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Leo Trotzki u.a. 19270526 Die Erklärung der Vierundachtzig

Leo Trotzki u.a.: Die Erklärung der Vierundachtzig

[Nach Die Linke Opposition in der Sowjetunion, Band V. Westberlin 1977, S. 84-95]

An das Politbüro des ZK der KPdSU

Der folgende Brief wurde, wie aus seinem Text ersichtlich ist, bald abgefasst, nachdem der Putsch von Tschiang Kai-schek und die Berliner Abkommen gezeigt hatten, dass die Politik, die von der Mehrheit des ZK in wesentlichen Fragen von internationaler Bedeutung betrieben wird, vollkommen falsch ist. Gerade diese falsche Politik hat zusammen mit den scharfen Verschiebungen in den internen Fragen ganz außerordentlich zur Schwächung der internationalen Stellung der UdSSR beigetragen. Wir überreichen den Kollektivbrief dem Zentralkomitee in dem Augenblick, in dem es die englischen Konservativen zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen gebracht haben, indem sie die Unentschlossenheit unserer Politik in der chinesischen Revolution und in der Arbeiterbewegung Englands selbst ausnützten. Die äußerst zugespitzte Situation, die hierdurch entstanden ist, verleiht – davon sind wir zutiefst überzeugt – diesem Parteidokument zehnmal so viel Bedeutung.

Man braucht immer eine richtige Linie. Sie wird aber um so notwendiger, je schwieriger die Lage ist. Eine richtige Linie ist unter den heutigen Bedingungen für uns eine Frage von Leben oder Tod. Wenn man jetzt die Fehler verschleiert, geht man mit geschlossenen Augen am Rande eines Abgrunds entlang. Das Geschrei darüber, dass wir in dem Augenblick, in dem England die diplomatischen Beziehungen abbricht, die Reihen desorganisieren oder, noch schlimmer, dass wir die Schwierigkeiten „ausnutzen" wollen, dies unvermeidliche Geschrei werden wir in aller Ruhe und im Bewusstsein unseres Rechts übergehen. In der Schule Lenins haben wir gelernt, alles Bedingte, Heuchlerische, Dekorative und der Politik Fremde beiseite zu werfen. Je ernster die Aufgaben und Schwierigkeiten sind, die vor uns stehen, desto energischer und härter werden dadurch alle Grundfragen der internen und internationalen Politik der Partei gestellt. In solchen Angelegenheiten wie Revolution oder Krieg hat kleinliches Manövrieren, Abwarten oder Herumscharwenzeln noch niemals irgendjemand oder irgendeiner Sache geholfen.

Man muss hier nicht wiederholen, dass wir eine Politik des Friedens brauchen. Falls aber wirklich der Krieg über uns hereinbrechen wird, so wird jeder Arbeiter, jeder Landarbeiter und jeder arme Bauer, andererseits aber auch jeder Kulak, jeder Bürokrat und jeder NEP-Mann kategorisch die Frage stellen: Was für ein Krieg ist das und in wessen Namen findet er statt? Mit welchen Methoden und Mitteln wird er geführt? Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik. Daher stellt die Kriegsgefahr auch alle Grundfragen der Politik kategorisch. Auf diese Fragen muss man – in Wort und Tat – klare und genaue Antworten geben. Auch das internationale Proletariat braucht diese Antworten, heute mehr denn je, und seine Hilfe ist im Augenblick notwendiger für uns, als sie jemals war. Zum Verhängnis werden können uns Zweideutigkeiten, kleine Kunstgriffe, Schwankungen zwischen den Klassen und Halbheiten. Eine klare, Leninsche revolutionäre Linie kann und wird uns dagegen sicher retten.

Das Unglück unserer Partei besteht darin, dass sie in letzter Zeit künstlich der Möglichkeit beraubt war, die Fragen zu diskutieren und kollektiv zu lösen, von denen das Schicksal der Arbeiterklasse und des Arbeiterstaates abhängt. Es herrschte die Meinung, dass irgendjemand für sie, für diese Partei wacht und Beschlüsse fasst. In einer Zeit großer Krisen wird ein derartiges System absolut unerträglich und unzulässig. Darüber macht eine Gruppe alter Bolschewiki, alter Parteigenossen dem Zentralkomitee eine Erklärung. Das Zentralkomitee kann und muss der Partei den Ausweg aus der Krise erleichtern und ihr dadurch die Möglichkeit geben, den herannahenden Gefahren voll gerüstet zu begegnen. Wir sind bereit, das Zentralkomitee auf diesem einzigen rettenden Weg mit allen Mitteln und Kräften zu unterstützen.

26. Mai 1927

G. Jewdokimow, G. Sinowjew, I. Smilga, L. Trotzki.

An das Zentralkomitee der KPdSU

Genossen!

Die ernsten Fehler, die bei der Führung der chinesischen Revolution gemacht worden sind, haben eine schwere Niederlage bewirkt, die man nur überwinden kann, wenn man auf den Weg Lenins zurückkehrt. Die äußerst abnormen Zustände, unter denen die Fragen, die mit der chinesischen Revolution zusammenhängen, diskutiert werden, haben in der Partei eine überaus gespannte Lage geschaffen. Die einseitige „Diskussion", die in den Seiten der Prawda und des Bolschewik (dem theoretischen Parteiorgan unter Leitung Bucharins, u.w.) geführt wird, und die bewusste Verdrehung der Anschauungen der Opposition (beispielsweise die ihr zugeschriebene Forderung nach einem Austritt aus der Kuomintang), zeigen, dass die leitende Gruppe des Zentralkomitees beabsichtigt, ihre Fehler durch eine Hetze gegen die Opposition zu verdecken. All das lenkt die Aufmerksamkeit der Partei in die falsche Richtung.

Im Zusammenhang hiermit und auch in Zusammenhang mit der falschen Linie des ZK in den Grundfragen der Parteipolitik, halten wir es als Bolschewiki und Leninisten für unsere Pflicht, uns mit dieser Erklärung an das Zentralkomitee zu wenden.

1. Es handelt sich nicht nur darum, dass wir in China eine ungeheure Niederlage erlitten haben, sondern auch darum, wie und warum wir sie erlitten haben.

Obgleich wir in China bereits eine mächtige Arbeiterklasse haben; obgleich es den Schanghaier Arbeitern unter den schwierigsten Umständen gelang, den Aufstand zu machen und die Stadt zu besetzen; obgleich das chinesische Proletariat in den aufständischen Bauern eine mächtige Unterstützung besitzt; mit einem Wort, obgleich alle Voraussetzungen für den Sieg des „chinesischen 1905" (Lenin) vorhanden waren, war es in Wirklichkeit so, dass die chinesischen Arbeiter für die Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer geholt haben und bisher dieselbe Rolle spielten, zu der die Arbeiter in den Revolutionen des Jahres 1848 verurteilt waren.

Alle Voraussetzungen zur Bewaffnung der chinesischen Arbeiter (besonders derer von Schanghai und Hankau) waren gegeben. Und dennoch blieben die heroischen Proletarier von Schanghai unbewaffnet, und die Arbeiter von Hankau sind in ihrer Mehrzahl auch heute noch nicht bewaffnet, obgleich in Hankau die „linke" Kuomintang herrscht.*

Die „Leitung" in China beschränkte sich in Wahrheit auf die Anweisungen, dass man keine revolutionären Streiks organisieren darf, dass man die Arbeiter nicht bewaffnen darf, dass man die Bauern nicht endgültig gegen die Großgrundbesitzer mobilisieren darf, dass man keine kommunistische Tageszeitung herausgeben darf, dass man die Herren Bourgeois aus der rechten Kuomintang und die Kleinbürger aus der „linken" Kuomintang nicht kritisieren darf, dass man keine kommunistischen Zellen in den Armeen Tschiang Kai-scheks organisieren darf, dass man die Losung der Sowjets nicht aufstellen darf, – um die Bourgeoisie nicht „abzustoßen", um die Kleinbürger nicht „einzuschüchtern", um die Regierung des „Blocks der vier Klassen" nicht zum Schwanken zu bringen. Als Antwort hierauf und aus Dankbarkeit hierfür erschießt die chinesische „Nationalbourgeoisie, wie das auch zu erwarten war, die chinesischen Arbeiter und lädt sich heute japanische, morgen amerikanische und übermorgen englische Imperialisten zur Hilfe ein.

In den kommunistischen Parteien der ganzen Welt (darunter auch in breiten Kreisen der KPdSU) herrscht in Zusammenhang mit der chinesischen Niederlage die größte Verwirrung. Noch gestern bewies man aller Welt, dass die nationalen Armeen in China rot sind, dass Tschiang Kai-schek ihr revolutionärer Führer ist und dass China – wenn nicht heute so morgen – den „nicht-kapitalistischen" Entwicklungsweg beschreiten wird – und heute erscheinen, in krassem Widerspruch zur wirklich echten Leninschen Linie des Bolschewismus, hilflose Artikel und Reden, die besagen, in China gäbe es ja überhaupt keine Industrie, keine Eisenbahnen, China durchlebe ja erst so ungefähr den Beginn der feudalen Periode, die Chinesen könnten nicht lesen und schreiben usw., es sei verfrüht, in China das Programm der revolutionären demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft aufzustellen und Sowjets zu errichten. Statt die Fehler zu korrigieren, vergrößert man sie.

Die chinesische Niederlage kann schon in nächster Zeit unmittelbar auf das Schicksal der UdSSR einwirken. Wenn es den Imperialisten gelingt, China für längere Zeit zu „zähmen", werden sie sofort gegen uns, gegen die UdSSR anrücken. Die Niederlage der chinesischen Revolution kann den Krieg gegen die UdSSR außerordentlich nahe rücken In dieser Lage wird zudem die Partei noch der Möglichkeit beraubt, die chinesische Frage durch zu diskutieren, die für sie als erster Partei der Komintern die wichtigste Frage ist. Es ist verboten, die Fragen der chinesischen Revolution prinzipiell zu erörtern. Gleichzeitig wird aber eine wüste – allerdings einseitige – Diskussion betrieben, d.h. eine Hetze gegen die Opposition, um die falsche Linie des Führungskerns des ZK zu vertuschen.

2. Der englische Generalstreik vom vorigen Jahr, der vom Generalrat verkauft und verraten wurde, erlitt eine Niederlage. Auch der Bergarbeiterstreik endete mit einer Niederlage. Trotz einer kolossalen Verschiebung von Millionenmassen nach links und obgleich sich die Treulosigkeit und Gemeinheit des Reformismus kaum je so vollkommen gezeigt hat, wie während des großen englischen Streiks, hat der revolutionäre Flügel der englischen Arbeiterbewegung äußerst wenig gewonnen. Die Hauptursache hierfür liegt in der unentschlossenen, inkonsequenten und von Halbheiten strotzenden Führung unsererseits. Die finanzielle Unterstützung der englischen Bergarbeiter durch die Arbeiter der UdSSR war vorzüglich. Dagegen war die Taktik des ZK in der Frage des anglo-russischen Komitees vollkommen falsch. Wir haben die Autorität der Verräter vom Generalrat unterstützt, und zwar gerade in den Wochen und Monaten während des General- und Bergarbeiterstreiks, die für sie kritisch waren. Wir haben ihnen dabei geholfen, sich zu halten. Und schließlich haben wir auf der letzten Berliner Konferenz noch vor ihnen kapituliert, indem wir den Generalrat als einzigen Vertreter des englischen Proletariats (und sogar als einzigen Vertreter seiner Anschauungen) anerkannt und das „Prinzip" der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der englischen Arbeiterbewegung gebilligt haben.

Vor dem Hintergrund der chinesischen Ereignisse erhalten die Beschlüsse der letzten Konferenz des anglo-russischen Komitees eine besonders verhängnisvolle Bedeutung. In der ganzen internationalen Presse haben Tomski und die anderen Vertreter des Allrussischen Gewerkschaftsbundes erklärt, dass die Konferenz in Berlin einen „herzlichen Charakter" besaß, dass alle Beschlüsse „einmütig" angenommen wurden, dass diese Beschlüsse angeblich ein Sieg des internationalen Proletariats sind usw.

Diese Heuchelei und Lügen können die Arbeiterbewegung der Welt nur zu neuen Niederlagen führen.

Die Berliner Konferenz hat kein einziges Wort über die Räuberrolle des englischen Imperialismus in China gesagt, sie hat nicht einmal gefordert, dass die imperialistischen Armeen aus China abgezogen werden. In dem Moment, in dem die Imperialisten in China den offenen Krieg gegen die chinesische Revolution begannen, hat das anglo-russische Komitee in verbrecherischer Weise geschwiegen, d.h. genau das getan, was die englische Bourgeoisie braucht.

Kann man daran zweifeln, dass diejenigen, die heute vor der ganzen Welt offen die Interessen des englischen Proletariats verraten, und zwar selbst in einer Frage wie der Freiheit der englischen Gewerkschaften, kann man daran zweifeln, dass diese Leute im Fall eines Krieges gegen die UdSSR eine ebenso gemeine und verräterische Rolle spielen werden, wie diese Herrschaften sie schon 1914 gespielt haben?

Es besteht ein ausgesprochen enger Zusammenhang zwischen der falschen Linie in der chinesischen Frage und der falschen Linie in der Frage des anglo-russischen Komitees. Die gleiche Linie zieht sich jetzt durch die gesamte Politik der Komintern. In Deutschland werden heute Hunderte von linken Proletariern, von fortgeschrittenen Arbeiter nur deshalb aus der Partei ausgeschlossen, weil sie sich mit der russischen Opposition solidarisch erklärten. Die rechten Elemente erhalten in allen Parteien ein immer größeres Übergewicht. Die gröbsten rechten Fehler (in Deutschland, Polen und Frankreich usw.) bleiben ungestraft. Die leiseste Kritik von links führt zur Abspaltung. Die Autorität der KPdSU und der Oktoberrevolution werden so dazu benutzt, die kommunistischen Parteien nach rechts zu drängen, weg von der Linie Lenins. Und durch all das zusammen ist die Komintern unfähig, den Kampf gegen den Krieg auf Lenins Art vorzubereiten und durchzuführen.

3. Es steht für jeden Marxisten fest, dass die falsche Linie in China und in Bezug auf das anglo-russische Komitee kein Zufall ist. Sie setzt die falsche Linie der Innenpolitik fort und ergänzt sie.

Die Wirtschaft der Sowjetunion hat im Großen und Ganzen ihre Wiederaufbauperiode abgeschlossen. Im Verlauf dieser Periode sind beträchtliche Erfolge erzielt worden. Wir kommen in der Industrie, in der Landwirtschaft und in anderen Zweigen der Volkswirtschaft der UdSSR entweder an das Vorkriegsniveau heran oder haben es bereits überschritten. Auch auf dem Gebiet des Genossenschaftswesens sind Erfolge zu verzeichnen. Diese Erfolge sind der beste Beweis für die Richtigkeit der Neuen Ökonomischen Politik, die von Lenin proklamiert wurde, und sie sind auch die beste Antwort an die Feinde der Oktoberrevolution. Es hat sich gezeigt, dass das Land der proletarischen Diktatur durchaus zum sozialistischen Aufbau fähig ist. Es weist auf diesem Gebiet die ersten Erfolge auf und bereitet dadurch, zusammen mit dem Proletariat anderer Länder, den endgültigen Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt vor.

Aber gleichzeitig mit diesen bedeutsamen Errungenschaften traten infolge der Wiederaufbauperiode große Schwierigkeiten auf. Diese Schwierigkeiten, die auf der unzureichenden Entwicklung der Produktivkräfte und unserer wirtschaftlichen Rückständigkeit beruhen, werden dadurch vergrößert, dass man sie vor den Parteimassen verbirgt. Statt einer marxistischen Analyse von der wirklichen Lage der proletarischen Diktatur in der UdSSR wird der Partei die kleinbürgerliche „Theorie vom Sozialismus in einem Land" serviert, die nichts mit Marxismus und Leninismus zu tun hat. Diese grobe Abweichung vom Marxismus führt dazu, dass es für die Partei immer schwieriger wird, den Klasseninhalt der stattfindenden ökonomischen Prozesse zu sehen. Die negativen Erscheinungen der augenblicklichen Periode der Revolution bestehen aber gerade in Klassenverschiebungen, die für das Proletariat ungünstig sind, und in der schwierigen Situation breiter Volksmassen.

Die Fragen des Arbeitslohns und der Arbeitslosigkeit nehmen einen im schärferen Charakter an.

Die falsche Politik beschleunigt das Wachstum der Kräfte, die feindlich zur proletarischen Diktatur eingestellt sind: der Kulaken, der Nepmänner und der Bürokraten. Das führt dazu, dass man die im Lande vorhandenen Rohstoffe nicht mehr im notwendigen Maße und in richtiger Weise für die Industrie und die gesamte Staatswirtschaft ausnutzen kann. Die Großindustrie bleibt hinter den Anforderungen zurück, die an sie sowohl von der Volkswirtschaft (Warenhunger, hohe Preise, Arbeitslosigkeit) wie auch vom Sowjetsystem insgesamt (Landesverteidigung) gestellt werden, und das führt zur Stärkung der kapitalistischen Elemente der Sowjetunion, insbesondere auf dem Land.

Der Arbeitslohn steigt nicht mehr an, und hat in einzelnen Gebieten sogar eine fallende Tendenz. Statt den Arbeitslohn entsprechend, dem Wachstum der Arbeitsproduktivität anzuheben, wie das in letzter Zeit üblich war, wird es jetzt zur Regel, dass der Lohn lediglich durch Erhöhung der Arbeitsintensität wachsen soll (vgl. § 2 der Beschlüsse des Sowjetkongresses nach dem Referat des Genossen Kuibyschew). Das bedeutet, dass der Arbeiter in der UdSSR seine materielle Lage von jetzt an nicht mehr zugleich mit dem Wachstum der Wirtschaft und der Verbesserung der Technik anheben kann, sondern nur noch durch größeren Aufwand an Arbeit und Muskelkraft. Dies Problem tritt jetzt zum ersten Mal auf, obwohl die Arbeitsintensität im Wesentlichen das Vorkriegsniveau erreicht hat und stellenweise sogar höher ist. Eine derartige Politik geht gegen die Interessen der Arbeiterklasse.

Die Arbeitslosigkeit wächst nicht nur auf Kosten derer, die vom Dorf kommen, sondern auch auf Kosten der Kader des Industrieproletariats. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt höher als die registrierte. Die Vergrößerung der Arbeitslosenarmee verschlechtert die wirtschaftliche Situation der gesamten Arbeiterklasse.

Die Wohnbedingungen für Arbeiter verschlechtern sich an einer Reihe von Orten nach wie vor, sowohl was die Wohnfläche, als auch was die Benutzungsbedingungen betrifft.

Die verminderte Unterstützung der heranwachsenden Arbeiter und die Abschaffung der kostenlosen Lehrzeit verschlechtert die Lage der Arbeiterjugend stark.

Es ist klar, welche Gefahren sich aus all dem ergeben, denn die Beziehung zwischen der Arbeiterklasse und unserer Partei ist für das Schicksal des Arbeiterstaates entscheidend.

Die Preise der Industrieprodukte werden nur in sehr geringem Umfang gesenkt: Obgleich die Opposition auf dem Februarplenum des ZK der Resolution über die Preissenkung zugestimmt hat, ist die gesamte offizielle Agitation darauf abgerichtet, die Opposition zu beschuldigen, sie wolle keine Preissenkung. Eine derartige Agitation führt die Partei irre und lenkt ihre Aufmerksamkeit von den Grundfragen unserer Wirtschaftspolitik ab. Dadurch wird das Problem der Preissenkung seiner Lösung um keinen Schritt näher gebracht. Inzwischen steigt die Unzufriedenheit der städtischen und ländlichen Konsumenten.

Die Differenzierung der Bauernschaft geht immer schneller vor sich. Von der Losung „Bereichert euch" bis zur Aufforderung an die Kulaken, in den Sozialismus hinüber zu wachsen" ist der Führungskern des ZK dazu übergegangen, die Differenzierung in der Bauernschaft zu verschweigen, sie zu bagatellisieren und sich gleichzeitig in der Praxis zu den wirtschaftskräftigen Bauern hin zu orientieren. Zum zehnjährigen Jubiläum der Oktoberrevolution befinden wir uns in einer Situation, in der etwas mehr als 3½ Millionen Landarbeiter nur eine sehr geringe Rolle in den Sowjets, den Genossenschaften und Parteizellen spielen, und in der der Dorfarmut immer noch nicht genügend Aufmerksamkeit und Hilfe zugewandt wird. Die Resolution des letzten Sowjetkongresses über die Landwirtschaft spricht überhaupt nicht von der Differenzierung auf dem Land, d.h. von der Grundfrage seiner ökonomischen und politischen Entwicklung. Durch all das wird unsere Unterstützung durch das Dorf geschwächt und das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Dorfarmut und den Mittelbauern erschwert. Dies Bündnis kann sich nur bei einem systematischen Kampf gegen die Ausbeutertendenzen des Kulakentums entwickeln und festigen. Aber die Bedeutung dieses Kampfes wird bei uns augenblicklich bagatellisiert und sein Wachsen behindert. Eine derartige Politik stellt eine Gefahr dar, die sich langsam akkumuliert und dann plötzlich zum Durchbruch kommen kann. Inzwischen richtet aber der gesamte offizielle Partei- und Sowjetapparat seine Schläge gegen links und öffnet so der wirklichen, d.h. der Klassengefahr von rechts, Tür und Tor.

Der Vorschlag, 50% der Bauernwirtschaften, d.h. die armen und ärmeren Bauern von der Landwirtschaftssteuer zu befreien, wird zur Hetze benutzt. Dabei wird dieser Vorschlag durch die politische und wirtschaftliche Situation auf dem Dorf immer mehr gerechtfertigt. Einige Dutzend Millionen Rubel haben, bei einem 5 Milliarden Budget, eine sehr bescheidene Bedeutung. Dagegen ist die Eintreibung dieser Summe bei den ärmeren Wirtschaften einer der Umstände, die den Differenzierungsprozess beschleunigen und die Position der proletarischen Diktatur auf dem Dorf schwächen.,Man muss Kompromisse mit den mittleren Bauern erzielen können, ohne auch nur für einen Augenblick auf den Kampf gegen die Kulaken zu verzichten, und sich nur auf die armen Bauern stützen" (Lenin). Das muss die Grundlinie unserer Politik im Dorfe sein.

Im September vorigen Jahres haben wir einen Aufruf gelesen, der von drei Genossen unterschrieben war, die äußerst verantwortliche Stellungen einnehmen (die Genossen Rykow, Stalin, Kuibyschew). Es hieß darin, dass die Opposition, d.h. ein Teil unserer eigenen Partei und unseres eigenen Zentralkomitees, angeblich die Bauernschaft „ausrauben" will. Dafür versprach der Aufruf auf dem Wege von Einsparungen die unproduktiven Ausgaben um 3 – 400 Millionen Rubel pro Jahr einzuschränken. Tatsächlich hat der bürokratisch verzerrte Kampf um diese Sparmaßnahmen die Arbeiter erneut herumgerissen und keinerlei spürbare Resultate ergeben.

Die Rationalisierung der Industrie trägt einen zufälligen, unbestimmten und nicht durchdachten Charakter Sie führt dazu, dass immer neue Arbeitergruppen in die Reihen der Arbeitslosen gestoßen werden, ohne dass dadurch auch nur der Selbstkostenpreis gesenkt wird.

Man muss alle Beschlüsse der letzten beiden Jahre, die die Lage der Arbeiterklasse verschlechtern, außer Kraft setzen und ein für alle Mal feststellen, dass man ohne systematische und planmäßige Verbesserungen der Lage der Arbeiterklasse, „dieser grundlegenden Produktivkraft" (Marx), unter den heutigen Umständen weder die Wirtschaft noch die sozialistische Industrie heben kann.

Um die Probleme des wirtschaftlichen Aufbaus lösen zu können, die die Partei gegenwärtig hat, – und zwar bei einer sehr komplizierten Klassenverflechtung im Land und der zunehmenden Offensive gegen die UdSSR von außen – muss man (infolge der Verzögerung der internationalen, proletarischen Revolution) vor allem die innerparteiliche Demokratie beleben und den lebendigen, aktiven Zusammenhang der Partei mit der Arbeiterklasse stärken.

Wir brauchen eine eiserne Parteidisziplin wie zu Lenins Lebzeiten. Wir brauchen aber auch innerparteiliche Demokratie wie zu Lenins Lebzeiten.

Die gesamte Partei muss durch bolschewistische Ideologie und Organisation zu einer Kollektivkraft zusammengeschweißt werden, die mit ihrer ganzen Masse tatsächlich, und nicht nur offiziell und zum Schein, an der Lösung aller Fragen teilnimmt, die die Arbeiterklasse und das ganze Land betreffen.

Das interne Regime aber, das in der letzten Zeit in der Partei eingerissen ist, verringert die Aktivität der Partei, d.h. der führenden Kraft der proletarischen Revolution, ungeheuer. Die breiteren, unteren Parteimassen können an der Lösung der wichtigsten Fragen der proletarischen Revolution nur noch in sehr beschränktem Maß bewusst teilnehmen.

Das spiegelt sich aufs Negativste in den Beziehungen der Arbeiterklasse zur Partei und der Aktivität der Arbeiterklasse überhaupt, und musste es auch tun.

Das Regime, das jetzt in der Partei herrscht, wird vollständig auf die Gewerkschaften übertragen. Die russische Arbeiterklasse, die die Erfahrungen von drei Revolutionen hinter sich hat, die sie unter der Führung der bolschewistischen Partei und Lenins durchlebte; die mit dem Blut ihrer besten Söhne das Fundament des Sowjetstaates gelegt hat; die Wunder an Heroismus und Organisation vollbracht hat; diese Arbeiterklasse besitzt alle Voraussetzungen, ihre schöpferischen und organisatorischen Kräfte breit zu entwickeln. Aber das jetzt eingerissene Regime hindert die Arbeiter daran, ihre Aktivität zu entwickeln und sich genügend am sozialistischen Aufbau zu beteiligen.

Die proletarische Diktatur wird gerade in ihrer Klassenbasis geschwächt.

Auf dem elften Parteitag sagte Wladimir Iljitsch der Partei, dass die richtige Auswahl von Menschen die Hauptaufgabe der Wirtschaftsarbeit ist. Der augenblickliche Kurs ist aber die genaue Negation dieser Direktiven. In Wirklichkeit werden die selbständigsten, qualifiziertesten Parteigenossen, unternehmungsfreudige Ökonomen, sehr häufig systematisch aus den Betrieben geworfen, und sie werden durch die Bank durch Elemente ersetzt, die nicht dem Sozialismus dienen, sondern sich bei ihrem direkten Vorgesetzten einschmeicheln. Die himmelschreiendsten Abnormitäten des Parteiregimes spiegeln sich so in den wichtigsten Lebensfragen der Millionenmassen.

4. Die internationale Situation wird immer gespannter. Die Kriegsgefahr nimmt zu. Die zentrale Aufgabe der KPdSU und der gesamten Avantgarde des internationalen Proletariats besteht jetzt darin, den Krieg abzuwenden (oder zumindest möglichst lange hinauszuschieben), um jeden Preis die Friedenspolitik durchzuhalten, die nur unsere Partei und die Sowjetregierung bis zu Ende führen kann.

Die Sache der UdSSR ist die Sache des internationalen Proletariats. Es ist die wichtigste Aufgabe des internationalen Proletariats, die drohende Gefahr eines neuen Krieges von der UdSSR abzuwenden. Das kann man aber durch einen Block mit den Verrätern aus dem Generalrat nicht leisten. Ein ernster Kampf zur Abwehr des Kriegs ist im Bund mit den Purcells und Citrines ausgeschlossen. Man kann die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter nur dann an sich ziehen und zum Kampf gegen den Krieg bewegen, wenn man es über die Köpfe ihrer verräterischen Führer hinweg und im Kampf gegen sie tut.

Wir bestehen darauf, dass unser ZK der bevorstehenden Plenarsitzung des EKKI dabei helfen soll, auf Grund von Dokumenten die letzten Ereignisse in China ausführlich, ernsthaft und vorurteilslos zu beurteilen (wozu Genossen, die unseren Standpunkt kennen, herangezogen werden sollen), damit das EKKI die chinesische und die anglo-russische Frage in vollem Umfang stellen kann und damit sowohl unserer Partei – als auch der internationalen kommunistischen Presse die Möglichkeit gegeben wird, diese Grundfragen ausführlich und gründlich zu besprechen (natürlich unter Wahrung der notwendigen Diskretion).

Die Festigung der internationalen Stellung der UdSSR erfordert die Befestigung der proletarischen revolutionären Linie innerhalb der UdSSR. Diese wird durch das Stagnieren der Löhne, durch die sich verschlechternde Wohnungslage für die Arbeiter und durch die wachsende Arbeitslosigkeit geschwächt. Sie wird durch die falsche Politik gegenüber der Dorfarmut geschwächt. Wir werden durch die Fehler in der Wirtschaftspolitik geschwächt. Wir werden durch die Niederlage der englischen Arbeiter und der chinesischen Revolution geschwächt. Und schließlich werden wir durch das falsche Regime innerhalb der Partei geschwächt.

Unsere gesamte Parteipolitik krankt am Rechtskurs. Wenn jetzt der bereits geplante Schlag gegen die Opposition geführt wird, so wird damit endgültig den rechten, unproletarischen und antiproletarischen Elementen, die teils in unserer eigenen Partei, vor allem aber außerhalb von ihr existieren, freie Bahn gegeben. Der Schlag gegen die Linken wird notwendigerweise den Triumph der Tendenzen Ustrjalow mit sich bringen. Einen derartigen Schlag gegen die Opposition hat Ustrjalow schon längst im Namen der Neo-NEP gefordert. Ustrjalow ist der konsequenteste, prinzipiellste und unversöhnlichste Feind des Bolschewismus. Die selbstzufriedenen Verwaltungsmenschen, die Beamten, die sich nach der Obrigkeit richten, die Kleinbürger, die sich bis zum Kommandoposten durch gefressen haben und hochmütig auf die Massen herabblicken, sie alle fühlen immer mehr Grund unter den Füßen und heben ihr Haupt immer höher. Das sind lauter Elemente der Neo-NEP. Hinter ihnen steht der Spezialist, der ein Anhänger von Ustrjalow ist, und in der nächsten Reihe kommt der Nepmann und der Kulak unter dem Aushängeschild des wirtschaftskräftigen Bauern. Von hier kommt die wirkliche Gefahr.

In den internen Fragen äußern sich die Verschiebungen nicht so deutlich wie in den äußeren, da sich alle inneren Prozesse viel langsamer entwickeln als der Generalstreik in England oder die Revolution in China. Aber die Grundtendenzen der Politik sind in beiden Fällen dieselben, und je langsamer sie bei den internen Angelegenheiten fortschreiten, um so ernsthafter können sie dann in Erscheinung treten.

Lenin definierte den Sowjetstaat als einen Arbeiterstaat in einem Land mit überwiegend bäuerlicher Bevölkerung und bürokratischen Entartungen. Das wurde Anfang 1921 gesagt. Lenins Definition ist heute lebendiger denn je. In den Jahren der NEP ist die neue Bourgeoisie in Stadt und Land zu einer ernsthaften Kraft geworden. Geht man unter solchen Umständen gegen die Opposition vor, so ist das nichts anderes als der Versuch, unter heuchlerischem Geschrei über die Verteidigung der Einheit („die Anstifter jeder Spaltung schreien am lautesten von der Vereinigung" sagte Engels) den linken, proletarischen, leninistischen Flügel unserer Partei zu diskreditieren und zu zerschlagen. Eine solche Zerschlagung würde unvermeidlich dazu führen, dass der rechte Flügel der KPdSU schnell gestärkt wird und dass eine Unterwerfung der Interessen des Proletariats unter die Interessen anderer Klassen in Aussicht steht.

5. Die Einheit der Partei brauchen wir immer, ganz besonders aber unter den heutigen Umständen. In der Schule Lenins haben wir alle gelernt, dass ein Bolschewik die Einheit durch eine revolutionäre, proletarische Linie anstreben muss. Unter den schwierigsten historischen Voraussetzungen, in den Jahren der Illegalität, dann 1917, als wir in der Umzingelung des Krieges um die Macht kämpften, im Jahr 1918, als unter beispiellos schweren Bedingungen die Frage des Friedens von Brest Litowsk entschieden wurde, und in den folgenden Jahren hat die Partei unter Lenin offen die Streitfragen diskutiert und den richtigen Weg zur wirklichen, nicht nur scheinbaren Einheit gefunden. Das hat uns unter unvergleichlich schwereren Bedingungen, als es die heutigen sind, gerettet.

Die Hauptgefahr besteht darin, dass der wirkliche Inhalt der Differenzen vor der Partei und der Arbeiterklasse verborgen wird. Jeder Versuch, die Streitfragen vor die Partei zu bringen, wird zum Attentat gegen die Parteieinheit gemacht. Die falsche Linie wird mechanisch von oben fixiert. Es wird eine äußerliche Einheit und offizielles Wohlbefinden hergestellt. In Wirklichkeit aber schwächt das die Position der Partei in der Arbeiterklasse und die Position der Arbeiterklasse im Kampf gegen ihre Klassenfeinde. Eine derartige Situation behindert das politische Wachstum der Partei und ihre richtige leninistische Führung ungeheuer, und muss bei der ersten schroffen Wendung, beim ersten ernsthaften Schlag von innen oder außen unvermeidlich die ernstesten Gefahren für unsere Partei mit sich bringen.

Wir sehen diese Gefahr deutlich, und wir halten es für unsere Pflicht, das Zentralkomitee davor zu warnen, gerade im Interesse eines Zusammenschweißens der Partei, auf der Grundlage einer leninistischen Innen- und Außenpolitik.

Wie soll man die Differenzen überwinden, wie soll man die Klassenlinie korrigieren, ohne die Einheit der Partei dabei auch nur im geringsten zu schädigen?

So, wie es zu Lenins Zeiten immer gemacht wurde. Wir schlagen vor, das ZK soll folgendes beschließen:

1. Spätestens drei Monate vor dem 15. Parteitag wird ein besonderes Plenum des ZK einberufen, um alle Fragen des 15. Parteitages vorher zu diskutieren.

2. Dies Plenum muss sich die Aufgabe stellen, alles nur Mögliche zur Ausarbeitung einstimmiger Beschlüsse zu tun. Denn dadurch würde die größtmögliche Einheit und wirkliche Liquidierung des innerparteilichen Kampfes garantiert.

3. Dasselbe Plenum muss die Vertreter der KPdSU in der Komintern beauftragen, im EKKI eine Reihe von Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um die ausgeschlossenen Genossen, die die Komintern darum ersuchen und die auf dem Boden der Komintern stehen, wieder aufzunehmen, und um in den Bruderparteien eine volle Einheit zu schaffen (es handelt sich selbstverständlich nicht um Elemente wie Katz und Korsch).

4. Wenn sich dennoch in diesem außerordentlichen Plenum prinzipielle Differenzen ergeben sollten, so müssen sie rechtzeitig formuliert und veröffentlicht werden. Jeder Genosse muss die Möglichkeit erhalten, seinen Standpunkt vor der Partei, in der Presse und auf Versammlungen zu verteidigen, wie das zu Lenins Zeiten stets der Fall war.

5. Die Polemik muss in streng kameradschaftlichen, sachlichen Grenzen bleiben, ohne Übertreibungen und Zuspitzung.

6. Die Thesenentwürfe sowohl vom ZK als auch von einzelnen Organisationen, einzelnen Parteimitgliedern und Gruppen von Parteimitgliedern müssen in der Prawda (oder in einer Beilage zur Prawda) und auch in den Lokalzeitungen veröffentlicht werden, bis ungefähr zwei Monate vor dem 15. Parteitag.

7. Die Parteiverlage müssen ebenfalls für das rechtzeitige Erscheinen von Broschüren, Sammelbänden und Büchern usw. auch für die Parteigenossen sorgen, die der Partei Anschauungen vorlegen wollen, die bisher in der Partei keine Mehrheit gefunden haben.

8. Die Hauptlosung bei der gesamten Vorbereitung des 15. Parteitags muss die Losung der Einheit, der wirklichen Leninschen Einheit der KPdSU sein.

P.S. Unsere Erklärung, die wegen der Unterschriften naturgemäß etwas verspätet herauskam, müssen wir jetzt in einem Augenblick einreichen, wo von oben eine Kampagne gegen den Genossen Sinowjew angekurbelt wird, und zwar unter dem Vorwand, dass er am 9. Mai in einer angeblich parteilosen Versammlung aufgetreten ist. Diejenigen, die die Rede des Genossen Sinowjew gehört haben oder die Möglichkeit hatten, das Stenogramm der Rede einzusehen, würden, ohne einen Augenblick zu zögern, ihre Unterschrift unter diese Rede setzen, die in gemäßigter und tadelloser Form die Beunruhigung weiter Kreise der Partei wegen der Durchdringung der Prawda mit dem Kurs Martynows zum Ausdruck brachte. Die Rede des Genossen Sinowjew ist selbstverständlich nur ein äußerer Vorwand für die Hetze gegen ihn. Wie aus unserer Erklärung hervorgeht, begann die unmittelbare Vorbereitung zur Kampagne gegen die Opposition gleichzeitig mit den ersten Nachrichten über die Niederlage der chinesischen Revolution.

Es sieht so aus, als ob der unmittelbare Zweck der Kampagne gegen den Genossen Sinowjew der Versuch sei, ihn vor dem Parteitag und ohne Parteitag aus dem Zentralkomitee zu entfernen, um einen der Kritiker der falschen Linie während der Vorbereitungen zum 15. Parteitag und auf dem 15. Parteitag selbst loszuwerden. Das gleiche kann morgen auch mit den übrigen oppositionell eingestellten Mitgliedern des ZK geschehen. Bei derartigen Tricks kommt nichts heraus als Schaden für die Partei. Dass Genosse Sinowjew, einer der Begründer der Kommunistischen Internationale und ihr erster – auf Lenins Vorschlag – gewählter Präsident, auf Betreiben des Politbüros nicht zum EKKI zugelassen wird, ist in der Geschichte der kommunistischen Bewegung ohne Beispiel. Dass Genosse Sinowjew, der Mitglied des EKKI ist, nicht zur Beratung der wichtigsten Fragen der Weltarbeiterbewegung zugelassen wird, können wir nur damit erklären, dass diejenigen, die es vorziehen, den Kampf der Ideen durch verwaltungsrechtliche Befehle zu ersetzen, keinen politischen Mut besitzen. Es handelt sich hier, abgesehen von der politischen Bedeutung der Sache, um eine grobe Verletzung der formalen Rechte des Genossen Sinowjew, der ein auf dem 5. Kongress einstimmig gewähltes Mitglied des EKKI ist. Die Beseitigung und Brandmarkung der Leninisten ist nicht der Weg zur Einheit für die Kommunistische Internationale. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass unsere Erklärung Anlass geben wird, uns einer fraktionellen Aktion zu beschuldigen. Besonders eifrig werden die zu allem bereiten Beamten und „Literaten" aus der „neuen" Schule der „Jungen" sein. Aber unser Brief ist unter anderem auch gegen sie gerichtet. Einige von ihnen werden in der Minute der Gefahr die Sache des Proletariats als erste im Stich lassen. Indem wir diese Erklärung abgeben, erfüllen wir die Pflicht von Revolutionären und Parteimitgliedern, wie man sie stets in den Reihen der Leninisten-Bolschewiki verstand.

Unter dieser Erklärung wurden in kurzer Zeit einige Dutzend Unterschriften von alten Bolschewiki gesammelt. Wir zweifeln nicht daran, dass auch eine Reihe anderer alter Bolschewiki, die sich jetzt an verschiedenen Stellen der UdSSR oder im Ausland befinden, ihre Unterschrift geben würden, wenn sie rechtzeitig davon erfahren hätten.

Wir zweifeln nicht daran, dass der in diesem Dokument dargestellte Standpunkt von einem großen Teil unserer Partei geteilt wird, insbesondere von den Arbeitern. Wer die wirkliche Stimmung der Arbeiter und Mitglieder unserer Partei kennt, weiß, das es sich so verhält.

Das vorliegende Dokument wurde dem ZK der KPdSU zunächst von 83 Genossen überreicht. Sehr bald wuchs die Zahl der Unterschriften auf 500. Diese Zahl war bereits am 1.7.1927 erreicht und wurde noch überschritten. Insgesamt waren es etwa 3000 Unterschriften. Die Unterschriften stammen von vielen gut bekannten, alten Bolschewiki, unter anderem von folgenden, die wir mit ihrem Parteialter nennen:

Beloborodow (1907); Wisnewskaja (1905); Wujowitsch (1902); Wassiljew (1904) ; Wardin (1907); Gertik, A. (1902); Gordon, N. (1903); Jemeljanow (1899); Jewdokimow (1903); Shuk (1904); Sinowjew (1899); Sax-Gladnew (1906); Kuklin (1903); Kawtardse (1903); Mürdow (1903); Ostrowskaja (1905) ; Pjatakow (1910); Radek (1902); Serebrjakow (1905); Smirnow, Iw. N. (1899); Samsonow (1903); Sosnowski (1905); Ter-Waganjan (1912); Charitonow (1905); Scharow (1904); Zibulski (1904); Elzin (1898).

* Zwei Monate später hatte Tschiang Kai-schek auch die Kommunisten in Hankau ausgemerzt und die Macht übernommen, d.V.

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