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Leo Trotzki 19301100 Zur Frage des Thermidors und Bonapartismus

Leo Trotzki: Zur Frage des Thermidors und Bonapartismus

[nach Internationales Bulletin der Komunistischen Linksopposition, No. 2, Ende November 1930, S. 15.

Später hat Trotzki die Begriffe Thermidor und Bonapartismus anders verwandt, siehe „Arbeiterstaat, Thermidor und Bonapartismus]

Gen. Well war von der Reichsleitung der deutschen Linksopposition beauftragt worden, den Gen. Trotzki um gewisse Aufklärungen bezüglich des «Thermidors» zu befragen. Wir veröffentlichen die Antwort des Genossen Trotzki:

Zur Frage des Thermidors und Bonapartismus. Hier nur ganz kurz, denn ich habe mir schon mehrmals gesagt, dass die Frage der Entwicklung bedürftig ist und man dies in einem Artikel besorgen muss. Die Gefahr in dieser Frage, wie in jeder anderen geschichtlichen Frage, besteht darin, dass man sich auf Analogien, mögen diese noch so wichtig und fruchtbringend sein, formalisiert und den konkreten Prozess in Abstraktionen auflöst. Der Thermidor war eine Übergangsform zwischen Jakobinertum und Bonapartismus. Was für den Thermidor charakteristisch war, ist, dass die Herrschaft formell noch von den Mitgliedern derselben Partei ausgeübt wurde. Ein Teil der Jakobiner, oder Quasijakobiner, vernichtet den anderen Teil, die wahren Jakobiner, durch einen Appell an den offenen Bürgerkrieg. Der Bonapartismus bedeutet die Überwindung des Jakobinertums in allen seinen «Schattierungen» durch die zentralistische, bürokratisch militärische Gewalt. In der Sprache der Klassen bedeutete es die zweistufige Verschiebung der Macht von den Sansculotten zu den Wohlhabenden und Reichen.

Wenn wir theoretisch die Möglichkeit des Sieges der Konterrevolution in der Sowjetunion in Betracht ziehen, so heißt es nicht, dass diese die spezifische Form des französischen Thermidors annehmen muss. Sie kann ja diese Stufe überspringen direkt zum Bonapartismus, oder beide so verquicken, wie die Oktoberrevolution den Abschluss der demokratischen mit dem Beginne der sozialistischen Revolution verquickt hatte. So einer Verquickung verschiedener geschichtlicher Stufen entspricht vollständig der sozialen Gestaltung Russlands und seiner ganzen Geschichte.

Was insbesondere in Betracht zu ziehen ist, ist die unermessliche Rolle der russischen Partei, bzw. jetzt der Parteimaschine. Die Partei läuft bei uns dem Staatsapparat weit voraus. Siehe zum Beispiel: Rykow im Parteisinne vollständig liquidiert, bleibt noch immer Haupt des Staates. Die Elemente des Thermidors sind im Parteileben verwirklicht: Die Verdrängung der wirklichen «Jakobiner» durch die Opportunisten. Aber auch de Elemente des Bonapartismus sind sehr weit herangereift, das heißt die Auslese des Parteiapparates nach der einzigen Parole «Stalin». Das ist eine sehr wichtige Vorbereitungsarbeit für den Bonapartismus: die Zermürbung der Charaktere und Rückgrate.

Die Konterrevolution hat noch nicht gesiegt, die Frage ist noch nicht entschieden – und darin besteht unser unversöhnlicher Kampf mit den Korschisten, Urbahnsisten und anderen ultralinken Mauldreschern. Der eine Arzt sagt, der Mann ist krank, die Hoffnung auf Genesung ist da, meine Pflicht ist, alles zu tun, um ihn auf die Beine zu bringen. Der andere sagt, er muss krepieren, und kehrt dem Kranken den Rücken zu. Was können diese zwei Ärzte zusammen anfangen?

Aber, wann die Konterrevolution eintritt, ob sie dabei die thermidorianische, bonapartistische oder eine dritte, kombinierte Form annimmt, ist schwer abzusehen, und die Aufgabe besteht darin, die vorhandenen Elemente der möglichen Arten der Konterrevolution und ihre dialektische Entwicklung scharf zu beobachten.

Genosse Landau schreibt mir, dass manche Genossen die Meinung äußern, das Proletariat sei in Russland die schwächere Klasse. Diese Frage kann im Querschnitt weder entschieden noch richtig gestellt werden. Man muss sie in der Dynamik nehmen. Es ist, theoretisch gesprochen, nicht ausgeschlossen, dass eine siegreiche Konterrevolution feststeht, dass die Arbeiterklasse Russlands so geschwächt ist, ökonomisch wie politisch, dass sie nicht mehr imstande ist, die Macht in Händen zu halten. Das kann aber nur durch offenen Bürgerkrieg zum Durchbruch kommen. Politisch heißt es für uns, diese Möglichkeit zu verhüten durch die Stärkung der heutigen politischen und ökonomischen Stützpunkte des Proletariats. Es gibt keine ökonomische Wage, wie auch kein politische, auf der man jeden Tag das Kräfteverhältnis abwägen und auf diese Weise den Kurszettel ausstellen kann. Das Wichtigste bleibt: die Bourgeoisie hat noch bei weitem nicht gesiegt, aber im jetzigen Regime keimen und gedeihen sogar sehr wichtige Elemente ihres möglichen Sieges.

Dies einstweilen über diese Frage.

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