Konstanz auch die Kur Brandenburg und das Amt des Reichserzkämmerers in aller Feierlichkeit übertragen.

So kamen die Hohenzollern ins Land, zunächst unter heftigem Widerstand der junkerlichen Krippenreiter und Strauchdiebe. Diese weigerten sich bis auf wenige Ausnahmen, die verpfändeten Schlösser und Städte herauszugeben, und der Burggraf konnte sie dazu nicht zwingen. Seine Geldmittel waren schnell aufgezehrt; was er etwa noch eingelöst hatte, musste er alsbald von neuem versetzen, und die alte Raubwirtschaft der Junker dauerte unvermindert fort. Sie wurde dem Burggrafen aber insofern zum Heile, als die Nachbarn der Mark unter dem gräulichen Unfug je länger je mehr litten und dem neuen Markgrafen ihre Hilfe für einen Feldzug gegen die Quitzows zusagten. Mit diesen hielten es nur noch die Herzöge von Pommern-Stettin; mit dem Markgrafen verbündeten sich dagegen der Erzbischof von Magdeburg und der Bischof von Halberstadt, der Kurfürst von Sachsen und ein Herzog von Braunschweig; ihrer überlegenen Macht gelang es im Februar 1414, einige Burgen der Quitzows zu brechen, wonach sich die aufsässigen Junker zur Huldigung an den neuen Markgrafen bequemten.

Damit war freilich noch lange nicht gesagt, dass er nun Herr im Lande war. Dieselben Fürsten, die ihm aus ihrem eigenen Interesse die ritterlichen Straßenräuber hatten bändigen helfen, kehrten sich nunmehr wieder gegen ihn selbst, um ihm das Leben sauer zu machen; der Erzbischof von Magdeburg nahm sogar die landflüchtigen Brüder Dietrich und Johann v. Quitzow in seinen Dienst, um sie auf verheerende Streifzüge in die Mark zu senden. Dabei waren die Quitzows so ziemlich die einzigen von den rebellischen Junkern, die für ihre Untaten überhaupt büßen mussten; alle anderen wurden zu Gnaden angenommen und in ihre Burgen wieder eingesetzt; keinem aus der fränkischen Mannschaft, die dem Markgrafen nach Brandenburg gefolgt war, wagte der angebliche Sieger ein märkisches Lehen anzuvertrauen. Und selbst ein so patriotischer Historiker wie Droysen, der die „unvergleichlichen Erfolge" Friedrichs über die Quitzows preist, muss dennoch hinzufügen: „Mag er gewusst oder nicht gewusst haben, dass hier erst seit einem Jahrhundert aus den Bauern arme Leute geworden, nichts berechtigt zu vermuten, dass er die Stellung der Gutsinhaber für ungerechtfertigt oder verderblich gehalten habe. Aber selbst wenn er dieser Ansicht gewesen wäre, so würde er es von sich gewiesen haben, demgemäß zu verfahren." In der Tat – wann hätte je einer dieser hohenzollernschen Kurfürsten sich der unterdrückten Bauern angenommen? Das lag ganz außerhalb ihres Gedankenkreises.

Gewiss standen sie von Anfang an in einem Klassenkampf mit den Junkern, einem Kampf, der in wechselnden Formen bis auf den heutigen Tag fortdauert. Aber die erste Schlacht, die sie dem Junkertum lieferten, zeigt schon die vorbildlichen Züge aller folgenden. Wie die vielberühmte Reformgesetzgebung nach der Schlacht bei Jena darauf hinauslief, die Herrschaft des Junkertums aus einer lebensunfähigen in eine lebensfähige Form zu retten, so auch der Kampf des ersten Hohenzollern mit den Quitzows. Man darf dies elende Gesindel nicht etwa mit den Sickingen und Hutten vergleichen, die ein Jahrhundert später für die Existenz der reichsritterlichen Klasse fochten und starben; die Quitzows und ihre Spießgesellen waren Diebe und Räuber im nacktesten Sinne des Wortes; sie gehörten nicht vor die Schranken der Politik, sondern der Polizei, und sind schließlich Opfer der polizeilichen Exekution geworden, die die von ihnen geplünderten Nachbarländer gegen sie unternahmen. In solchen Formen musste die Junkerschaft in der Mark Brandenburg über kurz oder lang untergehen, und das Verdienst des ersten Hohenzollern, wenn er anders eins hat, bestand nur darin, den brutalen Straßenraub als eine hinfällige Form der Junkerherrschaft zu beseitigen, aber diese Herrschaft selbst zu sichern durch die gesetzliche Form eines raffinierten Ausbeutungs- und Unterdrückungssystems, das über die bäuerliche Masse der Bevölkerung verhängt wurde.

Übrigens hörten die Straßenräubereien des Adels mit der Niederlage der Quitzows noch nicht einmal auf; sie haben noch reichlich ein Jahrhundert fortgedauert. Nicht zum wenigsten deshalb, weil ihnen der städtische Handel wehrlos preisgegeben war. Dieses Hindernis des adligen Fehderechtes weggeräumt, die aufblühende Macht der Städte gebrochen zu haben, war die geniale Tat des zweiten Hohenzollern, der die Mark Brandenburg herrlichen Zeiten entgegenführte.

II

Wie wir gesehen haben, war es nichts mit der holden patriotischen Mär von dem verheißenden Morgenstern, der mit dem ersten hohenzollernschen Kurfürsten über der unglücklichen Mark Brandenburg aufgegangen sein sollte. Friedrich selbst hat auch nie einen so hochfliegenden Anspruch erhoben. Nachdem er eine schwere Niederlage von den Pommern erlitten hatte und seine äußere Politik ebenso misslungen war wie seine innere, gab er die Geschichte als hoffnungslos auf und zog sich im Jahre 1426 auf seine fränkischen Fürstentümer zurück; in der Mark hat er sich nie wieder sehen lassen, obgleich er noch dreizehn Jahre lebte.

Sein Nachfolger in Brandenburg wurde im Jahre 1440 sein Sohn Friedrich, der dreißig Jahre aushielt, aber sich dann ebenfalls, nach einer schweren Niederlage, die ihm die Pommern beibrachten, missmutig nach Franken zurückzog und die Herrschaft über die Mark seinem Bruder Albrecht überließ. Allein eine sehr nachhaltige Spur seines Wirkens hat dieser zweite Friedrich der Mark hinterlassen: in der Vernichtung des städtischen Handels. Die märkischen Städte hatten ihrerzeit seinen Vater in dessen Kampf gegen die Quitzows nach Kräften unterstützt, um nun an den junkerlichen Hass verraten zu werden. Die Blüte der märkischen Städte war nach allem Wirrsal der letzten Jahrhunderte bescheiden genug; immerhin waren die ansehnlicheren von ihnen, die Schwesterstädte Berlin-Kölln, Stendal, Salzwedel, Frankfurt, Landsberg und andere, im vierzehnten Jahrhundert Mitglieder der Hansa geworden. Ihr Handel im Ausland genoss den hansischen Schutz und die der Hansa zustehenden Vorrechte; dafür standen sie mit den Verbündeten in gemeinsamer Verteidigung zusammen, gewährten an ihrem Teil den Kaufleuten aus den Seestädten beim Durchzug durch die Mark bewaffnetes Geleit und haben einmal zum Kampfe gegen die Seeräuber der Ostsee, die berüchtigten Vitalienbrüder, acht Schiffe mit 750 Gewappneten gestellt.

Wie der „Berliner Unwille" im Jahre 1448 – gerade vierhundert Jahre ehe die Berliner zum andern und einstweilen letzten Male den Hohenzollern ihren „Unwillen" bekundeten – im Einzelnen entstand, lässt sich bei dem Mangel an urkundlichen Zeugnissen nicht mehr feststellen. Sicher ist nur, dass der Kurfürst seinen Schlag von langer Hand vorbereitet hat. Schon als er im November 1440 nach seinem Regierungsantritt die Huldigung der Schwesterstädte Berlin-Kölln entgegennahm, bestätigte er nicht zuvor, nach dem herkömmlichen Brauche, die Rechte der Städte, sondern ließ sich zunächst huldigen, um dann erst die einfache Versicherung – „mit schlichten Worten" – folgen zu lassen, dass er die Städte bei Ehren, Rechten und Gnaden erhalten, getreulich schützen und verteidigen wolle nach seinem Vermögen. „Aber er sagte das nicht" – bemerkt das Berliner Stadtbuch – „an Eides Statt zu den Heiligen, was vielleicht versäumt worden."

Es wurde auch anderes und Wichtigeres „versäumt". Nachbarlicher Hader zwischen Berlin und Kölln und in beiden Städten harte Spannungen zwischen Geschlechtern und Zünften gaben schon im Jahre 1442 den Anstoß, den Kurfürsten als Schiedsrichter anzurufen. Der Anstoß ging von den Zünften aus; sie waren verblendet genug, den Bock zum Gärtner zu setzen. In die Städte gerufen, beeilte sich der Kurfürst zu kommen; er beseitigte die Herrschaft der Geschlechter und gab den Zünften das Heft in die Hand, aber nur als einer kurfürstlichen Behörde, die „unserer Stadt Berlin Geschäfte nach unserer Herrschaft Nutzen und Frommen auszurichten habe". Er trennte die beiden Städte und ließ sich ihre Privilegienbriefe geben, von denen er die Siegel abriss. Er verbot jedes Bündnis mit anderen Städten, auch nur mit den märkischen, und bedang sich den Platz für den Bau einer Zwingburg aus, zu deren Besatzung er eine starke Burgmannschaft in die Stadt legte und mit Burglehen ausstattete.

Darüber gingen denn den Zünften nicht weniger als den Geschlechtern die Augen auf, und es kam zu dem Ausbruch von 1448, über dessen näheren Verlauf wieder wenig bekannt ist. Der Kurfürst klagte die Städte an, dass sie ihn beschimpft, seinen Zöllnern Gewalt angetan, seine Richter vertrieben oder gefangen genommen, in gleicher Weise seinen Burgmannen mitgespielt, innerhalb und außerhalb des Landes Hilfe gesucht, den Städtebund wieder aufgerichtet und endlich seine Archive erbrochen hätten, nebst einigen weniger wichtigen Punkten. Im Allgemeinen haben diese Anklagen wohl mit den Tatsachen übereingestimmt. Namentlich scheint Berlin auch auf die Hilfe der Hansa gerechnet zu haben. Auf den Hansatagen von Lüneburg und Lübeck im Jahre 1443, also nachdem der Kurfürst schon Berlin vergewaltigt und ihm die Beteiligung an der Hansa verboten hatte, verpflichteten sich die Mitglieder des Bundes zum gegenseitigen Beistand gegen die Fürsten und bekräftigten die Mitgliedschaft der brandenburgischen Städte, indem sie die mittelmärkischen der lübeckischen und die altmärkischen der hamburgischen Vorortschaft unterstellten. Auch auf dem Hansatag von 1447 waren die märkischen Städte trotz des landesherrlichen Verbots vertreten und erhielten nochmals den Schutz des Bundes zugesichert. Aber als die Berliner das Jahr darauf ihren Aufstandsversuch wagten, hat die Hansa zu ihrer Unterstützung keinen Finger gerührt.

Auch von den märkischen Städten hatte Berlin nichts zu erwarten. Die Antworten auf seine Hilferufe sind zum Teil erhalten. Neuruppin schrieb: „Wir wollen uns mit Hilfe und Rat beteiligen. Doch alles, wie es sich gehöret. Seiet Gott selig befohlen!" Und noch drastischer antwortete Neustadt-Eberswalde: „Kurfürst Friedrich ist bei uns gewesen und hat uns das Versprechen abgenötigt, ihm gegen euch beizustehen. Wir können euch also nicht helfen." Es war ganz ähnlich wie vierhundert Jahre später, als die Berliner Vereinbarerversammlung1 ihre Hilferufe ins Land sandte und von überallher aus den preußischen Städten die Antwort kam: Redensarten soviel ihr irgend verlangt, aber beileibe nicht die kleinste Tat.

Von der eigentlichen Eroberung der Stadt durch den Kurfürsten melden die gleichzeitigen Urkunden nichts. Ein späterer Chronist weiß nur, dass der Kurfürst mit 600 Pferden vor die Städte gerückt sei, was großen Schrecken erregt und die sofortige Öffnung der Tore erzwungen habe. Auch das würde an die bequeme Art erinnern, mit der im Herbst 1848 das Militär in Berlin einzog. Ausführlicher sind wir über die Strafen unterrichtet, die über die rebellischen Städte verhängt wurden. Natürlich wurde auch damals schon das Recht entweiht, um die nackte Gewalt zu beschönigen. Der Kurfürst setzte einen außerordentlichen Gerichtshof nieder und gab ihm als Richtschnur seiner rechtsprechenden Tätigkeit das famose Wort: „Auch über uns soll Recht ergehen wie über den Geringsten in der Mark." Lieblicheres an augenverdrehender Heuchelei ist auch später nicht geleistet worden bis auf den heutigen Tag.

Das gerichtliche Verfahren verlief in zwei nebeneinandergehenden Prozessen, die das gemeinsame Ziel hatten, die Städte Berlin und Kölln weißzubluten. Der erste Prozess richtete sich gegen die Städte als solche und endete damit, dass ihnen die Gerichte, Mühlen, Zölle und fast ihr ganzer Landbesitz genommen wurden. Der Kurfürst übergab diese Nutzungen seinem Küchenmeister Ulrich Zeuschel als Lehen, der dafür die Kosten der Küche, des Kellers, der Kammer und des Marstalls, das heißt die Kosten des gesamten kurfürstlichen Hofhaushaltes, zu tragen hatte.

Der zweite Prozess richtete sich gegen die „Häupter" des Aufstandes, in Wahrheit gegen die patrizischen Geschlechter, die etwas zu verlieren hatten. Sie verloren ihre Lehen, selbst die Leibgedinge ihrer Frauen, und behielten nur ihr „fahrendes Gut", von dem sie aber auch noch ungeheure – für die damalige Zeit ungeheure – Strafgelder zahlen mussten. In den Tagen vom 12. September bis zum 14. Oktober erschienen die Patrizier der Schwesterstädte Mann für Mann „in dem kleinen Stüblein über dem Tornaus zu Spandau" und haben, wie es in den Protokollen heißt, „ir liep und alle ir gut in mynes gnedigen Heren Hand gesetzet und gegeben". An barem Gelde allein zahlten die Schum, die Blankenfelde, die Brakow, die Ryke je 3000, die Stroband, die Wins je 2000 rheinische Gulden und so weiter herab nach dem Besitz der einzelnen Familien bis auf je 1000 oder 700 Gulden. Der rheinische Gulden hatte damals den Wert von 2 Talern und belief sich nach dem heutigen Geldwert auf mindestens 20 Mark; es ist danach leicht zu ersehen, dass die „wohltätige Zucht des Staatsgedankens", in die der Kurfürst die beiden Städte nahm, nichts anderes als eine vollständige Vermögenskonfiskation war. Eine so vollständige, dass nach der Annahme mancher bürgerlichen Historiker die Strafgelder in ihrem vollen Betrag gar nicht von den Bestraften gezahlt werden konnten und auch nicht gezahlt worden sind, da der Kurfürst sonst – nach den damaligen Begriffen – ein wahrer Krösus hätte werden müssen, wovon sonst nichts verlautet.

Zum Schaden fügte der Kurfürst dann den Spott, indem er seinen Hofrichter zum Bürgermeister und seine reisigen Knechte zu Ratmannen machte. So tief gedemütigt und ausgepumpt bis auf den letzten Blutstropfen, haben sich die märkischen Städte von diesem vernichtenden Schlage jahrhundertelang nicht erholt. Kulturfeindlich und selbstmörderisch, wie diese Hohenzollernpolitik war, ist sie doch vorbildlich gewesen und geblieben. Die rebellischen Junker, die den „Nürnberger Tand" nicht genug hatten verhöhnen können, wurden nach einer gelinden Abstrafung mit Sammethandschuhen gestreichelt und mächtiger gemacht denn je zuvor; die Städte dagegen wurden für das vorzeitige Vertrauen, das sie in ihren „geborenen Erbherrn" gesetzt hatten, bis aufs nackte Hemd geplündert, was denn freilich auch ihre eigene Schuld war.

Die sorgsame Hegung der Junker und die brutale Misshandlung der Städte waren die Morgengabe, die die hohenzollernschen Kurfürsten der Mark Brandenburg brachten. Es erklärt sich deshalb von selbst, dass sich das Elend des Landes eher vermehrte als verminderte. Der dritte Kurfürst, Albrecht, der seinem Bruder Friedrich 1470 in die Herrschaft über die Mark folgte – bis dahin hatte er in den fränkischen Besitztümern des Hauses Hohenzollern geherrscht –, war ein ebenso arger, wenn auch kein ebenso erfolgreicher Städtefeind wie sein Bruder Friedrich; namentlich in Franken hat er sich immer wieder mit Nürnberg herumgebalgt, aber dabei wiederholt – so namentlich in dem auch kriegsgeschichtlich denkwürdigen Treffen bei Pillenreuth – die trefflichsten und gewiss auch verdientesten Schläge bekommen. Um die Mark Brandenburg kümmerte er sich nur so weit, als er Geld aus ihr herauszupressen vermochte oder versuchte; in den sechzehn Jahren seiner Regierung (1470-1486) hatte er kaum zwei- oder dreimal ihren Boden betreten. Er hatte seinen Sohn Johann als Statthalter eingesetzt, und es ist höchst ergötzlich zu lesen, wie der Alte den Jungen mit Strafpredigten heimsucht, damit er möglichst viel aus dem Lande presse und möglichst wenig für sich gebrauche; er soll mit tausend Gulden jährlich auskommen und dazu noch die Witwe und die Tochter des früheren Kurfürsten Friedrich unterhalten; er kann nicht heiraten, da es ihm an Bettgewand und Laken fehlt, auch sein „Silbergeschirr" sich auf zwölf Löffel beschränkt. In solcher Not rebelliert denn auch mitunter das sanfte Gemüt des Jungen, und er haucht den Alten nicht schlecht an: „Wenn Euer Lieb Landbede und Geld ausziehen und zu haben wüßt, so war Euer Lieb wol geschickt hereinzukommen und solches aufzunehmen; aber die Land zu entsetzen und ihnen in Nöten, darzu Ihr sie bracht habt, zu helfen, könntet Ihr sie wol verlassen und außen bleiben." Was zwar sehr unkindlich gesprochen war, aber sonst mit den Tatsachen vollkommen übereinstimmte.

Kurfürst Albrecht war einer jener fürstlichen Schlagetote, deren Leben in Morden und Rauben, in Plündern und Verheeren aufgeht – als sein Leibspruch wurde ihm nachgesagt, der Brand ziere den Krieg wie das Magnifikat die Vesper –, aber deren Andenken von den bürgerlichen Geschichtschreibern als „heroisch" und „ritterlich" besonders gefeiert zu werden pflegt. Achilles ist der Beiname, den sie ihm gegeben haben, und in der sogenannten Dispositio Achillea2 hat er die einzige Spur seines Daseins hinterlassen, die zwar nicht der Menschheit, aber dem Hause Hohenzollern von Nutzen gewesen ist. Er war im Besitze sowohl der märkischen wie der fränkischen Lande, die den Hohenzollern gehörten, und er bestimmte durch das genannte Hausgesetz, dass die Mark Brandenburg immer dem ältesten Sohne ungeteilt zufallen, der zweite und der dritte Sohn mit den fränkischen Fürstentümern abgefunden, vom vierten Sohne ab jedoch die Nachkommenschaft des regierenden Fürsten leer an Land und Leuten ausgehen sollte. Diese Dispositio Achillea war kein besonders genialer Gedanke, wie er nur – nach der Meinung der Hohenzollernbewunderer – einem gottbegnadeten Geschlecht kommen konnte; vielmehr bezeugte er nur die Gelehrigkeit eines Hundes, bei dem der Knüppel liegt. Wäre die Mark Brandenburg geteilt worden – was übrigens für jedes Kurfürstentum schon durch die Goldene Bulle3 Karls IV. verboten worden, aber freilich ein papierenes Verbot geblieben war –, so wäre sie überhaupt vom Erdboden verschwunden: Die Altmark wäre sofort vom Erzbistum Magdeburg, die Uckermark von den Pommern, die Neumark von den Polen verschluckt worden. Auch haben die späteren Kurfürsten oft genug gegen den Stachel der Dispositio Achillea gelöckt. Aber immerhin hat sie dazu beigetragen, jenes „Mutschierungssystem" – die Ausschüttung einer fürstlichen Erbmasse unter alle privatrechtlich berufenen Erben –, das anderen deutschen Dynastien, namentlich der wettinischen, verhängnisvoll gewesen ist, von den Hohenzollern fernzuhalten.

Herr Koser meint, mit dem Tode Albrechts habe das „erste heroische Zeitalter der Hohenzollern" geschlossen, und er setzt in Gegensatz dazu die lange Friedenszeit, die von 1486 an begonnen habe. Was es mit dem „Heroismus" der drei ersten Kurfürsten auf sich hat, haben wir gesehen; mit ihnen schließt kein Heldenzeitalter, sondern vielmehr die Periode, wo sich die Hohenzollern ihres burggräflichen Ursprunges noch nicht vergessen hatten und sich lieber in den Händeln von Kaiser und Reich tummelten, als in landesväterlicher Fürsorge um die Mark Brandenburg kümmerten. Was dabei für dies „halbverlorene Land" herauskam, bezeugt am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts einer der brandenburgischen Räte selbst mit den Worten: „Brandenburg hat, als ich glaube, seit achtzig Jahren nicht kleiner Gerücht im Reiche gehabt." Kurfürst Johann hat von 1486 bis 1499 denn auch sein betrübtes Dasein im stillen geführt und nichts erreicht, als dass er die Lehnsherrlichkeit über Pommern aufgab, um die seit drei Jahrhunderten die blutigsten Kämpfe geführt worden waren. Erst mit der Wende des Jahrhunderts nahmen die Dinge eine neue Wendung, gewiss keine „heroische" und auch keine für das Land wohltätige, aber für das Haus Hohenzollern hoffnungsreiche Wendung.

Der Kurfürst Joachim I. kam im Jahre 1499 als fünfzehnjähriger Knabe zur Regierung. Er wusste sich die Vormundschaft seines fränkischen Oheims geschickt vom Halse zu schaffen, allerdings nur um den Preis, dass er sich „einige aus dem Lande" als Berater bei seinen Regierungsgeschäften gefallen ließ. Allzu arg drückte ihn aber auch diese Vormundschaft nicht, da er den märkischen Junkern an Bildung und Wissen weit überlegen war. Er hatte seine Erziehung in Franken genossen und einige Fühlung mit der humanistischen Bildung der Zeit; in seiner Jugend zog er den Abt Tritheim an seinen Hof, und später war Carion, ein Schwiegersohn Melanchthons, sein Günstling. Der Kurfürst sprach Lateinisch, Französisch und Italienisch; er meinte, ein ungebildeter Fürst gleiche einem gekrönten Esel.

Von Tritheim haben wir eine Schilderung der Zustände, wie sie im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in der Mark Brandenburg bestanden. Das Land sei arm an Bauern; durch Mangel an fleißigen Arbeitern seien weite Strecken unbebaut; die ländliche Bevölkerung sei arm und faul, aber äußerst bigott; die Junker glichen entweder Bauern oder Landsknechten; Trinken und Müßiggang sei ihre Beschäftigung. Überzeugender noch als diese Schilderung des pfälzischen Humanisten ist ein Zeugnis, das sich etwa fünfzig märkische Junker, „unser viele vom armen unverständigen Adel", noch in der Mitte des Jahrhunderts, im Jahre 1542, in einer Eingabe an die Landschaft selbst ausstellten. Sie sagen da: „Wi bitten uns, tö vorgewen, dat wy so marcks (märkisch) schriwen, wy woldet garn averlandes (oberländisch) schriwen und konnes (können's) nicht." Der Kurfürst selbst klagte, er müsse sich seine Berater außer Landes holen; die märkischen Junker seien unfähig, zu regieren.

Dennoch ist es nur eine patriotische Mär, dass Joachim den Junkern den Daumen aufs Auge gedrückt haben soll. Er hat einige adlige Wegelagerer aufknüpfen lassen, natürlich zum Kummer ihrer Klasse, die deshalb jedoch nicht daran dachte, dem Kurfürsten ernsthafte Fehde anzusagen. Dass die Junker ihm an die Tür geschrieben haben: „Joachimken, Joachimken, hüte dy, wo wi dy kriegen, hangen wy dy", ist auch nur ein Erzählchen, gut genug, von den Kopsch und Mugdan ausgepatscht zu werden, wenn sie sich gegenüber den Heydebrand und Oldenburg als die wahren Triarier Seiner Majestät aufspielen möchten. Herr Koser trifft das Richtige, wenn er sagt: „Der Kampf galt nicht dem Adel als dem Stande, sondern nur den wirtschaftlich heruntergekommenen, beim Straßenraub angelangten Bestandteilen des Adels." Von diesem Gesindel befreit zu werden, war viel mehr ein Vorteil als ein Schaden für das märkische Junkertum.*

Es ging ähnlich wie unter dem ersten Kurfürsten. Ein paar armselige Krippenreiter mussten daran glauben, aber der Adel als Klasse gewann unter Joachim die eigenartige Stellung, die, wie Droysen sich ausdrückt, für die nächsten Jahrhunderte seinen ständischen Charakter ausmachte. Die adligen Gutsherrschaften entwickelten sich immer mehr zu kleinen Staaten im Staat; es gelang ihnen immer besser, ihren Gutsbereich gegen die landesherrliche Einmischung abzuschließen, wie die Fürsten ihre Landschaften gegen die Reichsgewalt abschlossen.

Und wie dem ersten Kurfürsten in der Behandlung der Junker, so folgte Joachim dem zweiten Kurfürsten in der Behandlung der Städte. Die Polizeiordnung, die er für sie erließ, war ganz in dem Geiste gehalten, worin der „Berliner Unwille" von 1448 gebrochen worden war. Die Wahlen zum Rat bedurften der Bestätigung durch den Kurfürsten; der Rat galt einfach als landesherrliche Behörde, der die Gemeinde unbedingten Gehorsam schuldete. So verfielen die Städte immer mehr, während die Junker immer üppiger gediehen. So verfiel auch das Kammergericht, das Joachim als oberstes Landesgericht der Mark einsetzte; so verkümmerte die Universität, die er in Frankfurt a. d. O. gründete. Trotz seiner humanistischen Bildung spielt dieser Kurfürst als Vertreter des modernen Absolutismus eine durchaus kümmerliche Rolle.

Dagegen hat er zuerst die Bahn eingeschlagen, auf der sich der Staat der Hohenzollern zu einer Großmacht entwickelt hat; Joachim ist in gewissem Sinne ein Vorläufer des sogenannten Großen Kurfürsten und des sogenannten Großen Königs gewesen; was diese konsequent betrieben, um ihr Haus zu erhöhen: den Verrat von Kaiser und Reich an das Ausland und in erster Reihe an Frankreich, das hat Joachim zuerst versucht, mit einer Betriebsamkeit und einem Eifer, die ihn persönlich von jeder Schuld daran entlasten, wenn er zunächst noch nicht an das ersehnte Ziel gelangte.

Seine Vorgänger hatten ihren Ursprung als Reichsbeamte immer noch nicht ganz vergessen; sie hielten zum Kaiser, womit natürlich nicht ausgeschlossen war, dass sie sich gelegentlich auch mit diesem in die Haare gerieten, wie der erste Kurfürst mit seinem Wohltäter, dem Kaiser Sigismund. Namentlich auch der Vater Joachims, wenn er auch damit begann, sich auf die Mark zu beschränken, hielt doch zu den habsburgischen Kaisern ihrer Zeit. Dies änderte sich unter Joachim, wobei verschiedene Umstände mitspielten. Zunächst wollte Joachim seinen Bruder Albrecht als Mitregenten der Mark Brandenburg loswerden. Er bestimmte ihn für den geistlichen Stand, und es gelang ihm, für den jungen Menschen erst das Bistum Halberstadt und das Erzbistum Magdeburg, dann gar noch das Erzbistum Mainz zu ergattern, ihn zum ersten Kirchenfürsten Deutschlands zu machen, dem der Papst nun auch noch den Kardinalspurpur gewährte.

Die Geschichte war sehr kostspielig, und sie wurde nach der Methode des Pferdehandels zwischen den Bevollmächtigten des Kurfürsten und des Papstes abgespielt. Der Papst beanspruchte für die Bestätigung Albrechts als Mainzer Erzbischof – außer den 20.000 Dukaten, die ihm nach kanonischem Recht ohnehin zustanden – noch eine besondere „Komposition", das heißt einen Kaufschilling von 10.000 Dukaten. Er forderte zuerst sogar 12.000, da, wie sein Unterhändler scherzte, der Apostel zwölfe seien und nicht bloß zehn, worauf ihn der Unterhändler des Kurfürsten nicht weniger witzig abtrumpfte, dann wolle man sich lieber an die Zahl der Todsünden halten, deren ja nur sieben seien. Für diese „Komposition" und die sonstigen Kosten durfte sich Albrecht an der Hälfte der Erträge des Ablasses erholen, die ihm der Papst auf acht Jahre für den ganzen Umfang der magdeburgischen und mainzischen Kirchenprovinz anwies: die andere Hälfte sollte der römischen Kurie für den Bau der Peterskirche zufließen. Bekanntlich war es dies schmutzige Geschäft, das den äußeren Anstoß zu Luthers Auftreten gegen den Ablassschacher gab. Joachim war seitdem der erbittertste Gegner Luthers, ein viel heftigerer Gegner sogar als sein Bruder Albrecht, der auf zwei Achseln trug und den Vorschlag Luthers, ein Weib zu nehmen und seine reichen Bistümer als weltliche Güter in die Tasche zu stecken, mitunter in sinnendem Gemüt erwogen hat.

Bei diesem Handel war Joachim schon auf den Widerstand des Kaisers gestoßen, der Halberstadt, Magdeburg und Mainz gern für einen habsburgischen Prinzen geschluckt hätte. Viel wichtiger aber war noch der Umstand, dass sich im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts das Haus Habsburg zu einer Weltmacht aufschwang, die nur noch an der französischen Krone einen ebenbürtigen Nebenbuhler hatte. War Brandenburg bisher an Ausdehnung und Machtgeltung den deutschen Stammlanden des Hauses Österreich noch etwa ebenbürtig, so geriet es jetzt ganz ins Hintertreffen, als die Habsburger ihre burgundischen, italienischen, spanischen Besitzungen gewannen und als ihnen die Kronen Böhmens und Ungarns samt Schlesien zufielen, die lange im Osten ein Gegengewicht gegen die habsburgische Macht gebildet hatten. Herr Koser meint über die nunmehrige Abwendung des Kurfürsten Joachim von den Habsburgern: „Man hat den Eindruck, dass Joachim das gewaltige Wachstum der bisher dem Hause Hohenzollern nicht wesentlich überlegenen österreichischen Macht, dessen Zeuge er während seiner Regierung wurde, mit dem unbehaglichen Gefühl des immer mehr in Rückstand kommenden, vom Glück vernachlässigten Mitbewerbers betrachtete." Aber dieser biedere Hohenzoller war nicht der Mann, sich widerstandslos melancholisch-sentimentalen Betrachtungen über das Pech seines erlauchten Geschlechtes hinzugeben; mit seinem rührigen Geschäftssinn sagte er sich, dass er sich teuer an den französischen König verkaufen könne in der an sich ja freilich bescheidenen Rolle eines Pfahles im Fleische des Hauses Habsburg.

Den Gipfel erreichte Joachims französische Politik bei der Kaiserwahl von 1519, wo sich der Habsburger Karl mit dem französischen König um die Krone stritt. Joachim erwies sich unter den sieben Kurfürsten als der hartnäckigste Vorkämpfer des französischen Kandidaten. Freilich eine feile Seele bis ins innerste Mark, hatte er auch mit dem Habsburger gefeilscht, schon um den Preis bei dem Franzosen in die Höhe zu treiben. Als zähester Schacherer machte er den französischen Unterhändlern das Leben ebenso sauer wie den burgundischen Unterhändlern Karls. Jene warfen ihm das „Laster des Geizes" vor, diese nannten ihn den „Vater aller Habgier". „Er ist ein Teufel, wenn man mit ihm Geschäfte machen soll", schrieb ein französischer Gesandter. Herr Koser bemerkt dazu: „Diese Welschen betrachteten es wohl als ungehörig, dass ein deutscher Fürst in der Verhandlung sich von denselben Antrieben und Zwecken bestimmen, dieselben Künste und Ränke spielen ließ, die ihr eigenes politisches Lebenselement waren." Kürzer und schlagender als der gegenwärtige Direktor des preußischen Staatsarchivs hat schon der alte Fritz diesen Gedanken in dem geflügelten Worte zusammengefasst: Wenn gegaunert werden soll, so seien wir Hauptgauner!

Trotz allen Schacherns mit den habsburgischen Unterhändlern war Joachim aber mit heller Begeisterung auf französischer Seite. Von allen Kurfürsten hat er am längsten gegen die Wahl des Habsburgers gewühlt. Sie erfolgte schließlich einstimmig, dank dem Heere des Schwäbischen Bundes, das in der Stärke von 20 000 Mann unter dem Befehl Sickingens vor den Toren Frankfurts stand; der französische König hatte versäumt, gleich durchschlagende Gründe auf die Beine zu bringen. „Der Kurfürst von Brandenburg hatte erst im letzten Augenblick nachgegeben. Es war stadtkundig, dass er sich sträubte; nach außerhalb wurde gemeldet, das Volk in Frankfurt habe gedroht, den Markgrafen in Stücke zu reißen." Er selbst bestätigte diese Meldung, indem er in ohnmächtiger Wut über seine Niederlage am Abend des Wahltags durch einen Notar vor zwei Zeugen eine Urkunde aufsetzen ließ, worin er sagte, „dass ich diese Wahl aus rechter Furcht tue und nicht aus rechtem Wissen"4.

Vielleicht war dies seltsame Schriftstück aber nicht nur ein Erzeugnis ohnmächtiger Wut – Anwandlungen von Gefühl beirrten diesen hartgesottenen Geschäftsmann wohl kaum jemals –, sondern es sollte ein Zeugnis sein, womit er sich vor dem französischen Könige rechtfertigen wollte. Allein der sagte trocken: Keine Krone, kein Geld, und wies den brandenburgischen Gesandten ab, der den verheißenen Preis der kurfürstlichen Dienste einheimsen sollte: für den Kurfürsten selbst ein beträchtliches Jahrgeld und für den Kurprinzen die Hand einer französischen Prinzessin mit reicher Mitgift.

Nun wandte sich Joachim an den neugewählten Kaiser Karl mit dem Angebot, gegen ein Jahrgeld in dessen Dienste zu treten. Jedoch hier erntete er nicht nur stille Verachtung, sondern offenen Hohn. Der Kaiser ließ ihm antworten, wenn der Markgraf dem König von Frankreich sein Dienstgeld aufschreibe, so könne von der Sache weiter gehandelt werden; geschehe dies nicht, so werde sich der Kaiser gegen ihn dermaßen bezeigen, dass der Markgraf befinden werde, der Kaiser sei sein Herr.

Mit diesem derben Fußtritt endete der erste Anlauf, mit Hilfe des Erbfeindes das Haus Hohenzollern zu erhöhen; es sollte noch reichlich ein Jahrhundert vergehen, bis der Versuch mit glücklicherem Erfolg erneuert werden konnte.

III

Im Widerspruch mit dem hohenzollernschen Hausgesetz teilte Joachim die Mark Brandenburg in seinem Testament zwischen seinen beiden Söhnen, nachdem er sich von ihnen an seinem Sterbebett – er starb im Jahre 1535 – „bei fürstlichen Würden, Ehren und Treuen an eines rechten geschworenen Eides Statt" hatte versprechen lassen, katholisch zu bleiben. Eben darauf scheint er auch mit der Teilung des Landes abgezielt zu haben, die an und für sich natürlich das Ansehen und die Macht des Hauses Hohenzollern nicht unwesentlich schwächte; er mochte darauf rechnen, dass die Eifersucht zwischen seinen Nachfolgern jeden von beiden hindern würde, die Bestimmungen des väterlichen Testaments zu übertreten.

Diese Rechnung, wenn er sie anders angestellt haben sollte, hat ihn freilich schmählich betrogen. Er hatte kaum die Augen geschlossen, als der jüngere Sohn Johann, den nach dem Wort eines Zeitgenossen „unersättlicher Hunger und Durst nach geistlichem Gute" verzehrte, sofort protestantisch wurde; seine Gier wurde nicht wenig dadurch angestachelt, dass er die ungleich kleinere Hälfte des Landes, im wesentlichen nur die Neumark, erhalten hatte. Er wusste aber sein schmäleres Erbe gründlich auszuschöpfen und gehörte zu den größten Kapitalisten der Zeit, dank den vorteilhaften Geldgeschäften, die er mit seinem eigenen Bruder, mit zwei Kaisern und vielen anderen Fürsten, mit polnischen Woiwoden und „ganz insgeheim", weil das nicht als standesgemäß galt, auch mit einzelnen Kaufleuten machte. Dabei war er ein strenger Lutheraner, dessen Briefe von Bekenntnissen, Gelübden und Predigten überströmten, was ihn übrigens nicht hinderte, in dem Schmalkaldischen Kriege mit dem katholischen Kaiser gegen seine protestantischen Glaubensgenossen zu fechten.

Von anderem Schlage war der ältere Bruder Joachim, der die Kurwürde und den größten Teil der Mark geerbt hatte. Er war vermutlich der ärgste Wüstling und Verschwender seiner Zeit; auch ihn dürstete nach den Schätzen der Kirche, aber nicht um mit ihnen zu wuchern, sondern um die Schulden zu decken, die sein Lasterleben immer wieder aufsummte. Aber er hatte aus den Schicksalen seines Vaters gelernt und hütete sich, mit dem Kaiser anzubinden. Die Aufgabe, die er sich demgemäß stellte, lief darauf hinaus, die Kirchengüter zu rauben, ohne doch mit der katholischen Kirche zu brechen. So nahm Joachim aus den Händen eines lutherischen Geistlichen das Abendmahl in beiderlei Gestalt, was als die äußere Form des Übertritts zum protestantischen Glauben galt, jedoch nur heimlich wie ein Dieb in der Nacht, so dass heute noch nicht festzustellen ist, wo dies nach Ansicht der preußischen Geschichtschreiber „epochemachende" Ereignis sich eigentlich vollzogen hat. Die einen behaupten: im Berliner Dom, die anderen: in der Spandauer Nikolaikirche, vor deren Tür dem „Bekenner" ein Denkmal gesetzt worden ist.

Danach sandte dieser zweite Joachim einerseits eine „Visitationskommission" durch das Land, die den Befehl hatte, der Geistlichkeit das bare Geld, die Schuldbriefe, die Gold- und Silberschätze, die geistlichen Lehen, den kirchlichen Grundbesitz, die unbeweglichen Klostergüter abzunehmen und an die kurfürstlichen Amtsleute abzuliefern, andererseits aber erließ er die neue märkische Kirchenordnung, wonach es bei der bischöflichen Gewalt, der geistlichen Rechtsprechung, den kirchlichen Prozessionen, der letzten Ölung, den lateinischen Gesängen und sonstigen „papistischen Zeremonien" sein Bewenden haben sollte. Für diesen Hokuspokus gewann Joachim sowohl die Zustimmung Luthers wie des Kaisers, der sich freilich vorbehielt, sich sein Zugeständnis reichlich bezahlen zu lassen, und bei seinen katholischen Restaurationsversuchen in der Tat auch den getreuesten Helfershelfer an diesem protestantischen Glaubenshelden fand. Wie sein Bruder Johann kämpfte Joachim in dem Schmalkaldischen Kriege gegen die protestantischen Fürsten.

Außer der unmittelbaren Plünderung der märkischen Kirchengüter und Kirchenschätze, die unter anderem den Umfang der kurfürstlichen Domänen fast verdoppelte, brachte das Spiel, das dieser Hohenzoller mit dem „reinen Worte Gottes" trieb, ihm noch andere Vorteile ein, namentlich die Anwartschaft auf mehrfachen Landzuwachs. Zunächst auf das Erzbistum Magdeburg, das seit dem Kardinal Albrecht fast ununterbrochen von nachgeborenen Hohenzollern besetzt wurde und sozusagen durch Gewohnheitsrecht hohenzollernscher Besitz wurde, in heftiger Nebenbuhlerschaft mit den kursächsischen Wettinern, denen ihr ehrlicheres Bekenntnis zum evangelischen Glauben um so hinderlicher war, sich auf katholischen Bischofsstühlen niederzulassen. Hintereinander brachte der zweite Joachim zwei seiner Söhne und dann seinen Enkel an die Spitze des Magdeburger Erzstiftes.

Noch bedeutender war die Anwartschaft, die er auf das Herzogtum Preußen, die gegenwärtige Provinz Ostpreußen, zu gewinnen wusste. Dieser ehemalige Bundesstaat war durch den Hochmeister Albrecht, einen fränkischen Hohenzoller, säkularisiert worden; Luther selbst hatte ihm den Rat erteilt, die „alberne und sinnlose" Ordensregel abzutun und den Ordensstaat in ein weltliches Fürstentum zu verwandeln. Allerdings war auch dieser hohenzollernsche Erfolg nicht ohne Verrat an Kaiser und Reich zu erzielen gewesen; der neue Herzog von Preußen sicherte sich seine Stellung nur dadurch, dass er die polnische Lehnsherrlichkeit anerkannte. Auf ebendiesem Wege, durch die Gunst des katholischen Königs von Polen, dessen Schwester seine Gemahlin war, sicherte sich Joachim die Mitbelehnung über das Herzogtum Preußen. Dagegen scheiterte er mit dem Plane, die polnische Krone für einen seiner Söhne zu ergattern. Seine religiöse Zweideutigkeit kam ihm auch hier zustatten; wie er gegen den polnischen König den Katholiken herausgekehrt hatte, um die Mitbelehnung für das Herzogtum Preußen zu erhalten, so kehrte er bei seinen Umtrieben für die Wahl seines Sohnes zum polnischen König den Protestanten hervor, wobei er auf die große protestantische Partei in Polen zählte, deren Anhänger damals die meisten der weltlichen Kronämter an sich gebracht hatten. Allein der saubere Plan scheiterte daran, dass Joachim selbst den polnischen Woiwoden ein gar zu großer Liederjan war; der neugebackene Herzog von Preußen gab dem Berliner Vetter in einem Briefe offenherzig diesen Grund des Misslingens an.

Auch in der inneren Politik wurde Joachims Liederlichkeit ihm zum Verhängnis. Er häufte immer neue Schulden an und musste immer von neuem zu ihrer Tilgung die Hilfe der Landstände anrufen. Man darf anerkennen, dass die märkischen Junker sich nicht scheuten, ihrem gnädigen Landesherrn heimzuleuchten. Sie hielten ihm namentlich vor, dass er sich auf Jagden herumtreibe, statt die Regierungsgeschäfte pünktlich zu erledigen. „Se. Kurfürstliche Gnaden wolle doch nicht stets im Holze liegen und der Jagd gewarten, dieweil Seine Kurfürstliche Gnaden ja wol zur Lust und Küchen Wildpret genug bekommen kann." Diese Sprache klingt heute etwas märchenhaft; eher hört man schon bekannte Klänge, wenn der Kurfürst antwortete, die Beschwerde über seine Tagedieberei rühre nur „von etlichen Meutemachern und zänkischen Leuten" her.

Inzwischen würde man die märkischen Junker doch gänzlich verkennen, wenn man annehmen wollte, sie hätten sich mit moralischen Vorlesungen begnügt oder mit diesen selbst nur eine bessernde Wirkung auf den Lebenswandel des Kurfürsten erhofft. Vielmehr waren sie ihnen nur das Mittel, ihre Hilfe im Preise zu steigern. Trotz allen moralischen Gezeters halfen sie dem ruchlosen Verschwender immer wieder aus seinen Geldverlegenheiten: durch neue Steuern, die sie den Bauern und den Städten auferlegten, aber deren Erhebung und Verwaltung sie, um den „Strick in der Hand" zu haben, sich selbst vorbehielten. Sie sicherten sich auch das Recht ihrer Mitwirkung bei allen Angelegenheiten, die „der Lande Gedeih und Verderb" angingen, so namentlich beim Abschluss von Bündnissen oder bei Kriegserklärungen; ganz besonders aber bauten sie das gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis aus.

Herr Koser schreibt darüber: „Die Landschaft bewilligte nach langen Debatten schließlich immer von neuem rettende Geldhilfen und ließ sich ihre Freigebigkeit reichlich bezahlen. Joachim II. hat in seinen Reversen der kurmärkischen Ritterschaft für die Ausbildung ihrer Gutsherrlichkeit über die Bauern so viel bewilligt, dass seinen Nachfolgern nichts mehr hinzuzufügen blieb." Das ist ganz richtig, aber ein wenig allgemein ausgedrückt. Herrn Kosers Vorläufer, der alte Droysen, schilderte vor sechzig Jahren, als es noch keine Arbeiterfrage gab, den Zusammenhang etwas ausführlicher. Die Junker sicherten sich nicht nur das Jagdrecht und das kirchliche Patronat auf ihren Gütern, was eher noch gegen den Landesherrn als gegen die Bauern gerichtet war; sie erhielten auch die Erlaubnis, „nach ihrer Gelegenheit etliche Bauern auszukaufen"; es wird ihnen gestattet: „Wenn sie ihre Güter mit Acker- oder Wiesenordnung ohne merklichen und großen Abbruch und Schaden der Bauernhütung und anderer Gerechtigkeit bessern können, so soll ihnen das ungewehrt sein."

Mit anderen Worten: Die Junker haben freie Hand, ihr Gutsfeld auf Kosten der – für den Viehstand der Bauern – unentbehrlichen Bruch- und Waldhütungen zu vergrößern. Sodann erhielten die kurfürstlichen Hauptleute den Befehl, „Bauern, die sich den Junkern zu dienen weigern, anzuweisen, dass sie ihnen wöchentlich zwei Tage mit Wagen, Pflügen und Handarbeit, und in der Ernte, sooft man ihrer bedarf, dienen, ihnen auch zu ihren Gebäuden mit Fuhren und Handdiensten helfen sollen". So hatte der Adel seinen Preis; man war, wie Droysen ganz richtig sagt, auf dem furchtbaren Wege der Fronden, der ungemessenen Dienste, wenn auch das von den Junkern ersehnte Wort der Leibeigenschaft noch nicht zur Anwendung kam; in der Sache machte es keinen wesentlichen Unterschied. Der Adel hatte jetzt alle die Vorrechte, die er tatsächlich gewonnen hatte, als politisches Recht zugesprochen erhalten; er hatte die Städte vollständig überholt; die Städte und die Bauern trugen die Schuldenlast des Landes, woran der Adel nur insofern teilnahm, als er seine Bauern und deren Eigentum als Teilstücke seines Eigentums betrachtete. Die Bauern, das will sagen die Massen der damaligen Bevölkerung, waren nur noch mittelbar, durch das Mittel ihrer Gutsherrschaft, Untertanen des Landesherrn.

Der letzte Stein wurde in diesen scheußlichen Bau gefügt, als Joachim II. im Jahre 1571 gestorben und die von ihm hinterlassene Finanzverwüstung aus der Welt zu schaffen war. Gleichzeitig mit ihm starb sein Bruder ohne männliche Erben, so dass die Neumark jetzt wieder an die Kurmark fiel. Die Mark Brandenburg wurde wieder ein einheitliches Herrschaftsgebiet, aber ihre unumschränkten Herrscher waren nunmehr die Junker, nach deren Pfeife zu tanzen die bescheidene Aufgabe der hohenzollernschen Kurfürsten wurde. Bis zum Jahre 1640 folgten ihrer vier aufeinander, von denen es allzu schmeichelhaft wäre zu sagen, dass der Nachfolger immer unbedeutender gewesen sei als der Vorgänger: Sie waren alle gleich unbedeutend. Ihre wesentliche Beschäftigung bestand darin, durch pfiffig ausgeklügelte Heiraten Land und Leute zu erschleichen, gemäß jener dynastischen Familienpolitik, die in den jungen Tagen des modernen Absolutismus wucherte; ist doch selbst der mächtige Kaiser Karl V. nicht weniger als zehnmal verlobt gewesen, ehe er wirklich heiratete, und jede dieser Verlobungen hatte ihren politischen Zweck. Mit den heiligen Banden der Ehe ging es dabei kurios her; Säuglinge wurden schon in der Wiege verkuppelt, Kinder von zehn Jahren waren manchmal schon verschiedentlich verlobt und entlobt gewesen; ein junger Mann, der kaum ins heiratsfähige Alter getreten war, heiratete eine Greisin, die schon mit einem Fuße im Grabe stand, und umgekehrt.

Auf diese Weise kamen die Hohenzollern unter anderem zur Anwartschaft auf das rheinische Herzogtum Jülich-Kleve-Berg. Ein märkischer Kurprinz verlobte sich mit der ältesten Erbtochter dieses reichen Gebiets, obgleich sie erst vierzehn Jahre zählte, „nicht untadelhaft an Wuchs" und, wie ihre eigene Mutter dem Bewerber offenherzig erklärte, „keine der Schönsten" war. Die Heirat wurde vollzogen, aber um das Geschäft ganz niet- und nagelfest zu machen, heiratete der Kurfürst selbst nach dem Tode seiner Gemahlin die jüngste Erbtochter des Hauses Jülich-Kleve-Berg, also die jüngere Schwester seiner eigenen Schwiegertochter. Er wurde der Schwager seines Sohnes, aber trotz dieses doppelten Knotens entstand ein wüstes Geraufe um die Erbschaft, da noch ein paar Erbtöchter da waren, die von anderen Fürsten erschachert waren.

Auch in anderer Beziehung erwies sich die dynastische Familienpolitik auf Sand gebaut. Denn am letzten Ende waren diese Heiraten doch nur eine absonderliche Form von Verträgen, von denen der alte Fritz zu sagen pflegte, dass sie ohne Waffen nicht mehr bedeuteten als Noten ohne Instrument. Und mit der brandenburgischen Waffenrüstung sah es von der Mitte des sechzehnten bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts sehr übel aus. Die allmächtigen Junker verweigerten den Kurfürsten Geld wie Mannschaft: jenes, weil sie die Erträge der von ihnen verwalteten Steuern lieber in die eigene Tasche steckten, diese, weil sie den Bauern nicht die Mittel geben wollten, sich aus ihrer Dienstbarkeit zu befreien. Waren die Kurfürsten wirklich einmal einigermaßen bei Kasse, so konnten sie vielleicht eine Reitertruppe aufstellen, weil sich immer junge Edelleute fanden, die gern aufsaßen – natürlich gegen gute Bezahlung –, um sich einige Monate herumzutummeln, aber schon der zweite Joachim hatte beklagt, dass es schwer sei, in der Mark gutes Fußvolk aufzutreiben, und das Fußvolk wurde immer mehr die entscheidende Waffe des Krieges.

So schwebten die Anwartschaften des Hauses Hohenzollern mehr oder weniger in der Luft, als sie vor [dem] und im Dreißigjährigen Kriege fällig wurden, als im Jahre 1609 der letzte einheimische Herzog von Jülich-Kleve-Berg starb, im Jahre 1618 die preußische Linie des Hauses Hohenzollern erlosch und im Jahre 1637 die Herzöge von Pommern ausstarben, deren Erben nach alten Verträgen die hohenzollernschen Kurfürsten waren. Der rheinische Besitz wurde von anderen Tochtermännern des letzten Herzogs heftig bestritten und war weder rechtlich noch tatsächlich gesichert; in Ostpreußen war die Nachfolge nur möglich unter der drückenden Oberherrschaft des polnischen Königs und der nicht minder demütigenden Mitherrschaft der Stände; endlich Pommern war im Besitz der Schweden, die nicht daran dachten, das brandenburgische Erbfolgerecht anzuerkennen, das Land vielmehr für sich selbst beanspruchten und mit ihren siegreichen Waffen behaupteten.

Hilflos trieb der Hohenzollernstaat in den wilden Stürmen des Dreißigjährigen Krieges. Man versuchte es erst mit der Neutralität, aber nur mit dem Erfolg, dass man den Krieg überall im Lande hatte, ohne irgendwo am Kriege beteiligt zu sein. In Ostpreußen wie in Pommern lagen die Schweden; in den rheinischen Besitzungen hausten teils die Holländer, teils die Spanier, in der Altmark die Truppen Wallensteins und Tillys, die Prignitz und Uckermark suchten dänische Streifkorps heim, und die Neumark brandschatzte im Winter von 1626 auf 1627 selbst ein Schwarm auf eigene Faust kriegführender Kosaken. Dann versuchte man sich an das Haus Habsburg anzuschließen, um sich wieder für neutral zu erklären, als Gustav Adolf in Pommern landete, der für solche faden Scherze schlechterdings kein Verständnis hatte und die Gesandten des damaligen Kurfürsten, seines Schwagers, mit den derben Worten abfertigte, sie sollten nicht „italienisch", sondern ehrliches Deutsch reden. Hier streite Gott und der Teufel; wolle Seine Liebden es mit Gott halten, so solle er sich für die Schweden erklären; erkläre er sich für den Teufel, so würde er ihn bei den Ohren kriegen, dass die Haare dabei herumfliegen sollten. Es ist beiläufig anzuerkennen, dass Herr Koser von dem „Glaubenshelden" Gustav Adolf nichts mehr weiß und die Politik des schwedischen Königs im Wesentlichen treffend darstellt als eine Politik, die nach damaliger Staatsräson vom schwedischen Standpunkt aus berechtigt sein mochte, aber den deutschen Interessen gegenüber die Politik eines feindlichen Eroberers war.

Halb mit Gewalt gezwungen, segelte die brandenburgische Politik dann einige Jahre in der schwedischen Gefolgschaft, worauf sie sich wieder dem Kaiser zuwandte oder neue Versuche der Neutralität machte. Es hat heute nicht das geringste Interesse mehr, dieses kopflose Hin und Her zu verfolgen, zumal da es nichts an dem wirklichen Stande der Dinge änderte, der jahrzehntelangen Ausplünderung der wehrlosen Mark Brandenburg durch Freund und Feind. Nach zwanzigjähriger Dauer des Krieges, im Jahre 1640, war der Hohenzollernstaat ein „halbverlorenes Land", mindestens in demselben Maße und Umfang wie zwei Jahrhunderte früher, als die Hohenzollern ins Land kamen.

In dem genannten Jahre gelangte der Kurfürst Friedrich Wilhelm zur Regierung, ein junger Mann noch von zwanzig Jahren, der nahezu fünfzig Jahre regiert hat und von der patriotischen Geschichtsschreibung nicht nur mit dem Namen des Großen geehrt, sondern auch als der eigentliche Schöpfer des brandenburgisch-preußischen Staates gefeiert wird. Unzweifelhaft war er seinen Vorgängern an Energie und Verstand überlegen, was freilich nicht viel sagen wollte; was ihm jedoch im Interesse seines Hauses größere Erfolge verschafft hat, war jener gänzliche Mangel an deutscher Gesinnung, den er mit seinem Vorfahren Joachim I. und mit seinem Nachfolger Friedrich II. teilte. In den ersten Jahren seiner Regierung versuchte er, sich mit [den] Schweden anzubiedern, denen er sich als Gemahl ihrer Königin Christine empfahl; als er damit nach langen Bemühungen bei den schwedischen Staatsmännern abblitzte, verkaufte er sich an Frankreich oder, wie Herr Koser die Tatsache höflicher ausdrückt, überzeugte er sich frühzeitig von der Unerlässlichkeit einer politischen Verbindung mit Frankreich.

Die Franzosen hatten jetzt hellere Augen als vor hundert Jahren. Dazu mochte beitragen, dass ihnen der hohenzollernsche Kurfürst nicht nur als Sturmbock gegen ihren Gegner, den habsburgischen Kaiser, sondern auch gegen die Schweden, ihre eigenen Verbündeten, dienen konnte, die sie auf deutschem Boden nicht allzu üppig werden lassen wollten. In diesem doppelten Sinne empfahl Graf d'Avaux, der französische Bevollmächtigte auf dem westfälischen Friedenskongress, die Fürsorge für die brandenburgischen Interessen dem Kardinal Mazarin, dem damaligen Leiter der französischen Politik. Natürlich wusste der Kurfürst sehr gut, dass die französischen Staatsmänner ihn nicht um seiner schönen Augen willen in ihr Herz schlossen, sondern dass diese Zärtlichkeit „im Grunde nur ein Hebel der französischen Eroberungspolitik" war, wie Herr Koser treffend sagt.

Bei solchem gegenseitigen Verständnis machte sich das Geschäft ziemlich leicht, wenn auch, da der Kurfürst gleich seinem Ahnen Joachim ein zäher Schacherer war, nicht ohne einige Weitläufigkeiten. Bei allem Argwohn gegen ihre schwedischen Bundesgenossen war den Franzosen der habsburgische Kaiser doch noch verhasster, und sie gingen gleich aufs Ganze, indem sie dem Kurfürsten sichern wollten, was sie erst hundert Jahre später dem großen König Friedrich gesichert haben: nämlich Schlesien. Diese österreichische Provinz sollte eine Entschädigung dafür sein, dass der Kurfürst seine Erbansprüche auf Pommern zugunsten der Schweden einschränkte, die auf Vorpommern nebst Stettin und den Odermündungen schlechterdings nicht verzichten wollten, von hier auch nicht wohl vertrieben werden konnten. Aber ebenso wenig wollten die Österreicher auf Schlesien verzichten, und auch ihr Widerstand war einstweilen nicht zu brechen. So setzten die Franzosen denn wenigstens durch, dass der Kurfürst für Vorpommern durch die Bistümer Magdeburg, Halberstadt und Minden entschädigt wurde, ein noch immer sehr vorteilhafter Tausch.

In dieser Weise bewirkte die wohlwollende Patronage der französischen Politik, dass der brandenburgisch-preußische Staat, so kläglich er sich in den Gefahren des Dreißigjährigen Krieges gehalten hatte, aus diesem Kriege als der größte deutsche Einzelstaat hervorging und dem Hause Habsburg nun ein sehr unbequemer Nachbar zu werden begann. Es ist wahr, dass der Kurfürst Friedrich Wilhelm gelegentlich auch seinen französischen Gönnern den hohenzollernschen Erbfehler der Undankbarkeit bewiesen hat, und es ist auch wahr, dass der Kurfürst von Ludwig XIV. gelegentlich einen derben Fußtritt erhielt, wie hundert Jahre später sein glorreicher Nachfolger Friedrich sogar von der Marquise Pompadour. Aber das waren nur die Zänkereien zwischen Liebenden, und die schönen Seelen fanden sich schließlich doch immer. Wie der Große Kurfürst mit der französischen Lakaienschaft begann, so endete er auch mit ihr; am Schlusse seiner Regierung waren seine Familie, sein Hof, seine Regierung von französischem Gold verseucht, wofür sich der Kurfürst dadurch revanchierte, dass er dem französischen Gesandten einen mit Diamanten besetzten Ehrendegen überreichte, als Ludwig XIV. im Jahre 1681 die deutsche Stadt Straßburg überrumpelt hatte.

Die „rettende Tat", wie Herr Koser das Überlaufen des Kurfürsten ins französische Lager nennt, hatte natürlich auch auf die innere Politik des brandenburgisch-preußischen Staats ihre Nachwirkungen. Er musste militärisch gerüstet sein, wenn er der französischen Eroberungspolitik dienstbar werden sollte, und die Junker waren jetzt willig, die Mittel für ein Söldnerheer zu bewilligen, da die fremden Kriegsvölker im Dreißigjährigen Kriege sie ebenso unbarmherzig gezaust hatten, wie sie die Bauern und die Städte zausten. So kam der Landtagsabschied von 1653 zustande, der den Junkern noch einmal ihre Gutsherrlichkeit feierlich verbriefte, wofür sie gnädigst gestatteten, dass den Bauern und den Städten stehende Steuern auferlegt wurden, um Söldner zu werben und zu unterhalten. Des kleinen Items nicht zu vergessen, dass sie sich die vollkommene Herrschaft über das neue Heer sicherten, die sie, wie eben jetzt wieder Zabern5 zeigt, bis auf diesen Tag glorreich behauptet haben.

So viel über die Anfänge des preußischen Staats, deren Kenntnis, so trostlos sie an sich sein mögen, immerhin manches Licht auf die Zustände der Gegenwart wirft.

1 Gemeint ist die preußische Nationalversammlung, die am 22. Mai 1848, nach dem Sieg der Revolution in Berlin am 18. März 1848, vom preußischen König einberufen wurde, um die Verfassung auszuarbeiten. Nach dem Einmarsch der Truppen Wrangels in Berlin am 10. November wurden ihre Sitzungen geschlossen, und am 5. Dezember 1848 wurde sie schließlich vom König aufgelöst.

2 Gemeint ist das Hausgesetz des Hohenzollern Albrecht Achilles von 1473, das die fränkischen Fürstentümer der Hohenzollern vom Kurfürstentum Brandenburg zwar für die Erbfolge trennte, aber gleichzeitig die Unteilbarkeit aller Landesteile – auch der noch zu erwerbenden – verfügte.

3 Gemeint ist das von Kaiser Karl IV. 1356 auf den Reichstagen zu Nürnberg und Metz erlassene Reichsgesetz, das besonders den sieben Kurfürsten das ausschließliche Recht bestätigte, den Kaiser zu wählen („küren").

Bulle: ursprünglich die Kapsel für das mit einer Schnur an einer Urkunde befestigte Siegel, dann das Siegel, endlich die Urkunde selbst, wie z. B. bei der „Goldenen Bulle"; insbesondere für die vom Papst ausgehenden Urkunden.

*Siebzig Jahre ehe die bürgerliche Forschung zu der richtigen Erkenntnis kam, hatte sie die bürgerliche Dichtung schon begriffen. Willibald Alexis schaute dem brüchigen Anekdotenmaterial, auf das er noch angewiesen war, doch auf den Grund, wenn er einen pfiffigen Junker zur Zeit Joachims sagen lässt: „Warum auf der Straße liegen und den ersten besten werfen? Das gibt nur Geschrei und böses Blut. Presst doch ein wenig euer Hirn, schlagt eure alten Pergamente nach, Verträge, Urkunden, Schenkungen, Gewohnheiten. Darauf trotzt! Mit Art und Manier zugegriffen, dass sie euch nicht Strauchdiebe und Wegelagerer schelten dürfen ... Strengtet ihr alle, strengten wir alle unseren Grips an, da kämen Rechte zusammen wie Sand am Meere. Da zugeschlagen, da euch in Besitz gesetzt, und wenn die Kerle schreien, wir wieder! Wenn der ganze Adel zugleich den Mund auftäte, was würde das für ein Geschrei geben.. ... Da dann gepocht, ihm (dem Kurfürsten) das Gewissen heiß gemacht. Solche verräucherte Scharteken mit alten Satzungen und Gerechtigkeiten; er dünkt sich was darauf, sie zu schützen und zu bewahren. Er muss nicht zur Ruhe kommen vor lauter Klagen und Beschwerden. Er muss so eingeheizt werden, dass er links und rechts ausschlägt. In der Wut schlägt man falsch; das gibt uns immer neue Waffen. Am Ende verwirrt, gescholten, missverstanden, lässt er alles gehen, wie es ist, und mehr brauchen wir nicht. Dann ist das Regiment wieder in unseren Händen, wie es sein müsste von Gott und Rechts wegen in der Mark Brandenburg." Die „Art und Manier", wie die „brandenburgischen Vasallen" mit ihren Lehnsherren umzuspringen pflegten und pflegen, ist hier nicht übel geschildert.

4 Siehe dazu Mehrings Berichtigung in "Der rote Faden..."

5 1913 setzte ein gewisser Leutnant Freiherr von Forstner in der elsässischen Stadt Zabern eine „Belohnung" von zehn Mark aus für denjenigen Soldaten, der einen „elsässischen Wackes" niederstechen würde. Die Bewohner der Stadt empörten sich, woraufhin im November über die Stadt der „kleine Belagerungszustand" wegen „anarchistischer Ausbrüche" verhängt wurde. Lenin charakterisierte die „Zabernaffäre": „Nicht die ,Anarchie' ist in Zabern .ausgebrochen', sondern die wahre Ordnung in Deutschland, die Säbelherrschaft des halbfeudalen preußischen Grundbesitzers hat sich verschärft und ist ans Licht getreten." (Werke, Bd. 19, S. 510.)

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