Kapitel I

Kapitel I

Das Oberhaupt der Exekutivgewalt so wenig wie die Nationalversammlung, die sich beide auf einander stützten und sich wechselseitig verstärkten, hatte in irgendwelcher Weise den Pariser Aufstand herausgefordert.“

H. Dufaure in seiner Rede gegen die Amnestie, Sitzung vom 18. Mai 1876.

Erste Angriffe der Koalition gegen Paris. Die Bataillone der Nationalgarde verbünden sich und bemächtigen sich ihrer Kanonen. Die Preußen ziehen in Paris ein.

Welch ein Schmerz! Nach der Invasion die unauffindbare Kammer. Man hatte von einem neugeborenen Frankreich geträumt, das sich mächtigen Flugs zum Licht aufschwingen würde und sah sich um ein halbes Jahrhundert zurückgestoßen, unter dem Joch des Jesuiten, des rohen Krautjunkers, inmitten der Kongregation. Es gab Männer, die nicht mehr an sich halten konnten und viele sprachen von Auswanderung. Schwachköpfe meinten freilich: „diese Kammer regiert nur auf eine Stunde, sie hat kein anderes Mandat, als die Entscheidung über Krieg und Frieden;“ wer aber die Verschwörung beobachtet hatte, wer diese Herde die violetten Röcke umklammern sah, der wusste wohl, dass derartige Männer Frankreich nicht wieder loslassen würden, ehe sie mit ihrer Walze darüber hergefahren.

Als die Flüchtlinge aus Paris mit eingesunkenen, aber von republikanischer Treue glänzenden Augen, noch bebend von Patriotismus in Bordeaux ankamen, fanden sie dort das Koblenz der Emigration. Vierzig Jahre verzehrenden Hasses waren dort aufgespeichert. Endlich durften Klerikale und Konservative, ohne mit einem König oder Kaiser teilen zu müssen, Paris sattsam unter die Füße treten, das atheistische, das revolutionäre Paris, das so oft ihr Joch abgeschüttelt, ihre Ränke vereitelt hatte.

Schon in der ersten Sitzung brach ihre Galle aus. Im Hintergrund des Saals erhob sich ein Greis, der allein, verkannt und gemieden auf seiner Bank gesessen, und bat um das Wort. Unter seinem großen Mantel sah ein rotes Hemd hervor, es war Garibaldi. Bei seinem Namensaufruf wollte er antworten, kurz erklären, dass er auf das Mandat, mit dem ihn Paris beehrt, verzichte, aber ein wahres Wutgeheul übertäubte seine Stimme. Er blieb stehen und er hob seine Hand, da hagelte es Beschimpfungen. Aber die Strafe blieb nicht aus: „Krautjunkermajorität! Schandfleck von Frankreich!“ rief eine jugendliche, zornbebende Stimme von den Galerien; es war Gaston Crémieux aus Marseille. Die Deputierten erheben sich drohend, aber ein hundertstimmiges Bravo erschallt von den Galerien und bestätigt diese Taufe. Beim Heraustreten aus der Sitzung rief die Menge Garibaldi Beifall und zischte seine Beleidiger aus. Die Nationalgarde präsentierte vor ihm, wiewohl Herr Thiers unter dem Peristyl in voller Wut auf den kommandierenden Offizier losfuhr. Des anderen Tags kam das Volk wieder, bildete Spalier vor dem Theater und unterwarf die reaktionären Deputierten seinen republikanischen Zurufen. Diese aber kannten ihre Stärke und gingen bei Eröffnung der Sitzung sofort zum Angriff über. Ein „Rural“ wies auf die Repräsentanten von Paris: „Sie sind mit dem Blut des Bürgerkrieges besudelt.“ Als einer der Gewählten von Paris ausrief: „Es lebe die Republik!“ zischte ihn die Majorität aus: „Ihr seid nur eine Fraktion des Landes!“ Den nächsten Tag war die Kammer von Truppen umstellt, welche die Republikaner zurückstießen.

Gleichzeitig stimmten die konservativen Journale in das Zetergeschrei gegen Paris mit ein und gingen sogar soweit, seine ausgestandenen Leiden wegzuleugnen. Die Nationalgarde hatte vor den Preußen Reißaus genommen, ihre einzigen Waffentaten waren der 31. Oktober und der 22. Januar. Diese Verleumdungen trugen in der längst bearbeiteten Provinz ihre Früchte, denn die Unwissenheit in Bezug auf die Belagerung war so groß, dass man Leute wie Trochu, Ducrot, Ferry, Pelletan, Carnier Pagès, Emanuel Arago, Einzelne von ihnen sogar mehrmals, wählte, Leute, denen Paris nicht das Almosen einer einzigen Stimme gönnte.

An den Repräsentanten von Paris war es, dieses Dunkel aufzuhellen, die Geschichte der Belagerung zu erzählen, die Verantwortlichen zu denunzieren, die Pariser Wahlen zu würdigen und gegen die klerikal-monarchistische Koalition das Banner des republikanischen Frankreich zu erheben. Aber sie schwiegen und hielten nur knabenhafte Zusammenkünfte ab, welche Delescluze niedergeschmettert verließ, wie er aus den Zusammenkünften der Maires fortgegangen war. Mit schablonenmäßigen Humanitätsphrasen antworteten die Epimenidesse von 48 auf das Waffengeklirr des Feindes. Dieser bekräftigte inzwischen sein Programm, welches dahin lautete: schleunigster Friedensabschluss, Einscharrung der Republik, und zu diesem Zweck Niederwerfung von Paris. Thiers wurde unter Beifall zum Chef der Exekutivgewalt ernannt und wählte Jules Favre, Jules Simon, Picard, Leflô, durch welche sich die Republikaner aus der Provinz noch täuschen ließen, zu Ministern.

Diese Wahlen, diese Drohungen, die Beleidigung gegen Garibaldi, gegen seine Repräsentanten, die Ernennung des Herrn Thiers, der verkörperten parlamentarischen Monarchie zum ersten Magistrat der Republik, fielen Schlag auf Schlag auf ein finsteres, fieberndes, knapp wieder verproviantiertes Paris, das noch mehr nach Freiheit als nach Brot hungerte. Das war also der Lohn für fünf Monate des Jammers und der Ausdauer. Diese Provinz, nach der es während der ganzen Belagerung die Arme ausgestreckt hatte, rief ihm „Memme“ zu, Bismarck stieß es Chambord in die Hände. Wohlan denn, wenn es nicht anders ging, war Paris auch im Stand, sich gegen Frankreich selbst zu verteidigen. Die neue, drohende Gefahr, die harten Prüfungen der Belagerungszeit rüttelten alle Willenskraft auf, gaben der großen Stadt eine gemeinsame Seele. Die Nationalgarde begann zusammenzutreten.

Schon Ende Januar hatten einige Republikaner, sowie auch Bourgeoisintriganten, auf der Jagd nach Deputiertenstellen, den Versuch gemacht, die Nationalgarde zum Zweck der Wahlen zu gruppieren. Eine große Versammlung hatte unter dem Vorsitz Courtys, eines Kaufmanns aus dem III. A., im Zirkus stattgefunden. Eine Liste war festgestellt worden, man hatte beschlossen, sich aufs Neue zu versammeln, um im Fall doppelter Ernennungen zu entscheiden, und hatte ein Büro beauftragt, alle Kompanien regelmäßig zu berufen. Diese zweite Versammlung fand am 15. Februar im Vauxhallsaale, in der Rue de la Douane, statt. Aber wer dachte jetzt an die Wahlen? Ein einziger Gedanke füllte alle Herzen: Verbindung aller Kräfte von Paris gegen die siegreichen Ruraux. Die Nationalgarde umschloss das ganze männliche Paris. Der klare, einfache, echt französische Gedanke, die Bataillone zu verbünden, hatte schon lang in allen Köpfen geschlummert. Er wurde mit Beifall aufgenommen und man beschloss, dass die verbündeten Bataillone sich um ein Zentralkomitee gruppieren sollten.

Eine Kommission, welche gleich im Saal gewählt wurde, erhielt den Auftrag, Statuten auszuarbeiten. Jedes vertretene Arrondissement – es waren ihrer 18 auf 20 – ernannte einen Kommissar. Wer waren nun diese? Die Agitatoren, die Revolutionäre von der Corderie, die Sozialisten? Keineswegs. Es war auch nicht ein bekannter Name darunter. Alle Gewählten gehörten dem Kleinbürgertum an, Krämer, kleine Beamte, die den Koterien, größtenteils bis dahin sogar der Politik selbst fremd waren.A Der Präsident Courty war nur durch die Versammlung im Zirkus bekannt. Von der ersten Stunde an erschien der Gedanke der Föderation als das, was er in Wahrheit war, als ein allgemeiner, keiner Sekte angehöriger und eben deshalb furchtbarer. Den anderen Tag erklärte Clément Thomas der Regierung, er könne nicht mehr für die Nationalgarde stehen und nahm seine Entlassung. Er wurde provisorisch durch Vinoy ersetzt.

Am 24. verlas die Kommission in Vauxhall vor 2000 Delegierten und Gardisten ihren Statutenvorschlag und drängte die Delegierten, unverzüglich zur Wahl des Zentralkomitees zu schreiten. Aber die Versammlung war aufgeregt, tosend und wenig zu Beratungen geneigt. Jeder Tag dieser Woche hatte härtere, beleidigendere Drohungen aus Bordeaux gebracht. Es hieß, man wolle die Bataillone entwaffnen, den Sold von 30 Sous, die einzige Hilfsquelle der Arbeiter, aufheben, den augenblicklichen Verfall der rückständigen Mietzinse verhängen. Überdies hing noch eine schreckliche Wetterwolke in der Luft, die mit jeder Stunde schwärzer anwuchs. Der um achte Tage verlängerte Waffenstillstand lief am 26. ab und die Zeitungen verkündigten auf den 27. den Einzug der Preußen. Seit einer Woche lastete dieser Alp auf den Herzen der Patrioten. Daher ging auch die Versammlung sogleich zu den brennenden Fragen über. Carlin stellten den Antrag, die Nationalgarde habe nur selbstgewählte Führer anzuerkennen, ein Anderer, die Nationalgarde solle durch das Organ ihres Zentralkomitees gegen jeden Versuch zur Entwaffnung protestieren und die Erklärung abgeben, dass sie sich nötigenfalls mit Waffengewalt widersetzen werde. Dieser Antrag wurde mit Einstimmigkeit zum Beschluss erhoben. Und jetzt sollte Paris sich dem Besuch der Preußen unterwerfen, sie auf seinen Boulevards defilieren, paradieren sehen? Über diesen Punkt ist gar keine Erörterung möglich. Hoch erhitzt fährt die Versammlung mit einem lauten Kriegsruf auf. Einige Einwände der Vorsicht verhallen ungehört in dem Sturm. Ja, man wollte sich mit Waffengewalt dem Einmarsch der Preußen widersetzen. Dieser Antrag sollte durch die Delegierten ihren Kompanien unterbreitet werden. Und sich bis auf den 3. März vertagend, hebt die Versammlung die Sitzung auf, um sich in Masse nach der Bastille zu begeben, indem sie auch eine große Anzahl von Mobilen und Soldaten in ihrem Strome mit fortwälzt.

Paris, für seine Freiheit besorgt, drängte sich vom frühen Morgen an um seine Revolutionssäule, wie es die Statue Straßburgs umringt hatte, als es für das Vaterland zitterte. Die Bataillone defilierten mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen und bedeckten das Gitter und das Piedestal mit Immortellenkränzen. Von Zeit zu Zeit stieg ein Delegierter auf den Sockel und sprach von dieser ehernen Tribüne aus das Volk an, welches mit dem Zuruf: „Es lebe die Republik!“ antwortete. Plötzlich schwebt eine rote Fahne durch die Menge, verschwindet in dem Monument, und erscheint gleich darauf auf der Balustrade. Ein donnernder Schrei begrüßt sie, darauf folgt eine lange Stille. Ein Mann klettert die Kuppel hinauf und hat die Verwegenheit, dem Genius den Schaft in der Hand zu befestigen. Unter dem tobenden Zuruf des Volks sah man jetzt zum ersten Mal seit 1848 wieder die Fahne der Gleichheit über diesem Platze wehen, den das Blut von tausend Märtyrern noch röter gefärbt hat als sie. Den folgenden Tag dauerten die Wallfahrten fort, aber nicht nur Nationalgardisten, auch Mobile und Soldaten fanden sich ein. Die Armee zerschmolz unter dem Hauch der Pariser Bevölkerung. Die Mobilen, denen ihre Quartiermacher voranschritten, trugen große, schwarze Kränze herbei, sie wurden bei ihrer Ankunft von den Zinkenisten, welche an den vier Ecken des Sockels aufgestellt waren, begrüßt und die Menge empfing sie mit rauschendem Beifall. Schwarz gekleidete Frauen steckten ein dreifarbiges Banner auf, mit der Inschrift: „Den Märtyrern die Republikanerinnen.“ Da das Fußgestell schon ganz bedeckt war, wurden die Kränze um den Schaft gewunden, der bald von oben bis unten mit gelben und schwarzen Blumen, mit roten und dreifarbigen Flaggen geschmückt war – Zeichen des Schmerzes und der Freude, Trauer um die Vergangenheit, Hoffnung auf die Zukunft, ein gigantischer Gedenkstein und Maienbaum. Am 26. wurden die Kundgebungen zahllos und nahmen einen aufgeregten Charakter an. Ein Polizeiagent, den man darauf ertappte, wie er die Nummern der Bataillone notierte, wurde ergriffen und in die Seine geworfen. Fünfundzwanzig Bataillone defilierten an diesem Tag mit finsteren Mienen, von entsetzlicher Angst gequält. Der Waffenstillstand ging zu Ende und der „Officiel“ sagte nichts von Verlängerung. Die Zeitungen kündeten auf den folgenden Tag den Einzug der deutschen Armee durch die Elysischen Felder an. Die Regierung schickte die Truppen auf das andere Ufer und räumte den Industriepalast. Sie vergaß nur die Kanonen der Nationalgarde, die auf dem Wagramplatz und in Passy standen. Schon hatte die Unachtsamkeit der Kapitulanten den Preußen 12.000 Gewehre zu viel ausgeliefertB, wer konnte wissen, ob sie ihre krummen Finger nicht auch nach jenen prächtigen Stücken ausstrecken würden, die mit dem Herzblut der Pariser gegossen und mit den Ziffern der Bataillone bezeichnet waren.C Die Erhebung war eine spontane und allgemeine. Die Bourgeoisbataillone von Passy gaben in Übereinstimmung mit der MunizipalitätD den Anstoß, indem sie die Stücke vom Ranelagh nach dem Park Monceaux führten. Andere Bataillone holten ihre Kanonen aus dem Park Wagram und brachten sie durch die Straßen St. Honoré und Rivoli nach dem Vogesenplatz, wo sie durch die Bastille gedeckt waren.E Auf dem Bastilleplatz hatte es den ganzen Tag gegärt. Die von Vinoy abgesandten Truppen fraternisierten mit dem Volk, Paris schien diesen Abend ganz aus Rand und Band. Der Rappel, die Sturmglocke, die Trompeten riefen Tausende von Bewaffneten auf die Straßen, welche sich auf dem Bastilleplatz, am Château d'Eau, in der Rue de Rivoli zusammenscharten. Das Gefängnis von St. Pelagie wurde gestürmt, Brunel befreit. Um 2 Uhr Nachts zogen 40.000 Mann schweigend, in guter Ordnung durch die Elysischen Felder und die Avenue de la Grande Armee den Preußen entgegen und erwarteten sie bis zum Tagesanbruch. Auf dem Rückweg bemächtigten sich die Bataillone vom Montmartre der Kanonen, die ihnen in die Hände fielen, und führten sie auf die Mairie und das Boulevard Ornano.

Dieser fieberhaften aber ritterlichen Aufwallung wusste Vinoy nichts entgegenzusetzen, als einen entehrenden Tagesbefehl. Und diese Regierung, welche Paris beschimpfte, mutete ihm noch zu, sich für Frankreich zu opfern. Am 27. morgens kündete ein Anschlagzettel die Verlängerung des Waffenstillstands und auf den 1. März die Besetzung der Elysischen Felder durch 30.000 Deutsche an.

Um 2 Uhr hielt die Kommission, welche mit Abfassung der Statuten für ein Zentralkomitee betraut war, auf der Mairie des 3. Arrondissements eine Sitzung. Am vorhergehenden Abend hatten einige Mitglieder, die sich durch die Situation ermächtigt erachteten, einen permanenten Ausschuss in dieser Mairie zu organisieren versucht, hatten sich jedoch, weil sie nicht zahlreich genug waren, auf den anderen Morgen vertagt, indem sie die Bataillonschefs zusammenberiefen. Die Sitzung, bei welcher Kapitän Bergeret präsidierte, war eine tragische. Die Delegierten der Bataillone vom Montmartre, welche in der Rue des Rosiers ein eigenes Komitee gebildet hatten, wollten nur von Schlachten hören, wiesen gebieterische Mandate vor und beriefen sich auf die Beschließung vom Vauxhall. Beinahe mit Einstimmigkeit wurde der Beschluss gefasst, die Waffen gegen die Preußen zu ergreifen. Der Maire Benvalet, den diese Gäste sehr beunruhigten, ließ die Mairie umstellen und halb in Güte, halb mit Gewalt gelang es ihm, sich ihrer zu entledigen.

Den ganzen Tag über waffneten sich die Faubourgs und bemächtigten sich der Munition. Die Wallgeschütze wurden auf ihre Laffetten gestellt. Die Mobilen vergaßen, dass sie Kriegsgefangene waren und holten sich ihre Waffen aus ihren Stadtvierteln zurück. Abends strömte eine Volksmasse nach der Kaserne de la Pépinière und führte die Marinesoldaten auf die Bastille, um dort zu fraternisieren. Die Katastrophe wäre unvermeidlich gewesen, hätten es nicht einige entschlossene Männer gewagt, diese gewaltige Strömung zurückzudämmen. Die ganze Corderie das Zentralkomitee der zwanzig Arrondissements, die Internationale, die Federation – benahm sich sehr zurückhaltend gegen dieses Zentralkomitee, welches aus lauter Unbekannten bestand, die man noch bei keinem revolutionären Feldzug gesehen hatte. Von der Mairie des 3. Arrondissements aus begaben sich einige Delegierte, welche den Sektionen der Internationalen angehörten, auf die Corderie und statteten von der Sitzung und von dem verzweifelten Beschluss Bericht ab. Man gab sich Mühe, sie zu beruhigen, man schickte Redner nach dem Vauxhall, wo eben eine große Versammlung stattfand. Es gelang denselben, sich Gehör zu verschaffen. Viele Bürger gaben sich gleichfalls die äußerste Mühe, die Leute zur Vernunft zu bringen. Den anderen Morgen veröffentlichten die drei Gruppen der Corderie ein Manifest, worin sie die Arbeiter beschworen, sich im Zaum zu halten. – „Ein Angriff, sagten sie, würde nur dazu dienen, das Volk den Feinden der Revolution zu überantworten, welche die sozialen Forderungen in einem Strom von Blut ertränken würden.“ Von allen Seiten gedrängt, musste das Zentralkomitee nachgeben, und machte dies in einer von neunundzwanzig Namen Unterzeichneten Proklamation bekannt. „Jedes feindliche Vorgehen wäre der augenblickliche Umsturz der Republik. Um die Viertel, welche der Feind besetzen soll, wird eine Reihe Barrikaden errichtet; er soll auf einen Boden eingeschränkt werden, den wir nicht mehr als unsere Stadt betrachten.“ Dies war das erste offizielle Auftreten des Zentralkomitees Diese neunundzwanzig UnbekanntenF welche die Nationalgarde zu beschwichtigen vermochten, erhielten selbst den Beifall der Bourgeoisie, welche sich über ihren Einfluss nicht zu wundern schien.

Die Preußen konnten am 1. März einmarschieren. Diese Stadt, welche sich wieder in den Pfänden des Volkes befand, war nicht mehr das Paris der Junker und der Großbourgeois von 1815. Schwarze Fahnen wehten von den Häusern, und die öden Straßen, die geschlossenen Läden, die versiegten Springbrunnen, die verschleierten Standbilder der Concordia, die eingestellte Straßenbeleuchtung sagten noch deutlicher, dass die Stadt tot war. Mädchen, die sich ins feindliche Quartier wagten, wurden öffentlich ausgepeitscht, man plünderte ein Café auf den Elysischen Feldern, das für die Sieger geöffnet worden war. Es fand sich nur ein einziger hoher Herr im Faubourg Saint-Germain, der sein Obdach den Preußen anbot.

Paris erbleichte noch unter dem Schimpf des Preußeneinmarsches, als schon eine neue Sturmflut von Beleidigungen aus Bordeaux kam. Nicht genug, dass die „Versammlung“ kein Wort, keine Miene fand, ihm in dieser jammervollen Krisis beizustehen, ihre Organe, der „Officiel“ an der Spitze, gerieten noch in Umrüstung, dass man nur daran gedacht hatte, sich gegen die Preußen zu verteidigen. In den Büros wurde ein Vorschlag unterzeichnet, wonach die Versammlung außerhalb Paris tagen sollte. Der Gesetzesentwurf über Verfallzeit und Mietzins kam fallitenschwanger heraus. Der Friede war angenommen, er war über Hals und Kopf beschlossen worden wie eine Geschäftssache. Das Elsass, der größere Teil von Lothringen, sechzehnhunderttausend Franzosen dem Vaterland entrissen, fünf Milliarden, Besetzung der östlichen Forts von Paris bis zur Bezahlung der ersten fünfhundert Millionen und der östlichen Departments bis zur völligen Abzahlung, das war der Preis, den Trochu, Favre und die Koalition dem Lande kosteten, um den uns Bismarck die unauffindbare Kammer überließ. Und um Paris über all diese Schmach zu trösten, ernannte Herr Thiers den unfähigen, rohen Kommandanten der Loirearmee, D’Aurelles de Paladine zum General der Nationalgarde. Zwei Senatoren, zwei Bonapartisten, Vinoy und d’Aurelles an der Spitze des republikanischen Paris, dies war zu viel. Jetzt ahnte ganz Paris den Staatsstreich.G

Abends sammelten sich Gruppen auf dem Boulevard. Die Nationalgarde weigerte sich, d’Aurelles anzuerkennen und beantragte die Ernennung Garibaldis. Am 3. schickten zweihundert Bataillone ihre Delegierten ins Vauxhall. Die Sitzung begann mit Verlesung der Statuten. Im Eingang wurde die Republik bestätigt, als einzige rechtliche und dem allgemeinen Stimmrecht, welches ihr Werk ist, überlegene Regierung. „Die Delegierten“ sagte der Artikel 6, „sind verpflichtet, jeden Versuch, der den Umsturz der Republik bezweckt, zu vereiteln.“ Das Zentralkomitee bestand aus drei Delegierten für jedes Arrondissement, welche durch die Kompanien, die Bataillone, die Legionen und die Legions-Chefs gewählt wurden. In Erwartung der regelrechten WahlenH ernannte die Versammlung während der Sitzung eine provisorische Exekutivkommission. Darunter befanden sich Varlin, Pindy, Jacques Durand und einige andere Sozialisten aus der Corderie, denn zwischen dem Zentralkomitee oder vielmehr der ersten Kommission und den drei Gruppen hatte sich eine Annäherung vollzogen. Varlin ließ mit Einstimmigkeit die augenblickliche Wiedererwählung aller Grade beschließen. Ein weiterer Antrag wurde gestellt: „Das Department der Seine soll sich als unabhängige Republik konstituieren, im Fall die Nationalversammlung Paris seiner Würde als Hauptstadt verlustig erklären wollte.“ Dies war ein schlecht verstandener, schlecht angebrachter Vorschlag, der Paris von dem übrigen Frankreich abzusondern schien, ein anti-revolutionärer, anti-pariserischer Gedanke, der sich in grausamer Weise gegen die Kommune selber kehrte. Denn wer sollte dich ernähren, Paris, wenn nicht die Provinz? Wer sollte euch retten, Brüder vom Lande, wenn nicht Paris? Aber Paris stand seit sechs Monaten allein, es hatte allein den Kampf bis aufs Äußerste verlangt, allein hatte es durch das Stimmrecht die Republik bestätigt. Und der Abfall, die Abstimmung der Provinz, die Krautjunkermajorität brachte so viele Männer, die bereit waren für die Universalrepublik zu sterben, auf den Gedanken, dass man die Republik in Paris einschließen könne.

A Für das 3. Arrondissement: A. Génetel, für das 4. Arrondissement A. Alavoine, für das 5. Manet, für das 6. V. Frontier, für das 7. Badois, für das 8. Morterol, für das 9. Mayer, für das 10. Arnold, für das 11. Piconel, für das 12. Audoynaud, für das 13. Soncial, für das 14. Dacosta, für das 15. H. Masson, für das 16. Pé, für das 17. Weber, für das 18. Trouillet, für das 19. Lagarde, für das 20. A. Bouit. Courty blieb Präsident, Ramel Sekretär.

B Vinoy, Der Waffenstillstand und die Kommune. Bd. II. S. 128.

C Die Reaktionäre haben behauptet, diese Befürchtung sei erheuchelt und die Kanonen vor den Preußen sicher gewesen. Dies ist durchaus unwahr, denn der Generalstab selbst fürchtete einen Überfall. Untersuchung über den 4. September., de Mortemart, Chef des Generalstabs. Bd. II. S. 344.

D Untersuchung über den 18. März, Oberst Lavigne, Bd. II. S. 467.

E „Die ersten Kanonen wurden bei der Nachricht vom Einzug der Preußen weggenommen. Und zwar sind diese Geschütze, Sie dürfen es glauben, meine Herren, durch ordnungsfreundliche Bürger, Nationalgardisten von Passy und Auteuil fortgeführt worden. Und wo glauben Sie, dass sie fortgenommen wurden? Auf dem Ranelagh.“ Untersuchung über den 18. März, Jules Ferry, Bd. II. S. 63.

F A. Alavoine, A. Bouit, Frontier, Boursier, David, Buisson, Haroud, Gritz, Tessier, Ramel, Badois, Arnold, Piconel, Andoynot, Masson, Weber, Lagarde, j. Larroque, J. Bergeret, Pouchain, Lavalette, Fleury, Maljournal, Chouteau, Cadaze, Gastaud(?), Dutil, Malté, Mutin(?). Nur zehn von den Erwählten der 18 Arrondissements figurieren in diesem Aktenstück. Delegationen, Wahlenthaltungen, unregelmäßige Zufügungen hatten neunzehn neue Namen hervorgebracht.

G Der Generalstabs-Chef d’Aurelles’, Roger du Nord, „hörte unter allen Fraktionen der Nationalgarde den Ausspruch: Warum stellt man einen Mann von solcher Energie an die Spitze der Nationalgarde, wenn es sich nicht um einen Staatsstreich handelt.“ Untersuchung über den 18. März.

H Es waren im Ganzen zwanzig Legionen, die Nationalgarde eines Arrondissements bildete je eine.

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