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Leo Trotzki 19171210 Rede in der Reithalle des Grenadierregiments über die Pressefreiheit

Leo Trotzki: Rede in der Reithalle des Grenadierregiments über

die Pressefreiheit

(27. November)

[„Prawda“ Nr. 202, 30. November/13. Dezember 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Einer der Hauptvorwürfe gegen uns aus dem Munde der Bourgeoisie, ihrer Journalisten, ihrer Politiker und ihrer Redner ist unsere Politik gegenüber der bürgerlichen Presse. Sie sagen, dass wir Erwürger der Freiheit des Wortes seien. Diese Anschuldigung macht die Herzen der sogenannten demokratischen Intelligenz weich, das heißt oberflächlicher Spießer, die nicht gewohnt sind und nicht wissen, wie man in das Wesen der Sache hineinsieht, sondern auf der Oberfläche dahingleiten. Pressefreiheit! Was verstehen die Anwälte der Bourgeoisie unter diesem Wort? Das gleiche wie unter der Handelsfreiheit. Jeder, der über Kapital verfügt, hat das Recht, denn er hat die Möglichkeit, eine Fabrik, ein Geschäft, ein Bordell oder eine Zeitung zu eröffnen – je nachdem, in welcher Richtung sein persönlicher Geschmack liegt. Wenn er eine Zeitung herausgibt, macht er einen Gewinn. Dies ist seine Pressefreiheit. Aber genießen Millionen von Bauern, Arbeiter, Soldaten und Armen allgemein diese Pressefreiheit? Nein. Ihnen fehlt die Grundbedingung der Freiheit: die Möglichkeit – die tatsächliche, reale Möglichkeit – der Herausgabe von Zeitungen. Sie haben keine Druckerei, kein Papier, kein Geld. Infolgedessen ist die bürgerliche Pressefreiheit das Monopol des Kapitalisten, die Ideen der Kapitalistenklasse zu verbreiten, das Volksbewusstsein zu vergiften und das Volksgewissen mit dem Abfall des bürgerlichen Denkens zu verschmutzen. Die bürgerliche Pressefreiheit ist für die werktätigen Volksmassen gleichbedeutend mit der servilen Verwendung der bürgerlichen Zeitungsblätter für ihre Lügen, Heuchelei, Verleumdung, Chauvinismus, Hetze ... Wo beginnt die Pressefreiheit für die Massen? Sie beginnt mit dem Moment, wo die Volksmassen materielle Druckwerkzeuge zur Verfügung haben, wenn Schriftsetzmaschinen und Druckmaschinen zusammen mit Papiervorräten in ihre Hände gelangen. Wir, die Sowjetregierung, betrachten die Frage der Pressefreiheit so, dass wir uns verpflichtet fühlen, vor allem den bürgerlichen Klassen das Monopol der Druckmittel zu entreißen und diese Mittel zur Verfügung des gesamten Volkes auf der Grundlage der ungefähren Verhältnismäßigkeit zu übertragen. Dies bedeutet, dass alle privaten Druckereien und Papiervorräte offengelegt und zu öffentlichem Eigentum erklärt werden müssen und die Bürger in der Lage sein werden, die Druckmittel in dem Verhältnis zu verwenden, das der tatsächlichen Macht einzelner Klassen, einzelner Parteien und einzelner Ideenrichtungen entspricht.

Eine der mächtigsten Zeitungen, die wir hatten, war „Nowoje Wremja“. Wodurch? Nicht, weil hinter „Nowoje Wremja" eine starke Volksströmung stand. Im Gegenteil, bei all den Wahlen, die während der Revolution vor unseren Augen stattfanden, kannten und sahen wir nicht die „Nowoje Wremja"-Partei. Aber weil Suworin, der Vater, jahrzehntelang fette Geschenke aus öffentlichen Mitteln erhalten hatte, erbten die Suworin-Söhne eine mächtige Maschine für Lügen und Verleumdungen und verlangten, dass ihnen das Recht eingeräumt werden sollte, das ununterbrochene Laufen dieser Maschine zu gewährleisten. Das bedeutet Pressefreiheit für sie. Und selbst Leute wie Gorki oder Korolenko, die zweifellos ehrlich sind, aber von den kleinlichen und vulgären Vorurteilen des Kleinbürgertums durchdrungen sind, sind bereit, ihre Tränen über die Gewalt gegen die Pressefreiheit zu vergießen.

Ein mächtiges Instrument in den Händen der kapitalistischen Presse ist die Anzeige, die im Grunde genommen nichts mit dem Zeitungsgeschäft zu tun hat, sondern als Mittel dient, um die Bevölkerung im Interesse der Monopolisten – der Presse – zu besteuern. Die Befreiung des Zeitungsgeschäfts von der absoluten Diktatur des Kapitals sollte mit der Monopolisierung der Zeitungsanzeigen beginnen. Diese Anzeigen sind eine Art Steuer, und das Recht, Steuern zu erheben, muss ganz und ungeteilt in die Hände des Staates und anderer Machtorgane, d.h. der Sowjets, übertragen werden. Nur Sowjetveröffentlichungen haben nach dem Dekret des Rates der Volkskommissare das Recht, bezahlte Anzeigen anzunehmen, deren Einnahmen jetzt ausschließlich die Volkskasse auffüllen sollten. Damit sind die kapitalistischen Journalisten überhaupt nicht einverstanden. Sie sehen in diesem neuen Gesetz eine Verletzung ihrer kapitalistischen Persönlichkeitsrechte. Sie weinen über die Verletzung aller Freiheiten, die Verletzung der göttlichen und menschlichen Gesetze. Wenn als Reaktion auf eine Verletzung des Dekrets über das Anzeigenmonopol die Rote Garde oder die Matrosen ihre Zeitungen schließen, wie vom Dekret gefordert, erscheinen die Gorkis, die Korolenkos sofort auf der Bühne und erheben Klagerufe über die Verletzung der Freiheit des Wortes. Alle diese Beschwerden, Anschuldigungen und Verleumdungen berühren jedoch nicht die Herzen der breiten Arbeiter-, Bauern- und Soldatenmassen. Das ist keineswegs deshalb so, weil diese Massen plump wären oder ihnen die erhabene Haltung der bürgerlichen Intellektuellen zur Pressefreiheit unbegreiflich wäre, sondern weil die zum geistigen Leben, zu ihren hohen Interessen erweckten arbeitenden Massen mit zehnfachen Stärke fühlen, welche schrecklichen Entbehrungen ihnen das kapitalistische Presseregime zumutet. Hätte die Bourgeoisie bei der Verteilung der Zeitungsressourcen nur den Anteil, der ihrer Größe entspricht, so würde die überwältigende Mehrheit der gegenwärtigen Publikationen sofort in die Hände des Volkes übergehen. Und das würde einem wirklich hohen Begriff der Pressefreiheit entsprechen. Ein solches Regime zu schaffen, stellt unsere Aufgabe dar.

Natürlich ist es nicht einfach durchzusetzen. Die Bourgeoisie, die besitzenden Klassen, geben nicht ohne Kampf ab, was in ihren Händen ist. Sie wissen, was für eine mächtige Waffe die Presse ist. Sie haben einen beträchtlichen Stab von Zeitungsleuten beiderlei Geschlechts zu ihrer Verfügung, die beim Kämpfen für die Pressefreiheit für ihre Einkommensquelle und die Quelle ihrer billigen Popularität kämpfen. Alle diese Menschen kämpfen mit allen Mitteln gegen unsere Politik bezüglich der Pressefreiheit; sie lassen nicht dem Dekret gehorchend die Anzeigen aus den Händen, sie lügen, verleumden, jammern, fluchen ... Unser Kampf gegen die bürgerlichen Zeitungsleute, gegen die Monopolisten der Druckerzeugnisse erscheint auf der Spießerstraße als Kampf gegen die Freiheit des Wortes, aber die wirklichen Volksmassen, die Millionen, auf die sich die Sowjets und die Sowjetmacht stützen, verstehen es vollkommen, dass die Sache um die Eroberung der ersten elementaren Bedingungen für eine echte Volkspressefreiheit geht. Jede Druckerei, die durch Volksarbeit geschaffen und vom Kapital dem Volk gestohlen wurde, jede Druckerei, die wir den Händen der Bourgeoisie entreißen und an den Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten übergeben, ist ein Stein im Gebäude der echten Pressefreiheit. Trotz aller Verleumdung und aller Opposition werden wir diese Arbeit vollenden, und anstelle jener Zeitungsbordelle, die jetzt im Namen der Profite durch die Macht des Kapitals geschaffen werden, werden echten Organe des freien menschlichen Denkens geschaffen werden.

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