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Leo Trotzki 19180101 Rede zum Verlauf der Friedensverhandlungen

Leo Trotzki: Rede auf der gemeinsamen Sitzung des ZEK,

des Petrograder Sowjets und des allgemeinen Armeekongresses

zur Demobilisierung der Armee zum Verlauf der Friedensverhandlungen

(19. Dezember)

[„Protokoll der Sitzungen der ZEK der 2. Einberufung". Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Genosse Trotzki beginnt mit dem Hinweis darauf, dass an dem Tag, an dem die Arbeit der Kommission in Brest eröffnet wurde, die aus Vertretern Russlands einerseits und Deutschlands und Österreich-Ungarn bestand, unsere Presse sich an diesem Tag mit Nachrichten, Rätseln, Fiktionen und Vermutungen befasste, von denen man nicht weiß, woher sie kamen. Deshalb – sagt der Redner – muss ich mit der richtigen Erklärung unserer Position beginnen.

Einen unvorstellbaren Lärm und Klatschgerüchte gab es um die deutsche Gastdelegation. In Bezug darauf kann ich sagen, dass es sich nicht um 500 oder 150 von Kopf bis Fuß Bewaffnete oder vom Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten Bewaffnete handelte, wie von Zeitungen berichtet wurde – zusammen mit Informationen, dass wir Geheimverträge mit ihr verhandelten und die ganze Zeit über etwas tuschelten. Ich berichte der gesamten Presse, einschließlich derjenigen, deren Vertreter hier sind, dass 25 Mitglieder der Delegation zu uns gekommen sind und 30 Bedienstete, Offiziersburschen (sie haben noch Offiziersburschen!) – nur etwa 60 Leute und nicht mehr.

Für jeden, der Zeitungen liest, ist es kein Geheimnis, dass im Einklang mit den Bestimmungen des Waffenstillstands beschlossen wurde zur Erleichterung der Rückkehr von Zivilgefangenen und Geiseln und zur Erleichterung des Schicksals von Kriegsgefangenen eine Kommission in Petrograd zu organisieren, um diese Probleme zu lösen. Die ganze Welt weiß davon und informiert in ihren Zeitungen die Leser entsprechend, nur die russische Presse hat nichts davon gehört und spricht hartnäckig über Geheimverträge.

Unser gemeinsames Treffen mit dieser Delegation eröffneten wir mit einem Protest gegen die Festnahmen von 300 sozialistischen Revolutionären in Deutschland. Auf diesen Protest antwortete Graf Mirbach, der sich auf dem heißen Pflaster unserer roten Hauptstadt befand, dass er mit einer besonderen Mission gekommen sei und nicht autorisiert sei, auf unseren Protest zu antworten.

Es beliebte der Geschichte, dass wir zur Beendigung des Gemetzels mit Vertretern des Imperialismus und Feudalismus in Deutschland und Österreich-Ungarn sprechen müssen. Diese Tatsache wurde nicht von uns geschaffen, sie wurde uns von der Geschichte präsentiert. Wir erinnern uns, dass unsere arretierten Brüder auf der anderen Seite unter revolutionärem Schutz stehen, und wir hoffen, dass die Stunde nahe ist, wenn sie unsere Gesprächspartner sein werden.

Vertreter des Feudalismus in Deutschland und Österreich-Ungarn, die unser Smolny-Institut besuchten, konnten die Rote Garde sehen, die den russischen Feudalismus und die Bourgeoisie hinauskomplimentierte. Wenn sie dagegen protestierten, würden wir das nicht hinter politischen Schutzschirmen verstecken, sondern sie direkt anschauen und sagen: Ja, wir tun dies und fühlen uns im Recht damit, denn wenn das Proletariat die Oberen seines Landes arretiert, stürzt es die Unterdrückung, und die Verhaftung von Liebknecht und anderen Revolutionären ist eine Verletzung des Rechts und des Volksbewusstseins. Wir vergessen für keinen Moment, was uns von den Delegierten der anderen Seite trennt. Wir sprechen mit ihnen wie Streikende mit Kapitalisten. Es gibt einen Moment von Verhandlungen im Streik, wenn die Streikenden ihre Bedingungen an die andere Seite stellen, aber sie hören nicht für einen Moment auf, sich als revolutionäre Kraft zu empfinden. Und hier, wie bei Streikenden, wird dies nicht der letzte Vertrag sein. Wir glauben, dass wir schließlich eine Einigung mit Karl Liebknecht erzielen werden, und dann werden wir zusammen mit den Völkern der Welt die Landkarte Europas neu zeichnen für die völlige Selbstbestimmung der Völker, für die endgültige Zerstörung der Unterdrückung auf Erden.

Uns wird vorgeworfen, mit Vertretern der deutschen Bourgeoisie verhandeln zu können. Ich berichte darüber, dass ich von der offiziellsten Quelle die Information erhalten habe, dass ein sehr bekannter Patriot und Verteidiger der Konstituierenden Versammlung über einen neutralen Diplomaten seine Dienste zur Führung von Friedensverhandlungen mit der deutschen Delegation angeboten habe. Er bot nicht Dienste an, um den Frieden nach der Sowjetformel zu schließen. Der Sowjet hat eine Grenze, es gibt eine Linie, an der die Volksmacht in den Verhandlungen der anderen Seite erklären wird: „Nein, es ist genug, wir werden keine Zugeständnisse machen!" – und dann wird dieser arbeitslose Diplomat der abgehalfterten Partei aus dem Torweg heraustreten und sagen: „Und wir stimmen weiteren Konzessionen zu!"

Die Bourgeoisie ist bereit, die Hälfte des Landes aufzugeben, um ihre Macht in der anderen Hälfte zu bewahren, und wenn die Kadetten zusammen mit den zu ihrem Freunden gewordenen rechten Sozialrevolutionären, ihre Macht in einem Stück des Landes behalten könnten würden sie dies auf Kosten des schändlichsten Friedens tun.

Weiter sagt Genosse Trotzki, dass man in Deutschland leider nicht so frei sprechen kann wie wir, wo nichts verborgen ist und alles dem Richterspruch des Volkes vorgelegt wird. Wenn Deutschland nicht versucht hätte, sein Volk von unserer Revolution zu isolieren, hätten wir natürlich eine andere Antwort gehört.

Obwohl der deutsche Imperialismus alles tut, um die Wahrheit vor dem Volk zu verbergen und das Eindringen unserer Ideen zu verhindern, gab es niemals eine solche innere Solidarität zwischen den Völkern wie jetzt, denn der Krieg brachte innerhalb der Länder eine vollständige Absplitterung der Massen von den Oberen hervor. Wir haben unsere Oberen bereits abgeschüttelt. Wenn wir diejenigen arretieren, die unterdrücken, die um des Profits willen die Wirtschaft zerrütten, die das Joch auf den Nacken des Arbeiters legen, dann befreien wir die Arbeit, und wenn sie die Produzenten und Arbeiter und die, denen die Arbeiter folgen, ins Gefängnis werfen, bereiten sie den Boden. Und auch wenn in dieser Phase der Friedensverhandlungen, über die Genosse Kamenew sprach, die Bedingungen, die uns vorgeschlagen werden, nicht unseren Zielen entsprechen und wir sie nicht akzeptieren würden, würden wir uns doch stärker fühlen als vor Beginn der Gespräche.

Morgen werden wir offen sagen, dass das Prinzip der Selbstbestimmung der Nationen für uns unannehmbar ist, wenn man anbietet, es in Anwesenheit einer bewaffneten Macht durchzuführen. Bei dieser Position wird der werktätige Pole bei uns sein, und wenn Polen unter dem Druck der deutschen Faust immer noch nicht in der Lage ist, sich als ganze Nation selbst zu bestimmen, dann wird seine Seele bei uns sein, je mehr der Körper Polens zerrissen wird.

Außerdem werden unsere Verhandlungen in einem neutralen Land geführt werden, sie werden der ganzen Welt gehören und alle arbeitenden Massen werden wissen, was sie wollen und was wir tun.

Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Politik eine revolutionäre Politik ist. Wir müssen sie fest betreiben, denn wir sind die Festung der Revolution, und die Festung muss stark sein.

Die Schützengraben-Genossen sprachen jetzt darüber, wie schwierig und unerträglich das Leben an der Front ist, wie hungrig sie sind und wie schlecht sie gekleidet sind. In unserem Land gibt es noch Reserven, wir erleben einen Streifen von unerhörten Zusammenbrüchen und Desorganisation. In allen Gegenden verkaufte eine dünne Schicht der Intelligenz, die sich von der Volksarbeit nährte, das Volk, das sie genährt hatte, dessen Interessen er verpflichtet war, und nutzte seine ganze Macht des Wissens und Willens, um das Land so schnell wie möglich zu zerrütten und zu zerstören.

Und wenn ich die Berichte von den Schützengraben-Leuten höre, sage ich mir: Wir sind gegenüber verbrecherischen Saboteuren zu nachsichtig. (Beifall.)

Am Vorabend der Oktober-Tage haben wir geschworen, dass wir die Bourgeoisie schröpfen, das Brot vom Hinterland nehmen und in die Schützengräben schicken würden. Es ist Zeit, es zu tun. Wir müssen im ganzen Lande die revolutionäre Disziplin der Arbeiter über die Oberen einführen.

Indem wir uns an die Vertreter der Front wenden und ihnen alle unsere Hilfe versprechen sagen wir: „Sagt dort, in den Schützengräben, dass es sich um eine wahrhaft harte Zeit von Geburtsqualen handelt, denn nicht ohne Qual gebiert die Mutter Heimat ein neues, freies und schönes Leben."

Haltet in dieser letzten wichtigen Minute durch. Lasst die deutschen Soldaten wissen, dass es auf der Welt eine neue Armee gibt, über der es keinen Chef gibt, die keine Strafen kennt und die kein Stock antreibt, dass es eine Front gibt, wo jeder Staatsbürger-Soldat der Armee voll von revolutionärem Selbstbewusstsein ist, und [lasst sie wissen,] wozu eine solche Armee fähig ist.

Sie steht in den vorgeschobenen Schützengräben der revolutionären Weltbewegung, ihre Banner sind die Banner der Weltbefreiung der Werktätigen und niemand wird sie ihren Händen entreißen.

Hoch die revolutionäre Armee!

Hoch die revolutionäre Flotte! (Stürmische Ovation.)

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