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Leo Trotzki 19280722 Das Juli-Plenum des ZK und die rechte Gefahr

Leo Trotzki: Das Juli-Plenum des ZK und die rechte Gefahr

(Nachwort zu dem Brief Wie weiter?")

[Nach Die Aktion, 18. Jahrgang, Heft 10-12 (Mitte Dezember 1928) Spalte 218-224, Dort unter dem Titel An den VI. Kongress der Komintern (Zweite Erklärung)". Mit kleinen Korrekturen nach dem russischen Text]

Das Referat Rykow über die Ergebnisse des Juliplenums der ZK, das er auf der Moskauer Parteiarbeiterkonferenz am 13. Juli gehalten hat, hat eine ausschlaggebende politische Bedeutung. Das war ein programmatisches Auftreten des autorisiertesten Vertreters des rechten Flügels mit entfalteter, oder wenigstens zur Hälfte entfalteter Fahne.

Rykow spricht in seinem Referat ganz und gar nichts von dem Programm der Komintern, ja er erwähnt es nicht einmal, Sein ganzes Referat ist ausschließlich der Frage der Getreideaufbringung gewidmet. Der Ton im Referat Rykows ist der eines Siegers und das ist nicht von ungefähr. Aus ihrem ersten Kampf mit dem Zentrum, welcher vier bis fünf Monate nach Beginn der „linken" Politik stattfand, sind die Rechten als völlige Sieger hervorgegangen. Das Juliplenum war der erste offene Sieg Rykows über Stalin, allerdings mit Hilfe von Stalin selbst. Der Inhalt des Referats Rykows ist im wesentlichen folgender: Die Februarschwenkung war nur eine Episode, welche durch außerordentliche Umstände hervorgerufen worden ist. Hinter diese Episode muss man den Schlusspunkt setzen. Man muss nicht nur den Artikel 107, sondern auch die Februarartikel der „Prawda" dem Archiv überweisen. Von dem bisherigen Kurs muss man nicht nach links, sondern nach rechts abbiegen, wobei es um so besser sein wird, je krasser man dies tut. Um sich den Weg frei zu machen, gesteht Rykow – und wie sollte er es unter den überführenden Tatsachen nicht tun – drei seiner kleinen Fehlerchen ein.

Erstens, hatte ich am Anfang die Krise für weniger tief gehalten, als diese sich in Wirklichkeit erwies.

Zweitens, dachte ich mit Hilfe außerordentlicher Maßnahmen die Krise in der Getreideaufbringung vollständig liquidieren zu können, was nicht gelungen ist.

Drittens, hatte ich geglaubt, dass die Getreideaufbringung mit der Unterstützung der armen mit voller Stabilität der Beziehung zu frn Massen der Mittelbauern vor sich gehen würde. Darin habe ich mich geirrt.“

Währenddem hatte die Opposition in ihren Gegenthesen seinerzeit die ganze Krise der Getreideaufbringung mit all ihren Begleiterscheinungen vorausgesagt und auf alles das klar hingewiesen, was Rykow nicht verstand und nicht voraussah. Gerade um diese verspäteten, überstürzten, widerspruchsvollen und übertriebenen administrativen Maßnahmen zu vermeiden, schlug die Opposition eine rechtzeitige obligatorische Getreideanleihe bei den Dorfspitzen vor. Gewiss, auch diese Maßnahme wäre eine außerordentliche gewesen. Doch die gesamte vorausgegangene Politik machte eine solche Maßnahme unumgänglich notwendig. Wenn diese Anleihe rechtzeitig und planmäßig durchgeführt worden wäre, hätte sie alle jene administrativen Übertreibungen, die einen zu hohen politischen Preis gegenüber den sehr bescheidenen materiellen Ergebnissen darstellten, auf ein Minimum beschränkt.

Maßnahmen des administrativen Unsinns haben ja an sich mit dem rechten Kurs nichts zu tun. Sie bilden nur eine Vergeltung für den falschen Kurs. Der Versuch Rykows, der Opposition das Bestreben anzudichten, diese Rykowschen Maßnahmen aus dem Arsenal des Kriegskommunismus verewigen zu wollen, ist nur ein böswilliger Unsinn. Die Opposition hat von Anfang an, in den Haussuchungen auf dem Lande, in der Auferstehung der Absperrungskommandos usw. nicht den Anfang eines neuen Kurses, sondern lediglich eine Bankrotterklärung des Alten ersehen. Der Einbringungsvertrag 107 bildet keine Waffe eines leninistischen Kurses, sondern nur eine Krücke für die Politik Rykows. Indem Rykow versucht, der Opposition diese administrativen Maßnahmen der Desorganisierung der Wirtschaft, für die er selbst verantwortlich ist, als ihr Programm zu unterschieben, handelt er damit wie alle kleinbürgerlichen Politiker, die stets in solchen Fällen den Bauer gegen den Kommunisten als den Räuber und Expropriateur aufhetzen.

Was bedeutet der Februarumschwung? Eine Anerkennung des Zurückbleibens der Industrie, welche die Differenzierung zum Dorf verschärft, und der furchtbaren Kulakengefahr. Die neue Linie, die darauf folgen müsste, wäre eine Umordnung der Verteilung des Volksvermögens von den Kulaken zur Industrie, vom Kapitalismus zum Sozialismus und eine Beschleunigung der Entwicklung sowohl der Schwer- wie auch der Fertigindustrie gewesen.

Im Gegensatz zu dem Februarartikel der „Prawda", welche in dieser Frage nur die Meinung der Opposition wiederholt, sieht Rykow den Grund der Krise in der Getreideaufbringung nicht in der Rückständigkeit der Industrie, sondern umgekehrt in einer Rückständigkeit der Landwirtschaft., Eine solche Erklärung ist nichts weiter als eine Verhöhnung der Partei und der Arbeiterklasse und ein Betrug ihnen gegenüber zur Begründung einer Rechtsschwenkung. Das ist ja die alte Einstellung der Ustrjalowschen Professoren.

Dass unsere Landwirtschaft zu sehr zersplittert, rückständig sei, einen barbarischen Charakter trage und dass diese Rückständigkeit die Hauptursache aller Schwierigkeiten sei. Das steht ohne Zweifel fest. Doch deshalb eine Umleitung der Mittel für die Industrie zugunsten der individuellen Bauern-Wirtschaft zu verlangen, wie es Rykow tut, heißt nicht nur einen bürgerlichen, sondern einen agrarbürgerlichen, einen reaktionär-bürgerlichen Weg wählen. Das wäre nichts anderes als eine Sowjetkarikatur der antikapitalistischen Volksfreunde, der Semstwo in den achtziger Jahren.

Man kann, die Landwirtschaft nur mit Hilfe der Industrie heben, andere Mittel gibt es nicht. Stattdessen bleibt die Industrie erschreckend zurück, sogar im Verhältnis zu der jetzigen zersplitterten, barbarischen Landwirtschaft. Sie bleibt nicht nur zurück, in Bezug auf die Befriedigung ihrer allgemein historischen Ansprüche, sondern auch in Bezug auf ihren zahlungsfähigen Bedarf. Die zwei Fragen zu vermischen: Die Frage der allgemeinen historischen Rückständigkeit des Dorfes gegenüber der Stadt und die Frage der Rückständigkeit in Bezug auf die Befriedigung des Marktbedarfs des Dorfes von heute, würde nur bedeuten, dass man die Hegemonie der Stadt über das Dorf aufgeben würde.

Unsere gegenwärtige Landwirtschaft ist ihrer Art nach, sogar im Vergleich zu unserer sehr rückständigen Industrie, ungeheuer zurückgeblieben. Jedoch, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass dieses Ergebnis des Gesetzes einer jahrhundertelangen ungleichmäßigen Entwicklung der verschiedenen Teile unserer Wirtschaft etwa dadurch beseitigt oder auch nur gemildert werden könnte, dass man die an sich schon ungenügenden Mittel der Industrie noch beschneiden würde, das wäre genau so, als wenn man zur Bekämpfung des Analphabetentums die Schließung der Hochschulen vorschlagen würde. Das bedeutet, dass man jedem historischen Fortschritt die Wurzel abgraben will. Trotzdem unsere Industrie im Vergleich zu der Landwirtschaft auf einer unendlich höheren Stufe der technischen Entwicklung steht, hat sie nicht nur noch immer keine führende und umbildende, eine wirklich sozialistische Rolle gegenüber dem Dorfe erreicht, sondern sie ist auch nicht einmal imstande, selbst die laufenden Bedürfnisse des Dorfes nach Marktwaren zu decken und hält dadurch dessen Entwicklung auf. Gerade aus diesem Grunde ist die Krise in der Getreideaufbringung entstanden. Ganz und gar nicht aber aus der allgemeinen historische Rückständigkeit des Dorfes und aus dem angeblich „zu schnellen Fortschritt der Industrie".

Am 15. Februar hieß es in der „Prawda", dass die drei Jahre nicht umsonst vergangen sind, dass das Dorf also, vor allem der Kulak reich geworden ist und dass das bei dem Zurückbleiben der Industrie unfehlbar zu einer Krise in der Getreideaufbringung führen müsse. Ganz im Gegenteil zu dieser Erklärung meinte Rykow, dass der Fehler der Führung im letzten Jahre gerade darin bestand, dass diese die Industrialisierung zu sehr beschleunigt habe. Man müsse also das Tempo der Industrialisierung verlangsamen, den Anteil der Industrialisierung an dem Volkseinkommen vermindern und die dadurch freiwerdenden Mittel zur Unterstützung der Landwirtschaft, vor allen Dingen in ihrer herrschenden individuellen Form verwenden. Rykow hofft, mit diesen Mitteln in einer sehr kurzen Frist das Ernteergebnis einer Desjatine zu verdoppeln. Doch Rykow verschweigt dabei, wie dieses verdoppelte Ernteergebnis auf dem Markt realisiert werden soll, d. h. wie man es für Erzeugnisse der Industrie eintauschen kann, bei einer noch mehr verlangsamten Entwicklung derselben.

Rykow kann diese Frage nicht umgehen. Eine verdoppelte Ernte würde einen verfünffachten, ja verzehnfachten Warenbedarf der Landwirtschaft bedeuten. Das würde heißen, dass auch das Warendefizit der Industrie um ein vielfaches wachsen würde. Es ist unmöglich, dass Rykow dieses einfache Verhältnis der Dinge nicht begreift. Warum verschweigt er uns also das Geheimnis seiner zukünftigen Erfolge über die unfehlbar ins Ungeheure anwachsende Disproportion? Darum, weil die Zeit noch nicht gekommen ist. Für die rechten Politiker ist Reden Silber und Schweigen – Gold, Rykow hat auch so schon in seinem Referat allzu viel Silber verschwendet. Doch man kann mit Leichtigkeit erraten, was auch das Rykowsche Gold bedeutet. Ein Anwachsen des landwirtschaftlichen Warenbedarfs bei einem verlangsamten Entwicklungstempo der Industrie bedeutet nichts anderes als eine Steigerung der Einfuhr von ausländischen Waren für das Dorf und auch für die Stadt. Einen anderen Ausweg gibt es nicht und kann es nicht geben. Dieser Weg wird ungefähr folgendermaßen vor sich gehen: Durch den Druck der immer stärker und furchtbarer werdenden Disproportion gezwungen, wird Rykow sich entschließen, sein Reservegold in Silber einzuwechseln und wird nun laut die Abschaffung des Außenhandelsmonopols verlangen. Das ist jener rechte Plan, von dem in unserer Plattform in der Perspektive bereits gesprochen wurde, und der gegenwärtig zwar noch nicht vollständig, aber doch schon zu einem großen Teil vor die Öffentlichkeit gebracht wurde.

Wie aus der Rede Rykows hervorgeht, ist die Erhöhung der Brotpreise eine Anzahlung auf diesen Plan. Das ist vor allem eine Prämie für die Kulaken. Sie gibt ihnen die Möglichkeit, noch fester die Mittelbauern hinter sich herzuziehen. Der Kulak wird dem Mittelbauern erklären: „Siehst du, ich habe sie gezwungen, mir meine Verluste durch den Artikel 107 mit Aufschlag zu bezahlen; im Kampfe werden wir unseren Weg erobern, wie unsere Lehrer, die SR, es sagten." Die beamteten Geschäftemacher trösten wahrscheinlich die Politiker mit der Überlegung, dass man die Teuerung des Getreides durch anderes Rohmaterial der Landwirtschaft wieder wettmachen kann. Eine solche Darstellung ist offenbar eine reine Schauspielerei. Denn erstens braucht der Arbeiter Brot und keine technischen Rohmaterialien. Also wird eine Erhöhung der Brotpreise unfehlbar das Budget des Arbeiters treffen. Es wird aber auch nicht gelingen, sich an den anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen schadlos zu halten, sobald man sich erst entschließt, die Schäden des linken Zick-Zack-Kurses mit dem Rubel zuzudecken. Rückzugsmanöver sind überhaupt stets mit Verlust und nicht mit Gewinn verbunden. Das wird bei einem so fluchtartigen Rückzug, wie es die Julibeschlüsse gegenüber den Februarbeschlüssen sind, um so mehr der Fall sein.

Selbst wenn die Erhöhung der Brotpreise als eine außerordentliche Maßnahme, als eine Art umgekehrter Artikel 107, bleiben sollte. Auch dann birgt sie ungeheure Gefahren in sich, denn sie verschärft noch die Widersprüche, aus denen heraus die Krise der Getreideaufbringung entstanden ist. Die Erhöhung der Brotpreise ist lediglich nur ein Schlag gegen die Verbraucher, d. h, also gegen den Arbeiter, gegen den armen Bauer, der Brot zuzukaufen gezwungen ist. Zu gleicher Zeit ist das nicht allein eine Prämie für den Kulaken, den reichen Bauer, sondern auch eine Verschärfung der Disproportion. Wenn die Industriewaren schon unter den billigen Brotpreisen nicht gelangt haben, so werden sie unter höheren Preisen und bei einer vergrößerten Getreidemenge erst recht nicht reichen. Das bedeutet ein neues Wachsen des Warenhungers und eine weitere Steigerung der Differenzierung im Dorf. Die Krise der Getreideaufbringung durch eine Erhöhung des Brotpreises zu bekämpfen, das bedeutet, dass man mit beiden Füßen den Weg der Entwertung des Tscherwonez beschreitet, oder mit anderen Worten, den Durst mit Salzwasser löschen will. Das wäre selbst der Fall, wenn hier von einer isolierten Ausnahme die Rede wäre. Die Erhöhung der Brotpreise ist bei Rykow jedoch absolut keine Ausnahme, oder eine außerordentliche Maßnahme. Das ist ganz einfach ein notwendiger Bestandteil der Rykowschen Politik des Herabgleitens zum Kapitalismus. Die Inflation bildet auf diesem Wege nur eine technische Einzelheit.

Bezüglich der Inflation erklärt Rykow vielsagend: „Die Kaufkraft des Rubels hält sich vorläufig noch stabil". Was bedeutet dies „vorläufig noch"? Das bedeutet: Bis zur Realisierung der neuen Ernte nach den erhöhten Preisen, bei einem Mangel an Industriewaren, Sobald aber die Inflation eingetreten ist, wird Rykow den Arbeitern, deren Löhne bei einer solchen Lage sinken werden, erklären: „Ich hatte ja gesagt ,vorläufig noch'", und wird dann jenen Teil seines Programms entwickeln, den er jetzt verschweigt. Man kann aus der Krise keinen Ausweg zur Neonep finden, wenn man nicht dem Außenhandelsmonopol einen Schlag versetzt.

Gleichzeitig mit dem Sieger Rykow hat der besiegte Stalin zur gleichen Frage in Leningrad gesprochen. In seiner ganz unbeholfenen Rede – man geniert sich direkt, sie zu lesen – versucht Stalin die Prämie, die man den Dorfspitzen auf Kosten der Arbeiterschaft gewährt hat, als eine neue – Festigung der Smytschka (des Zusammenschlusses zwischen Stadt und Land) anzupreisen. Die wievielte ist sie nun eigentlich schon der Reihe nach? Stalin versucht nicht einmal, zu zeigen, wie er sich aus diesen Widersprüchen herauszuwinden gedenkt. Nachdem er den Schwanz aus dem Artikel 107 gerettet hat, ist die Nase im Sumpf der Preiserhöhung stecken geblieben. Stalin wiederholt nur die jedem schon über gewordenen allgemeinen Phrasen über den Zusammenschluss. Als ob das Problem des Zusammenschlusses durch eine Phrase, eine Formel oder einen Schwur gelöst werden könnte. Als ob jemand anders, als die gehorsamen Beamten, es glauben wird, dass eine vierte gute Ernte, wie durch ein Wunder jene Disproporz vermindern wird, die durch die vorausgegangenen guten Ernten verschärft worden ist. Stalin fürchtet sich vor der rechten Rykowschen Antwort, kann sich aber gleichzeitig auch nicht zu einer leninistischen Antwort entschließen. Er wartet ab und beschäftigt sich mit Verschiebungen im Apparat. Er verliert Zeit, indem er glaubt, diese zu gewinnen. Nach dem krampfhaften Durchrütteln im Februar steht er wieder vor der Schwanzpolitik in ihrer ganzen armseligen Hilflosigkeit.

Ganz anders lautet die Rede Rykows. Wenn Stalin schweigt, weil er nichts zu sagen hat, so verschweigt Rykow manches, um nicht zu viel zu sagen. Die Politik der Erhöhung der Brotpreise mit einer Rykowschen Begründung der Liquidierung des linken Zick-Zack-Kurses im Frühjahr, muss man unbedingt den Anfang einer tiefen, vielleicht entscheidenden Rechtswendung bezeichnen. Die juristischen Barrieren, wie die Einschränkungen der Pacht, der Miete, der Arbeitskraft und sogar die Einschränkung des Außenhandelsmonopols, werden glatt durch einen bürokratischen Federstrich beseitigt, wenn die Rechten nicht vorher auf den Drahtverhau der proletarischen Avantgarde stoßen werden. Die Logik des rechten Kurses ist unerbittlich. Alle Illusionen und falschen Berechnungen, alle Hoffnungen auf ein „Vielleicht", jedes Zeitversäumnis, jeder Versuch, die Gegensätze zu verkleistern, alles Nichtausgesprochene und alle Diplomatie bedeutet nur eine Einschläferung der Arbeiter, eine direkte Unterstützung des Feindes und eine bewusste oder unbewusste Förderung des Thermidors. Mit der Rede Rykows, in der die Beschlüsse des Juliplenums kommentiert werden, warfen die Rechten der Oktoberrevolution den Handschuh hin. Man muss das begreifen und diesen Handschuh aufnehmen. Und man muss auch sofort und heftig den Rechten auf die Finger klopfen.

Die Rechten haben ihren strategischen Plan schon im Voraus fertig gemacht, Sie brauchten sich dabei nicht in schwere geistige Unkosten zu stürzen. Nach der Behauptung Rykows liegt den linkszentristischen Versuchen Stalins „der trotzkistische Unglaube an den Aufbau des Sozialismus auf der Grundlage der NEP und der steten Panik vor dem Bauer" zugrunde. Der Kampf gegen den „Trotzkismus" ist die beständige Münze aller Herabgleitenden. Doch wenn solche Beweisführungen schon im Munde Stalins unsinnig waren, so werden sie im Munde Rykows ganz und gar armselige Karikaturen. Hierbei hätte er daran denken sollen, dass Schweigen Gold ist.

Die wirkliche Panik vor dem Bauer herrscht bei jenen; welche Angst hatten vor der Machtergreifung des Proletariats im bäuerlichen Russland. Diese Panikhelden, darunter auch Rykow – befanden sich auf der anderen Seite der Oktoberbarrikaden. Ich aber war bei Lenin und dem Proletariat, denn ich zweifelte keinen Moment an der Fähigkeit des Proletariats, die Bauernschaft hinter sich herzuführen.

Die Politik Rykows im Jahre 1917 war nur die vorweggenommene Wirtschaftspolitik von heute. Jetzt schlägt er vor, die bereits eroberten wirtschaftlichen Stützpunkte der Diktatur in Abschnitten der beginnenden kapitalistischen Akkumulation zu überlassen. Nur bei den in den letzten Jahren Sitte gewordenen Verfälschungen ist es Rykow möglich, den ständigen Kampf der Opposition für die proletarische Diktatur als eine „Panik" zu bezeichnen. Er versucht dabei, seine Bereitwilligkeit mit offenen Augen vor dem Kapitalismus zu kapitulieren, als einen Ausdruck seines politischen Mutes darzustellen.

Rykow richtete seine reaktionäre Demagogie, welche vollständig auf die Psychologie der sich bereichernden kleinen Eigentümer berechnet ist, gegenwärtig weniger gegen die Opposition als gegen die Stalin nach links drängenden Zentristen überhaupt. Wie Stalin seinerzeit gegen Sinowjew die gesamte Theorie Sinowjews gegen den „Trotzkismus" verwendete, so wird jetzt Rykow dieselbe Operation gegen Stalin wiederholen. Mit politischen Ideen darf man nicht spielen, sie sind gefährlicher als Feuer. Der Mythos, die Legende, die falschen Parolen vom angeblichen „Trotzkismus" haben die Opposition selbst nicht berührt. Aber sie sind an den Klassen hängen geblieben und haben so ein selbständiges Dasein bekommen. Um weiter und tiefer durchzugreifen, war Stalin genötigt, in seiner Agitation zehnmal gröber als Sinowjew vorzugehen. Jetzt ist die Reihe an Rykow. Man kann sich vorstellen, was für eine Hetze im offenen Kampf die Rechten entfesseln werden, indem sie auf die Eigentumsinstinkte der Kulaken hinzielen. Man darf nicht vergessen, dass, wenn Rykow im Schwanz der Zentristen war, so haben die Rykowzis einen eigenen, noch viel schwerwiegenderen Schwanz. Unmittelbar hinter Rykow folgen jene, welche – wie es die „Prawda" einmal eingestand –, mit allen Klassen in Frieden leben wollen, d. h. also, den Arbeiter, den Landarbeiter, den armen Bauer zwingen wollen, sich wieder ruhig dem Herrn zu fügen. Weiter in der nächsten Reihe folgt schon das vollgefressene Herrchen, habgierig, ungeduldig und rachsüchtig, mit hochgekrempelten Ärmeln und mit dem Messer im Stiefelschaft. Und hinter dem Herrchen, bereits auf der anderen Seite der Grenzen, steht schon der richtige Herr mit dem Dreadnought, Luftgeschwader und Phosgen. Man braucht keine Panik, lasst uns weiter aufbauen wie jetzt, predigen diese Judasse, indem sie die Aufmerksamkeit der Arbeiter einschläfern und die Eigentümer mobilisieren. Das heißt, sie bereiten den Thermidor vor. So ist jetzt die wirkliche Klassenlage.

Wie gesagt, betrügt Rykow die Partei, indem er erzählt, dass die Opposition jene Ausnahmemaßnahmen verewigen will, zu denen uns – zu unserer Schande – die Politik nach Lenin, im elften Jahre der Diktatur gebracht hat. Was die Opposition will, ist in den an den 6. Kongress gerichteten Dokumenten deutlich gesagt worden. Doch Rykow ist vollständig im Recht, wenn er sagt, dass die Aufgabe der Trotzkisten darin besteht, den Sieg des rechten Flügels zu verhindern. Das stimmt, denn der Sieg des rechten Flügels wäre der erste Schritt zum Thermidor. Nach einem Siege des rechten Flügels könnte man nicht mehr durch eine bloße Parteireform wieder zur Diktatur gelangen. Denn der rechte Flügel, das ist der Haken, an dem die feindlichen Klassen ziehen. Der Sieg des rechten Flügels wäre ein – vorübergehend maskierter – Sieg der Bourgeoisie über das Proletariat. Rykow hat recht; Unsere Hauptaufgabe ist gegenwärtig, einen Sieg des rechten Flügels zu verhindern. Und dazu darf man nicht die Partei einschläfern, wie es die Sinowjew, die Pjatakow und ihnen ähnliche machen, sondern man muss mit verzehnfachter Kraft auf der ganzen Linie Alarm schlagen.

Wir sagen es unserer Partei, und wir sagen es der Kommunistischen Internationale: Rykow geht offen zu einer Übergabe der Oktoberrevolution an die feindliche Klasse über. Stalin tritt von einem Fuß auf den andern, zieht sich vor Rykow zurück, schlägt gegen die Linken, und Bucharin schläfert das Bewusstsein der Partei mit seiner reaktionären Scholastik ein. Die Partei muss ihre Stimme erheben. Die proletarische Avantgarde muss ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Die Partei braucht eine breite Diskussion über alle drei Linien, die Rechte, die Zentristische und die Leninistische. Die Partei braucht die Wiedereinreihung der Opposition und einen ehrlich vorbereiteten und zusammenberufenen Parteitag.

Alma-Ata, 22. Juli 1928.

Leo Trotzki.

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