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Leo Trotzki 19171124 Wie Geheimverträge lauten

Leo Trotzki: Wie Geheimverträge lauten1

[„Prawda“ Nr. 187, 12./25. November 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Nur ein kleiner Teil der Dokumente, die die Geheimabkommen der Kapitalisten verbergen, wurde bereits veröffentlicht. Vieles und vieles wird veröffentlicht werden, wenn die Geheimarchive des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten gesichtet werden, in denen Beweisstücke gegen die imperialistische Diplomatie vorhanden sind, die natürlich nie eine Veröffentlichung erwartete, die niemals mit dem Sieg der proletarischen Revolution rechnete.

Der von der russischen Bourgeoisie und ihren „Verbündeten" umrissene Raubplan ist in seinen Hauptmerkmalen entlarvt. „England" und „Frankreich" haben sich das Recht gegeben, „frei", d.h. nach eigenem Ermessen, die Westgrenzen Deutschlands und Österreichs zu bestimmen und im Gegenzug für diesen Raub gaben sie das gleiche Recht „Russland", nach eigenem Ermessen die Ostgrenzen Österreichs und Deutschlands festzulegen. „Eine Hand wäscht die andere" ist das erste Prinzip (Regel) der Politik des imperialistischen Raubes.

Dies ist nicht auf das Projekt der Annexionen in Europa beschränkt. „Russland", d.h. Sasonow und Tereschtschenko, wurde bekanntlich wegen der Annexion Konstantinopels getadelt. Aber es ergibt sich aus Verträgen, dass nicht nur Konstantinopel, sondern die gesamte europäische Türkei der russischen Bourgeoisie hätte zukommen sollen. Die Vereinbarung über den Balkan ist noch nicht veröffentlicht worden, aber aus der heute veröffentlichten „Auskunft" über die russisch-rumänischen Beziehungen wird die Erpressungspolitik der rumänischen Regierung, die Gebiete mit einer rein slawischen Bevölkerung umfasst, ebenso deutlich wie die Politik der Täuschung, die die russische Diplomatie im „günstigen" Moment umsetzen wollte und die gegen die mit Rumänien abgeschlossene Vereinbarung verstieß. Die umfangreichsten Raubpläne betreffen jedoch die asiatische Türkei. Der ganze gegenwärtige Krieg ist weitgehend ein Krieg für die Aufteilung des „türkischen Erbes", für die „Umteilung" türkischer Länder zwischen Banken, Industriellen und Kaufleuten der mächtigsten kapitalistischen Mächte. Gemäß der Vereinbarung, die wir heute veröffentlichen, unterliegt die asiatische Türkei der Verteilung an alle „Verbündeten".

Von der Türkei bliebe nur einen „Schwanz" übrig – ein kleines Gebiet, das auf allen Seiten von den Besitzungen der Glückspilze umgeben ist, die sich auf ihre Kosten gesundstoßen. Vergleichsweise wenig erhalten Italien und Griechenland. Einen recht großen Batzen empfängt Frankreich in Form der syrischen Küste und von Land nördlich der Mittelmeerküste. Diese Frankreich überlassene Region trifft auf die Region, die Russland überlassen wird und die einen Teil der Schwarzmeerküste (westlich von Trapezunt [Trepzon]) und südlich von ihr liegende Gebiete umfasst. An die französischen und russischen Gebiete schmiegt sich im Osten ein englisches Gebiet an, ein sich verengender Streifen, der sich bis zum Persischen Golf erstreckt und mit Bagdad ganz Mesopotamien umfasst. Zusätzlich zu diesen drei großen Stücken des türkischen Kuchens, die offen an die jeweiligen „Mächte" verteilt werden, sieht die Vereinbarung die Bildung einer „unabhängigen" arabischen Föderation vor, der jedoch der Aufteilung in „Einflusszonen" unterliegt.

Einflusszone" ist ein diplomatischer Terminus, und in gewöhnlicher Sprache bedeutet er Herrschaftsbereich. Die arabische „unabhängige" Föderation, die vorher in „Herrschaftsbereiche" unterteilt wurde, wäre natürlich nur von den Arabern „unabhängig" und ganz abhängig von den Bossen des internationalen Kapitals.

Neben der Einigung über die Teilung der Türkei zwischen „Russland" und „England" gab es auch eine Einigung über die Teilung Persiens, die dem persischen Volk jeden Schatten unabhängiger Existenz entzöge.

Das Volk Russlands kann nicht Plünderung und Gewalt gegen andere Völker anstreben. Die Bauern, die neun Zehntel der Armee ausmachen, brauchen kein türkisches und persisches Land. Das Land, nach dem die Bauern streben, ist Gutsbesitzerland, zu dem man nicht weit gehen muss.

Der Losung „Frieden ohne Annexionen und Kontributionen" wird von Arbeitern und Bauern ehrlich akzeptiert, wird von der Arbeiter- und Bauernregierung ehrlich akzeptiert.

Aber diese Losung war für die russische Bourgeoisie grundsätzlich inakzeptabel. Miljukow und Tereschtschenko, nicht weniger als Sasonow, führten den bewaffneten Konflikt fort und verteidigten die Geheimverträge, unter die die blutige Hand des letzten Romanows betrügerisch den Namen Russlands setzte!

1 „Wie Geheimverträge lauten" war ein einleitender Artikel (ohne Unterschrift) zu zwei veröffentlichten Dokumenten der Geheimabteilung des Außenministeriums. Das erste Dokument befasste sich mit russisch-rumänischen Beziehungen. In der Auskunft zu diesen Beziehungen heißt es, dass Rumänien, das zu Beginn des Krieges eine neutrale Position einnahm, zunächst einmal von den kriegführenden Ländern profitieren und gleichzeitig an der Teilung Österreichs teilnehmen wollte. In der Frage der Durchführung schwankte es ständig abhängig vom Verlauf der Militäroperationen. Die Offensive von General Brusilow im Frühjahr und Sommer 1916 veranlasste Rumänien, sich auf die Seite der Ententemächte zu stellen. Im August 1916 wurde mit Rumänien ein militärisch-politisches Abkommen geschlossen, das große Landzuwächse (Bukowina, Banat, Siebenbürgen) enthielt. Die Auskunft beweist, dass eine Niederlage Rumäniens nicht den Interessen Russlands widerspräche, denn wenn die militärisch-politische Einigung durchgesetzt würde, würde ein starker Staat auf dem Balkan entstehen, der Russland kaum freundlich gegenüberstehen würde, sich bemühen würde, seine nationalen Bestrebungen in Bessarabien durchzuführen und unter dem politischen Einfluss Italiens und Frankreichs dem Einfluss Russlands auf dem Balkan entgegenwirken würde. Es wird ferner darauf hingewiesen, dass die Ereignisse in Rumänien (die Niederlage der rumänischen Truppen) die Bedingungen des Vertrags geändert hätten und daher das Versprechen an Rumäniens auf eine Landbelohnung überprüft werden sollte.

Das zweite Dokument ist ein Geheimtelegramm des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten an den Pariser Geschäftsträger vom 12./25. September 1917, unterzeichnet von Tereschtschenko. Es besagt, dass die Kleinasien-Vereinbarung nicht getrennt von der Vereinbarung über Konstantinopel und die Meerengen gesehen werden könne und dass die Zustimmung Russlands zu einer Kleinasien-Vereinbarung von der Vereinbarung zwischen Frankreich und England über Konstantinopel und die Meerengen abhänge.

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