Permanente Revolution 19320201 Reinickendorf – Braunschweig

Permanente Revolution: Reinickendorf – Braunschweig

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 3 (Anfang Februar 1932), S. 1]

Der Faschismus hält den Zeitpunkt für gegeben, seine Braunschweiger Terrormethode italienischen Musters auf die proletarischen Bezirke Berlins übertragen und, wie die Vorfälle der letzten zwei Wochen beweisen, noch steigern zu können. Ein Blick in die Presse beweist dies. Am 19. und 20 d. M. alarmieren die Nachrichten über den planmäßig vorbereiteten nächtlichen Überfall auf die Kolonie «Felseneck» in Reinickendorf die ganze Arbeiteröffentlichkeit. Der Arbeitslose Klemke, erst seit vier Tagen Mitglied der KPD, wird von den SA-Horden gemeuchelt. Trotz der Überrumpelung sich kraftvoll wehrend, schlagen die zumeist erwerbslosen Bewohner der Kolonie «Felseneck», Kommunisten und Sozialdemokraten, die SA zurück. Auch sie lassen einen Toten auf dem Kampfplatz. Und am selben Tage, d. 21. Januar, an dem die Bekanntgabe der Einzelheiten dieser Mordaktion der SA eine Welle der Erbitterung in den Reihen der Berliner Arbeiterschaft auslöst, können es sich dieselben faschistischen Banden erlauben neuerlich zwei Arbeiterversammlungen zu überfallen und zu sprengen. Am nächsten Tage, den 22. Januar, provozieren Hakenkreuzler Arbeiter, die aus der Protestversammlung der KPD gegen den Reinickendorfer Überfall heimkehren. Die Universität ist Schauplatz faschistischer Überfälle auf kommunistische und sozialistische Studenten. Der Sonnabend, d. 23. Januar, bringt die Nachricht von der Beschießung der Laubenkolonie «Tanne», nur eine halbe Stunde von «Felseneck» entfernt, und von den Untaten der Terrorbanden der SA in Braunschweig, die in den Betrieb der Mühlenbau A.-G. (Miag) eindringen und noch im Fabrikhofe drei Arbeiter, Reichsbannermitglieder, durch Revolverschüsse schwer verwunden.

Die Versammlungssprengung im «Friedrichshain», die sich unter den Augen der Polizei abspielte, beweist die Absicht der Nazis, die Provokationen der Arbeiterschaft auf die Spitze zu treiben und sie ins Herz der proletarischen Viertel zu tragen. Es ist ein ungeheurer Skandal, dass 250 SA-Leute eine kommunistische Massenversammlung in einem proletarischen Bezirk sprengen konnten.

Jeder Tag bringt neue Bluttaten der SA-Banden. Jede neue Mordaktion des Faschismus erfüllt die klassenbewusste Arbeiterschaft, gleichgültig zu welcher Partei sie steht, immer mehr mit dem Bewusstsein, dass der faschistischen Mordpest endlich ein Damm gesetzt werden muss. Die Erbitterung in den Reihen der Arbeiterschaft, und mit ihr der Wille zur Abwehr des Faschismus steigt. Aber auch die Erkenntnis, dass nur die niedersausende Faust des Proletariats, seine eigene wehrhafte Offensive, die Söldlinge des Kapitals zerstäuben kann.

Noch nie war der Wille zu gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus in der Arbeiterschaft so groß, wie gerade jetzt. Was die Mordtätigkeit des Faschismus noch nicht vermochte, das vollendet die anschauliche Rolle der Staatsgewalt: die allgemeine Erkenntnis, dass nur noch Selbsthilfe die Arbeiterschaft vom Faschismus bewahren kann. Während überführte SA-Mörder freigelassen werden, verurteilen die Richter der demokratischen Republik die sich verteidigenden Proleten zu Dutzenden Jahren Zuchthaus. Reinickendorf ist das jüngste Beispiel und typisch. Von den angegriffenen Arbeitern werden neunzehn wegen Totschlags in Untersuchungshaft genommen, von den angreifenden Nazis nur elf. Dabei muss auch die bürgerliche Presse zugeben, dass die Nazis die Angreifer waren. Dem verbissensten SPD-Arbeiter muss es da wohl aufdämmern, dass es so nicht weitergehen kann.

Nur der bürokratischen Führung der KPD dämmert es nicht, wie der Abwehrwille der gesamten Arbeiterschaft in Taten umgesetzt werden kann. In ihrer Spitze vom Sonntag d. 24. Januar schreibt die «R. F.»: «Die Lehren von Reinickendorf beweisen in allen Einzelheiten, wie notwendig die rote Einheitsfront ist, dass sie die einzige Kraft zum Schutze des proletarischen Lebens ist.» Wenn die «R. F.» mit diesen Lehren die Tatsache meint, dass es dem gemeinsamen Kampf der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter der Kolonie «Felseneck» gelang, wenn auch unter Opfern, die SA-Banden wirkungsvoll abzuwehren, und weiter die Tatsache, dass es den lokalen Kampfvereinbarungen zwischen den Reinickendorfern KPD- und Kampfbundgenossen mit den Reichsbannerarbeitern zu danken ist. wenn dem Naziterror auf den dortigen Stempelstellen ein Ende bereitet wurde, dann hat sie Recht. Diese Lehren zeugen dann wohl von der Einsicht der Reinickendorfer Genossen, die mit der roten Einheitsfront und also mit dem wirksamen Kampf gegen den Faschismus nicht warten, bis die SPD geschlagen ist. Sie sprechen aber gegen die Linie der verrannten bürokratischen Führung, wie sie Ulbricht am 22. Januar in der Protestversammlung in den Pharussälen wieder mit den Worten formulierte: «Den Faschismus kann man nur schlagen, wenn man die SPD schlägt.» Hätten die Reinickendorfer Genossen darauf gewartet, so wäre der Kampf im «Felseneck» wohl anders ausgegangen. Ist es nicht klar, dass gerade durch diese Politik der Weg zu den Millionen sozialdemokratischer Arbeiter verrammelt wird in dem Moment, wo sie am ehesten für den Kampf gewonnen werden können, der sie letzten Endes von ihren verräterischen Führern trennen muss? Ist nicht gerade der Weg, der die Einheitsfront gegen den Faschismus der SPD aufzwingt unter dem Druck der Massenstimmung, auch der Weg zur Liquidierung der SPD als Massenpartei? Legt der Sieg über den Faschismus dem Proletariat nicht den Weg frei zum Kampf um die Macht?

Das Verbrechen dieser «Strategie» wird an dem Reinickendorfer Beispiel jedem Parteigenossen wohl klar werden müssen. Es zeigt uns, welche tödliche Gefahr der Faschismus bereits darstellt und dass es darum geht, ihn sofort, in den nächsten Monaten und Wochen, zu schlagen. Je mehr sich die Krise des Kapitalismus zuspitzt, je größer das Elend der Arbeiterschaft wird, um so aktueller wird diese Gefahr. Die Verhandlungen Hitlers und Brünings signalisieren bereits den Ernst der Lage. In dieser Situation zu erklären, dass die SPD der heutige Hauptfeind sei. bedeutet, die Arbeiterschaft dem Faschismus ans Messer zu liefern. Haben nicht in Reinickendorf die sozialdemokratischen Arbeiter mit den Kommunisten gekämpft? Haben die Nazis zwischen beide einen Unterschied gemacht? Nein! Die Aufgabe des heutigen Tages ist es, sich mit einem konkreten Kampfprogramm an die Millionen sozialdemokratisch orientierter Arbeiter zu wenden, sich für oder gegen des Massenkampf gegen den Faschismus zu entscheiden.

Anstelle dessen macht die bürokratische Führung genau das Gegenteil. In Berlin mehren sich die Fälle, wo die Parteiführung konkrete Kampfvereinbarungen gegen den Faschismus ablehnte, die in mehreren Berliner Bezirken den Organisationen der Partei vorgeschlagen wurden. Die stalinistischen Bürokraten überlassen nicht nur die Initiative den sogenannten «Sozialfaschisten» in dieser proletarischen Lebensfrage, sondern stemmen sich auch dem gesunden Drängen der unteren Parteiorganisationen entgegen. Wohin diese Linie führt, zeigen die Ereignisse, die wir hier anführten. Sie unmöglich machen kann nur ein durch Verwirklichung der proletarischen Einheitsfront entfesselter Orkan der Massenabwehr, der sofort die faschistischen Hoffnungen knicken würde. Daher ist die Folgerung aus den Reinickendorfer Ereignissen, die jedes Parteimitglied ziehen muss: Änderung der Politik der Partei! Heute ist der Hauptfeind der Faschismus. Konkrete Kampfvereinbarungen mit den SPD-, Gewerkschafts- und sonstigen proletarischen Organisationen mit dem Ziel der Vernichtung des Faschismus durch die proletarische Massenaktion. Diese Forderungen muss jetzt jedes Parteimitglied an das ZK richten und mit ihrer Verwirklichung auch die Herstellung der kämpfenden Einheitsfront gegen den Faschismus erzwingen.

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