Leo Trotzki‎ > ‎1930‎ > ‎

Leo Trotzki 19300800 Zur politischen Biographie Stalins

Leo Trotzki: Zur politischen Biographie Stalins

[Nach Permanente Revolution, 1. Jahrgang Nr. 3 (September 1931), S. 7-9, Nr. 5 (Dezember 1931), S. 14, 2. Jahrgang, Nr. 1 (Januar 1932), S. 10 f.]

Acht Jahre Kampf nach Lenin, acht Jahre Kampf gegen Trotzki, acht Jahre Regime der Epigonen – zuerst der «Drei», dann der «Sieben», und endlich des «Einzigen» – diese ganze, viel bedeutende Periode des Niedergangs der Revolution, ihres Abebbens im internationalen Maßstabe, ihrer theoretischen Erniedrigung, führte uns zu einem gewissen, in höherem Grade kritischen Punkte. In dem bürokratischen Triumphe Stalins kommt zum Ausdruck ein großer geschichtlicher Abschnitt, und damit zugleich kündigt sich die nahe Unvermeidlichkeit seiner Überwindung an. Die Kulmination des Bürokratismus signalisiert seine Krise. Sie kann sich als viel schneller erweisen, als Wachstum und Aufschwung des Bürokratismus. Das Regime des Nationalsozialismus und seinen Helden treffen nicht nur die Schläge der inneren Widersprüche, sondern auch die der internationalen revolutionären Bewegung. Die Weltkrise löst eine neue Reihe von Stößen aus. Die proletarische Avantgarde kann und wird nicht in der Umklammerung der Führung Molotows ersticken wollen. Stalin hat seine ganze persönliche Verantwortlichkeit eingesetzt. Zweifel und Zerrissenheit ergriffen die Seelen der Abgerichtetesten. Aber Stalin kann nicht mehr geben, als er besitzt. Ihm steht ein Niedergang bevor, welcher sich als um so stürmischer erweisen kann, je künstlicheren Charakter sein Aufstieg hatte.

Auf jeden Fall ist Stalin die zentrale Figur der gegenwärtigen Übergangsperiode. Die Charakteristik Stalins bekommt im Zusammenhang mit dem Verlaufe des 16. Parteitages das größte politische Interesse. Die vorliegende Nummer des Bulletins ist in bedeutendem Maße der Charakteristik des Apparat-Führers als Politiker und als Theoretiker gewidmet.

In den folgenden Zeilen wollen wir einige Materialien zur politischen Biographie Stalins geben. Unsere Materialien sind äußerst unvollständig. Wir wählen das Wesentlichste von dem, was sich in unserem Archiv vorfand. Vorläufig fehlen in unserem Archiv viele wesentliche, ja aller wichtigste Materialien und Dokumente. Aus den Archiven des Polizeidepartements, den im Laufe von Jahrzehnten abgefangenen und kopierten Briefen von Revolutionären, Dokumenten usw., sammelte Stalin während der letzten Jahre sorgfältig alle Materialien, mit deren Hilfe er einerseits nicht genügend sichere Freunde fest in Händen halten, Schatten auf die Gegner werfen, und – die Hauptsache – sich selbst und seine Gleichgesinnten vor der Publizierung dieser oder jener Zitate oder Episoden schützen konnte, welche geeignet sind, der falschen Einheitlichkeit der künstlich konstruierten Biographie einen Schlag zu versetzen. Diese Dokumente besitzen wir nicht. Die große Unvollständigkeit unserer Unterlagen muss man immer im Auge behalten bei der Beurteilung der unten wiedergegebenen Materialien.

* *

*

1. Am 23. Dezember 1925 wurde von den nächsten Freunden Stalins in der Parteizeitung «Sarja Wostoka» («Morgenröte des Ostens») folgende Gendarmerie-Auskunft publiziert, die sich auf das Jahr 1903 bezieht:

«Nach neuestens mir zugegangenen Agenten-Meldungen war Dschugaschwili in der Organisation bekannt unter dem Spitznamen «Soro» und «Koba», arbeitete von 1902 an in der sozialdemokratischen Parteiorganisation, zuerst als Menschewik, dann als Bolschewik, als Propagandist und Leiter des ersten Rayons (Eisenbahnrayon).» Aus Anlass dieser Gendarmerie-Auskunft über Stalin, veröffentlicht von seinen Anhängern, ist – soviel wir wissen – keinerlei Widerlegung irgendwo erschienen. Aus ihr geht hervor, dass Stalin seine Arbeit als Menschewik begann.

2. Im Jahre 1905 gehörte Stalin zu den Bolschewiken und nahm aktiv teil am Kampfe. Was waren seine Ansichten und was war seine Tätigkeit im Jahre 1905? Welche Anschauungen hatte er über den Charakter der Revolution und ihre Perspektiven? Soviel wir wissen, sind darüber keinerlei Dokumente im Umlauf. Keinerlei Artikel, Reden oder Resolutionen Stalins wurden nachgedruckt. Warum? Augenscheinlich darum, weil der Nachdruck der Artikel oder Briefe Stalins aus dieser Periode seiner politischen Biographie nur Schaden zufügen könnte. Mit nichts anderem ist die hartnäckige Vergesslichkeit des früheren «Führers» zu erklären.

3. Im Jahre 1907 nimmt Stalin teil an der Expropriation der Tifliser Bank. Die Menschewiken, unmittelbar hinter den bürgerlichen Philistern, entrüsteten sich nicht wenig über die «verschwörerischen» Methoden des Bolschewismus und seinen «Anarcho-BIanquismus». Zu dieser Entrüstung ist nur eine Beziehung möglich: die Verachtung. Die Tatsache der Teilnahme an dem kühnen, wenngleich nur Teilschlag gegen den Feind macht der revolutionären Entschlossenheit Stalins nur Ehre. Jedoch ist es erstaunlich, warum diese Tatsache feige entfernt wurde aus allen offiziellen Biographien Stalins. Etwa im Namen bürokratischer Achtbarkeit? Eher aus politischen Gründen. Wenn die Teilnahme an der Expropriation an und für sich keineswegs einen Revolutionär in den Augen von Revolutionären kompromittieren kann, dann kompromittiert Stalin als Politiker die falsche politische Einschätzung der damaligen Situation. Einzelne Schläge gegen Einrichtungen, dazugerechnet auch die Kassen des Feindes, sind nur vereinbar mit dem Massenangriff, d.h. mit dem Aufschwung der Revolution. Beim Rückzug der Massen müssen partielle, vereinzelte, partisanenmäßige Schläge unvermeidlich in Abenteuer ausarten und zur Demoralisierung der Partei führen. Im Jahre 1907 ebbte die Revolution ab und die Expropriationen arteten aus in Abenteuer. Stalin hat auf alle Fälle in dieser Periode gezeigt, dass er die Flut von der Ebbe nicht unterscheiden kann. Im Weiteren offenbart er mehr als einmal die Unfähigkeit zur politischen Orientierung im breiten Maßstabe (Estland, Bulgarien, Kanton, die dritte Periode).

4. Stalin führt seit der Zeit der ersten Revolution das Leben eines Berufsrevolutionärs. Gefängnis, Verbannung, Flucht. Aber über die ganze Periode der Reaktion (1907-1911) finden wir nicht ein einziges Dokument, – Artikel, Briefe, Resolutionen, – in welchem Stalin formulieren würde seine Einschätzung der Lage und der Perspektiven. Es kann nicht sein, dass solche Dokumente nicht existieren. Es kann nicht sein, dass sich nicht welche erhalten haben, wenn auch nur in Archiven des Polizeidepartements. Warum erscheinen sie nicht in der Presse? Völlig klar, warum: sie sind nicht geeignet, die abgeschmackte Charakteristik theoretischer und politischer Unfehlbarkeit zu befestigen, welche der Apparat dem Stalin, d.h. sich selber, schuf.

5. Nur ein Brief aus dieser Periode geriet aus Versehen in die Presse, – und dieser bestätigt ganz und gar unsere Behauptung.

Am 24. Januar 1911 schrieb Stalin aus der Verbannung an Freunde, ein Brief, der dem Departement der Polizei in die Hände fiel. Dieser wurde am 23. Dezember 1925 von der Redaktion «Sarja Wostoka» ganz unvernünftigerweise liebedienernd veröffentlicht. Hier was Stalin schrieb:

«Von dem ausländischen «Sturm im Glase Wasser» hörten wir selbstverständlich: der Block Lenin-Plechanow auf der einen Seite, und der von Trotzki-Martow-Bogdanow auf der andern. Soviel ich weiß, ist das Verhalten der Arbeiter zum Block der Ersteren günstig. Aber im Allgemeinen beginnen die Arbeiter missbilligend über die Grenze zu blicken: «mögen sie auf die Wand klettern, soviel es ihrer Seele beliebt; aber nach unserer Meinung soll arbeiten, wem die Interessen der Bewegung teuer sind, und das Übrige wird sich schon ergeben. Dies ist, meines Erachtens, zum Besten der Bewegung.» Hier ist nicht der Platz, uns dabei aufzuhalten, inwieweit Stalin die Zusammensetzung der Blocks richtig bestimmt. Darin besteht nicht die Frage. Lenin führte einen wütenden Kampf gegen die Legalisten, Liquidatoren und Opportunisten, für die Perspektive einer zweiten Revolution. Dieser Kampf bestimmte damals im Grunde alle ausländischen Gruppierungen. Wie bewertet der Bolschewik Stalin diese Kämpfe? Wie der hilfloseste Empiriker, als prinzipienloser Praktiker: «Sturm im Glase Wasser; mögen sie auf die Wand klettern; arbeite, das Übrige wird sich schon ergeben». Stalin begrüßt die Stimmung theoretischer Gleichgültigkeit und scheinbarer Überlegenheit kurzsichtiger Praktiker über die revolutionären Theoretiker. «Dies ist. meines Erachtens zum Besten der Bewegung», schreibt er an die Adresse dieser Stimmungen, welche charakteristisch waren für die Periode der Reaktion und des Niederganges. Wir haben somit in der Person des Bolschewiken Stalin nichts einmal politisches Versöhnlertum, – denn das Versöhnlertum war eine ideelle Strömung, bestrebt, sich eine prinzipielle Plattform zu schaffen, – wir haben hier einen blinden Empirismus vor uns, der bis zur völligen Verschmähung der prinzipiellen Probleme der Revolution gelangt.

Es ist nicht schwer sich vorzustellen, welche Kopfwaschung die unglückliche Redaktion der «Sarja Wostoka» für die Publizierung dieses Briefes bekam, und welche Maßnahmen im allrussischen Maßstabe ergriffen wurden, damit in Zukunft solche Briefe nicht wieder auftauchen.

6. In seinem Referate auf dem siebenten Plenum des EKKI (1926) charakterisierte Stalin auf folgende Art und Weise die Vergangenheit der Partei:

«Wenn wir die Geschichte unserer Partei nehmen von dem Momente ihrer Gründung in der Form der Gruppe der Bolschewiki im Jahre 1903, und verfolgen ihre Etappen durchgehend bis zu unserer Zeit, so kann man ohne Übertreibung sagen, dass die Geschichte unserer Partei die Geschichte des Kampfes von Gegensätzen innerhalb der Partei ist. Es gibt und kann nicht geben eine «mittlere» Linie in Fragen prinzipiellen Charakters.»

Diese achtunggebietenden Worte sind gerichtet gegen das ideelle «Versöhnlertum» an die Adresse derjenigen, gegen die Stalin den Kampf führte. Aber diese abstrakte Formulierung der ideellen Unversöhnlichkeit befindet sich in völligem Widerspruch zur politischen Physiognomie und der politischen Vergangenheit Stalins. Als Empiriker war er ein organisierter Versöhnler, aber eben als ein Empiriker gab er seinem Versöhnlertum keinen prinzipiellen Ausdruck.

7. Im Jahre 1912 arbeitete Stalin an der legalen Zeitung der Bolschewiki «Swesda» (Stern), mit. Da die Petersburger Redaktion in offenem Kampfe mit Lenin stand, stellte diese Zeitung anfangs ein versöhnlerisches Organ dar. Hier geben wir wieder, was Stalin in dem programmatischen Artikel der Redaktion schreibt:

«…wir werden zufrieden sein damit, wenn es der Zeitung gelingt, ohne in das polemische Sichhinreißenlassen der verschiedenen Fraktionen zu verfallen, mit Erfolg die geistigen Schätze der konsequenten Demokratie zu verteidigen, auf welche es derzeit vermessener Weise sowohl die offenkundigen Feinde, als auch die falschen Freunde abgesehen haben.» («Revoluzija i WKP(B) w materialach i dokumentach», Band 5, Seite 161-162.)

Die Phrase betreffend das «polemische Sichhinreißenlassen der verschiedenen (!) Fraktionen» ist zur Gänze gerichtet gegen Lenin, gegen seinen «Sturm im Glase Wasser», gegen seine beständige Bereitschaft «auf die Wand zu klettern» aus irgendwelchem «polemischen Sichhinreißenlassen».

Der Artikel Stalins fällt somit gänzlich zusammen mit den vulgärversöhnlerischen Tendenzen des oben zitierten Briefes aus dem Jahre 1911 und widerspricht völlig der späteren Erklärung über die Unzulässigkeit einer mittleren Linie in Fragen prinzipiellen Charakters.

8. Eine von den offiziellen Biographien Stalins lautet: «Im Jahre 1913 wurde er neuerlich verschickt nach Turuchansk, wo er bis zum Jahre 1917 verblieb». Die dem Jubiläum Stalins gewidmete Nummer der «Prawda» druckt sich gleichfalls aus: «Die Jahre 1913-14-15-16 verbringt Stalin in der Verbannung in Turuchansk» («Prawda» vom 21. Dezember 1929). Und weiter kein Wort. Das waren die Jahre des Weltkrieges, der Zertrümmerung der zweiten Internationale, Zimmerwalds, Kienthals, des tiefsten Ideenkampfes im Sozialismus. Welchen Anteil nahm Stalin an diesem Kampfe? Vier Jahre Verbannung sollten Jahre angestrengtester geistiger Arbeit sein. Verbannte führen in solchen Bedingungen Tagebuch, schreiben Abhandlungen, arbeiten Thesen und Plattformen aus, tauschen polemische Briefe aus usw. Es kann nicht sein, dass Stalin in den vier Jahren der Verbannung nichts schrieb über die Grundprobleme des Krieges, der Internationale und der Revolution. Indessen suchten wir vergeblich irgendwelche Spuren geistiger Arbeiten Stalins aus diesen bemerkenswerten vier Jahren. Wie erklärt sich dies? Es ist völlig klar, dass, wenn sich eine einzige Zeile fände, in der Stalin die Idee der Niederlage formulieren oder die Notwendigkeit einer neuen Internationale verkünden würde, diese Zeile wäre schon längst gedruckt, photographiert, in alle Sprachen übersetzt und bereichert um gelehrte Kommentare aller Akademien und Institute. Aber eine solche Zeile fand sich nicht. Bedeutet das etwa, dass Stalin wirklich nichts schrieb? Nein, das bedeutet dies nicht. Dies wäre gänzlich unwahrscheinlich. Aber es bedeutet, dass unter allem von ihm in diesen vier Jahren Geschriebenen sich nichts vorfand, entschieden nichts, was man heute gebrauchen könnte zur Erhöhung seiner Reputation. Somit stellt sich heraus, dass die Jahre des Krieges, in denen die Ideen und Losungen der russischen Revolution und der dritten Internationale geschmiedet wurden, in der Ideen-Biographie Stalins ein leerer Raum sind. Überaus wahrscheinlich, dass er während dieser Zeit sprach und schrieb: «Lasst sie dort auf die Wand klettern und Stürme im Glase Wasser veranstalten».

9. Mitte März 1917 kommt Stalin mit Kamenew nach Petrograd. Die «Prawda», geleitet von Molotow und Schljapnikow, hat einen unbestimmten, primitiven, doch immerhin «linken» Charakter, gerichtet gegen die Provisorische Regierung. Stalin und Kamenew beseitigen die alte Redaktion, weil zu links, und nehmen eine gänzlich opportunistische Position ein im Geiste der linken Menschewiken: a) Unterstützung der provisorischen Regierung, insoweit wie; b) kriegerische Verteidigung der Revolution (d.h. der bürgerlichen Republik); c) Vereinigung mit den Menschewiken vom Typus Zeretellis. Die Position der «Prawda» jener Tage stellt eine wahrlich skandalöse Seite in der Geschichte der Partei und in der Biographie Stalins dar. Seine Märzartikel, die die «revolutionären» Schlussfolgerungen seiner Betrachtungen in der Verbannung darstellen, erklären vollkommen, warum aus den Arbeiten Stalins aus der Epoche des Krieges bis jetzt keine einzige Zeile auftauchte.

[Fortsetzung folgt in der nächsten Nummer.

Fortsetzung

10.] Wir bringen hier die Erzählung Schljapnikows («Das Siebzehnerjahr», Buch 2. 1925) über den Umsturz, den Stalin und Kamenew, damals durch eine gemeinsame Position verbunden, vollbrachten:

«Der Tag der Aufgabe der ersten Nummer der «reorganisierten» «Prawda» – der 15. März – war ein Jubeltag der Vaterlandsverteidiger. Das ganze Taurische Palais, von den Kaufleuten des Komitees der Staatsduma bis selbst zum Herzen der revolutionären Demokratie – dem Exekutivkomitee – war erfüllt von einer Neuigkeit: vom Siege der gemäßigten, einsichtsvollen Bolschewiken über die Extremisten. Im Exekutivkomitee selbst begegnete man uns mit giftigem Lächeln. Das war das erste und einzige Mal, dass die «Prawda» den Beifall selbst der Mütter der Vaterlandsverteidiger Liberdanscher Färbung hervorrief. Als diese Nummer der «Prawda» in den Betrieben eintraf, rief sie dort völliges Erstaunen unter den Mitgliedern unserer Partei und den mit uns Sympathisierenden, sowie höhnische Befriedigung bei unseren Gegnern hervor. Im Petersburger Komitee im Büro des ZK, und in der Redaktion der «Prawda» trafen Anfragen ein: – Was ist los, warum gibt unsere Zeitung die bolschewistische Linie auf und begibt sich auf den Weg der Vaterlandsverteidiger? Aber das Petersburger Komitee war – wie die ganze Organisation – überrumpelt von dieser plötzlichen Wendung und empörte sich sehr deswegen und beschuldigte das Büro des ZK. Die Entrüstung in den Rayons war ungeheuer, und als die Proleten erfuhren, dass die drei aus Sibirien eingetroffenen früheren Leiter der «Prawda» diese an sich gerissen hatten, so forderten sie deren Ausschluss aus der Partei. (Der Dritte – der frühere Deputierte Muranow).

Zu diesem ist noch folgendes hinzuzufügen: a) die Darlegung Schljapnikows wurde im Jahre 1925 unter dem Druck Stalins und Kamenews umgearbeitet und aufs Äußerste abgeschwächt (damals herrschte noch die «Troika»!); b) in der offiziellen Presse erscheint keinerlei Berichtigung der Erzählung Schljapnikows. Ja, wie auch berichtigen angesichts der Nummer der damaligen «Prawda»?

11. Die Stellung Stalins zu dem Problem der revolutionären Macht wurde von ihm in seiner Rede auf der Parteikonferenz (Sitzung vom 29. März 1917) wie folgt ausgedrückt:

«Die Provisorische Regierung nahm faktisch auf sich die Rolle des Befestigers der Errungenschaften des revolutionären Volkes. Der Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten mobilisiert die Kräfte, kontrolliert sie, die Provisorische Regierung aber – widerstrebend, verwirrt, übernimmt die Rolle des Befestigers derjenigen Eroberungen des Volkes, die von ihm faktisch schon errungen wurden. Eine solche Lage hat wohl ihre negativen, aber auch positiven Seiten: derzeit ist es für uns nicht vorteilhaft die Ereignisse zu forcieren, den Prozess der Abstoßung der bürgerlichen Schichten zu beschleunigen, welche in der Folge unvermeidlich von uns abrücken werden müssen». Stalin fürchtet sich, «die Bourgeoisie abzustoßen», – ein Hauptbeweis der Menschewiken seit dem Jahre 1904:

«Inwieweit die provisorische Regierung die Schritte der Revolution befestigt, – insoweit unterstützen wir sie, inwieweit sie aber konterrevolutionär ist, ist eine Unterstützung der Provisorischen Regierung unzulässig». Genau so sprach auch Dan. Ist es denn möglich, mit anderen Worten die bürgerliche Regierung angesichts der revolutionären Massen zu verteidigen? Die Protokolle lauten weiterhin:

«Genosse Stalin gibt die im Büro des ZK angenommene Resolution über die provisorische Regierung bekannt, aber er sagt, dass er nicht ganz mit ihr einverstanden ist und sich vielmehr der Resolution des Krasnojarsker Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten anschließt».

Wir bringen die wichtigsten Punkte der Krasnojarsker Resolution:

«Mit allem Nachdruck ist zu erklären, dass die einzige Quelle der Macht und Autorität der provisorischen Regierung der Wille des Volkes ist, welcher diesen Umsturz vollbrachte und welchem die provisorische Regierung verpflichtet ist, voll und ganz zu gehorchen…

Zu unterstützen die provisorische Regierung in ihrer Tätigkeit nur insoweit, inwieweit sie den Weg der Befriedigung der Forderungen der Arbeiterklasse und der revolutionären Bauernschaft in der sich vollziehenden Revolution geht». So eine Position hatte Stalin in der Frage über die Macht.

12. Besonders nötig ist es, das Datum zu unterstreichen: den 29. März. Solcherart spricht Stalin nach mehr als einem Monat nach Beginn der Revolution immer noch über Miljukow wie über einen Verbündeten. Der Sowjet erobert, die provisorische Regierung befestigt. Es ist schwer zu glauben, dass diese Worte ein Referent auf einer bolschewistischen Konferenz Ende März 1917 aussprechen konnte! Selbst Martow würde so nicht die Frage gestellt haben. Das ist die Theorie Dans in ihrem vulgärsten Ausdruck: die Abstraktion der demokratischen Revolution, in deren Rahmen die mehr «gemäßigten» und die mehr «entschiedenen» Kräfte wirken und zwischen sich die Arbeit teilen: die Einen erobern, die Anderen befestigen. Nichtsdestoweniger ist die Rede Stalins kein Zufall. Wir haben in ihr das Schema der ganzen Stalinschen Politik in China in den Jahren 1924-28.

Mit welch leidenschaftlicher Entrüstung, ungeachtet aller Zurückhaltung, geißelte Lenin, dem es gelang, noch auf der letzten Sitzung dieser Konferenz einzutreffen, die Position Stalins:

«Sogar unsere Bolschewiki» – sagte er – «offenbaren Zutrauen zu dieser Regierung. Nur mit der Atmosphäre der Revolution ist das möglich zu erklären. Das ist – das Verderben des Sozialismus. Wenn dem so ist, dann gehen wir nicht den gleichen Weg. Dann ist es besser, wenn ich in der Minderheit bleibe. Ein Liebknecht ist uns teurer als 100 Vaterlandsverteidiger vom Typus Steklows und Tschcheidses. Wenn ihr mit Liebknecht sympathisiert und auch nur einen Finger hinreicht (den Vaterlandsverteidigern) – so wird das Verrat am Sozialismus sein». (März-Konferenz der Partei 1917. Sitzung vom 4. April. «Referat des Genossen Lenin», Seite 44).

Man darf nicht vergessen, dass die Rede Lenins, wie auch zur Gänze die Protokolle, bis heute der Partei verheimlicht werden.

13. Wie stellte Stalin die Frage über den Krieg? Genau so wie auch Kamenew. Es ist notwendig die europäischen Arbeiter zu erwecken und inzwischen seine Schuld gegenüber der «Revolution» zu erfüllen. Aber wie kann man die europäischen Arbeiter aufwecken? Stalin antwortet im Artikel vom 17. März:

«… wir verwiesen schon auf eines der ernstesten Mittel dies zu tun. Es besteht darin, die eigene Regierung zu zwingen, sich nicht nur gegen jegliche Eroberungspläne auszusprechen…, sondern auch offen den Willen des russischen Volkes zu formulieren, die Verhandlungen über einen allgemeinen Frieden unverzüglich zu beginnen auf der Grundlage eines völligen Verzichtes auf jegliche Eroberungen auf beiden Seiten und des Rechtes der Nationen auf Selbstbestimmung». Auf diese Art sollte der Pazifismus Miljukows-Gutschkows als Mittel zur Erweckung des europäischen Proletariats dienen.

Am 4. April, dem Tage nach der Ankunft, erklärte Lenin entrüstet auf der Parteikonferenz:

Die «Prawda» fordert von der Regierung, dass sie auf Annexionen verzichtet. Von der Regierung der Kapitalisten fordern, dass sie auf Annexionen verzichtet – ist Unsinn, himmelschreiender Hohn». (Märzkonferenz der Partei 1917. Sitzung vom 4. April. Referat des Gen Lenin», Seite 44.)

[Fortsetzung folgt.

Schluss]

14. Am 14. März erlässt der menschewistisch-sozialrevolutionäre Sowjet ein Manifest über den Krieg an die Arbeitenden aller Länder. Das Manifest stellte ein heuchlerisches, verlogen-pazifistisches Dokument dar im Geiste der Gesamtpolitik der Menschewiken und Sozialrevolutionäre, welche den Arbeitern der anderen Staaten zuredeten, gegen ihre Bourgeoisie aufzustehen, aber selber in einem Gespann gingen mit den Imperialisten Russlands und der ganzen Entente.

Wie bewertete Stalin dieses Manifest?

«Vor allem ist es unbezweifelbar, dass die nächste Losung «Nieder mit dem Kriege» völlig unbrauchbar ist als praktischer Weg … Es ist unmöglich, den gestrigen Aufruf des Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten an die Völker der ganzen Welt, mit der Aufforderung, die eigenen Regierungen zur Beendigung des Kampfes zu zwingen, nicht zu begrüßen. Dieser Aufruf, wenn er bis zu den breiten Massen gelangt, wird ohne Zweifel hunderte und tausende Arbeiter zurückführen zu der vergessenen Losung: «Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!»

Wie beurteilte Lenin den Aufruf der Vaterlandsverteidiger? In der schon zitierten Rede vom 4. April sagte er:

«Der Aufruf des Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten – dort ist kein einziges Wort, das von Klassenbewusstsein durchdrungen wäre. Das sind durchwegs Phrasen». (Märzkonferenz der Partei 1917. Sitzung vom 4. April, «Referat des Gen. Lenin», Seite 45).

Diese Worte waren zur Gänze gegen Stalin gerichtet. Darum verheimlicht man auch die Protokolle der Märzkonferenz der Partei.

15. Gegenüber der provisorischen Regierung und dem Kriege die Politik der linken Menschewiki durchführend, hatte Stalin keinen Grund, eine Vereinigung mit dem Menschewiken abzulehnen. Hier bringen wir, wie er sich auf derselben Märzkonferenz im Jahre 1917 über diese Frage äußerte. Wir zitieren das Protokoll wörtlich:

«Auf der Tagesordnung steht – der Vorschlag Zeretelis über die Vereinigung.

Stalin: Wir müssen darauf eingehen. Notwendig ist es, unseren Vorschlag über die Linie der Vereinigung festzulegen. Die Vereinigung ist möglich auf der Linie Zimmerwald-Kienthal». Selbst Molotow, obschon nicht sehr selbstsicher, drückte seine Zweifel aus. Stalin erwidert:

«Voraus laufen und Differenzen zuvorkommen kann man nicht. Ohne Meinungsverschiedenheiten gibt es kein Parteileben. Innerhalb der Partei werden wir kleinere Differenzen ausgleichen». (Märzkonferenz der Partei, Sitzung vom I. April. Seite 32).

Diese wenigen Worte sagen mehr als ganze Bände. Sie bezeichnen die Aussichten, welche Stalin in den Jahren des Krieges hegte, und zeugen mit juristischer Genauigkeit davon, dass der Zimmerwaldismus Stalins derselben Marke war, wie der Zeretellis. Hier haben wir aufs Neue nicht einmal einen Hinweis auf die ideelle Unversöhnlichkeit, dieser falschen Maske, welche Stalin nach Verlauf einiger Jahre im Interesse des Apparatkampfes anlegte. Umgekehrt, der Menschewismus und Bolschewismus stellen sich Stalin zu Ende März des Jahres 1917 als Nuancen von Meinungen dar, welche sich in einer Partei aneinander gewöhnen können. Die Differenzen mit Zereteli nennt Stalin «kleine Meinungsverschiedenheiten», welche man in der einheitlichen Organisation «ausleben» kann. Wir sehen hier, wie sehr es Stalin zusteht, – zurückdatiert – Trotzki versöhnlerischer Beziehungen zum linken Menschewismus… im Jahre 1913… zu überführen.

16. Bei einer solchen Position Stalins konnte er natürlich nichts seriöses entgegenstellen den Sozialrevolutionären und Menschewiken im Exekutivkomitee, in das er nach seiner Ankunft als Vertreter der Partei hineinkam. In den Protokollen oder in der Presse ist kein einziger Vorschlag, Erklärung oder Protest enthalten, in welchem Stalin einigermaßen deutlich den bolschewistischen Gesichtspunkt dem Lakaientum der «revolutionären Demokratie» vor der Bourgeoisie gegenüberstellen wurde. Einer der Geschichtsschreiber dieser Periode, der parteilose Halbpatriot Suchanow. der Autor des oben erwähnten Manifestes an die Arbeitenden aller Länder, sagt in seinen «Aufzeichnungen über die Revolution»:

«Bei den Bolschewiken erschien in dieser Zeit außer Kamenew noch Stalin im Exekutivkomitee… Während der Zeit seiner bescheidenen Tätigkeit im Exekutivkomitee rief er – und nicht allein auf mich – den Eindruck eines grauen Fleckes hervor, manchmal kümmerlich matt und eindruckslos. Mehr kann man eigentlich über ihn nicht sagen. («Aufzeichnungen über die Revolution», zweites Buch, Seite 265/266).

17. Der endlich das Ausland durchbrechende Lenin schleudert Pech und Schwefel gegen die «kautskyanische» (ein Ausdruck Lenins) «Prawda». Stalin stellt sich abseits. In der Zeit als sich Kamenew verteidigt, schweigt sich Stalin aus. Allmählich begibt er sich auf das neue offizielle, von Lenin gelegte Geleise. Jedoch finden wir bei ihm keinen einzigen selbständigen Gedanken, keine einzige Verallgemeinerung, bei welcher man verweilen könnte. Bei sich bietender Gelegenheit stellt sich Stalin zwischen Kamenew und Lenin. So vier Tage vor dem Oktoberumsturz, als Lenin den Ausschluss Sinowjews und Kamenews forderte, erklärte Stalin in der «Prawda», dass er keine prinzipiellen Differenzen wahrnimmt, (Sieh in derselben Nummer den Artikel «Die Ahle im Sack»).

18. In der Periode der Brester Verhandlungen nahm Stalin keinerlei selbständige Position ein. Er schwankt, wartete ab, schwieg sich aus. Im letzten Moment stimmte er für den Vorschlag Lenins. Die irre und hilflose Position Stalins in dieser Periode wird genügend, wenn auch nicht völlig klar selbst in den offiziell bearbeiteten Protokollen das Z.K. charakterisiert. (Siehe «Die Ahle im Sack»).

19. In der Periode des Bürgerkrieges war Stalin ein Gegner der Prinzipien, die zu Grunde gelegt wurden der Gründung der roten Armee, und beseelte hinter den Kulissen die sogenannte «Militär-Opposition» gegen Lenin und Trotzki. Sich hierauf beziehende Tatsachen sind zum Teil in der Autobiographie Trotzkis dargestellt. (Zweiter Band, Seite 167, «Die Militär-Opposition». Siehe auch den Artikel Marxismus Nr. 12-13 des «Bulletins der Opposition», Seite 36).

20. Im Jahre 1922, während der Erkrankung Lenins und des Urlaubs Trotzkis. führte Stalin unter dem Einfluss Sokolnikows im ZK einen das Monopol des Außenhandels untergrabenden Beschluss herbei. Dank dem entschiedenen Auftreten Lenins und Trotzkis wurde dieser Beschluss aufgehoben. (Siehe Trotzkis «Brief an die Istpart». «Ispart» ist die Abteilung der WKP zur Erforschung der Parteigeschichte. D. Red.).

21. In der nationalen Frage nimmt Stalin dieselbe Position ein, welche Lenin bürokratischer und chauvinistischer Tendenzen beschuldigt. Stalin seinerseits beschuldigt Lenin des nationalen Liberalismus. (Siehe Trotzkis «Brief an die Istpart».)

22. Wie war die Haltung Stalins zur Frage der deutschen Revolution im Jahre 1923? Hier musste er sich aufs Neue, so wie im März 1917, selbständig in einer Frage großen Maßstabes orientieren: Lenin war krank, mit Trotzki führte man den Kampf. Da ist. was Stalin an Sinowjew und Bucharin im August d. J. 1923 über die Lage in Deutschland schrieb:

«Sollen die Kommunisten die Ergreifung der Macht erstreben (im gegebenen Moment) ohne die Sozialdemokraten, sind sie dazu schon herangereift, – darin besteht nach meiner Meinung die Frage. Die Macht übernehmend, hatten wir in Russland solche Reserven, wie a) den Frieden, b) das Land den Bauern, c) die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Arbeiterklasse, d) die Sympathie der Bauernschaft. Dergleichen haben gegenwärtig die deutschen Kommunisten nicht. Allerdings, sie haben als Nachbarn den Sowjetstaat, den wir nicht hatten, aber was können wir ihnen im gegenwärtigen Moment geben? Wenn jetzt in Deutschland die Macht sozusagen stürzt und die Kommunisten sie ergreifen, so werden sie mit einem Krach durchfallen. Das im «besten Falle». Aber im schlimmsten Falle – werden sie in tausend Scherben zerschlagen und zurückgeworfen. Die Sache besteht nicht darin, dass Brandler die «Massen erziehen» will, sondern darin, dass die Bourgeoisie plus der rechten Sozialdemokratie ganz bestimmt die Lehr-Demonstration in den Entscheidungskampf verwandeln (sie haben einstweilen fast alle Chancen dazu) und sie zerschmettern würde. Gewiss, die Faschisten schlafen nicht, aber für uns wäre es günstiger, wenn die Faschisten zuerst angreifen würden: das würde ganze Arbeiterklasse um die Kommunisten scharen (Deutschland ist nicht Bulgarien). Außerdem sind nach allen Nachrichten die Faschisten in Deutschland schwach. Nach meiner Meinung ist es notwendig, die Deutschen zurückzuhalten und nicht anzuspornen.» Solcherart rechnete Stalin im August 1923, als die deutsche Revolution an alle Türen pochte, dass es notwendig ist, Brandler zurückzuhalten und nicht anzuspornen. Für die Versäumung der revolutionären Situation in Deutschland trägt Stalin die Hauptschwere der Verantwortung. Er unterstützte und spornte an die Zauderer, Skeptiker und Zögerer in Deutschland. In einer Fragestellung von welthistorischer Bedeutung nahm er nicht zufällig eine opportunistische Stellung ein. Seinem Wesen nach führte er nur die Politik fort, welche er im März. 1917 in Russland durchführte.

23. Als die revolutionäre Situation durch die Passivität und Unentschlossenheit vernichtet ward, verteidigte Stalin, damit sich auch selbst verteidigend, noch lange das Brandler-ZK vor Trotzki. Dabei berief sich Stalin, selbstverständlich, auf die «Besonderheiten». Am 17. Dezember 1924 – ein Jahr nach dem Zusammenbruch in Deutschland! – schrieb Stalin:

«Diese Besonderheiten darf man auch nicht eine Minute lang vergessen. Besonders muss man an sie erinnern bei der Analyse der deutschen Ereignisse im Herbst 1923. Vor allem muss man den Gen. Trotzki an sie erinnern, der eine völlige Analogie zwischen der Oktoberrevolution und der Revolution in Deutschland durchgeführt und die deutsche Kompartei unaufhörlich geißelt. (Fragen des Leninismus, Ausgabe 1928 Seite 171.)

Auf diese Art wurde Trotzki zu jener Zeit der «Geißelung» des Brandlerismus beschuldigt, und nicht seiner Beschützung. Daraus ist klar ersichtlich, inwieweit Stalin mit seinem Molotow geeignet ist zur Bekämpfung der Rechten in Deutschland!

24. Das Jahr 1924 – ist das Jahr der großen Wendung. Im Frühjahr dieses Jahres wiederholt Stalin noch die alte Formel über die Unmöglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem einzelnen Lande, umso mehr in einem rückständigen. Im Herbst desselben Jahres bricht Stalin mit Marx und Lenin in der Grundfrage der proletarischen Revolution und stellt seine «Theorie» des Sozialismus in einem einzelnen Lande auf. Nebenbei bemerkt: nirgends hat Stalin diese Theorie in bestimmter Form entwickelt oder dargestellt. Die ganze Begründung besteht in zwei wissenschaftlich falsch ausgelegten Zitaten aus Lenin. Auf keine einzige Erwiderung antwortete Stalin. Die Theorie des Sozialismus in einem einzelnen Lande hat eine administrative, aber keine theoretische Begründung.

25. In demselben Jahre erschuf Stalin die Theorie der «Zwei-Klassen»-Arbeiter-Bauernparteien für den Osten. Das ist der Bruch mit dem Marxismus und mit der ganzen Geschichte des Bolschewismus in der Grundfrage über den Klassencharakter der Partei. Selbst die Komintern sah sich im Jahre 1928 gezwungen, von dieser Theorie abzurücken, welche auf lange Zeit die Parteien des Ostens vernichtete. Aber auch heute noch figuriert die erhaltene Offenbarung in den Stalinschen «Fragen des Leninismus».

26 Im selben Jahre beschließt Stalin die Unterordnung des chinesischen Kommunismus unter die bürgerliche Partei, der Kuomintang, sie zuletzt als die «Arbeiter- und Bauernpartei» des von ihm ausgedachten Musters ausgebend.

Mit Hilfe der Autorität der Komintern macht man die chinesischen Arbeiter und Bauern zu politischen Leibeigenen der Bourgeoisie. Stalin organisiert in China die «Arbeitsteilung», welche ihn Lenin im Jahre 1917 verhinderte in Russland zu organisieren: die chinesischen Arbeiter und Bauern «erobern» – Tschiang Kai-schek «befestigt»,

Die Politik Stalins erwies sich als die direkte und unmittelbare Ursache der Zertrümmerung der chinesischen Revolution.

27. Die Position Stalins – seine Zickzacks – in den Fragen der Sowjetwirtschaft sind noch viel zu frisch im Gedächtnis unserer Leser, darum werden wir uns hier bei ihnen nicht aufhalten.

28. Zum Schluss erinnern wir nur noch an das «Testament» Lenins. Die Sache geht nicht um einen polemischen Artikel oder eine Rede. wo man mit Grund der Hitze des Kampfes entspringende unvermeidliche Übertreibungen vermuten kann. Nein, in seinem «Testament» gibt Lenin ruhig, jedes Wort abwägend, seinen letzten Rat der Partei, jeden seiner Mitarbeiter auf Grund seiner Gesamterfahrung aus seiner Arbeit mit ihm einschätzend. Was sagt er über Stalin? 1. grob, 2. illoyal, 3. geneigt, die «Macht zu missbrauchen». Folgerung: absetzen vom Posten des Generalsekretärs.

Nach einigen Wochen diktierte Lenin noch einen kurzen Brief an Stalin, in welchem er «den Abbruch jeglicher persönlicher und genossenschaftlicher Beziehungen» mit ihm erklärte. Das war eine der letzten Willensäußerungen Lenins. Alle diese Tatsachen sind in den Protokollen des Juliplenums des ZK im Jahre 1927 vermerkt.

Das sind einige Charakterzüge der politischen Biographie Stalins. Sie geben ein genügend abgerundetes Bild, in welchem Energie, Wille und Entschlossenheit sich vereinigen mit Empirismus, der Kurzsichtigkeit, der organischen Geneigtheit zu opportunistischen Entscheidungen in großen Fragen der persönlichen Grobheit, der Illoyalität und Bereitwilligkeit, die Macht zu missbrauchen zur Unterdrückung der Partei.

Kommentare