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Grigori Sinowjew 19190618 An die Werktätigen aller Länder

Grigori Sinowjew: An die Werktätigen aller Länder

[Manifest, Richtlinien, Beschlüsse des Ersten Kongresses. Aufrufe und offene Schreiben des Exekutivkomitees bis zum Zweiten Kongress. Hamburg 1920, S. 111-114]

Die kapitalistische Welt, die durch den fünfjährigen Krieg bis auf die Grundfesten erschüttert ist, steht am Vorabend eines endgültigen Zusammenbruchs. Die Weltrevolution naht, sie naht mit der Unvermeidlichkeit des Schicksals.

Angesichts dieser Gefahr macht die internationale Bourgeoisie verzweifelte Versuche, die Macht in ihren Händen zu erhalten, die sozialistische Revolution, welche ihre Klassenherrschaft bedroht, zu vernichten. Die Bourgeoisie richtet ihre Hauptangriffe gegen jene Länder, wo die Arbeiterklasse schon den Sieg errungen hat – gegen die Sowjetrepubliken Russland, Ungarn, Lettland, Litauen, Weißrussland und die Ukraine.

Ein brutales, ungeheuerliches Verbrechen wird vor unseren Augen vollzogen. Zu jeder Niederträchtigkeit, zu den größten Missetaten sind die Banditen des Kapitalismus in der ganzen Welt bereit, um nur die ihnen verhasste proletarische Rätemacht zu vernichten.

Sie entfachen den Hass gegen die Völker, die das Joch des Kapitalismus abgeworfen haben, und verbreiten freche Lügen über die Politik der Sowjetrepubliken, indem sie gleichzeitig den Arbeitern ihrer eigenen Länder die Möglichkeit nehmen, Vertreter nach Russland und Ungarn zu entsenden, wo diese selbst mit den sozialistischen Reformen in den bezeichneten Ländern bekannt werden könnten. Sie jammern an allen Ecken über die Schrecken des roten Terrors, scheuen sich aber nicht, den weißen Terror – Gewalt gegen die Werktätigen – in der rohesten Form anzuwenden.

Sie veranstalten gegenrevolutionäre Aufstände und unterstützen aus allen Kräften die erbitterten Reaktionäre, welche bestrebt sind, die den Völkern verhasste, doch dem Herzen der Bourgeoisie der ganzen Welt so nahe stehende Macht der Großgrundbesitzer und Kapitalisten, wiederherzustellen. Sie lehnen frech die Friedensanträge der wirklichen Volksregierungen, der Sowjetregierungen ab und schließen einen Bund mit den ausgesprochenen Gegenrevolutionären – den zaristischen Generälen Koltschak und Denikin in Russland, mit den erklärten Monarchisten, den Grafen Karolyi und Andrassy in Ungarn. Sie gehen soweit, dass sie durch ihre Agenten Eisenbahnbrücken zerstören und Wasserwerke in die Luft sprengen, wodurch sie die Leiden der werktätigen Massen unermesslich steigern.

Sie verhöhnen die Völker der Sowjetrepubliken, indem sie über Hunger und Verfall in diesen Ländern jammern und die Verantwortung dafür der Rätemacht auferlegen. Aber sie verhehlen, dass der Verfall und der Hunger Folgen des Weltkriegs und des kapitalistischen Wirtschaftens sind, dass dieser Verfall gesteigert wird durch die Räuberpolitik der Imperialisten der Großmächte, die sich gegen die Sowjetrepubliken gerüstet haben, die die Blockade fortsetzen und bewaffnete Banden von Söldnern auf Russland und Ungarn hetzen.

Durch heuchlerische und lügenhafte Erklärungen in den Parlamenten und in der Presse sind sie bemüht, die Wachsamkeit ihrer Völker einzuschläfern. Lloyd George und Clemenceau, Wilson und Scheidemann – sie alle versichern einstimmig, dass sie nicht beabsichtigen, gegen die Sowjetrepubliken Krieg zu führen, und zu gleicher Zeit senden sie immer wieder neue Kräfte nach Sibirien, nach Archangelsk, nach Murman, an die Donau und fahren fort, alle Feinde der Sowjetrepubliken mit Waffen und Munition zu versehen; sie hetzen gegen die Völker Russlands, Ungarns, der Ukraine, die polnischen Gutsbesitzer, die rumänischen Bojaren, die baltischen Barone, die tschechischen, finnischen, estnischen Gegenrevolutionäre.

Im Kampf gegen den Sozialismus bildet sich eine einheitliche Front der Bourgeoisie der ganzen Welt. Ist es nicht Staunen erregend, wie schnell und leicht die gestrigen Feinde sich versöhnen, sobald vom Kampf gegen die sozialistische Revolution die Rede ist? Die Sieger – die Verbündeten – haben noch nicht mit Deutschland, das sie bis aufs Letzte berauben wollen, Frieden geschlossen, aber die bürgerlich-sozialverräterische Regierung des letzteren erfüllt schon jetzt im Auftrag der Verbündeten bereitwillig die Rolle eines Henkers, indem sie bei sich die aufständischen Arbeiter niederdrückt, ständige Truppen zur Besetzung Lettlands, Litauens, Weißrusslands entsendet.

Die Arbeiter aller Länder sollen sich klare Rechenschaft darüber ablegen, dass jetzt nicht nur das Geschick der Sowjetrepubliken Russland, Ungarn, der Ukraine u. a. auf dem Spiel steht – im Ural und vor dem roten Petrograd, in den Karpaten und an der Donau entscheidet sich das Schicksal der Weltrevolution. Wenn es den Imperialisten aller Länder jetzt gelingt, die ersten Flammen der kommunistischen Revolution zu ersticken, so wird die Arbeiterbewegung in allen Ländern der Welt um einige Jahrzehnte zurückgeworfen. Die ganze Wucht der Liquidation des ersten großen imperialistischen Krieges wird den Werktätigen aufgebürdet, und zwar nicht nur in den besiegten Ländern, sondern auch in den Ländern der Sieger. Der ewige Streit um die Teilung der Beute wird aber bald zu neuen, noch sinnloseren und noch blutigeren Kriegen führen, und im Endresultat wird die ganze Welt in ein Elend ohne Ausweg und in rettungslose Knechtschaft gestürzt.

Der einzige Ausweg und die einzige Rettung ist die sozialistische Weltrevolution.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale ruft die Arbeitermassen aller Länder zum Schutz der sozialistischen Weltrevolution auf. Gleichzeitig konstatiert es mit Freuden, dass die Arbeitermassen vieler Länder schon ihre Aufgabe erfasst haben und entschieden gegen die verbrecherischen Pläne ihrer Regierungen protestieren. Es begrüßt aufs Wärmste den Beschluss der italienischen, französischen und englischen Sozialisten, einen allgemeinen Proteststreik zu erklären.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale macht seinerseits den Arbeitern aller Länder den Vorschlag, ihrer Solidarität mit den Völkern der Sowjetrepubliken durch Veranstaltung einer internationalen Demonstration gegen den Einfall der imperialistischen Mächte in Russland und Ungarn Ausdruck zu geben.

Die Zeit der Proteste in Worten ist vorüber, es ist Zeit zum Handeln.

Dem Bund der kapitalistischen Räuber der ganzen Welt sollen die Arbeiter ihren Bund – den internationalen Brüderbund der Werktätigen – gegenüberstellen. Auf den Straßen von London und Paris, Berlin und Rom, Wien und Prag, New York und Tokio sollen die gleichen Rufe erschallen:

Nieder mit der Intervention in die Sowjetrepubliken!

Nieder mit dem Kapitalismus! Nieder mit der Macht der Bourgeoisie!

Es lebe die Macht der Werktätigen!

Es lebe die Weltrepublik der Räte!

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale

Vorsitzender G. Sinowjew.

18. Juni 1919.

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