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Leo Trotzki 19301210 Brief an Max Shachtman

Leo Trotzki: Brief an Max Shachtman

[Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 1230, International Institute of Social History, Amsterdam.]

Büyükada, dem 10. Dezember 1930

Lieber Genosse Shachtman,

Erst gestern habe ich vom Genossen Naville Auszüge aus Ihrem Brief erhalten, die sich auf die chinesische Frage beziehen. Ich beantworte sie ganz kurz:

1) Sie haben vollständig recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die russische Opposition noch in der ersten Hälfte des Jahres 1927 nicht den Austritt aus der Kuomintang öffentlich forderte. Ich glaube aber, diese Tatsache irgendwo bereits öffentlich erläutert zu haben. Ich persönlich war von Anfang an, das heißt vom Jahre 1923, entschieden gegen das Einschließen der Kompartei in die Kuomintang, wie gegen die Aufnahme der Kuomintang in die „Komintern“. Radek war mit Sinowjew stets gegen mich. Die Jüngeren unter der Opposition 1923 fast ausschließlich mit mir. Rakowski war in Paris und nicht genügend informiert. Bis zum Jahre 1926 habe ich in dieser Frage immer selbständig im Politbüro gestimmt, gegen alle anderen. Im Jahre 1925 hatte ich, gleichzeitig mit den Thesen über die Ostchinesische Bahn, die ich in der oppositionellen Presse zitiert habe, wiederum den formellen Antrag gestellt, dass die Kompartei aus der Kuomintang unverzüglich austritt. Das ist einstimmig abgelehnt worden und hat viel zur späteren Hetze beigetragen. In den Jahren 1926 und 27 hatte ich ununterbrochen Konflikte mit den Sinowjewisten in dieser Frage. Zwei oder drei Mal stand die Sache auf des Messers Schneide. Unsere Zentrale bestand aus ungefähr der gleichen Zahl der beiden alliierten Tendenzen, denn es war eigentlich nur ein Block. Bei den Abstimmungen verriet Radek aus Prinzip und Pjatakow aus Prinzipienlosigkeit die Stellung der Opposition 1923. Unsere Fraktion (1923) war darüber wütend, forderte, Radek und Pjatakow aus der Zentrale abzuberufen. Da es sich aber um die Spaltung mit den Sinowjewisten handelte, so war die allgemeine Entscheidung, dass ich mich in dieser Frage öffentlich unterwerfen muss, nur indem ich meinen Standpunkt schriftlich der Opposition bekanntgebe. Und so kam es, dass die Forderung so spät von uns aufgestellt worden war, trotzdem das Politbüro und das Plenum des ZK meine Meinung der offiziellen der Opposition gegenüberstellte. Jetzt kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich einen Fehler beging, indem ich mich in dieser Frage formell unterwarf. Dieser Fehler ist jedenfalls ganz klar geworden durch die weitere Evolution der Sinowjewisten. Damals schien die Spaltung mit ihnen der übergroßen Mehrheit unserer Fraktion absolut fatal. – Somit widerspricht das Manifest keinesfalls den Tatsachen, wenn es behauptet, dass die russische Opposition, die wirkliche, gegen das Einschließen der Kompartei in die Kuomintang war. Von den Tausenden Verhafteter, Verbannter usw. war kaum ein einziger in dieser Frage mit Radek. Auch diese Tatsache habe ich in vielen Briefen zitiert, nämlich dass die große Mehrheit der Kapitulanten in der chinesischen und anglorussischen Frage nicht sicher und standhaft war. Das ist sehr charakteristisch.

2) Über die konstituierende Versammlung habe ich, wie mir scheint, die von Ihnen von neuem aufgerichteten Fragen schon in einem Schreiben an die chinesischen Genossen gesprochen. Wenn ich nicht irre, ist es sogar im „Militant“ erschienen.

3) Was die Frage der Sowjetstaaten anbelangt, so ist es sehr schwierig, darauf „konkretno“ aus Europa Bescheid zu sagen1, ohne die konkreten Tatsachen von der Nähe beobachtet zu haben. Für ein internationales Manifest genügte auch das von uns Gesagte.

1Im Text geändert aus „sagen zu können“

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