Otto Schüssler 19310900 Das Elend des Stalinismus

Otto Schüssler: Das Elend des Stalinismus

(Über die „Wettbewerbsideologie")

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 3 (September 1931), S. 4-5]

Die Führung der KPD hat in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, dass sie unfähig ist, marxistische Einschätzungen der jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Situation in Deutschland zu gehen, und auf der Basis der marxistischen Einschätzung der Lage eine zielbewusste bolschewistische Taktik im Klassenkampfe anzuwenden. Erst recht fehlt natürlich der deutschen Parteiführung, und damit der Gesamtpartei, die Fähigkeit der Einschätzung der internationalen Lage.

Die internationale Arbeit der KPD ist gleich Null. Die internationale Verbundenheit der Parteimitglieder äußert sich weniger in internationalen Kenntnissen und Erfahrungen, als im mehr oder minder oberflächlichen und passiven Gefühl der internationalen Solidarität.

Der Internationalismus der KPD ist immer mehr und mehr zur Phrase geworden. Die internationalen Aktionen der Partei und der Komintern bestehen fast ausschließlich in einer bürokratischen, schematischen Übertragung bestimmter Losungen auf alle Länder und Sektionen, z. B. neuerdings: überall Gründung der RGO, – sogar in Spanien.

Das vollständige Versagen der KPD auf internationalem Gebiete zeigte sich in letzter Zeit in ganzer Klarheit bei den indischen, indochinesischen und spanischen Ereignissen. Was konnte die Partei ihren Mitgliedern und vor allen Dingen auch den breitesten Kreisen des Proletariats in allen diesen Fällen sagen? Nichts als ein erbärmliches Telegrammstil-Gestammel auf den letzten Maternseiten der Parteipresse.

Der Internationalismus der KPD konzentriert sich jetzt und schon seit langem fast ausschließlich auf die Sowjetunion. Die Kominternbürokratie ist bestrebt, die Methoden des 5-Jahresplanes auf alle Sektionen zu übertragen. Statt einer breiten Popularisierung der Erfolge in der Sowjetunion durch die KPen der kapitalistischen Länder und der Interessierung der Arbeiterschaft dafür, – etwa durch die Forderungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, – glauben die Kominternbürokraten. die Methoden des 5-Jahresplanes schematisch auf alle KPen in den kapitalistischen Ländern übertragen und so etwa einen 5-Jahresplan zum Aufbau dieser Kommparteien aufstellen zu können. Alle Losungen, unter denen in der Sowjetunion am 5-Jahresplan gearbeitet wird, tauchen auch in der Arbeit der KPD auf. – Dieser Zustand ist für die deutsche Parteibürokratie ein sehr angenehmer, – braucht sie dabei doch nur den Anweisungen der Stalinbürokratie aus der SU bedingungslos zu folgen. Und tatsächlich besteht die Popularisierung des wirtschaftlichen Aufbaus in der SU durch die KPD vollständig aus den bürokratischen Parolen des «Einholens und Überholens» und der manchmal mehr und manchmal weniger offenen Proklamierung des «Sozialismus in einem Lande» Hierzu kommt noch, dass jene minimale und bescheidene Kritik, die durch Arbeiterkorrespondenz usw. hier und da in den Spalten der Sowjetpresse noch geduldet wird, in den Spalten der deutschen – und der internationalen – kommunistischen Presse überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Katholischer als der Papst und stalinistischer als Stalin, – damit ist die Stellung der Komintern und Parteipresse in der Idealisierung der Aufbauarbeit in der SU gekennzeichnet.

In erster Linie tritt diese übersteigerte Idealisierung des wirtschaftlichen Aufbaus in Erscheinung durch einen mit vielem Geschrei verbundenen Kult der Zahlen und Ziffern. Die Ziffern des wirtschaftlichen Aufbaus in der SU werden von der Kominternpresse, und besonders von der KPD-Presse, prinzipiell nur in einer abstrakten und niemals in ihrer realen Bedeutung angewandt. Ebenso werden in den Massenbroschüren über die Erfolge in der SU nur abstrakte Ziffern und Vergleiche angeführt und sogar noch frisiert. – alles zum «Beweis» für die «gigantischen Erfolge» in Beziehung auf das «Ein- und Überholen».

Eine der wichtigsten Losungen, die von der Bürokratie in Verbindung mit dem «Ein- und Überholen» immer wieder mit großem Kraftaufwand in den Vordergrund gestellt wird, ist die Steigerung des Tempos.

Die Verschärfung der Tempi im wirtschaftlichen Aufbau- und Arbeitsprozess in der SU, die von der linken Opposition kritisiert wird, weil dabei «vergessen» wird die Berücksichtigung der Auswirkungen der Temposteigerungen auf die Arbeitskraft (die revolutionäre Psychologie), – diese selbe Temposteigerungsparole wird mechanisch auf die außerrussischen Sektionen übertragen. Für die Bürokraten ist die Verschärfung des Tempos zum Allheilmittel geworden, gleichgültig, ob es sich dabei handelt um den wirtschaftlichen Aufbau in der SU oder um die Stärkung der Kräfte des revolutionären Proletariats und die Herausbildung von kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern, – beides wird von den Bürokraten vornehmlich als die Frage des «Tempos» hingestellt.

Das Wachsen der Kräfte des revolutionären Proletariats wird nicht bestimmt durch ein bürokratisches Geschrei von Tempo und Temposteigerung, sondern das Tempo des Wachsens dieser revolutionären Kräfte wird (in Verbindung mit der politischen und wirtschaftlichen Situation) bestimmt von der politischen und organisatorischen, der materiellen und ideologischen Kraft der revolutionären, der kommunistischen Partei. Die politischen Unfähigkeiten und Dummheiten z. B. des ZK der KPD werden dadurch nicht besser, dass sie etwa in einem «schnelleren Tempo» begangen werden. – Der «Tempoverlust» den z. B. Thälmann beinahe immer für die KPD feststellt, ist nichts anderes, als der Verlust der politischen und organisatorischen Positionen und Fälligkeiten der KPD.

Neben der «Temposteigerung» usw. ist das von den Bürokraten am meisten angewandte Schlagwort das von der Anwendung «neuer Methoden». Mit der Erfindung «neuer Arbeitsmethoden» versucht sich die Bürokratie ein Alibi zu verschaffen für ihre Unfähigkeit in der Meisterung der prinzipiellen und taktischen Probleme. Auch das Tempo des Wachsens der KPD lässt sich nach der Meinung der Bürokratie am besten steigern durch immer «neuere Methoden-, in der Gewinnung neuer Mitglieder.

Die gegenwärtig von der Komintern und der KPD am häufigsten – oder nahezu immer, – angewandte «neue Methode» und zugleich «internationale Aktion» ist der «Wettbewerb».

In der Methode des Wettbewerbs äußert sich der Bürokratismus der Komintern und der Ländersektionen in höchster Potenz. Die Bürokraten haben sich mit allen Kräften bemüht, in der KPD eine «Wettbewerbsideologie» zu schaffen und diese den Parteimitgliedern als Ersatz einer bolschewistischen Ideologie unterzuschieben. Die «Wettbewerbsideologie» ist der Ausdruck der ideologischen Versumpfung der Komintern und der Ländersektionen. Die heute vorherrschende «Wettbewerbsideologie» konnte sich nur entwickeln beim Fehlen einer breiten Diskussion über prinzipielle und taktische Fragen auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus. Der «Wettbewerb» ist der Zwillingsbruder der «Selbstkritik».

So argumentieren die Bürokraten: «Der Wettbewerb ist die internationale Auswertung der Erfahrungen und Lehren der praktischen Arbeit in der Sowjetunion, er ist eine internationalen Aktion, ja, nahezu die internationale Aktion».

Was ist der «Wettbewerb» jedoch tatsächlich?

Günstigstenfalls ist er eine schematische Übertragung der Erfahrungen des Aufbaus in der SU, – nicht mehr. Er entpolitisierte die Parteiarbeit und versportlichte sie. – Jede Parteiarbeit ist eine politische Arbeit, – der «Wettbewerb» macht sie zur bürokratischen Buchhaltungsarbeit.

Im Verlaufe des wirtschaftlichen Aufbaus in der SU kam es zur Bildung von «Stoß- und Sturmbrigaden». Diese Sturmbrigaden wurden das Fundament des Wettbewerbs und wurden außerdem den einzelnen Sektionen zur Nachahmung befohlen. Sie wurden zur Seele der Parteiarbeit gestempelt, – keine Organisationseinheit der Partei und des Jugendverbandes soll ohne «Sturmbrigade» sein. In einer Massenbroschüre des KJVD wird gesagt: «Jeder Jungkommunist muss ein Sturmbrigadier sein». Die «Sturmbrigaden» in Deutschland sollen das Tempo der Stärkung der Partei beschleunigen, so wie die Stoßbrigaden in der SU das Tempo des wirtschaftlichen Aufbaus. Sie werden hier und da plötzlich «eingesetzt» und haben die Aufgabe, einen «Sturmgewinn» zu verbuchen. Da die «Sturmarbeit» keine zähe, dauernde politische Aufklärungsarbeit, sondern ein von verrannten Bürokraten ausgetüftelter Organisationsbluff ist, deshalb ist der «Sturmgewinn» schnell wieder – und noch «stürmischer» wieder verflogen. Die Reaktion auf «Sturm- und Wettbewerbsgewinne» ist die Fluktuation.

Die Organisierung von «Sturmbrigaden» und die Aufstellung von «Wettbewerbsplänen», sowie die Organisierung der damit verbundenen Wettbewerbsfeldzüge, wurden zu Zentralpunkten der organisatorischen und politischen Arbeit der KPD und des KJVD. Und die Bürokratie, deren Kräfte und Fähigkeiten nicht weiter reichen, legte Wettbewerbspläne vor, die bis ins kleinste Detail «ausgearbeitet» sind, die haargenau die Zahl der zu gewinnenden Partei-, KJV-, RGO- usw. Mitglieder, der zu gründenden Ortsgruppen, Betriebszellen usw. vorschreiben. Und «meist» werden diese Wettbewerbs- und Sturmpläne sogar «verwirklicht», – allerdings nur auf den Papierchen der Bürokraten. Nach der «Erfüllung» des Wettbewerbs gehen die Bürokraten daran, die «Prämierung» vorzunehmen, nachdem schon noch während des Wettbewerbs «Zwischenprämierungen» vorgenommen wurden. Der Preis ist eine «Reichs-, Bezirks-, Unterbezirks- usw. Sturmfahne».

Eine «höhere Form» des Wettbewerbs, ist der zwischen Arbeitern, Betrieben und Organisationen der Sowjetunion und Mitgliedern usw. der KPD und deren benachbarten Organisationen. Auch hierbei gilt als «Siegespreis» des Wettbewerbs eine «Sturmfahne». Den Arbeitern im Ural z. B. wurde als Wettbewerbs-Siegerpreis eine Fahne gestiftet, unter der angeblich die Berliner Arbeiter in den blutigen Maitagen 1929 auf den Barrikaden gekämpft haben! Der Berliner 1. Mai 1929 war nicht so, dass das Proletariat mit oder unter Fahnen kämpfen konnte, – aber die Stalinbürokratie lügt und betrügt schamlos die Arbeiter, um den bürokratischen Druck der «Temposteigerung» «revolutionär» zu verdecken.

Neben der Phrase der «Selbstkritik», wie sie von den Bürokraten aufgefasst wird, dient jetzt auch noch der «Wettbewerb» zur Erstickung jeglicher inneren Demokratie. Die Mitglieder dürfen nur kritisieren, dass die Wettbewerbs- und Sturmpläne nicht erfüllt wurden und wie der nächste Wettbewerb besser erfüllt wird. Oft – und sogar meist, – ist eine Parteiorganisation an mehreren Wettbewerben zugleich beteiligt, – und die Sorgen um die Erfüllung der Wettbewerbe lassen keine Zeit übrig für die Behandlung politischer Fragen!

Darin kennzeichnet sich die Wettbewerbsideologie: im vollständigen oder nahezu vollständigen Fehlen einer politischen, marxistisch-leninistischen Schulung der Parteimitglieder. Bis weit in die Reihen der besten Arbeiter der Partei wird dieses Fehlen der marxistisch-leninistischen Grundlagen, der politischen und wirtschaftlichen Kenntnisse als sehr drückend empfunden, – und selbst die Bürokratie ist gezwungen, über diesen «Mangel» zu klagen, ohne dabei in der Lage zu sein, Abhilfe schaffen zu können, denn das politische Niveau der Bürokratie ist nicht höher, – ihre politische Dummheit erschreckend. (Siehe das Beispiel des politischen Leiters des Bezirks Sachsen der KPD, Selbmann, – in Nr. 1 der «Permanenten Rev.» S. 16!) Statt einer Hebung des politischen und theoretischen Niveaus der Parteimitglieder, wird dieses durch den Wettbewerbsunsinn erstickt.

Der «Wettbewerbs- und Sturmplan» ist ein Universalmittel – und soll sogar die Einheitsfronttaktik «ersetzen», – er schreibt vor die genaue Ziffer der sozialdemokratischen usw. Arbeiter, die im jeweils laufenden Wettbewerb zu gewinnen sind. Die Unfähigkeit der KPD in der Zersetzung der SPD und in der Gewinnung sozialdemokratischer Arbeiter findet in dieser Methode eine teilweise Begründung.

Die Gewinnung sozialdemokratischer Arbeiter ist nicht die Frage des «Wettbewerbs», sondern ist nur zu erreichen auf dem wohl schwierigeren, aber dafür erfolgreicheren bolschewistischen Weg der leninistischen Einheitsfronttaktik.

Die Bürokratie entmannt die Partei, die «Wettbewerbsideologie» erstickt die Initiative der Parteimitglieder; – die Linke Opposition kämpft deshalb gegen den bürokratischen Wettbewerbsunsinn. Die Stärkung der KPD kann nicht und wird nicht erfolgen durch Aufstellung bürokratischer «Pläne und Brigaden», – sondern durch die ununterbrochene politische Arbeit der Parteimitglieder unter den Massen der sozialdemokratischen, freigewerkschaftlichen und indifferenten Arbeiter. Voraussetzung dafür ist das Vorhandensein starker, – ideologisch und politisch starker, – in den Massen verankerter Kader von Parteimitgliedern. Diese können sich nur entwickeln bei einer gründlichen politischen Diskussion über alle Fragen auf der Basis der inneren Parteidemokratie, des demokratischen Zentralismus.

Deshalb kämpft die linke Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) gegen die Wettbewerbs- und Sturmpläne der Bürokratie, für die Einheitsfronttaktik der leninistischen Kommpartei, – gegen den bürokratischen Druck – für die innere Demokratie der KPD und für die Entwicklung der Initiative der Parteimitglieder, für die Heranbildung marxistisch-leninistisch geschulter Parteikader und für die Schaffung einer bolschewistischen KPD und Komintern.

O-r.

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