Leo Trotzki‎ > ‎1928‎ > ‎

Leo Trotzki 19281021 Zur Lage in Russland

Leo Trotzki: Zur Lage in Russland

[Nach New Yorker Volkszeitung, 21. Januar 1929, S. 6, 22. Januar 1929, S. 6 und 23. Januar 1929, S. 6]

I.

Ich schreibe Euch vor dem Oktober-Plenum, jedenfalls bevor Nachrichten von ihm nach Alma-Ata gelangt sind. Etwas Neues will ich Euch nicht sagen. Ich will nur das früher Gesagte zusammenfassen und die Vorbedingungen zur Bewertung des bevorstehenden Oktober-Plenums geben.

Sinowjew sagte, wie berichtet wird, dass im Juni Stalin gesiegt hatte. Vom politischen Standpunkte ist das absurd. Der Zentrismus hat sich politisch durch das Oktober-Kompromiss geschwächt. Die Flügel – der rechte und der linke – haben einen neuen Anstoß erhalten. Aber in der Sphäre des Apparatur besteht eine eigene Logik, Welche bis zurzeit mit den allgemeinen Kräfteumstellungen in der Partei, in der Arbeiterklasse nicht zusammenfällt und ihnen sogar entgegengesetzt ist.

Durch das Aufgeben der politischen Position hat Stalin die Rechten gespalten. Er hat von ihnen (vorläufig) Kalinin und Woroschilow „losgerissen“, welche mit ganzer Seele für den neuen Besitzenden und die neue „Ordnung“ sind, aber welche bis jetzt sich sehr gefürchtet haben, mit Rykow und Bucharin, Tomski, als Führer Auge in Auge gelassen zu werden.

Die Lage im apparat-organisatorischen Sinne ist für die Rechten schlecht genug. Stalin greift organisatorisch an, nachdem er politisch zurückgetreten ist und seine Mehrheit sichergestellt hat. Es genügt zu sagen, dass die Kandidatur Molotows für den Posten eines tatsächlichen Vorsitzenden der Komintern (anstatt Bucharin) schon als eine ernste Frage angesehen wird. Ja. ja. wir haben einstmals gescherzt, dass Stalin zum Vorsitzenden der Komintern Mechlis einsetzen würde. Die Wirklichkeit hat sich von dem Scherz nicht weit entfernt. Kaganowitsch muss Uglanow ersetzen, gegen welchen im ZKK eine Sache schwebt. (Aufhetzung eines Jugendgenossen gegen Stalin.) Wie in Wirklichkeit die Lage der Rechten ist, sieht man daraus, dass – wie in Moskau erzählt wird – Bucharin heimlich von der Hintertreppe aus zu Kamenew läuft und verspricht, „Stalin und Molotow für Kamenew und Sinowjew zu geben''. Kamenew würde sich natürlich für diese Operation bereit erklären, aber er versteht, dass die Bucharinschen politischen Versprechungen nicht höher als seine ökonomischen Prognosen stehen. Aus reinem Übermut wird der Führer der Komintern, der allmächtige Kalabolkin nicht zu den gestrigen Ausgeschlossenen laufen, sich nach seinem eigenen Schatten umsehend.

Wie denkt Stalin? Es ist nicht schwer zu erraten. Wenn ich aus den Schwierigkeiten mit Hilfe der zentristischen Maßnahmen herauskomme, so erkläre ich die Rechten als Kapitulanten und lasse sie im Apparat auf eine oder zwei Stufen niedriger sinken. Wenn sich, im Gegenteil, die Lage verschlechtert, so schlage ich einen rechten Kurs ein, d. h. ich entkräfte die rechte Fraktion, indem ich sie politisch bestehle; ich werde erklären, dass sie sich die Differenzen ausgedacht haben, dass sie spalterisch wirken, und setze sie eine Stufe niedriger. Wenn die rechten Maßnahmen nicht helfen werden, lege ich den rechten Verbündeten die Verantwortung für den Misserfolg auf, versuche wieder einen linken Kurs, indem ich Sinowjew und Kamenew die Fangschnur ein wenig lose lasse, denn sie warten artig, bereitwillig wie geschlagene Leute … Und später werden wir sehen … Das ist das Stalinsche Schema. Ihre Kraft liegt im Apparat. Ihre tödliche Schwäche ist die, dass sie die Rechnung ohne den Wirt macht, d. h. ohne die Klassen. Aber solange die Klassen schweigen, gilt das Schema Stalins.

Wenn die Kontrollzahlen des Stalinschen Planes schon von weitem zu sehen sind, so sind sie den Rechten erst recht sichtbar. Darum haben sie sich so sehr aufgeregt. Sie wollen es nicht zulassen, das sie teilweise liquidiert werden. Aber sie fürchten sich sehr, dass im Falle ihres Auftretens Stalin sie mit einem Mal liquidieren wird.

Die Methode Stalins zeigte sich erst recht während des Kongresses. Die Stundenzahl des Bucharinschen Sprechens auf dem Kongress, befindet sich im umgekehrten Verhältnis zu einem Einfluss, welcher von Tag zu Tag sinkt. Erstens ist die rechte Politik der UdSSR der ausländischen Bürokraten angesichts der Radikalisierung der Massen und des Druckes der Opposition zuwider. Zweitens ist doch der Apparat in den Händen Stalins, und in der Komintern ist die Religion des Apparates nicht schwächer als in der WKP. Während des Kongresses nahm der abwesende Stalin dem Bucharin wenn nicht neun Zehntel der zusammengekommenen Apparatleute weg. Stalin hatte es nicht nötig, anwesend zu sein: zu sagen hatte er nichts, und das Handeln besorgte für ihn der unpersönliche Mechanismus der Macht. Es erweist sich, dass die Rechten – ob sie wollen oder nicht – gezwungen sind, in das kalte Wasser zu springen, d. h. sie müssen versuchen, ihren Streit mit Stalin außerhalb des Apparates auszutragen. Damit ist auch das Erscheinen des Artikels von Bucharin „Bemerkungen eines Ökonomisten" erklärt. Das ist der Mut der Verzweiflung, Es ist möglich, dass Rykow mit Tomski den Bucharin vorgeschickt haben (der Artikel ist nicht nur ein Dokument der theoretischen Schwäche, sondern auch eins der letzten politischen Hilfslosigkeit). Dieses „Auftreten" hat den Rechten nichts als Schaden gebracht. Der „echte" rechte Flügel, entschlossen den Kampf außerhalb der Grenzen des bürokratischen Hühnerstalles auszutragen, müsste krähen: „Ihr neuen Besitzenden, vereinigt euch, sonst berauben euch die Sozialisten." Solche Aufrufe waren schon in dem Kampf gegen die Opposition, aber sie klangen etwas niederträchtig-zweideutig. Und die Rechten müssten, um sich dem Zentrum in aller Klarheit gegenüberzustellen auf echte Weise aufheulen, aus voller Kehle, d. h. auf die Art des Schwarzenhunderts. des Thermidorianertums. Aber hierzu fehlt es Bucharin noch an Kraft. Er hat den Fuß ins kalte Wasser gesteckt, aber er fürchtet sich, ganz hineinzugehen. Er steht und zittert … vor Mut. Und Rykow und Tomski schauen von Weitem zu, was dabei herauskommt, um im geeigneten Augenblick sich in die Büsche zu schlagen. Das ist die Disposition der wichtigsten Schauspieler auf der bürokratischer Szene.

Man kann sagen, dass dies alles nicht sehr wichtig sei. Aber das würde falsch sein. Natürlich, wenn die Klassen laut sprechen würden, wenn das Proletariat zum politischen Angriff übergehen würde, würde die Disposition der Schauspieler des Apparates neun Zehntel ihrer Bedeutung verlieren, sie würde sich auch nach der einen oder anderen Seite hin stark verändern. Aber wir berühren hier eine noch nicht vollendete Epoche der Allmacht des Apparates, bei wachsender Doppelherrschaft im Land; Stalin und Rykow und Bucharin sind die Regierung. Und die Regierung spielt keine so wichtige Rolle. Es ist notwendig, sich die Disposition der bürokratischen Schauspieler näher anzusehen, aber nicht vom Gesichtswinkel des Apparates, sondern von dem der Klasse.

* * *

Wie kann sich die rechte Gefahr „wirklich" realisieren? Das ist eine Frage von großer Bedeutung. Das Besondere dabei ist, dass der rechte Flügel seine Massen hauptsächlich außerhalb der Partei besitzt. Der rechte Flügel ist im Apparat schwächer vertreten als der Zentrismus, hat dafür aber im Gegensatz zu den Zentristen einen soliden Klassenstützpunkt im Lande. Aber wie kann sich immerhin die Stärke des rechten Flügels in der Tat realisieren? Mit anderen Worten: Wie können die neuen Besitzenden zur Macht kommen? Auf den ersten Blick erscheint es als beruhigend, dass die politischen Parteien der besitzenden Klasse zerschlagen sind, dass die neuen Besitzenden niedergehalten sind; dass der rechte Flügel innerhalb der Partei, sich vor dem proletarischen Kern fürchtend und noch verbunden mit dem gestrigen Tage, sich nicht entscheiden kann, sich auf den neuen Besitzenden offen zu stützen. Natürlich ist dies alles ein Plus, das uns vom gestrigen Tage vererbt ist. Aber das sind beileibe keine absoluten Garantien. Die zur Realisierung des Thermidors notwendigen Bedingungen können in einer verhältnismäßig kurzen Frist erscheinen.

Wir haben früher schon mehr wie einmal darauf hingewiesen, dass die siegreiche bürgerliche Konterrevolution die Form des Faschismus oder Bonapartismus annehmen müsse, aber ganz und nicht die Form der bürgerlichen Demokratie, von welcher die schwachköpfigen Menschewiki träumen. Kamenew versteht dies bis zum heutigen Tage nicht. In seiner unlängst geführten „Unterhaltung" mit unseren Gesinnungsgenossen zeigte Kamenew die Lage im Lande so auf, als ob nach einer gewissen Zeit „Kerenski" auf der Schwelle stehen werde. Ganz und gar nicht. Wenn man schon Kerenski erwähnt, so würde es richtiger sein, zu sagen, dass gerade jetzt bei dem zentristischen Regime das Land durch „die umgewendete Kerenski-Periode" durchgehen müsse.

Die Funktion der geschichtlichen Kerenski-Periode bestand darin, dass auf ihrem Rücken die Macht von der Bourgeoisie zum Proletariat übergegangen ist. Die historische Rolle der Stalinschen Periode besteht darin, dass auf ihrem Rücken die Macht vom Proletariat zur Bourgeoisie hinüber gleitet. Die nachleninsche Leitung entrollt überhaupt den Oktoberfilm in verkehrter Richtung. Und die Stalinsche Periode ist dieselbe Kerenski-Periode nach rechts. In einem Lande, welches durch die größte Revolution erschüttert worden ist, kann die bürgerliche Ordnung in keinem Falle eine demokratische Form annehmen. Zum Siege und zur Erhaltung dieses Sieges müsste die Bourgeoisie die höchste, rein militärische Konzentration der Macht gebrauchen, die sich über die Klassen erhebt, wobei als unmittelbarer Stützpunkt dieser Macht der neuen Besitzenden der Kulak sein würde. Das ist der Bonapartismus. Der Thermidor ist nur eine Etappe auf dem Wege zum Bonapartismus. Diese Etappe braucht sich ganz und gar nicht in allen ihren Teilen zu realisieren. Die Konterrevolution kann die eine oder andere Stufe „überspringen"

Im thermidorianischen, besonders aber im vollendeten Bonapartistischen Umsturz spielt die Armee eine große Rolle, im zweiten Falle die entscheidende Rolle. Von diesem Gesichtspunkt aus muss man mit der größten Aufmerksamkeit die Prozesse verfolgen, die in der Armee vor sich gehen.

Vergessen wir es nicht, dass im Juni-Bericht auf der Moskauer Parteiarbeiterkonferenz der rechte „Führer“ mit Hinweis auf seinen Freund Kliem gesagt hat: „Greift Ihr noch einmal zu außerordentlichen Maßnahmen, so wird die Armee mit einem Aufstand antworten". Das ist eine viel bedeutende Formulierung: Zur Hälfte Prognose, zur anderen Hälfte Drohung. Es kann sein, dass sie zu ¾ aus Drohungen besteht. Aber wer droht? Die neuen Vorsitzenden – durch den führenden Apparat der Armee. Der führende Apparat durch Kliem. Hier habt Ihr auch, mit Verlaub zu sagen, den bonapartistischen Kandidaten Kliem Es würde die größte Naivität beweisen, wenn man etwa erwidern wolle, dass das ein zu beschränkter Bonaparte sein würde. Es gab doch auch verschiedene Bonapartes: Es gab doch nicht nur Napoleon I., sondern auch Napoleon III., der ein ganz kümmerlicher Bursche war. Wenn die besitzenden Klassen es für notwendig finden, so machen sie, nach einem stalinschen Ausdruck „aus Straßendreck einen Fürsten". Ja, die Ereignisse können sich so wenden, dass Kliem (einer von den Kliems) als „Fürst" hervorspringen kann. Das wird ein Bonaparte dritter Sorte sein. Aber das würde ihn nicht hindern, die Revolution zu zerschlagen. Man sagt, dass Kliem von der rechten Position zu der rechts-zentristischen übergangen ist und den „Meister" unterstützt. Aber solche Spitzenkombinationen fügen sich zusammen und werden in 24 Stunden durch Anstöße von außen wieder zerrissen.

Aber es braucht nicht Kliem zu sein. Wenn er es nicht sein wird, dann Budjonny. Wir haben keinen Mangel an Bonaparten. Der Meister sagt: „Diese Kader kann man nur durch einen Bürgerkrieg wegfegen." Kliem fügt hinzu: „Wenn ihr Arbeiter zu sehr murren werdet, so denkt daran dass hinter mir eine große Macht steht." Der erste wie der zweite Ausspruch sind Elemente des Bonapartismus. Im ersten Falle spricht der Partei-Staatsapparat, der sich höher dünkt als alles, auch höher als die Armee. Im zweiten Falle spricht der militärische Apparat, welcher morgen schon sich gedrängt fühlen wird, „das Zivil auf seinen Platz" zu stellen.

Ein unblutiger Sieg des Parteiapparates der Zentristen über die Rechten würde die thermidorianisch-bonapartistische Perspektive nicht wegtun, sondern würde sie nur ändern und verschieben. Ein selbständiger Sieg der Zentristen ohne die Opposition, ohne Achsen, kann nur errungen werden durch einen weiteren Druck, durch eine weitere Verengerung der Massenbasis des Zentrismus, durch ein weiteres Verwachsen der zentristischen Fraktion mit den Apparaten der staatlichen Repression, letzten Endes mit dem Kommandoapparat der Armee, in welcher das Parteilehen schon längst erloschen ist, soweit dort nicht erlaubt wird, andere Meinungen zu haben als die, die man Bubnow befiehlt, zu verbreiten. Wird im Resultat dieses „Verwachsens" der Meister selbst auf das weiße Ross zu sitzen kommen, oder wird er unter das Ross von Kliem zu liegen kommen? Das ist eine Frage, die vom Klassenstandpunkt aus ganz unbedeutend ist.

Wir kommen somit zu der Schlussfolgerung, dass ein „Sieg" der Rechten direkt auf den thermidorianisch-bonapartistischen Weg führen würde, ein „Sieg*' der Zentristen jedoch im Zickzack auf den gleichen Weg. Ist da wohl ein Unterschied zu finden? Als letzte historische Schlussfolgerung ist da kein Unterschied: Der Zentrismus stellt nur eine Verschiedenartigkeit des Versöhnlertums dar (im gegebenen Falle – mit den neuen Besitzenden, mit der bürgerlichen Gesellschaft, welche versucht, sich neu zu gestalten) aber dies nur als letzte historische Schlussfolgerung, in der jetzigen Etappe jedoch spiegelt der Zentrismus in weit krasserem Maßstabe die breite Schicht der „gehobenen" Arbeiter wider, die Rechten wurzeln in dem neuen, hauptsächlich in dem bäuerlichen Besitztum. Es wäre der gröbste Fehler, wenn man diesen Kampf zwischen ihnen ignorieren wollte.

Die Zentristen wollen nicht offen mit den Arbeitern brechen, sie fürchten diesen Bruch weit mehr als die Rechten, welche vor allem die Besitzenden nicht kränken wollen. Gerade dieses Verhältnis zwischen den Spitzen der Arbeiterklasse und den neuen Besitzenden ist die Grundlage der Gruppierung im Apparat, wie verwirrt auch die Parteiverflechtung ist. wie groß auch die „Schwierigkeiten" durch die persönlichen Momente (Stalin, Bucharin, Rykow, Tomski) werden. Man muss die Gruppierungen unterscheiden, um die einzelnen Etappen des Kampfes zu verfolgen, um den Sinn des Kampfes und seine Grenzen zu verstehen. Dieser Kampf hat an und für sich keine große Bedeutung, aber er sprengt die bürokratischen Fesseln, bringt das Verborgene ans Licht, veranlasst die Massen zum Denken, erweitert die Arena ihrer Aktivität.

Das Juli-Plenum war der wichtigste Augenblick des Abgleitens der Zentristen. Aber es würde dumm sein, zu denken, dass dies die letzte Etappe des Kampfes ist, dass die Zentristen endgültig kapituliert hätten, und dass weiterhin die Rechten „Monopolstellung" einnehmen, nein, unter dem Druck der Widersprüche in dem Kampf wird unweigerlich auch die Revolution durchdringen und in der Geschichte der Partei keine geringe Rolle spielen.

II.

Hieraus kann man aber absolut nicht folgern, dass die Zentristen in dem Kampf mit den Rechten sich auf die Opposition stützen wollen. Die Zentristen fürchten die Opposition mehr als die Rechten. Die Zentristen kämpfen mit den Rechten, stehlen aus ihrem Programm. Zu sagen, dass der Block mit einem oder dem andern Teil der heutigen Zentristen niemals und unter keinen Bedingungen möglich wäre, würde lächerlicher Doktrinarismus sein. Viele heutige Zentristen würden noch nach links rücken Wenn man uns 1924 gesagt hätte, dass wir einen Block mit den Sinowjew-Leuten machen würden, wurden es wohl wenige geglaubt haben. Aber es kam so dass der Kampf der Leningrader Zentristen gegen den Kulaken-Angriff sie zu einem Block mit uns und zur Annahme unserer Plattform geführt hat. Nicht ausgeschlossen sind auch solcher Art von Zickzacken auch für die heute regierenden Zentristen, wenn das Klassenregime sie zwingt, offen und entschieden mit den Rechten zu brechen und wenn die Umstände sie gehörig zwicken werden. Solche historische Möglichkeiten sind nicht ausgeschlossen, sie können zu Stufen werden auf dem Wege der weiteren Entwicklung und Festigung der bolschewistischen Linie genau so wie auch der Block mit den Sinowjew-Leuten geworden ist. Aber man müsste ganz den Kopf verlieren, wenn man jetzt den Kurs halten würde auf einen Block mit den jetzigen Zentristen, sowie sie jetzt sind, anstatt systematisch, unversöhnlich, unerbittlich den Zentristen den proletarischen Kern der Partei gegenüberzustellen. Letzten Endes erschöpft sich auch in diesen zwei Tendenzen die Differenz zwischen der überwiegenden Mehrheit der Opposition und ihrer geringen Minderheit, welche davon „träumt", wie schön es wäre, wenn ein guter Block mit den sich besinnenden Zentristen hergestellt würde und welcher die Schwierigkeiten und Gefahren in der Entwicklung der Partei und des Staates verringern würde. Aber o weh, die überreiche Erfahrung der Vergangenheit zeugt davon, dass ein solcher, angeblich viel ersparender Weg viel teurer zu stehen kommen wird, und dass diejenigen. die zu diesem Wege aufrufen, selbst zum Zentrismus abgleiten. Den apparat-bürokratischen Streit der Zentristen mit den Rechten kann man als Ausgangspunkt einer durchgehenden Parteireform nur bei einer entscheidenden Einmischung der Massen benutzen. Diese Einmischung bolschewistisch organisieren, kann nur die Opposition, die politisch unabhängig ist von den Rechten, wie von den Zentristen, und welche gerade durch diese Unabhängigkeit fähig ist. alle Etappen des Kampfes zwischen ihnen auszunutzen.

* * *

Einige Worte in diesem Zusammenhange über die Beratungen und Ratschläge unseres „neuen Freundes Kamenew" (in der schon von uns erwähnten Unterhaltung) … Er, sehen Sie, findet, dass „L. T." folglich ein Dokument einreichen müsste, in welchem er sagt: Ruft uns, wir werden zusammenarbeiten. Aber L. T. ist ein eigenwilliger Mensch …“ etc. etc. Kamenew ist gar nicht so naiv gütig und glaubt natürlich selbst nicht an das, was er sagt. Er weiß ganz gut, dass eine solche Erklärung die juristische Lage der Opposition nicht ändern würde, sie würde ihr nur einen politischen Schlag versetzen, der sie auf das Niveau der Sinowjew-Leute herabsetzen würde. Diese Letzteren haben eine sie verhöhnende Halb-Amnestie erhalten, die sie politisch nicht leben lässt. Und nur dank ihres Lossagens von uns. Kamenew versteht das sehr gut. Seine Gespräche und sein Kokettieren haben nur den einzigen Zweck, Stalin zu schrecken, welcher schon gar zu verächtlich seine künftigen „Verbündeten" malträtiert. Kamenew will seinen eigenen Preis erhöhen, um bei einer neuen Gelegenheit uns wieder zu verraten, aber unter günstigeren Bedingungen für sich selbst. Letzten Endes könnten seinen Lockrufen doch nur ganz ausgemachte Dummköpfe folgen. In unserer Mitte werden hierüber keine zweierlei Meinungen sein. Besonders bemerkenswert ist das Kamenewsche Bedauern über meine „öfteren" und „heftigen" Angriffe auf sein Kapitulantentum. „Man muss zusammenarbeiten." „Alte Suppen soll man nicht aufwärmen." „Es ist zu bedauern, dass eine Spaltung entstanden ist."

Kamenew singt gut, mit Koloratur Dass er singt, ohne Jaroslawski zu fürchten, zeugt von der Schwäche des Apparatstreifens und vom Steigen der Chancen der Opposition. Das buchen wir auf unsere Aktivseite. Aber nur eins kann man darauf schlussfolgern: man muss auf die Kapitulanten noch einmal so viel, dreimal, zehnmal so viel einschlagen.

* * *

Die Frage der Einmischung der Massen in den Streit ist vor allem eine Frage der Mobilisierung der Arbeiterschaft auf allen Gebieten des inneren und internationalen Lebens, angefangen von den einfachsten und aufschiebbaren Fragen, in einer Reihe von Briefen finden wir Hinweise, als ob bei uns eine „Plattform" über die „Arbeiterfrage" fehle. Was bedeutet dies eigentlich? Ist denn unsere Plattform veraltet? Der „Arbeiterteil" in unserer Plattform ist ganz besonders genau und konkret behandelt worden. Ich fürchte, dass man hier einfach das Anwenden vergisst. Es ist, als ob viele Genossen die Plattform vergessen haben, sie wenden sie nicht an, suchen in ihr nicht die Anweisungen und verlangen daher immer wieder neue Dokumente. Man muss es wieder lernen, sie anzuwenden. Jedes Auftreten eines Bolschewisten-Leninisten muss von der Plattform ausgehen, wenn möglich müssen genaue Zitate, die zu der gegebenen Frage gehören, angebracht werden. Thesen über irgend eine Tagesfrage, sei sie groß oder klein, müssen mit einem Zitat aus der Plattform anfangen. Dieses Dokument baut sich auf eine große kollektive Erfahrung auf, wobei alle Formulierungen genau durchdacht und beraten worden sind. Die Anwendung der Plattform bei allen Fragen wird einen großen, zur Disziplin führenden Einfluss haben, besonders bei der Jugend. Es versteht sich von selbst, dass in der Plattform Lücken vorhanden sein können, veraltete Sätze oder fehlerhafte Einzelheiten, die Änderungen, Korrekturen und Ergänzungen verlangen. Aber man muss diese Ergänzungen und Korrekturen klar und genau formulieren, und dabei von der Plattform selbst ausgehen.

Die Frage der Anwendung der Plattform in jeder gegebenen Etappe und zu jeder konkreten Frage, zum Beispiel bei der jetzt auf der Tagesordnung stehenden Tarifvertrags-Kampagne, hat natürlich jedes Mal ihre eigenen Schwierigkeiten, die nur unter Beteiligung der Gesinnungsgenossen am Ort, im Betrieb, in der Fachgruppe gelöst werden können. Unsere wichtigste Direktive, das entscheidende Kriterium auf diesem Gebiete, ist die Erhöhung des Reallohnes. Über die Höhe dieser Steigerung sind Unterhandlungen mit den Wirtschaftlern, den Sowjet-, Partei- und Gewerkschafts-Organen zu führen. Der Streik ist, wie die Resolution des XI. Parteitages besagt, das äußerste Mittel, aber absolut kein ungesetzliches, kein anti-parteiliches, kein antisowjetisches. Die Beteiligung des Bolschewisten-Leninisten am Streik und an der Leitung des Streiks kann sich als die Parteipflicht des Bolschewisten-Leninisten erweisen. wenn alle anderen Mittel zur Sicherstellung der gesetzlichen, d. h. der real zu verwirklichenden Forderungen der Massen erschöpft sind. Wie weit diese reale Verwirklichung gehen kann, kann, wie schon gesagt, durch Unterhandlungen bestimmt werden, wobei die Arbeitervertreter die Erklärungen anhören und auch tatsächlich in die Bücher Einsicht nehmen. Wer soll die Unterhandlungen führen? Das hängt von der Unzufriedenheit und der Angriffskraft der Arbeiter ab. Bei passenden Gelegenheiten werden die Bolschewisten-Leninisten die Wahl von speziellen Kommissionen, Delegationen verlangen. Um die Unterhandlungen mit dem Verband, mit dem Parteikomitee des Gouvernement zu führen, um die Redaktionen der Zeitungen zu besuchen, und hernach alle, auch die höchsten Behörden. Mit schriftlichen Aufzeichnungen und einem genauen Bericht über diesen ihren Leidensweg haben sie vor der Betriebsversammlung zu erscheinen. Die Stimmung der Arbeiter ist so, dass von unserer Seite die größte Entschlossenheit und Aktivität verlangt wird. Nur wir können die aufgespeicherte Unzufriedenheit auf den richtigen Sowjet- und Parteiweg leiten. Die heutige Passivität der Massen, das Resultat vieler Faktoren, erzeugt zum Teil ein Schwanken und eine Unentschlossenheit der Massen selbst, da viele von den den Mitteln und Wegen enttäuscht sind, und neue noch nicht gefunden haben.

Dieses Stehenbleiben am Kreuzweg kann natürlich nicht von langer Dauer sein. In der Masse muss ein neuer Kristallisationsprozess entstehen, und er kann unter gewissen Bedingungen mit schwindelerregender Schnelligkeit vor sich gehen. Und was für eine Achse wird diese Bewegung haben? Die bürokratische? Nein, die bürokratische wird es nicht sein. Wenn wir nicht die Achse, um die sich alles dreht, in diesem Prozess sein werden, dann werden es die Menschewiki, die Sozialrevolutionäre, die Anarchisten sein. Und das würde bedeuten, dass die Oktoberrevolution endgültig unter den Wagen kommen wird. Nur die Bolschewisten-Leninisten können die Revolution davor bewahren, indem sie der Masse kühn entgegengehen und, wo es nötig ist, die Schranken, die die Bürokraten aufgestellt haben, niederwerfen.

Den Massen entgegengehen, bedeutet aber nicht, sich passiv vor ihrer elementaren Kraft zu verhalten, wie es die DZ vorhaben, die sich mit ihrer Putschpolitik den Hals brechen werden, was nur halb so schlimm wäre, oder sie werden unversehens den Feinden helfen, der Revolution den Hals zu brechen, was viel schlimmer ist. Die Politik der letzten fünf Jahre hat in den Arbeitermassen von neuem antisowjetische Stimmung erzeugt, zum Teil noch nicht formuliert, d. h. auf Besitztum gerichtete Stimmungen. Die Aktivität der Massen muss so mobilisiert werden, dass innerhalb der Massen fortwährend eine Differenzierung auf der Klassenlinie vor sich geht. Auf antisowjetische Noten, die besonders formuliert, bewusst, bösartig sind, müssen wir viel feinfühliger und entschiedener als der Apparat reagieren. Bei jedem neuen Ausbruch der Unzufriedenheit müssen wir als erste die Menschewiki, die Sozial-Revolutionäre, die Anarchisten, soweit sie ihre Hand im Spiele haben, entlarven. Wir können und müssen auf solche Versuche der Agenten der Bourgeoisie mit direkten Aufrufen an die Arbeiter reagieren.

Man braucht nicht daran zu zweifeln, dass mit dem Anwachsen unserer Aktivität und unseres Einflusses auf dem linken Flügel der Arbeiterklasse die Versuche der uns fremden und sogar klassenfeindlichen Elemente, sich an uns anzuschmiegen und sogar sich in unsere Farben zu kleiden, immer häufiger werden. Man muss auf der Hut sein, und diese Elemente nach Möglichkeit anprangern. Es ist notwendig, dass wir uns nach allen Seiten eine ganz genaue Linie halten, damit die Masse weiß, wo wir sind und wo wir nicht sind.

Besonders bezieht sich das auf die DZ. Ihr erinnert euch, dass auch in unseren Reihen einzelne Genossen waren, die die Frage der DZ von einem sentimentalen Gesichtspunkt anschauten. (Es sind halt gute Burschen.) Einige wollten auch den Unterschied der politischen Linie nicht sehen. Es ist bemerkenswert, dass gerade die Genossen, die gestern noch die volle Einigung mit den DZ vorschlugen, heute auf dem versöhnlerischen Flügel stehen, und sie toben und schreien gegen den „Dezismus“ in unseren eigenen Reihen, wobei sie unter Dezismus nicht selten die Entwicklung unserer prinzipiellen Linie verstehen.

Wie ärgerlich es auch ist, die Zeit für nebensächliche Fragen zu verlieren, so muss man sich doch ein wenig mit den Dezisten befassen, um über den sektiererhaften Charakter ihrer Politik und das in ihr begründete Abenteurertum aufzuklären. Da die „Führer" der DZ, welche wir bis jetzt sich selbst überlassen haben (und wir haben recht damit getan), sich bis zu Ende ausgeplaudert haben, so haben sie uns gute Waffen gegen sich in die Hand gegeben. Die besten Elemente werden wir ihnen abfangen, mit Hilfe ihrer eigenen Dokumente, besonders mit den Briefen W. Smirnows. Sogar die kleinste Wunde darf man nicht vernachlässigen, sonst droht dem gesamten Organismus Vergiftung. Die Arbeiter werden wir ihnen abfangen mit einer mutigen und entschlossenen Politik in den wichtigsten Fragen einerseits, und einer aufklärenden Kampagne von der anderen Seite.

III.

Alles erhaltene Material zeugt davon, dass die Losung der geheimen Abstimmung in der Partei und in den Gewerkschaften aufgestellt werden kann und muss. Die Selbstkritik hat sich halb und halb zu einer Komödie und zu einer Provokation ausgebildet. Das ist allen klar. Man muss in der Übergangslosung, sozusagen „Teillosung“, der Stimmung der Arbeiter und dem vorläufig nicht sehr lauten Wunsch, den Druck zu beseitigen, Ausdruck gehen. – Warum hast du nicht dagegen gestimmt? – Wenn geheime Abstimmung, dann wäre es eine andere Sache. – … Das liegt in der Luft.

Ob es bis zur geheimen Abstimmung kommen wird, oder ob unerträgliche Widersprüche auf einem rascheren Wege, mit Überspringen von Etappen gelöst werden, ist eine besondere Frage. Aber für den gegebenen Augenblick ist die Losung der geheimen Abstimmung in der Partei und den Gewerkschaften eine Lebensfrage, denn sie gibt der Tatsache des bürokratischen Druckes, d. h. dem Klassendruck auf die Arbeiter durch den Apparat, allgemeinen Ausdruck. Die Losung der geheimen Abstimmung auf der jetzigen Etappe ist der beste Ausdruck für den beginnenden Kampf gegen die Doppelherrschaft. Die offene Abstimmung wurde seinerzeit eingeführt, damit die Feinde nicht gegen die proletarische Diktatur Stimmen konnten. Das Element der Doppelherrschaft im Lande hat dazu geführt, dass die Arbeiter nicht für die Diktatur stimmen können aus Furcht vor dem Druck der Bourgeoisie, widergespiegelt durch den Apparat. Hier liegt der Hund begraben. Der Apparatmensch steht auf der Tribüne und schaut den Abstimmenden auf die Hände, oder die Frau zieht am Ärmel: Stimm' lieber nicht. Unter diesen Bedingungen davon zu sprechen dass die geheime Abstimmung die Passivität and die Unentschlossenheit unterstützt, bedeutet, dem idealistischen Doktrinarismus verfallen zu sein. Wer die Frage so stellt, der stellt die Losung der geheimen Abstimmung nicht der heutigen Lage entsprechend, aus welcher bisher kein Ausweg gefunden worden ist, sondern stellt sie entsprechend einer idealisierten Lage, wo alle Arbeiter mutig und fest nach ihrem Gewissen abstimmen.

Wenn man diese Ansicht bis zu Ende entwickeln wollte, so müsste man in der kapitalistischen Gesellschaft die Losung der geheimen Abstimmung abschaffen, damit sich

die „Aktivität" und der „Mut" besser entwickele. In China kann man natürlich den heldenmütigen Arbeiter zur offenen Abstimmung aufrufen – aber morgen wird ihm dafür der Kopf abgehauen. Darum kann in China die Losung der geheimen Abstimmung (bei den Wahlen) von außerordentlicher Bedeutung sein, da diese Losung von den Verhältnissen der Klassenkräfte diktiert worden ist. Obgleich das soziale Regime bei uns eine andere Grundfrage hat, so ist doch diese Grundlage eben zu einem guten Teil mit Müll beworfen. Es ist falsch, dass der Charakter unserer Wahlen und Abstimmungen heute bestimmt wird durch die Größe des Mutes und der Entschlossenheit des Arbeiters. Keiner wird schon im großen Maße durch die veränderten Verhältnisse der Klassenkräfte bestimmt. Diese Änderung findet ja ihren objektiven Ausdruck in den Regierungsapparaten, in ihrem ganzen Mechanismus. Nicht umsonst hat Stalin gesagt: „Diese Kader kann man nur durch den Bürgerkrieg abschaffen." Natürlich liegt in diesen Worten auch bürokratische Prahlerei und Ängstlichmachung. Vor einer ernsten Welle von unten würde der Apparatmensch sich ducken, es nicht bis zu einem Bürgerkrieg kommen lassen. In jedem Falle muss dieser Weg – der Weg der Reform unter einem mächtigen Druck der Massen – bis zu Ende versucht werden. Auf der jetzigen Etappe treibt die Losung der geheimen Abstimmung die Massen vorwärts, nach der Seite der Aktivität hin, von der Passivität weg. Auf jeder beliebigen Versammlung, wo die Rede von der Selbstkritik, der Parteidemokratie usw. ist, können und und müssen die Bolschewisten-Leninisten sagen: „Damit eine Selbstkritik sein kann, muss man den Druck abschaffen; gebt uns die Möglichkeit, nach unserem Gewissen abzustimmen, ohne Furcht vor Entlassung, d. h geheim, dann werden alle Apparatmenschen im Zaum liegen."

Man muss mit der Partei anfangen, dann zu den Gewerkschaften übergehen. Über die Sowjets, wo an den Wahlen verschiedene Klassen teilnehmen, muss man die Frage erst in dritter Linie stellen, nachdem man genügende Erfahrung gesammelt hat. Was die allgemeinen Perspektiven des Kampfes, des inneren wie des internationalen, anbetrifft, so muss ich mich hier nur auf Allgemeines beschränken, behalte mir jedoch das Recht vor, in nächster Zeit auf diese Frage zurückzukommen, um sie viel konkreter, auch in Bezug auf die einzelnen wichtigsten Länder zu behandeln, wie es schon zum Teil bezüglich China geschehen ist („Die chinesische Frage nach dem sechsten Kongress"1). Der Aufklärung über die Verbindungen unseres inneren Kampfes mit dem internationalen ist ein bedeutender Teil der Arbeiten, die an den Kongress geschickt sind, gewidmet. Die Theoretiker des Dezismus verstehen diese Verbindung nicht, besitzen überhaupt keine Linie. In den internationalen Fragen kommen nicht zufällig rein abenteuerliche Blocks vor mit Leuten, die mit dem Marxismus ganz gebrochen haben, wie Korsch und Co. In seinen letzten Auslassungen ist W. Smirnow nur eine linke Karikatur auf Stalin, Europa macht jetzt eine Phase einer ziemlich lebhaften Streikbewegung durch. Diese Welle hat sich in gewissem Sinne ökonomisch „verspätet", denn sie fällt mit einer deutlichen Verschlechterung der ökonomischen Konjunktur zusammen. Die Verspätung der Streikwelle ist hervorgerufen durch die vorhergehenden schweren Niederlagen, durch das Anwachsen des Einflusses der Sozialdemokratie und der bürokratischen Passivität in der Politik der Komintern. Die weitere Verschlechterung der ökonomischen Konjunktur muss den wirtschaftlichen Kampf auf das politische Geleise bringen und damit das Linkswerden der Arbeiterschaft begünstigen.

In den verschiedenen Ländern wird es ein verschiedenes Tempo haben. Aber eine außerordentliche Verschärfung der politischen Lage in den einzelnen europäischen Ländern ist schon in der nächsten Zeit nicht ganz ausgeschlossen. Diese hängt in großem Maßstabe von der Tiefe der Dauer und der Spannung der heranrückenden Krise nicht nur in Europa, sondern auch in den Ver. Staaten ab. Amerika wird seine Krise auf Kosten Europas bewältigen und kann mit seinem Druck einzelne Länder, in erster Linie Deutschland, bis zur unmittelbaren revolutionären Situation bringen. Hier öffnet sich in der Perspektive der Hauptwiderspruch zwischen den Aufgaben der Epoche und der Reife der kommunistischen Parteien. Die Gefahr, neue revolutionäre Situationen zu verpassen, ist absolut nicht beseitigt und ist auch nicht kleiner geworden. Das Abenteuer mit Thälmann ist natürlich keine Zufälligkeit. Das heutige Regime ist ein Treibhaus für Smolensksche Sachen im Internationalen Maßstabe.

Und diese Herrschaften, die Smolensker und die Hamburger verurteilen uns und schließen uns aus. Ihre Bestimmung besteht darin, das Banner des Kommunismus zu beschmutzen und die Komintern zu zerstören. Je weiter, desto mehr wird sich die gigantische Mission der Opposition im internationalen Maßstabe zeigen. Man muss alle Kräfte anspannen, damit im Kampfe mit dem Bürokratismus sich die echten bolschewistischen Kader formieren, damit sie aufstehen und reifen. Das ist der Hauptunterschied des dritten Jahrfünfts der Komintern von dem zweiten. Es waren sechs Jahre nötig, um die wichtigsten Fragen und Differenzen aus der bürokratischen Unterwelt auf die Weltarena zu stellen. Das ist erreicht. Keine Kraft kann die aufgestellten Probleme und Gegenprobleme unterdrücken. Die revolutionären Kader der ausländischen Parteien können nur an ihrer eigenen Erfahrung wachsen. Auf ein Kommandieren der internationalen Opposition im Geiste des EKKI erheben wir keinen Anspruch. Ein breit angelegter und regelmäßiger Austausch der theoretischen Erfahrungen, ein Zusammenarbeiten auf dem Gebiet der marxistischen Analyse der Vorgänge und eine Ausarbeitung der Losungen zum Handeln – das ist der Anfang. Die ersten ernst zu nehmenden Schritte sind schon mit dem 6. Kongress begonnen. Man muss sie entwickeln, verbreitern, vertiefen. Der Ausgang unseres inneren Kampfes ist unzerreißbar mit diesen internationalen Vorgängen verbunden. Nur große Narren können daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass für das Schicksal der Oktoberrevolution in diesem Falle die innere Politik und die Politik der Opposition gleichgültig seien. Den Sozialismus in einem Lande aufzubauen versprechen wir nicht, das ist bekannt. Wir haben nie gesagt und sagen auch jetzt nicht, dass wir ein wundertätiges Rezept besitzen, welches die Widersprüche der sozialistischen Entwicklung in kapitalistischer Umgebung abschafft. Was wir haben, das ist eine richtige Orientierung, ein richtiges Voraussehen und die daran folgende richtige Klassenlinie. Die Achse unserer inneren Politik bildet das Festhalten der Macht in den Händen des Proletariats, richtiger gesagt, die Rückgabe dieser Macht an das Proletariat, die von dem Apparat usurpiert worden ist, und eine weitere Festigung der Diktatur des Proletariats auf der Grundlage einer systematischen Verbesserung der täglichen materiellen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Andere Rezepte sind nicht vorhanden und nicht nötig.

Die Opposition hat eine richtige Linie. Die Aufgabe besteht darin, sie zur Linie der proletarischen Avantgarde zu machen. Hierzu müssen wir ganz und gar von dem Bewusstsein der größten historischen Mission durchdrungen sein, welche auf uns liegt, und müssen mit echten bolschewistischem Mut handeln.

Euer

L. Trotzki

1In der NYVZ steht irrtümlich „elften Kongress“

Kommentare