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Leo Trotzki 19170923 Rede bei der ZEK-Sitzung zur Entsendung einer Delegation nach Finnland

Leo Trotzki: Rede bei der ZEK-Sitzung zur Entsendung einer Delegation nach Finnland

(10./23. September)

[„Rabotschij Put" Nr. 8, 12./25. September 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 1. Москва-Ленинград, 1924]

Sie schicken eine Delegation nach Finnland1, um dort in den Garnisonen Ordnung zu schaffen, und ich wurde als Kandidat für die Kommission benannt. Ich halte es für notwendig, dieses Problem vor Ihnen anzusprechen, nicht nur in meinem eigenen Namen, sondern auch im Namen unserer Partei.

Es kann keinen Zweifel daran geben, was wir für notwendig halten, der Selbstjustiz entgegenzuwirken. Und das Zentralkomitee unserer Partei wird sofort eine genügend maßgebliche Person nach Finnland schicken, um gemeinsam mit anderen Vertretern unserer Partei in Finnland mit allen unserer Partei zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Tötung von Offizieren zu kämpfen.

Aber gleichzeitig halte ich es für notwendig zu sagen, dass aus grundsätzliches Gründen weder ich noch andere Mitglieder unserer Partei an Ihrer gewählten Delegation teilnehmen können.

Zunächst lehnen wir die Form der Zusammenarbeit mit der Regierung, die Zereteli so fest verteidigt hat, entschieden ab. Die Regierung betreibt vollständig unabhängig von den revolutionären Organisationen eine grundsätzlich falsche, volksfeindliche und unkontrollierte Politik, und wenn diese Politik in die Sackgasse oder zu einer Katastrophe führt, wird den revolutionären Organisationen die Drecksarbeit zugewiesen, die unvermeidlichen Folgen der Schwankungs- und Willkürpolitik zu beseitigen. Wir glauben, dass diese Form der „Zusammenarbeit" der revolutionären Demokratie unwürdig ist; die Demokratie kann und muss nur in dem Fall alle Folgen der Regierungspolitik auf sich nehmen, wenn die Regierung selbst von der Demokratie geschaffen wird und ihr verantwortlich ist.

Die Anomalie und Falschheit des Verhältnisses zwischen Macht und revolutionären Organisationen offenbart sich in diesem Fall besonders deutlich.

Admiral Werderewskij, der zu uns wegen Unterstützung kam, wurde vor kurzem vor Gericht gestellt. Gemeinsam mit ihm wurden im selben Fall Matrosen arretiert. Aber während der Admiral Minister wurde, bleiben die verhafteten Matrosen nach Artikel 108 im Arrest, während Dybenko, der Vorsitzende des Komitees der Baltischen Flotte, im Kresty sitzt. Welche Vorstellung von offizieller Gerechtigkeit kann man bei solchen Tatsachen unter den Matrosen haben? Was für eine Glaubwürdigkeit hat die derzeitigen Regierung? Und welches Recht haben wir, mit Vertretern der jetzigen Regierung Hand in Hand zu gehen und Verantwortung für sie vor den Massen zu tragen?

Sehen Sie weiter. Sie wollen, dass Vertreter unserer Partei sich angesichts ihres großen Einflusses in der Flotte Ihrer Delegation anschließen. Eine der Aufgaben dieser Delegation ist, wie Sie es formulieren, die Untersuchung der „dunklen Kräfte", d. h. „Provokateure und Spione", in den Garnisonen. Natürlich, wenn es Provokateure und Spione gibt, sollten sie sofort gefangen und eliminiert werden. Aber Sie scheinen sozusagen die Augen davor zu schließen, dass die Agenten derselben Regierung, zu deren Hilfe Sie jetzt unsere Partei aufrufen, gegen die Führer und Arbeiter dieser Partei die niederträchtigsten Anschuldigungen gegen diese Partei erhoben haben – Hochverrat, Bündnis mit dem deutschen Kaiser, Arbeit zum Wohle des deutschen Imperialismus. Oder denken Sie, das sei eine Kleinigkeit, eine zufällige Episode?

Sie wollen, dass ich an einer Delegation teilnehme, die Admiral Werderewskij helfen wird, deutsche Agenten zu fangen, um sie nach Artikel 108 zu belangen. Aber haben Sie wirklich vergessen, dass gegen mich selbst nach Artikel 108 ermittelt wird? Die Matrosen können mir ebenso sehr vertrauen, wie sie der Provisorischen Regierung nicht vertrauen. Sie werden jetzt verstehen, warum unsere Partei nicht mit dem Ermittler Alexandrow, mit der Helsingforser und Petersburger Gegenspionage bei der Schaffung von „Ordnung" und „Legalität" in der baltischen Flotte zusammenarbeiten kann.

Im Kampf gegen Selbstjustiz gehen wir unsere eigenen Wege. Wir betrachten diese spontane Selbstjustiz aus der Sicht der revolutionären Selbsterhaltung der Soldaten- und Matrosenmassen als zutiefst schädlich, desorganisierend und demoralisierend. Dieser Kampf führen wir nicht Hand in Hand mit den Staatsanwälten und Agenten der Gegenspionage, sondern als revolutionäre Partei, die überzeugt, organisiert und erzieht.

1 Die Frage der Entsendung einer ZEK-Delegation nach Helsingfors entstand im Zusammenhang mit den folgenden Ereignissen: Die Kornilowsache erzeugte in der revolutionären Flotte einen beispiellosen Hass auf die Offiziere. In Wyborg, Abo und anderen Städten gab es Selbstjustiz von Matrosen gegen die verhasstesten Offiziere. Die Intervention der Marineorganisationen stoppte diese Selbstjustiz. Aber da die Lage angespannt blieb, warf der Marineminister Werderewskij diese Frage auf dem Treffen des ZEK auf. Die sozialrevolutionär-menschewistischen Führer versuchten, die Bolschewiki gegen die Matrosen zu benutzen, indem sie Bolschewiki in die Delegation (bestehend aus 5 Mitgliedern – 3 aus der ZEK und 2 aus dem Exekutivkomitee der Bauerndeputierten), einbeziehen wollten. Die Antwort auf diesen Versuch war die Rede des Genossen Trotzki. Natürlich waren unserer Partei jene rein liberalen Ansichten über die Klassenbestrafung von Feudalherren-Offizieren durch Matrosen, die für die Sozialrevolutionäre, Menschewiki oder für Menschen wie Suchanow (siehe z. B. Buch VII, S. 18f.) charakteristisch waren, fremd.

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