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Politischer Brief Nr. 21 19160528

NR. 21 VOM 28. MAI 1916

[nach: Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 178-191]

POLITISCHE BRIEFE

28. Mai 1916

Werte Genossen!

Wir bitten Sie, zu Ihrer persönlichen Information von folgenden Mitteilungen Kenntnis zu nehmen.

Mit Parteigruß

Spartacus

ZUR ZWEITEN ZIMMERWALDER KONFERENZ

Wir bringen weiter unten den Bericht über die Verhandlungen der internationalen Konferenz, die zu Ostern stattgefunden hat. Es lässt sich nicht bestreiten, dass sie einen etwas chaotischen Eindruck macht und wohl allgemein weniger befriedigen wird als die erste. Zwar hatte auch diese, namentlich infolge des Verhaltens der deutschen Vertreter von der Ledebour-Gruppe, an Entschlossenheit und Klarheit viel zu wünschen übriggelassen, doch lag ihre eigentliche Bedeutung in ihrem Zustandekommen selbst, darin, dass sie das erste deutlich sichtbare Symptom der internationalen sozialistischen Selbstbesinnung und des Bedürfnisses nach Zusammenschluss war. Die zweite Konferenz musste naturgemäß versuchen, einen Schritt weiter zu tun: praktische Arbeit zu verrichten. Doch welcher Art konnte diese Arbeit sein? Der Knotenpunkt, der die Wiederherstellung oder richtiger der Schaffung einer sozialistischen Internationale, mehr als Schaugepränge, mehr als bürokratische Instanz, mehr als eine holde Selbsttäuschung wäre, liegt darin, dass die Internationale aus den Massen der Arbeiterschaft in allen Ländern besteht, nicht aus ein paar Dutzend oder Hundert „Delegierter", dass sie in der täglichen Praxis des Proletariats lebt, nicht in Resolutionen und Manifesten irgendeiner Konferenz oder eines Büros. Wie aber dies herbeiführen, wie dies schaffen? Offenbar wiederum nicht durch noch so eindringlich abgefasste Manifeste und Resolutionen irgendeines Büros oder einer Konferenz. Der Zusammenbruch der Zweiten Internationale war nur eine einfache Folge des Zusammenbruchs des Sozialismus in den einzelnen Ländern, in Deutschland. Die Erstehung der Internationale ist nur dann möglich, aber dann auch schon gegeben, wenn der Sozialismus, wenn der revolutionäre Klassenkampf in allen Ländern und vor allem in Deutschland Wirklichkeit wird. Dazu können jedoch Antriebe nicht von Bern, Den Haag oder sonst woher kommen, dazu sind Antriebe in Hülle und Fülle in Deutschland selbst, in den furchtbaren ökonomischen, politischen, materiellen und geistigen Verhältnissen gegeben. Arbeitermassen, die das graue Elend und der nackte Hunger, die Peitsche des Belagerungszustands und die offen betriebene Prostitution der Parlamente, die Infamien der offiziellen sozialdemokratischen Fraktion und die Faustpolitik des Parteivorstands nicht zum entschlossenen Widerstand aufstacheln, werden nicht durch Manifeste aus Zimmerwald zur Tatkraft und Würde aufgerichtet werden. Und ungefähr ebenso stehen die Dinge in Frankreich, England, Russland usw. Die Zimmerwalder Internationale dreht sich deshalb gewissermaßen im fehlerhaften Zirkel. Ihr Beruf ist, wenn sie ihn richtig versteht, den Massen immer wieder zuzurufen: internationaler Sozialismus besteht nicht in Konferenzen, Resolutionen, Manifesten, sondern in Taten, in Kampf, in Massenaktionen. Was sie aber selbst tun kann, sind doch wieder nur Konferenzen, Resolutionen und Manifeste. Sofern Klärung der Gedanken, Analyse des historischen Prozesses und seiner Richtlinien zur Auslösung der revolutionären Energien beiträgt, könnten auch die Kundgebungen der Zimmerwalder Internationale – wenn sie die nötige Kraft und Einheitlichkeit der Auffassung hätten – bedeutende Wirkung ausüben. Aber die Zimmerwalder Internationale kann unmöglich diese Eigenschaften bei ihren Kundgebungen aufbringen, weil sie selbst eine lose Vereinigung ziemlich weit divergierender Elemente der Opposition ist und deshalb in ihren gemeinsamen Produkten, ähnlich wie die frühere Internationale, zwischen verschiedenen Auffassungen mehr oder weniger laviert, sich auf ein gewisses Minimum beschränkt, wodurch ihren Kundgebungen eine gewisse Flachheit und Halbheit anhaftet.

All dies ist nicht die Schuld von Personen, sondern die Logik der Dinge. Die Zimmerwalder Internationale spiegelt naturgemäß die heutigen Gebrechen und Widersprüche des Sozialismus in allen Ländern. Die Lösung dieser Widersprüche kann nicht am First – in Zimmerwald, sondern an den Fundamenten: vor allem in Deutschland und immer wieder in Deutschland gefunden werden. Die Lösung besteht nur im entschlossenen konsequenten, rücksichtslosen Kampf auf der ganzen Linie gegen alle dunklen Mächte der Vergangenheit: den Krieg, den Belagerungszustand, den Eunuchen-Reichstag, die Fraktion des sozialistischen Verrats und den Parteivorstand des Gewaltstreichs nebst seinen liebedienerischen Instanzen. Deshalb war z. B. die Mitwirkung zur Maidemonstration in Berlin wichtiger als die „würdige" Beschickung der Zweiten Zimmerwalder Konferenz, und Karl Liebknecht in seiner stillen Arrestantenzelle wirkt mehr für die Wiederherstellung der Internationale in allen Ländern als zehn Ellen des Zimmerwalder Manifestes.

Das greifbare Resultat der Konferenz ist übrigens das jetzige Verhalten der französischen Delegierten, von denen man nun wohl erwarten darf, dass sie gegen die Kriegskredite stimmen werden. Allein wir überschätzen auch die Bedeutung dieser erfreulichen Bekehrung französischer Parlamentarier nicht. Auch in Frankreich wird der Sozialismus wieder aufleben, nicht wenn die Parlamentarier sich wieder auf sein Abc besinnen, sondern wenn die Massen sozialistisch reden und handeln werden.

BERICHT ÜBER DIE ZWEITE ZIMMERWALDER KONFERENZ*

Ende April d. J. trat die Zweite Internationale Sozialistische Zimmerwalder Konferenz zusammen. Vertreten war die italienische Partei, die Schweizer Partei, das Zentralkomitee Russlands, das Organisationskomitee Russlands und die Partei der Sozialistenrevolutionäre1 Russlands, die drei polnischen sozialistischen Parteien, die serbische Partei, für Frankreich die drei Abgeordneten Brizon, Blanc und Raffin-Dugens, ferner aus Deutschland die Opposition der „Internationale", die Richtung Hoffmann-Ledebour und der Vertreter der Opposition einer großen Lokalorganisation Nordwestdeutschlands. Mehrere Parteien und oppositionelle Gruppen blieben infolge der Passschwierigkeiten unvertreten. Aus gleichen Gründen konnten nicht alle Delegierte aus Frankreich und Deutschland den Tagungsort erreichen.

Bei der Berichterstattung behandelte ein Delegierter der Hoffmann-Ledebour-Richtung die Parteisituation in Deutschland mit dem jener Gruppe eigentümlichen Optimismus. So erzählte er u. a., dass in Groß-Berlin sämtliche Organisationen einschließlich ihrer Leitung vollständig in den Händen der Minderheit seien. Der gleiche Delegierte leistete sich bei der Berichterstattung, wie auch nachher bei der Behandlung der übrigen Beratungsgegenstände, mehrfach eine persönlich gehaltene Kritik an der „Internationale", insbesondere an dem Zustandekommen der Januarkonferenz, der Thesen und ihrer Übersendung nach Bern im Februar d. J. Der Vertreter der Richtung der „Internationale" verzichtete bei seinem Bericht vollständig auf die Widerlegung dieser kleinlichen Vorwürfe und schiefen Darstellung, er behandelte dafür ausführlich die wirtschaftliche, allgemeinpolitische und parteipolitische Situation in Deutschland und schilderte dann kurz die sachlichen Ursachen der Trennung innerhalb der Opposition und die Arbeiten der „Internationale": seit der Trennung. Der Vertreter der Opposition einer großen nordwestdeutschen Stadt behandelte darauf die Parteiverhältnisse in seinem Orte vor und während des Krieges, er nahm weiter kritisch zur Arbeitsgemeinschaft der achtzehn Stellung und griff die Erklärung der zwanzig vom 21. Dezember und die Haltung der Opposition um Ledebour-Hoffmann in der Steuerfrage an.

Den Hauptpunkt der Beratungen bildete die Erörterung der Friedensfragen und des Kampfes zur Beendigung des Krieges. Der Vertreter der „Internationale" begründete kurz die auf der deutschen Reichskonferenz von Mitte März angenommenen Leitsätze und die Resolution zur parlamentarischen Aktion. Der Vertreter einer polnischen Partei legte für sich, die Lenin-Partei, den Genossen Katzlerowitsch aus Serbien, einige Schweizer Genossen und den Vertreter der deutschen Lokalorganisation Thesen vor, die sich gegen die Parole der Abrüstung und der Schiedsgerichte wandten. Thesen mit gleicher Tendenz brachte auch Genosse Grimm (Schweiz) ein. Ein weiterer Schweizer Delegierter legte die Forderungen der „Internationale" zur parlamentarischen Aktion mit einer etwas anderen Einleitung nochmals vor. Aus den Debatten ist hervorzuheben, dass ein Vertreter des russischen Organisationskomitees, der lange Zeit während des Krieges in Paris gelebt hat, die Haltung der parlamentarischen Minderheit in Frankreich kritisierte. Er wurde dabei unterstützt von einem vierten französischen Delegierten, der die strikte Ablehnung der Kriegskredite durch die französische Minderheit forderte. Ein Vertreter der Ledebour-Hoffmann-Gruppe wandte sich dagegen, dass eine internationale Konferenz bestimmte Forderungen an die Parlamentarier stelle. Gegen den Antrag der „Internationale", dass alle parlamentarischen Mittel (auch der Geschäftsordnung) ausgenutzt werden sollten, wandte er ein, dass damit offenbar nur das Prinzip der Kleinen Anfragen gemeint sei; die zu häufige Anwendung dieses Mittels führe aber zu einer Beseitigung dieses parlamentarischen Rechts überhaupt; er könne deshalb dieser Forderung nicht zustimmen. Ein weiterer Delegierter der Ledebour-Hoffmann-Gruppe kritisierte in der üblichen Weise die Mehrheit der deutschen Partei. Zur Frage der Sonderabstimmung der französischen parlamentarischen Minorität erklärte er, dass die Zimmerwalder Konferenz den Parlamentariern keine bindende Verpflichtung der Kreditablehnung auflegen könne, dass es vielmehr genügen müsse, einen moralischen Druck in dieser Richtung auszuüben.

Auf die Frage eines italienischen Delegierten, was mit der Polemik Ledebour-Hoffmanns in dem bekannten Flugblatt2 gegen die Bindung der nationalen Sektionen durch internationale Konferenzen gemeint sei, gab der gleiche deutsche Delegierte nur die formale Auskunft, dass er und seine Freunde den Abdruck dieses Flugblattes im „Internationalen Bulletin" nicht veranlasst hätten.

Der Vertreter der Opposition der nordwestdeutschen Lokalorganisation erklärte, dass er mit den „Leitsätzen" und sonstigen Vorschlägen der „Internationale" im Wesentlichen einverstanden sei, doch befriedige ihn nicht ganz die Stellung der „Internationale" zur Frage der Landesverteidigung. Das Argument, dass man gerade im Interesse der Landesverteidigung den Klassenkampf führen müsse (wie dies z. B. in der Junius-Broschüre behauptet werde), könne er nicht billigen.

Ein französischer Abgeordneter suchte die Haltung der parlamentarischen Minderheit in Frankreich zu verteidigen. Er benutzte dabei die schon aus Deutschland zur Genüge bekannten Argumente, dass die Abgeordneten Rücksicht auf die Einheit der Partei nehmen müssten, dass ihre Haltung nicht völlig unabhängig sein könnte von der militärischen Situation und ähnliches. In sehr lebhaften Zwischenrufen wurde er darauf hingewiesen, dass die Abgeordneten in Serbien, in Bulgarien und Russland teilweise noch in schlimmerer Lage seien als die französische Minorität und dass ihre Haltung trotzdem innerhalb und außerhalb des Parlaments eine andere sei als die der französischen parlamentarischen Minderheit.

Die eingesetzte Resolutionskommission, der die Leitsätze, Thesen und Manifestentwürfe zur Durcharbeitung überwiesen worden waren, nahm als Grundlage für ihre Beratungen den Grimmschen Thesenentwurf. Mit mehreren durchgreifenden Änderungen ist er in der Kommission und dann auch im Plenum angenommen worden. Ernstliche Meinungsverschiedenheiten traten nur bei dem ersten Satz der fünften These zutage. In der ursprünglichen Fassung lautete dieser Satz: „Die Pläne, durch die allgemeine Einschränkung der Rüstungen, durch obligatorische Schiedsgerichte, die Kriegsgefahr aufzuheben oder zu mildern, sind eine Utopie." Der Vertreter der italienischen Delegation und der der Ledebour-Hoffmann-Gruppe machte gegen diese Formulierung Einwendungen: es sei nicht völlig ausgeschlossen, dass solche pazifistischen Mittel verwirklicht werden und durch sie die Kriegsgefahr gemildert würde. Der deutsche Delegierte erklärte, schon deshalb gegen diesen Satz und die ganzen Thesen, falls die Worte „zu mildern" stehen blieben, stimmen zu müssen, weil das deutsche Parteiprogramm allgemeine Schiedsgerichte fordere und er selbst jahrzehntelang in seiner ganzen Agitationsarbeit für diese Forderung eingetreten sei! Die Mehrzahl der Kommission konnte sich diesen Einwänden nicht anschließen, trotzdem strich das Kommissionsmitglied, dem die redaktionelle Überarbeitung der Thesen überwiesen worden war, die Worte „oder zu mildern". Mehrere Mitglieder der Kommission behielten sich daraufhin vor, diese Frage im Plenum nochmals zu erörtern und dort zur Entscheidung zu bringen.

Unter dem Druck des Konferenzleiters, mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit keinerlei Diskussionen mehr zu beginnen, unterblieb dann diese Diskussion. Dafür wurden kurz vor der Abstimmung über die Thesen im Plenum von den verschiedensten Seiten Erklärungen zu Protokoll gegeben. Zunächst erklärte die Mehrheit der italienischen Delegation, dass sie den Thesen zustimmen wolle, aber der Gedankengang der Thesen sei ihr zu „fatalistisch", auch dächten sie über den Wert der Schiedsgerichte und der Abrüstung weniger „pessimistisch". Ähnliche Vorbehalte machte auch der französische Konferenzteilnehmer. Die Minderheit der italienischen Delegation hingegen gab zu Protokoll, dass sie mit den Thesen vollkommen einverstanden sei. Für die „Zimmerwalder Linke" erklärte ein polnischer Delegierter, dass man den Thesen zustimmen wolle, obgleich sie ihnen in der Ablehnung der pazifistischen Mittel nicht entschieden genug seien. Ein Vertreter der „Internationale" erklärte, dass es ihm genüge, dass eine gewisse innerliche Übereinstimmung zwischen den Delegierten in der Streitfrage erreicht worden sei. Es habe aber keinen Zweck, nach außen hin vollkommene Einigkeit vorzutäuschen, wo sie nicht vorhanden sei. Da ihm Inhalt und Formulierung der Thesen nicht ganz genügten, behalte er sich vor, sich bei der Abstimmung der Stimme zu enthalten. Das gleiche erklärte ein Vertreter einer der polnischen Delegationen. Dem dringenden Appell eines italienischen Delegierten und des Vorsitzenden gaben diese Genossen indessen bei der Endabstimmung nach und votierten ebenfalls für die Thesen, mit deren Gedankengang sie ja im Allgemeinen ebenfalls einverstanden waren.

Der Resolutionskommission hatte auch ein Manifestentwurf vorgelegen, der nach mannigfachen Abänderungen im Plenum ohne nennenswerte Diskussion ebenfalls einstimmig angenommen wurde.

Die Konferenz hatte sich schließlich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Einberufung des Haager Internationalen Sozialistischen Büros zu fordern sei. Obgleich eine klare Abstimmung über diese Frage durch den Vorsitzenden der Verhandlungen und eine Anzahl Konferenzteilnehmer verhindert wurde, schien die Mehrheit der Konferenz dagegen zu sein, dass die an Zimmerwald angeschlossenen Parteien die Einberufung des Büros fordern. Man einigte sich indessen dahin, den einzelnen Parteien das Recht anzuerkennen, von sich aus die Einberufung des Büros zu verlangen. Im Übrigen wurde beschlossen, für den Fall einer Plenarsitzung des Büros die Delegierten zu verpflichten, im Büro schärfste Kritik am Haager Büro und den ihm angeschlossenen Mehrheitsparteien zu üben. Auch bei der Behandlung dieser Frage stimmte die Richtung Ledebour-Hoffmann mit dem rechten Flügel der italienischen Delegation.

Einige Tage nach Abschluss der Konferenz fand eine Sitzung der erweiterten Internationalen Sozialistischen Kommission zu Bern statt. (Diese Kommission setzt sich bekanntlich aus je einem Vertreter aller angeschlossenen Parteien und Gruppen zusammen.) Die erweiterte Kommission stellte den endgültigen Text des Manifestes und der Resolution über das Haager Büro fest. Sie hatte sich weiter mit einem Antrag Grimm zu beschäftigen, der die Gründung einer Union sozialistischer Parlamentarier vorschlug. Der Antrag stieß indessen auf allgemeinen Widerstand. – Der erweiterten Kommission lagen gleichzeitig die Forderungen der „Internationale" zur parlamentarischen Aktion vor. Der Vorsitzende erklärte zunächst, diese Forderungen und sein inzwischen abgeänderter Antrag widersprächen sich, da der Antrag bereits den Entschlüssen der Parlamentarier vorgreife. Als ihm entgegnet wurde, das sei keineswegs der Fall, erklärte er kurz vor der Abstimmung über beide Anträge, dass er die Forderung der „Internationale" als Amendement zu seinem Antrage auffasse. Sobald dieses Amendement angenommen werde, müsse er auch gegen seinen eigenen Antrag stimmen. Unter dem Druck dieser Erklärung fiel das Amendement (der „Internationale") mit 5 gegen 4 Stimmen bei mehreren Enthaltungen. Zwei Delegierte, die sich enthalten hatten, erklärten sofort zu Protokoll, dass sie bei einem anderen Abstimmungsmodus für die Forderung der „Internationale" gestimmt hätten. Das gleiche erklärte ein dritter Delegierter, der bei der vorhergehenden Abstimmung sogar gegen das Amendement gestimmt hatte.

Bei der Debatte über diesen ganzen Punkt hatte der Vertreter der Richtung Ledebour-Hoffmann sich von neuem gegen eine Bindung der nationalen Sektionen durch die Zimmerwalder Konferenz, gegen die systematische Anwendung der Kleinen Anfragen und für die Annahme von direkten Steuern (inkl. Kriegssteuer) im Kriege ausgesprochen.

Die erweiterte Kommission beschäftigte sich schließlich mit der vom Haager Büro einberufenen Konferenz der Neutralen3 und empfahl ihnen, sich dort zu beteiligen, um im Sinne der Zimmerwalder Aktion zu wirken.

Die von der „Internationale" vorgelegten Leitsätze kamen aus Zeitmangel auch in der erweiterten Kommission weder zur Behandlung noch zur Abstimmung.

ZUR INFORMATION

POLITISCHES UND KRITISCHES

Anfragen und Anfragen

Bis zur Entfernung Liebknechts von der parlamentarischen Kampfarena durch seine Verhaftung hat die „Opposition" um Haase und Ledebour nicht ein einziges Mal die Waffe der „Kleinen Anfragen" zum politischen Kampf ausgenutzt. Ja, von jener Seite kam, wie bekannt, sogar im Seniorenkonvent eine scharf tadelnde Kritik an dem Gebrauch, den Liebknecht von diesem Kampfmittel machte. Und auf der Osterkonferenz zu Kienthal hat der Vertreter dieser Richtung es abgelehnt, die „Kleinen Anfragen" systematisch zum sozialdemokratischen Kampf im Parlament zu verwenden. In den letzten Tagen erlebten wir aber doch im Reichstag einige neue Vorstöße der „Arbeitsgemeinschaft" nach dieser Richtung: Herzfeld, Ledebour, Stadthagen stellen nunmehr auch schon „Kleine Anfragen". Aber da muss man bei näherem Zusehen sagen, es gibt Anfragen und Anfragen. Und hier gleich am Beginn der neuen Taktik der Arbeitsgemeinschaft kann man sehen, wie es nicht gemacht werden soll.

In der Tat: zu gemütlichen Plaudereien, neugierigen Stöbereien, juristischen Spitzfindigkeiten ist die Zeit wirklich zu ernst. Sie gehört dem Kampf, dem systematischen und radikalen Burgfriedensbruch. Ihm haben heute im Reichstag die Anfragen der Sozialdemokratie zu dienen, deren jede eine Anklage, eine Brandmarkung, ein schriller Kampfruf sein muss, der die Öffentlichkeit aufrüttelt. Die Anfragen Herzfelds, Stadthagens, Ledebours entsprechen dieser Mindestforderung nicht. Die Herzfeldsche über die deutsch-türkischen Verträge4 sollte der Geheimdiplomatie einen Jagdhieb versetzen: aber der Hieb ging in die Luft und schlug – den Schläger. Die kühnste Forderung, zu der sich die sozialdemokratische Anfrage verstieg, war, dass der „Vertrag dem Reichstag vor der Ratifizierung zur Kenntnis gegeben" werde! Die Regierung fand erwünschte Gelegenheit zur Propagierung ihrer Orientpolitik und setzte den Anfrager matt durch Verkündung ihrer loyalen Absicht, den Vertrag nicht nur zur Kenntnis, sondern „zur verfassungsmäßigen Genehmigung" vorzulegen, zwar nicht den Vertrag über das Defensivbündnis, aber doch die sonstigen rechtlichen und mithaftlichen Verträge zwischen der Türkei und Deutschland.

Diese Gefahr besteht bei den Anfragen Ledebours und Stadthagens nicht. Dafür sind sie aber philiströs und schwächlich. Die eine verlangt, dass „in Zukunft" die Ausübung des Versammlungsrechts usw. „nicht gehindert wird", „insbesondere Versammlungen, die sich lediglich mit inneren Vereinsangelegenheiten befassen wollen, nicht verboten werden". Auf diese Forderung der Beseitigung des kleineren, des kleinsten Übels spitzt sich eine sozialdemokratische Parlamentsaktion in der gegenwärtigen Lage zu! Man lässt mit sich markten: „insbesondere Versammlungen, die sich lediglich"' usw., womit die Erdrosselung der anderen Versammlungen, die sich nicht „lediglich" usw., halb und halb legitimiert erscheint und der Regierung das Argument geliefert wird, dass ja die Sozialdemokraten selbst eine Unterscheidung machen zwischen Versammlungen, die „lediglich" und den anderen! Während diese Anfrage so den großen Kampf um den Belagerungszustand und die politische Rechtlosigkeit der Massen in ein kleines Geplänkel verkrüppelt, geht die dritte Anfrage in ihrer unglücklichen Fassung soweit, die Zensur, soweit sie „militärischen Interessen oder Interessen der öffentlichen Sicherheit" dient, außer Diskussion zu stellen!

Auch hier das große Kampfziel um einer anekdotischen Einzelheit willen beiseite geschoben, auch hier lässt man mit sich reden! Kritteleien an den Arabesken des Belagerungszustandes, die von der Hauptsache ablenken, statt Angriff gegen die Fundamente der Militärdiktatur.

Opposition und Opposition

Wie bei den „Kleinen Anfragen" zeigte sich die Halbheit der Opposition um Haase und Ledebour [bei] ihrem Antrag betr. die Vorgänge im Reichstag am 8. April und bei den Zensurdebatten.

Seit Anfang Dezember ist die politische Präsidialzensur gegen die „Kleinen Anfragen" etabliert. Wer den Kampf durch Anfragen wirksam führen will, muss jetzt vor allem den Kampf ums Anfragerecht führen. Die Frage der politischen Präsidialzensur und der parlamentarischen Freiheit überhaupt muss aufgerollt werden. Die wüsten Szenen vom 8. April5 sind nicht zu lösen aus der großen Kette der systematischen Vergewaltigungen, deren sich der Reichstag – unter Mitwirkung der sozialdemokratischen Fraktionsmehrheit und wenigstens passiver Mitschuld der Minderheit – seit Jahr und Tag systematisch unterfangen hat. Gegen dieses ganze System hätte ein Frontangriff unternommen werden müssen. Die schamlose Preisgabe der Immunität, diese Selbstprostituierung des Parlaments vor der Militärdiktatur, die am 12. Mai erfolgt war, hätte neu an den Pranger gestellt werden müssen, wenn die Arbeitsgemeinschaft ihrer Verteidigung der parlamentarischen Kritik eine politische Bedeutung geben wollte.6 Unter Geißelhieben hätten die Bassermann, Westarp, Gröber, Müller-Meiningen, Scheidemann sich winden müssen! Und der Belagerungspräsident Kämpf nebst den Paasche und Dove hätte Spießruten laufen müssen! Was erlebten wir statt dessen? Den Kampf der Arbeitsgemeinschaft um die Freihaltung der Tribüne durch eben diesen Präsidenten7 – ein geradezu reaktionäres Ziel, das sogar den Scheidemännern es bequem machte, ihr Mameluckentum jesuitisch zu drapieren! Und diese verunglückte Kampagne unter allerhand Komplimenten an den Staatsstreichpräsidenten! Ohne jede weitere Perspektive, ohne jede allgemeine politische Kritik an der ganzen Schmach des Reichstages – ein pedantisches Herumstöbern in dem geschäftsordnungsmäßigen Kleinkram der äußeren Vorgänge des 8. April, dass einem in der Stickluft dieser parlamentarischen Krähwinkelei der Atem vergehen musste.

Und nun die Zensurdebatten. Auch hier machte die Arbeitsgemeinschaft keinen Versuch, den Stresemann, Oertel und Konsorten, die sich um ihrer Kriegs- und Annexionshetze willen – als Paladine der Pressfreiheit aufwarfen, die Maske herunterzureißen und die Frage ins Gesicht zu schleudern, wie sie sich in dieser Pose erdreisten konnten, nachdem sie, soweit ihr Arm reicht, die Meinungsfreiheit erdrosselt haben, nachdem sie wie die liberalen Kumpane der Militärdiktatur gerade eben durch Auslieferung der parlamentarischen Immunität am 12. Mai Henkerdienste geleistet hatten! Diese politische Entlarvung wäre zur Aufklärung der Lage wichtiger gewesen als bloßes Übertrumpfen des allgemeinen Reichstagschorus in seinem scheinbar einmütigen Ruf gegen die Zensur des Belagerungszustandes.

Die Genossen von der Arbeitsgemeinschaft sind gegen unsere Kritik bekanntlich empfindlich. Hieße es aber nicht, sich gegen die einfache Pflicht der Selbsterklärung in unseren Reihen versündigen, wenn man all diese Halbheiten ohne ein Wort schlichter Kritik hingehen lassen würde?

Noch einmal Finanzsperre und Organisationsstatut

Im „Vorwärts" vom 19. Mai unternimmt Otto Braun einen letzten verzweifelten Versuch, die staatsstreichlerische Drohung auf eigenmächtigen Ausschluss derjenigen Organisationen aus der Partei zu rechtfertigen, die dem Parteivorstand den Pflichtbeitrag sperren. Die Nichtzahlung der Beiträge ist nach Otto Braun diejenige Todsünde, die ohne Weiteres außerhalb der Partei stellt.

So hätte also Hervé recht, als er auf dem Stuttgarter Kongress die deutsche Partei eine Zahlungsmaschine nannte? Die Geldkasse wäre das Allerheiligste der deutschen Sozialdemokratie? So sagt ein Mitglied des Konventikels, das sich noch immer Vorstand der deutschen Sozialdemokratie nennt?

Wir aber fragen: Ist das Beitragszahlen wichtiger als die Befolgung des Parteiprogramms? Was macht die Partei zur Sozialdemokratie: ihre Kasse oder ihr Programm? Ist Geld wichtiger zum Kampf als die Innehaltung der Parteigrundsätze? Nein und abermals nein! Parteigrundsätze, der opferfreudige Kampf dafür sind unendlich wichtiger, sie sind die Seele, das Leben der Partei, sie allein sichern es, dass das Parteivermögen, das doch nur Mittel zum sozialdemokratischen Zweck sein darf, für den Sozialismus verwendet wird; sie, und nicht das Goldene Kalb der Parteikasse, sind die Partei. Steht der außerhalb der Partei, der die Beiträge weigert, so hundertmal mehr derjenige, der ihren Prinzipien die Anerkennung versagt, der ihr Programm auf dem Scheiterhaufen der imperialistischen Regierungspolitik verbrannt hat! Das kann nur bestreiten, wer keinen Hauch sozialistischen Geistes verspürt. Und so danken wir Otto Braun für sein ungleiches Plädoyer für die These, dass sich der Parteivorstand und die ihm gleiche Fraktionsmehrheit in Wirklichkeit außerhalb der Partei gestellt haben! Wie aber steht es mit der hier allein fraglichen Finanzsperre? Ist sie einer Unterlassung der Beitragszahlung durch einzelne Parteimitglieder gleichzustellen? Weit entfernt! Diese Unterlassung entzieht ja der Partei wirklich Geldmittel; ganz anders die Finanzsperre gegenüber dem Parteivorstand! Sie entzieht der Partei, wie haarklein nachgewiesen, keinen Pfennig; sie entzieht die Geldmittel nur den Abtrünnigen der Partei, um sie der Partei desto sicherer zuzuführen. Dies der ganze Sinn der Finanzsperre: jedem sozialdemokratischen Parteivorstand alle schuldigen Beiträge – diesem Parteivorstand der Scheidemann-Braun-Wels keinen Groschen. Das Geld der Proletarier soll vor Parteiverderben geschützt werden, damit es dem nächsten ordnungsgemäß einberufenen Parteitag zur Verfügung steht.

AUS DEM REICHE

Ein Sieg der Jugend in Braunschweig

Am 22. April ist im Bereich des X. Armeekorps vom kommandierenden General der Sparzwang für die arbeitende Jugend verfügt worden. Schon am darauffolgenden Tage nahmen die Gesamtfunktionäre der Braunschweiger Arbeiterjugend Stellung zu dem Erlass. An die Vertreter der Arbeiterorganisationen wurden sofort eine Protestresolution gegen den Sparzwang und an das Generalkommando ein formelles Protestschreiben gegen denselben abgesandt. Das energische und schlagfertige Verhalten der Jugendfunktionäre tat seine volle Wirkung. Am 1. Mai sollte der Sparzwang-Erlass in Kraft treten. Die Arbeiterjugend verschiedener Großbetriebe Braunschweigs feierte den Tag der internationalen Solidarität durch Arbeitsruhe. Die Maiversammlung, in der Schneider-Hannover referierte, stand im Zeichen der Erregung über die Provokation der Jugend durch den Erlass. Im Anschluss an die Maiversammlung wurde eine Nachtversammlung an der Schunterbrücke vor dem Querumerholz abgehalten. 500 Jugendliche nahmen daran teil.

Die Stimmung war großartig. Mit Begeisterung wurde beschlossen, für das gute Recht der Arbeiterjugend rücksichtslos zu kämpfen und die Sache durchzufechten. Am 2. Mai dehnt sich der bei der Maidemonstration begonnene Streik der Jugendlichen weiter aus. Im Olper Waldhaus findet eine Versammlung mit 800 Teilnehmern statt, in der bekanntgegeben wird, dass das Generalkommando teilweise zurückruft: Der Auslösungssatz ist von 16 Mk. auf 24 Mk erhöht. Unerschüttert durch diese Konzession, beschließen die Jugendlichen, im Kampfe auszuharren, und der Streik dehnt sich weiter aus. Einige Betriebe liegen still. Am 3. fand eine Versammlung auf der Chaussee am Mastbruch statt, zu der sich schon nahezu 1800 Teilnehmer, darunter 300 junge Mädchen, einfanden. Gleichzeitig brechen in der Innenstadt am Kartoffelmarkt Unruhen infolge der Kartoffelknappheit aus, wobei die üblichen Polizeiattacken zur Erbitterung der Stimmung beitragen. Die Behörden wenden sich an die Vertreter der Arbeiterorganisationen, um „Ruhe zu schaffen". Eine Deputation, bestehend aus den Genossen Wesemeier, Merges, Krosse, Christoph und Sachs, begibt sich nach Hannover, um mit dortigen Parteiführern Fühlung zu nehmen sowie dem Generalkommando die Forderungen der Jugend zu stellen. Das Kommando versucht noch ein Kompromiss: Aufhebung des Sparzwangs „ausgeschlossen", aber weitere „Milderung" zugesagt. Im Wilhelmsgarten wird eine große Versammlung abgehalten, in der die Erwachsenen den Jugendlichen empfehlen, die Arbeit wiederaufzunehmen. Die Jugend bleibt jedoch fest. Am 4. dehnt sich der Streik noch mehr aus. Bei AGK legen 120 Mädchen die Arbeit nieder. In der Stadt finden Ansammlungen und Scharmützel mit der Polizei statt. Am Abend wird die Polizei durch Militär abgelöst. Husaren reiten an verschiedenen Stellen Attacken, Infanterie haut mit Gewehrkolben ein. In der Sitzung des Gewerkschaftskartells mit den Vorständen wird ein Sympathiestreik der Erwachsenen erwogen. Am nächsten Tage, dem 5. Mai, zieht das Generalkommando den Sparerlass gänzlich zurück. Die Jugendlichen kehren, nachdem sie vollen Sieg errungen haben, zur Arbeit zurück.

Das ist ein klassisches Beispiel, wie Entschlossenheit, Mut, Geringschätzung für Kompromisse und Teilerfolge dazu führt, ganze Erfolge zu erringen. Von diesen Braunschweiger Jungen und Mädchen sollten die Jugendlichen allerorten, sollten aber auch unsere Erwachsenen lernen, wie man sich schlägt und wie man siegt. Hoffentlich lernt auch der Abgeordnete des Kreises etwas Konsequenz und Schneid von den Jugendlichen seiner Stadt. Unseren Freunden in Braunschweig ein kräftiges Bravo!

* Da von verschiedenen Seiten mehr oder weniger unrichtige Berichte (Homo. J. K.) bereits veröffentlicht worden sind, halten wir uns zu einer kurzen vertraulichen Darstellung verpflichtet.

1 Gemeint sind die Sozialrevolutionäre.

2 Siehe „Die Gegensätze …“ im Politischen Brief Nr. 15

3 Diese Konferenz fand am 31. Juli 1916 in Den Haag statt.

4 Am 2. August 1914 hatten Deutschland und die Türkei einen Bündnisvertrag unterzeichnet, durch den die türkische Armee völlig deutschem Befehl unterstellt wurde. Seit Januar 1916 verhandelten die beiden Staaten über eine Reihe von Verträgen (Konsularvertrag, Vertrag über Rechtsschutz und -hilfe, Auslieferungsvertrag und andere), die im April 1916 angeblich kurz vor der Unterzeichnung standen.

5 Siehe „Aus dem elendesten der Parlamente.“ im Politischen Brief Nr. 19

6 Gemeint ist der 11. Mai 1916, an dem vom Reichstag der Antrag auf Aussetzung des gegen Karl Liebknecht eingeleiteten Kriegsgerichtsverfahrens abgelehnt wurde.

7 Ledebour und Stadthagen schlugen in der Reichstagssitzung vom 12. Mai 1916 vor, um die Rednertribüne einen „Bannkreis" zu schaffen, den nur der Redner betreten dürfe. Damit sollte die Wiederholung solcher Vorfälle wie des gewalttätigen Vorgehens der chauvinistischen Abgeordneten gegen Karl Liebknecht in der Sitzung vom 8. April 1916 verhindert werden.

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