Der Bauer rebelliert

Der Bauer rebelliert

Die entscheidenden Ereignisse der Revolution spielten sich in den Städten ab. Aber auch das Dorf schwieg nicht. Es begann sich laut zu regen – ungeschlacht, torkelnd, wie in der Schlaftrunkenheit; aber schon bei seinen ersten Bewegungen stiegen den herrschenden Klassen die Haare zu Berge.

In den letzten zwei bis drei Jahren vor der Revolution hatte sich das Verhältnis zwischen den Bauern und den Gutsbesitzern aufs Äußerste zugespitzt. Die „Missverständnisse" flackerten bald hier bald dort in ununterbrochener Reihenfolge auf. Seit dem Frühjahr 1905 wächst die Gärung auf dem Lande zu drohenden Dimensionen an, wobei sie in verschiedenen Teilen des Landes sich in verschiedenen Formen äußert. In groben Strichen lassen sich drei große Becken der bäuerlichen „Revolution" unterscheiden: 1. Der sich durch die bedeutende Entwicklung der bearbeitenden Industrie auszeichnende Norden; 2. der an Ackerland verhältnismäßig reiche Südwesten, und 3. das Zentrum, wo infolge des kümmerlichen Standes der Industrie die Landnot von den Bauern noch schwerer empfunden wird. Ihrerseits arbeitete die Bauernbewegung vier Haupttypen des Kampfes aus: Die mit der gleichzeitigen Vertreibung der Eigentümer und der Plünderung der Gutshöfe verbundene Besetzung der Gutsländereien zu dem Zwecke der Ausdehnung der bäuerlichen Landnutznießung; die Wegnahme des Getreides, Viehs, Heus und die Abholzung der Forsten zwecks unmittelbarer Befriedigung der Bedürfnisse des hungernden Dorfes; die Streik- und Boykottbewegung, die entweder die Herabsetzung des Pachtzinses oder die Erhöhung des Arbeitslohnes zum Ziel hatte; und endlich die Weigerung, Rekruten zu stellen und die Steuern, ebenso wie die Schulden, zu entrichten. In den mannigfaltigsten Kombinationen verbreiteten sich diese Kampfarten über das ganze Land, in jeweiliger Anpassung an die wirtschaftlichen Bedingungen der einzelnen Rayons. Am stürmischsten gestaltete sich die Bauernbewegung in dem verelendeten Zentrum, über das die Agrarpogrome wie ein verheerender Zyklon hinwegbrausten. Im Süden griff man hauptsächlich zu dem Streik und dem Boykott der Gutsökonomien. Und im Norden endlich, wo die Bewegung am schwächsten war, stand die Abholzung der Wäldereien an erster Stelle. Die Weigerung der Bauern, die Administrativbehörden anzuerkennen und die Abgaben zu leisten, konnte man überall dort bemerken, wo die ökonomische Empörung einen radikalen politischen Anstrich erhielt. Den breiten Massencharakter nahm die Bewegung jedenfalls erst nach dem Oktoberstreik an.

Nun wollen wir zusehen, wie der Bauer seine Revolution macht.

Im Gouvernement Samara wurden vier Kreise von den Unruhen erfasst. Zum Anfang ging es folgendermaßen zu: Die Bauern erschienen in den Privatökonomien und nahmen von dort nur Viehfutter mit; dabei stellten sie ganz genau fest, wie viel Stück Vieh das Gut besaß, und ließen das entsprechende Quantum zu seiner Durchfütterung zurück. Der Rest wurde auf eigenen Fuhren fortgeschafft. Man handelte in aller Ruhe, ohne Anwendung von Gewalt, „wie es das Gewissen fordert", und suchte gütlich auseinander zu kommen, „damit es keinen Skandal gäbe". Dem Besitzer wurde bedeutet, dass jetzt neue Zeiten angebrochen seien und man daher auf neue Art, Gott zu Gefallen, leben müsse: wer viel habe, müsse denen abgeben, die nichts haben. … Später erschienen einzelne Gruppen von „Bevollmächtigten" auf den Eisenbahnstationen, wo größere Vorräte von Getreide lagerten. Man erkundigt sich, wem das Getreide gehöre, und erklärt, dass man es auf Beschluss des „Mir" mitnehmen werde. „Aber, Brüderchen, wie könnt Ihr es denn mitnehmen?" ruft der Stationschef, „ich muss doch dafür aufkommen … Nehmt doch auch auf mich Rücksicht!" – „Freilich, freilich", Pflichten ihm die furchtbaren „Erpropriatoren" bei, „warum sollst Du wirklich durch uns Schaden leiden? Es ist nämlich nur, weil uns die Sache so sehr bequem ist: die Station ist nahe, und auf das Gut wollten wir nicht fahren, das liegt so weit. … Na, da ist aber nichts zu machen. … So müssen wir schon zu ,ihm selbst', um es direkt aus dem Speicher zu nehmen. …" Das auf den Stationen lagernde Getreide bleibt unberührt, in den Ökonomien aber wird eine gerechte Teilung vorgenommen. Schließlich aber beginnen die Vorstellungen von den „neuen Zeiten" einen Teil ihrer Überzeugungskraft einzubüßen: Der Gutsbesitzer fasst sich ein Herz und leistet Widerstand. Dann wird der gutmütige Muschik wild und lässt von dem Gutshof keinen Stein auf dem andern.

Im Gouvernement Cherson ziehen die Bauern von Gut zu Gut in gewaltigen Scharen, mit zahlreichen Wagen, um die „geteilte" Habe heimzubringen. Fälle von Mord oder Gewalt waren nicht zu verzeichnen, denn die erschreckten Gutsbesitzer und Verwalter laufen von dannen, auf die erste Forderung der Bauern alle Riegel und Schlösser öffnend. In demselben Gouvernement wird ein energischer Kampf um Herabsetzung des Pachtzinses geführt. Die Preise werden von den Bauerngemeinden selbst bestimmt – unter Wahrung der „Gerechtigkeit". Nur das Besjukow-Kloster musste 15.000 Desjatinen vollkommen unentgeltlich abtreten, denn die Mönche sollen, wie die Bauern meinten, zu Gott beten und nicht Landwucher treiben.

Die stürmischsten Ereignisse aber sah Ende 1905 das Gouvernement Saratow. In den Dörfern, die in die Bewegung hineingezogen waren, gab es keinen einzigen passiven Bauern. Alles hatte sich erhoben. Die Gutsbesitzer und ihre Familien werden entfernt, alle bewegliche Habe gelangt zur Verteilung, das Vieh wird fort getrieben, die Knechte und das Hausgesinde werden entlassen und zum Schluss wird der rote Hahn aufs Dach gesetzt. An der Spitze der bäuerlichen „Kolonnen" stehen bewaffnete Druschinen. Die Urjadniks und die Landwächter verbergen sich, in manchen Ortschaften werden sie von den Druschinen verhaftet. Durch die Niederbrennung der Gutsgebäude sollte den Gutsbesitzern die Möglichkeit genommen werden, nach Ablauf einiger Zeit an die alte Wohnstätte zurückzukehren. Gewalttaten jedoch werden nicht zugelassen. Wenn die Ökonomie dem Erdboden gleichgemacht ist, setzen die Bauern durch Beschluss fest, dass vom Frühjahr an die Gutsländereien in den Besitz des „Mir" übergehen. Alle in den Gutskontors und Monopolbranntweinläden beschlagnahmten Geldsummen werden unverzüglich in Gemeindeeigentum umgewandelt. Die Verteilung der expropriierten Habe liegt in den Händen der örtlichen Bauernkomitees oder Bruderschaften Bei der Plünderung der Gutshöfe spielen die individuellen Beziehungen zwischen den Bauern und den Gutsherren fast keine Rolle: man plündert ebenso gut Reaktionäre wie Liberale. Die politischen Schattierungen werden durch die Welle des Standeshasses fortgespült. … In Schutt und Asche liegen die Höfe der örtlichen liberalen Semtzi, bis aus den Grund niedergebrannt sind die Erbpaläste des Landadels mit ihren kostbaren Bibliotheken und Bildergalerien. In einigen Kreisen lassen sich die unversehrt gebliebenen Gutshöfe an den Fingern abzählen. Das Bild dieses Bauernkreuzzuges ist überall das nämliche. „Es beginnt", so schreibt einer der Zeitungskorrespondenten, „eine die ganze Nacht hindurch anhaltende Beleuchtung des Firmaments durch den Schein der Feuersbrünste. Ein fürchterliches Bild – vom frühen Morgen an steht man in endlosen Reihen Troikas und Zweispänner vorbei rasen, voll mit Menschen, die aus den brennenden Gütern flüchten, und sobald es dunkel geworden ist, kleidet sich der Horizont von neuem wie in einen flammenden Halsschmuck aus Feuerscheinen. Wir hatten Nächte, wo man bis zu sechzehn Feuerscheine zählen konnte.… Die Gutsbesitzer fliehen in panischem Schrecken, alles auf ihrem Wege ansteckend."

In kurzer Zeit wurden im Lande über 2000 Gutshöfe niedergebrannt und zerstört, darunter 272 allein in dem Gouvernement Saratow. Die Verluste der Gutsbesitzer in zehn der am meisten in Mitleidenschaft gezogenen Gouvernements werden nach den offiziellen Angaben auf 29 Millionen Rubel beziffert, wovon allein auf das Gouvernement Saratow etwa 10 Millionen entfallen.

Wenn überhaupt der Satz zutrifft, dass es nicht die politische Ideologie sei, die den Gang des Klassenkampfes bestimme, so trifft er dreifach in Bezug auf die Bauernschaft zu. Der Saratower Muschik musste schon gewichtige Gründe im Bereiche seines Hofs, seiner Tenne und seines Dorfes haben, wenn er dazu getrieben wurde, den brennenden Strohwisch unter das adlige Dach zu stecken. Es wäre nichtsdestoweniger falsch, wenn man hier die Wirkung der politischen Agitation vollkommen in Abrede stellen wollte. Wie unklar und chaotisch der Bauernaufstand auch gewesen sein mag, immerhin lassen sich bereits in ihm unzweifelhafte Ansätze zu politischer Verallgemeinerung konstatieren. Und diese Ansätze sind das Resultat der Arbeit der Parteien.

Im Laufe des Jahres 1905 unternahmen selbst die liberalen Semtzi Versuche, um die Bauern in oppositionellem Geiste aufzuklären. An verschiedenen Semstwo-Institutionen wurde eine halboffizielle Bauernvertretung eingeführt, der man Fragen allgemeinen Charakters zur Beurteilung zuwies. Ungleich tätiger, als die zensierten Liberalen, waren die Semstwoangestellten: die Statistiker, die Lehrer, die Agronomen, die Feldschererinnen usw. Ein beträchtlicher Teil dieser Leute gehörte zu den Sozialdemokraten und den Sozialrevolutionären, die Mehrheit bestand aus Radikalen, die zwar keine bestimmte Parteiphysiognomie besaßen, jedenfalls aber den Privatgrundbesitz nicht als sakrosankte Einrichtung ansahen. Durch diese Semstwoangestellten organisierten die Parteien im Verlaufe von mehreren Jahren unter den Bauern revolutionäre Zirkel und verbreiteten ihre illegalen Schriften. Im Jahre 1905 nahm die Agitation Massencharakter an und konnte ihre unterirdischen Schlupfwinkel verlassen. Große Dienste in dieser Beziehung leistete der absurde Ukas vom 3. März, der eine Art von Petitionsrecht schuf. Gestützt auf dieses Recht, oder richtiger: auf die Verwirrung, die durch den Ukas bei den örtlichen Behörden angestiftet wurde, riefen die Agitatoren Dorfversammlungen ein und veranlassten sie, Resolutionen über Abschaffung des Privatgrundbesitzes und Einberufung einer Volksvertretung anzunehmen. Die Bauern, die die Resolution unterzeichnet hatten, hielten sich an vielen Orten für Mitglieder des „Bauernbundes" und wählten aus der eigenen Mitte Komitees, die nicht selten die legale Dorfbehörde vollkommen kaltstellten. So war es zum Beispiel unter der Kosakenbevölkerung des Don-Gebiets., In den Stanitzi (Kosakenansiedlungen) kamen 600–700 Personen zusammen. „Ein seltsam anmutendes Auditorium", schreibt einer der Agitatoren. Am Tische der Ataman (Vorsteher eines Kosakendorfs) in voller Bewaffnung. Ringsherum stehen und sitzen Leute mit und ohne Waffe. Wir sind sonst gewohnt, diese Leute als die nicht ganz angenehme Apotheose aller Meetings und Versammlungen zu sehen. Und seltsam muten uns diese Augen an, in denen allmählich der Zorn gegen die Herren und Beamten auflodert. Welch unglaublicher Unterschied besteht doch zwischen dem Kosaken unter der Fahne und dem Kosaken am Pfluge!" Die Agitatoren wurden mit Begeisterung empfangen und begleitet, man fuhr viele Werst, um sie abzuholen, und schützte sie sorgsam vor Überrumpelungen durch die Polizei. Aber die Vorstellung von ihrer Rolle war in vielen entlegenen Winkeln recht unklar. „Schönen Dank den guten Leuten", sagte manches Bäuerlein, nachdem es seinen Namen unter die Resolution gesetzt, „die werden uns schon Ländchen besorgen."

Im Monat August trat unweit Moskau die erste Bauernkonferenz zusammen. Über 100 Vertreter von 22 Gouvernements tagten 48 Stunden in einem alten geräumigen Schuppen, der abseits von der großen Straße versteckt lag. Aus dieser Konferenz wurde die Idee des Allrussischen Bauernbundes, die viele Bauern und Intelligente mit und ohne Parteizugehörigkeit vereinigte, zum ersten Male in eine gewisse Form gebracht.

Das Manifest vom 30. Oktober schuf noch größeren Spielraum für die Agitation aus dem Lande. Selbst der sehr gemäßigte nun verstorbene Graf Heyden von dem Pskower Semstwo begann in den Wolosten Meetings zu veranstalten, um den Bauern die Grundlagen der „neuen Ordnung" näher zum Verständnis zu bringen. Diese brachten zunächst seiner Agitation nur wenig Interesse entgegen, kamen aber dann allmählich in Schwung und empfanden das Bedürfnis, von den Worten zu der Tat überzugehen. Für den Anfang wurde beschlossen, den Wald zu „streiken". Das Wort „Streiker" gewann bei den Bauern und überhaupt allen Nichtintelligenten dieselbe Bedeutung wie das Wort „Revolutionär". „Streiken" heißt irgend ein revolutionäres Werk ausführen. „Den Isprawnik gestreikt“ ist gleichbedeutend mit: den Isprawnik verhaftet oder umgebracht. Diese eigentümliche Wortverwendung zeugt indes von dem gewaltigen revolutionären Einfluss der Arbeiter und ihrer Kampfmethoden. – Man kann sich vorstellen, wie da der liberale Graf Augen machte! … Wahrend aber die zensierten Liberalen bei ihren Versuchen, eine Harmonie zwischen den Ständen auf der Grundlage des zarischen Manifests herbeizuführen, sich gehörig die Finger verbrannten, hatte dagegen die revolutionäre Intelligenz einen ganz gewaltigen Erfolg zu verzeichnen. In den Gouvernements wurden Bauernkonferenzen abgehalten, es wurde fieberhaft agitiert, die Städte schleuderten in das Dorf Berge von revolutionärer Literatur, der Bauernbund wuchs und erstarkte. In dem fernen Gouvernement Wjatka fand eine Bauernkonferenz statt, an der 200 Personen teilnahmen. Drei Kompanien des örtlichen Regiments sandten Delegierte mit dem Ausdruck ihrer Sympathie und dem Versprechen ihres Beistands. Die gleiche Erklärung gaben auch die Vertreter der Arbeiter ab. Da die Behörden vollkommen ratlos waren, gelang es, ihnen die Genehmigung zur unbehinderten Abhaltung von Meetings in den Städten und den Dörfern abzuzwingen. Etwa zwei Wochen hindurch wurde in dem ganzen Gouvernement von der so gewährten Genehmigung der denkbar ausgiebigste Gebrauch gemacht. Der Beschluss der Konferenz, keine Abgaben mehr zu entrichten, wurde energisch verwirklicht. … Bei aller Formverschiedenheit führte die Bauernbewegung in dem ganzen Lande zu Massenaktionen. In den Grenzländern nahm sie von vornherein einen schroff revolutionären Charakter an. So wurden in Litauen auf Beschluss der Wilnaer Konferenz, die über 2000 Bevollmächtigte zählte, die Wolostschreiber, Dorfschulzen, Volksschullehrer auf revolutionärem Wege abgesetzt, die Semski-Natschalniks vertrieben und Wahlgerichte und Wolostexekutivkomitees eingesetzt. … Von noch größerer Entschiedenheit war das Vorgehen der georgischen Bauernschaft im Kaukasus.

Am 19. November trat in Moskau die zweite Konferenz des Bauernbundes in voller Öffentlichkeit zusammen. 27 Gouvernements waren durch 187 Delegierte vertreten. 105 von ihnen brachten Vollmachten von Wolost- und Gemeindeversammlungen, die übrigen – von Gouvernements- und Kreiskomitees und den örtlichen Gruppen des „Bundes". Der Zusammensetzung nach gehörten 145 dem Bauernstande an, der Rest rekrutierte sich aus der dem Dorfe nahestehenden Intelligenz: Volksschullehrern und -lehrerinnen, Semstwoangestellten, Ärzten, usw. In psychologischer Beziehung war diese Konferenz eine der interessantesten der ganzen Revolution. Hier konnte man nicht wenig malerische Figuren sehen, die naiven Demagogen der Provinz, plötzliche Revolutionäre, Politiker, die zu allem durch „eigenen Verstand“ gelangt waren – Leute mit großem Temperament und noch größeren Hoffnungen, jedoch ohne genügende Klarheit in den Köpfen. Ein paar Silhouetten aus der Feder eines der Teilnehmer an der Konferenz mögen hier Platz finden. Der „Diktator" von Sumy, Anton Schtscherbak, hochgewachsen, mit grauem Haar, kurzem Schnurrbart und durchdringendem Blick, eine echte Kosakenfigur aus den „Saporoschtzi" Rjepins, direkt wie von der Leinwand gegriffen. Schtscherbak nennt sich jedoch „Farmer beider Halbkugeln", denn er hat 20 Jahre in Amerika gelebt und in Kalifornien eine hübsche Farm und eine russische Familie besessen. … Der Priester Miretzki, Delegierter vom Gouvernement Woronesch, legte fünf WoIostbeschlüsse vor. In einer seiner Reden bezeichnete Pater Miretzki Christus als den ersten Sozialisten. „Wenn Christus auf Erden wandelte, so wäre er jetzt in unserer Mitte." … Zwei Bäuerinnen, in Kattunblusen, wollenen Kopftüchern und Schuhen aus Ziegenleder, erschienen als Delegierte von der Frauenversammlung eines Dorfes in demselben Gouvernement Woronesch.… Kapitän Pereleschin kam als Delegierter von den Heimarbeitern gleichfalls im Gouvernement Woronesch Er erschien zur Sitzung im Waffenrock und Säbel und erregte nicht geringe Unruhe. Jemand aus dem Publikum rief sogar, „Nieder mit der Polizei!" Darauf erhob sich der Offizier und sagte unter allgemeinem Beifall, „Ich bin der Kapitän Pereleschin, Delegierter vom Gouvernement Woronesch. Ich habe niemals meine Überzeugung verheimlicht und stets vollkommen offen gehandelt. Daher bin ich auch hierher in der Uniform gekommen."…

Im Mittelpunkt der Erörterungen standen die Fragen der Taktik. Die einen Delegierten befürworteten den friedlichen Kampf: Meetings, Beschlüsse, „friedlichen" Boykott der Behörden, Schaffung einer revolutionären Selbstverwaltung, „friedliche" (!) Beackerung der Gutsländereien und „friedliche" (!) Weigerung, die Steuern zu zahlen und Rekruten zu stellen. Die anderen – besonders die vom Gouvernement Saratow – riefen zu dem bewaffneten Kampfe auf, zu der unverzüglichen Unterstützung des an den Orten ausgebrochenen Aufstands. Schließlich wurde eine Resolution angenommen, die die Mitte zwischen beiden Richtungen hielt. „Dem aus der Landnot entspringenden Elend des Volks" – so lautete diese Resolution – „kann nur dann ein Ende gemacht werden, wenn das ganze Land in den gemeinsamen Besitz des ganzen Volkes übergeht, mit der Bedingung, dass nur demjenigen die Nutznießung von Land zustehen soll, der es selbst mit seiner Familie oder in Genossenschaft bearbeitet." Im weiteren wird die gerechte Regulierung der Bodenfrage der konstituierenden Versammlung übertragen, die aus den allerdemokratischsten Anfängen „nicht später (!) als im Februar des kommenden Jahres" einberufen werden soll. Um dieses Ziel zu erreichen, „wird der Bauernbund sich ins Einverständnis setzen mit den Brüder Arbeitern, mit den Eisenbahn- und andern Verbänden, ebenso wie mit allen Organisationen,

die die Interessen des werktätigen Volkes vertreten. … Falls die Forderungen des Volkes kein Gehör finden, wird der Bauernbund zu dem allgemeinen Bodenstreik (!) greifen, das heißt, den Besitzern von Wirtschaftsbetrieben jeglicher Gattung die Arbeitskraft verweigern und eben dadurch sie zur Einstellung des Betriebes zwingen. Um aber den allgemeinen Streik zu organisieren, wird der Bund sich mit der Arbeiterklasse ins Einverständnis setzen." Nachdem noch der Beschluss der völligen Alkoholabstinenz ausgesprochen wird, erklärt die Konferenz am Schluss der Resolution „auf Grund der von allen Enden Russlands eintreffenden Nachrichten, dass die Nichterfüllung der Volksforderungen unser Land zu großen Unruhen bringen und unvermeidlich einen allgemeinen Aufstand hervorrufen werde, denn das Maß der Geduld der Bauernschaft sei zum Überlaufen voll." Wie naiv auch diese Resolution in einigen ihren Teilen sein mag, jedenfalls zeigt sie, dass die fortschrittliche Bauernschaft sich auf den richtigen, das heißt revolutionären Weg stellte. Das Gespenst der Enteignung der Gutsbesitzerländereien stieg in den Sitzungen dieses Bauernparlaments in seiner ganzen grausamen Realität vor den Augen der Regierung und des Adels auf. Die Reaktion schlug gewaltigen Lärm und sie hatte auch wirklich allen Grund dazu.

Am 16. November, das heißt wenige Tage vor dem Zusammentritt der Konferenz, veröffentlichte die Regierung ein Manifest über die allmächtige Aufhebung der Zahlungen für den Loskauf der Anteilgrundstücke und die Erweiterung der Mittel der Bauernbank. Das Manifest sprach die Hoffnung aus, dass es der Regierung im Verein mit der Duma gelingen werde, den dringenden Bedürfnissen der Bauernschaft abzuhelfen, „ohne dass die übrigen Grundbesitzer dabei benachteiligt würden." Die Resolution der Bauernkonferenz stand in schlechtem Einklang mit diesen Hoffnungen. Noch schlimmer stand jedoch die Sache mit der Praxis, die von der „Unserm Herzen lieben Bauernschaft" auf dem Lande geübt wurde. Die Plünderungen und Brandstiftungen, die „friedliche" Beackerung der Latifundien nebst der eigenmächtigen Festsetzung des Arbeitslohnes und des Pachtzinses hatten zur Folge, dass die Gutsbesitzer nun mit der größten Erbitterung auf die Regierung einstürmten. Von allen Ecken und Enden forderte man die Sendung von Militär. Die Regierung musste sich endlich aufraffen, denn sie hatte begriffen, dass die Zeit der sentimentalen Ergüsse vorüber sei und es nunmehr gelte, zu „Taten" überzugehen.

Am 25. November wurde die Bauernkonferenz geschlossen und schon am 27. wurde das Moskauer Büro des „Bundes" verhaftet. Das war der Anfang. Zwei, drei Wochen später erteilte der Minister des Innern auf die Anfrage der örtlichen Behörden, wie man den Agrarunruhen steuern siehe, folgende wörtlich lautende Instruktion: „Unverzüglich mit Waffengewalt die Rebellen vernichten – in Fällen des Widerstands ihre Wohnungen niederbrennen. Im gegenwärtigen Augenblicke muss ein- für allemal jede Eigenmächtigkeit ausgerottet werden. Verhaftungen erreichen ihr Ziel nicht; Hunderten und Tausenden von Menschen den Prozess zu machen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Daher ist jetzt einzig und allein erforderlich, dass die Truppen sich die obigen Instruktionen gehörig zu eigen machen.

P. Durnowo.“

Aber dieser kannibalische Befehl eröffnet bereits eine neue Ära: die der höllischen Saturnalien der Konterrevolution, die sich zunächst in den Städten entrollt, um von hier aus allmählich auch auf das platte Land hinüber zu greifen.

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