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Leo Trotzki 19321221 An die Reichsleitung der Linken Opposition der KPD

Leo Trotzki: An die Reichsleitung der Linken Opposition der KPD (Bolschewik-Leninisten)

[Nach Mitteilungsblatt der Reichsleitung der Linken Opposition der KPD, Nr. 7 (Januar/Februar 1933), Beilage S. 1 f.]

Büyük Ada, den 21. Dezember 1932

Werte Genossen!

Die letzten Nummern der „Permanenten Revolution“ und die Nachklänge der deutschen Diskussion drängen mich, folgende vorläufige Bemerkungen zu machen:

1) Manche Genossen scheinen den dialektischen Prozess der deutschen Entwicklung mit dem alles und nichts sagenden Worte „Faschisierung“ decken und somit vertuschen zu wollen. Im heutigen Stadium ist Schleichers Kampf gegen die Komintern seinen Methoden nach viel näher dem Bismarckschen Kampf gegen die deutsche Sozialdemokratie als den Methoden des italienischen Faschismus. Selbstverständlich ist die geschichtliche Stufe eine andere. Darum muss man eben die Eigenarten der jetzigen Lage analysieren und alle die ringenden Kräfte in ihrer Isoliertheit wie in ihrem Aufeinanderwirken erkennen, charakterisieren und genau beobachten.. Will man das „Ganze“ als Faschisierung deuten, so besagt dies nichts über die einzelnen Kräfte und Etappen. „Faschisierung“ soll in diesem Zusammenhange nur die Resultate bezeichnen. Die Resultante aber ist ein Produkt des Zusammen- und Gegeneinanderwirkens der Komponenten, d.h. in der heutigen Situation der „unabhängigen“ Staatsmacht, des Faschismus, der Sozialdemokratie, des Kommunismus etc. Heute hat die „unabhängige Staatsmacht“, auf der Reichswehr fußend, die Oberhand. Das ist eben der Bonapartismus. Ob die Resultante sich endgültig als Faschismus erweist, werden wir noch sehen. Das hängt vom Kampfe ab. Jede weitere Etappe werden wir sorgfältig analysieren., d.h. nicht mit dem Wörtchen „Faschisierung“ vertuschen., sondern das lebendige Spiel der Kräfte konkret aufdecken.

2) Thalheimer fehlte zur Anerkennung des Bonapartismus die soziale und besonders die Bauerndemagogie. Umgekehrt ist daraus ein Schuh geworden. Da die objektiven Voraussetzungen für den Bonapartismus vorhanden sind, musste endlich auch die radikale Demagogie hinzukommen. Jetzt haben wir den „sozialen General“ vor uns, der das Land durch Siedlungen retten will.

3) Während Schleicher mit den Gewerkschaften liebäugelt, will er die KPD zerbrechen. Dieser Plan ist überhaupt nur dadurch möglich, weil die KPD in den Gewerkschaften nicht verankert ist. Die Stärke der deutschen Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz bestand eben darin, dass sie in den Massen tief verwurzelt war. Durch ihre verfluchte Politik hat die Stalinsche Politik die KPD trotz ihrer großen, aber vagen Sympathien, die sie unter den Massen genießt, von allen Massenorganisationen, insbesondere von den Gewerkschaften, isoliert. Hier ist jetzt der springende Funke des nächsten Kapitels der deutschen Geschichte, d.h. ob und wie lange es dem Bonapartismus gelingt, sich zwischen den Gewerkschaften und den Nationalsozialismus zu halten – auf den Knochen der KPD. Die RGO-Frage heute vom Standpunkt des BVG-Streiks zu betrachten, wäre wirklich kindisch. Vom Standpunkt der Gesamtlage und ihrer Tendenzen bedeutet jetzt ein Verharren auf der RGO-Politik nicht nur, sondern – eine viel aktuellere Gefahr – die isolierte KPD den Stiefeln des Bonapartismus preiszugeben.

4) Soeben habe ich die Resolution der Mehrheit der Redaktion der „Perm. Rev.“ des Artikels „Mit beiden Händen“ erhalten. Für den Artikel übernehme ich selbstverständlich die volle Verantwortung.

Er resümiert übrigens nur das, was wir – auch die „Perm. Rev.“ – immer für richtig hielten. Der Beitritt zum Kellogg-Pakt war ein prinzipieller Verrat. Auf dem selben Geleise bewegt sich Litwinows Unterstützung der amerikanischen „Abrüstungs“-Initiative. Das Zwiegespräch Stalins mit Emil Ludwig ist politisch skandalös? Das Gespräch mit Campbell ist noch viel schlimmer. Den Arbeiterstaat mit dem Stalinismus zu identifizieren, ist für einen proletarischen Revolutionär höchst beschämend. Dass Stalin eine Wendung machen muss, ergibt sich aus der ganzen Situation. In welcher Richtung? Das Misstrauen ist in dieser Lage die erste Pflicht aller revolutionären Marxisten.

Die Redaktionsmehrheit spricht von „Leninismus“. Von welchem? Was die Stalinisten als Leninismus zu bezeichnen pflegen, nennen wir bürokratischen Zentrismus. (Siehe die „Per. Rev.“ von der ersten Nummer an.) Was wir als Leninismus bezeichnen, nennen die Stalinisten „Trotzkismus“.

Meint etwa die Mehrheit der Redaktion, dass die neuen Tausenden von verhafteten Oppositionellen von Stalin nur zum Zeitvertreib verhaftet wurden? Sind die Unterzeichner der Resolution mit Rakowski oder mit Menschinski? Zwar blieben sie leider die Antwort darauf schuldig, aber die Antwort ergibt sich aus dem Text der Resolution von selbst.

Nein, diese Resolution hat nichts mit der Diskussion innerhalb der Bolschewik-Leninisten zu tun. Sie wiederholt nur das, was die Stalinisten vom Jahre 1932, insbesondere 1926 immer behaupteten. Ich zweifle nicht daran, dass die deutsche Linksopposition die notwendige Konsequenzen aus dieser Episode ziehen wird.

Mit revolutionären Grüßen

gezeichnet:

L. Trotzki

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