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Leo Trotzki 19180723 Die Offiziersfrage

Leo Trotzki: Die Offiziersfrage

[„Iswestija WZEK", 23. Juli 1918, eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Советская Республика и капиталистический мир. Часть I. Первоначальный период организации сил. Л. Троцкий. Сочинения. Том 17, часть 1. Москва-Ленинград, 1926, verglichen mit der englischen Übersetzung]

Ziemlich oft hören wir, dass ehemalige Offiziere nicht zur Armee gehen, weil sie nicht am Bürgerkrieg teilnehmen wollen. Die Offiziere wollen „außerhalb der Politik“ stehen.

Und wie haben die Offiziere in der alten Armee gedient? Nur Dummköpfe können ernsthaft glauben, dass die zaristische Armee „außerhalb der Politik" stand. Die alte Armee war vom politischen Geist des Byzantinismus durchdrungen, d.h. der Knechtschaft und Unterwürfigkeit gegenüber der Monarchie. Feinde der zaristischen Selbstherrschaft galten offiziell als Feinde der Armee. Die Hymne war eine: „Gott schütze den Zaren"; Die Idee dieser Hymne prägte auch die Ausbildung der Offiziere und das Soldaten„schrifttum". War das nicht Politik? Wo, wann und welche Armee stand außerhalb der Politik? Mögen es uns die Neunmalklugen sagen, wir werden zuhören!

Außerdem! die alte Armee war doch das Werkzeug der Stärkung der zaristischen Selbstherrschaft. Das letzte Jahrzehnt des selbstherrschaftlichen Regimes war eine Zeit der ständigen Unruhe und Gärung. Gab es viele reguläre Einheiten und folglich auch Offiziere, die nicht direkt oder indirekt an der Bändigung und Unterdrückung beteiligt waren? In dieser Hinsicht könnte man einige notwendige Informationen in einigen Archiven zu sammeln. Die Offiziere der zaristischen Armee führten einen Bürgerkrieg gegen die Arbeiter und Bauern. Damals wurde es jedoch noch nicht als Bürgerkrieg bezeichnet. Aber für die Arbeiter und Bauern, die erschossen wurden, machte es das nicht leichter.

Man kann natürlich sagen: Das alles war früher, aber jetzt wollen die Offiziere nicht am politischen Kampf teilnehmen. Mit anderen Worten, gerade die Offiziere, die am Bürgerkrieg auf der Seite des Zaren, der Gutsherren und Kapitalisten, die das Land regierten, teilgenommen haben, wollen nicht am Bürgerkrieg auf der Seite der Arbeiter und Bauern teilnehmen, die jetzt regieren. Das ist eine andere Sache. Aber dann muss man es sagen: Mit den Gewalttätern und den Reichen haben wir gegen das Volk gekämpft, aber mit den Arbeiter und Bauern gegen die Gewalttäter kämpfen wollen wir nicht! Es gibt keinen Grund, von einem Abscheu vor dem Bürgerkrieg zu sprechen, wir müssen aber von einem Abscheu vor dem Kampf der Arbeiter und Bauern für die vollständige Emanzipation der Werktätigen sprechen. Das wird genauer sein.

Andere werden natürlich sagen: Es gibt keine Feindschaft, die Offiziere wollen einfach „neutral" im inneren Kampf bleiben, aber sie sind bereit, das Land gegen einen äußeren Feind zu verteidigen Auf den ersten Blick mag dies plausibel erscheinen. Aber in Wirklichkeit ist es eine bewusste oder unbewusste Ausflucht.

Der Kampf gegen Krasnows Banden, was ist das: ein Bürgerkrieg oder eine Verteidigung des Landes? Krasnow will Don und Kuban von Russland abschneiden, uns von Brot und Öl abschneiden. Gleichzeitig setzt er nach eigener Aussage deutsche Waffen ein und ruft offen zur deutschen Intervention auf (Krasnows Rede am 14. Juli in Nowotscherkassk). Könnte es einen Feind geben, der niedriger und unverbesserlicher ist als Krasnow? Diejenigen, die Russland gegen die Gewalt des deutschen Imperialismus verteidigen wollen, müssen sich vor allem sagen: Es ist notwendig, sich im Rücken zu sichern, es ist notwendig, den Verräter und Treulosen Krasnow zu erwürgen.

Und die Tschechoslowaken? Sind sie innere Feinde oder äußere? Der Zweck ihres Aufstands ist nun auch für Blinde völlig klar. Die französischen Zeitungen, die uns im vergangenen Monat offen erreichten, schreiben offen, dass die Tschechoslowaken die Aufgabe haben, „die schwerfälligen Moskowiter" wieder in den Krieg mit Deutschland zu führen. Wir wussten das schon vorher. So will uns die französische Regierung, die den Bestand des Korps aus unseren Kriegsgefangenen nimmt, zum Krieg zwingen. Das gleiche Ziel verfolgt die anglo-französische Landung bei Murman. Der Kampf gegen die Tschechoslowaken ist ein Bürgerkrieg, denn auf die tschechoslowakischen Söldner der französischen Börse stützt sich die russische Konterrevolution. Aber gleichzeitig ist es ein Kampf gegen die ausländische imperialistische Invasion. Die Weigerung, gegen die Tschechoslowaken zu kämpfen, ist gleichbedeutend mit der Bereitschaft, Russland durch den anglo-französischen Imperialismus kreuzigen zu lassen, wie die Weigerung, gegen Krasnow zu kämpfen, Hilfe für den deutschen Imperialismus bedeutet. Das ist die reine Wahrheit. Alles andere ist Sophisterei und Versteckspiel.

Es ist notwendig, noch tiefer in den Kern der Sache zu blicken. Neunundneunzig Hundertstel der Offiziere erklären in Worten, dass sie am „Bürgerkrieg" nicht teilnehmen können. Eine beträchtliche Anzahl von Offizieren nimmt jedoch aktiv daran teil. Erinnern wir uns zunächst an den Aufstand Krasnows – die erste offene und breite Manifestation des „Offiziers“bürgerkriegs. Dann folgte eine kontinuierliche Serie von Aufständen der Kosakenoffiziere, die den unaufgeklärtesten und konservativsten Teil der einfachen Kosaken anführten. Außerdem sind die Fakten noch beschämender. Als die Deutschen Dwinsk und Pskow angriffen, gab es russische Offiziere, die sie als Befreier begrüßten. Es besteht kein Zweifel, dass dieselben Offiziere am Tag vor der deutschen Offensive ausführlich dargelegt haben, dass sie gegen den Bürgerkrieg seien, aber jederzeit bereit seien, ihre Heimat gegen einen äußeren Feind zu verteidigen.

Der ehemalige General Alexejew arbeitete Hand in Hand mit Krasnow. Beide kämpften gegen die Sowjetregierung. Jetzt versucht Krasnow mit Hilfe deutscher Waffen, Russland vom Don und Kuban abzuschneiden und das russische Volk durch Belagerung zu erobern. Der gestrige Verbündete Krasnows, Alexejew, arbeitet für französisches Geld und organisiert mit Hilfe der Wologdaer Agenten der französischen Börse die Aufstände in Murom und Jaroslawl. Am Schwanz von Krasnow und Alexejew werden viele heuchlerische Gegner des „Bürgerkriegs" mitgeschleift. Hinzu kommt, dass einige dieser Herren zunächst freiwillig in die Reihen der Roten Armee eingetreten und dann zu den Reihen der tschechoslowakischen oder anglo-französischen Truppen an der Murmanküste geflohen sind. Das ist bereits Offiziersprostitution. Es kann nicht anders sein.

Was sind die Schlussfolgerungen?

Die Offiziere wurden in reaktionären monarchischen Ansichten erzogen. Die Revolution verblüffte sie. Interne Gruppierungen folgten. Ich werde die wichtigsten auflisten:

Die skrupellosen Elemente mit einem angeschlagenen Ruf versuchten, sich schnell beim neuen Regime einzuschleichen. Die gestrigen Rasputin und Pokrowski färbten sich plötzlich in Bolschewiki um. Es ist nicht notwendig, über dieses Übel zu sprechen: es ist einfach auszurotten.

Eine sehr wichtige, wenn auch leider noch kleine Gruppe besteht aus Offizieren, die mehr oder weniger die Bedeutung der Revolution und den Geist der neuen Epoche verstanden haben. Diese Offiziere arbeiten nun unermüdlich daran, die Kampfkraft der Sowjetrepublik zu schaffen. Es ist lächerlich, von ihnen zu verlangen, dass sie sich in Bolschewiki umfärben. Man muss sie wertschätzen und unterstützen.

Als nächstes kommt eine Gruppe von Bürohengsten. Sie erfüllen ihre militärischen Verwaltungsaufgaben, geleitet von dem weisen Spruch: einer hat immer das Sagen. Nichts Bemerkenswertes kann über sie gesagt werden.

Eine bedeutende Gruppe besteht aus direkten, erbitterten und geschworenen Feinden des Sowjetregimes, militanten Konterrevolutionären, die die Kader der Sawinkowschen und Alexejewschen Abenteurer ausfüllen. In Bezug auf sie ist die Position klar: Wer beim Feind kämpft, wird als Feind vernichtet.

Die zahlreichste Gruppe besteht aus feigen Feinden, die sich umsehen, aus abwartenden Spießern und Egoisten, die den Schicksalen des Landes gegenüber gleichgültig sind und sich auf die Seite zurückziehen wollen und sich heimlich nach der guten alten Zeit sehnen. Das sind Menschen, die nicht heiß und nicht kalt sind und es lieben, ihre feige Nichtigkeit hinter Phrasen über den Bürgerkrieg zu verstecken. Im Wesentlichen ist dies die Reserve der Konterrevolution. Im Gebiet des tschechoslowakischen Aufstands wechseln diese Reservisten in den aktiven Dienst. Wo immer die Macht in die Hände der Sowjets übergegangen ist, tratschen sie, Ballen die Faust in der Tasche und schaffen eine Atmosphäre der Feindseligkeit rund um alle Offiziere, die nicht aus Angst, sondern aus Gewissensgründen arbeiten.

Mit dieser Lage muss man Schluss machen. Offiziersparasitismus ist so unerträglich wie jeder andere auch. Das Prinzip des Zwangs muss hier mit doppelter Kraft angewendet werden. Die Offiziere erhielten ihre Ausbildung auf Kosten des Volkes. Die, die Nikolaus Romanow gedient haben, können und werden dienen, wenn die Arbeiterklasse es ihnen befiehlt. Dies bedeutet nicht, dass die Staatsmacht allen von ihnen Kommandoposten übergeben wird. Nein, diejenigen, die tatsächlich ihre Bereitschaft zeigen werden, der Arbeiter- und Bauernmacht zu gehorchen, werden ein Kommando haben. Der Rest wird nur mit Pflichten belegt – ohne jeglichen Kommandorechte. Ehemalige Offiziere, die nicht im Dienst sind, neigen sehr, die heilsame Kraft der Disziplin zu predigen. Die Sowjetmacht glaubt, dass der Moment gekommen ist, auch die Fronden bildenden Offiziere harter Disziplin zu unterwerfen.

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