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Grigori Sinowjew 19191128 An die Arbeiter aller Länder

Grigori Sinowjew: An die Arbeiter aller Länder

Die an den ungarischen Arbeitern verübte Bluttat

[Manifest, Richtlinien, Beschlüsse des Ersten Kongresses. Aufrufe und offene Schreiben des Exekutivkomitees bis zum Zweiten Kongress. Hamburg 1920, S. 154-156]

Genossen! Bereits mehr als drei Monate lang fließt in Ungarn unaufhörlich das Blut der besten ungarischen Proletarier. Tausende und Abertausende ungarischer Arbeiter hat die triumphierende bürgerliche Gegenrevolution ohne jeglichen Richterspruch erschossen und erhängt. Und jetzt wird in Budapest die Komödie eines Gerichts über die noch lebenden Kämpfer veranstaltet. Etwa fünfzehntausend ungarische Arbeiter sind vors Militärgericht geladen. Vier Tribunale werden unsere ungarischen Brüder richten. Und schon im Voraus verkündet ein amerikanischer Funkspruch der ganzen Welt, dass in Budapest so viele Todesurteile gefällt werden, wie noch niemals im Lauf der Weltgeschichte.

Das Gericht über die ungarischen Arbeiter lässt jene Schrecken erblassen, durch welche die blutgierige französische Bourgeoisie ihren Sieg über die heldenhaften Pariser Kommunare von 1871 kennzeichnete. Die Bluttat in Ungarn erreicht die gleichen Ergebnisse, wie die Bluttat des Henkers Mannerheim in Finnland, wo die Bourgeoisie nach den letzten Berichten im Lauf eines einzigen Jahres 76.000 finnische Arbeiter getötet und ausgehungert hat.

Der wildeste weiße Terror wird in allen Ecken und Winkeln Ungarns gepflegt. Die zügellose gutsherrlich-bürgerliche Gegenrevolution wütet mit unerhörter Blutgier. Jeder ungarische Arbeiter kann in jedem beliebigen Augenblick von dem ersten besten Vertreter der goldenen bürgerlichen Jugend erschossen werden.

Dieselben bürgerlichen Philanthropen, dieselben heuchlerischen Sozialverräter, die nun zwei Jahre lang Tränen vergießen aus dem Anlass, dass die russischen Proletarier in ihrem heiligen Verteidigungskrieg gegen die Zarengeneräle zu bewaffneter Kraft Zuflucht nehmen, dieselben Scheinheiligen und Verräter finden kein Wort des Protests anlässlich dieses ungeheuren Bacchanals des weißen bürgerlichen Terrors, welches sich eben in Ungarn abspielt.

Wofür kreuzigt man unsere Brüder, die ungarischen Arbeiter?

Weil unsere Brüder, die ungarischen Arbeiter, in dem für ihr Land entscheidenden historischen Augenblick, als die Bourgeoisie, die Ungarn an den Rand des Untergangs gebracht hatte, sich die Hände wusch und der Macht entsagte, die Macht in ihre Hände nahmen und versuchten, das Land aus der Sackgasse zu führen. Die englisch-französische Bourgeoisie, welche die ungarischen Sozialverräter bestach, brachte ihnen mit Hilfe der ultrareaktionären rumänischen Truppen die schwerste Niederlage bei. Die internationale proletarische Revolution erwies sich zu jener Zeit nicht genügend stark, um eine unserer ruhmvollen Vortruppen – die ungarische Truppe – aus der Not zu retten, in die sie geraten war.

Von allen Seiten von wütenden, zähneknirschenden Feinden umringt, sich selbst überlassen, erlitt die ungarische Räterepublik, die noch nicht erstarkt war, noch nicht fest auf den Füßen stand, einen grausamen Schlag. Doch der Tag des Gerichts über die Henker des ungarischen Proletariats ist nicht fern. Die internationale Revolution erstarkt trotz allem mit jedem Tage. Die internationale Revolution naht und eilt unseren Brüdern, den ungarischen Arbeitern, die gekreuzigt werden, zu Hilfe.

Der wütende weiße Terror der Bourgeoisie beschleunigt nur deren Untergang. Die in Ungarn wiederhergestellte bürgerliche „Ordnung" hat Hunderttausende und Millionen ungarische Bürger ruiniert. Die in Ungarn wiederhergestellte bürgerliche „Ordnung“ hat betrunkene rumänische Banden in die ungarische Hauptstadt gebracht, die in Budapest keinen Stein auf dem andern lassen. Diese bürgerliche „Ordnung“ wird durch eine neue Woge des Aufstands in Ungarn hinweggefegt, der dieses Mal aktive Unterstützung seitens der Arbeiter und Bauern einer ganzen Reihe von Ländern finden wird.

Genossen! Entblößt das Haupt vor den glorreichen Helden der ungarischen Kommune, die ihr Leben der Sache des Proletariats hingegeben! Millionen von Arbeitern aller Länder begleiten liebevoll die das Schafott betretenden ungarischen Proletarier, und diese Arbeiter geloben, die Bourgeoisie zu besiegen. Euch, ungarischen Genossen, die den Weg zum bürgerlichen Golgatha gehen, sendet das internationale Proletariat seinen brüderlichen Gruß.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale ruft die Arbeiter aller Länder auf, den Tag des Gerichts über unsere ungarischen Genossen durch eine ganze Reihe von Kundgebungen zu feiern –- in der Form, die in jedem Lande möglich ist.

Mit den ruhmvollen Helden der ungarischen Kommune rufen wir aus: die Republik Ungarn ist tot! Es lebe die Räterepublik Ungarn!

Auf den weißen Terror der Bourgeoisie antworten wir mit Bewaffnung der Arbeiter, ihrer Organisation und ihrem Zusammenschluss zum letzten Kampf.

Nieder mit der Herrschaft der blutgierigen Bourgeoisie, nieder mit den Henkern der ungarischen Kommune! Es lebe das ungarische Proletariat! Es lebe die internationale Revolution!

Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale.

G. Sinowjew.

Petrograd, 28. November 1919.

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