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Leo Trotzki 19180210 Erklärung der russischen Delegation in Brest-Litowsk

Leo Trotzki: Erklärung der russischen Delegation in Brest-Litowsk

Verlesen von L. Trotzki am 10. Februar 1918

[„Die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk", Verlag des Volkskommissariats für Äußeres, Moskau 1920. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 620 f.]

Die Aufgabe der Unterkommission besteht unserer Auffassung nach darin, die Frage zu beantworten, in welchem Maße die von der Gegenseite vorgeschlagene Grenze auch nur in minimalster Weise imstande ist, dem russischen Volke das Recht auf Selbstbestimmung zu sichern. Wir haben die Mitteilungen unserer Vertreter, die der Unterkommission für territoriale Fragen angehören, entgegengenommen und sind der Auffassung, dass nach den langen Debatten und der gründlichen Prüfung der Frage die Stunde der Entscheidung gekommen ist. Die Völker warten mit Ungeduld auf die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. Die Völker fragen: wann wird diese beispiellose Selbstvernichtung der Menschheit aufhören, die durch den Egoismus und den Machtkitzel der herrschenden Klassen aller Länder hervorgerufen worden ist? Wenn jemals der Krieg zur Selbstverteidigung geführt worden ist, so hat er für beide Lager längst aufgehört, ein Verteidigungskrieg zu sein. Wenn England die afrikanischen Kolonien, Bagdad und Jerusalem in seinen Besitz nimmt, so ist das kein Verteidigungskrieg mehr; wenn Deutschland Serbien, Belgien, Polen, Litauen und Rumänien besetzt hält und die Mohnsundinseln in Besitz nimmt, so ist das ebenfalls kein Verteidigungskrieg. Das ist ein Kampf für die Aufteilung der Erde. Jetzt ist das klar, klarer als je zuvor.

Wir wollen nicht mehr an diesem rein imperialistischen Krieg teilnehmen, wo die Prätensionen der besitzenden Klassen direkt mit Menschenblut bezahlt werden. Wir stehen mit gleicher Unversöhnlichkeit dem Imperialismus beider Lager gegenüber und wir sind nicht mehr damit einverstanden, das Blut unserer Soldaten zu vergießen für die Interessen eines Lagers der Imperialisten, gegen das andere.

In Erwartung der, wie wir hoffen, nahen Stunde, wo die unterdrückten werktätigen Klassen aller Länder die Macht in ihre Hände nehmen werden, genau so wie das werktätige Volk Russlands, ziehen wir unsere Armee und unser Volk aus dem Krieg heraus. Unser Bauer im Soldatenrock soll zu seiner Scholle zurückkehren, um schon in diesem Frühjahr friedlich den Boden zu bearbeiten, den die Revolution dem Gutsbesitzer entrissen und dem Bauern gegeben hat. Unser Arbeiter im Soldatenrock soll in den Betrieb zurückkehren, um dort nicht Werkzeuge der Zerstörung, sondern Werkzeuge des Aufbaus zu produzieren und zusammen mit dem Bauern die neue sozialistische Wirtschaft aufzubauen.

Wir scheiden aus dem Krieg aus. Wir verkünden das allen Völkern und ihren Regierungen. Wir erteilen den Befehl zur völligen Demobilisierung unserer Armeen, die jetzt den Truppen Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Türkei und Bulgariens gegenüberstehen. Wir erwarten und glauben fest daran, dass die anderen Völker bald unserem Beispiel folgen werden. Gleichzeitig erklären wir, dass die uns von den Regierungen Deutschlands und Österreich-Ungarns vorgeschlagenen Friedensbedingungen den Interessen aller Völker aufs Schärfste widersprechen. Diese Bedingungen werden von den werktätigen Massen aller Länder, auch der Völker Österreich-Ungarns und Deutschlands abgelehnt. Die Völker Polens, der Ukraine, Litauens, Kurlands und Estlands halten diese Bedingungen für eine Vergewaltigung ihres Willens; für das russische Volk bedeuten sie eine ständige Bedrohung. Die Volksmassen in der ganzen Welt lehnen, geleitet von politischem Bewusstsein oder sittlichem Instinkt, diese Bedingungen ab, in Erwartung jenes Tages, wo die werktätigen Klassen aller Länder ihre eigenen Regeln für das friedliche Zusammenleben und die freundschaftliche Zusammenarbeit der Völker festsetzen werden. Wir lehnen es ab, die Bedingungen zu sanktionieren, die der deutsche und österreichisch-ungarische Imperialismus lebendigen Völkern mit dem Schwerte aufzwingt. Wir können die Unterschrift der russischen Revolution nicht unter Bedingungen setzen, die Millionen menschlicher Wesen Unterdrückung, Leiden und Unglück bringen.

Die Regierungen Deutschlands und Österreich-Ungarns wollen Länder und Völker auf Grund gewaltsamer militärischer Eroberung beherrschen. Mögen sie das offen tun. Wir können die Gewalt nicht sanktionieren. Wir scheiden aus dem Krieg aus, aber wir sind gezwungen, die Unterzeichnung des Friedensvertrags abzulehnen.

Im Zusammenhang damit übergebe ich den vereinigten verbündeten Delegationen folgende schriftliche, unterzeichnete Erklärung:

Im Namen des Rates der Volkskommissare bringt die Regierung der Russischen Föderativen Republik hiermit zur Kenntnis der Regierungen und Völker der gegen uns kämpfenden, der verbündeten und neutralen Länder, dass Russland die Unterzeichnung des annexionistischen Friedensvertrages ablehnt und seinerseits den Kriegszustand mit Deutschland, Österreich-Ungarn Türkei und Bulgarien für beendet erklärt. Gleichzeitig wird den russischen Truppen der Befehl zur vollständigen Demobilisierung an der ganzen Front erteilt.

L. Trotzki, A. Joffe, M. Pokrowski, A. Bizenko, W. Karelin

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