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Leo Trotzki und Julius Martow 19030900 Resolution über die nächsten Aufgaben des innerparteilichen Kampfes

Leo Trotzki und Julius Martow: Resolution über die nächsten Aufgaben des innerparteilichen Kampfes

(Angenommen in einer Konferenz von 17 Anhängern der Minderheit des 2. Parteitages, September 1903)

[„Briefe Р. B. Axelrods und J. O. Martows" Berlin 1924. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 6, Wien-Berlin 1930, S. 526-528]

In Anbetracht dessen, dass auf dem 2. Parteitag unserer Partei klar und – in einer Reihe von Fragen – siegreich die Tendenz zutage getreten ist, die frühere Taktik der „Iskra" schroff zu ändern und über den ideologisch-erzieherischen und ideologisch-organisatorischen Einfluss der Zeitung die juridisch festgelegte Macht der neuen Redaktion zu stellen;

in Anbetracht dessen, dass diese Tendenz in der Institution des in bestimmter Weise zusammengesetzten Parteirates verkörpert wird, der nur ein Vermittlungsapparat der administrativen Gewalt der neuen „Iskra"-Redaktion und ein Werkzeug für ihre Vormundschaft über das Zentralkomitee ist, wodurch dieses auf die Stufe eines einfachen technischen Apparates herabgesetzt wird;

in Anbetracht dessen, dass eine solche Handlungsmethode die Partei unvermeidlich in eine abgeschlossene, einseitig ausgewählte Zentralorganisation auf der einen und in eine breite, zersplitterte Masse der sozialdemokratischen Parteiarbeiter auf der anderen Seite spalten muss, wodurch die Idee der einheitlichen, kampffähigen, streng zentralisierten Partei selbst kompromittiert wird, –

halten wir es im Interesse der Aufrechterhaltung und Entwicklung der Einheit unserer Partei für notwendig, durch einen energischen prinzipiellen Kampf gegen die oben gekennzeichnete Tendenz eines verzerrten Zentralismus die öffentliche Meinung der Partei für den dritten Parteitag vorzubereiten.

In der weiteren Erwägung, dass ein systematischer ideologischer Kampf mit den Mitteln, die innerhalb der Partei angewandt zu werden pflegen, für uns jetzt undenkbar ist, weil der formale Sieg der Tendenz des „Belagerungszustandes", der seinen Niederschlag gefunden hat in einer bestimmten, künstlich ausgewählten personellen Zusammensetzung des Zentralkomitees, der Redaktion des Zentralorgans und folglich auch des Parteirates, nichts anderes bedeutet als die möglichst vollständige Beseitigung des innerparteilichen ideologischen Kampfes und seine Ersetzung durch administrative Maßnahmen, –

in der Erwägung, dass eine solche Organisation der höchsten Parteikörperschaften – wie es auf dem Parteitag formuliert wurde – angepasst wurde an die strenge Durchführung der Taktik des „Belagerungszustandes", dessen Auftakt der Bruch mit den literarischen und in der praktischen Arbeit stehenden Kräften war, die vor dem Parteitag eine führende Rolle gespielt haben und auf dem Parteitag gegen den neuen Kurs kämpften, deren nächste Methoden nur Ausschlüsse und Postenenthebungen sein können an Stelle der komplizierteren, aber einzig positiven Arbeit der systematischen organisatorischen und ideologischen Einwirkung, –

halten wir es für unsere moralische und politische Pflicht, mit organisierten Kräften einen praktisch-organisatorischen Kampf unter Anwendung aller Maßnahmen zu führen, die – ohne uns außerhalb der Partei zu stellen und ohne die Partei selber oder die Idee ihrer zentralen Körperschaften zu kompromittieren – uns helfen können, in naher Zukunft eine solche Änderung in der Zusammensetzung der höchsten Parteikörperschaften zu erzielen, die ihr die Möglichkeit sichern soll, frei an der ideologischen und organisatorischen Erziehung der Partei zu arbeiten.

I. Um das Ziel, das wir uns gesetzt haben, zu erreichen, müssen alle Mittel angewandt werden, die geeignet sind, ohne uns außerhalb der Partei zu stellen, unsere Einflusssphäre zu erweitern und unsere Ansichten den Parteimitgliedern zum Bewusstsein zu bringen.

II. Da eine der Ursachen, die den Triumph der desorganisierenden Tendenzen auf dem Parteitag bedingt haben, die Schwäche der Ortskomitees und der niedrige Grad des Bewusstseins ihrer Mitglieder ist, müssen wir die organisatorische Arbeit an den einzelnen Orten in unsere Hand nehmen und mit Hilfe der Ortsorganisationen die zentralen Parteikörperschaften zum Zwecke ihrer Umwandlung beeinflussen.

III. Die Mitglieder der Opposition, die in den Organisationen arbeiten, weigern sich, im Zentralkomitee Funktionen zu bekleiden, solange seine Zusammensetzung nicht den oben aufgewiesenen Änderungen unterworfen wird, die seine Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, diese Körperschaft zu einer wirklichen Führerin der Partei zu entwickeln, sichern könnten.

IV. Die Agitation auf dem Boden der Kritik an den Arbeiten des Parteitages muss sich folgende praktische Aufgaben stellen: 1. Beeinflussung der Komitees in dem Sinne, dass sie ihr ablehnendes Verhalten zur Politik des „Belagerungszustandes" und zu den praktischen Schritten, die sowohl der Parteitag als auch das Zentralkomitee und das Zentralorgan im Sinne dieser Politik unternommen haben, zum Ausdruck bringen; 2. Kampf gegen alle Tendenzen der zentralen Parteikörperschaften, die auf die Unterdrückung der Freiheit des Handelns oder der Meinung einzelner Mitglieder und Organisationen oder auf die Anwendung enger Zirkelprinzipien in der Organisation gerichtet sind; 3. Enthüllung der Arbeitsunfähigkeit der vom Parteitag geschaffenen Parteikörperschaften, soweit sie sich in ihrer Politik äußern wird, und Ausübung eines Druckes durch die Ortskomitees, um diese Körperschaften zur Änderung ihrer Zusammensetzung zu zwingen.

V. Was das Zentralorgan in seiner jetzigen Form anbelangt, so erklärt die Opposition ihm den Boykott, der in der Ablehnung jeder Mitarbeit, jeder Unterstützung in der Zustellung von Material usw. zum Ausdruck kommt.

Anmerkung. Dieser Boykott schließt nicht die Benutzung des Zentralorgans als offizielles Parteiorgan für die Veröffentlichung von Resolutionen, Briefen an die Redaktion, Widerlegungen usw. aus, ebenso wenig befreit er die Parteimitglieder von der Pflicht, der Redaktion des Zentralorgans alle an den einzelnen Orten erscheinenden Flugblätter, Berichte usw. zuzustellen.

VI. Der Boykott gegen das Zentralorgan wird erst dann aufgehoben, wenn der alte Redaktionsstab der „Iskra" wieder eingesetzt oder wenn das Zentralkomitee der früheren „Iskra"-Redaktion als einer besonderen Gruppe die Möglichkeit geben wird, die Aufgaben der Parteiliteratur zu erfüllen, denen die jetzige „Iskra"-Redaktion nicht gewachsen ist oder die sie vom Standpunkte der Politik des „Belagerungszustandes" ablehnt.

VII. Das Kollegium der früheren „Iskra"-Redakteure bildet eine literarische Gruppe, die sich an das Zentralkomitee wenden wird, um von diesem die Erlaubnis zu erlangen, selbständig Broschüren und Flugblätter zu allen Fragen der Agitation, der Propaganda und der Organisationsarbeit herauszugeben. Die Gruppe stellt sich zur besonderen Aufgabe: 1. die Bildung einer literarischen Zentralstelle, die – bis zur Eroberung der zentralen Parteikörperschaften oder einer Änderung in den jetzigen Verhältnissen – die „oppositionellen" Elemente in der Partei um sich gruppieren soll; 2. die Propaganda jener taktischen und organisatorischen Ideen, die die „Opposition" von der „Mehrheit" getrennt haben, und den literarischen Kampf gegen die Tendenz der „starken Faust" und des „Belagerungszustandes"; 3. Unterstützung der Agitationsarbeit der Ortsorganisationen durch entsprechende Verlagstätigkeit und durch Unterstützung der Komitees bei der Organisierung ihrer Presse.

VIII. Sollte das Zentralkomitee die Bildung einer solchen Gruppe nicht gestatten, so sucht sie einen Ausweg: a) in der Gründung einer literarischen Gruppe aus ihren Mitgliedern bei irgendeinem Ortskomitee; b) in der Versendung ihrer Schriften auf privatem Wege an die einzelnen Komitees, damit diese sie an ihrem Ort herausgeben; c) in der Herausgabe ihrer Schriften ohne Parteifirma.

IX. Sollten die zentralen Parteikörperschaften durch eine willkürliche und offensichtlich widerrechtliche Auslegung ihrer Rechte uns – gegen unseren Willen – in eine illegale Lage in der Partei bringen, so wird die Opposition gegen die Taktik der zentralen Körperschaften offen protestieren, sie wird sich weigern, rechtswidrigen Beschlüssen Folge zu leisten und, an den nächsten Parteitag appellierend, ihre Arbeit fortsetzen.

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