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Leo Trotzki 19310108 An die chinesische Linksopposition

Leo Trotzki: An die chinesische Linksopposition

[nach Internationales Bulletin der Kommunistischen Linksopposition, No. 5, März 1931, S. 1-6]

Liebe Genossen,

ich erhielt von Ihnen während der letzten Monate eine größere Anzahl Dokumente und Briefe in englischer, französischer und russischer Sprache, wie auch eine größere Anzahl oppositioneller Erscheinungen in chinesischer Sprache. Eine unaufschiebbare Arbeit und hierauf Krankheit hinderten mich, Ihnen früher zu antworten. Während der letzten Tage habe ich in aufmerksamer Weise alle eingesandten Dokumente – ausgenommen, leider, die chinesischen! – studiert, um die von Ihnen gestellten Fragen beantworten zu können.

Ich will gleich eingangs sagen, dass das Studium der neuen Dokumente mich endgültig überzeugt hat von dem völligen Abhandensein prinzipieller Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Gruppen, die nun den Weg der Einigung betreten haben. Es bestehen taktische Schattierungen, die späterhin, in Abhängigkeit vom Gange der Ereignisse zu Meinungsverschiedenheiten sich entwickeln können. Es gibt aber keinerlei Gründe anzunehmen, dass diese Meinungsverschiedenheiten mit den Linien der alten Gruppen zusammenfallen würden. Ich will im Weiteren versuchen, die strittigen und halb strittigen Fragen auseinander zu setzen, wie sie sich mir von hier aus darbieten.

1. Der Eintritt der Kommunistischen Partei in die Kuomintang war ein Fehler von allem Anfang an. Ich glaube, dies muss man – in dem einen oder anderen Dokument – vollkommen offen sagen, umso mehr als hier ein sehr großer Teil Schuld bei der Russischen Opposition liegt. Unsere Gruppe (Opposition 1923) war mit Ausnahme Radeks und einiger seiner nächsten Freunde von allem Anfang an gegen den Eintritt der Kommunistischen Partei in die Kuomintang und gegen die Einbeziehung der Kuomintang in die Komintern. Die Sinowjewisten standen auf entgegengesetzter Position. Radek verlieh ihnen durch seine Stimme das Übergewicht im Oppositionszentrum. Preobraschenski und Pjatakow meinten, dieser Frage wegen solle man nicht den Block mit den Sinowjewisten sprengen. Als Resultat nahm die Vereinigte Opposition in dieser Frage eine zweideutige Position ein, die sich in einer ganzen Reihe von Dokumenten widerspiegelte, sogar in der oppositionellen Plattform. Es ist bemerkenswert, dass alle die russischen Oppositionellen, die in der Frage der Kuomintang eine sinowjewistische oder versöhnlerische Haltung eingenommen hatten, in der Folge kapitulierten, umgekehrt waren alle jene Genossen, die heute sich in Kerkern und Verbannung befinden, von allem Anbeginne Gegner des Eintritts der Kommunistischen Partei in die Kuomintang. Solcherart ist die Kraft der prinzipiellen Position.

2. Die Losung „Diktatur des Proletariats und der Armut“ widerspricht nicht der Losung „Diktatur des Proletariats" sondern vervollständigt und popularisiert diese bloß. Das Proletariat ist in China eine kleine Minderheit der Nation. Es kann zur Macht werden, nur indem es die Mehrheit der Nation, d.h. die Dorf- und Stadtarmut um sich vereinigt. Diesen Gedanken druckt auch die Losung „Diktatur des Proletariats und der Armut“ aus. Selbstverständlich müssen wir In Plattform und Programmartikeln klar und deutlich darauf verweisen, dass die leitende Rolle sich in den Händen des Proletariats konzentriert, das als Führer, Lenker und Beschützer der Armut auftritt. Doch In der Agitation ist man vollkommen berechtigt, die kurze Losung „Diktatur des Proletariats und der Armut" zu gebrauchen. In dieser Form hat die Losung nichts gemein mit dar „Demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft".

In einem größeren, vom Genossen Tschen Duxiu und anderen gezeichneten Dokumente (15. Dezember 1929) ist die Frage folgendermaßen formuliert:

Die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution In China (nationale Unabhängigkeit, staatliche Einigung and Agrarrevolution) können nur unter der Bedingung gelöst werden, wenn das chinesische Proletariat im Bunde mit der Stadt- und Dorfarmut und als deren Führer die politische Macht ergreift. Mit anderen Worten: Abschluss und Sieg der bürgerlich-demokratischen Revolution in China sind bloß erreichbar auf dem russischen Wege, d.h. auf dem Wege des chinesischen Oktobers."

Ich halte diese Formulierung für vollkommen richtig, und die Möglichkeit welcher Missverständnisse auch immer ausschließend.

3. In der Frage des Charakters der chinesischen Revolution ist die Kominternführung endgültig in die Sackgasse geraten. Die Erfahrung der Ereignisse und die Kritik der linken Opposition haben von der Konzeption der „demokratischen Diktatur" nicht einen Stein auf dem andern gelassen. Verzichtet man aber auf diese Formel, bleibt nichts anderes als die Theorie der permanenten Revolution. Die Unglückstheoretiker der Komintern stehen zwischen diesen beiden Theorien in der nicht beneidenswerten Position des Buridanschen Esels. Die letzte Entdeckung auf dieses Thema ist der Jubiläumsartikel Manuilskis (Prawda, 7. Nov. 1930). Ein minderwertigeres Gemisch von Unwissen, Beschränktheit und Schelmerei lässt sich nicht ausdenken. Die Buridansche Theorie dar Stalinbürokraten wird in der letzten Nummer des Bulletins der Russischen Opposition (Nr. 17-18) einer Analyse unterzogen. In dieser wesentlichen Frage werden wir jedenfalls mit Ihnen, wie alle Ihre Dokumente beweisen, nicht den Schatten einer Meinungsverschiedenheit haben.

4. In manchen Briefen .wird darüber geklagt, dass einzelne Gruppen der Opposition oder einzelne Genossen eine falsche Position in Bezug auf die chinesische „Rote Armee" einnähmen, indem sie deren Abteilungen mit Banditen identifizieren .Wenn das wahr ist, so muss damit Schluss gemacht werden. Selbstverständlich kleben sich den revolutionären Bauernabteilungen lumpenproletarische Elemente und Berufsbanditen an. Doch die Bewegung im Ganzen hat tiefgehende Quellen in den Bedingungen des chinesischen Dorfes und es sind die gleichen Quellen, auf die sich späterhin die Diktatur des Proletariats wird stützten müssen. Die Politik der Stalinisten diesen Abteilungen gegenüber ist die Politik verbrecherischen bürokratischen Abenteurertums: diese Politik müssen wir unbarmherzig entlarven. Wir kennen auch die Illusionen der Anführer und Teilnehmer der Partisanenabteilungen nicht teilen oder nähren. Wir müssen ihnen erklären, dass ohne proletarische Revolution und die Machteroberung durch das Proletariat die Partisanenabteilungen der Bauern nicht zum Siege führen können. Jedoch müssen wir diese Aufklärungsarbeit als wirkliche Freunde führen, nicht aber als abseitsstehende Beobachter, noch weniger – als Feinde. Ohne von unseren eigenen Methoden und Aufgaben zu lassen, müssen wir fest und mannhaft diese Abteilungen gegen die Kuomintangrepressionen und Bourgeoisverleumdung und Hetze verteidigen. Wir müssen den Arbeitern die ungeheure symptomatische Bedeutung dieser Abteilungen erklären. Wir können selbstverständlich unsere eigenen Kräfte nicht auf den Weg des Partisanentums werfen, wir haben gegenwärtig ein anderes Wirkungsfeld und andere Aufgaben. Nichtsdestoweniger ist es äußerst wünschenswert, mindestens in den größten Abteilungen der „Roten Armee" unsere Leute, Oppositionelle zu haben, die das Geschick dieser Abteilungen teilen würden, aufmerksam die Wechselbeziehungen zwischen diesen und der Bauernschaft beobachten und die Organisation der Linksopposition so auf dem Laufenden halten.

Im Falle der Verzögerung der Revolution, einer neuen ökonomischen Belebung in China und der Entfaltung parlamentarischer Tendenzen (all dies ist miteinander verbunden) müssten derartige Abteilungen unvermeidlich entarten und die Bauernarmut sich entgegen stellen. Umso wichtiger für uns, diese Abteilungen unter unserer Beobachtung zu halten, um jeden Augenblick die richtige Position einzunehmen.

5. In einigen der Briefe wird neuerdings die Frage der Nationalversammlung aufgeworfen, wobei die Frage nach unseren politischen Aufgaben verschüttet wird durch Ratereien, ob die Nationalversammlung verwirklicht werden wird oder nicht, in welcher Form; welche Wechselbeziehungen sich zwischen der Nationalversammlung und den Sowjets herausbilden werden usw. usw. In diesen Betrachtungen liegt ein bedeutendes Element politischer Scholastik.So besagt eines der Schreiben:

Wir meinen, dass die Nationalversammlung wahrscheinlich nicht verwirklicht werden wird; selbst wenn sie verwirklicht würde, könnte sie sich nicht in eine „Provisorische Regierung" umwandeln, da alle materiellen Kräfte gegenwärtig in Händen der Kuomintangmilitaristen liegen. Was nun die nach dem Aufstand organisierte Regierung anlangt, wird diese ohne Zweifel die Regierung der Proletarischen Diktatur sein, und in diesem Falle die Nationalversammlung nicht mehr einberufen."

Diese Betrachtung ist außerordentlich unvollständig, einseitig und lässt daher viel Raum für Missverständnisse und sogar Unrichtigkeiten.

a) Vor allem darf man die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen halten, dass die bürgerlichen Klassen selbst sich genötigt sehen werden, so etwas wie eine Art Nationalversammlung einzuberufen. Wenn die Mitteilungen europäischer Blätter richtig sind, trägt Tschiang Kai-schek sich mit dem Gedanken, die ihn beengende Kontrolle der Kuomintang durch die Kontrolle irgendeines fiktiven Parlaments zu ersetzen. Gewisse Kreise der Groß- und Mittelbourgeoisie – mit der ihnen überdrüssig gewordenen Parteidiktatur in Kollision geraten – können diesem Vorhaben Entgegenkommen bezeugen. Ein „Parlament" wir überdies eine viel bessere Deckung der Militärdiktatur vor dem Angesicht Amerikas sein. Tschiang Kai-schek hat, wie die Zeitungen berichten, das amerikanisierte Christentum angenommen, in der nicht unbegründeten Berechnung, dies werde ihm den Kredit bei den jüdischen Wall-Streit-Bankiers erleichtern. Amerikanisiertes Christentum, amerikanisch-jüdische Wucherer und chinesisches Pseudoparlament, das alles harmoniert prächtig miteinander.

Städtische Kleinbourgeoisie, Intelligenz, Studentenschaft, die „dritte Partei“ – dies alles wird im Falle der parlamentarischen Variante in Bewegung geraten. Die Fragen von Konstitution, Wahlrecht und Parlamentarismus werden an die Tagesordnung gelangen. Es wäre Unsinn zu meinen, die chinesischen Volksmassen hätten das alles schon hinter sich gelassen. Bisher sind sie nur durch die Schule Stalin-Tschiang-Kai-schek gegangen, d.h. die schändlichste aller Schulen. Die Fragen der Demokratie werden unvermeidlich für eine gewisse Periode nicht nur die Bauern, sondern auch die Arbeiter erfassen. Dies muss unter unserer Führung vor sich gehen.

Wird Tschiang Kai-schek sein Parlament einberufen? Durchaus möglich. Möglich aber, dass die konstitutionell-demokratische Bewegung sich über Tschiang Kai-scheks Plane ergießen und Ihn zwingen wird, viel weiter zu gehen, als er es heute will, oder sogar Tschiang Kai-schek mitsamt seinen Planen hinwegfegen wird. Welches auch die konstitutionell-parlamentarischen Varianten sein mögen, wir werden nicht abseits bleiben. Wir werden am Kampfe unter unseren Losungen teilnehmen, d.h. unter den Losungen der revolutionären und konsequenten („hundertprozentigen") Demokratie. Wenn die revolutionäre Welle Tschiang Kai-schek mit seinem Parlament nicht sogleich hinweg fegt, werden wir an diesem Parlamente teilzunehmen haben, den Betrug des Kompradorenparlamentarismus brandmarken und unsere eigenen Aufgaben aufstellen.

b) Kann man sich vorstellen, dass es die revolutionär-demokratische Bewegung solche Ausmaße annimmt, bei denen Tschiang Kai-schek den Militärapparat in seinen Händen nicht mehr zu halten vermag, die Kommunisten aber die Macht noch nicht zu erobern? Eine solche Übergangsperiode der Entwicklung ist vollkommen real. Sie kann irgendeine chinesische Abart der Doppelherrschaft hervorbringen, eine neue Provisorische Regierung: einen Block der Kuomintang mit der dritten Partei usw. usw. Ein solches Regime wäre äußerst unhaltbar. Es wäre bloß die Vorstufe zur Diktatur des Proletariats. Aber eine solche Vorstufe ist möglich.

c) „Beim siegreichen Aufstand“ – sagt das zitierte Dokument – „würde die Diktatur des Proletariats errichtet und somit die Nationalversammlung nicht einberufen werden." Auch hier ist die Frage zu vereinfacht. In welchem Moment wird der Aufstand vor sich gehen, und unter welchen Losungen? Wenn das Proletariat die Dorfarmut unter den Losungen der Demokratie (Boden, Nationalversammlung usw.) um sich vereinen und in geschlossenem Ansturm die Militärdiktatur der Bourgeoisie stürzen würde, so wäre es, zur Macht gelangt, genötigt, die Nationalversammlung einzuberufen, um nicht den Verdacht der Bauernschaft zu erregen und der Bourgeoisiedemagogie nicht die Tore zu öffnen. Waren doch auch die Bolschewiki gezwungen, nach dem Oktoberumsturz die Konstituierende Versammlung einzuberufen. Warum diese Variante für China ausgeschlossen halten? Die Bauernschaft entwickelt sich durchaus nicht gleichzeitig mit dem Proletariat. Das Proletariat kann vieles im Voraus sehen, die Bauernschaft jedoch lernt nur an Fakten. Der chinesischen Bauernschaft kann die lebendige Erfahrung der Nationalversammlung vonnöten werden.

Da die Bourgeoisie in Russland die Einberufung der Konstituierenden Versammlung lange hinausschob, die Bolschewiki aber sie hierin brandmarkten, waren die Bolschewiki, zur Macht gelangt, gezwungen, die Versammlung in kurzer Frist auf Grund der alten Wahllisten einzuberufen und erwiesen sich daher in der Minderheit. Die Konstituierende Versammlung geriet vor den Augen des ganzen Volkes mit den Sowjets in Kollision und wurde auseinandergejagt.

In China kann man sich eine andere Variante vorstellen. Zur Macht gelangt, kann das Proletariat unter gewissen Bedingungen die Einberufung der Konstituierenden Versammlung für einige Monate hinausschieben, eine breite Agitation auf dem Dorfe entfalten und in der Nationalversammlung eine kommunistische Mehrheit sichern. Der Vorteil wird sein, dass das Sowjetsystem die formelle Sanktion der Nationalvorsammlung erhalten und dies mit einem Schlage der Bourgeoisie eine populäre Losung im Bürgerkriege nehmen wird.

6. Selbstverständlich stellen die dargelegten Varianten bloß historische Hypothesen dar .Es gibt keinerlei Möglichkeit voraus zu erraten, wie der tatsächliche Weg der Ereignisse sich herausbilden wird. Der allgemeine Kurs auf die Diktatur des Proletariats – ist im Vorhinein klar .Wir haben nicht so sehr aber die möglichen Varianten, Etappen, Kombinationen zu raten, als uns in die Ereignisse als revolutionärer Faktor einzumengen, indem wir eine machtvolle Agitation unter den Losungen der Demokratie entfalten. Wenn wir auf diesem Gebiete die Initiative in unsere Hände nehmen, wird die Stalinsche Bürokratie über Bord geworfen sein, die Bolschewiki-Leninisten aber sich in kurzer Zeit in eine große politische Kraft verwandeln.

7. Die Frage, was für Möglichkeiten in der nächsten Periode sich vor dem chinesischen Kapitalismus eröffnen, ist nicht eine prinzipielle, sondern eine faktische Frage. Im Voraus zu entscheiden, dass die kapitalistische Entwicklung in China nicht einen Schritt vorwärts machen könne, wäre reinstes Doktrinärtum. Ein bedeutender Zufluss ausländischer Kapitalien nach China ist absolut nicht ausgeschlossen. Die Weltkrise sammelt freie Kapitalien an, die ein Wirkungsfeld brauchen. Gegenwärtig ist allerdings sogar das amerikanische Kapital, das mächtigste, paralysiert, verwirrt, verängstigt, der Initiative bar, da es vor allzu kurzer Zelt erst von den Höhen der Prosperität in den Abgrund der Krise gestürzt ist. Aber es hat bereits begonnen, einen solchen internationalen Sammelplatz zu suchen, auf den gestützt es den Anstoß zu einem neuen industriellen Aufstieg geben könnte. Kein Zweifel, dass China in diese Beziehung ernste Möglichkeiten eröffnet. In welchem Maße werden sie sich verwirklichen? Das kann man ebenfalls nicht voraussehen. Hier soll man nicht a priori raten, sondern die realen ökonomischen und politischen Prozesse verfolgen. Jedenfalls ist es gar nicht ausgeschlossen, dass, während der Großteil der kapitalistischen Welt sich noch in den Netzen der Krise schlagen, der Zustrom ausländischer Kapitalien in China eine ökonomische Belebung hervorrufen wird. Wir müssen auch für diese Variante vorbereitet sein und rechtzeitig unsere Aufmerksamkeit auf die Organisierung, Befestigung und richtige Führung der Gewerkschaftsverbände konzentrieren.

Ohne Zweifel würde eine ökonomische Belebung auf einige Zeit die unmittelbare revolutionäre Perspektive hinausschieben, dafür aber würde sie dieser neue Möglichkeiten bereiten, neue Kräfte und neue Quellen des Sieges. Die Zukunft bleibt in jedem Falle unser.

8, Manche der Schanghaier Briefe stellen die Frage: soll man die völlige Vereinigung in den einzelnen Orten fordern, die Verschmelzung der Presse aller Gruppen und die Einberufung der Konferenz auf Grund der bereits verwirklichten Einigung – oder innerhalb der Vereinigten Opposition die einzelnen Gruppen aufrechterhalten bis zur endgültigen Lösung aller taktischen Fragen? In solchen organisatorischen Dingen ist es schwer, von weitem einen Rat zu geben. Möglich auch, dass der Rat zu spät kommt. Dennoch kann ich nicht umhin Ihnen zu sagen: Liebe Freunde, verschmelzen Sie ihre Organisationen und Zeitungen endgültig heute schon! Man darf nicht länger die Vorbereitung der Vereinigung hinausziehen, denn dadurch kann man, ungewollt, künstliche Meinungsverschiedenheiten fabrizieren.

Ich will damit durchaus nicht sagen, dass alle Fragen schon gelöst sind und Ihr (richtiger:wir) gegen Meinungsverschiedenheiten in Hinkunft versichert. Nein, es kann kein Zweifel bestehen, dass der morgige und übermorgige Tag neue Aufgaben, das heißt auch neue Meinungsverschiedenheiten bringen wird. Ohne dies kann eine revolutionäre Partei sich nicht entwickeln. Aber diese neuen Meinungsverschiedenheiten werden neue Gruppierungen im Rahmen der geeinigten Organisation schaffen. Man darf nicht allzu lange auf den gestrigen Tag blicken. Man darf nicht auf. der Stelle treten. Man muss dem morgigen Tag entgegengehen!

9. Dass neue Meinungsverschiedenheiten unvermeidlich sind, bezeugt die Erfahrung aller Sektionen der linken Opposition. Die französische Liga z.B. hatte sich aus verschiedenen Gruppen gebildet. Dank ihres Wochenblattes hat die Liga eine sehr ernste und wertvolle nicht nur nationale sondern auch internationale Arbeit geleistet und damit bewiesen, dass die Vereinigung mehrerer Gruppen ein progressives Faktum war. Doch in dieser vereinigten Organisation sind während der letzten Monate scharfe Meinungsverschiedenheiten entstanden, insbesondere in der Gewerkschaftsfrage. Es hat sich ein rechter Flügel mit einer an der Wurzel falschen Position gebildet. Die Frage ist so ernst und tief, dass sie sogar zu einer neuen Spaltung führen kann. Selbstverständlich muss man entschieden alles tun, um diese zu vermeiden. Aber wenn dies nicht gelänge, so würde de neue Spaltung nicht die Unrichtigkeit der gestrigen Vereinigung beweisen. Wir machen keinen Fetisch, weder aus der Einheit noch aus der Spaltung. Alles hängt von den Bedingungen ab, vom Moment von der Tiefe der Meinungsverschiedenheiten,vom Charakter der Aufgaben.

10. In Spanien liegen offenbar die Umstände anders als in den übrigen Ländern. Spanien durchlebt gegenwärtig die Periode eines klaren und unzweifelhaften revolutionieren Aufstiegs. Die erhitzte politische Atmosphäre muss die Arbeit der Bolschewiki-Leninisten, als des kühnsten und konsequentesten revolutionären Flügels, außerordentlich erleichtern. Die Komintern hat die Reihen des spanischen Kommunismus zerschlagen, die offizielle Partei zu Entkräftung und Verblutung gebracht. Wie in allen anderen wichtigen Fällen verpasste die Kominternführung die revolutionäre Situation. Die spanischen Arbeiter blieben im verantwortungsvollsten Moment sich selbst überlassen. Fast ohne Führung entfalten sie einen durch seine Wucht verblüffenden revolutionären Streikkampf. In diesen Bedingungen stellen die spanischen Bolschewiki-Leninisten die Losung der Sowjets auf. Nach der Theorie der Stalinisten und der Praxis des Kantoner Aufstandes sind die Sowjets gleichsam erst am Vorabend des Aufstandes zu bilden. Eine verderbliche Theorie und verderbliche Praxis! Die Sowjets sollen gebildet werden, wenn die reale, lebendige Massenbewegung Nachfrage nach dieser Organisation bekundet. Die Sowjets werden vorerst als breite Streikkomitees gebildet. Dies ist gerade die Lage in Spanien. Man kann nicht bezweifeln, dass die Initiative der Bolschewiki-Leninisten (Opposition) unter diesen Bedingungen auf geneigten Widerhall seitens der proletarischen Avantgarde stoßen wird. Vor der spanischen Opposition kann sich schon in der nächsten Zeit eine breite Perspektive eröffnen. Wir wünschen unseren spanischen Genossen vollen Erfolg!

11. Zum Abschluss kehre ich neuerdings zur Frage von der Einheit zurück, um die in dieser Beziehung äußerst traurige Erfahrung Österreichs zu erwähnen.

Die drei österreichischen Oppositionsgruppen beschäftigten sich im Laufe von eineinhalb Jahren mit der „Einigung“, indem sie der Reihe nach solche Bedingungen ersannen, die die Vereinigung unmöglich machten. Diese verbrecherische Spiel widerspiegelte lediglich den allgemein kläglichen Zustand der von der offiziellem Partei erfassten österreichischen Opposition. Jede der österreichischen Gruppen vermochte im Laufe dieses Jahres zum Überfluss darzutun, dass sie bereit ist, auf die Ideen und Prinzipien der Internationalen Opposition zu verzichten, in keinen Falle aber auf die eigenen Zirkelprätentionen. Je nichtiger die ideelle Grundlage dieser Gruppen, einen umso vergifteteren Charakter hat ihr innerer Kampf. Sie zerren mit Wollust das Banner der Internationalen Opposition in den Kot und fordern zu gleicher Zeit die Internationale Opposition möge mit ihrer Autorität diese unwürdige Arbeit decken.

Davon kann selbstverständlich nicht einmal die Rede sein. Prinzipienlose Gruppen in die Mitte der Internationalen Opposition zuzulassen, hieße Vergiftung in den eigenen Organismus einführen. In dieser Hinsicht werden wir eine strenge Auswahl brauchen. Ich hoffe, die Internationale Opposition wird auf Ihrer Konferenz „21 Bedingungen“ für die Zulassung von Organisationen in ihre Reihen annehmen, und dass diese Bedingungen genügend hart sein werden.

Im Gegensatz zur österreichischen ist die chinesische Opposition nicht auf dem Boden kleiner Kulissenränke entstanden, sondern auf dem Boden eine grandiosen Revolution, die von der opportunistischen Führung ins Verderben geführt wurde. Die große historische Mission legt der chinesischem Opposition ausnehmende Verpflichtungen auf . Wir alle hoffen hier, dass die chinesische Opposition sich vom Zirkelgeist säubern und in ganzem Wuchse aufrichten wird um sich auf der Höhe der vor ihr stehenden Aufgaben zu erweisen.

Ihr Leo Trotzki

Prinkipo,den 8. Jänner 1931

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