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Leo Trotzki 19171227 Bericht auf der ZEK-Sitzung über den Fortschritt der Friedensverhandlungen

Leo Trotzki: Bericht auf der ZEK-Sitzung über den

Fortschritt der Friedensverhandlungen

(14. Dezember 1917)

[„Protokoll der Sitzungen der ZEK der zweiten Einberufung", S. 137-140. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Trotzki kann seine Rede wegen der stehenden Ovation lange nicht anfangen. Schließlich beruhigt sich die Sitzung und Genosse Trotzki geht zu seinem Bericht über.

Er erinnert in allgemeiner Form an den Inhalt der Antwort der deutschen und alliierten Delegationen und erinnert daran, dass der deutsche Kanzler Bethmann-Hollweg im letzten Jahr erklärt hatte, dass die Grundlage für Friedensverhandlungen die Karte des Krieges sein sollte. Wir, die internationalistischen Sozialisten, waren zutiefst davon überzeugt, dass nicht nur diese Karte in den Händen der Geschichte war, sondern auch viele andere kommen würden. Unsere Hoffnungen waren berechtigt. Die deutsche Delegation und die Delegationen aller mit Deutschland verbündeten Länder verzichten gegenwärtig darauf, die Karte des Krieges zu benutzen, und damit erklärt der deutsche und der mit ihm verbundene Imperialismus, dass diese Karte nicht sticht. Dies geschah natürlich nicht durch eine idealistische Entwicklung in den Köpfen der preußischen Generale und der deutschen Junker, die jetzt die Macht innehaben. Zum Faktor militärischer Erfolge und militärischer Misserfolge, auf deren Grundlage der deutsche Imperialismus im vergangenen Jahr den Sieg hinausposaunte, sind heute die Faktoren der wirtschaftlichen Zerrüttung, der allgemeinen Hungersnot und der daraus resultierenden sozialen Unzufriedenheit und des sozialen Kampfes hinzugetreten. Und diese Karten im historischen Spiel spielten genau die Rolle, die wir vorhergesagt hatten. Sie schufen einen Zusammenbruch nationalistischer Erwartungen. Sie verstärkten auch den sozialistischen Einfluss auf das Proletariat, das zu Beginn des Krieges noch nicht die katastrophale Wirkung dieses nationalistischen Giftes überwinden konnte, das die Bourgeoisie mit Hilfe des in ihren Händen befindlichen Presseapparates in seine Seele goss. Der Bankrott des Imperialismus – auch im rein militärischen Sinne, weil dreieinhalb Jahre des Krieges zeigten, dass ein von den Imperialisten gewünschter entscheidender Sieg nicht erreicht werden kann und wird – hat dazu geführt, dass die Revolution im Weltmaßstab sich Tag für Tag vertieft und in Russland bereits siegreich geworden ist. Diese grundlegenden Karten, Karten des äußeren Krieges einerseits und eine Karte des inneren Kampfes andererseits, werden dieses schreckliche Spiel entscheiden, das die imperialistische Bourgeoisie mit so krimineller Frivolität begann.

Und es ist die deutsche Bourgeoisie, die in ihrem Raub die nüchternste und realistischste Abteilung des internationalen Kapitals ist, die die zu offensichtliche Veränderung in der Korrelation der wirkenden Kräfte der Geschichte nicht ignorieren konnte und ihre erste und größte befestigte Position räumen musste. Sie erklärte, sie sei bereit, das besetzte Nordfrankreich, Belgien, Rumänien, Serbien, Polen, Litauen und Kurland freizugeben, und sei bereit, diesen Völkern das Recht auf uneingeschränkte und unbegrenzte Selbstbestimmung zu gewähren. Hier wird die Bedingung, die vom Sowjetkongress der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten diktiert wurde, voll akzeptiert. Aber in Bezug auf jene Raubtaten, die vor Dutzenden von Jahren begangen wurden und die unseres Erachtens Raubtaten bleiben, hat Deutschland bis heute eine andere Meinung. Die deutsche, die türkische, die österreichische und die bulgarische Bourgeoisie haben bereits beschlossen, das zurückzugeben, was sie während dieses Krieges erobert haben, aber sie schlagen vor, von ihnen nicht die Aufhebung der Ergebnisse jener Raubtaten zu fordern, die sie in früheren Zeiten der Weltgeschichte begangen haben. Selbst unsere Feinde, die bis vor kurzem vorausgesagt hatten, dass die deutsche Diplomatie nicht einmal mit uns sprechen würde, und die sogenannte „Union", die uns den Krieg erklärte, sehen selbst im deutschen Vorschlag den enormen und für sie völlig unerwarteten Erfolg unserer Politik.

Wir stehen weiterhin auf der Grundlage unserer Forderungen nach voller Selbstbestimmung der Nationalitäten und der Korrektur aller bis zur jetzigen Zeit begangenen historischen Ungerechtigkeiten. Nur derjenige gibt nach, der das mehr oder weniger Vorteilhafte in seiner Kombination von Umständen berücksichtigt. Wir missachten alle günstigen und ungünstigen Bedingungen unserer Lage und stehen ausschließlich auf der Grundlage unserer Prinzipien. Da sich die Prinzipien nicht ändern, ändern sich auch die Forderungen nicht, die sich aus ihnen ergeben. Und die Tatsache, dass wir nicht verhandeln, dass wir die Wahrheit bis zum Ende und nur die Wahrheit verteidigen, macht uns zur stärksten aller Parteien, die teilnehmen und bei den bevorstehenden Friedensverhandlungen mitmachen müssen. Der erste Schritt, als das unbesiegbare Deutschland bei seinem ersten diplomatischen Turnier sich von seinen exponierten Positionen zurückziehen musste, bestätigt die Richtigkeit unserer Positionen, denn auf unserer Seite ist die Wahrheit und auf ihrer die Stärke des preußischen Militarismus. Und selbst wenn die Frage sich nur auf der Ebene der physischen Kraft stellen würde, auch dann könnte Deutschland nicht so sicher auf seinen Forderungen beharren wie wir. Es sollte berücksichtigen, dass es nur ein Glied – allerdings das Stärkste – in der Kette des Bundes der Mittelmächte ist, zu dem Österreich, die Türkei und Bulgarien gehören; und da die Festigkeit einer Kette nicht an der Stärke ihres stärksten, sondern ihres schwächsten Kettenglieds gemessen wird, musste sich Deutschland wohl oder übel seinen halb besiegen Kriegsverbündeten anpassen. Und jetzt muss es nicht nur unserer Wahrheit nachgeben, sondern auch den Schwächen Österreichs, der Türkei und Bulgariens, seinem eigenen wirtschaftlichen Ruin und der Gefahr einer Revolution, die das Wesen des bürgerlichen Systems bedroht. Wir verstanden das, als wir unmittelbar nach dem 25. Oktober nach dem Siege der russischen Revolution die Politik der Feigheit und Schlaffheit beendeten, die unser großes Land in ein elendes Anhängsel des imperialistischen Westens verwandelte. Seit dem Moment, als wir unseren Verbündeten die Raubabkommen der zaristischen Regierung mit ihnen ins Gesicht geworfen und gezeigt haben, dass es für uns nur einen ungeschriebenen, aber heiligen Vertrag gibt, den Vertrag der internationalen Solidarität des Proletariats, haben wir mit dieser Taktik, dieser Politik vor der uns unsere „Freunde“ abrieten, indem sie uns rieten, uns an Experten des Völkerrechts zu wenden, so wie wir uns jetzt an Bankfachleute wenden sollen, der russischen Revolution eine enorme Anziehungskraft verliehen, die immer stärker und stärker die proletarischen Massen im Westen in ihren Bann zieht. Die politische Macht der Bourgeoisie ist dort immer noch stark, und vor allem die psychologische Kraft bürgerlicher Verleumdungen und Lügen, deren Quelle die Presse unter der ungeteilten Herrschaft der Bourgeoisie ist, aber sie wissen bereits, dass die russische Revolution gewonnen hat und dass Deutschland diesen Sieg bereits anerkannt hat.

Nun gibt es zwei Plattformen, auf denen Friedensverhandlungen möglich sind: sowohl unsere, die die Beendigung sowohl des jetzigen Raubes als auch des Raubes aus der Vergangenheit fordert, als auch die deutsche, die nur zustimmt aufzugeben, was während des letzten Krieges geraubt wurde. Unsere Verbündeten müssen diese oder jene Plattform übernehmen oder ihre eigene vorbringen. Wenn sie sich uns anschließen, wenn England Irland das Selbstbestimmungsrecht gewährt, wenn der Schützling der französischen Bourgeoisie Clemenceau sich bereit erklärt, Madagaskar und Panama das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren, werden wir sie von ganzem Herzen willkommen heißen und dem Weg eines vereinigten solidarischen Kampfes um die Selbstbestimmung dieser Völker und um die Selbstbestimmung Elsass-Lothringens, des deutschen und österreichischen Polen usw. usf. folgen. Unsere Position ist prinzipientreu, und daher ist sie die höchste und edelste. Für sie – für die ganze bürgerliche Diplomatie – sind diese Verhandlungen eine Anklagebank und ein hochnotpeinliches Verhör. Wir sehen, dass die deutsche Delegation ihre Lage bereits erkannt hat und versucht, ihre Verbrechen in der Vergangenheit durch demokratische Ausdrucksweise in der Gegenwart zu verschleiern. Aber wir reißen ihr gnadenlos die Maske herunter. Wir werden der ganzen Welt ihre politische Erbärmlichkeit demonstrieren, wie wir die amerikanische, britische und französische Bourgeoisie endlich dazu zwingen werden, ihre wirklichen Ziele und Absichten zu enthüllen. Und es gibt bereits Symptome, dass unsere Taktik, die Taktik des Erweckens der internationalen Solidarität des Proletariats, bereits einen großen Einfluss auf es hat.

Trotzki verliest das letzte Telegramm aus Frankreich über die Gewerkschaftskonferenz der französischen Arbeiter und sagt abschließend, dass der gesamten imperialistischen Bourgeoisie eine Zehn-Tage-Frist zum Nachdenken eingeräumt worden ist. Während dieser zehn Tage wird die Bourgeoisie unter starkem Druck von unten stehen, und es ist möglich, dass dieser Druck groß genug sein wird, um sie dazu zu zwingen, sich uns anzuschließen. Wir haben uns entschieden, unabhängig von dieser oder jener Handlung auf ihrer Seite die Friedensverhandlungen in zehn Tagen wieder aufzunehmen.

(Genosse Awilow stellt dem Genossen Trotzki eine Frage nach der Stelle der deutschen Antwort, wonach die Vierbundmächte keine einseitige Verpflichtung übernehmen können, ohne dass die russischen Alliierten die Bedingungen des Friedensvertrags anerkennen und an der Friedensverhandlungen teilnehmen.)

Mir wird die Frage gestellt, wie man diesen Teil der deutschen Antwort versteht, wo gesagt wird, dass Deutschland nur dann seine Verpflichtungen anerkennt, wenn alle mit Russland verbündeten Länder an den Verhandlungen teilnehmen. Diese Stelle erlaubt keine zwei Interpretationen. Das bedeutet, dass die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber unseren Verbündeten, wenn Russland einen eigenen Frieden mit Deutschland eingeht, sich nicht auf seinen künftigen Frieden mit ihnen erstrecken.

Deutschland bietet eine bestimmte Abmachung an. Aber hier ist es mit einem geladenen Revolver in Bezug auf jene Feinde bewaffnet, die sich nicht bereit erklären, an allgemeinen Friedensverhandlungen teilzunehmen. Natürlich wird Deutschland versuchen, seine Verpflichtungen zu verfälschen, aber die Aufgabe der revolutionären Demokratie wird die ständige Entlarvung dieser Fälschung sein. Die deutsche Diplomatie kann uns zur Zeit jedoch nicht sagen: Wenn Frankreich nicht an den Verhandlungen teilnimmt, werden wir Kurland und Litauen nicht Russland geben; eine solche Drohung wird Deutschland uns nicht machen. Das deutsche Programm läuft im Wesentlichen auf die Wiederherstellung der alten Vorkriegslage hinaus. Dies ist die größte Selbstverurteilung des Imperialismus und Militarismus, die nach 42 Kriegsmonaten nichts anderes bieten können, als zum Alten zurückzukehren. Die alliierten Regierungen sind auch nicht in der Lage, ein anderes Friedensprogramm anzubieten. Eine elende und beschämende Verwirrung herrscht in den Regierungen, die mit uns alliiert sind. Im größten historischen Moment finden sie nichts Besseres, als zu entscheiden, ob die Sowjetregierung ihre diplomatischen Kuriere über England nach Italien schicken kann. Die Geschichte wird diese schändliche Tat auf ihren Seiten sowie den beschämenden Stab der unbeteiligten1 französischen und amerikanischen Imperialisten bei Kaledin aufzeichnen, der ein bisschen wie ihre vorherigen Stäbe sein wird. Wir erhielten eine Nachricht, dass sich die ukrainischen Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten in Charkow versammelt hatten und sich zur zentralen revolutionären ukrainischen Macht erklärten. Zur gleichen Zeit findet unter den Kosaken ein vollständiger Zerfall statt. Die Konzentration unserer Kräfte an der Kaledin-Front geht weiter. In den kommenden Tagen werden wir den Sieg über die Konterrevolution erleben.

1 Ironische Anspielung auf die Versicherungen der amerikanischen und französischen Militärmissionen, dass ihre Angehörigen, die sich bei den konterrevolutionären Stäben befanden, nur Beobachter seien und sich nicht in die inneren Konflikte Russlands einmischen würden. [Der Übersetzer]

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