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Leo Trotzki 19181225 Brief an das Zentralkomitee der Russischen Kommunistischen Partei

Leo Trotzki: Brief an das Zentralkomitee der

Russischen Kommunistischen Partei

[Kopie. Geheim. Wahrheitsgetreue Kopie. (Ordner „Parteikorrespondenz für 1919", Teil II. S. 9-10) Eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der englischen Übersetzung]

[25] Dezember 1918

An das Zentralkomitee der Russischen Kommunistischen Partei.

Werte Genossen,

Die Unzufriedenheit der bekannten Parteielemente mit der allgemeinen Politik der Militärabteilung wurde in einem Artikel des Mitglieds des ZEK, des Genossen A. Kamenski, in Nr. 281 des Zentralorgans unserer Partei „Prawda“ zum Ausdruck gebracht. Der Artikel enthält eine pauschale Verurteilung des Einsatzes von Militärspezialisten als „Nikolausscher1 Konterrevolutionäre" und so weiter. Ich glaube, dass es in höchstem Maße unangebracht ist, solche Charakterisierungen für diejenigen Personen zu verwenden, die von der Sowjetmacht2 auf verantwortliche Posten berufen werden. Die Frage muss entweder einzeln oder in Parteiverfahren3 gelöst werden, und nicht auf dem Wege pauschaler Anschuldigungen, die die Atmosphäre in den jeweiligen Militärinstitutionen vergiften und sich in einer schädlichen Wirkung auf die Arbeit widerspiegeln. Aber außerdem sind in dem Artikel schwerste Anschuldigungen vorhanden, die gegen mich gerichtet sind, obwohl ich im Artikel nicht direkt erwähnt werde. So wird mitgeteilt, dass für die Flucht von sieben Offizieren an der Ostfront „fast zwei unserer besten Genossen Saluzki und Bakaj (anscheinend Bakajew), wie es auch mit Pantelejew war, erschossen wurden, und nur die Standhaftigkeit des Genossen Smilga ihr Leben rettete. Weiter wird gesprochen von der Hinrichtung der besten Genossen ohne Prozess. Der Zentralkomitee hat seinerzeit beiläufig eine Mitteilung über den vermeintlichen Versuch der Erschießung Saluzkis und Bakajews gehört. Die Sache war tatsächlich so. Nachdem ich aus dritter Hand, insbesondere aus Zeitungen, über den Verrat mehrerer Offiziere im Bestand4 der dritten Armee erfahren habe, berief ich mich auf einen früheren Befehl, kraft dessen Kommissare verpflichtet sind, die Familien von Offiziere zu erfassen und verantwortliche Posten zu übernehmen, wenn es die Möglichkeit von Verrat gibt, die Familie zu ergreifen. Ich schickte ein Telegramm an die Genossen Laschewitsch und Smilga, die ihre Aufmerksamkeit auf die desertierten Offiziere lenkte und das völlige Fehlen von Berichten in dieser Frage von Seiten der entsprechenden Kommissare, die weder überwachen noch bestrafen können, und beendete das Telegramm mit einer Phrase in dem Sinne, dass Kommissare, die Weißgardisten entwischen ließen, erschossen werden sollten. Natürlich war dies kein Befehl, Saluzki und Bakajew zu erschießen (ich wusste überhaupt nicht, welche Kommissare an der Spitze der Division standen, zumal die Rede nicht von Kommissaren von Divisionen, sondern kleineren Einheiten war), aber ich hatte genügend Grund zu der Annahme, dass Smilga und Laschewitsch nur diejenigen vor Ort erschießen würden, die zu erschießen waren. Der Vorfall hatte keinerlei ernste Folgen, außer vielleicht, dass Laschewitsch und Smilga in überspitzt-offiziellem Ton erklärten, dass, wenn sie als schlechte Kommissare betrachtet würden, sie dann abgesetzt werden sollten, worauf ich zur Antwort telegraphierte, dass es bessere Kommissare als Laschewitsch und Smilga bei uns in der Armee im Allgemeinen nicht gebe, und sie bat, nicht zu kokettieren.

Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, dass aus dieser telegrafischen Korrespondenz die Legende entstehen könnte, dass nur Smilgas Standhaftigkeit die beiden besten Genossen vor der von mir diktierten Hinrichtung rettete, „wie bei Pantelejew". Pantelejew wurde vom Gericht5 erschossen, und das Gericht wurde von mir nicht für Pantelejew einberufen – ich kannte seine Anwesenheit unter den Deserteuren nicht, ich kannte seinen Namen nicht –, das Gericht wurde für die auf einem Dampfschiff gefangenen Deserteure einberufen, und das Gericht erschoss Pantelejew mit den anderen. Es gab keinerlei weitere Erschießungen von Kommissaren, die mit meiner zumindest indirekten Beteiligung stattfanden, soweit ich mich erinnere. Solche Erschießungen fanden jedoch in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen statt, in denen unter den Kommissaren Banditen, Säufer, Verräter usw. waren.

Ich habe noch nie von einem einzigen Fall gehört, in dem irgendeine autoritative Institution in der Sache einer illegalen Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren eines Genossen initiativ wurde, wenn man nicht die Erklärung des Westlichen Regionalkomitees der Partei zum gleichen Fall Pantelejews mitzählt.

In Anbetracht dessen bitte ich das Zentralkomitee:

1) zur allgemein Information zu erklären, ob die Politik der Militärabteilung meine persönliche Politik, die Politik einer Gruppe oder die Politik unserer Partei als Ganzer ist;

2) im Angesicht der öffentlichen Meinung der gesamten Partei die Gründe zu ermitteln, die der Genosse Kamenski für die Behauptung der Hinrichtung der besten Genossen ohne Prozess hatte;

3) die Redaktion des Zentralorgans darauf hinzuweisen, dass es absolut inakzeptabel ist, Artikel zu drucken, die nicht eine Kritik an der allgemeinen Politik der Abteilung oder sogar der Partei enthalten, sondern schwerwiegende Anschuldigungen von Handlungen schwerwiegender Art (Erschießen der besten Genossen ohne Gericht) ohne vorherige Anfrage bei den Parteiinstitutionen über die Begründetheit dieser Anschuldigungen, denn es ist klar, dass, wenn die Anschuldigungen überhaupt begründet wären, sich die Sache nicht auf Parteipolemik beschränken könnte, sondern Gegenstand eines parteigerichtlichen Verfahrens hätte sein sollen.

Trotzki

1In der englischen Übersetzung: „zaristischer“

2In der englischen Übersetzung: „Sowjetregime“

3In der englischen Übersetzung: „durch Parteiaktion“

4In der englischen Übersetzung: „auf der Stärke“

5In der englischen Übersetzung: „gemäß dem Gerichtsurteil“

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