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Leo Trotzki 19290626 Was bringt uns der 1. August?

Leo Trotzki: Was bringt uns der 1. August?

[Nach Fahne des Kommunismus, 3. Jahrgang, Nr. 25, 12. Juli 1929, S. 195-197 und Nr. 26, 19. Juli 1929, S. 208]

Die Redaktion der in nächster Zeit erscheinenden „Internationalen Revue“ „Opposition“ schickt uns den nachfolgenden Artikel.

Wir geben unseren Lesern diesen Artikel zur Kenntnis. Wir sind, wie unser Artikel „Was wird am 1. August zeigte, zu anderen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Taktik zum 1. August gekommen. Wir sind der Meinung, dass es nicht genügt, die falsche Einstellung der Kommunisten zu bekämpfen, sondern dass es nötig ist, den Arbeitern auch positiv zu sagen, was am 1. August geschehen, und wofür gekämpft werden muss.

Das Westeuropäische Büro der Kommunistischen Internationale“ hat die Arbeiter der ganzen Welt aufgerufen am 1. August auf die Straßen zu gehen. Diese Demonstration soll eine Antwort auf das blutige Blutbad der deutschen Sozialdemokratie unter der Avantgarde der Berliner Arbeiter sein. Dass das historische Verbrechen, das am ersten Mai geschehen ist nicht ungerächt bleiben wird und kann, ist für jeden Revolutionär ohne Zweifel. Die ganze Frage besteht nur darin, wann und wie man sich an der Sozialdemokratie und ihrem bürgerlichen Auftraggeber für die blutige Auseinandersetzung an der Arbeitermanifestation am ersten Mai rächen kann. Der Weg, den die Komintern gewählt hat, ist von Grund aus falsch. Das ist die direkte Vorbereitung einer neuen Niederlage.

Die Mai-Manifestation ist eine traditionelle Manifestation des Proletariats, welche vorher und ein für allemal an einen bestimmten Tag des Kalenders gebunden ist, unabhängig von dem Gang des internationalen und nationalen Lebens des Proletariats, Aber die Geschichte der Maifeier zeigt, dass sie sich niemals über den realen Gang der Arbeiterbewegung erhoben hat, sondern voll und ganz durch diesen Gang bestimmt worden ist und sich dem Gang unterordnet hat. Bei den Parteien, die eine friedliche reformistische Arbeit führen, hatte sich diese Feier von den ersten Jahren an in eine friedliche Manifestation verwandelt und schon vor dem Kriege alle revolutionäre Zuge verloren. In den Ländern, wo ein energischer Kampf für das allgemeine Wahlrecht geführt wurde, wurde die Maifeier zu einem Bestandteil dieses Kampfes. In Russland verfloss die Maifeier mit dem revolutionären Kampf gegen den Zarismus, und angefangen von 1905, spielen sie alle Etappen dieses Kampfes wieder vom stürmischen Aufschwung bis zum vollen Niedergang. Dasselbe konnte man auch in Deutschland nach dem Kriege sehen.

Die Maifeier in diesen Jahre spiegelte natürlicherweise die Prozesse wieder, welche in der letzten Zeit ihren Ausdruck gefunden haben im Leben der Gewerkschaften, in den Kommunal- und Parlamentswahlen, besonders in England, in Belgien und in vielen andern geringeren Erscheinungen des Lebens der Arbeiterklasse. Die politische Stabilisierung der Bourgeoisie fand in den letzten sechs Jahren ihre wichtigste Unterstützung in der Politik der Komintern, welche die Niederlage des Proletariats m Deutschland, in China, in England, Polen, in Bulgarien brachte, ebenso die Schwächung der Positionen der Komintern in der UdSSR, und den daraus folgenden Zerfall der Komintern und den neuen Aufschwung der Sozialdemokratie sicherte. Die politische Stabilisierung der Bourgeoisie war die notwendige Vorbedingung ihrer ökonomischen Stabilisierung, welche ihrerseits, die Möglichkeiten einer unmittelbar revolutionären Situation schwächte.

Diese ganze Lage sehen wir in diesen Tagen in ihrer konzentrierten Form in England, wo das Proletariat erst vor drei Jahren einen revolutionären Generalstreik durchmachte. In dem Lande, wo der Kapitalismus eine große Krise durchlebt, wo alle Führer1 der Arbeiterorganisationen sich durch unerhörten Verrat beschmutzt haben, erwies sich die Kommunistische Partei bei den Wahlen als eine äußerst nichtige Größe. In einer Reihe von Jahren haben die Komintern und die Profintern der ganzen Welt erklärt, dass in der Bewegung der revolutionären Minderheit der Gewerkschaften ca. eine Million Arbeiter beteiligt seien, die hinter dem kommunistischen Banner stehen. Arbeitslose zusammen mit den erwachsenen Mitgliedern der Familie ergeben jedenfalls über zwei Millionen Wähler. Nicht viel weniger geben die Bergarbeiter der Kohlengruben, die den großen Streik hinter sich haben. und nun gezwungen sind, unter verschlechterten Bedingungen zu arbeiten. Man sollte meinen, dass aus diesen vier bis fünf Millionen ein bedeutender Teil auf die Kommunistische Partei einfallen muss. Und was zeigt sich? Nachdem die KP in den für sie günstigsten Bezirken 27 Kandidaten aufgestellt hatte, sammelte sie alles in allem 50.000 Stimmen. Dieser furchtbare Zusammenbruch ist die direkte und unmittelbare Vergeltung für die Politik der Komintern in der Frage des anglo-russischen Komitees, d. h. in der wichtigsten Frage der Politik der Komintern in England während der letzten Jahre.

Die in England unlängst stattgefundenen Wahlen zeigten ohne Zweifel einen Linksruck der Arbeitermassen . Aber dieser Linksruck d. h. der Abgang der Millionen von Arbeitern von der Bourgeoisie, trägt einen offen reformistisch-pazifistischen Charakter, welcher zudem noch besonders unterstrichen wird durch die Niederlage der britischen Kommunistischen Partei. Man kann sich schwerlich größere Verhöhnungen vorstellen, als die, welche die Komintern dem britischen Kommunismus angetan hat. Im Laufe einiger Jahre zwang man die britische Kommunistische Partei, stramm zu stehen vor Purcell und den revolutionären Kranz über [den] Kopf [von Cook]2 zu halten. Die Moskauer Leitung blieb während eines Jahres im Bündnis mit den Streikbrechern des Generalstreikes. Die Kommunistische Partei existierte politisch unter diesen Bedingungen nicht. Die revolutionäre Minderheit der Gewerkschaften blieb ideologisch hilflos, und die Komintern half mit ihrer ganzen Politik den Thomas und Purcell, diese Minderheit zu zerschlagen, zu entmutigen und zu zerrütten. Nach all diesem erhielt die englische Kommunistische Partei den Befehl, eine sofortige Wendung von 180° zu machen. Und zum Schluss musste sie sich davon überzeugen, dass die Arbeiterklasse sie als eine selbständige revolutionäre Partei einfach nicht kennt.

Die Deutsche Kommunistische Partei ist unvergleichlich stärker als die anderen Parteien, besitzt ernst zu nehmende Traditionen, erprobtere Kampfkader. Aber 1928 fing die deutsche Arbeiterklasse an, aus der Paralyse herauszukommen, in welche sie zum größten Teil nach der Katastrophe von 1923 gefallen war. Wenn die deutschen Arbeiter neun Millionen Stimmen den Sozialdemokraten gibt, so sagen sie damit, dass sie ihr Glück wieder auf dem friedlichen Weg der Reformen versuchen wollen.

In China zählt die Kommunistische Partei jetzt drei bis viertausend Mitglieder und nicht jene Hunderttausend, welche so leichtsinnig auf dem VI. Kongress von den Beamten der Komintern genannt worden sind. Aber auch diese kleine Partei befindet sich im Zustand des weiteren Zerfalls. Die Stalinführung, die den Opportunismus mit der Abenteurerpolitik verbindet, hat die chinesische Revolution auf Jahre hinaus geschädigt und mit ihr zugleich die junge chinesische Kommunistische Partei. Wenn das Zentralkomitee der französischen Kommunistischen Partei verspricht, dass am 1. August proletarische Kolonnen in Schanghai ebenso auftreten werden wie in Paris, so muss man diese Prophezeiung auf das Konto der billigen Rhetorik buchen. Leider spricht alles dafür, dass die Kolonnen nicht nur nicht in Schanghai, sondern auch nicht in Paris aufmarschieren werden. Die französische Kommunistische Partei und ihr blasser Schatten, die CGTU, haben in der letzten Zeit ihren Einfluss absolut nicht vergrößert. Es ist gar keine Hoffnung vorhanden, dass der 1. August in Frankreich irgend wie revolutionärer veruft als der 1. Mai. Die Semard und Monmousseau wagen sich an alles, versprechen alles, um nichts zu tun.

Oder gibt vielleicht der Ausgang der belgischen Wahlen Anlass zur Hoffnung auf das Auftreten der Arbeiter Brüssels und Antwerpens auf einen Aufruf Jaquemottes hin.

Wir wollen bei den andern Parteien der Komintern nicht verweilen. Alle zeigen sie ein und dieselben Züge: Schwächung des Einflusses, Schwächung der Organisation, Ideologische Zersplitterung, Nachlassen des Vertrauens der Massen zu den Aufrufen der Partei.

Für eine der mächtigsten Sektionen der Komintern wurde die Tschechoslowakische Partei gehalten. Aber schon ihr erster Versuch, der „Rote Tag" im vergangenen Jahre offenbarte einen erschreckenden Reformismus der Partei, vergiftet durch den Geist Smerals und der ihm ähnlichen. Das Resultat des nackten Befehls von oben in 24 Stunden revolutionär zu werden, war: die tschechoslowakische Partei fing einfach an zu zerfallen.

3Man sagte uns in der Periode des VI. Kongresses, dass die Lage in Deutschland die Revolution auf die Tagesordnung stelle. Thälmann erklärte direkt: „Die Lage wird immer revolutionärer." Aber diese Einschätzung war bis in die Wurzel hinein falsch. In dem Brief den Genosse Trotzki im Namen der Opposition an den VI. Kongress geschickt hat („Was nun“), war die offizielle Erklärung der Lage mit aller Genauigkeit zerlegt worden und vor einem Jahr war eine deutliche Warnung vor den schädlichen, abenteuerlichen Schlussfolgerungen, die in dieser Einschätzung inbegriffen sind, gemacht. Die Opposition verneint nicht das Linkswerden der deutsche Arbeitermassen. Im Gegenteil, auch für uns fand dieses „Linkswerden" einen unbestreitbaren Ausdruck in der Zeit der letzten Wahlen zum Reichstag. Aber die ganze Frage ist die Einschätzung des Stadiums dieses Linkswerden. Wir hatten in Deutschland das gleichzeitige Wachsen der sozialdemokratischen und der kommunistischen Partei. Da. bedeutete ohne Zweifel einen Abgang der breiten Arbeitermassen von den bürgerlichen Parteien. Aber der Hauptstrom ergoss sich noch zur Sozialdemokratie. Unter diesen Bedingungen war es ein unzulässiger Leichtsinn zu sagen, dass „die Lage immer revolutionärer wird." Die Sozialdemokratie ist nicht die Partei der Revolution. Hermann Müller und Zörgiebel brachten das am Tage des 1. Mai der ganzen Welt von neuem in Erinnerung.

Man muss es richtig verstehen, was unter den heutigen Bedingungen da Anwachsen der Sozialdemokratie bedeutet. Nach den Erfahrungen des Krieges und der Niederlage des deutschen Militarismus, nach den revolutionären Aufständen und den harten Niederlagen des Proletariats, fühlen breite Kreise der Arbeiterschaft, ihre neuen Generationen, das Verlangen, von Neuem die Schule des Reformismus durchzugehen. In der heutigen Epoche, wo sich alle Prozesse viel schneller abwickeln, wird diese Schule nicht Jahrzehnte dauern, wie die Vorkriegsschule der deutschen Sozialdemokratie, sondern wahrscheinlich nur einige Jahre. Aber gerade diese Periode durchlebt jetzt die deutsche, ja die europäische Arbeiterklasse. Die Entstehung einer selbständigen Brandler-Fraktion ist eine kleine Nebenerscheinung desselben Prozesses. Der Abgang der Arbeiter von der Bourgeoisie zur Sozialdemokratie zeugt davon, dass die Massenlinks“ werden. Aber auch dieses Linkswerden hat vorläufig einen rein pazifistischen reformistischen und nationalistischen Charakter. Das weitere Schicksal dieses Prozesses hängt von einer ganzen Reihe von inneren und internationalen Gründen ab, im bedeutenden Maße auch von unserer eigenen Politik, von unserem Können, das Wesen des jetzt vor sich gehenden Prozesses zu verstehen, von unserer Fähigkeit, ihre aufeinander folgenden Etappen zu unterscheiden.

Die reformistische Linksentwicklung wird von einer revolutionären abgelöst werden in jenem Augenblick, in welchem die breiten Massen beginnen werden in einem immer breiteren Strom von der Sozialdemokratie zur Kommunistischen Partei überzugehen. Aber dieser Augenblick ist noch nicht da! Einzelne episodische Erscheinungen zählen nicht. Man muss den Prozess in seiner Gesamtheit nehmen. Als Thälmann, Stalin und anderen Führern der Komintern folgend, im Juli 1928 sagte „die Situation wird immer revolutionärer, so offenbarte er nur eine völlige Unfähigkeit, die Dialektik eines Prozesses zu begreifen, der in der Arbeiterklasse vor sich geht.

Die kommunistische Partei Deutschlands erhielt in den vorjährigen Wahlen 3.200.000 Stimmen. Nach der Niederlage des Jahres 1923. d.h. nach dem Zusammenkrachen des Brandlerismus und nach den Fehlern der Linken in den Jahren 1924-25 war dieses Ergebnis im höchsten Maße bedeutend und vielversprechend. Aber es war noch keineswegs ein Symptom einer revolutionären Situation. Neun Millionen lasten auf 3.200.000. Das zeigte sich schon während der „Panzerkreuzerkampagne“, die das Geschwätz Thälmanns, dass die Situation immer revolutionärer werde, widerlegte.

Die Arbeiterklasse, vor allem die junge Generation macht jetzt den Wiederholungskurs des Reformismus beschleunigt durch. Daraus folgt keineswegs die Milderung unseres Verhaltens zur Sozialdemokratie oder zur rechten Opposition (Bucharin, Brandler und Co.). Aber unsere eigenen taktischen Aufgaben müssen vor allem von einem richtigen taktischen Verständnis dessen, was ist, ausgehen. Die Maifeier des Jahres 1929 konnte nicht aus der politischen Situation herausspringen, konnte der Kommunistischen Partei nicht helfen, für 24 Stunden stärker zu werden als sie ist. Der erste Mai konnte nur eine Episode im Prozesse der noch pazifistischen und reformistischen „Linksentwicklung“ der Massen sein. Ein Versuch für 24 Stunden zum Himmel emporzusteigen, streng nach dem Kalender, folgte aus der falschen Einschätzung der Prozesse, die in der Arbeiterklasse vor sich gehen und konnte zu nichts anderem als zur Niederlage führen, in der zweifellos Elemente des Abenteurertums steckten. Aus den Fehlschlüssen des revolutionären Abenteurertums profitieren stets die Opportunisten: in diesem Falle die Sozialdemokratie und zum Teile die Brandlerianer, die eine reinlichere, ehrlichere Ausgabe der „revolutionären Sozialdemokratie'' repräsentieren. Sie nützen die Misserfolge des revolutionären Abenteurertums aus, um die revolutionären Methoden zu diskreditieren.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Maitage die Kommunistische Partei zurückwarfen. Das bedeutet durchaus nicht, dass sie sie für immer oder sogar für lange zurückwarfen. Das beispiellose Verbrechen, das von der Sozialdemokratie begangen wurde, wird sich allmählich in das Bewusstsein der Arbeitermassen einsaugen und wird ihnen den Übergang zum Kommunismus vollziehen helfen. Darüber kann es unter einer einzigen Bedingung keine Zweifel geben: bei einer halbwegs richtigen Politik der Partei.

Wenn man unter diesem Gesichtspunkt an die Frage herantritt, so muss man vor allem die Frage stellen: Was brauchen jetzt die Berliner, die deutschen und alle anderen Arbeiter? Die Wiederholung des 1. Mai oder die Aneignung der Lehren des 1. Mai. In dieser Frage ist schon die Antwort enthalten Eine Wiederholung ist undenkbar und unzulässig, eine Wiederholung wäre ein nacktes, sinnloses Abenteuer. Notwendig aber ist die Lehren sich anzueignen, notwendig ist eine richtige Einschätzung der Geschehnisse. Notwendig ist eine richtige politische Linie.

Wir sagten, dass der 1. Mai sich nicht künstlich über das Niveau des politischen Lebens erheben kann. Noch weniger kann der Sache durch eine Anhäufung „roter Tage'' die im Voraus bürokratisch nach dem Kalender bestimmt werden geholfen werden. Indessen macht die Komintern den Versuch am 1. August Revanche für den 1. Mai zu nehmen. Man muss schon jetzt sagen und zwar so sagen, dass es alle hören: der „Rote Tag“ des 1. August ist von vornherein zu einem Misserfolg verurteilt. Aber das genügt nicht: das was am Maitag an Positivem da war (Selbstaufopferung eines Teiles der proletarischen Avantgarde) wird am 1. August auf ein Minimum reduziert sein, und was am Maitage an Negativem da war (Elemente des Abenteurertums) wird am 1. August zur Potenz erhoben werden.

Im Herbst 1923, als in der Komintern das Ideenleben noch nicht völlig erstickt war, ging in der kommunistischen Presse eine interessante Polemik darüber, ob man einen Aufstand im Voraus ansetzen könne. Die Marxisten bewiesen, sich auf die gesamte Erfahrung der Revolution stützend, dass dies nicht nur möglich, sondern auch notwendig sei, Nach den Sinowjews und Stalins machten sich Maslows und Brandler lustig über die Ansetzung eines Aufstandes und bewiesen damit, dass sie in den Grundfragen der Revolution hoffnungslose Philister geblieben sind. Je revolutionärer eine Situation ist, desto mehr muss der Aktionsplan der proletarischen Avantgarde klar und deutlich sein. Die Parteiführung muss fest am Ruder stehen und nach vorwärts blicken. Eine der Hauptaufgaben unter diesen Bedingungen ist die praktische Vorbereitung des Aufstandes. Und da der Aufstand sich, wie alle Taten der Menschen, mit der Zeit entfaltet, so ist es für die Führung notwendig, rechtzeitig das Datum des Aufstandes festzulegen. Es versteht sich, dass bei der Änderung der Umstände das Datum verschoben werden kann, wie es in Petersburg im Jahre 1917 aufschoben wurde. Aber jene Führung, die im Elemente schwimrnt, erstickend und keuchend, ist zum Untergang verurteilt. Eine revolutionäre Situation erfordert einen revolutionären Kalender.

Aber daraus folgt durchaus nicht, dass es für Thälmann, Manuilski oder Semard genügt, einen Kalender zu Hand zu nehmen und einen roten Fleck aus dem Tage des 1. August zu machen und dadurch diesen Tag zu einem revolutionären Ereignis zu machen. Ein solches Vorgehen vereinigt in sich die verderblichen Züge des Bürokratismus und des Abenteurertums. In jenen Ländern und in jenen Parteien, wo der reine Bürokratismus das Übergewicht bekommen wird – und diese sind in der Mehrheit – wird der 1. August mit einem komischen Fiasko enden, in der Art der Demonstration Semards und Monmousseaus in Vincennes. In jenen Ländern, in denen die Elemente des Abenteurertums das Übergewicht erhalten werden, kann der erste August mit einer Tragödie enden, die diesmal zum Unterschied vom 1. Mai voll, ganz und unwiederbringlich dem Feinde von Nutzen sein wird.

Der Aufruf des westeuropäischen Büros der Komintern, herausgegeben in Berlin am 8. Mai, überrascht, obwohl wir an vieles gewohnt sind, durch seine Leichtsinnigkeit, Geschwätzigkeit, Ruhmrederei. und abscheuliche Verantwortungslosigkeit: „Auf die Straße, Proletarier!“ „Nieder mit dem imperialistischen Krieg!“ „Eignet euch die politischen, militärischen und technischen Erfahrungen des Proletariats von Berlin an!“ „Berücksichtigt die Kampfmethoden der Polizei!“ „Sichert euch die Manövrierungsfähigkeit!“ „Vereinigt eure Unterstützung des Berliner Proletariats mit der Tagesforderungen der breitesten proletarischen Massen!“ „Nieder mit dem imperialistischen Krieg!“ „Auf die Straße, Proletarier!“

Mit anderen Worten: Den europäischen Kommunistischen Parteien wird eine streng kalendermäßige Aufgabe gestellt! Innerhalb dreier Monate (Mai-August) sich mit den breitesten Arbeitermassen zu verbinden (nicht mehr und nicht weniger), das Manövrieren zu erlernen, die Kampfmethoden der Polizei zu berücksichtigen, sich die politische und militärisch-technische Erfahrung des Kampfes anzueignen und auf die Straße – gegen den imperialistischer. Krieg zu ziehen. Es ist schwer sich überhaupt ein erbärmliches Dokument zu denken, welches davon zeugt, dass es gelang durch aufeianander folgende Schläge des Regierungsapparates auf den Schädel der Komintern eine Schrecken erregende Verdummung herbeizuführen. Und nun warnt die kopflose Führung die Bourgeoisie ganz Europas mit den oben angeführten Ideen und Losungen bewaffnet, dass sie beabsichtigt am Tage des 1. August die Arbeiter in der „Gesamtausrüstung der militärtechnischen Methoden“ auf die Straße zu führen! Kann man denn noch schamloser mit dem Kopf der proletarischen Avantgarde und mit der Ehre der Komintern spielen, als es die erbärmlichen Epigonen mit Stalin an der Spitze tun?

Die Aufgaben und Pflichten der Bolschewiken-Leninisten ergeben sich aus der ganzen Situation mit vollkommene Klarheit. Wir stellen jetzt in der Arbeiterbewegung eine keine Minderheit dar aus den selben Gründen, aus welchen in den letzten fünf Jahren die Bourgeoisie erstarkte, die Sozialdemokratie wuchs, der rechte Flügel der Komintern sich zusammenschloss, der Zentrismus den Apparat in seiner Hand hat. Die Aufgabe der marxistischen Minderheit besteht darin, zu analysieren, zu werten, vorzusehen, vor Gefahren zu warnen, den Weg zu zeigen.

Was hat man jetzt zu tun? Vor allem muss man das korrigieren, was schon falsch gemacht wurde. Man muss den Aufruf zum 1 August widerrufen.

Aber das wird doch dem Prestige der Komintern und der nationalen Sektionen schaden? Dies ist vollkommen unbestreitbar. Ein so grober politischer Fehler kann nicht spurlos für die Autorität der Komintern vorüber gehen. Aber dieser Schaden wird doch geringer sein, als wenn man auf dem begangenen Fehler beharren würde und die Demonstration in dem einen Falle in eine unwürdige Komödie, im anderen – in Partisanenzusammenstöße kleiner revolutionärer Truppen mit der Polizei, verwandeln würde.

Der jüngste Parteitag der KPD versucht in seinem Manifest von dem Aufruf des Westeuropäischen Büros abzurücken, in der Richtung zur Besonnenheit. Aber statt klar und entschlossen abzublasen, begnügt sich das Manifest des Parteitages damit, dass es die militärtechnischen Parolen der Komintern vertuscht und verwässert. Das ist der schlechteste Weg, denn er vereinigt alle Nachteile des Rückzugs mit allen Gefahren des Abenteurertums. Man muss die Manifestation absagen. Die Opposition muss alle ihre Kräfte anwenden, um dies zu erreichen. Man muss an allen Parteiorganisationen anklopfen, hinter deren Rücken die Manifestation angekündigt wurde. Man muss sich an die fortgeschrittenen Elemente in den Gewerkschaften wenden. Man darf keine Mühe sparen, um die Fehlerhaftigkeit und die Gefahr dieser neuen Idee zu erklären. Man muss den Kommunisten und überhaupt allen Proleten-Revolutionären erklären, dass die erste Voraussetzung kämpferischer Massendemonstrationen auf den Ruf der Partei der Einfluss der Partei sei, der durch eine tagtägliche klare, weitsichtige und richtige Politik errungen wird. Die heutige Politik der Komintern untergräbt und vernichtet jedoch den Einfluss, der durch die Oktoberrevolution und durch die ersten vier Kongresse erobert wurde. Man muss die Politik von Grund aus ändern. Beginnen muss man mit dem Absagen der Manifestation des 1. August 4in der Form, in der sie vom Westeuropäischen Büro der Komintern am 8. Mai angekündigt wurde. Das bedeutet selbstverständlich keineswegs einen Verzicht auf Massendemonstrationen am 1. August gegen den Krieg in jenen Formen, die sich aus der Situation ergeben. Man muss die Dinge bei ihrem Namen nennen, man muss das Proletariat richtig orientieren und nicht mit ihn spielen. Die Opposition wird sich unter keiner Bedingung von den Massen und vor allem von ihrer Avantgarde trennen lassen. Sie wird auch diesmal ihre Pflicht erfüllen.

1 In der „Fahne des Kommunismus“ steht „Länder“. In „Writings of Leon Trotsky“ Vol. 1 (1929) steht „leaders“

2 ergänzt nach „Writings of Leon Trotsky“ Vol. 1 (1929)

3 Die beiden folgenden Absätze sind in Nr. 26 der „Fahne des Kommunismus“ nachgetragen mit folgender Einführung: „Was bringt uns der 1. August?

In dem Artikel unter obiger Überschrift in der Nr. 25 der ,Fahne des Kommunismus' vom Freitag, dem 12, Juli, sind bedauerlicherweise beim Umbruch der Zeitung die nachfolgenden Absätze zurückgeblieben. Wir bringen sie nachstehend zum Abdruck und bitten unsere Leser, sie auf Seite 195 in der zweiten Spalte vor dem letzten Absatz einfügen zu wollen.

4 Die folgenden Zeilen bis „spielen“ sind ebenfalls nachgetragen aus Nr. 26 der „Fahne des Kommunismus“ mit der Einleitung „Außerdem ist am Schluss des letzten Absatzes hinter dem Satze ,Beginnen muss man mit dem Absagen der Manifestation des 1. August' einzuschalten

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