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N. K. Krupskaja 19280120 Lenin über die Erziehungsarbeit des Proletariats

N. K. Krupskaja: Lenin über die Erziehungsarbeit des Proletariats

[Zuerst veröffentlicht am 20. Januar 1928 in der „Utschitelskaja Gaseta" Nr. 4. Nach N. K. Krupskaja: Das ist Lenin. Eine Sammlung ausgewählter Reden und Artikel. Berlin 1966, S. 315-319]

Im September 1909 schrieb Wladimir Iljitsch: „Die historische Aufgabe des Proletariats besteht darin, alle Elemente der alten Gesellschaft, die diese in Gestalt der aus dem Kleinbürgertum stammenden Menschen dem Proletariat hinterlässt, zu verdauen, umzumodeln und umzuerziehen.“ Das wurde acht Jahre vor der Oktoberrevolution geschrieben. Unter der Diktatur des Proletariats fällt diese Aufgabe selbstverständlich nicht weg, im Gegenteil, sie erlangt außerordentlich hohe Bedeutung.

Das an der Macht stehende Proletariat ist vor allem bestrebt, die sozialistische Produktionsbasis zu schaffen, und zwar auf dem Wege der Gesetzgebung, durch eine ganze Anzahl von Maßnahmen wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen, die es dem Kleinbetrieb ermöglichen, schmerzlos zu vollkommeneren, genossenschaftlichen Produktionsformen überzugehen. Das Kleineigentum stirbt allmählich ab, und zusammen mit ihm werden auch die Denkweise und die Vorurteile der Kleineigentümer absterben. Das ist der Grund, weshalb die Sowjetmacht und die Partei der Ökonomik, dem wirtschaftlichen Aufbau so viel Aufmerksamkeit widmen.

In der Frühzeit unserer russischen Arbeiterbewegung gab es unter den Sozialisten Leute, die sagten; „Die Ökonomik ist von gewaltiger Bedeutung, und man muss ihr alle Aufmerksamkeit schenken. Daher ist politischer Kampf unnötig, die richtige politische Ordnung wird von selber kommen." Die Sozialisten, die so redeten, nannte man damals „Ökonomisten. Damals führten sowohl Plechanow als auch Wladimir Iljitsch den heftigsten Kampf gegen die „Ökonomisten“ und bewiesen die unbedingte Notwendigkeit des Kampfes gegen die Selbstherrschaft und gegen alle Anschauungen, gegen die gesamte Ideologie, die zur Festigung des zaristischen Systems, zur Festigung der Herrschaft der Gutsbesitzer und Kapitalisten, zur Unterdrückung der Arbeiterklasse führt. Die „Ökonomisten“ wurden aufs Haupt geschlagen, niemand hörte auf sie. Auch heutzutage wäre es natürlich der größte Fehler, zu glauben, man könne angesichts der Schaffung der ökonomischen Voraussetzungen für den sozialistischen Aufbau auf den Kampf an der ideologischen Front verzichten. Kommunisten denken so nicht! „Unsere Aufgabe besteht darin“, schrieb Wladimir Iljitsch, „jeden Widerstand der Kapitalisten zu brechen, nicht nur den militärischen und politischen, sondern auch den ideologischen, der am tiefsten und mächtigsten ist.“ Das Proletariat führte lange Jahre den politischen Kampf, es organisierte sich in diesem Kampf, es schloss sich ideologisch zusammen, es festigte mehr und mehr seine Kräfte. Es riss alle anderen Werktätigen mit und errang den Sieg. Die Menschewiki meinten: „Nun, jetzt sind die Kommunisten am Ende ihres Lateins. Ringsumher ist ja ein Meer von Kleineigentümern. Das siegreiche Proletariat wird von diesem ganzen kleinbürgerlichen Element überschwemmt werden, es wird geistig entarten, es wird selbst ganz und gar von den Ansichten und Gewohnheiten der Kleineigentümer durchtränkt werden.“ Lenin dagegen war der Auffassung, dass das Proletariat fähig ist, nicht nur an der ideologischen Front zu siegen, sondern auch die gesamte Gesellschaft in seinem Geiste umzuerziehen.

Die Bourgeoisie, schrieb Lenin, „ist … bemüht, die noch bedeutsamere Rolle der Diktatur des Proletariats, ihre erzieherische Aufgabe, zu vertuschen, die in Russland besonders wichtig ist, wo das Proletariat eine Minderheit der Bevölkerung bildet. Diese Aufgabe muss indes hier in den Vordergrund gerückt werden, weil wir die Massen zum sozialistischen Aufbau vorzubereiten haben. Von der Diktatur des Proletariats könnte gar keine Rede sein, wenn das Proletariat nicht ein hohes Klassenbewusstsein, eine feste Disziplin, eine große Hingabe im Kampf gegen die Bourgeoisie erwürbe, d. h., wenn es sich nicht jene Summe von Aufgaben stellte, die gelöst werden müssen, damit das Proletariat über seinen Todfeind den vollen Sieg davonträgt.“

Eben dieses Bewusstsein, diese Diszipliniertheit, diese rückhaltlose Hingabe im Kampf gegen die Ausbeuter trugen dazu bei, dass das Proletariat auf politischem Gebiet den Sieg über die Bourgeoisie errang, sie werden dem Proletariat helfen, auch seine erzieherische Aufgabe zu erfüllen.

Die Hauptaufgabe der Kommunistischen Partei als der Vorhut im Kampf, ihr Anliegen muss es sein, bei der Erziehung und Bildung der werktätigen Massen zu helfen, damit die alten Gewohnheiten, die alten Gepflogenheiten, die uns als Erbteil von der alten Ordnung überkommen sind, damit Gepflogenheiten und Gewohnheiten der Kleineigentümer, die die Massen im Innersten durchtränken, überwunden werden.

Iljitsch sprach auch von den Schwierigkeiten dieser Erziehungsarbeit. Er sah Schwierigkeiten darin, dass es den Arbeitern und Bauern nicht immer klar ist, welchen Feind es zu bekämpfen gilt. Heute gibt es keine offenen Gutsbesitzer und keine offenen Kapitalisten mehr. Alle suchen sich der Sowjetmacht anzupassen. Aber bei diesen Anpassungsversuchen schleppen sie ins ganze Leben, in alle Daseinsformen fortwährend die alten Methoden, die alten Gepflogenheiten und Gewohnheiten hinein. Die Arbeiterklasse muss ihren Blick schärfen. Das Alte ist umgestülpt, aber noch nicht ausgemerzt. Wir müssen es lernen, das Alte zu unterscheiden, das, was bekämpft werden muss, herauszufinden. Wir müssen uns mit Wissen wappnen.

In seinen letzten Reden und Artikeln wurde Wladimir Iljitsch daher nicht müde zu betonen, dass auch die Kommunisten, auch die Arbeiter die beharrlichste Lernarbeit nötig haben: Wir stehen vor der Aufgabe, schrieb er, „erstens zu lernen, zweitens zu lernen und drittens zu lernen, und dann zu kontrollieren, ob die Wissenschaft bei uns nicht toter Buchstabe oder modische Phrase geblieben ist (und das kommt bei uns, verhehlen wir es nicht, besonders häufig vor), ob die Wissenschaft wirklich in Fleisch und Blut übergegangen, ob sie vollständig und wirklich einem Bestandteil des Alltags geworden ist" (von mir hervorgehoben. N. K.). Den ersten Teil wiederholt man bei uns oft, den zweiten aber vergisst man, obgleich es auf ihn doch gerade ankommt. Wir brauchen das Lernen zur Reorganisation unseres ganzen Lebens. Nur wenn die Arbeiterklasse unermüdlich ihren Blick schärft, wenn sie sich mit Kenntnissen wappnet, kann sie ihre historische Aufgabe erfüllen, das kleinbürgerliche Element umzuformen, es umzuerziehen, die millionenstarke Bauernmasse dem Einflussbereich des Alten zu entreißen.

Wenn von der erzieherischen Rolle des Proletariats die Rede war, so pflegte Lenin zu betonen, dass sich das Proletariat bei seiner Arbeit auch auf die Lehrerschaft stützen muss. Er sagte: „[Die Hauptpolitaufklärung] muss es sich ganz besonders angelegen sein lassen, die Führerrolle der Partei durchzusetzen und sich diesen gewaltigen Apparat – die Halbmillionenarmee der Lehrer, die jetzt im Dienste der Arbeiter steht – unterzuordnen, ihn mit ihrem Geiste zu durchdringen und mit dem Feuer ihrer Initiative zu entflammen. Die Mitarbeiter des Bildungswesens, die Lehrer, wurden im Geist bürgerlicher Vorurteile und Gewohnheiten erzogen, in einem Geist, der dem Proletariat feindlich ist. Sie hatten absolut keinen Kontakt mit dem Proletariat. Jetzt müssen wir eine neue Armee von Pädagogen, von Lehrern heranbilden, die mit der Partei, mit ihren Ideen eng verbunden, von ihrem Geist durchdrungen sein muss, die die Arbeitermassen gewinnen, sie mit dem Geist des Kommunismus erfüllen und für das interessieren muss, was die Kommunisten tun … Man muss sagen, dass Hunderttausende von Lehrern ein Apparat sind, der die Arbeit vorwärtsbringen, das Denken wecken und die Vorurteile bekämpfen muss, die heute noch unter den Massen vorhanden sind. Das Erbe der kapitalistischen Kultur, deren Mängel den Lehrermassen anhaften, die nicht kommunistisch sein können, solange ihnen diese Mängel anhaften, darf uns indes nicht davon abhalten, diese Lehrer als Mitarbeiter bei der politischen Aufklärungsarbeit zu gewinnen, denn sie verfügen über Kenntnisse, ohne die wir unser Ziel nicht erreichen können.“

Vor vier Jahren, an der Bahre Iljitschs, der den Lehrer so hochgeschätzt hat, der ihm soviel Vertrauen entgegenbrachte, haben Tausende von Lehrern im innersten Herzen leidenschaftlich geschworen, sein Vermächtnis in die Tat umzusetzen.

In diesen Jahren haben viele von ihnen empfunden, wie viel sie noch an sich selbst zu arbeiten haben, um das zu werden, was Iljitsch von ihnen erwartete – Helfer des Proletariats bei seiner Erziehungsarbeit zu sein.

An der pädagogischen Front muss der ideologische Kampf mit besonderer Umsicht geführt werden. Hier gilt es, die alten Vorurteile, die alte Denkweise besonders beharrlich zu bekämpfen. Jede Belebung der alten Denkweise bedeutet Kampf gegen das Vermächtnis Iljitschs. Die Lehrerschaft der Sowjetunion hat ihren Weg gewählt, aber dieser Weg muss gesäubert werden, er darf nicht mit dem alten bürgerlichen Gerümpel übersät sein.

Am vierten Todestag Iljitschs durchdenkt die Lehrerschaft noch einmal, was sie in diesen Jahren erlebt hat, und sie schreitet noch entschlossener voran, Hand in Hand mit dem Proletariat, dem sie bei der Verwirklichung der großen Aufgaben hilft, die die Geschichte ihm auferlegt hat.

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