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Leo Trotzki 19271215 Auf der neuen Etappe

Leo Trotzki: Auf der neuen Etappe

[Nach Fahne des Kommunismus, 2. Jahrgang Nr. 51, 21. Dezember 1928, S. 447-450 und Nr. 52, 28. Dezember 1928, S. 457-459]

[Der nachfolgende Artikel des Genossen Trotzki ist kurz nach dem 15. Parteitag der WKP im Dezember 1927 geschrieben. Trotzdem haben die Darlegungen nichts an ihrem Wert eingebüßt. Sie stellen ein wichtiges historisches Dokument dar, das in nüchterner, den Tatsachen kühn ins Auge schauender Weise, eine Bilanz 10 Jahre isoliert gebliebenen Kampfes um die Verwirklichung des Sozialismus zieht und die Folgen der Revision des Leninismus klar aufzeigt. Als der Genosse Trotzki seinen Artikel verfasste, sah er erst den Beginn des Abgleitens von der Klassenlinie. Der Druck der Bourgeoisie macht sich erst bemerkbar. Inzwischen ist die Entwicklung des Thermidor in immer rascherem Tempo vor sich gegangen …1

Redaktion „Fahne des Kommunismus“]

Die Krise der Partei spiegelt die Krise der ganzen Revolution wider. Die Krise ist durch die Verschiebung der Klassenkräfte hervorgerufen. Die Tatsache, dass die Opposition die Minderheit in der Partei darstellt und dass sie unaufhörlichen Schlägen ausgesetzt ist, widerspiegelt den Druck der inneren und der Weltbourgeoisie auf den Regierungsapparat, des Regierungsapparates auf den Parteiapparat, des Parteiapparates auf den linken proletarischen Flügel der Partei. Die Opposition ist heute die Stelle, auf die sich der mächtigste Druck der Welt gegen die Revolution konzentriert.

I. Die Gefahr des Thermidor

1, Proletarische Diktatur oder Thermidor? Nach Bucharin ist es so: wenn proletarische Diktatur, dann unbedingt alles unterstützen, was mit diesem Namen gedeckt ist; wenn Thermidor, dann ein genau solch unbedingter Kampf gegen alles. In der Tat, die Elemente des Thermidors – in Verbindung mit der gesamten internationalen Lage – wachsen im Lande während der letzten Jahre viel schneller als die Elemente der Diktatur; die Diktatur verteidigen, heißt gegen die Elemente des Thermidors kämpfen, auch in den einflussreichen Schichten der Partei selbst.

2. Aber in dem Prozess des Abgleitens muss ein kritischer Moment entstehen, wo die Quantität in die Qualität umschlägt, d.h. wenn die Staatsmacht ihren Klassencharakter ändert und zu einer bürgerlichen wird. Ist nicht ein solcher schon eingetreten? Ein einzelner Arbeiter kann aus seinem täglichen Leben heraus zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Macht schon nicht mehr in den Händen der Arbeiterklasse ist: im Betriebe herrscht das „Dreieck" (Treugolnik)2, die Kritik ist unter Verbot gestellt, in der Partei ist der Apparat allmächtig, hinter dem Rücken der Sowjet-Organisationen kommandiert der Tschinownik (Beamte) usw. Aber es genügt die Frage vom Gesichtswinkel der bürgerlichen Klassen in Stadt und Land zu betrachten, um ganz klar zu sehen, dass nicht sie schon die Macht in Händen haben. Das, was vorgeht, ist die Konzentrierung der Macht in den Händen der bürokratischen Organe, die sich auf die Arbeiterklasse stützen, aber immer mehr zu den kleinbürgerlichen Spitzen in Stadt und Land abgleiten, und sich teilweise mit ihnen verflechten.

3. Der Kampf gegen die Gefahren des Thermidors ist ein Klassenkampf. Revolutionär ist der Kampf, der dahin gerichtet ist, die Macht den Händen der anderen Klasse zu entreißen. Reformistisch ist der Kampf um eine Änderung, die manchmal von entscheidendem Charakter ist, aber noch unter der Herrschaft derselben Klasse. Die Macht ist den Händen des Proletariats von den Feinden noch nicht entrissen worden. Den Kurs ändern, die Elemente der Doppelherrschaft beseitigen, die Diktatur festigen kann man noch mit Mitteln reformistischen Charakters.

4. Die Herrschaft in der Partei, also auch im Lande, ist den Händen der Fraktion Stalin, welche alle Züge des Zentrismus hat, eines Zentrismus noch dazu in der Periode des Abgleitens, und nicht des Aufschwunges. Das bedeutet: kurze Zickzacke nach links, tiefere Zickzacke nach rechts. Man kann nicht daran zweifeln, dass der letzte Ruck nach links (das Jubiläumsmanifest) die Notwendigkeit hervorruft, den rechten Flügel und seine reale Stütze im Lande zu beruhigen – nicht mit Worten, sondern mit der Tat.

5. Die Zickzacke nach links drücken sich nicht nur in rasch gebackenen Jubiläumsmanifesten aus. Der Kanton-Aufstand ist unzweifelhaft ein abenteuerlicher Zickzack der Komintern nach links, nachdem die vernichtenden Folgen der menschewistischen Politik in China sich voll und ganz erwiesen haben. Die Kantoner Episode ist eine schlechtere und viel schlimmere Wiederholung des Estnischen Putsches 1924, nachdem die revolutionäre Situation in Deutschland 1923 verpasst worden ist Der Menschewismus plus dem bürokratischen Abenteurertum hat der chinesischen Revolution einen zwiefachen Schlag versetzt; man braucht nicht daran zu zweifeln, dass die Vergeltung für Kanton ein neuer, viel tieferer Zickzack rechts auf dem Gebiet der internationalen Politik, im besonderen der chinesischen, sein wird.

6. Die objektive Aufgabe des thermidorianischen Regimes würde darin bestehen, die wichtigsten politischen Kommandohöhen in die Hände des linken Flügels der neuen besitzenden Klassen zu übergeben, dabei selbst immer mehr ins Hintertreffen zu geraten. Als erste (aber nicht als einzige) Bedingung eines Sieges des Thermidors würde eine solche Zerschlagung der Opposition sein, bei der man sie nicht mehr zu „fürchten" braucht. In dem Apparat der Partei und des Staates würden die „reinen Tatmenschen" die mit der neuen bürgerlichen Gesellschaft schon eng verflochten sind, das Übergewicht über die Nur-Politiker, die Zentristen erhalten, also die Stalinschen Apparatmenschen, die die „Tatmenschen“ mit Opposition schrecken, wodurch sie ihre zeitweilige Selbständigkeit aufrechterhalten. Was in diesem Falle mit den Zentristen vom Stalinschen Typus geschehen würde, ist eine nebensächliche Frage. Ein Teil von ihnen würde wahrscheinlich nach links schwenken. Der andere, der größere Teil, würde einfach dem Spiel fernbleiben. Ein dritter Teil würde sich von der jetzigen Pseudo“selbständigkeit“ lossagen und würde eine neue, rein thermidorianische Kombination eingehen. So würde die erste Etappe auf dem Wege der Bourgeoisie zur Macht aussehen.

7. Warum wird die Periode eine „abgleitende" genannt? Der Druck der antiproletarischen Klassenkräfte auf den Sowjetstaat konnte organisierten Widerstand nur von Seiten der alten Kader der Partei und des proletarischen Teils des Staatsapparats und der Partei finden. Unterdessen hat der proletarische Teil des Staatsapparates, welcher sich früher von den Kadern der alten bürgerlichen Intelligenz scharf abtrennte, ihr nicht traute, sich in den letzten Jahren immer mehr und mehr von der Arbeiterklasse losgetrennt und sich in ihren Lebensgewohnheiten der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Intelligenz genähert und wird dadurch den feindlichen Klasseneinflüssen zugänglicher. Andererseits hat die Hauptmasse des Proletariats, die dem bürokratischen Apparat seine Avantgarde gegeben hat, nach den furchtbaren Anstrengungen der Revolution und in dem jetzigen Zustand ihrer materiellen Lage hrend der Rekonstruktionsperiode eine große politische Aktivität entwickelt. Keinen geringen Einfluss in dieser gleichen Richtung hat eine Reihe von Niederlagen vier internationalen Revolution während der letzten Jahre gehabt. Hinzu kommt noch die Auswirkung des Parteiregimes. Das Proletariat trägt in sich selbst ein großes Erbteil der kapitalistischen Vergangenheit. Die ersten Jahre der Revolution haben die aktivsten revolutionären bolschewistischen Elemente der Klasse emporgehoben. Augenblicklich geht eine Auswahl der Dienstwilligen und Fügsamen vor sich. Die „unruhigen" Elemente werden ausgemerzt und verfolgt Das schwächt die Partei und die Klasse im Großen und Ganzen, entwaffnet die Klasse im Angesicht des Feindes. Somit Ist wachsende Druck der bürgerlichen Kräfte auf den Arbeiterstaat bis in die jüngste Zeit ohne aktiven Widerstand der Hauptmasse des Proletariats vor sich gegangen. Eine solche Situation kann nicht ewig dauern. Wir haben Grund anzunehmen, dass das große Interesse, welches die parteilosen Arbeitermassen an der Parteidiskussion vor dem 15. Kongress bewiesen hat, wie auch die Erscheinungen, die mit der Kampagne zu den Kollektivverträgen verbunden sind, das Erwachen des Interesses der breiten Arbeitermasse zu den politischen Hauptproblemen unserer Tage und eine wachsende Beunruhigung über das Schicksal der proletarischen Diktatur bedeutet. Je mehr die Aktivität des Proletariats wachsen wird, desto mehr wird auch die Opposition wachsen. Während der Jahre ihres Kampfes gegen das Abgleiten der Partei (von 1923 bis 1927) konnte die Opposition diesen Prozess nur bremsen. Diesem Prozess ernstlich entgegentreten kann ein breit aufgerollter Klassenkampf des Proletariats, gerichtet gegen die neue Bourgeoisie, gegen den nicht proletarischen Einfluss auf den Staat, gegen den Weltimperialismus. Das Proletariat ist daran gewöhnt, durch seine Partei Gefahren angezeigt zu bekommen und auf sie zu reagieren. Die Monopolstellung der Partei nach 1917 hat diese Rolle der Partei verstärkt. Die ganze Schärfe der Lage besteht darin, dass das Parteiregime die Aktivität des Proletariats bremst und dass die offizielle Parteitheorie zu gleicher Zeit das Proletariat beruhigt und einschläfert. Eine desto größere Verantwortung trägt unter diesen Bedingungen die Opposition.

II. Ustrjalowismus und Menschewismus

8. Bucharin vergleicht den Standpunkt der Opposition mit dem von Ustrjalow. Worin besteht das Wesentliche dieser theoretischen Scharlatanerie? Ustrjalow spricht offen von der Unausbleiblichkeit des Thermidors als der rettenden Etappe in der nationalen Entwicklung der russischen Revolution. Die Opposition spricht von den Gefahren des Thermidors und zeigt die Wege des Kampfes:mit der Gefahr auf. Der nach rechts abrutschende Zentrismus ist gezwungen, mit geschlossenen Augen gegenüber der Gefahr deren Möglichkeit theoretisch zu verneinen. Man kann dem Thermidor keinen größeren Dienst erweise, als die Realität der thermidorianischen Gefahr zu verneinen.

9. Eine ebensolche Scharlatanerie ist der Versuch, die Ansichten der Opposition über den Thermidor mit den menschewistischen Ansichten in Verbindung zu bringen. Die Menschewiken meinen, dass die Hauptquelle der bonapartistischen Gefahren das Regime der proletarischen Diktatur ist, dass der Grundfehler die Rechnung mit der internationalen Revolution sei, dass eine richtige Politik sich von der politischen und ökonomischen Fesselung der Bourgeoisie lossagen müsse, dass die Rettung vor dem Thermidor und Bonapartismus in der Demokratie liegt, d.h. in dem bürgerlich-parlamentarischen Regime. Die Opposition jedoch verneint absolut nicht die thermidorianischen Gefahren, im Gegenteil, sie strebt danach, die ganze Aufmerksamkeit der proletarischen Avantgarde darauf zu konzentrieren; sie meint, dass der größte Mangel der proletarischen Diktatur die ungenügend tiefe Verbindung mit der internationalen Revolution ist, die außergewöhnliche Nachgiebigkeit gegenüber der inneren und auswärtigen Bourgeoisie.. Die parlamentarische Demokratie ist für uns nur eine der kapitalistischen Herrschaftsformen.

10. Der Menschewismus ist durch und durch thermidorianisch. Ustrjalow ist in seinem Thermidorianismus realistischer. Der Menschewismus ist durch und durch utopistisch. Ist denn in der Tat wahrscheinlich, dass im Falle der Niederlage der Diktatur die bürgerliche Demokratie sie ablöst? Nein, das ist die unwahrscheinlichste von allen Varianten. Die revolutionäre Diktatur ist in der Geschichte noch nie von der Demokratie abgelöst worden. Der Thermidor ist seine Wesen nach ein Übergangsregime, ist sozusagen eine Kerenski-Periode ins Gegenteil verkehrt. Die Kerenski-Periode deckte eine Doppelherrschaft, taumelte hin und her und verhalf gegen ihren Willen dem Proletariat zum Siege über die Bourgeoisie. Das thermidorianische Regime würde eine neue gesetzliche Festlegung der Doppelherrschaft bedeuten, mit dem Übergewicht bei der Bourgeoisie und würde, wiederum gegen den eigenen Willen, der Bourgeoisie helfen, die Macht den Händen des Proletariats zu entreißen. Das thermidorianische Regime würde seinem Wesen nach nicht lange andauern, seine objektive Rolle würde darin bestehen, das Streben der Bourgeoisie nach Macht mit den für die Proletarier gewohnten Formen der Sowjets zu decken. Aber dann würde der Widerstand des Proletariats, würden seine Versuche, Positionen zu behalten oder verlorene zurückzugewinnen, unausbleiblich einsetzen. Um diese Versuche abzuschlagen und sich nach allen Regeln der Kunst festzusetzen, würde die Bourgeoisie schon nicht mehr die Übergangsform des Thermidors gebrauchen, sondern eine ernstere, festere, entschiedenere Form – aller Wahrscheinlichkeit nach – die des Bonapartismus. Als der linke Flügel der bürgerlichen Gesellschaft würden die Menschewiki unter dem Bonapartismus für die Legalität kämpfen. Sie würden dabei das bürgerliche Regime sichern, Die Bolschewiki würden aber für die Eroberung der Macht in der Form der Diktatur des Proletariats kämpfen.

III. Die Frage der „Fristen"

11. Die allgemeine Frage der Gefahr des Thermidors ruft eine viel konkretere Frage hervor: Wie nahe ist diese Gefahr? Hat der Thermidor nicht etwa schon angefangen? Welches sind die Zeichen seiner Vollendung? Die Frage des Tempos der verschiedenen Verschiebungen sind für die Taktik von großer Bedeutung. Das Tempo der Umgruppierungen innerhalb der Klassen und zwischen den Klassen zu bestimmen, ist viel schwieriger, als das Tempo der ökonomischen Prozesse im Lande zu bestimmen. Jedenfalls irren sich jene sehr, die damit rechnen, dass der Prozess des Abgleitens in dem jetzigen Tempo noch eine Reihe von Jahren vor sich gehen wird. Das ist die unwahrscheinliche aller Perspektiven. In dem Prozess des Abgleitens können und werden unter dem Einfluss der inneren und äußeren Kräfte der Bourgeoisie sehr schroffe Bewegungen vorkommen. Diese Fristen kann man nicht vorhersagen. Sie können viel kürzer sein, als wir denken. Wer hiermit nicht rechnen will, wer diesen Gedanken weit von sich weist, der wird plötzlich überrascht werden.Es lohnt sich kaum, daran zu erinnern, dass die Kapitulation Sinowjews und Kamenews dazu geführt hat – schon von den ersten Schritten an – die Lage zu verschönern, die Gefahr zu verkleinern und den linken Flügel der Partei einzuschläfern. Einige Genossen verbanden die Frage der Fristen des Thermidors mit der Frage des Bestandes des ZK, als der obersten Macht der Revolution. Solange das ZK in seinem Bestande Oppositionelle duldete, bildeten diese die innere Bremse für die Abgleitenden. Die Politik des ZK war nach den Worten des Gen. Tomski nicht Fisch noch Fleisch, d.h. das Abgleiten zum Thermidor fand innere Hemmnisse. Die Beseitigung der Oppositionellen aus dem ZK – so redeten die bewussten Genossen – bedeutet, dass den Abgleitenden die Mitarbeit der Vertreter der konsequenten proletarischen internationalen Linie nicht mehr erträglich war. Das wird auch sozusagen die offizielle Eröffnung des Thermidors bedeuten. Eine solche Stellung der Frage ist zum mindesten nicht vollständig und kann darum auch zu unrichtigen Schlussfolgerungen führen. Die Stärke der Opposition besteht darin, dass sie, ausgerüstet mit marxistischen Methoden, den Gang der Entwicklung voraussieht und vor ihr warnt. Das Charakteristische der Stalinschen Fraktion besteht in dem Lossagen von der marxistischen Orientierung. Die Stalinsche Fraktion spielt heute die Rolle, die man nur mit Scheuklappen ausführen kann, ohne sich umzusehen und ohne vorauszusehen. Die marxistischen Voraussagen der Opposition sieht die Stalinsche Fraktion als eine persönliche Beleidigung an, als Verleumdungen usw.; und zeigt dabei die typischen Züge kleinbürgerlicher Beschränktheit. Mit verdoppelter Kraft stürzt sie sich darum auf die Opposition. Bedeutet aber der Ausschluss der Oppositionellen, und sogar die formelle Absägung der Opposition im Ganzen den Thermidor als eine vollendete Tatsache? Nein, das ist bis jetzt nur die Vorbereitung auf parteilichen Wegen. Indem die Stalinsche Fraktion die linke, proletarische Barriere niederstößt, erleichtert sie, unabhängig von ihren eigenen Wünschen, der Bourgeoisie den Zutritt zur Macht. Aber der Prozess dieses Zutrittes selbst muss sich erst vollziehen — in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur und im täglichen Leben. Um in der Tat den Sieg des Thermidors zu sichern, muss man vor allem das Außenhandelsmonopol beseitigen oder „beschränken“, die Wahlinstruktionen ändern usw.

  1. Im Rahmen der Partei und in den nächsten Schichten um die der Partei sehen wir die Widerspiegelung und spüren wir den Vorgeschmack in einer sehr scharfen Form von viel tieferen Prozessen innerhalb der Klasse, welche heranreifen und erst nach außen hin durchdringen müssen. Der Partei und ihren Gruppierungen fällt in diesen Prozessen eine gigantische Rolle zu. Aber gelöst wird die Frage durch die Klassen. Je nachdem, wie sich der reale Kampf um die Macht zuspitzen wird, werden sich die Gruppierungen innerhalb der Partei ändern. Zugunsten oder zuungunsten der Opposition? Dies hängt von den objektiven Bedingungen, auch von den internationalen, wie auch von der Arbeit der Opposition selbst ab. Und wiederum nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Maßstab.

    13. Die Kräfte des thermidorianischen Druckes und die Kräfte des proletarischen Widerstandes müssen sich erst in dem Prozess eines wirklichen Kampfes der Klassen zeigen. Darum ist es falsch, den Ausschluss der Opposition aus der Partei als den vollendeten Thermidor anzusehen. Oder richtiger gesagt, eine solche Bewertung könnte richtig sein, wenn der weitere Gang der Ereignisse zeigen würde, dass aus der Partei heraus keine Arbeiterelemente mehr zur Opposition stoßen, dass die Arbeiterklasse keine Kraft mehr zum Widerstand besitzt, und dass somit das Auftreten der wenig zahlreichen Opposition das letzte historische Aufbäumen der Oktoberwelle war. Aber zu solch einer Bewertung ist noch kein Grund vorhanden, es ist kein Grund anzunehmen, dass das Proletariat, trotz der in den letzten Jahren sich zeigenden Passivität und Abwartung unfähig sei, die Eroberungen des Oktobers gegen die eigene wie gegen die auswärtige Bourgeoisie zu verteidigen; das würde heißen, noch vor der Schlacht und ohne Schlacht zu kapitulieren. Es besteht kein Zweifel, dass der weitere Druck von rechts den Zustrom der proletarischen Elemente der Partei zur Opposition und den Einfluss der Gedanken der Opposition auf die Arbeiterklasse im Ganzen stärken wird. Die Frage der Fristen des Thermidors und seines Erfolges oder Nichterfolges überhaupt ist und kann nicht die Frage einer nackten theoretische Analyse oder Prognose sein. Es handelt sich um einen Kampf von lebendigen Kräften, das Resultat muss sich aus der Handlung selbst ergeben. Der innerparteiliche Kampf ist ungeachtet seiner ganzen Stärke nur die Einleitung zu der Epoche der Klassenkämpfe. Die ganze Aufgabe steht noch voll und ganz vor uns.

    14. Es ist klar, dass bei einem schnelleren und günstigeren Gang der revolutionären Bewegung im Westen und im Osten der Opposition viel leichter sein wird, ihre historische Aufgabe zu erfüllen. Aber auch bei einem verzögerteren Gang der Weltrevolution sieht die Sache nicht so hoffnungslos aus. Natürlich macht sich die Opposition nicht daran, den „Sozialismus in einem Land aufzubauen“. Wenn man davon ausgehen soll, dass der Imperialismus noch während einer Reihe von Jahrzehnten im Westen und im Osten siegreich bleiben wird, dann würde es die reinste Kinderei sein zu denken, dass das Proletariat der UdSSR die Macht werde halten und den Sozialismus gegen den siegreichen Weltimperialismus werde aufbauen können. Aber für eine solche pessimistische internationale Perspektive gibt es keine Begründung. Die Widersprüche der Weltwirtschaft werden nicht geringer, sondern sie spitzen sich zu. Es wird kein Mangel sein an großen Erschütterungen. Die ganze Frage wird nur die sein, sie im Interesse des Sieges des Proletariats auszunutzen. Gerade dieses tut die Opposition an den Lehren der chinesischen Ereignisse , des anglo-russischen Komitees usw. Ein Erfolg auf diesem Wege ist nur unter der Bedingung möglich, dass die Aktivität des echten Bolschewismus gesichert sein wird, wenn auch vorläufig nur bei einer kleinen Minderheit.

15. Aber wenn auch der ganze Gang des Kampfes in der nächsten Zeit bis in die Wurzel hinein für die Diktatur des Proletariats in der UdSSR als ungünstig erweisen und sie zu Fall bringen würde, so würde auch in diesem Falle die Arbeit der Opposition ihre ganze Bedeutung behalten. Die Vollendung des Thermidors würde die Spaltung der Partei bedeuten. Die Opposition würde die revolutionären Kader des Bolschewismus auf den Boden des Kampfes gegen den bürgerlichen Staat hinüber führen Unser linker Flügel würde dann nicht die „zweite“ Partei bilden, sondern sie würde die Fortsetzung der historische Partei der Bolschewiki sein. Die „zweite“ Partei würde sich aus der Verschmelzung der bürokratischen und der besitzenden Elementen bilden, die schon heute Stützpunkte in dem rechten Flügel haben. Diese „zweite“ Partei würde nur das Sprungbrett für die in- und ausländische Bourgeoisie sein. Die Aufgabe der bolschewistischen Partei – nach dem bürgerlichen Umsturz – würde darin bestehen, die zweite proletarische Revolution vorzubereiten.

Jetzt geht die Sache jedoch um die Verhinderung eines solchen Ausganges der Entwicklung durch den proletarischen Kerns der WKP und die Arbeiterklasse insgesamt.

IV. Die Perspektiven

16. Nach der formellen Absägung der Opposition werden sich die nichtproletarischen Klassen sicherer fühlen. Der Druck wird sich noch verstärken. Die Formen und Methoden dieses Druckes werden immer verschiedenartiger und umfassender werden: vom Druck des Meisters in der Betriebsabteilung bis zum Druck der amerikanischen und europäischen Bourgeoisie in der Frage des Außenhandelsmonopols. Aber wenn man von der Voraussetzung ausgeht, dass der Druck der in- und ausländischen Bourgeoisie mit ihrem Siege enden sollte (das ist durchaus noch nicht entschieden), so darf man sich auch dann nicht vorstellen, dass der Prozess ganz glatt verlaufen wird, ohne Hemmnisse auf dem Wege des Abgleitens, ohne Widerstand von unten, ohne den Versuch eines proletarischen Gegendruckes von links. Gerade der wachsende Angriff der nichtproletarischen Klassen muss immer größere Schichten des Proletariats auf den Weg des aktiven Kampfes stoßen. Um den proletarischen Kern der Partei wie auch dem Proletariat insgesamt diese Verteidigung politisch zu leiten, ist die Opposition auch bei dem ungünstigsten Entwicklungsgang der Ereignisse vonnöten. Es lohnt sich kaum zu sagen, dass der proletarische Kern der Partei und die Arbeiterklasse nur unter der Bedingung immer mehr nach der Opposition rufen werden, wenn die Opposition selbst versteht, in allen Fragen des Lebens und des Kampfes der Massen eine wirkliche Übereinstimmung ihrer Absichten mit den Interessen des Proletariats zu zeigen. Dieses setzt eine Aktivität der Opposition selbst und ihre aktive Einmischung in alle Vorgänge des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens der Arbeiterklasse voraus.

17. Der Stalinschen Fraktion droht nicht nur der immer mehr wachsende Druck von rechts, sondern auch der unausbleibliche Widerstand von links. Die Stalinisten verfolgen die Opposition, da sie hoffen, dass es ihnen selber gelingen wird, den notwendigen Widerstand von links gegen die von rechts vordringenden Kräfte zu schaffen.

Die Elemente des rechten Flügels der Partei wie auch die Ustrjalowschen Elemente „begreifen“ die Notwendigkeit eines gewissen Linksmanövers, aber sie fürchten, dass dieses Manöver zu weit gehen wird. Die Elemente des rechten Flügels innerhalb der Partei wie auch die außerhalb der Partei, welche aber in allen Entscheidungen der Partei mitwirken, sind charakteristisch durch ihre organische Verbindung mit den neuen Besitzenden. Sie können nur auf solche Manöver eingehen, welche ein gewisses „Opfer“ für das Proletariat bedeuten, die materielle Lage der ausbeutenden Klassen nicht schwächt und ihre wachsende politische Rolle nicht vermindert. Unter gerade von diesem Gesichtspunkt aus sehen sie die Frage des Siebenstundentags, die Lohnfrage, die Hilfe an die Dorfarmut usw. an. Die linken Manöver werden die Stalinsche Politik nicht retten: Der Schwanz wird den Kopf treffen. Das Wachsen des rechten Flügels wird unmittelbar durch das immer größer werdende Übergewicht des Staatsapparats über den Parteiapparat ausgedrückt. Diesen Prozess kann man für die Zeit von zwei Jahren zwischen dem 14. und 15. Kongress genau verfolgen. Der 14. Parteitag zeigte noch die Herrschaft des Parteiapparats und auch Stalins. Der 15. Parteitag zeigte schon eine ernstliche Verschiebung der Kräfte nach rechts. Die stolzen Erklärungen des zentristischen Apparatmenschen, dass sie auch nebenbei den rechten Flügel zertrümmern werden, blieb ohne Verwirklichung. Das Politbüro blieb genau so zusammengesetzt wie vor dem 15. Kongress. In das neue ZK und ZKK kamen neue Figuren, ausschließlich „nach Bedarf". Der 15. Parteitag hat die Schwäche des Parteiapparates in dem allgemeinen System des Sowjetregimes gezeigt Der Kampf Stalin-Rykow spiegelt in bedeutendem Maße den Kampf zweier Apparate wider, der wiederum den Kampf der Massen reflektiert. Der Druck der nichtproletarischen Klassen geht viel breiter und unmittelbarer von dem Staatsapparat aus. Das bedeutet aber nicht, dass der Kampf Stalin-Rykow und anderer sich klar in dem Rahmen der Klassen bewegt. Nein. Wenn in der Zukunft die Politik des Tretens auf dem Fleck, die kleinen Aufschiebungen und Abwertungen unmöglich sein werden, dann könnte Stalin mit Erfolg sich auf das rechte Pferd setzen und Rykow liquidieren, ihn einfach ersetzen. Aber auch diese Personalfrage kann nicht ohne neue tiefgehende Umgruppierungen und Erschütterungen in der Partei vor sich gehen.

18. Wirtschaftliche Schwierigkeiten rücken mit unerbittlicher Kraft heran. Dia Opposition hatte recht, sowohl in ihrer Meinung über die wirtschaftliche Lage des Landes wie auch in ihren Voraussagungen über den weiteren Gang der Ereignisse. Der große Misserfolg der Getreide-Vorbereitungskampagnen in der ersten Jahreshälfte spricht von einer ernsten Störung in dem Gleichgewicht der Gesamtwirtschaft der UdSSR. Schon hat der Exportplan einen ernsten Schaden erlitten, folglich auch der Plan des Imports Die ungenügende Menge von Lebensmitteln hat ein so wichtiges proletarisches Zentrum wie Leningrad veranlasst, faktisch auf das Kartensystem überzugehen. Charakteristisch für das Jahr 1927 und 1928 ist die Geldinflation, die der Grund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist. Grade die Geldinflation hat die Schwierigkeiten in unserer Wirtschaft zugespitzt, und als Resultat zeigt sich das Zurückbleiben der Industrie, Disproportion usw. Die Geldinflation ist der Ausdruck dafür, dass erstens die realen Ausgaben der Staatswirtschaft sich viel größer als die realen Einnahmen erwiesen haben, und dass zweitens eine solche Lage in unserem Lande unweigerlich zu einer Störung des Zusammenschlusses zwischen Stadt und Land führt. Reale Mittel zu einer schnelleren Industrialisierung des Landes kann man nur erhalten durch eine Änderung der Verteilung des Nationalen Einkommens zugunsten der sozialistischen Elemente unserer Wirtschaft. Ohne diese hat sogar der jetzt durchzuführende Plan der Geldausgaben zu einer Überspannung auch der Emissionsmöglichkeiten geführt.

Der jetzt durchgeführte Kampf gegen die wirtschaftlichen Schwierigsten (verstärkte Versorgung des Dorfes mit Industriewaren, leere städtische Märkte) kann zu einem Teilerfolg auf einzelnen Gebieten führen auf Kosten anderer Gebiete, wo neue Schwierigkeiten geschaffen werden. Die gesamte wirtschaftliche Lage zeigt die Schwäche der jetzigen Politik, die zu Entscheidungen von Fall zu Fall führt, bei einer falschen allgemeinen Linie. Der Plan der Opposition ist abgeschlagen worden, Stalin hat überhaupt keinen Plan, die Rechten haben vorläufig Furcht, Ihre Absichten laut werden zu lassen so sieht die wirtschaftliche Leitung im gegebenen Augenblick aus. Das Allerwahrscheinlichste ist. dass im Fall einer weiteren Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage die Linie der Rechten triumphieren wird, was auch vollkommen richtig in der Plattform der Opposition vorausgesagt worden ist. Die Wurzel der heutigen scharfen, kritischen Lage ist die Disproportion zwischen der Industrie und der Landwirtschaft. Man kann diese Disproportion auf zweierlei Art verschwinden lassen entweder durch Methoden einer planmäßigen Regulierung über eine entsprechende Politik der Steuern, der Preise, der Kredite usw. oder durch elementare Mittel des Marktes, nicht nur des inneren, der hierzu unzureichend ist, sondern auch des Weltmarktes. Der erste Weg – ist eben der der richtigeren Verteilung des Nationaleinkommens. Der zweite Weg – ist der Weg der Abschaffung des Außenhandelsmonopols.

19. Der Schlüssel der Lage ist die Frage des Außenhandelsmonopols. Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Abschaffung des Außenhandelsmonopols oder ein wesentlicher Abbau des Monopols in der ersten Zeit zu einer unbedeutenden Erhöhung der Produktionskräfte führen werde. Die Waren würden billiger, der Lohn höher werden, die Kaufkraft des Bauernrubels würde steigen. Aber dies alles zusammen würde die beschleunigte Verschiebung der Volkswirtschaft nur das kapitalistische Geleise bedeuten. Und auch die wachsende ökonomische und politische Unterwerfung der Sowjetunion unter das Weltkapital Die Diktatur des Proletariats könnte sich dabei nur für ganz kurze Zeit halten, eine Frist, die nicht nach Jahren gemessen ist. Die Wiederherstellung der kapitalistischen Herrschaft würde eine direkte oder indirekte Einteilung Russlands in Einflusssphären bedeuten, ihre Hineinziehung in die imperialistische Weltpolitik, Kriegserschütterungen mit der Perspektive auf Vernichtung und Niedergang nach dem Muster von China. In der ersten Zeit würde die Abschaffung des Außenhandelsmonopols der Entwicklung der produktiven Kräfte unzweifelhaft einen Anstoß und den werktätigen Massen eine zeitweilige Erhöhung ihres Wohlstandes geben. Nach dieser Seite drückt auch der Kulak, der das Getreide, wie der des amerikanische Kapitalist, der die Kredite zurückhält.

Man braucht nicht zu meinen, dass von rechts die Losung der Abschaffung des Außenhandelsmonopols mit einem Mal aufgeworfen wird. Es gibt nicht wenige Umwege – wie die Geschichte der Wahlinstruktionen gezeigt hat. Der Druck wird in der ersten Zeit diese Umwege machen. Aber die Forderung der Abschaffung des Außenhandelsmonopols kann bald genug in einer allgemeinen Form gebracht werden. Man wird den Arbeitern sagen: „Lenin war natürlich für das Monopol. Aber alles hängt von den Umständen der Zeit und des Ortes ab. Unsere Lehre ist kein Dogma. Die Situation hat sich geändert. Die Entwicklung der produktiven Kräfte erfordern usw. usw.“ Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass bei einer Fortsetzung der heutigen Sackgassenpolitik die Losung einer ratenweisen Abschaffung des Außenhandelsmonopols einen gewissen Teil der Arbeiterklasse hinter sich ziehen kann

20, Auch in anderen Fragen wird der Druck zu spüren sein. Die Durchsicht der Wahlinstruktionen wird von neuem auf der Tagesordnung stehen. Die Fragen der Steuerpolitik, die Frage der Rechte der Verwaltung in den Betrieben, die Frage der Kreditpolitik – besonders im Dorf – usw. werden von Neuem unter dem Druck von rechts stehen. Der Stalinsche Apparat wird schon morgen diesen Druck spüren und wird seine Machtlosigkeit vor ihm beweisen. Man kann Rykow-Leute absetzen und auch die Absetzung Rykows selbst vorbereiten, aber diese bürokratischen Scherze werden die Fragen nicht entscheiden. Der Druck von rechts geschieht nicht nur durch die Rykowsche Gruppe, sondern ist tiefer fundiert als nur durch die Rykowsche Fraktion. Die Quellen sind die neuen Besitzenden und die mit ihnen verbundenen Bürokraten. Man kann sich nur entweder auf die neuen Besitzenden gegen die Arbeiter stützen oder auf die Arbeiter gegen die Besitzenden. All dieses bedeutet, dass die fraktionelle Formierung auf dem rechten Flügel mit verstärktem Tempo vor sich gehen wird, im Innern wie außerhalb seiner Grenzen. Der Apparat wird den Klassendruck nicht halten können. Die Logik der Lage ist die, dass der 15. Kongress nach allem Gegebenen den Anfang bedeuten wird zu einem verstärkten Druck von rechts auf die Partei. Die Rolle des linken Flügels wird unter diesen Umständen eine entscheidende sein für das Schicksal der Partei und der Diktatur. Die Kritik am Opportunismus, eine richtige klassenmäßige Orientierung, richtige Losungen, die revolutionäre Erziehung der besten Elemente der Partei – diese Arbeit ist unter allen Umständen die notwendigste und zwingendste. Die wichtigste Aufgabe der Opposition besteht darin, den Bestand der echten bolschewistischen Partei zu sichern. Bis zu dieser Zeit heißt es aber gegen den Strom zu schwimmen.

V. Opposition und Komintern.

21. Die Resolution des 15. Kongresses lautet nach dem Bericht des ZK: „In der jetzigen Zeit wird in Europa das kurzfristige Abebben der revolutionären Welle (nach der Niederlage der deutschen Revolution im Jahr 1923) durch ein Anschwellen abgelöst, durch die stärker werdende Aktivität des Proletariats." Wir haben somit zum ersten Mal ein offizielles und offenes Bekenntnis, dass nach der Niederlage der deutschen Revolution 1923 in der europäischen Arbeiterbewegung ein Abebben eingetreten ist, das — wenigstens auf dem europäischen Kontinent wenigstens gegen vier Jahre angedauert hat. Den Eintritt dieses Abebbens konnte und musste man schon im November, Dezember 1923 voraussehen. Gerade in dieser Zeit sagte die Opposition voraus: die Unausbleiblichkeit des Eintreffens einer gewissen „Normalisierung", einer gewissen „Pazifizierung" der kapitalistischen Verhältnisse, die Unausbleiblichkeit des amerikanischen Einflusses auf die Politik und Wirtschaft Europas und damit zusammen die Unausbleiblichkeit der Sozialdemokratie auf Kosten des Kommunismus. Diese marxistische Prognose wurde damals eine „liquidatorische" genannt. Der V. internationale Kongress 1924 wurde unter dem Gesichtswinkel durchgeführt, als ob die revolutionäre Flut noch bestände und die unmittelbare „Organisierung der Revolution“ die daraus entstehende Aufgabe wäre. Der estnische Aufstand ist eine der grellsten Folgen dieser falschen Einstellung. Die sogenannte Bolschewisierung der Parteien der Komintern, die vom V. Kongress beschlossen wurde, vereinigte in sich sowohl die Tendenz zum Ausschluss der wirklich untauglichen und faulen Elemente wie den Kampf gegen die richtige marxistische Auslegung der einzelnen Phasen der imperialistischen Epoche, ihr An- und Abfluten, ohne welche eine revolutionäre Strategie des Bolschewismus unmöglich ist. Die falsche Feststellung des V. Kongresses hat zweifellos die ultralinken Fehlern und Tendenzen genährt. Als die Leitung der Komintern, mit ihrer besonderen Eigenschaft, hinterher klug zu werden, die ganze Tiefe des Abflutens erkannt hatte, schlug sie auf auf die linken Elemente der Partei ein. Das System der wechselnden Führung in der Komintern hat sich während der letzten zwei Jahren noch mehr gefestigt. Die wichtigsten Aufgabe des 6. Kongresses werden die richtige Einschätzung der Hauptfehler in der Feststellung des 5. Kongresses und die entschiedene Verurteilung jener Leitung sein, welche ihre Hilflosigkeit bei einer jeden neuen schroffen Änderung der Ereignisse an den Leitungen der nationalen Sektionen auslässt, sie auf diese Weise desorganisiert und ihnen keine Ruhe lässt, sich zu formieren und beim Ablösen der Perioden des An- und Abflutens der Arbeiterbewegung richtig zu orientieren.

22. In der europäischen Arbeiterklasse kann man einen zweifellosen Ruck nach links bemerken. Er zeigt sich in der wachsenden Streikbewegung und in dem Anwachsen der kommunistischen Stimmen, aber nur als erste Etappe des Druckes. Die Zahl der sozialdemokratischen Wähler wächst parallel der Zahl der kommunistischen Wähler, teilweise überholt sie sie noch. Wenn sich dieser Vorgang ausbreitet oder vertieft, so beginnt das nächstfolgende Stadium, der Ruck von der Sozialdemokratie zum Kommunismus. Gleichzeitig müssen sich noch die Organisationen der kommunistischen Parteien festigen, was man bis jetzt allem Anschein nach noch nicht konstatieren kann. Eins der größten Hindernisse des Wachsens und der Festigung der kommunistischen Parteien ist der politische Kurs der Komintern und ihr inneres Regime. Der fortgesetzte Feldzug gegen den linken Flügel bildet eine neue Schere zwischen dem rechten Kurs der Partei und der nach links rückenden Arbeiterklasse. Die revolutionäre Situation kann auf einer der nächsten Etappen in den Ländern Europas mit genau derselben Kraft und Stärke entstehen, wie sie in Wien entstanden ist. Die ganze Entscheidung liegt bei der Kraft der Partei und der Komintern, bei ihrer politischen Linie und ihrer Leitung. Die unlängst stattgefundenen Ereignisse in Kanton – die abenteuerliche Ergänzung der menschewistischen Politik zeigt, dass es das größte Verbrechen wäre, sich irgendwelche Illusionen über die heutige Linie der Leitung in den internationalen Fragen zu machen. Nur die Opposition kann bei einer systematischen, ständigen, hartnäckigen, ununterbrochenen Arbeit den kommunistischen Parteien des Westens und Ostens helfen, auf den bolschewistischen Weg zu kommen und in den revolutionären Situationen, an denen es in den nächsten Jahren kein Mangel sein wird, sich auf der Höhe befindlich zu erweisen. Die Opposition in der UdSSR kann ihre Aufgaben als internationaler Faktor erfüllen. Um so unerhörter ist deswegen das Lossagen Sinowjews und Kamenews von der linken Komintern.

VI. Die Frage der zwei Parteien.

23. Der offizielle Kampf gegen die Opposition wird unter zwei Hauptlosungen geführt: gegen „zwei Parteien“ und gegen „Trotzkismus“. Der Stalinsche Pseudokampf gegen die zwei Parteien deckt die Bildung der Doppelherrschaft im Lande und die Bildung einer bürgerlichen Partei auf dem rechten Flügel der WKP. In einer Reihe von Behörden und Büros der Sekretäre werden geheime Sitzungen der Apparatleute der Partei mit Spezialisten, Ustrjalowschen Professoren abgehalten zur Ausarbeitung von Methoden und Losungen des Kampfes gegen die Opposition. Das ist eine wirkliche Formierung einer zweiten Partei, welche mit allen Kräften dahin strebt, sich de proletarischen Kern der Partei zu unterwerfen, und teilweise unterwirft sie ihn auch, um seinen linken Flügel zu zerschlagen. Indem der Apparat die Bildung dieser zweiten Partei deckt, beschuldigt er die Opposition des Bestrebens, eine zweite Partei zu schaffen – gerade deswegen, weil die Opposition danach strebt, den proletarischen Kern der Partei dem wachsenden Druck und Einfluss zu entreißen; ohne dieses Losreißen ist die Einheit der bolschewistischen Partei nicht zu retten. Der Gedanke, dass man die Diktatur des Proletariats nur mit mündlichen Beschwörungen auf die Einheit der Partei erhalten kann, ist die reinste Illusion. Die Frage über eine oder zwei Parteien im materiellen, klassengemäßen und nicht im agitatorischen Sinne wird damit entschieden, ob und in welchem Maße man die Kräfte des Widerstandes innerhalb der Partei und innerhalb des Proletariats wird erwecken und mobilisieren können. Die Opposition kann dies nur in dem Falle erreichen, wenn sie selbst durchdrungen ist von dem Verständnis der ganzen Tiefe der sich entwickelnden Klassenprozesse, wenn sie sich nicht wird schrecken lassen von dem Schreckgespenst der zwei Parteien und der Scharlatanerie des „Trotzkismus“.

24. In den Thesen des Genossen Sinowjew „Das Ergebnis des Juli-Plenums" wird über die zwei Parteien folgendes geschrieben: „Aber Stalin schließt die Oppositionellen aus der Partei und er kann doch morgen zu noch größeren Massenausschlüssen aus den Reihen der WKP kommen. Ja, das ist so, und trotzdem erfolgt daraus noch nicht die Losung der zwei Parteien". Die Sache hat sich so gestaltet, dass man für die Ansichten Lenins unter dem Stalinschen Regime mit dem Risiko des Ausschlusses aus der WKP kämpfen kann. Das ist unbestreitbar. Wer für sich diese Frage noch nicht gelöst hat, wer sich sagt, „alles mögliche, nur nicht den Ausschluss aus der Partei, der kann unter den heutigen Bedingungen kein echter Kämpfer für den Leninismus, d.h. kein standhafter Oppositioneller sein Es kann möglich sein, dass eine bedeutende Gruppe von Oppositionellen (alle führenden Elemente der Opposition mit einbegriffen) in kurzer Zeit sich außerhalb der Partei befinden. Ihre Aufgabe wird jedoch sein, ihre Sache weiter fortzuführen, auch wenn sie formell nicht mehr Mitglieder der Partei sind, nicht auf ein Jota von der Lehre Lenins abzugehen. Ihre Aufgabe wird in der schwierigsten Zeit sein, den Kurs zu halten nicht auf die Bildung einer zweiten Partei, sondern auf die Rückkehr in die WKP und auf die Korrektur ihrer Linie. Keine Frage, es ist die schwierigste Aufgabe der aus der Partei ausgeschlossenen Leninisten ihre Arbeit mit den Leninisten innerhalb der Partei zu koordinieren, aber das ist unbedingt nötig vom Standpunkt unserer wichtigsten Ziele.“

Der Verlauf des Kampfes zeigt die Einmütigkeit der Opposition darin, dass der Kampf für die Einheit der Partei auf Leninscher Grundlage sich in keinem Falle in ein Kriechen vor dem Apparat, in eine Verkleinerung der Differenzen, eine Verminderung der Schärfe des politischen Ausdrucks verwandeln kann. Wenn sich Genossen von der Opposition loslösen, um nach rechts zu gehen, so geben sie meist als Grund ihres Abganges nicht ihr eigenes Abgleiten zu Stalins Standpunkt in der Frage innerer und internationaler Politik an, sondern sie beschuldigen die Opposition. ihren Kurs auf eine zweite Partei zu nehmen, mit anderen Worten, wiederholen die Stalinsche Anschuldigung zur Deckung ihres eigenen Rückzuges (Seite 14/15.) Es ist wahr, dass jetzt nicht Juli, sondern November ist, aber das in diesen Zeilen Gesagte hat auch noch heute seine Kraft.

25. Noch einmal: Wenn der rechte Parteiflügel und der nebenparteiliche Flügel sich verschmelzen und sich im Laufe der nächsten Zeit einen bedeutenden Teil des proletarischen Kerns der Partei unterworfen haben, – dann würden zwei Parteien, historisch gesehen, unausbleiblich sein, was aber bedeuten würde den Untergang der Diktatur und konsequente Niederschlagung der sich erhebenden Arbeiter. Das ist doch der politische Weg des siegreichen Ustrjalowismus. Ein entgegengesetzter Weg ist nur denkbar durch die Isolierung des rechten Flügels durch den Kampf der Opposition gegen den Apparatzentrismus um den Einfluss auf den proletarischen Kern der Partei. Die Diktatur des Proletariats kann sich nicht auf immer und immer durch neue Niederschlagung des linken proletarischen Flügels halten. Im Gegenteil. Die Diktatur ist nicht nur vereinbar mit der Isolierung und politischen Liquidierung des rechten Flügels, sondern sie verlangt energisch eins solche tatsächliche Liquidierung. Die Kapitulation vor dem Apparatzentrismus im Namen der Einheit der Partei würde darum auch eine direkte Arbeit für die zwei Parteien sein, d.h. für den Untergang der proletarischen Diktatur.

VII. Über die Kapitulation Sinowjews und Kamenews

26. Wenn die Opposition an den Kongress einmütig eine loyale feste Erklärung abgegeben hätte, eine einzige, nicht ein halbes Dutzend, offen und fest in allen politischen Fragen, besonders in den Gründen der Fraktionstätigkeit, so würde unsere Lage unvergleichlich besser stehen. Die Schwankungen in den Reihen der Opposition kamen nicht von unten, sondern von oben. Die Handlungsweise der Genossen Sinowjew und Kamenew stellen etwas nie Dagewesenes in der Geschichte der revolutionären Bewegung da, ja, man kann ruhig sagen, in der Geschichte des politischen Kampfes überhaupt. Sinowjew und Kamenew gingen formell von der Einheit der Partei aus, als dem höchsten Kriterium; bei dieser ihrer Handlung sagen sie, dass die Erreichung der Einheit denkbar sei nicht auf dem Wege des Kampfes für seine Ansichten, sondern auf dem Wegs des Nachgebens in seinen Ideen. Aber das ist die unerbittlichste Verurteilung der Partei, man sich denken kann. In Wirklichkeit verhilft diese Art der Handlung der Partei nicht zur Erhaltung der Einheit, sondern zu ihrer Demoralisierung. Es ist als ob alle Elemente der doppelten Buchführung, des Strebertums, des Karrierismus dadurch ihre Ideologische Rechtfertigung erhalten. Die Absage von der Verteidigung seiner Ansichten bedeutet insbesondere die Rechtfertigung jener breiten Schicht des verwahrlosten Kleinbürgertums in der Partei, die mit der Opposition fühlen und mit der Mehrheil stimmen. Der Umfall von Sinowjew und Kamenew ist durchtränkt von dem falschen Glauben, dass man sich aus jeder geschichtlichen Lage durch ein schlaues Manöver herauswinden kann, statt eine prinzipielle politische Linie einzuhalten. Das ist die böseste Karikatur auf den Leninismus. Unsere Plattform sagt zur Charakterisierung der Manöverpolitik Lenins:

Unter ihm (Lenin) kannte die Partei immer die Gründe des Manövers, seinen Sinn, seine Grenzen, die Linie, hinter welche man nicht zurückweichen kam und die Positionen, von denen aus von neuem der proletarische Angriff begonnen wird. Dank diesem behielt die manövrierende Armee immer ihre Geschlossenheit, ihren Kampfesgeist, ein klares Bewusstsein ihres Zieles.“

All diese Bedingungen des Leninschen Manövers sind von Sinowjew und Kamenew auf das Prinzipienloseste korrigiert worden. Ein mitleiderregender Selbstbetrug ist die Hoffnung, dass nach wenigen Monaten das Kapitulationsdokument durch neue Ereignisse und einen neuen Kampf begraben sein wird. Der indifferente Teil der Partei und der Arbeiterklasse wird natürlich an diesen Dokumenten vorübergehen, aber die Kader der Stalinschen Fraktion wie auch die Opposition werden sie nicht vergessen, und bei einer neuen Wendung werden sie sie der Arbeiterklasse ins Gedächtnis rufen. Politisch bedeutet De Umfall Sinowjews und Kamenews den Versuch, von der revolutionären Position auf die linkszentristische überzugehen als Gegengewicht der rechtszentristischen Position Stalins. Der Zentrismus kann sich in einer Epoche der langsamen Entwicklung lange halten (Kautskyanismus bis zum Kriege). Unter den Bedingungen der heutigen Epoche gibt der Zentrismus rasch seine Positionen nach links und nach rechts ab. Während der Zeit des Aufschwungs ist der linke Zentrismus nicht selten die Brücke zu einer revolutionären Position. Gegenwärtig, in der Zeit des Abgleitens, der heutigen, ist der linke Zentrismus nur eine kleine Brücke von der Opposition zu Stalin. Irgendeine selbständige Rolle wird die Gruppe Sinowjew-Kamenew nicht spielen. Ihr Umfall ist eine Kräfteverschiebung in der Spitze unter dem wuchtigen nationalen und internationalen Drucks auf den revolutionären Flügel der WKP und der Komintern. Die Ereignisse werden die Kapitulationserklärungen vom 18. Dezember „begraben", aber nur in dem Sinne, indem sie über die Gruppe Sinowjew und Kamenew hinweg schreiten werden.

VIII. Über den Trotzkismus

27. Sinowjew und Kamenew, die in der Schaffung der Legende des „Trotzkismus" sich im Laufe der Jahre 1924/25 führend beteiligten, erklärten in der Julideklaration 1926:

Jetzt kann kein Zweifel mehr bestehen, dass der Kern der Opposition 1923, wie es die Evolution der heute führenden Fraktion gezeigt hat, richtig vor den Gefahren des Abgleitens von der proletarischen Linie und vor dem drohenden Wachstum des Apparat-Regimes gewarnt hat." Es ist ganz klar, wenn die Opposition 1923 zwei Jahre früher vor den der Partei und der Diktatur des Proletariats drohenden Gefahren gewarnt hat, so kann die Beschuldigung des sogenannte „Trotzkismus" gegen die Opposition nur auf der größten Verkennung der gesamten Lage und der darauf entstehenden Aufgaben beruhen. Zusammen mit den Führern der Opposition von 1923 haben Sinowjew und Kamenew die wichtigsten Dokumente der Opposition und darunter das wichtigste, die Plattform, ausgearbeitet. Es ist klar, dass die Beschuldigung der kleinbürgerlichen Abweichung, des „Trotzkismus" und anderer mehr dabei in nichts zerflossen sind. Der verspätete Versuch, den Kampf gegen das „Aufstoßen" des „Trotzkismus" zu erneuern, stellt nichts anderes dar als ein mitleiderregendes „Aufstoßen" der eigenen Fehler von Sinowjew und Kamenew 1923, der Fehler, welche der schicksalsschweren Verschiebung des Parteiregimes vom Leninschen Weg auf den Weg des Abgleitens in den Sumpf des Zentrismus und des Opportunismus zur Hilfe kamen.

IX. Die Bilanz des Blocks

28. Die Kapitulation Sinowjews und Kamenews wirft von neuem die Frage auf, ob der Block im Ganzen nicht ein Fehler war. Die einzelnen Genossen, die zu dieser Schlussfolgerung neigen, nehmen nicht die Geschichte des Blocks im ganzen, sondern nur den Schlussteil der Geschichte. Die Opposition von 1923 ist in Moskau geboren, die Opposition 1925/26 in Leningrad, der rechte Flügel hat seine feste Basis im Nordkaukasus, wo der Kampf zwischen den Stalinisten und den Rykowleuten in besonders greller und deutlicher Form sich abspielt. Diese örtliche Verteilung der politischen Gruppierungen ist keine zufällige, und sie allein erklärt den Block von Moskau und Leningrad, d. h. der zwei wichtigsten proletarischen Zentren der Union. Ungeachtet der einen oder anderen Schwankungen der Spitzen ist doch der Block durch tiefgreifende Klassentendenzen hervorgerufen. Unter diesen Umständen von der „Prinzipienlosigkeit" des Blocks zu reden, ist elende Masche. In ideeller Hinsicht hat die Leningrader Opposition dank ihrer hochqualifizierten proletarischen Grundlage dem Block einen sehr wertvollen Beitrag gegeben. Die Annäherung der Moskauer und Leningrader Arbeiter wird auf der Grundlage der Plattform auch weiterhin fortgesetzt trotz des Umfalls der führenden Elemente der Leningrader Opposition. Dasselbe kann man auch von der Opposition in der Komintern sagen. Die revolutionärsten Elemente finden immer mehr zueinander nach einigen Schwankungen, die im bedeutendsten Maße durch die Maßnahmen des V. Kongresses hervorgerufen waren. Die besten Elemente der Opposition der Jahre 1923,1925 und 1926 vereinigen sich auch im internationalen Maßstab. Der Abfall Sinowjews und Kamenews wird den Prozess nicht aufhalten.

X. Die Bewertung der Taktik der Opposition

29. In der Geschichte des oppositionellen Blocks kann man drei Perioden feststellen: a) vom April 1926 bis Oktober 1926, b) vom 16. Oktober 1926 bis 8. August 1927 und c) vom 8. August 1927 bis zum 15. Parteitag. Eine jede dieser Perioden ist charakterisiert durch ein Anwachsen der oppositionellen Aktivität bis zu einem kritischen Punkt, wonach eine größere oder geringere Ruhe eintritt, die begleitet ist von Erklärungen über Absage von Fraktionstätigkeit. Diese eigenartige Wiederholung der Taktik der Opposition legt den Gedanken nahe, dass hier einige gemeinsame Gründe vorliegen. Man muss sie einerseits in den allgemeinen Bedingungen der proletarischen Diktatur in einem Bauernlande suchen, andererseits in den besonderen Bedingungen des Zurückflutens der Revolution und des politischen Abgleitens. In seinem Kampf gegen den linken Flügel ist der Apparat mit allen Methoden und Mitteln der Diktatur ausgerüstet. Die Waffe der Opposition ist die Propaganda. Die Verbreitung der Reden und die individuelle Bearbeitung und die Zusammenschlüsse und das Tragen von Plakaten auf der Straße am 7. November, all dieses sind nur verschiedene Formen der Propaganda. Der Apparat bemüht sich, diese Formen der Propaganda in die Anfangsformen – zuerst einer Fraktion, dann einer Partei und schließlich des Bürgerkrieges zu verwandeln. Die Opposition wird auf diesem Weg nicht folgen. Sie gelangt jedes Mal an eine Linie, wo der Apparat sie vor die Notwendigkeit stellt, sich von einigen Arten und Methoden der Propaganda loszusagen. Alle drei Erklärungen der Opposition – vom 16. Oktober, 8. August und November/Dezember hatten das Ziel immer von neuem der Parteimasse zu zeigen, dass die Opposition nicht die zweite Partei ist und den Bürgerkrieg zu ihrer Aufgabe macht, sondern die Richtigstellung der Partei und des Staates durch die Methoden einer tiefgehenden Reform. Die Kritiker der Oppositionstaktik von außen her, die auf ihren zirkzackmäßigen Charakter hinweisen, kritisieren sie, als ob die Opposition ihre Taktik frei bestimmen könnte, als ob kein wütender Druck von Seiten der feindlichen Klassen, als ob keine Macht des Apparates, kein politisches Abgleiten der Führer, keine relative Passivität der Arbeiterklasse wäre. Die Taktik der Opposition mit ihren unausbleiblichen inneren Widersprüchen kann man nur in dem Falle verstehen, wenn man keinen Augenblick vergisst, dass die Opposition gegen den Strom schwimmt, gegen die in der Geschichte nie dagewesene Schwierigkeiten und Hindernisse kämpft. In den Fällen, wo die Kritiker sich nicht mit einzelnen Teilhinweisungen, manchen gerechten, manchen ungerechten, begnügen, sondern sich bemühen, unserer Taktik, die aus realen Bedingungen entstanden ist, irgendeine andere Taktik gegenüberzustellen, enden sie gewöhnlich mit dem Hinweis auf die Kapitulation. Was die wirklichen Kapitulanten betrifft, so versuchen sie die jetzige Taktik der Opposition mit solchen Worten zu charakterisieren wie: weder Krieg noch Frieden. „Frieden" nennen sie die Kapitulation. „Krieg" zwei Parteien. Aber die Thesen desselben Sinowjew über die „Ergebnisse des Juliplenums 1927" sind ganz und gar von dem Gedanken durchdrungen, keine Kapitulation, keine zwei Parteien. So war die gesamte Linie der Opposition. Aber die Kapitulanten müssen ja immer ihre eigene Vergangenheit bespucken. In keinem Lehrbuch steht es geschrieben, auf welchen Wegen man die proletarische Diktatur, die sich unter den Schlagen des Thermidors befindet, wieder aufrichten kann. Diese Wege und Methoden muss man suchen, ausgehend von der realen Lage. Diese Wege werden sich finden, wenn die Grundlage richtig ist.

Einige Schlussfolgerungen

1. Die theoretische Selbsterziehung ist in dem gegebenen Moment die wichtigste Aufgabe eines jeden Oppositionellen, das einzige ernst zu nehmende Pfand seiner Festigkeit. Das Studium der Protokolle des XV. Parteitages im Lichte der Gegenthesen der Opposition und der neuen Tatsachen des wirtschaftlichen und politischen Lebens muss die Hauptarbeit eines jeden Oppositionellen sein, besonders nach der Auflösung der Fraktion.

2. Der Oppositionelle, ganz unabhängig davon, ob er in der Partei oder außerhalb steht, muss sich als die Aufgabe, sich in allen proletarischen, und überhaupt Sowjet-Organisationen aktiv zu betätigen (Partei, Gewerkschaft, Sowjet Klubs usw.). Der Oppositionelle kann in keinem3 Falle auf die Rolle eines Kritikers beschränken, er muss tätige Mitarbeit besser und gewissenhafter ausführen als ein bezahlter Beamter. Nur auf dieser Grundlage wird eine prinzipielle Kritik an das Bewusstsein der Massen gelangen.

5 Es ist nötig an die Komintern zu appellieren, um die Frage der Opposition in ihrem vollen Umfange auf dem VI. Kongress zu stellen.


1Der Rest der Einleitung zeigt die Differenzen zwischen der Mehrheit des Leninbundes und der Internationalen Linken Opposition, die später zum Bruch führten.

2Betriebsdirektor + Parteisekretär + Gewerkschaftssekretär

3In der „Fahne des Kommunismus“ steht irrtümlich „einem“

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