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Leo Trotzki 19320913 Der einzige Weg

Leo Trotzki: Der einzige Weg

[Nach der 1. Auflage der Broschüre, Berlin, September 1932, Herausgeber: Linke Opposition der KPD. Verleger: Anton Grylewicz]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Bonapartismus und Faschismus

II. Bourgeoisie, Kleinbürgertum und Proletariat

III. Bündnis oder Kampf zwischen Sozialdemokratie und Faschismus?

IV. 21 Fehler Thälmanns

V. Die Überprüfung der Stalin-Thälmannschen Politik an deren eigener Erfahrung

VI. Was sagt man in Prag über die Einheitsfront?

VII. Der Klassenkampf im Lichte der Konjunktur

VIII. Der Weg, zum Sozialismus

IX. Der einzige Weg

Nachwort

Fremdwörtererläuterungen

Vorwort

Der Niedergang des Kapitalismus verspricht, noch stürmischer, dramatischer und blutiger zu sein, als sein Aufstieg, der deutsche Kapitalismus wird hierbei jedenfalls keine Ausnahme bilden. Wenn sich seine Agonie gar zu sehr hinzieht, so liegt hier – man muss die Wahrheit sagen – die Schuld an den Parteien des Proletariats.

Der deutsche Kapitalismus war mit Verspätung erschienen und sah sich der Vorrechte der Erstgeburt bar. Russlands Entwicklung stellte dieses irgendwo in die Mitte zwischen England und Indien; Deutschland hätte in diesem Schema den Platz zwischen England und Russland einnehmen müssen, – doch ohne die gewaltigen Überseekolonien Großbritanniens und ohne die inneren Kolonien des zaristischen Russlands. Das in Europas Herz Deutschland stand – zu einer Zeit, da die ganze Welt bereits aufgeteilt war – vor der Notwendigkeit, fremde Märkte zu erobern und bereits verteilte Kolonien neu aufzuteilen.

Dem deutschen Kapitalismus war es nicht beschieden, mit dem Strome zu schwimmen, dem freien Spiel der Kräfte hingegeben. Diesen Luxus hatte sich nur Großbritannien leisten können und auch das nur während einer beschränkten geschichtlichen Periode, deren Abschluss sich kürzlich vor unseren Augen vollzog. Der deutsche Kapitalismus konnte sich auch nicht das «Gefühl der Mäßigung» des französischen Kapitalismus erlauben, der in seiner Beschränkung gefestigt und überdies mit reichem Kolonialbesitz als Reserve ausgerüstet ist.

Die auf dem Gebiete der inneren Politik durch und durch opportunistische deutsche Bourgeoisie musste sich auf dem Gebiete der Wirtschaft und der Weltpolitik zur Verwegenheit versteigen, vorauseilen, die Produktion maßlos erweitern, um die alten Nationen einzuholen, musste mit dem Säbel rasseln und sich in den Krieg stürzen. Die aufs Äußerte gesteigerte Rationalisierung der deutschen Nachkriegsindustrie ergab sich ebenso aus der Notwendigkeit, die ungünstigen Bedingungen der historischen Verspätung, der geographischen Lage und der Kriegsniederlage zu überwinden.

Sind die wirtschaftlichen Übel unserer Epoche letzten Endes ein Ergebnis der Tatsache, dass die Produktionskräfte der Menschheit unvereinbar sind mit dem Privateigentum über die Produktionsmittel wie auch mit den nationalen Grenzen, so erleidet der deutsche Kapitalismus die größten Zuckungen gerade deshalb, weil er der modernste, fortgeschrittenste, dynamischste Kapitalismus auf dem europäischen Kontinent ist.

Die Ärzte des deutschen Kapitalismus scheiden sich in drei Schulen: Liberalismus, Planwirtschaft und Autarkie.

Der Liberalismus möchte die «Natur»gesetze des Marktes wiederherstellen. Indes widerspiegelt das klägliche politische Los des Liberalismus nur jene Tatsache, dass der deutsche Kapitalismus niemals auf dem Manchestertum fußte: durch Protektionismus zu Trusten und Monopolen. Man kann die deutsche Wirtschaft nicht zurückführen zu einer «gesunden» Vergangenheit, die es nie gegeben hat.

Der «Nationalsozialismus» verspricht, das Werk von Versailles auf seine Art zu revidieren, d.h. faktisch die Offensive des Hohenzollernschen Imperialismus weiterzuführen. Gleichzeitig will er Deutschland zur Autarkie bringen, d. h. auf den Weg des Provinzialismus und der Selbstbeschränkung. Das Löwengebrüll verdeckt hier die Psychologie des verprügelten Hundes. Den deutschen Kapitalismus seinen nationalen Grenzen anpassen zu wollen, ist ungefähr das Gleiche, als würde man einen Menschen kurieren, indem man ihm die rechte Hand, den linken Fuß und einen Teil des Schädels absägt.

Den Kapitalismus mittels der Planwirtschaft zu kurieren, hieße die Konkurrenz beseitigen. Beginnen müsste man in diesem Falle mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Die bürokratisch-professoralen Reformen wagen nicht einmal daran zu denken. Die deutsche Wirtschaft ist am allerwenigsten eine rein deutsche; sie ist ein integrierender Bestandteil der Weltwirtschaft. Ein deutscher Plan ist denkbar einzig in der Perspektive eines internationalen Wirtschaftsplanes. Eine national abgeriegelte Planierung würde den Verzicht auf die Weltwirtschaft bedeuten, d. h. den Versuch eines Rückzuges auf das System der Autarkie.

Die drei sich befehdenden Schulen ähneln einander in Wirklichkeit darin, dass sie im Zauberkreis des reaktionären Utopismus eingeschlossen sind. Zu retten gilt es nicht den deutschen Kapitalismus, sondern Deutschland – vor seinem Kapitalismus.

In den Krisenjahren haben sich die deutschen Bourgeois, zumindest ihre Theoretiker, in Bußreden ergangen, ja, sie hätten eine gar zu riskante Politik geführt, allzu leicht ausländische Kredite zu Hilfe genommen, die Betriebsausrüstung übermäßig vorwärtsgetrieben usw. Künftig werde man vorsichtiger sein müssen! In Wirklichkeit neigen – wie das Papenprogramm und das Verhalten des Finanzkapitals zu diesem beweist – die Spitzen der deutschen Bourgeoisie heute mehr denn je zu Wirtschaftsabenteuern.

Bei den ersten Anzeichen der Industriebelebung wird sich der deutsche Kapitalismus so zeigen, wie die historische Vergangenheit ihn geschaffen hat, und nicht so, wie die liberalen Moralisten ihn schaffen möchten. Die nach Profiten hungernden Unternehmer werden wieder den Dampfdruck steigern, ohne auf das Manometer zu achten. Die Jagd nach ausländischen Krediten wird wieder fieberhaften Charakter annehmen. Die Expansionsmöglichkeiten sind gering? Umso notwendiger, sie für sich zu monopolisieren. Die erschrockene Welt wird das Bild der vergangenen Periode beobachten, nur in Form noch heftigerer Zuckungen. Zugleich damit wird die Wiederherstellung des deutschen Militarismus vor sich gehen. Als hätte es die Jahre 1914-1918 nicht gegeben. Die deutsche Bourgeoisie stellt wieder an die Spitze der Nation ostelbische Barone. Im Zeichen des Bonapartismus sind diese noch geneigter, den Kopf der Nation zu riskieren als im Zeichen der legitimen Monarchie.

In ihren klaren Minuten müssen sich die Führer der deutschen Sozialdemokratie selbst fragen: kraft welchen Wunders führt ihre Partei, nach allem was sie angerichtet hat, weiter Millionen Arbeiter hinter sich? Von großer Bedeutung ist gewiss der jeder Massenorganisation innewohnende Konservativismus. Mehrere Generationen des Proletariats sind durch die Sozialdemokratie als durch eine politische Schule gegangen: das hat eine große Tradition geschaffen. Dennoch liegt die Hauptursache der Lebenszähigkeit des Reformismus nicht darin. Die Arbeiter können die Sozialdemokratie nicht einfach verlassen, trotz aller Verbrechen dieser Partei: sie müssen sie durch eine andere Partei ersetzen können. Indes unternimmt die deutsche Kommunistische Partei in Person ihrer Führer seit den letzten 9 Jahren entschieden alles, was in ihren Kräften liegt, die Massen von sich abzustoßen oder zumindest sie zu hindern, sich um die Kommunistische Partei zu scharen.

Die Kapitulationspolitik Stalin-Brandler im Jahre 1923; der ultralinke Zickzack Maslow-Ruth-Fischer-Thälmann von 1924-25; die opportunistische Kriecherei vor der Sozialdemokratie von 1926-28; die Abenteuer der «dritten Periode» von 1928-30; die Theorie und Praxis des «Sozialfaschismus» und der «nationalen Befreiung» von 1930-32 – das sind die Glieder der Rechnung. Ihre Summe lautet: Hindenburg-Papen-Schleicher & Co.

Auf kapitalistischem Wege gibt es keinen Ausweg für das deutsche Volk. Darin liegt die wichtige Kraftquelle der Kommunistischen Partei.

Das Beispiel der Sowjetunion beweist durch die Erfahrung, dass ein Ausweg auf sozialistischem Wege möglich ist. Darin liegt die zweite Kraftquelle der Kommunistischen Partei.

Allein, dank den Entwicklungsbedingungen des isolierten proletarischen Staates, gelangte an die Spitze der Sowjetunion eine national-opportunistische Bürokratie, die an die Weltrevolution nicht glaubt, ihre Unabhängigkeit von dieser verficht und gleichzeitig eine unbeschränkte Herrschaft über die Kommunistische Internationale aufrechterhält. Darin besteht gegenwärtig das größte Unglück für das deutsche und internationale Proletariat.

Die Lage in Deutschland ist wie eigens dazu geschaffen, es der Kommunistischen Partei zu ermöglichen, in kurzer Zeit die Mehrheit der Arbeiter zu erobern. Nur müsste die Kommunistische Partei begreifen, dass sie heute noch die Minderheit des Proletariats darstellt, und festen Schrittes den Weg der Einheitsfronttaktik betreten. Statt dessen hat sich die Kommunistische Partei eine Taktik zu eigen gemacht, die man in folgenden Worten ausdrücken könnte: den deutschen Arbeitern weder die Möglichkeit zu geben, Wirtschaftskämpfe zu führen, noch dem Faschismus Widerstand zu leisten, noch zur Waffe des Generalstreiks zu greifen, noch auch Sowjets zu schaffen – bevor nicht das gesamte Proletariat von vornherein die Führerschaft der Kommunistischen Partei anerkennt. Die politische Aufgabe wird in ein Ultimatum verwandelt.

Wo konnte diese verderbliche Methode herkommen? Die Antwort darauf gibt die Politik der Stalinschen Fraktion in der Sowjetunion. Dort hat der Apparat die politische Führung in administratives Kommando umgewandelt. Indem sie den Arbeitern weder zu diskutieren, noch zu kritisieren, noch zu wählen gestattet, redet die Stalinsche Bürokratie mit ihnen nicht anders als in der Sprache von Ultimatums. Die Thälmannsche Politik ist. ein Versuch der Übersetzung des Stalinismus in schlechtes Deutsch. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die Bürokratie der UdSSR für ihre Kommandopolitik über die Staatsmacht verfügt, die sie aus den Händen der Oktoberrevolution erhalten hat. Thälmann hingegen besitzt zur Bekräftigung seiner Ultimatums lediglich die formale Autorität der Sowjetunion. Das ist eine große moralische Hilfsquelle, doch langt sie in den gegebenen Bedingungen nur dazu, den kommunistischen Arbeitern den Mund zu verschließen, nicht aber die sozialdemokratischen Arbeiter zu erobern. Auf die letzte Aufgabe läuft aber jetzt das Problem der deutschen Revolution hinaus.

An die früheren, der Politik des deutschen Proletariats gewidmeten Arbeiten des Autors anknüpfend, versucht die vorliegende Broschüre die Fragen der deutschen revolutionären Politik auf einer neuen Etappe zu untersuchen.

Prinkipo, den 13. September 1932.

L. Trotzki.

I. Bonapartismus und Faschismus

Versuchen wir, uns kurz zu vergegenwärtigen, was geschehen ist und wo wir stehen.

Dank der Sozialdemokratie verfügte die Brüningregierung über die Unterstützung des Parlaments, um mit Hilfe der Notverordnungen zu regieren. Die sozialdemokratischen Führer sagten: «Auf diese Weise werden wir dem Faschismus den Weg zur Macht versperren». Die Stalinsche Bürokratie sagte: «Nein, der Faschismus hat bereits gesiegt, das Brüningregime ist eben Faschismus». Das eine wie das andere war falsch. Die Sozialdemokraten gaben das passive Zurückweichen vor dem Faschismus als Kampf gegen den Faschismus aus. Die Stalinisten stellten die Sache so dar, als liege der Sieg des Faschismus bereits zurück. Die Kampfkraft des Proletariats wurde von beiden Seiten untergraben und der Sieg des Feindes erleichtert und nähergebracht.

Wir haben seinerzeit die Brüningregierung als Bonapartismus («Karikatur auf den Bonapartismus») bezeichnet, d. h. als Regime militärisch-polizeilicher Diktatur. Sobald der Kampf zweier sozialer Lager – der Besitzenden und Besitzlosen, der Ausbeuter und Ausgebeuteten – höchste Spannung erreicht, sind die Bedingungen für die Herrschaft von Bürokratie, Polizei, Soldateska gegeben. Die Regierung wird «unabhängig» von der Gesellschaft. Erinnern wir nochmals daran: steckt man zwei Gabeln symmetrisch in einen Kork, kann dieser sich sogar auf einem Stecknadelkopf halten. Dies ist eben das Schema des Bonapartismus. Gewiss, eine solche Regierung hört nicht auf, Kommis der Eigentümer zu sein. Doch sitzt der Kommis dem Herrn auf dem Buckel, reibt ihm den Nacken wund und steht nicht an, seinem Herrn gegebenenfalls mit dem Stiefel über das Gesicht zu fahren.

Man konnte annehmen, Brüning werde sich bis zur endgültigen Lösung halten. Doch hat sich in den Gang der Ereignisse noch ein Glied eingefügt: die Papenregierung. Wollten wir genau sein, so müssten wir an unserer alten Bezeichnung eine Berichtigung vornehmen: die Brüningregierung war eine vorbonapartistische Regierung. Brüning war nur ein Vorläufer. In ausgebildeter Gestaltung ist der Bonapartismus in der Papen-Schleicher-Regierung auf den Platz getreten.

Worin bestellt der Unterschied? Brüning beteuerte, kein höheres Glück zu kennen, als Hindenburg und dem Paragraph 48 zu «dienen». Hitler «stützte» mit der Faust Brünings rechte Hüfte. Mit dem linken Ellbogen aber hielt Brüning sich an Wels' Schulter. Im Reichstage fand Brüning eine Mehrheit, die ihn der Notwendigkeit enthob, mit dem Reichstag zu rechnen.

Je mehr Brünings Unabhängigkeit vom Parlament wuchs, desto unabhängiger fühlte sich die Spitze der Bürokratie von Brüning und den hinter ihm stehenden politischen Gruppierungen. Es blieb nur übrig, endgültig die Bande mit dem Reichstag zu zerreißen. Die Regierung von Papens ging aus einer unbefleckten bürokratischen Empfängnis hervor. Mit dem rechten Ellbogen stützt sie sich auf Hitlers Schulter. Mit der Polizeifaust erwehrt sie sich von links des Proletariats. Darin liegt das Geheimnis ihrer «Beständigkeit», d. h. der Tatsache, dass sie im Moment ihrer Entstehung nicht zusammenbrach.

Die Brüningregierung hatte pfäffisch-bürokratisch-polizeilichen Charakter. Die Reichswehr verblieb noch in Reserve. Als unmittelbare Ordnungsstütze diente neben der Polizei die «Eiserne Front». In der Ausmerzung der Abhängigkeit von der «Eisernen Front» bestand eben das Wesen des Hindenburg-Papenschen Staatsstreiches. Die Generalität rückte dabei automatisch an die erste Stelle.

Die sozialdemokratischen Führer erwiesen sich als vollkommen übertölpelt. So geziemt es sich auch für sie in Perioden sozialer Krisen. Diese kleinbürgerlichen Intriganten scheinen klug nur in jenen Bedingungen, bei denen Klugheit nicht nötig ist. Jetzt ziehen sie nachts die Decke über den Kopf, schwitzen und hoffen auf ein Wunder: Am Ende wird man vielleicht doch nicht nur den Kopf retten können, sondern auch die weichen Möbel und die kleinen, unschuldigen Ersparnisse. Doch Wunder wird es nicht geben

Unglücklicherweise ist aber auch die Kommunistische Partei durch die Ereignisse vollkommen überrumpelt worden. Die Stalinsche Bürokratie hat nicht vorauszusehen verstanden. Heute sprechen Thälmann, Remmele u. a. bei jedem Anlass «vom Staatsstreich des 20. Juli». Wie denn? Zuerst behaupteten sie, der Faschismus sei bereits da und von ihm als etwas Künftigem sprechen könnten nur die «konterrevolutionären Trotzkisten». Jetzt erweist es sich, dass zum Übergang von Brüning zu Papen – vorerst nicht zu Hitler, sondern lediglich zu Papen – ein ganzer «Staatsstreich» notwendig war. Doch der Klasseninhalt Severings, Brünings und Hitlers, lehrten uns diese Weisen, ist «ein und derselbe». Woher also und wozu der Staatsstreich?

Dabei machte aber der Wirrwarr nicht halt. Obgleich der Unterschied zwischen Bonapartismus und Faschismus nun deutlich genug zutage getreten ist, sprechen Thälmann, Remmele u. a. vom faschistischen Staatsstreich des 20. Juli. Gleichzeitig warnen sie die Arbeiter vor der nahenden Gefahr der Hitlerschen, d. h. gleichfalls faschistischen Umwälzung. Schließlich wird die Sozialdemokratie dabei nach wie vor als sozialfaschistisch bezeichnet. Die sich entfaltenden Ereignisse laufen somit darauf hinaus, dass Abarten des Faschismus einander die Macht abnehmen mit Hilfe «faschistischer» Staatsstreiche. Leuchtet es nicht ein, dass die ganze Stalinsche Theorie eigens dazu geschaffen ist, die menschlichen Gehirne zu verkleistern?

Je weniger vorbereitet die Arbeiter waren, umso mehr musste das Erscheinen der Papenregierung auf dem Schauplatz den Eindruck der Kraft erwecken: völliges Übergehen der Parteien, neue Notverordnungen, Auflösung des Reichstages, Repressalien, Belagerungszustand in der Hauptstadt, Aufhebung der preußischen «Demokratie». Und mit welcher Leichtigkeit! Einen Löwen tötet man mit der Kugel; den Floh zerdrückt man zwischen den Fingernägeln; sozialdemokratische Minister erledigt man mit einem Nasenstüber.

Allein, trotz des Anscheins konzentrierter Kräfte ist die Papenregierung «an und für sich» noch schwächer als ihre Vorgängerin. Das bonapartistische Regime kann verhältnismäßig beständigen und dauerhaften Charakter nur in dem Falle erlangen, wenn es eine revolutionäre Epoche abschließt; wenn das Kräfteverhältnis bereits in Kämpfen überprüft wurde; wenn sich die revolutionären Klassen bereits verausgabt, die besitzenden Klassen sich aber noch nicht von der Furcht befreit haben: wird der morgige Tag nicht neue Erschütterungen bringen? Ohne diese Grundbedingung, d. h. ohne vorherige Erschöpfung der Massenenergien im Kampfe, ist das bonapartistische Regime außerstande, sich zu entfalten.

Durch die Papenregierung haben die Barone, Kapitalmagnaten und Bankiers den Versuch unternommen, ihre Sache mittels Polizei und regulärer Armee zu sichern. Der Gedanke, die ganze Macht an Hitler abzutreten, der sich auf die gierigen und entfesselten Banden des Kleinbürgertums stützt, ist für sie durchaus nicht beglückend. Sie bezweifeln natürlich nicht, dass Hitler zu guter Letzt ein gefügiges Werkzeug ihrer Herrschaft sein würde. Doch ist dies verbunden mit Erschütterungen, mit dem Risiko eines langwierigen Bürgerkrieges und großer Unkosten. Allerdings führt der Faschismus, wie Italiens Beispiel zeigt, letzten Endes zur militärisch-bürokratischen Diktatur bonapartistischen Typs. Doch braucht er dazu, selbst im Falle eines vollständigen Sieges, eine Reihe von Jahren: in Deutschland eine größere Frist als in Italien. Es ist klar, dass die besitzenden Klassen einen wirtschaftlicheren Weg vorziehen würden, d. h. den Weg Schleichers und nicht Hitlers, nicht zu sprechen davon, dass Schleicher selbst sich den Vorzug gibt.

Die Tatsache, dass die Daseinsquelle der Papenregierung in der Neutralisierung der unversöhnlichen Lager besteht, bedeutet natürlich keineswegs, dass die Kräfte des revolutionären Proletariats und der reaktionären Kleinbourgeoisie auf der Waage der Geschichte einander gleich sind. Die ganze Frage verschiebt sich hier auf das Gebiet der Politik. Durch die Mechanik der «Eisernen Front» paralysiert die Sozialdemokratie das Proletariat. Mit der Politik des kopflosen Ultimatismus verlegt die Stalinsche Bürokratie den Arbeitern den revolutionären Ausweg. Bei richtiger Führung des Proletariats würde der Faschismus mühelos zunichte gemacht werden und für den Bonapartismus nicht eine Ritze offenbleiben. Unglücklicherweise ist die Lage nicht so. Die paralysierte Kraft des Proletariats hat die trügerische Form einer «Kraft» der bonapartistischen Clique angenommen. Darin liegt die politische Formel des heutigen Tages.

Die Papenregierung stellt den unpersönlichen Schnittpunkt großer historischer Kräfte dar. Ihr selbständiges Gewicht ist nahe der Null. Deshalb konnte sie nicht anders als vor der eigenen Gestikulation erschrecken und schwindlig werden vor der von allen Seiten um sie herum entstehenden Leere. Damit und nur damit ist es zu erklären, dass in den Taten der Regierung bisher auf einen Teil Verwegenheit zwei Teile Feigheit kamen. Preußen, d. h. der Sozialdemokratie gegenüber führte die Regierung ein sicheres Spiel: sie wusste, diese Herren werden keinen Widerstand leisten. Aber nachdem sie den Reichstag aufgelöst hatte, schrieb sie Neuwahlen aus und wagte es nicht, diese hinauszuschieben. Nach Verkündung des Belagerungszustandes eilte sie zu erklären, dies solle nur den sozialdemokratischen Führern die kampflose Kapitulation erleichtern.

Indes, es gibt doch eine Reichswehr? Wir sind nicht geneigt, sie zu vergessen. Engels bezeichnete den Staat als bewaffnete Abteilungen von Menschen mit materiellen Anhängseln in Form von Gefängnissen usw. In Bezug auf die gegenwärtige Regierungsmacht kann man sogar sagen, dass allein die Reichswehr wirklich besteht. Doch stellt die Reichswehr keineswegs ein gefügiges und gesichertes Werkzeug in den Händen jener Gruppe von Leuten dar, an deren Spitze Papen steht. In Wirklichkeit ist die Regierung eher eine Art politische Kommission der Reichswehr.

Aber bei all ihrem Übergewicht über die Regierung kann die Reichswehr dennoch nicht auf eine selbständige politische Rolle Anspruch erheben. Hunderttausend Soldaten, wie zusammengeschweißt und gestählt sie auch sein mögen (was noch der Überprüfung bedarf), vermögen nicht eine durch tiefste soziale Gegensätze zerrissene Nation von 65 Millionen zu kommandieren. Die Reichswehr stellt nur ein, und dabei nicht das entscheidende, Element im Kräftespiel dar.

Der neue Reichstag widerspiegelt in seiner Art nicht schlecht jene politische Lage im Lande, die zum bonapartistischen Experiment geführt hat. Das Parlament ohne Mehrheit, mit unversöhnlichen Flügeln bietet ein anschauliches und unwiderlegbares Argument zugunsten der Diktatur. Nochmals treten mit aller Anschaulichkeit die Grenzen der Demokratie hervor. Wo es um die Grundfesten der Gesellschaft selbst geht, entscheidet nicht die parlamentarische Arithmetik. Da entscheidet der Kampf.

Wir werden es nicht unternehmen, aus der Ferne zu raten, welchen Weg in den nächsten Tagen die Versuche der Regierungsbildung gehen werden. Unsere Hypothesen kämen ohnehin mit Verspätung, und überdies entscheiden die möglichen Übergangsformen und Kombinationen nicht die Frage. Ein Block der Rechten mit dem Zentrum würde die «Legalisierung» der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bedeuten, d. h. die geeignetste Deckung für den faschistischen Staatsstreich. Welches Verhältnis sich in der ersten Zeit zwischen Hitler, Schleicher und den Zentrumsführern herausbilden würde, ist wichtiger für sie selbst als für das deutsche Volk. Politisch bedeuten alle denkbarem Kombinationen mit Hitler die Auflösung von Bürokratie, Gericht, Polizei und Armee im Faschismus.

Nimmt man an, das Zentrum werde nicht auf eine Koalition eingehen, in der es die Rolle einer Bremse in Hitlers Lokomotive durch den Bruch mit den eigenen Arbeitern zu bezahlen hätte, – so bleibt in diesem Falle allein der unverhüllte außerparlamentarische Weg übrig. Eine Kombination ohne das Zentrum würde das Übergewicht der Nationalsozialisten noch leichter und rascher sichern. Sollten diese nicht sogleich mit Papen einig werden und gleichzeitig nicht zu sofortigem Angriff übergehen, so wird der bonapartistische Charakter der Regierung noch schärfer zum Vorschein kommen müssen: von Schleicher würde seine «hundert Tage» haben … ohne die vorausgegangenen Napoleonschen Jahre.

Hundert Tage – nein, wir bemessen wohl zu reichlich. Die Reichswehr entscheidet nicht. Schleicher genügt nicht. Die außerparlamentarische Diktatur der Junker und der Magnaten des Finanzkapitals lässt sich nur durch die Methoden eines langwierigen und unbarmherzigen Bürgerkrieges sicherstellen. Wird Hitler diese Aufgabe erfüllen können? Das hängt nicht nur vom bösen Willen des Faschismus ab, sondern auch vom revolutionären Willen des Proletariats.

II. Bourgeoisie, Kleinbürgertum und Proletariat

Jede ernste Analyse der politischen Lage muss von den Wechselbeziehungen dreier Klassen ausgehen: der Bourgeoisie, des Kleinbürgertums (darunter die Bauernschaft) und des Proletariats.

Die wirtschaftlich mächtige Großbourgeoisie stellt an sich eine verschwindende Minderheit der Nation dar. Um ihre Herrschaft zu befestigen, muss sie bestimmte Wechselbeziehungen mit dem Kleinbürgertum sichern und durch dessen Vermittlung – mit dem Proletariat.

Zum Verständnis der Dialektik dieser Wechselbeziehungen muss man drei historische Etappen unterscheiden: beim Anbruch der kapitalistischen Entwicklung, als die Bourgeoisie zur Lösung ihrer Aufgaben revolutionäre Methoden benötigte; in der Blüte- und Reifeperiode des kapitalistischen Regimes, wo die Bourgeoisie ihrer Herrschaft geordnete, friedliche, konservative demokratische Formen verlieh; endlich beim Niedergang des Kapitalismus, da die Bourgeoisie gezwungen ist, zu Bürgerkriegsmethoden gegen das Proletariat zu greifen,, um ihr Recht auf Ausbeutung zu wahren.

Die diese drei Etappen charakterisierenden politischen Programme: Jakobinertum, reformistische Demokratie (darunter auch Sozialdemokratie) und Faschismus sind ihrem Wesen nach Programme kleinbürgerlicher Strömungen. Schon allein dieser Umstand beweist, welch ungeheure, richtiger, welch entscheidende Bedeutung die politische Selbstbestimmung der kleinbürgerlichen Volksmassen für das Schicksal der gesamten bürgerlichen Gesellschaft besitzt!

Indes, die Wechselbeziehungen zwischen der Bourgeoisie und ihrer grundlegenden sozialen Stütze, dem Kleinbürgertum, beruhen keineswegs auf gegenseitigem Vertrauen und friedlicher Zusammenarbeit. In seiner Masse ist das Kleinbürgertum eine ausgebeutete und benachteiligte Klasse. Es steht der Großbourgeoisie mit Neid und oft mit Hass gegenüber. Die Bourgeoisie andererseits, während sie sich der Unterstützung des Kleinbürgertums bedient, misstraut diesem, denn sie fürchtet mit vollem Recht, es sei stets geneigt, die ihm von oben gesetzten Schranken zu überschreiten.

Während sie der bürgerlichen Entwicklung den Weg bahnten und säuberten, gerieten die Jakobiner bei jedem Schritt in scharfe Zusammenstöße mit der Bourgeoisie. Sie dienten ihr in unversöhnlichem Kampfe gegen sie. Nachdem sie ihre begrenzte historische Rolle erfüllt hatten, fielen die Jakobiner, denn die Herrschaft des Kapitals war vorausbestimmt.

Eine Reihe von Etappen hindurch befestigte die Bourgeoisie ihre Macht in Gestalt der parlamentarischen Demokratie. Wiederum nicht friedlich und nicht freiwillig. Die Bourgeoisie hatte Todesangst vor dem allgemeinen Wahlrecht. Letzten Endes aber vermochte sie, mit Hilfe einer Verbindung von Gewaltmaßnahmen und Zugeständnissen, von Hungerknute und Reformen, sich im Rahmen der formalen Demokratie nicht nur das alte Kleinbürgertum unterzuordnen, sondern in bedeutendem Maße auch das Proletariat, vermittels des neuen Kleinbürgertums – der Arbeiterbürokratie. Im August 1914 war die imperialistische Bourgeoisie imstande, mittels der parlamentarischen Demokratie Dutzende von Millionen Arbeiter und Bauern in den Krieg zu führen.

Allein, gerade mit dem Krieg beginnt der deutliche Niedergang des Kapitalismus und vor allem seiner demokratischen Herrschaftsform. Jetzt geht es schon nicht mehr um neue Reformen und Almosen, sondern um Beschneidung und Wegnahme der alten. Die politische Herrschaft der Bourgeoisie gerät damit in Widerspruch nicht nur mit den Einrichtungen der proletarischen Demokratie (Gewerkschaften und politische Parteien), sondern auch mit der parlamentarischen Demokratie, in deren Rahmen die Arbeiterorganisationen entstanden sind. Daher der Feldzug gegen den «Marxismus» einerseits, gegen den demokratischen Parlamentarismus andererseits.

Wie aber die Spitzen der liberalen Bourgeoisie seinerzeit außerstande waren, durch eigene Kraft mit Monarchie, Feudalität und Kirche fertig zu werden, so sind die Magnaten des Finanzkapitals außerstande, einzig durch ihre eigene Kraft mit dem Proletariat fertig zu werden. Sie brauchen die Hilfe des Kleinbürgertums. Zu diesem Zwecke muss es aufgepeitscht, auf die Beine gebracht, mobilisiert, bewaffnet werden. Doch hat diese Methode ihre Gefahren. Während sie sich des Faschismus bedient, fürchtet die Bourgeoisie sich vor ihm. Piłsudski war im Mai 1926 gezwungen, die bürgerliche Gesellschaft durch einen gegen die herkömmlichen Parteien der polnischen Bourgeoisie gerichteten Staatsstreich zu retten. Die Sache geriet so weit, dass der offizielle Führer der polnischen Kommunistischen Partei, Warski, der von Rosa Luxemburg nicht zu Lenin, sondern zu Stalin übergegangen war, Piłsudskis Umsturz für den Weg zur «revolutionär-demokratischen Diktatur» nahm und die Arbeiter zur Unterstützung Piłsudskis aufrief.

In der Sitzung der polnischen Kommission des Exekutivkomitees der Komintern am 2. Juli 1926 sagte der Verfasser dieser Zeilen anlässlich der Ereignisse in Polen:

«In seiner Gesamtheit gesehen ist Piłsudskis Umsturz die kleinbürgerliche, «plebejische» Art der Lösung der unaufschiebbaren Aufgaben der in Zersetzung und Niedergang befindlichen bürgerlichen Gesellschaft. Hier besteht bereits eine direkte Annäherung an den italienischen Faschismus.

Beide Strömungen haben unzweifelhaft gemeinsame Züge: ihre Stoßtruppen rekrutieren sich vor allem aus dem Kleinbürgertum; Piłsudski wie Mussolini arbeiteten mit außerparlamentarischen, offen gewalttätigen Mitteln, mit den Methoden des Bürgerkrieges; beide waren bemüht, nicht um den Sturz, sondern um die Rettung der bürgerlichen Gesellschaft. Während sie das Kleinbürgertum auf die Beine gebracht hatten, vereinigten sie sich, nach der Machteroberung offen mit der Großbourgeoisie;. Hier drängt sich unwillkürlich eine geschichtliche Verallgemeinerung auf, bei der man an die von Marx gegebene Einschätzung des Jakobinertums als der plebejischen Art des Gerichtes über die feudalen Feinde der Bourgeoisie erinnert wird … Das war in der Aufstiegsepoche der Bourgeoisie. Jetzt muss man sagen, dass in der Niedergangsepoche der bürgerlichen Gesellschaft! die Bourgeoisie wieder einer «plebejischen» Art der Lösung ihrer nun nicht mehr progressiven, sondern durch und durch reaktionären Aufgaben bedarf. In diesem Sinne beinhaltet der Faschismus eine reaktionäre Karikatur auf das Jakobinertum

Die untergehende Bourgeoisie ist unfähig, sich mit den Methoden und Mitteln des von ihr selbst geschaffenen parlamentarischen Staates an der Macht zu halten. Sie braucht den Faschismus als Waffe der Selbstverteidigung, zumindest in den kritischsten Augenblicken. Doch liebt die Bourgeoisie nicht die «plebejische» Art der Lösung ihrer Aufgaben. Sie war dem Jakobinertum durchweg feindlich gegenübergestanden, das mit Blut den Entwicklungsweg der bürgerlichen Gesellschaft gesäubert hatte. Die Faschisten sind der Verfallsbourgeoisie unermesslich näher, als die Jakobiner der aufsteigenden. Doch die solide Bourgeoisie sieht auch die faschistische Art der Lösung ihrer Aufgaben nicht gerne, denn die Erschütterungen, obwohl sie im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft liegen, sind für sie mit Gefahren verbunden. Daher der Gegensatz zwischen dem Faschismus und den herkömmlichen bürgerlichen Parteien

Die Großbourgeoisie liebt den Faschismus ebenso wenig wie ein Mensch mit kranken Kiefern das Zahnziehen. Die gesetzten Kreise der bürgerlichen Gesellschaft verfolgten mit Widerwillen das Werk des Zahnarztes Piłsudski, letzten Endes aber fügten sie sich in das Unvermeidliche, wenn auch mit Drohungen, mit Gehandel und Gefeilsche. So verwandelt sich der gestrige Abgott des Kleinbürgertums in den Gendarm des Kapitals.»

Diesem Versuche, den historischen Platz des Faschismus als politische Ablösung der Sozialdemokratie zu bezeichnen, wurde die Theorie des «Sozialfaschismus» gegenüber gestellt. Anfangs konnte sie als anmaßende, marktschreierische, aber harmlose Dummheit erscheinen. Die weiteren Ereignisse zeigten, welch verderblichen Einfluss die Stalinsche Theorie auf die gesamte Entwicklung der Kommunistischen Internationale ausübte.*

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Ergibt sich aus der historischen Rolle von Jakobinertum, Demokratie und Faschismus, dass das Kleinbürgertum verdammt ist, bis ans Ende seiner Tage ein Werkzeug in den Händen des Kapitals zu bleiben? Stünden die Dinge so, die Diktatur des Proletariats wäre unmöglich in einer Reihe von Ländern, wo das Kleinbürgertum die Mehrheit der Nation bildet, und äußerst erschwert in anderen Ländern, wo das Kleinbürgertum eine bedeutende Minderheit darstellt. Zum Glück stehen die Dinge nicht so. Schon die Erfahrung der Pariser Kommune hat zumindest in den Grenzen einer Stadt gezeigt, sowie nach ihr die Erfahrung der Oktoberrevolution in unvergleichlich größerem Raum- und Zeitausmaße, dass der Bund von Groß- und Kleinbourgeoisie nicht unzertrennlich ist. Ist das Kleinbürgertum unfähig zu selbständiger Politik (weshalb sich insbesondere auch die kleinbürgerliche «demokratische Diktatur» nicht verwirklichen lässt), so bleibt ihm nur die Wahl zwischen Bourgeoisie und Proletariat.

In der Epoche von Aufstieg, Wachstum und Blüte des Kapitalismus ging das Kleinbürgertum trotz scharfer Ausbrüche der Unzufriedenheit im Großen und Ganzen gehorsam im kapitalistischen Gespann. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Doch unter den Bedingungen der kapitalistischen Fäulnis und wirtschaftlichen Ausweglosigkeit strebt, sucht, probiert die Kleinbourgeoisie, sich den Fesseln der alten Herren und Gebieter der Gesellschaft zu entwinden, Sie ist durchaus fähig, ihr Schicksal mit dem des Proletariats zu verknüpfen. Hierzu ist nur eines erforderlich: das Kleinbürgertum muss den Glauben gewinnen an die Fähigkeit des Proletariats, die Gesellschaft auf eine neue Bahn hinauszuführen. Ihm diesen Glauben einzuflößen, vermag das Proletariat nur durch seine Kraft, durch die Sicherheit seiner Handlungen, durch geschickten Angriff auf die Feinde, durch die Erfolge seiner revolutionären Politik.

Doch wehe, wenn die revolutionäre Partei sich nicht auf der Höhe der Lage erweist! Der Alltagskampf verschärft die Unbeständigkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Streiks und politische Unruhen verschlechtern die Wirtschaftslage des Landes. Das Kleinbürgertum wäre bereit, sich vorübergehend mit den wachsenden Entbehrungen abzufinden, wenn es durch die Erfahrung zur Überzeugung käme, dass das Proletariat imstande ist, es auf eine neue Bahn hinauszuführen. Erweist sich aber die revolutionäre Partei trotz des ununterbrochen zunehmenden Klassenkampfs immer wieder von neuem unfähig, die Arbeiterklasse um sich zu scharen, schwankt sie, ist sie verwirrt, widerspricht sie sich selbst, dann verliert das Kleinbürgertum die Geduld und beginnt in den revolutionären Arbeitern die Urheber seines eigenen Elends zu sehen. Nach dieser Seite hin stoßen seinen Gedanken alle bürgerlichen Parteien, darunter auch die Sozialdemokratie. Beginnt nun die soziale Krise unerträgliche Schärfe anzunehmen, so tritt eine besondere Partei auf, deren direktes Ziel es ist, das Kleinbürgertum bis zur Weißglut zu bringen und dessen Hass und Verzweiflung gegen das Proletariat zu richten. Diese historische Rolle erfüllt in Deutschland der Nationalsozialismus, eine breite Strömung, deren Ideologie sich aus allen Fäulnisausdünstungen der verfallenden bürgerlichen Gesellschaft zusammensetzt.

Die politische Hauptverantwortung für das Wachstum des Faschismus liegt selbstverständlich bei der Sozialdemokratie. Seit dem imperialistischen Krieg läuft die Arbeit dieser Partei darauf hinaus, die Idee einer selbständigen Politik aus dem Bewusstsein des Proletariats zu vertreiben, ihm den Glauben an die Ewigkeit des Kapitalismus einzugeben und es jedes Mal vor der verfallenden Bourgeoisie auf die Knie zu zwingen. Das Kleinbürgertum kann dem Arbeiter folgen, wenn es in ihm den neuen Herren erblickt. Die Sozialdemokratie lehrt den Arbeiter, Lakai zu sein. Einem Lakaien wird das Kleinbürgertum nicht folgen. Die Politik des Reformismus nimmt dem Proletariat die Möglichkeit, die plebejischen Massen des Kleinbürgertums zu führen, und verwandelt diese schon damit allein in Kanonenfutter des Faschismus.

Politisch ist aber die Frage für uns durchaus nicht mit der Verantwortung der Sozialdemokratie entschieden. Seit Kriegsbeginn haben wir diese Partei für eine Agentur der imperialistischen Bourgeoisie im Proletariat erklärt. Aus dieser Neuorientierung der revolutionären Marxisten erwuchs die Dritte Internationale, deren Aufgabe darin bestand, das Proletariat unter dem Banner der Revolution zu vereinigen und ihm dadurch die Möglichkeit des führenden Einflusses auf die unterdrückten Massen des Kleinbürgertums in Stadt und Land zu sichern.

Die Nachkriegsperiode war in Deutschland mehr als sonstwo eine Zeit der wirtschaftlichen Ausweglosigkeit und des Bürgerkrieges. Internationale wie innere Bedingungen stießen das Land gleich gebieterisch auf den Weg des Sozialismus. Jeder Schritt der Sozialdemokratie entblößte ihre Verkommenheit und Ohnmacht, das reaktionäre Wesen ihrer Politik, die Käuflichkeit ihrer Führer. Welche Bedingungen sind denn noch nötig für die Entfaltung der Kommunistischen Partei? Indes ist der deutsche Kommunismus nach den ersten Jahren bedeutender Erfolge in eine Ära von Schwankungen, Zickzacks, wechselndem Opportunismus und Abenteurertum eingetreten. Die zentristische Bürokratie hat die proletarische Vorhut systematisch geschwächt und es ihr verwehrt, die Klasse hinter sich herzuführen. Damit hat sie dem Proletariat als Ganzem die Möglichkeit geraubt, die unterdrückten Massen des Kleinbürgertums hinter sich herzuführen. Die direkte und unmittelbare Verantwortung für das Wachstum des Faschismus trägt vor der proletarischen Vorhut die Stalinsche Bürokratie.

III. Bündnis oder Kampf zwischen Sozialdemokratie und Faschismus?

Die Wechselbeziehungen der Klassen in Gestalt eines ein für allemal abgeschlossenen Schemas zu begreifen, ist verhältnismäßig einfach. Unermesslich schwieriger ist die Bewertung der konkreten Beziehungen der Klassen in jeder gegebenen Lage.

Die deutsche Großbourgeoisie schwankt gegenwärtig, – ein Zustand, den die Großbourgeoisie im Allgemeinen selten erlebt. Der eine Teil ist endgültig zur Überzeugung von der Unvermeidlichkeit des faschistischen Weges gelangt und möchte die Operation beschleunigen. Der andere Teil hofft, die Lage mit Hilfe der bonapartistischen, militärisch-polizeilichen Diktatur meistern zu können. Eine Rückkehr zur Weimarer «Demokratie» wünscht in diesem Lager niemand.

Das Kleinbürgertum ist zerspalten. Der Nationalsozialismus, der die erdrückende Mehrheit der Zwischenklassen unter seiner Flagge vereinigt hat, will die ganze Macht in seine Hände nehmen. Der demokratische Flügel des Kleinbürgertums, der noch immer Millionen Arbeiter hinter sich führt, wünscht die Rückkehr zur Demokratie Ebertschen Musters. Einstweilen ist er bereit, die bonapartistische Diktatur zumindest passiv zu stützen. Die Sozialdemokratie rechnet folgendermaßen: Unter dem Druck der Nazis wird die Papen-Schleicher-Regierung gezwungen sein, durch Verstärkung ihres linken Flügels ein Gleichgewicht herzustellen; unterdessen wird vielleicht eine Milderung der Krise erfolgen; im Kleinbürgertum vielleicht «Ernüchterung» eintreten; das Kapital wird vielleicht seinen rasenden Druck gegen die Arbeiterschaft mindern, – und so mit Gottes Hilfe alles wieder in Ordnung kommen.

Die bonapartistische Clique wünscht tatsächlich nicht den vollständigen Sieg des Faschismus. Sie wäre durchaus nicht abgeneigt, in gewissen Grenzen die Unterstützung der Sozialdemokratie auszunützen. Zu diesem Zwecke müsste sie aber die Arbeiterorganisationen «tolerieren», was nur in dem Falle zu verwirklichen wäre, wenn man wenigstens bis zu einem gewissen Grade das legale Bestehen der Kommunistischen Partei zuließe. Überdies würde die Unterstützung der Militärdiktatur durch die Sozialdemokratie die Arbeiter unweigerlich in die Reihen des Kommunismus stoßen. Eine Stütze gegen den braunen Teufel suchend, würde die Regierung bald unter die Schläge des roten Beelzebuben geraten.

Die offizielle kommunistische Presse erklärt, die Tolerierung Brünings durch die Sozialdemokratie habe Papen den Weg gebahnt und die Halbtolerierung Papens werde die Ankunft Hitlers beschleunigen. Das ist vollständig richtig. In diesen Grenzen gibt es zwischen uns und den Stalinisten keine Meinungsverschiedenheiten. Aber gerade dies bedeutet, dass sich in Zeiten der sozialen Krise die Politik des Reformismus nicht mehr gegen die Massen allein, sondern auch gegen ihn selbst richtet. In diesem Prozess ist gegenwärtig der kritische Moment eingetreten.

Hitler toleriert Schleicher. Die Sozialdemokratie widersetzt sich Papen nicht. Ließe sich diese Lage wirklich für lange Zeit sichern, so würde sich die Sozialdemokratie in den linken Flügel des Bonapartismus verwandeln und dem Faschismus die Rolle des rechten Flügels überlassen. Theoretisch ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass die jetzige beispiellos dastehende Krise des deutschen Kapitalismus zu keiner entscheidenden Lösung führt, d.h. weder mit dem Siege des Proletariats endet, noch mit dem Triumphe der faschistischen Konterrevolution. Wenn die Kommunistische Partei ihre Politik des stumpfsinnigen Ultimatismus fortsetzt und so die Sozialdemokratie vor dem unvermeidlichen Zerfall rettet; wenn sich Hitler in der nächsten Zeit nicht zum Umsturz entschließt und damit die unausbleibliche Zersetzung der eigenen Reihen hervorruft; wenn die Wirtschaftskonjunktur aufwärts geht, ehe Schleicher fällt, – dann könnte die bonapartistische Kombination des Paragraphen 48 der Weimarer Verfassung, der Reichswehr, der halb oppositionellen Sozialdemokratie und des halb oppositionellen Faschismus sich vielleicht halten (bis zu einem neuen sozialen Anstoß, der jedenfalls bald zu erwarten wäre).

Doch bis zu solch einer glücklichen Fügung der Bedingungen, die den Gegenstand der sozialdemokratischen Träumereien bildet, ist es vorderhand noch weit. Sie ist durchaus nicht gesichert. An die Widerstandsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des Papen-Schleicher-Regimes glauben auch die Stalinisten kaum. Alles spricht dafür, dass das Dreieck Wels-Schleicher-Hitler auseinanderfiele, ehe es sich noch recht herausgebildet hätte. –

Vielleicht aber würde es durch die Kombination Hitler-Wels ersetzt werden? Nach Stalin sind sie «Zwillinge und nicht Antipoden». Nehmen wir an, die Sozialdemokratie würde, ohne sich vor den eigenen Arbeitern zu scheuen, Hitler ihre Tolerierung verkaufen wollen. Allein, der Faschismus braucht diese Ware nicht: er braucht nicht Tolerierung, sondern die Abschaffung der Sozialdemokratie. Die Hitlerregierung kann ihre Aufgabe nur verwirklichen, wenn sie den Widerstand des Proletariats gebrochen und alle möglichen Organe eines solchen Widerstandes beseitigt hat. Darin besteht die geschichtliche Rolle des Faschismus.

Die Stalinisten beschränken sich auf eine rein psychologische, genauer gesagt, moralische Einschätzung jener feigen und habsüchtigen Kleinbürger, die die Sozialdemokratie leiten. Könne man denn wirklich annehmen, diese geeichten Verräter würden sich von der Bourgeoisie trennen und ihr entgegentreten? Eine solche idealistische Methode hat wenig mit Marxismus gemein, der nicht davon ausgeht, was die Menschen über sich denken und was sie wünschen, sondern vor allem davon, in welche Bedingungen sie gestellt sind und wie sich diese Bedingungen verändern werden.

Die Sozialdemokratie unterstützt das bürgerliche Regime nicht wegen der Gewinne der Kohlen-, Stahl- und anderen Magnaten, sondern um jener Gewinne willen, die sie selbst als Partei in Person ihres vielzähligen und mächtigen Apparates bezieht. Gewiss, der Faschismus bedroht in keiner Weise das bürgerliche Regime, zu dessen Verteidigung die Sozialdemokratie besteht. Aber der Faschismus gefährdet jene Rolle, die die Sozialdemokratie im bürgerlichen Regime erfüllt, und die Einkünfte, die die Sozialdemokratie für diese ihre Rolle bezieht. Wenn die Stalinisten diese Seite der Sache vergessen, so verliert die Sozialdemokratie selbst nicht eine Minute jene Todesgefahr aus dem Auge, welche ihr, – nicht der Bourgeoisie, gerade ihr, der Sozialdemokratie, – mit dem Siege des Faschismus droht.

Als wir vor ungefähr drei Jahren darauf verwiesen, dass den Ausgangspunkt der kommenden politischen Krise in Österreich und in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach die Unvereinbarkeit zwischen Sozialdemokratie und Faschismus bilden werde, als wir darauf gestützt die Theorie des «Sozialfaschismus» verwarfen, die den nahenden Konflikt nicht aufdeckte, sondern vertuschte; als wir auf die Möglichkeit aufmerksam machten, dass die Sozialdemokratie, darunter auch ein bedeutender Teil ihres Apparates, durch den Gang der Ereignisse in einen Kampf mit dem Faschismus hineingezogen werde und dies für die Kommunistische Partei einen günstigen Ausgangspunkt für den weiteren Angriff ergeben werde, beschuldigten uns sehr viele Kommunisten, – nicht nur gemietete Beamte, sondern auch ganz ehrliche Revolutionäre, – der … «Idealisierung» der Sozialdemokratie. Es blieb nichts übrig, als mit den Achseln zu zucken. Schwer ist es mit Leuten zu streiten, deren Gedanke dort Halt macht, wo für den Marxisten die Frage erst beginnt.

In Gesprächen brachte ich manchmal folgendes Beispiel: Die jüdische Bourgeoisie des zaristischen Russlands stellte einen äußerst erschrockenen und demoralisierten Teil der gesamten russischen Bourgeoisie dar. Und dennoch, soweit die Schwarzhundert-Pogrome, die sich hauptsächlich gegen die jüdische Armut richteten, auch die Bourgeoisie trafen, war diese gezwungen, zur Selbstverteidigung zu greifen. Gewiss, sie bewies auch auf diesem Gebiete keine bemerkenswerte Tapferkeit. Doch angesichts der über ihren Köpfen hängenden Gefahr sammelten die liberalen jüdischen Bourgeois zum Beispiel beträchtliche Summen für die Bewaffnung revolutionärer Arbeiter und Studenten. Auf diese Weise kam eine zeitweilige praktische Verständigung zustande zwischen den revolutionärsten Arbeitern, die bereit waren, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen, und der erschrockensten Bourgeoisgruppe, die ins Gedränge geraten war.

Im vorigen Jahre schrieb ich, dass die Kommunisten im Kampfe mit dem Faschismus verpflichtet seien, ein praktisches Abkommen nicht nur mit dem Teufel und dessen Großmutter zu treffen, sondern sogar mit Grzesinski. Dieser Satz ging durch die gesamte stalinistische Weltpresse: gäbe es einen besseren Beweis für den «Sozialfaschismus» der Linken Opposition? Manche Genossen hatten mich im Voraus gewarnt: «Sie werden sich an diesen Satz klammern». Ich antwortete ihnen: «Er ist auch dazu geschrieben, dass sie sich an ihn klammern. Mögen sie sich nur ans heiße Eisen klammern und sich die Finger verbrennen. Dummköpfe müssen eine Lehre erhalten.»

Der Verlauf des Kampfes hat dazu geführt, dass von Papen Grzesinski mit dem Gefängnis bekannt machte. Ergab sich diese Episode aus der Theorie des Sozialfaschismus und aus den Voraussagen der Stalinschen Bürokratie? Nein, sie widersprach diesen vollständig. Unsere Einschätzung der Lage hatte indes eine solche Möglichkeit ins Auge gefasst und ihr einen bestimmten Platz zugewiesen.

Aber die Sozialdemokratie ist ja auch diesmal wieder dem Kampfe ausgewichen, wird ein Stalinist uns einwenden. Ja, sie ist ausgewichen. Wer erwartet hatte, die Sozialdemokratie werde, über Betreiben ihrer Führer, selbständig den Kampf aufnehmen, noch dazu unter Bedingungen, wo sich die Kommunistische Partei selbst als kampfunfähig erwies, der musste natürlich eine Enttäuschung erleben. Wir haben solche Wunder nicht erhofft. Deshalb können wir auch keiner «Enttäuschung» über die Sozialdemokratie ausgesetzt sein.

Grzesinski hat sich nicht in einen revolutionären Tiger verwandelt, das glauben wir gerne. Aber immerhin gibt es doch einen Unterschied zwischen der Lage, wo Grzesinski in seiner Festung sitzend Polizeiabteilungen zur Beschirmung der «Demokratie» gegen revolutionäre Arbeiter aussandte, und jener Lage, wo der bonapartistische Retter des Kapitalismus Herrn Grzesinski selbst in das Gefängnis setzte? Und müssen wir nicht diesem Unterschied politisch Rechnung tragen und ihn ausnützen?

Kehren wir zu dem oben angeführten Beispiel zurück: es ist nicht schwer, den Unterschied zu erfassen zwischen einem jüdischen Fabrikanten, der den zaristischen Schutzleuten für die Niederschlagung der Streikenden in seiner Fabrik ein Trinkgeld gibt, und dem gleichen Fabrikanten, der den gestrigen Streikenden Geld gibt für die Anschaffung von Waffen gegen Pogromisten. Der Bourgeois bleibt derselbe. Aber aus der Verschiedenheit der Lage ergibt sich eine Verschiedenheit des Verhaltens. Die Bolschewiki führten den Streik gegen den Fabrikanten. Später nahmen sie vom gleichen Fabrikanten Geld für den Kampf gegen Pogrome. Das hinderte natürlich die Arbeiter nicht, als die Stunde dazu gekommen war, ihre Waffen gegen die Bourgeoisie zu richten.

Bedeutet all das Gesagte, die Sozialdemokratie als Ganzes werde gegen den Faschismus kämpfen? Darauf antworten wir: ein Teil der sozialdemokratischen Beamten wird zweifellos zu den Faschisten überlaufen; ein beträchtlicher Teil wird sich in der Stunde der Gefahr unters Bett verkriechen. Auch die Arbeitermassen werden sich nicht in ihrer Gesamtheit schlagen. Im Voraus zu erraten, welcher Teil der sozialdemokratischen Arbeiter in den Kampf hineingezogen werden wird, und wann; welchen Teil des Apparates er mit sich reißen wird, ist vollkommen unmöglich. Das hängt von vielen Umständen ab, darunter auch von der Haltung der Kommunistischen Partei. Die Einheitsfrontpolitik hat zur Aufgabe, jene, die kämpfen wollen, abzusondern von denen, die es nicht wollen; jene vorwärts zu stoßen, die schwanken; schließlich, die kapitulantenhaften Führer in den Augen der Arbeiter zu kompromittieren und so die Kampffähigkeit der Arbeiter zu stärken.

Wie viel Zeit hat man versäumt – zwecklos, sinnlos, schändlich! Wie viel wäre zu erreichen gewesen, selbst nur in den letzten zwei Jahren! War es doch von vornherein völlig klar, dass das Monopolkapital und seine faschistische Armee die Sozialdemokratie mit Fäusten und Knüppeln auf den Weg der Opposition und der Selbstverteidigung treiben wird. Man hätte diese Voraussicht vor dem Angesicht der gesamten Arbeiterklasse ausbreiten müssen, die Initiative der Einheitsfront auf sich nehmen und diese Initiative bei jeder neuen Etappe fest in Händen halten müssen. Man hätte weder schreien noch kreischen müssen. Hätte ruhig offenes Spiel führen können. Es hätte genügt, klipp und klar die Unvermeidlichkeit jedes der nächstfolgenden Schritte des Feindes zu formulieren und ein praktisches Programm der Einheitsfront, ohne Übertreibungen und Gefeilsche, aber auch ohne Schwäche und Nachgiebigkeit aufzustellen. Wie hoch stünde jetzt die Kommunistische Partei da, hätte sie sich das ABC der leninistischen Politik angeeignet und es mit notwendiger Ausdauer angewandt!

IV. 21 Fehler Thälmanns

Mitte Juli erschien eine Broschüre mit Antworten Thälmanns auf 21 Fragen sozialdemokratischer Arbeiter darüber, wie man die «Rote Einheitsfront» schaffe. Die Broschüre beginnt mit den Worten: «Machtvoll stürmt die Antifaschistische Einheitsfront vorwärts!» Am 20. Juli rief die Kommunistische Partei die Arbeiter zum politischen Streik auf. Der Appell fand keinerlei Widerhall. So offenbarte sich innerhalb fünf Tagen der tragische Abgrund zwischen bürokratischer Schönrednerei und politischer Wirklichkeit.

Die Partei hat bei den Wahlen vom 31. Juli 5,3 Millionen Stimmen erhalten. Indem sie dieses Ergebnis als gewaltigen Sieg ausposaunte, bewies die Partei, wie sehr die Niederlage ihre Ansprüche und Hoffnungen herabgesetzt hat. Im ersten Wahlgang zu den Präsidentenwahlen, am 13. März, erhielt die Partei fast 5 Millionen Stimmen. Im Laufe von viereinhalb Monaten – und welcher Monate! – hat sie somit keine dreihunderttausend Stimmen gewonnen. Die kommunistische Presse wiederholte im März hunderte Male, die Stimmenzahl wäre unvergleichlich größer gewesen, würde es sich um Reichstagswahlen gehandelt haben: bei den Präsidentenwahlen hielten es Hunderttausende von Sympathisierenden für überflüssig, wegen einer «platonischen» Demonstration Zeit zu verlieren. Zieht man diesen Märzkommentar in Betracht – und er verdient, in Betracht gezogen zu werden –, so ergibt sich, dass die Partei in den letzten viereinhalb Monaten fast überhaupt nicht gewachsen ist.

Im April hat die Sozialdemokratie Hindenburg gewählt, der hierauf einen unmittelbar gegen sie gerichteten Staatsstreich vollzog. Man sollte meinen, diese Tatsache allein hätte genügen müssen, das Gebäude des Reformismus bis in die Grundfesten zu erschüttern. Hierzu kommt die weitere Verschärfung der Krise mit all ihren furchtbaren Folgen. Endlich hat am 20. Juli, elf Tage vor den Wahlen, die Sozialdemokratie kläglich den Schwanz eingezogen vor dem Staatsstreich des von ihr gewählten Reichspräsidenten. In solchen Perioden wachsen revolutionäre Parteien fieberhaft. Was immer die in Stahlklammern gezwängte Sozialdemokratie unternehmen mag, sie muss die Arbeiter von sich Weg nach links stoßen. Statt aber mit Siebenmeilenstiefeln vorwärtszuschreiten, tritt der Kommunismus auf der Stelle, schwankt er, ist auf dem Rückzug, und nach jedem Schritt vorwärts macht er einen halben Schritt zurück. Über einen Sieg zu schreien, nur weil die Kommunistische Partei am 31. Juli keine Stimmen eingebüßt hat, heißt endgültig den Sinn für die Wirklichkeit verlieren.

Um zu begreifen, warum und wieso sich die revolutionäre Partei bei ausnehmend günstigen politischen Bedingungen selbst zu erniedrigender Ohnmacht verurteilt, muss man Thälmanns Antworten an die sozialdemokratischen Arbeiter lesen. Eine langweilige und unangenehme Aufgabe, aber sie kann darüber aufklären, was in den Köpfen der Stalinschen Führer vorgeht.

Auf die Frage: «Wie schätzen die Kommunisten den Charakter der Papenregierung ein?», gibt Thälmann mehrere, einander widersprechende Antworten. Er beginnt mit dem Hinweis auf «die Gefahr der unmittelbaren Aufrichtung der faschistischen Diktatur». Folglich besteht diese noch nicht? Er spricht vollkommen zutreffend von den Regierungsmitgliedern als «Vertretern des Trustkapitals, der Generalität und des Junkertums». Eine Minute darauf sagt er über die gleiche Regierung: «dieses faschistische Kabinett» und schließt seine Antwort mit der Behauptung, dass «die Papenregierung … sich die unmittelbare Aufrichtung der faschistischen Diktatur zum Ziele gesetzt hat».

Indem er die sozialen und politischen Unterschiede zwischen Bonapartismus, d. h. dem auf militärisch-polizeilicher Diktatur fußenden Regime des «Burgfriedens», und Faschismus, d.h. dem Regime des offenen Bürgerkrieges gegen das Proletariat, außer Acht lässt, nimmt sich Thälmann im Voraus die Möglichkeit zu verstehen, was vor seinen Augen geschieht. Ist Papens Kabinett ein faschistisches Kabinett, von welcher faschistischen «Gefahr» ist dann die Rede? Wenn die Arbeiter Thälmann glauben werden, dass sich Papen die Aufrichtung der faschistischen Diktatur zum Ziele (!) setzt, so wird der wahrscheinliche Konflikt zwischen Hitler und Papen-Schleicher die Partei ebenso überrumpeln, wie seinerzeit der Konflikt zwischen Papen und Otto Braun.**

Auf die Frage «Meint die KPD die Einheitsfront ehrlich?» antwortet Thälmann natürlich bejahend und zum Beweis beruft er sich darauf, dass die Kommunisten keine Bittgänge zu Hindenburg und Papen unternehmen. «Nein, wir stellen die Frage des Kampfes, und zwar gegen das ganze System, gegen den Kapitalismus. Und hier liegt der Kernpunkt der Ehrlichkeit unserer Einheitsfront».

Thälmann begreift offenbar nicht, wovon die Rede ist. Die sozialdemokratischen Arbeiter bleiben gerade deshalb Sozialdemokraten, weil sie noch immer an den allmählichen, reformistischen Weg der Umwandlung des Kapitalismus in Sozialismus glauben. Da sie wissen, dass die Kommunisten für den revolutionären Sturz des Kapitalismus sind, fragen die sozialdemokratischen Arbeiter: Schlagt Ihr uns die Einheitsfront ehrlich vor? Darauf erwidert Thälmann: Natürlich ehrlich, denn für uns geht es darum, das ganze kapitalistische System zu stürzen.

Selbstverständlich denken wir nicht daran, vor den sozialdemokratischen Arbeitern etwas zu verbergen. Doch muss man immerhin das Maß der Dinge kennen und die politischen Proportionen wahren. Jeder gewandte Propagandist hätte folgendermaßen geantwortet: «Ihr setzt auf die Demokratie; wir glauben, dass der Ausweg allein in der Revolution liegt. Doch können und wollen wir die Revolution nicht ohne Euch machen. Hitler ist jetzt der gemeinsame Feind. Nach dem Siege über ihn werden wir mit Euch zusammen die Bilanz ziehen und sehen, wohin der weitere Weg tatsächlich führt.»

Die Zuhörer, so eigenartig dies auf den ersten Blick auch erscheinen mag, verhalten sich zum Redner nicht nur nachsichtig, sondern stimmten ihm auch manchmal bei. Das Geheimnis der Nachsichtigkeit beruht jedoch darauf, dass Thälmanns Gesprächspartner nicht nur der Antifaschistischen Aktion angehören, sondern auch zur Stimmenabgabe für die Kommunistische Partei auffordern. Es handelt sich um ehemalige Sozialdemokraten, die auf die Seite des Kommunismus übergegangen sind. Solche Rekruten kann man nur willkommen heißen. Doch das Trügerische des ganzen Unternehmens besteht darin, dass eine Aussprache mit Arbeitern, die mit der Sozialdemokratie gebrochen haben, als Aussprache mit der sozialdemokratischen Masse ausgegeben wird. Diese wohlfeile Maskerade ist äußerst bezeichnend für die gesamte gegenwärtige Politik der Thälmann & Co!

Wie dem auch sei, – die ehemaligen Sozialdemokraten stellen Fragen, die tatsächlich die sozialdemokratische Masse bewegen. «Ob die Antifaschistische Aktion ein kommunistischer Parteiladen ist» fragen sie. Thälmann antwortet: «Nein!» Der Beweis? Die Antifaschistische Aktion «ist keine Organisation, sondern eine Massenbewegung». Als wäre es nicht gerade die Aufgabe der Kommunistischen Partei, die Massenbewegung zu organisieren. Noch besser ist der zweite Beweisgrund: die Antifaschistische Aktion sei überparteilich, denn (!) sie richte sich gegen den kapitalistischen Staat: «Bereits Karl Marx hat bei der Behandlung der Lehren der Pariser Kommune mit aller Schärfe als Aufgabe der Arbeiterklasse die Frage der Zertrümmerung des bürgerlichen Staatsapparates in den Vordergrund gestellt». O unglückselige Zitate! Doch die Sozialdemokraten wollen ja, ungeachtet Marxens, den bürgerlichen Staat vervollkommnen, nicht aber ihn zertrümmern. Sie sind nicht Kommunisten, sondern Reformisten. Trotz seiner Absichten beweist Thälmann gerade das, was er widerlegen möchte, – den Parteicharakter der «Antifaschistischen Aktion».

Der offizielle Führer der Kommunistischen Partei begreift offenkundig weder die Lage noch die politische Denkweise des sozialdemokratischen Arbeiters. Er begreift nicht, wozu die Einheitsfront da ist. Mit jedem seiner Sätze liefert er den reformistischen Führern Waffen und treibt ihnen die sozialdemokratischen Arbeiter zu.

Die Unmöglichkeit jedweden gemeinsamen Schrittes mit der Sozialdemokratie weist Thälmann folgendermaßen nach: «Dabei müssen wir (?) klar erkennen, dass die Sozialdemokratie, selbst wenn sie heute eine Scheinopposition mimt, in keinem Moment ihre eigentlichen Koalitionsgedanken und ihr Paktieren mit der faschistischen Bourgeoisie aufgeben wird». Selbst wenn dies richtig wäre, bliebe nichtsdestoweniger die Aufgabe, dies den sozialdemokratischen Arbeitern durch die Erfahrung zu beweisen. Doch ist es auch im Wesen falsch. Wenn die sozialdemokratischen Führer auf Pakte mit der Bourgeoisie nicht verzichten wollen, so verzichtet indes die faschistische Bourgeoisie auf das Paktieren mit der Sozialdemokratie. Diese Tatsache aber kann entscheidend werden für das Geschick der Sozialdemokratie. Beim Übergang der Macht von Papen auf Hitler wird die Bourgeoisie die Sozialdemokratie in keiner Weise verschonen können. Der Bürgerkrieg hat seine Gesetze. Die Herrschaft des faschistischen Terrors wird nur die Abschaffung der Sozialdemokratie bedeuten können. Mussolini hat gerade damit begonnen, um desto ungebundener die revolutionären Arbeiter niederschlagen zu können. Jedenfalls ist dem «Sozialfaschisten» seine Haut teuer. Die kommunistische Einheitsfrontpolitik muss gegenwärtig von der Sorge der Sozialdemokratie um die eigene Haut ausgehen. Das wird die realistischste und zugleich die in ihren Folgen revolutionärste Politik sein.

Wenn sich aber die Sozialdemokratie «in keinem Moment» von der faschistischen Bourgeoisie trennen wird (obwohl sich Matteoti von Mussolini «getrennt» hat), müssen die sozialdemokratischen Arbeiter, die an der Antifaschistischen Aktion teilnehmen wollen, nicht aus ihrer Partei austreten? So lautet eine Frage. Darauf erwidert Thälmann: «Es ist für uns Kommunisten selbstverständlich, dass sozialdemokratische oder Reichsbannerarbeiter an der Antifaschistischen Aktion teilnehmen können, ohne dass sie aus ihrer Partei auszutreten brauchen». Um sich frei von Sektierertum zu zeigen, fügt Thälmann hinzu: «Wenn ihr bloß in Millionen, in geschlossener Front hineinströmen würdet, wir würden es mit Freude begrüßen, selbst wenn über gewisse Fragen der Einschätzung der SPD nach unserer Meinung in euren Köpfen noch Unklarheit besteht». Goldene Worte! «Wir halten eure Partei für eine faschistische, ihr haltet sie für demokratisch, aber streiten wir nicht über Kleinigkeiten! Es genügt, wenn ihr «in Millionen» zu uns kommt, ohne eure faschistische Partei zu verlassen». «Unklarheit über gewisse Fragen» kann kein Hindernis bilden. Aber ach, die Unklarheit in den Köpfen der allmächtigen Bürokraten hindert auf Schritt und Tritt.

Zur Vertiefung der Frage setzt Thälmann hinzu: «Wir stellen die Frage nicht von Partei zu Partei, sondern, klassenmäßig». Gleich Seydewitz ist Thälmann bereit, auf das Parteiinteresse im Interesse der Klasse zu verzichten. Das Unglück besteht darin, dass es für einen Marxisten eine solche Gegenüberstellung gar nicht geben kann. Wäre ihr Programm nicht die wissenschaftliche Formulierung der Interessen der Arbeiterklasse, die Partei würde nicht einen Pfennig wert sein.

Allein, neben dem groben prinzipiellen Fehler enthalten Thälmanns Worte auch eine praktische Unsinnigkeit. Wie kann man die Frage nicht «von Partei zu Partei» stellen, wo doch das Wesen der Frage darin besteht? Millionen Arbeiter folgen der Sozialdemokratie. Andere Millionen – der Kommunistischen Partei. Auf die Frage der sozialdemokratischen Arbeiter: «Wie erzielen wir heute gemeinsame Aktionen zwischen Eurer und unserer Partei gegen den Faschismus?» antwortet Thälmann «klassenmäßig und nicht parteimäßig»: «Strömt in Millionen zu uns!». Ist das nicht klägliches Wortgepränge?

«Wir Kommunisten», fährt Thälmann fort, «wollen keine Einheit um jeden Preis». Wir können nicht im Interesse der Einheit mit der Sozialdemokratie «den Klasseninhalt unserer Politik verleugnen … und auf Streiks, Erwerbslosenkämpfe, auf Mieteraktionen und auf den revolutionären Massenschutz verzichten». Der Verständigung über bestimmte praktische Aktionen wird die unsinnige Einheit mit der Sozialdemokratie untergeschoben. Aus der Unerlässlichkeit des letzten revolutionären Sturmes von morgen wird die Unzulässigkeit in Einklang gebrachter Streik- oder Selbstschutzaktionen für heute abgeleitet. Wer Thälmanns Gedanken zusammenreimen könnte, würde eine Preisauszeichnung verdienen.

Die Zuhörer drängen: «Ist im Kampfe gegen die Papenregierung und gegen den Faschismus ein Bündnis der KPD und SPD möglich?», Thälmann erwähnt zwei, drei Tatsachen als Beweis, dass die Sozialdemokratie gegen den Faschismus nicht kämpft, und folgert: «Jeder (!!) SPD-Genosse wird uns recht geben (?), wenn wir sagen, dass ein Bündnis zwischen KPD und SPD auf Grund dieser Tatsachen und auch (!) aus prinzipiellen Gründen (!) unmöglich ist». Der Bürokrat setzt wieder als erwiesen voraus, was gerade bewiesen werden soll. Der Ultimatismus erfährt besonders lächerlichen Charakter, sobald Thälmann auf die Frage nach der Einheitsfront mit Organisationen, die Millionen Arbeiter umfassen, antwortet. Die Sozialdemokraten müssen eben anerkennen, dass eine Verständigung mit ihrer Partei unmöglich ist, denn diese ist faschistisch. Kann man Wels und Leipart einen besseren Dienst erweisen?

«Wir Kommunisten, die wir mit den SPD-Führern jede Gemeinschaft ablehnen … erklären immer wieder, dass mit den kampfgewillten sozialdemokratischen und Reichsbannergenossen und mit den unteren (?) kampfgewillten Organisationen wir jederzeit bereit sind zum antifaschistischen Kampf». Wo enden die unteren Organisationen? Und was tun, wenn die Unteren sich der Disziplin der Oberen fügen und vorschlagen, mit den Verhandlungen bei diesen zu beginnen? Schließlich gibt es zwischen unteren und oberen auch Zwischenstockwerke. Kann man denn im Voraus sagen, wo die Scheidelinie verlaufen wird zwischen jenen, die kämpfen wollen, und jenen, die dem Kampfe ausweichen? Das lässt sich nur durch die Tat bestimmen und nicht durch voraus greifende Bewertungen. Welchen Sinn hat es, sich selbst an Händen und Füßen zu binden?

In der «Roten Fahne» vom 29. Juli werden in einem Bericht über Reichsbannerversammlungen die beachtenswerten Worte eines sozialdemokratischen Abteilungsleiters erwähnt: «Der Wille zu einer antifaschistischen Einheitsfront ist in den Massen vorhanden. Wenn ihm von den Führern nicht Rechnung getragen wird, so werde ich über sie hinweg zur Einheitsfront gehen». Das kommunistische Blatt bringt diese Worte ohne Kommentar. Indes enthalten sie den Schlüssel zur ganzen Einheitsfronttaktik. Der Sozialdemokrat will gemeinsam mit den Kommunisten gegen die Faschisten kämpfen. Er zweifelt bereits an dem guten Willen seiner Führer. Wenn die Führer ablehnen, sagt er, so werde ich über sie hinweggehen. So gestimmte Sozialdemokraten gibt es zu Dutzenden, Hunderten, Tausenden, Millionen. Aufgabe der Kommunistischen Partei ist, ihnen wirklich zu beweisen, ob die sozialdemokratischen Führer kämpfen wollen oder nicht. Beweisen lässt sich dies allein durch die Erfahrung, durch eine neue frische Erfahrung, in einer neuen Lage. Diese Erfahrung wird nicht einmalig sein können. Man muss die sozialdemokratischen Führer einer Prüfung unterziehen: in Betrieb und Werkstatt, in Stadt und Land, im ganzen Staate, heute und morgen. Man muss seinen Vorschlag wiederholen, ihn in neuer Form stellen, unter neuen Gesichtspunkten, der neuen Lage angepasst.

Aber Thälmann will nicht. Auf Grund der «aufgezeigten prinzipiellen Unterschiede zwischen der KPD und der SPD lehnen wir Spitzenverhandlungen mit der SPD ab». Dieser erschütternde Beweisgrund wird von Thälmann mehrfach wiederholt. Gäbe es aber keine «prinzipiellen Gegensätze», dann gäbe es nicht zwei Parteien. Und gäbe es nicht zwei Parteien, stünde nicht die Frage der Einheitsfront. Thälmann will allzu viel beweisen. Weniger – wäre besser.

Bedeutete, fragen die Arbeiter, die Gründung der RGO «nicht eine Spaltung der organisierten Arbeiterschaft?» Nein, erwidert Thälmann, und zum Beweis führt er Engels' Brief aus dem Jahre 1895 gegen die ästhetisch-sentimentalen Philanthropen an. Wer steckt Thälmann so verräterisch Zitate zu? Die RGO sei im Geiste der Einheit und nicht der Spaltung geschaffen worden. Auch müsse ja der Arbeiter keineswegs seine Gewerkschaftsorganisation verlassen, um der RGO beizutreten. Im Gegenteil, es sei besser, wenn die RGO-Mitglieder in den Gewerkschaften blieben, um dort oppositionelle Arbeit zu verrichten. Thälmanns Worte mögen für Kommunisten überzeugend klingen, die sich den Kampf gegen die sozialdemokratische Führung zur Aufgabe gemacht haben. Doch als Antwort an sozialdemokratische Arbeiter, die um die Gewerkschaftseinheit besorgt sind, klingen Thälmanns Worte wie Hohn. Warum habt ihr unsere Gewerkschaften verlassen und euch gesondert organisiert? – fragen die sozialdemokratischen Arbeiter. Wenn ihr in unsere Sonderorganisationen eintreten wollt, um gegen die sozialdemokratische Führung zu kämpfen, so fordern wir von euch nicht, die Gewerkschaften zu verlassen, – antwortet ihnen Thälmann. Eine treffende Antwort: just auf des Nagels Kopf.

«Gibt es innerhalb der KPD Demokratie?» fragen die Arbeiter, auf ein anderes Thema übergehend. Thälmann antwortet bejahend. Und ob! Aber gleich fügt er unerwarteter Weise hinzu: «In der Legalität sowohl wie in der Illegalität, in der letzteren ganz besonders, muss die Partei vor Spitzeln, Provokateuren und Polizeiagenten auf der Hut sein.» Diese Einschaltung geschieht nicht zufällig. Die neuste, durch die Broschüre eines geheimnisvollen Büchner der Welt verkündete Doktrin rechtfertigt die Abwürgung der Demokratie mit den Interessen des Kampfes gegen Spione. Wer gegen die Selbstherrlichkeit der Stalinschen Bürokratie protestiert, der muss zumindest als verdächtig erklärt werden. Die Polizeiagenten und Provokateure aller Länder schwelgen in Begeisterung über diese Theorie. Sie werden lauter als alle gegen Oppositionelle hetzen: das kann die Aufmerksamkeit von ihnen selbst ablenken und ihnen ermöglichen, im Trüben zu fischen.

Das Gedeihen der Demokratie ist nach Thälmann auch dadurch erwiesen, dass «auf Weltkongressen und EKKI-Konferenzen die Probleme behandelt werden». Der Redner versäumt mitzuteilen, wann der letzte Weltkongress stattgefunden hat. Wir wollen daran erinnern: im Juli 1928, vor mehr als vier Jahren! Offenbar sind seither keine beachtenswerten Fragen aufgetaucht. Warum ruft, nebenbei gesagt, Thälmann selbst nicht einen außerordentlichen deutschen Parteitag ein, um die Fragen zu lösen, von denen das Schicksal des deutschen Proletariats abhängt? Wohl nicht aus Übermaß an Parteidemokratie ?

So folgt Seite auf Seite. Thälmann antwortet auf 21 Fragen. Jede Antwort – ein Fehler. In Summa – 21 Fehler, die kleinen und zweitrangigen nicht mitgerechnet. Und ihrer sind viele.

Thälmann erzählt, die Bolschewiki hätten mit den Menschewiki im Jahre 1903 gebrochen. In Wirklichkeit fand die Spaltung erst im Jahre 1912 statt. Aber auch sie vermochte nicht zu hindern, dass die Februarrevolution von 1917 in einem großen Teile des Landes vereinigte bolschewistische und menschewistische Organisationen antraf. Noch Anfang April trat Stalin für die Vereinigung der Bolschewiki mit der Partei Zeretellis ein – nicht Einheitsfront, sondern Parteiverschmelzung! Dem kam nur die Ankunft Lenins zuvor.

Thälmann sagt, die Bolschewiki hätten die Konstituierende Versammlung im Jahre 1917 auseinandergejagt. In Wirklichkeit geschah dies Anfang 1918. Mit der Geschichte der Russischen Revolution und der Bolschewistischen Partei ist Thälmann keineswegs vertraut.

Weitaus schlimmer ist es jedoch, dass er die Grundlagen der bolschewistischen Taktik nicht begreift. In seinen «theoretischen» Artikeln wagt er sogar, die Tatsache zu bestreiten, dass die Bolschewiki ein Abkommen mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow geschlossen haben. Als Beweis führt er von irgendjemand ihm zugeschobene Zitate an, die mit der Sache nichts zu tun haben. Er vergisst aber zu antworten auf die Fragen: Gab es während des Kornilowputsches im ganzen Lande Komitees der Volksverteidigung? Leiteten diese den Kampf gegen Kornilow? Gehörten diesen Komitees Vertreter der Bolschewiki, Menschewiki und Sozialrevolutionäre an? ja, ja, ja. Standen damals Menschewiki und Sozialrevolutionäre an der Macht? Verfolgten sie die Bolschewiki als Agenten des deutschen Generalstabes? Saßen tausende Bolschewiki in den Gefängnissen? Verbarg sich Lenin in der Illegalität? ja, ja, ja. Welche Zitate können diese geschichtlichen Tatsachen widerlegen?

Es bleibe Thälmann anheimgestellt, sich nach Belieben auf Manuilski, Losowski und Stalin selbst zu berufen (wenn dieser überhaupt den Mund auftut). Doch den Leninismus und die Geschichte der Oktoberrevolution möge er in Frieden lassen: das ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.

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Abschließend muss man noch eine Frage hervorheben, die für sich allein besteht: sie betrifft Versailles. Die sozialdemokratischen Arbeiter fragen, ob die Kommunistische Partei nicht dem Nationalsozialismus politische Zugeständnisse mache? Thälmann fährt in seiner Antwort fort, die Losung der «nationalen Befreiung» zu verteidigen und sie auf eine Ebene mit der Losung der sozialen Befreiung zu stellen. Die Reparationen – das, was jetzt von ihnen bleibt – sind für Thälmann genau so wichtig wie das Privateigentum an den. Produktionsmitteln. Diese Politik ist wie eigens dazu ersonnen, die Aufmerksamkeit der Arbeiter von Grundproblemen abzulenken, den Schlag gegen den Kapitalismus zu schwächen und sie zu zwingen, den Hauptfeind und Urheber des Elends jenseits der Grenzen zu suchen. Indessen ist jetzt mehr denn je «der Hauptfeind im eigenen Land!» Von Schleicher hat diesen Gedanken noch krasser ausgedrückt: vor allem, erklärte er am 26. Juli im Radio, muss man «mit dem inneren Schweinehund fertig werden»! Diese Soldatenformel ist sehr gut. Wir nehmen sie bereitwillig auf. Alle Kommunisten müssten sie sich fest zu Eigen machen. Während die Nazis die Aufmerksamkeit auf Versailles ablenken, müssen die revolutionären Arbeiter ihnen mit Schleichers Worten entgegnen: nein, vor allem muss man mit dem inneren Schweinehund fertig werden!

V. Die Überprüfung der Stalin-Thälmannschen Politik an deren eigener Erfahrung

Die Taktik findet ihre Nachprüfung in den kritischen und verantwortungsvollen Augenblicken. Die Stärke des Bolschewismus beruhte darauf, dass seine Losungen und Methoden ihre höchste Bestätigung dann erfuhren, sobald der Gang der Ereignisse kühne Entscheidungen erheischte. Was sind Grundsätze wert, von denen man sich lossagen muss, sobald nur die Lage ein ernstes Gepräge annimmt?

Die realistische Politik stützt sich auf die natürliche Entwicklung des Klassenkampfes. Die Sektiererpolitik versucht, dem Klassenkampf künstliche Regeln vorzuschreiben. Die revolutionäre Situation bedeutet höchste Zuspitzung des Klassenkampfes. Gerade deshalb übt die realistische Politik des Marxismus in der revolutionären Situation eine mächtige Anziehungskraft auf die Massen aus. Umgekehrt wird die Sektiererpolitik umso schwächer, je machtvoller der Schwung der Ereignisse. Die Blanquisten und Proudhonisten, von der Bewegung der Pariser Kommune überrascht, taten das Gegenteil dessen, was sie stets gepredigt hatten. Die Anarchisten waren wahrend der russischen Revolution genötigt, die Sowjets, d. h. die Organe der Macht, anzuerkennen. Und so weiter, ohne Ende.

Die Komintern stützt sich auf Massen, die in der Vergangenheit durch den Marxismus erobert und durch die Autorität der Oktoberrevolution zusammengeschweißt wurden. Allein, die Politik der gegenwärtig führenden Stalinschen Fraktion versucht, den Klassenkampf zu kommandieren, statt ihm politischen Ausdruck zu verleihen. Das ist der Wesenszug des Bürokratentums, und darin trifft es mit dem Sektierertum zusammen, von dem es sich durch andere Züge scharf unterscheidet. Dank dem starken Apparat, den materiellen Mitteln des Sowjetstaates und der Autorität der Oktoberrevolution vermag die stalinistische Bürokratie in verhältnismäßig ruhigen Zeiten der proletarischen Avantgarde lange hindurch künstliche Verhaltungsmaßregeln aufzuzwingen. Aber in dem Maße, wie sich der Klassenkampf zum Bürgerkrieg verdichtet, geraten die bürokratischen Vorschriften immer häufiger in Zusammenstoß mit der unerbittlichen Wirklichkeit. Vor scharfen Wendungen der Lage gerät die hochmütige und aufgeblasene Bürokratie leicht aus dem Konzept. Kann sie nicht kommandieren, so kapituliert sie. Die Politik des Thälmannschen Zentralkomitees der letzten Monate wird einst als Muster erbärmlichster und schmählichster Kopflosigkeit studiert werden.

Seit der «Dritten Periode» galt es als unantastbar, dass von Abkommen mit der Sozialdemokratie nicht die Rede sein könne. Es sei nicht nur unzulässig, die Initiative der Einheitsfront auf sich zu nehmen, wie der III. und IV. Weltkongress lehrte, – man müsse auch jeden von der Sozialdemokratie ausgehenden Vorschlag gemeinsamer Aktionen zurückweisen. Die reformistischen Führer seien «genügend entlarvt». Die vergangene Erfahrung sei ausreichend. Statt Politik zu machen, müsse man den Massen Geschichte erzählen. Sich mit Vorschlägen an die Reformisten zu wenden, hieße zugeben, sie seien fähig zu kämpfen. Das allein schon wäre Sozialfaschismus, usw. So tönte in den letzten 3-4 Jahren die ohrenbetäubende Melodie des ultralinken Leierkastens. Und siehe da: Im preußischen Landtag schlug die kommunistische Fraktion am 22. Juni unerwartet für alle und für sich selbst ein Abkommen mit der Sozialdemokratie und sogar mit dem Zentrum vor. Das Gleiche wiederholte sich in Hessen. Angesichts der Gefahr, das Landtagspräsidium könnte m die Hände der Nazi geraten, flogen alle geheiligten Grundsätze zum Teufel. Ist das nicht erstaunlich? Und ist das nicht erniedrigend?

Diese Bocksprünge zu erklären, ist aber nicht so schwer. Bekanntlich witzeln viele oberflächliche Liberale und Radikale ihr Leben lang über Religion und himmlische Mächte, um angesichts des Todes oder schwerer Krankheit den Geistlichen herbeizurufen. So auch in der Politik. Das Mark des Zentrismus ist der Opportunismus. Unter dem Einfluss äußerer Umstände (Tradition, Massendruck, politische Konkurrenz) ist der Zentrismus in gewissen Zeiten gezwungen, mit Radikalismus Staat zu machen. Dazu muss er sich selbst überwinden, seine politische Natur vergewaltigen. Indem er sich mit aller Kraft anspornt, gerät er nicht selten an die äußerste Grenze des formalen Radikalismus. Kaum aber schlägt die Stunde ernster Gefahr, bricht auch die wahre Natur des Zentrismus nach außen durch. In einer so empfindlichen Frage wie der Verteidigung der Sowjetunion baute die Stalinsche Bürokratie stets auf die bürgerlichen Pazifisten, englischen Gewerkschaftsbürokraten und französischen Radikalen viel mehr, als auf die revolutionäre Bewegung des Proletariats. Kaum rückte eine äußere Gefahr heran, so opferten die Stalinisten unverzüglich nicht nur ihre ultralinken Phrasen, sondern auch die Lebensinteressen der internationalen Revolution – im Namen der Freundschaft mit unsicheren und falschen «Freunden» aus der Gattung der Advokaten, Schriftsteller und einfachen Salonhelden. Einheitsfront von oben? Auf keinen Fall! Gleichzeitig aber angelt der Oberkommissar für zweideutige Angelegenheiten, Münzenberg genannt, nach den Rockschößen allerhand liberaler Schwätzer und radikaler Schmierfinken «für die Verteidigung der UdSSR».

Die stalinistische Bürokratie Deutschlands wie aller übrigen Länder, – ausgenommen der UdSSR – ist äußerst unzufrieden über die kompromittierende Führung Barbusses in Sachen des Antikriegskongresses. Auf diesem Gebiet würden Thälmann, Foster u.a. vorziehen, radikal zu sein. Doch in den eigenen nationalen Angelegenheiten verfährt jeder von ihnen nach dem gleichen Muster wie die Moskauer Behörde: beim Nahen einer ernsten Gefahr werfen sie den aufgeblasenen verfälschten Radikalismus von sich, um ihre wahre, d.h. opportunistische Natur zu entblößen.

War die Initiative der kommunistischen Landtagsfraktion an sich falsch und unzulässig? Wir glauben das nicht. Die Bolschewiki haben mehrfach den Menschewiki und Sozialrevolutionären im Jahre 1917 vorgeschlagen: «Nehmt die Macht, wir werden euch gegen die Bourgeoisie unterstützen, wenn sie Widerstand leisten sollte.» Kompromisse sind zulässig, unter gewissen Bedingungen – Pflicht. Die ganze Frage besteht darin, welchem Ziel der Kompromiss dienen soll; wie es sich den Massen darstellt; welches seine Grenzen sind. Den Kompromiss auf den Landtag oder den Reichstag zu beschränken, ein selbständiges Ziel darin zu sehen, ob ein Sozialdemokrat oder ein katholischer Demokrat anstelle eines Faschisten Präsident wird, heißt gänzlich in parlamentarischen Kretinismus verfallen. Völlig anders ist die Lage, wenn sich die Partei den systematischen und planmäßigen Kampf um die sozialdemokratischen Arbeiter auf Grundlage der Einheitsfrontpolitik zur Aufgabe macht. Ein parlamentarisches Abkommen gegen die faschistische Übermacht im Präsidium usw. würde in diesem Falle nur einen Bestandteil des außerparlamentarischen Kampfabkommens gegen den Faschismus bilden. Selbstverständlich würde die Kommunistische Partei vorziehen, die ganze Frage mit einem Schlag außerhalb des Parlaments zu lösen. Vorziehen allein genügt aber nicht, wo es an Kräften fehlt. Die sozialdemokratischen Arbeiter haben ihren Glauben an die magische Kraft der 31. Juli-Abstimmung bewiesen. Von dieser Tatsache muss man ausgehen. Die früheren Fehler der Kommunistischen Partei (Preußischer Volksentscheid usw.) haben den reformistischen Führern die Sabotage der Einheitsfront außerordentlich erleichtert. Ein technisches Parlamentsabkommen – oder sogar nur der Vorschlag zu solch einem Abkommen – muss die Kommunistische Partei von der Anklage befreien helfen, dass sie mit den Faschisten gegen die Sozialdemokratie zusammenarbeite. Das ist keine selbständige Aktion, sondern lediglich die Säuberung des Weges zu einem Kampfabkommen oder wenigstens zum Kampfe um ein Kampfabkommen der Massenorganisationen.

Der Unterschied der beiden Linien ist vollkommen offenkundig. Der gemeinsame Kampf mit den sozialdemokratischen Organisationen kann und muss bei seiner Entfaltung revolutionären Charakter annehmen. Die Möglichkeit der Annäherung an die sozialdemokratischen Massen kann und muss man unter gewissen Bedingungen sogar mit parlamentarischen Spitzenabkommen bezahlen. Aber für einen Bolschewik ist das eben nur Eintrittsgeld. Die Stalinsche Bürokratie handelt umgekehrt: sie lehnt nicht nur Kampfabkommen ab, noch ärger, sie zerschlägt böswillig jene Abkommen, die von unten entstehen. Gleichzeitig schlägt sie den sozialdemokratischen Abgeordneten eine parlamentarische Vereinbarung vor. Das bedeutet, dass sie in der Minute der Gefahr ihre eigene ultralinke Theorie und Praxis für untauglich erklärt, sie aber nicht durch die Politik des revolutionären Marxismus ersetzt, sondern durch eine prinzipienlose parlamentarische Kombination im Geiste des «kleineren Übels».

Man wird uns wohl sagen, die preußische und die hessische Episode sei ein Fehler der Abgeordneten gewesen und vom Zentralkomitee wieder gutgemacht. Erstens durfte ein prinzipiell so wichtiger Beschluss nicht ohne das Zentralkomitee getroffen werden: der Fehler fällt vollkommen auch auf dieses zurück; zweitens: wie ist zu erklären, dass die «stahlharte», «folgerichtige», «bolschewistische» Politik nach Monaten des Lärmens und Kreischens, der Polemik, des Geschmähes und der Ausschlüsse im kritischen Augenblick flugs einem opportunistischen «Fehler» Platz macht?

Aber die Sache beschränkt sich nicht auf den Landtag. Thälmann-Remmele haben sich in einer viel verantwortlicheren und kritischeren Frage schlechterdings von sich selbst und der eigenen Schule losgesagt. Am Abend des 20. Juli fasste das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei folgenden Beschluss:

«Die Kommunistische Partei richtet vor der proletarischen Öffentlichkeit an die SPD, an den ADGB und an den Afa-Bund die Frage, ob sie bereit sind, gemeinsam mit der Kommunistischen Partei den Generalstreik für die proletarischen Forderungen durchzuführen.»

Diesen so wichtigen und unerwarteten Beschluss veröffentlichte das Zentralkomitee in seinem Rundschreiben vom 26. Juli ohne jeglichen Kommentar. Kann man indes ein vernichtenderes Urteil über seine gesamte bisherige Politik fällen? Das Herantreten an die reformistischen Spitzen mit dem Vorschlag gemeinsamer Aktionen war erst am Tage zuvor für sozialfaschistisch und konterrevolutionär erklärt worden. Dieser Frage wegen hatte man Kommunisten ausgeschlossen. Auf dieser Grundlage den Kampf gegen den «Trotzkismus» geführt. Wie konnte sich denn dieses Zentralkomitee plötzlich, mit einem Male, am Abend des 20. Juli davor verneigen, was es noch tags zuvor verbannt hatte? Und auf welchen tragischen Stand hat die Bürokratie die Partei gebracht, wenn es das Zentralkomitee wagen durfte, mit seinem überraschenden Beschluss vor sie hinzutreten, ohne sich zu erklären oder zu rechtfertigen!

An solchen Wendungen wird die Politik überprüft. Das Zentralkomitee der deutschen Kommunistischen Partei hat in Wirklichkeit am Abend des 20. Juli der ganzen Welt dargetan: «Unser Kurs war bis zur Stunde zu nichts nutze». Ein zwar unfreiwilliges, aber völlig richtiges Geständnis. Zum Unglück konnte auch der Antrag vom 20. Juli, der die vorangegangene Politik umstieß, auf keinen Fall ein positives Ergebnis zeitigen. Ein Aufruf an die Spitzen – unabhängig von der heutigen Antwort dieser Spitzen – kann nur dann von revolutionärer Bedeutung werden, wenn er zuvor unten vorbereitet wurde, d. h. wenn er sich auf die ganze Politik in ihrer Gesamtheit stützt. Doch die Stalinsche Bürokratie wiederholte den sozialdemokratischen Arbeitern tagaus tagein: «Wir Kommunisten lehnen mit den SPD-Führern jede Gemeinschaft ab» (siehe «Antworten von Thälmann»). Der unvorbereitete, unerwartete, unmotivierte Antrag vom 20. Juli war nur dazu geeignet, die kommunistische Leitung bloßzustellen, indem er deren Inkonsequenz, Unernst, Neigung zu Panik und abenteuerlichen Sprüngen offenbarte.

Die Politik der zentristischen Bürokratie hilft auf Schritt und Tritt den Gegnern und Feinden. Selbst wenn der machtvolle Druck der Ereignisse ein neues Hunderttausend Arbeiter unter das kommunistische Banner treibt, geschieht dies nur der Stalin-Thälmannschen Politik zum Trotz. Gerade deshalb ist der morgige Tag der Partei durch nichts gesichert.

VI. Was sagt man in Prag über die Einheitsfront?

«Als im Jahre 1926 die Kommunistische Internationale mit den sozialdemokratischen Führern Einheitsfront machte», schrieb das Zentralorgan der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei, das «Rude Pravo», am 27. Februar d. J., angeblich im Namen eines Arbeiterkorrespondenten «von der Maschine», «tat sie es, um sie vor den Massen der Anhänger zu entlarven, und damals war Trotzki schrecklich dagegen. Nun, wo sich die Sozialdemokratie durch ihre zahllosen Verrätereien an den Arbeiterkämpfen so diskreditiert hat, schlägt Trotzki die Einheitsfront mit ihren Führern vor … Trotzki ist heute gegen das anglorussische Komitee von 1926, aber für irgendein «anglorussisches Komitee» von 1932.»

Diese Zeilen führen uns direkt an den Kern der Frage. Im Jahre 1926 suchte die Komintern die reformistischen Führer mit Hilfe der Einheitsfrontpolitik zu «entlarven», und das war richtig. Seither aber hat sich die Sozialdemokratie «diskreditiert». Vor wem? Es folgen ihr noch immer mehr Arbeiter, als der Kommunistischen Partei. Das ist traurig, aber wahr. Die Aufgabe, die reformistischen Führer zu entlarven, bleibt somit ungelöst. War die Methode der Einheitsfront im Jahre 1926 gut, warum soll sie 1932 schlecht sein?

«Trotzki ist für ein Anglorussisches Komitee von 1932, gegen das anglorussische Komitee von 1926.» Im Jahre 1926 war die Einheitsfront nur von oben geschlossen worden, zwischen den Führern der Sowjetgewerkschaften und den britischen Tradeunionisten, nicht im Namen bestimmter praktischer Aktionen der voneinander durch Staatsgrenzen und soziale Bedingungen getrennten Massen, sondern auf Grundlage einer freundschaftlich-diplomatischen, pazifistisch – ausweichenden «Plattform». Während des Bergarbeiter- und später des Generalstreiks konnte das anglorussische Komitee gar nicht zusammentreten, denn die «Verbündeten» zogen nach zwei entgegengesetzten Richtungen: die Sowjetgewerkschaften waren bestrebt, den Streikenden beizustehen, die britischen Tradeunionisten suchten den Streik zu brechen. Die von den russischen Arbeitern gesammelten, ansehnlichen Beträge wies der Generalrat als «verfluchtes Geld» zurück. Erst nachdem der Streik endgültig verraten und gebrochen war, traf sich das anglorussische Komitee wieder zum fälligen Bankett, um nichtssagende Phrasen auszutauschen. So diente die Politik des Anglorussischen Komitees dazu, die reformistischen Streikbrecher vor den Arbeitermassen zu decken.

Gegenwärtig sprechen wir von etwas ganz anderem. Im Deutschland stehen die sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter auf gleichem Boden, vor der gleichen Gefahr. Sie sind ineinander vermengt in Betrieben, Gewerkschaftsverbänden, auf den Stempelstellen usw. Es handelt sich hier nicht um eine Wort-«Plattform» der Führer, sondern um völlig konkrete Aufgaben, die die Massenorganisationen unmittelbar in den Kampf zu ziehen berufen sind.

Die Einheitsfrontpolitik im nationalen Maßstabe ist zehnmal schwerer als im lokalen. Die Einheitsfrontpolitik im internationalen Maßstabe hundertmal schwerer als im nationalen. Sich mit britischen Reformisten für eine so allgemeine Losung wie «Verteidigung der UdSSR» oder «Verteidigung der chinesischen Revolution» vereinigen, heißt das Blaue vom Himmel herunter reden. In Deutschland steht hingegen die unmittelbare Gefahr der Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen bevor, die sozialdemokratischen inbegriffen. Zu erwarten, die Sozialdemokratie werde für die Verteidigung der Sowjetunion vor der deutschen Bourgeoisie kämpfen, wäre eine Illusion. Man kann aber vollauf erwarten, dass die Sozialdemokratie für die Verteidigung ihrer Mandate, ihrer Versammlungen, Zeitungen, Kassen und schließlich ihrer eigenen Schädel kämpfen wird.

Allein, auch in Deutschland empfehlen wir keineswegs, in Einheitsfrontfetischismus zu verfallen. Abkommen ist Abkommen. Es bleibt so lange bestehen, als es dem praktischen Ziel, zu dem es geschlossen wurde, dient. Beginnen die Reformisten die Bewegung zu bremsen oder zu sabotieren, müssen sich die Kommunisten immer die Frage stellen: Ist es nicht an der Zeit, das Abkommen zu zerreißen und die Massen unter eigenem Banner weiterzuführen? Eine solche Politik ist nicht leicht. Wer hat aber je behauptet, das Proletariat zum Siege zu führen, sei eine einfache Aufgabe? Indem es das Jahr 1926 dem Jahre 1932 gegenüberstellte, bewies das «Rude Pravo» lediglich sein Unverständnis, sowohl dafür, was sich vor sechs Jahren ereignete, als auch dafür, was heute geschieht.

Der «Arbeiterkorrespondent» von der imaginären Maschine wendet seine Aufmerksamkeit auch dem von mir angeführten Beispiel des Abkommens der Bolschewiki mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow zu. «Damals», schreibt er, «kämpfte Kerenski wirklich eine gewisse Zeit gegen Kornilow und half dem Proletariat zugleich, Kerenski niederzuschlagen. Dass die deutsche Sozialdemokratie heute gegen den Faschismus nicht kämpft, sieht jedes kleine Kind».

Der einem «kleinen Kind» ganz unähnliche Thälmann behauptet, ein Abkommen der russischen Bolschewiki mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow habe überhaupt nie bestanden. Das «Rude Pravo» verfolgt, wie wir sehen, einen anderen Weg. Das Abkommen leugnet es nicht. Aber seiner Auffassung nach war das Abkommen dadurch gerechtfertigt, dass Kerenski wirklich gegen Kornilow gekämpft habe, zum Unterschied von der Sozialdemokratie, die dem Faschismus den Weg zur Macht bereite. Die Idealisierung Kerenskis ist hier völlig überraschend. Wann fing Kerenski an, gegen, Kornilow zu kämpfen? Im selben Augenblick, als Kornilow den Kosakensäbel über Kerenskis eigenem Haupte schwang, d. h. am Abend des 26. August 1917. Noch am Tage zuvor stand Kerenski mit Kornilow in direkter Verschwörung, mit dem Ziele, gemeinschaftlich die Petrograder Arbeiter und Soldaten niederzuschlagen. Wenn Kerenski begann, gegen Kornilow zu «kämpfen», oder, richtiger gesagt, eine Zeit lang dem Kampfe gegen Kornilow keinen Widerstand entgegenzusetzen, so nur, weil die Bolschewiki ihm keinen anderen Ausweg ließen. Dass Kornilow und Kerenski, beides Verschwörer, miteinander brachen und in offenen Konflikt gerieten, war zu einem gewissen Grade eine Überraschung. Dass es zwischen dem deutschen Faschismus und der Sozialdemokratie zu einem Zusammenstoß kommen muss, konnte und musste man voraussehen, sei es auch nur auf Grund der italienischen und polnischen Erfahrung. Warum durfte man das Abkommen mit Kerenski gegen Kornilow schließen und warum ist es unstatthaft, ein Abkommen mit den sozialdemokratischen Massenorganisationen zu predigen, zu verfechten, zu vertreten und vorzubereiten? Warum muss man solche Abkommen überall zerschlagen, wo sie zustande gekommen sind? So aber verfahren gerade Thälmann und Co.

Das «Rude Pravo» hat sich natürlich mit Heißhunger auf meine Worte gestürzt, dass man ein Abkommen über Kampfaktionen auch mit dem Teufel, seiner Großmutter und selbst mit Noske und Grzesinski schließen könne. «Seht, kommunistische Arbeiter», schreibt das Blatt, «Ihr müsst Euch also mit Grzesinski verständigen, der schon so viele Eurer Kampfgenossen erschossen hat. Verständigt Euch nur mit ihm, wie er gemeinsam mit Euch gegen die Faschisten kämpfen wird, mit denen er zusammen auf Banketten und in den Verwaltungsräten der Fabriken und Banken sitzt». Die ganze Frage wird hier auf die Ebene falscher Sentimentalität verschoben. Ein solcher Einwand ist würdig eines Anarchisten, eines alten russischen linken Sozialrevolutionäres, eines «revolutionären Pazifisten» oder Münzenbergs selbst. Von Marxismus ist hier kein Schimmer.

Vor allem: ist es richtig, dass Grzesinski ein Arbeiterhenker ist? Unbedingt richtig. Aber war denn Kerenski nicht in viel größerem Maße ein Henker der Arbeiter und Bauern als Grzesinski? Indes billigt das «Rude Pravo» nachträglich das praktische Abkommen mit Kerenski.

Den Henker bei jenem Werk zu unterstützen, dass sich gegen die Arbeiter richtet, ist Verbrechen, wenn nicht Verrat: darin gerade bestand das Bündnis Stalins mit Tschiang Kai-schek. Würde sich aber der gleiche chinesische Henker morgen im Kriege mit den japanischen Imperialisten befinden, so wären praktische Kampfabkommen der chinesischen Arbeiter mit dem Henker Tschiang Kai-schek vollkommen zulässig und sogar – Pflicht.

Saß Grzesinski gemeinsam mit den Faschisten bei Banketten? Ich weiß dies nicht, lasse es aber durchaus zu. Allein, Grzesinski musste nachher im Berliner Gefängnis sitzen, freilich nicht im Namen des Sozialismus, sondern nur, weil er nicht sehr geneigt war, sein warmes Plätzchen den Bonapartisten und Faschisten abzutreten. Hätte die Kommunistische Partei wenigstens vor einem Jahre offen erklärt: gegen die faschistischen Mordbuben sind wir sogar mit Grzesinski gemeinsam zu kämpfen bereit; würde sie dieser Formel Kampfcharakter verliehen, sie, in Reden und Artikeln entwickelt, tief in die Massen hineingetragen haben, Grzesinski hätte sich im Juli vor den Arbeitern zur Verteidigung seiner Kapitulation nicht auf die Sabotage der Kommunistischen Partei berufen können. Er hätte entweder auf diesen oder jenen aktiven Schritt eingehen oder aber sich in den Augen der eigenen Arbeiter hoffnungslos bloßstellen müssen. Ist das nicht klar?

Gewiss, selbst wenn Grzesinski durch die Logik seiner Lage und den Druck der Massen in den Kampf hineingezogen würde, er wäre ein äußerst unzuverlässiger, durch und durch treubrüchiger Verbündeter. Sein Hauptgedanke bestünde darin, raschest vom Kampf oder halben Kampf zur Verständigung mit den Kapitalisten überzugehen. Doch die in Bewegung gebrachten Massen, selbst die sozialdemokratischen, machen keineswegs so leicht halt, wie gekränkte Polizeipräsidenten. Die Annäherung zwischen den sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern durch den Kampf würde den kommunistischen Parteiführern eine viel breitere Einflussnahme auf die sozialdemokratischen Arbeiter gestatten, besonders angesichts der gemeinsamen Gefahr. Und darin besteht ja gerade das Endziel der Einheitsfront.

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Die gesamte Politik des Proletariats auf Abkommen mit den reformistischen Organisationen oder, noch schlimmer, auf die abstrakte Losung der «Einheit» zu reduzieren, vermögen nur rückgratlose Zentristen vom Schlage der SAP. Für den Marxisten ist die Einheitsfrontpolitik lediglich eine der Methoden im Verlaufe des Klassenkampfes. Unter gewissen Bedingungen wird diese Methode vollständig unbrauchbar: es wäre unsinnig, mit den Reformisten ein Abkommen über die sozialistische Umwälzung schließen zu wollen. Es gibt aber Bedingungen, unter denen die Ablehnung der Einheitsfront die revolutionäre Partei auf viele Jahre hinaus zugrunde richten kann. So ist gegenwärtig die Lage in Deutschland.

Die größten Schwierigkeiten und Gefahren birgt, wie wir oben sagten, die Einheitsfront im internationalen Maßstabe, wo die Formulierung der praktischen Aufgaben und die Organisierung der Massenkontrolle schwieriger ist. So stehen die Dinge vor allem in der Frage des Kampfes gegen den Krieg. Die Aussichten auf gemeinsame Aktionen sind hier weitaus geringer, die Möglichkeiten der Reformisten und Pazifisten zu Ausflüchten und Betrügereien weitaus größer. Damit wollen wir natürlich nicht behaupten, die Einheitsfront sei auf diesem Gebiete ausgeschlossen. Im Gegenteil, wir forderten, die Komintern möge sich direkt und unmittelbar an die Zweite und die Amsterdamer Internationale mit dem Vorschlage eines gemeinsamen Antikriegskongresses wenden. Aufgabe der Komintern wäre dabei gewesen, möglichst konkrete Verpflichtungen, anwendbar auf die verschiedenen Länder und verschiedenen Umstände, auszuarbeiten. Hätte die Sozialdemokratie auf einen solchen Kongress eingehen müssen, die Frage des Krieges könnte bei richtiger Politik unsererseits wie ein scharfer Keil in ihre Reihen hineingetrieben werden.

Die erste Vorbedingung hierzu: vollste Klarheit, politisch wie organisatorisch. Es geht um ein Abkommen von proletarischen Millionenorganisationen, die heute noch durch tiefe prinzipielle Gegensätze geschieden sind. Keinerlei zweideutige Mittler, keine diplomatischen Maskierungen und leeren pazifistischen Formeln!

Die Komintern hat aber auch diesmal für richtig befunden, dem ABC des Marxismus zuwiderzuhandeln: während sie es ablehnte, mit den reformistischen Internationalen in offene Unterhandlungen zu treten, eröffnete sie hinter den Kulissen Verhandlungen mit Friedrich Adler durch … den pazifistischen Belletristen und Wirrkopf ersten Ranges, Henri Barbusse. Als Ergebnis dieser Politik versammelte Barbusse in Amsterdam halbmaskierte kommunistische oder «verwandte», «sympathisierende» Organisationen und Gruppen, gemeinsam mit den pazifistischen Einzelgängern aller Länder. Die Ehrlichsten und Aufrichtigsten unter den letzteren – und dies ist die Minderheit – können jeder gesondert für sich sagen: «Ich und meine Konfusion». Wer brauchte dazu diese Maskerade, diesen Jahrmarkt von Intelligenzlerhoffart, diese Münzenbergerei, die in direktes politisches Scharlatanentum übergeht?***

Kehren wir jedoch zu Prag zurück. Fünf Monate nach dem Erscheinen des oben besprochenen Artikels druckte die gleiche Zeitung den Artikel eines der Parteiführer, Kl. Gottwald, ab, der den Charakter eines Aufrufes an die tschechischen Arbeiter der verschiedenen Richtungen zu Kampfabkommen trägt. Die faschistische Gefahr bedrohe ganz Mitteleuropa; den Ansturm der Reaktion könne nur die Einigkeit des Proletariats abschlagen; man dürfe keine Zeit versäumen, es sei schon «fünf Minuten vor Zwölf». Der Aufruf ist sehr leidenschaftlich geschrieben. Unnütz aber beteuert Gottwald im Gefolge von Seydewitz und Thälmann, er verfolge nicht die Interessen der Partei, sondern die Interessen der Klasse: eine solche Gegenüberstellung ziemt sich ganz und gar nicht im Munde eines Marxisten. Gottwald brandmarkt die Sabotage der sozialdemokratischen Führer. Unnötig zu sagen, dass hier die Wahrheit ganz auf seiner Seite ist. Leider sagt der Autor nichts Direktes über die Politik des Zentralkomitees der deutschen Kommunistischen Partei: offenbar entschließt er sich nicht, sie zu verteidigen, wagt es aber auch nicht, zu kritisieren. Gottwald selbst geht indes, zwar nicht entschieden, aber doch ziemlich richtig an die Schmerzensfrage heran. Nachdem er die Arbeiter der verschiedenen Richtungen aufgefordert hat, sich in den Betrieben zu verständigen, schreibt Gottwald: «Viele von Euch werden vielleicht sagen: Einigt Euch dort «oben», wir «unten» werden uns schon leicht verständigen. «Wir glauben», – fährt der Autor fort, – «das Wichtigste ist, dass sich die Arbeiter «unten» verständigen. Und was die Führer betrifft: wir haben bereits gesagt, dass wir uns sogar mit dem Teufel verbinden, wenn es nur gegen die Herrschenden und im Interesse der Arbeiter sein wird. Und wir sagen Euch offen: wenn Eure Führer auch nur für einen Augenblick ihr Bündnis mit der Bourgeoisie aufgeben, auch nur in einer Frage wirklich gegen die Herrschenden gehen sollten, – wir werden das begrüßen und sie in dieser Sache unterstützen».

Hier ist fast alles Notwendige gesagt und fast so, wie es gesagt werden muss. Gottwald hat sogar die Erwähnung des Teufels nicht vergessen, dessen Namen die Redaktion des «Rude Pravo» fünf Monate zuvor in fromme Entrüstung brachte. Zwar hat Gottwald des Teufels Großmutter außer Acht gelassen. Aber Gott mit ihr: um der Einheitsfront willen sind wir bereit, sie zu opfern. Vielleicht wäre Gottwald seinerseits bereit, die gekränkte Alte zu trösten, indem er ihr den Artikel des «Rude Pravo» vom 27. Februar mitsamt dem «Arbeiterkorrespondenten» vom Tintenfass zur vollen Verfügung überlässt?

Gottwalds politische Erwägungen sind, hoffen wir, nicht nur auf die Tschechoslowakei, sondern auch auf Deutschland anwendbar. So hätte es auch da gesagt werden müssen. Andererseits kann sich weder in Berlin noch in Prag die Parteileitung auf die bloße Erklärung ihrer Bereitschaft zur Einheitsfront mit der Sozialdemokratie beschränken, sondern muss diese Bereitschaft tatkräftig, unternehmend, bolschewistisch, durch ganz bestimmte praktische Vorschläge und Aktionen beweisen. Gerade das fordern wir.

Gottwalds Artikel fand, dank dem Umstande, dass aus ihm eine realistische und nicht eine ultimatistische Note klingt, sogleich Widerhall bei sozialdemokratischen Arbeitern: Am 31. Juli erschien im «Rude Pravo» unter anderem der Brief eines arbeitslosen Buchdruckers, der unlängst aus Deutschland heimgekehrt war. Der Brief lässt einen Arbeiterdemokraten erkennen, der zweifellos mit Vorurteilen des Reformismus behaftet ist. Umso wichtiger ist es, darauf zu achten, wie sich die Politik der deutschen Kommunistischen Partei in seinem Bewusstsein widerspiegelt. «Als im Herbst vorigen Jahres Genosse Breitscheid», so schreibt der Drucker, «an die Kommunistische Partei die Aufforderung richtete, gemeinsame Aktionen mit der Sozialdemokratie zu beginnen, rief er damit bei der «Roten Fahne» einen wahren Entrüstungssturm hervor. Da sagten sich die sozialdemokratischen Arbeiter: «Jetzt wissen wir, wie ernst die Absichten der Kommunisten über die Einheitsfront sind».

Hier – die wirkliche Stimme eines Arbeiters. Eine solche Stimme trägt zur Lösung der Frage mehr bei, als Dutzende Artikel prinzipienloser Federfuchser. Breitscheid hatte in der Tat keinerlei Einheitsfront vorgeschlagen. Er schreckte nur die Bourgeoisie mit der Möglichkeit gemeinsamer Aktionen mit den Kommunisten … Hätte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei die Frage sogleich auf des Messers Schneide gestellt, die sozialdemokratische Parteileitung wäre in eine schwere Lage gedrängt worden. Doch eilte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, wie immer, sich selbst in eine schwere Lage zu bringen.

In der Broschüre «Was nun?» schrieb ich gerade über Breitscheids Hervortreten: «Ist es nicht klar, dass man nach Breitscheids zweideutigem und diplomatischem Antrag unverzüglich mit beiden Händen hätte zugreifen müssen, um seinerseits ein konkretes, gut durchgearbeitetes Programm des gemeinschaftlichen Kampfes gegen den Faschismus aufzustellen und eine gemeinsame Sitzung beider Parteileitungen unter Teilnahme der Führung der Freien Gewerkschaften zu fordern? Gleichzeitig hätte man dieses Programm energisch nach unten tragen müssen, in alle Stockwerke der beiden Parteien und in die Massen».

Durch ihre Absage auf den Versuchsballon des reformistischen Führers verwandelte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei im Bewusstsein der Arbeiter den zweideutigen Satz Breitscheids in einen direkten Einheitsfrontvorschlag und gab den sozialdemokratischen Arbeitern die Schlussfolgerung ein: «Die Unsrigen wollen gemeinsame Aktionen, aber die Kommunisten sabotieren». Kann man sich eine verfehltere und dümmere Politik vorstellen? Konnte man Breitscheids Manöver besser unterstützen? Der Brief des Prager Druckers beweist mit bemerkenswerter Anschaulichkeit, dass Breitscheid mit Thälmanns Hilfe sein Ziel vollständig erreicht hat.

Das «Rude Pravo» versuchte Widerspruch und Verwirrung darin zu erblicken, dass wir in einem Falle ein Abkommen zurückweisen, im anderen es aber anerkennen und es für notwendig halten, jedes Mal von neuem Umfang, Losungen und Methoden des Abkommens, je nach den konkreten Umständen, zu bestimmen. Das «Rude Pravo» begreift nicht, dass man in der Politik, wie auch auf allen anderen ernsten Gebieten, gut wissen muss: Was, wann, wo und wie. Auch kann es nicht schaden zu begreifen: Warum.

In unserer «Programmkritik» haben wir vor vier Jahren einige Elementarregeln der Einheitsfrontpolitik aufgestellt. Wir halten es nicht für nutzlos, sie hier in Erinnerung zu bringen:

«Die Möglichkeit des Verrats steckt immer in dem Reformismus. Das bedeutet natürlich nicht, dass etwa der Reformismus und der Verrat in jedem Augenblick ein und dasselbe ist. Man kann sich mit den Reformisten vorübergehend verständigen, wenn diese einen Schritt vorwärts machen. Mit ihnen aber einen Block zu bewahren, wenn sie erschrocken über die Entwicklung der Bewegung Verrat üben, bedeutet eine verbrecherische Nachgiebigkeit gegenüber den Verrätern und eine Verschleierung des Verrats».

«Die wichtigste feststehende und unveränderlichste Regel eines jeden Manövers lautet: Du sollst niemals die eigene Parteiorganisation mit einer fremden vermischen, vereinigen oder verbinden, mag diese heute auch noch so «freundschaftlich» sein. Du sollst niemals solche Schritte unternehmen, die direkt oder indirekt zu einer Unterordnung deiner Partei unter andere Parteien oder unter Organisationen anderer Klassen führen und damit die Freiheit der eigenen Agitation beschränken oder durch die du, wenn auch nur teilweise, für die politische Linie der anderen Partei verantwortlich gemacht wirst. Du sollst nicht die Fahnen vermischen, geschweige denn vor einer fremden Fahne knien».

Heute, nach der Erfahrung mit dem Barbusse-Kongress würden wir noch eine Regel hinzufügen:

«Abkommen darf man nur offen, vor den Augen der Massen treffen, von Partei zu Partei, von Organisation zu Organisation. Du sollst dich nie zweideutiger Makler bedienen. Du sollst nicht diplomatische Geschäfte mit bürgerlichen Pazifisten für proletarische Einheitsfront ausgeben».

VII. Der Klassenkampf im Lichte der Konjunktur

Wenn wir eindringlich gefordert haben, zwischen Bonapartismus und Faschismus zu unterscheiden, so keineswegs aus theoretischem Pedantismus. Termine dienen zur Abgrenzung von Begriffen, Begriffe wiederum dienen in der Politik zur Unterscheidung der realen Kräfte. Die Zertrümmerung des Faschismus würde für den Bonapartismus keinen Raum übrig lassen und, wie zu hoffen, ist, die direkte Einleitung der sozialistischen Revolution bedeuten. Allein, das Proletariat ist für die Revolution nicht gerüstet. Die Wechselbeziehungen zwischen Sozialdemokratie und bonapartistischer Regierung einerseits, zwischen Bonapartismus und Faschismus andererseits kennzeichnen – ohne die Grundfragen zu entscheiden, – auf welchen Wegen und in welchem Tempo sich der Kampf zwischen dem Proletariat und der faschistischen Konterrevolution vorbereiten wird. Die Gegensätze zwischen Schleicher, Hitler und Wels erschweren in der gegebenen Lage den Sieg des Faschismus und eröffnen der Kommunistischen Partei einen neuen, den wertvollsten aller Kredite: einen Kredit an Zeit.

«Der Faschismus wird auf kaltem Wege zur Macht gelangen», hörten wir mehr als einmal seitens der stalinistischen Theoretiker. Diese Formel sollte besagen, die Faschisten würden legal, friedlich, durch Koalition zur Macht gelangen, – einen offenen Umsturz nicht brauchen. Die Ereignisse haben diese Prognose bereits widerlegt. Die Papenregierung ist durch einen Staatsstreich zur Macht gekommen, und sie ergänzte ihn durch den Staatsstreich in Preußen. Nimmt man sogar an, die Koalition zwischen Nazis und Zentrum werde die bonapartistische Papenregierung mit «verfassungsmäßigen» Methoden stürzen, so entscheidet dies an und für sich noch überhaupt nichts. Zwischen der «friedlichen» Machteinverleibung Hitlers und der Aufrichtung des faschistischen Regimes liegt noch ein großer Weg. Die Koalition würde lediglich eine Erleichterung des Staatsstreiches bedeuten, ihn aber nicht ersetzen. Neben der endgültigen Beseitigung der Weimarer Verfassung bliebe die wichtigste Aufgabe bestehen: die Beseitigung der Organe der proletarischen Demokratie. Was bedeutet unter diesem Gesichtswinkel der «kalte Weg»? Nichts anderes als das Ausbleiben des Widerstandes seitens der Arbeiter. Papens bonapartistischer Staatsstreich hat tatsächlich keine Vergeltung gefunden. Wird nicht auch Hitlers faschistische Umwälzung ohne Vergeltung bleiben? Gerade um diese Frage dreht sich, bewusst oder unbewusst, das Raten über den «kalten Weg».

Würde die Kommunistische Partei eine überwältigende Kraft darstellen, und das Proletariat unmittelbar auf die Macht zuschreiten, alle Gegensätze im Lager der Besitzenden wären vorübergehend verwischt: Faschisten, Bonapartisten und Demokraten ständen in einer Front gegen die proletarische Revolution. Dem ist aber nicht so. Die Schwäche der Kommunistischen Partei und die Zerstückelung des Proletariats gestatten den besitzenden Klassen und den ihnen dienenden Parteien, ihre Gegensätze nach außen zu tragen. Nur auf diese Gegensätze gestützt wird die Kommunistische Partei erstarken können.

Vielleicht aber wird sich der Faschismus im hochindustriellen Deutschland überhaupt nicht entschließen, seine Ansprüche auf die volle Macht geltend zu machen? Ohne Zweifel ist das deutsche Proletariat unvergleichlich zahlreicher und potentiell stärker, als das italienische. Obwohl der Faschismus in Deutschland ein zahlreicheres und organisierteres Lager darstellt, als zur entsprechenden Zeit in Italien, muss den deutschen Faschisten gleichwohl die Aufgabe der Liquidierung des «Marxismus» schwierig und riskant erscheinen. Überdies ist es nicht ausgeschlossen, dass Hitlers politischer Kulminationspunkt bereits zurückliegt. Die allzu lange Periode des Abwartens und die neue Barriere auf dem Wege in Gestalt des Bonapartismus schwächen unzweifelhaft den Faschismus, verstärken seine inneren Reibungen und können seinen Druck bedeutend herabmindern. Hier aber betreten wir das Gebiet von Tendenzen, die sich bis zur Stunde noch in keiner Weise vorausberechnen lassen. Nur der lebendige Kampf kann diese Fragen beantworten. Im Vorhinein darauf zu bauen, der Nationalsozialismus werde unweigerlich auf halbem Wege stehen bleiben, wäre höchst leichtfertig.

Die Theorie des «kalten Weges» ist, zu Ende geführt, nicht im Geringsten besser, als die Theorie des «Sozialfaschismus»; richtiger gesagt, stellt sie nur deren Kehrseite dar. Die Gegensätze zwischen den Bestandteilen des feindlichen Lagers werden in beiden Fällen vollends vernachlässigt, die aufeinanderfolgenden Etappen des Prozesses verwischt. Die Kommunistische Partei ist voll und ganz beiseite gelassen. Nicht umsonst war der Theoretiker des «kalten Weges», Hirsch, zugleich Theoretiker des «Sozialfaschismus».

Die politische Krise des Landes entrollt sich auf der Grundlage der ökonomischen Krise. Aber die Ökonomie bleibt nicht unbeweglich. Waren wir gestern verpflichtet zu sagen, dass die Konjunkturkrise nur die grundlegende, organische Krise des kapitalistischen Systems verschärft, so müssen wir heute in Erinnerung bringen, dass der allgemeine Niedergang des Kapitalismus Konjunkturschwankungen nicht ausschließt. Die gegenwärtige Krise wird nicht ewig dauern. Die Hoffnungen der kapitalistischen Welt auf eine Konjunkturwende sind äußerst übertrieben, aber nicht unbegründet. Die Frage des Kampfes der politischen Kräfte muss man in die ökonomische Perspektive eingliedern. Papens Programm macht dies umso unaufschiebbarer, als es selbst von einer nahenden ansteigenden Konjunktur ausgeht.

Der industrielle Aufschwung tritt, für jedermann sichtbar, auf den Schauplatz, sobald er sich in Gestalt wachsenden Warenumsatzes, erhöhter Produktion, vergrößerter Zahl der beschäftigten Arbeiter äußert. Die Sache fängt damit aber nicht an. Dem Aufschwung gehen vorbereitende Prozesse voraus auf dem Gebiete des Geldumlaufes und des Kredits. Die in unrentablen Unternehmen und Wirtschaftszweigen steckenden Kapitalien müssen sich freimachen und die Form flüssigen Geldes erhalten, das Anlage sucht. Der von seinen Fettablagerungen, Geschwülsten und Beulen befreite Markt muss reale Nachfrage aufzeigen. Die Unternehmen müssen «Vertrauen» zum Markte und zueinander gewinnen. Andererseits muss das «Vertrauen», von dem die Weltpresse so viel redet, einen Ansporn erhalten, nicht nur durch ökonomische, sondern auch durch politische Faktoren (Reparationen, Kriegsschulden, Abrüstung – Aufrüstung usw.).

Eine Steigerung des Warenumsatzes, der Produktion, der Zahl der beschäftigten Arbeiter ist noch nirgends zu verzeichnen; im Gegenteil, der Niedergang schreitet fort. Was die dem Konjunkturumschwung vorbereitenden Prozesse betrifft, so haben sie offenbar den Hauptteil der ihnen zustehenden Aufgaben erfüllt. Viele Anzeichen gestatten wirklich anzunehmen, dass sich der Augenblick des Konjunkturumschwungs genähert hat, wenn nicht unmittelbar bevorsteht. Das ist die Einschätzung, im Weltmaßstabe gesehen.

Doch muss man einen Unterschied zwischen den Gläubigerländern (Vereinigte Staaten, England, Frankreich) und den Schuldnerländern, genauer gesagt, den bankrotten Ländern machen; den ersten Platz nimmt in der zweiten Gruppe Deutschland ein. Deutschland besitzt kein flüssiges Kapital. Seine Wirtschaft kann einen Anstoß nur durch Kapitalzufluss von außen beziehen. Aber ein Land, das außerstande ist, seine alten Schulden zu begleichen, erhält keine Darlehen. Jedenfalls müssen sich die Gläubiger, ehe sie ihre Säckel öffnen, überzeugen, dass Deutschland wieder in der Lage ist, für eine größere Summe auszuführen, als es einzuführen braucht: der Unterschied hat zur Deckung der Schulden zu dienen. Die Nachfrage nach deutschen Waren ist hauptsächlich seitens der Agrarländer, vor allem von Südeuropa zu erwarten. Die Agrarländer hängen aber ihrerseits von der Nachfrage der industriellen Länder nach Rohstoffen und Lebensmitteln ab. Deutschland wird folglich genötigt sein abzuwarten: der Lebensstrom wird erst die Reihe seiner kapitalistischen Konkurrenten und agrarischen Gegenspieler durchfließen müssen, ehe er auf Deutschlands eigene Leistungen übergeht.

Doch die deutsche Bourgeoisie kann nicht warten. Noch weniger vermag die bonapartistische Clique zu warten. Während sie verspricht, die Stabilität der Währung nicht anzutasten, leitet die Papenregierung eine einschneidende Inflation ein. Zugleich mit Reden über die Wiedergeburt des Wirtschaftsliberalismus nimmt sie die administrative Verfügung über den Wirtschaftszyklus auf sich, im Namen der Freiheit der Privatinitiative unterwirft sie die Steuerzahler unmittelbar den kapitalistischen Privatunternehmern.

Die Achse, um die sich das Regierungsprogramm dreht, ist die Hoffnung auf eine nahe Konjunkturwende Verwirklicht sich diese nicht rechtzeitig, so werden die zwei Milliarden wie zwei Wassertropfen auf einer glühenden Herdplatte verdampfen. Papens Plan ist in unermesslich höherem Maße von Hasard-spekulativem Charakter, als das augenblicklich sich entspinnende Haussespiel auf der New-Yorker Börse. Die Folgen beim Zusammenbruch des bonapartistischen Spiels werden jedenfalls weitaus katastrophaler sein.

Das nächste und fühlbarste Ergebnis des Auseinanderklaffens zwischen den Plänen der Regierung und der tatsächlichen Marktbewegung wird im Hinabgleiten der Mark bestehen. Die um die Inflation vermehrten sozialen Übel werden einen unerträglichen Charakter annehmen. Der Bankrott des Papenschen Wirtschaftsprogramms wird Ablösung durch ein anderes wirksameres Programm erheischen. Durch welches? Offenbar durch das Programm des Faschismus. Ist es einmal misslungen, die Konjunktur durch die bonapartistische Therapie vorwärtszutreiben, muss mans mit der faschistischen Chirurgie probieren. Die Sozialdemokratie wird sich inzwischen «links» gebärden und zerfallen. Die Kommunistische Partei, wenn sie sich nicht selbst daran hindert, wachsen. Alles in allem wird dies eine revolutionäre Situation bedeuten. Die Frage der Siegesaussichten läuft unter diesen Bedingungen zu drei Viertel auf die Kommunistische Strategie hinaus.

Die revolutionäre Partei muss jedoch auch für eine andere Perspektive gerüstet sein, nämlich die des rascheren Eintretens der Konjunkturwende. Nehmen wir an, der Schleicher-Papen-Regierung gelänge es, sich bis zum Beginn der Handels- und Industriebelebung zu halten. Wäre sie damit gerettet? Nein, der Beginn einer aufsteigenden Konjunktur würde das sichere Ende des Bonapartismus und vielleicht noch von etwas mehr bedeuten.

Die Kräfte des deutschen Proletariats sind nicht erschöpft. Aber sie sind unterhöhlt: durch Opfer, Niederlagen, Enttäuschungen, angefangen von 1914; durch den systematischen Treubruch der Sozialdemokratie; durch die Selbstdiskreditierung der Kommunistischen Partei. Sechs, sieben Millionen Arbeitslose hängen als schwere Last an den Füßen des Proletariats. Brünings und Papens Notverordnungen haben keinen Widerstand gefunden. Der Staatsstreich vom 20. Juli ist ohne Vergeltung geblieben.

Man kann mit völliger Gewissheit voraussagen, dass der Konjunkturumschwung der augenblicklich verfallenen Aktivität des Proletariats einen machtvollen Auftrieb verleihen würde. In dem Augenblick, wo der Betrieb aufhört die Arbeiter zu entlassen und neue aufnimmt, festigt sich die Selbstsicherheit der Arbeiter: sie sind wieder nötig. Die zusammengedrückte Spirale beginnt sich wieder auszurichten. Die Arbeiter treten stets leichter in den Kampf um die Wiedererringung verlorener Positionen, als um die Eroberung neuer. Und die deutschen Arbeiter haben zu vieles verloren. Weder durch Notverordnungen noch durch Anwendung der Reichswehr wird man Massenstreiks liquidieren können, die sich auf der Welle des Aufstiegs entfalten. Das bonapartistische Regime, das sich nur durch «Burgfrieden» zu halten vermag, wird als erstes Opfer des Konjunkturumschwungs fallen.

Ein Wachsen des Streikkampfes ist schon jetzt in verschiedenen Ländern zu beobachten (Belgien, England, Polen, z. T. Vereinigte Staaten, aber nicht Deutschland). Eine Bewertung der gegenwärtig sich entfaltenden Massenstreiks im Lichte der Wirtschaftskonjunktur zu geben ist kein Leichtes. Die Statistik stellt Konjunkturschwankungen mit unvermeidlicher Verspätung fest. Die Belebung muss Tatsache werden, ehe man sie registrieren kann. Die Arbeiter spüren gewöhnlich den Konjunkurschwung früher als die Statistiker. Neue Aufträge oder selbst Erwartung neuer Aufträge, Umstellung der Unternehmen auf Erweiterung der Produktion oder wenigstens Unterbrechung der Entlassungen steigern unverzüglich die Widerstandskraft und die Ansprüche der Arbeiter. Der Verteidigungsstreik der Textilarbeiter in Lancashire ist unleugbar durch einen gewissen Umschwung in der Textilindustrie hervorgerufen. Was den belgischen Streik betrifft, so spielt er sich offenbar auf Grundlage der sich noch immer vertiefenden Krise des Kohlenbergbaus ab. Dem Umschwungscharakter des gegenwärtigen Abschnitts der Weltkonjunktur entspricht die Verschiedenartigkeit der ökonomischen Stöße, die den letzten Streiks zugrunde liegen. Im Allgemeinen aber deutet das Anwachsen der Massenbewegung eher auf eine merkbar werdende Konjunkturwende. Jedenfalls wird die wirkliche Konjunkturbelebung bereits bei ihren ersten Schritten einen breiten Schwung des Massenkampfes hervorrufen.

Die herrschenden Klassen aller Länder erwarten vom industriellen Aufschwung Wunder: davon zeugt die bereits entfachte Börsenspekulation. Würde der Kapitalismus wirklich die Phase einer neuen Prosperität oder auch nur eines langsamen aber lang dauernden Aufstiegs betreten, dies müsste selbstverständlich Stabilisierung des Kapitalismus und gleichzeitige Stärkung des Reformismus nach sich ziehen. Es besteht aber nicht, der geringste Anlass zur Hoffnung oder Befürchtung, die an sich unvermeidliche neue Konjunkturbelebung werde die allgemeinen Verfallstendenzen der Weltwirtschaft und insbesondere der europäischen Wirtschaft überwinden können. Entwickelte sich der Vorkriegskapitalismus nach der Formel der erweiterten Warenproduktion, so stellt der gegenwärtige Kapitalismus mit allen seinen Konjunkturschwankungen eine erweiterte Produktion des Elends und der Katastrophen dar. Der neue Konjunkturzyklus wird die unvermeidliche Kräfteumgruppierung innerhalb der einzelnen Länder sowie innerhalb des kapitalistischen Lagers im Ganzen vollziehen, vorwiegend von Europa nach Amerika zu. Aber schon in sehr kurzer Zeit wird er die kapitalistische Welt vor unlösbare Widersprüche stellen und sie zu neuen, noch furchtbareren Zuckungen verdammen.

Ohne einen Irrtum zu riskieren, kann man folgende Voraussage aufstellen: Die wirtschaftliche Belebung wird ausreichen, die Selbstsicherheit der Arbeiter zu festigen und ihrem Kampf einen neuen Auftrieb zu verleihen, sie wird aber in keiner Weise ausreichen, dem Kapitalismus, besonders dem europäischen, die Möglichkeit einer Wiedergeburt zu eröffnen.

Die praktischen Eroberungen, die der neue Konjunkturaufstieg des Verfallskapitalismus der Arbeiterbewegung erschließen wird, werden zwangsweise einen äußerst beschränkten Charakter tragen. Wird der deutsche Kapitalismus auf dem Gipfel der neuen Wirtschaftsbelebung jene Bedingungen für die Arbeiter wiederherstellen können, die vor der jetzigen Krise bestanden? Alles nötigt, diese Frage im Voraus verneinend zu beantworten. Umso rascher wird die erwachte Massenbewegung den politischen Weg einschlagen müssen.

Schon die erste Etappe der industriellen Belebung wird äußerst gefahrvoll für die Sozialdemokratie sein. Die Arbeiter werden sich in den Kampf stürzen, um zurückzugewinnen, was sie verloren haben. Die Spitzen der Sozialdemokratie werden von neuem Hoffnung auf Wiederherstellung der «normalen» Ordnung fassen. Ihre Hauptsorge wird die Wiederherstellung ihrer Koalitionsfähigkeit sein. Führer und Massen werden nach entgegengesetzten Seiten ziehen. Um die neue Krise des Reformismus restlos auszunutzen, brauchen die Kommunisten eine richtige Orientierung in den Konjunktur-Veränderungen und rechtzeitige Ausarbeitung eines praktischen Aktionsprogramms, ausgehend vor allem von den in den Krisenjahren erlittenen Verlusten der Arbeiter, Der Übergang von Wirtschaftskämpfen zu politischen wird ein besonders geeigneter Augenblick zur Festigung von Kraft und Einfluss der revolutionären proletarischen Partei sein.

Doch ist ein Erfolg auf diesem wie auch auf anderen Wegen nur unter einer Bedingung zu erzielen: bei richtiger Anwendung der Einheitsfrontpolitik. Für die deutsche Kommunistische Partei heißt dies vor allem: Schluss mit dem jetzigen Sitzen zwischen Stühlen auf dem Gebiet der Gewerkschaftsbewegung; fester Kurs auf die freien Gewerkschaften; Einbeziehung der gegenwärtigen Kader der RGO in deren Bestand; Einleitung eines systematischen Kampfes vermittels der Gewerkschaften um den Einfluss auf die Betriebsräte; Vorbereitung einer breiten Kampagne unter der Losung der Arbeiterkontrolle über die Produktion.

VIII. Der Weg zum Sozialismus

Kautsky, Hilferding u. a. erklärten in den letzten Jahren mehr als einmal, sie hätten niemals an der Theorie des kapitalistischen Zusammenbruchs teilgehabt, die die Revisionisten einst den Marxisten zuschrieben und die die Kautskyaner selber jetzt häufig den Kommunisten unterschieben.

Die Bernsteinianer zeichneten zwei Perspektiven: eine irreale, angeblich orthodox-«marxistische», nach welcher letzten Endes unter dem Einfluss der inneren Gegensätze im Kapitalismus dessen mechanischer Zusammenbruch eintreten sollte; und eine zweite, «reale», nach welcher sich eine allmähliche Evolution vom Kapitalismus zum Sozialismus vollziehen sollte. Wie entgegengesetzt diese beiden Schemen auf den ersten Blick auch seien, es eint sie dennoch ein gemeinsamer Zug: das Fehlen des revolutionären Faktors. Während sie die ihnen untergeschobene Karikatur des automatischen Zusammenbruchs des Kapitalismus verneinten, wiesen die Marxisten nach, dass unter dem Einfluss des sich verschärfenden Klassenkampfes das Proletariat die Revolution viel früher vollziehen werde, als die objektiven Widersprüche des Kapitalismus zu dessen automatischem Zusammenbruch führen könnten.

Dieser Meinungsstreit spielte sich noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts ab. Man muss jedoch anerkennen, dass sich die kapitalistische Wirklichkeit seit dem Kriege in gewisser Beziehung der bernsteinianischen Karikatur auf den Marxismus viel mehr genähert hat, als es wer immer auch vermuten konnte, vor allem – die Revisionisten selbst: hatten sie doch das Gespenst des Zusammenbruchs nur gemalt, um dessen Irrealität vorzuführen. Indes erweist sich der Kapitalismus in der Tat dem automatischen Zerfall umso näher, je mehr sich der revolutionäre Eingriff des Proletariats in die Geschicke der Gesellschaft verzögert.

Den wichtigsten Bestandteil der Theorie des Zusammenbruchs bildete die Verelendungstheorie. Die Marxisten behaupteten mit einer gewissen Vorsicht, die Verschärfung der sozialen Gegensätze müsse nicht unbedingt einer absoluten Senkung der Lebenshaltung der Massen gleichkommen. In Wirklichkeit erfährt gerade dieser letzte Prozess seine Entfaltung. Worin könnte sich der Zusammenbruch des Kapitalismus noch schärfer äußern, als in chronischer Arbeitslosigkeit und Zerstörung der Sozialversicherung, d.h. in der Weigerung der Gesellschaftsordnung, die eigenen Sklaven zu ernähren?

Die opportunistischen Bremsen in der Arbeiterklasse haben sich mächtig genug gezeigt, den elementaren Kräften des überlebten Kapitalismus weitere Jahrzehnte einzuräumen. Als Ergebnis trat nicht die Idylle der friedlichen Umwandlung des Kapitalismus in Sozialismus ein, sondern ein dem sozialen Zerfall durchaus naher Zustand.

Die Verantwortung für den jetzigen Zustand der Gesellschaft versuchten die Reformisten lange dem Kriege zuzuschieben. Aber erstens hat der Krieg die Zerstörungstendenzen des Kapitalismus nicht geschaffen, sondern sie nur nach außen getragen und beschleunigt; zweitens hätte der Krieg sein Zerstörungswerk nicht verrichten können ohne die politische Unterstützung des Reformismus; drittens bereiten die ausweglosen Widersprüche des Kapitalismus von verschiedenen Seiten her neue Kriege vor. Die historische Verantwortung wird der Reformismus von sich nicht abwälzen können. Indem sie die revolutionäre Energie des Proletariats paralysiert und bremst, verleiht die internationale Sozialdemokratie dem Prozess des kapitalistischen Zusammenbruchs die blindesten, zügellosesten, katastrophalsten und blutigsten Formen.

Selbstverständlich lässt sich von einer Verwirklichung der revisionistischen Karikatur auf den Marxismus nur bedingt, in Anwendung auf eine bestimmte geschichtliche Periode sprechen. Der Ausweg aus dem Verfallskapitalismus wird dennoch, wenn auch mit großer Verspätung, nicht auf dem Wege des automatischen Zusammenbruches Zustandekommen, sondern auf revolutionärem Wege.

Die jetzige Krise hat mit einem letzten Besenstrich die Überreste der reformistischen Utopien fortgefegt. Die opportunistische Praxis besitzt gegenwärtig keinerlei theoretische Deckung. Den Wels, Hilferding, Grzesinski, Noske ist es schließlich recht gleichgültig, welche Unzahl von Katastrophen noch auf die Schädel der Volksmassen niederprasseln wird, wenn nur ihre eigenen Interessen verschont bleiben. Allein, die Sache ist eben die, dass die Krise des bürgerlichen Regimes auch auf die reformistischen Führer einschlägt.

«Staat, greif zu!» rief kürzlich noch die Sozialdemokratie, während sie vor dem Faschismus zurückwich. Und der Staat griff zu: Otto Braun und Severing flogen aufs Pflaster. – jetzt, schrieb der «Vorwärts», müssen alle die Vorzüge der Demokratie über das Diktaturregime anerkennen. – Ja, die Demokratie hatte bedeutende Vorzüge, erwog Grzesinski, während er mit dem Gefängnis von innen Bekanntschaft machte.

Aus dieser Erfahrung ergab sich die Schlussfolgerung: «Es ist Zeit, an die Sozialisierung zu schreiten!» Tarnow, gestern noch Arzt des Kapitalismus, beschloss plötzlich, dessen Totengräber zu werden. Nun, wo der Kapitalismus die reformistischen Minister, Polizei- und Oberpräsidenten in Arbeitslose verwandelte, hatte er sich offenkundig erschöpft. Wels schreibt einen Programmartikel: Die Stunde des Sozialismus hat geschlagen! Es fehlt noch, dass Schleicher die Abgeordneten um ihr Gehalt brächte und die ehemaligen Minister um ihre Pensionen, – und Hilferding wird eine Studie über die historische Rolle des Generalstreiks schreiben.

Die «linke» Wendung der sozialdemokratischen Führer verblüfft durch ihre Dummheit und Falschheit. Dies bedeutet jedoch durchaus nicht, das Manöver sei im Voraus zum Misserfolg verurteilt. Diese mit Verbrechen beladene Partei steht noch immer an der Spitze von Millionen. Von selbst wird sie nicht zu Fall kommen. Man muss sie zu stürzen verstehen.

Die Kommunistische Partei wird erklären, der Wels-Tarnow-Kurs auf den Sozialismus sei eine neue Form des Massenbetrugs, und das wird richtig sein. Sie wird die Geschichte der sozialdemokratischen «Sozialisierungen» der letzten 14 Jahre erzählen. Das wird von Nutzen sein. Aber es ist ungenügend: die Geschichte, auch die jüngste, kann nicht aktive Politik ersetzen.

Die Frage des revolutionären oder reformistischen Weges zum Sozialismus versucht Tarnow auf die simple Frage vom «Tempo» der Umwandlungen hinab zuführen. Tiefer kann man als Theoretiker nicht sinken. Das Tempo der sozialistischen Umwandlungen hängt in Wirklichkeit ab vom Stand der Produktionskräfte des Landes, seiner Kultur, vom Ausmaße der ihm aufgezwungenen Unkosten für die Verteidigung usw. Aber sozialistische Umwandlungen, die schnellen wie langsamen, sind nur dann möglich, wenn an der Spitze der Gesellschaft eine am Sozialismus interessierte Klasse und an der Spitze dieser Klasse eine Partei steht, die es nicht vermag, die Ausgebeuteten zu betrügen, und die stets bereit ist, den Widerstand der Ausbeuter zu unterdrücken. Man muss den Arbeitern erklären, dass darin eben das Regime der Diktatur des Proletariats besteht.

Allein, auch das genügt nicht. Man darf, geht es einmal um die brennenden Probleme des Weltproletariats, nicht – wie die Komintern es tut – die Tatsache des Bestehens der Sowjetunion vergessen. In Bezug auf Deutschland liegt die Aufgabe heute nicht darin, zum ersten Male einen sozialistischen Aufbau zu beginnen, sondern darin, Deutschlands Produktionskräfte, seine Kultur, sein technisches und organisatorisches Genie mit dem bereits vor sich gehenden sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion zu verknüpfen.

Die deutsche Kommunistische Partei beschränkt sich auf die bloße Lobpreisung der Sowjetunion, wobei sie in dieser Beziehung grobe und gefährliche Übertreibungen begeht. Sie ist aber vollständig unfähig, den sozialistischen Aufbau in der UdSSR, seine gewaltigen Erfahrungen und wertvollen Errungenschaften mit den Aufgaben der proletarischen Revolution in Deutschland zu verbinden. Die stalinistische Bürokratie ist ihrerseits am allerwenigsten imstande, der deutschen Kommunistischen Partei in dieser höchst wichtigen Frage beizustehen: ihre Perspektiven sind auf ein einzelnes Land beschränkt.

Den zusammenhanglosen und feigen staatskapitalistischen Projekten der Sozialdemokratie muss man einen Generalplan des gemeinschaftlichen sozialistischen Aufbaus der UdSSR und Deutschlands entgegenstellen. Niemand fordert, man möge sogleich einen detaillierten Plan ausarbeiten. Es genügt ein erster Rohentwurf. Grundpfeiler sind notwendig. Dieser Plan muss so schnell wie nur möglich zum Gegenstand der Behandlung durch alle Organisationen der deutschen Arbeiterklasse gemacht werden, vor allem ihrer Gewerkschaftsverbände.

Man muss zu dieser Behandlung die fortschrittlichen Kräfte unter den deutschen Technikern, Statistikern und Volkswirtschaftlern heranziehen. Die in Deutschland so weit verbreiteten Auseinandersetzungen über Planwirtschaft, die die Ausweglosigkeit des deutschen Kapitalismus widerspiegeln, bleiben rein akademisch, bürokratisch, leblos-pedantisch. Die Kommunistische Avantgarde allein vermag die Behandlung der Frage aus dem Zauberkreis herauszuführen.

Der sozialistische Aufbau ist bereits im Gange – zu dieser Arbeit muss man eine Brücke über die Staatsgrenzen hinweg schlagen. Hier der erste Plan: studiert ihn, verbessert ihn, präzisiert ihn! Arbeiter, wählt besondere Plankommissionen, beauftragt sie, mit den Gewerkschaftsverbänden und Wirtschaftsorganen der Sowjets in Verbindung zu treten! Schafft auf Grundlage der deutschen Gewerkschaften, der Betriebsräte und anderer Arbeiterorganisationen eine zentrale Plankommission, die mit dem Gosplan der UdSSR in Verbindung zu treten hat. Zieht zu dieser Arbeit deutsche Ingenieure, Organisatoren, Volkswirtschaftler heran!

Das ist die einzig richtige Inangriffnahme der Frage der Planwirtschaft, heute, im Jahre 1932, nach fünfzehnjährigem Bestand der Sowjets, nach vierzehnjährigen Zuckungen der deutschen kapitalistischen Republik.

Nichts ist leichter als die sozialdemokratische Bürokratie zu verspotten, beginnend bei Wels, der ein Hohelied auf den Sozialismus angestimmt hat. Doch darf man nicht vergessen, dass sich die reformistischen Arbeiter zur Frage des Sozialismus durchaus ernst verhalten. Man muss sich zu den reformistischen Arbeitern ernst zu verhalten wissen. Hier erhebt sich wiederum im ganzen Umfange das Problem der Einheitsfront.

Stellt sich die Sozialdemokratie die Aufgabe (in Worten: wir wissen dies!), nicht den Kapitalismus zu retten, sondern den Sozialismus zu bauen, so muss sie eine Verständigung suchen, nicht mit dem Zentrum, sondern mit den Kommunisten. Wird die Kommunistische Partei eine solche Verständigung ablehnen? Keineswegs. Sie wird umgekehrt eine Verständigung selbst beantragen, sie vor den Massen fordern, als Einlösung des eben erst ausgestellten sozialistischen Wechsels.

Der Angriff der Kommunistischen Partei auf die Sozialdemokratie muss gegenwärtig auf drei Linien vor sich gehen. Die Aufgabe, den Faschismus zu zertrümmern, behält ihre ganze Schärfe. Die Entscheidungsschlacht des Proletariats mit dem Faschismus wird gleichzeitig den Zusammenstoß mit dem bonapartistischen Staatsapparat bedeuten. Das macht den Generalstreik zur unentbehrlichen Kampfwaffe. Man muss ihn vorbereiten. Man muss einen besonderen Generalstreikplan ausarbeiten, d. h. einen Plan der Kräftemobilisierung zu dessen Durchführung. Ausgehend von diesem Plan eine Massenkampagne entfalten. Auf Grund dieser Kampagne der Sozialdemokratie ein Abkommen zur Durchführung des Generalstreiks in bestimmten politischen Bedingungen vorschlagen. Auf jeder neuen Etappe wiederholt und konkretisiert wird dieser Vorschlag in seiner Entwicklung zur Schaffung der Sowjets als höchsten Organen der Einheitsfront führen.

Dass Papens nunmehr Gesetz gewordener Wirtschaftsplan dem deutschen Proletariat nie dagewesenes Elend bringt, erkennen in Worten auch die Führer der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften an. In der Presse drücken sie sich mit einer Energie aus, die man von ihnen schon lange nicht zu hören bekommen hat. Zwischen ihren Worten und ihren Taten liegt ein Abgrund, wir wissen dies gut, – man muss es aber verstehen, sie beim Wort zu nehmen. Man muss ein System von gemeinsamen Kampfmaßnahmen gegen das Regime der Notverordnungen und des Bonapartismus ausarbeiten. Dieser dem Proletariat durch die ganze Lage aufgezwungene Kampf lässt sich seinem Wesen nach nicht im Rahmen der Demokratie führen. Eine Lage, wo Hitler eine Armee von 400.000 Mann besitzt, Papen-Schleicher neben der Reichswehr die halbprivate «Stahlhelm»-Armee von 200.000 Mann, die bürgerliche Demokratie die halbtolerierte Reichsbanner-Armee, die Kommunistische Partei die verbotene Rotfront-Armee – eine solche Lage entblößt an sich das Problem des Staates als Problem der Macht. Eine bessere revolutionäre Schule kann man sich nicht vorstellen!

Die Kommunistische Partei muss der Arbeiterklasse sagen: durch Parlamentsspiel ist Schleicher nicht zu stürzen. Will die Sozialdemokratie darangehen, die bonapartistische Regierung mit anderen Mitteln zu stürzen, so ist die Kommunistische Partei bereit, der Sozialdemokratie aus ganzer Kraft zu helfen. Die Kommunisten verpflichten sich hierbei im Voraus, gegen eine sozialdemokratische Regierung keinerlei Gewaltmittel anzuwenden, insofern sich diese auf die Mehrheit der Arbeiterklasse stützt und insofern sie der Kommunistischen Partei die Freiheit der Agitation und Organisation gewährleistet. Eine solche Fragestellung wird jedem sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter verständlich sein.

Die dritte Linie endlich ist der Kampf um den Sozialismus. Auch hier muss man das Eisen schmieden, solange es warm ist, und die Sozialdemokratie durch einen konkreten Plan der Zusammenarbeit mit der UdSSR an die Wand drücken. Das Notwendige darüber ist bereits oben gesagt.

Selbstverständlich sind diese Kampfabschnitte, die in der strategischen Gesamtperspektive von verschiedener Bedeutung sind, voneinander nicht zu trennen, sondern gehen ineinander über. Die politische Krise der Gesellschaft erheischt die Verbindung der Teilfragen mit den Gesamtfragen: darin eben liegt das Wesen der revolutionären Situation.

IX. Der einzige Weg

Kann man erwarten, das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei werde selbstständig eine Wendung auf den richtigen Weg vollziehen? Seine gesamte Vergangenheit beweist, dass es dazu nicht fähig ist.

Kaum hatte er sich zu verbessern begonnen, sah sich der Apparat vor der Perspektive des «Trotzkismus». Wenn Thälmann es selbst nicht gleich begriffen hat, so hat man ihm aus Moskau erklärt, dass man den «Teil» um des «Ganzen» willen zu opfern wissen muss, d.h. die Interessen der deutschen Revolution um der Interessen des Stalinschen Apparates willen. Die schüchternen Versuche, die Politik zu revidieren, wurden wieder zurückgenommen. Die bürokratische Reaktion triumphiert von neuem auf der ganzen Linie.

Die Sache liegt natürlich nicht an Thälmann. Würde die heutige Komintern ihren Sektionen die Möglichkeit geben, zu leben, zu denken und sich zu entwickeln, diese hätten in den letzten fünfzehn Jahren längst ihre eigenen Führerkaders aussondern können. Doch hat die Bürokratie ein System der Führerernennung und deren Unterstützung durch künstliche Reklame errichtet. Thälmann ist ein Produkt dieses Systems und zugleich dessen Opfer.

Die in ihrer Entwicklung paralysierten Kader schwächen die Partei. Ihre Unzulänglichkeit ergänzen sie durch Repressalien. Die Schwankungen und die Unsicherheit der Partei gehen unvermeidlich auf die gesamte Klasse über. Man kann die Massen nicht zu kühnen Aktionen aufrufen, während die Partei selbst der revolutionären Entschlossenheit beraubt ist.

Selbst wenn Thälmann morgen ein Telegramm Manuilskis über die Notwendigkeit einer Wendung auf den Weg der Einheitsfront erhielte, der neue Spitzenzickzack würde wenig Nutzen bringen. Die Führung ist zu kompromittiert. Eine richtige Politik erheischt ein gesundes Regime. Die Parteidemokratie, gegenwärtig ein Spielzeug der Bürokratie, muss als Realität wiedererstehen. Die Partei muss eine Partei werden, dann werden ihr die Massen glauben. Praktisch bedeutet das, auf die Tagesordnung zu stellen: einen außerordentlichen Parteitag und einen außerordentlichen Kongress der Komintern.

Dem Parteitag muss selbstverständlich eine allseitige Diskussion vorausgehen. Alle Apparatschranken müssen abgetragen werden, jede Parteiorganisation, jede Zelle hat das Recht, jeden Kommunisten, Mitglied der Partei oder aus ihr ausgeschlossen, in ihre Versammlungen zu berufen und anzuhören, wenn sie dies zur Ausarbeitung ihrer Meinung für notwendig hält. Die Presse muss in den Dienst der Diskussion gestellt, in jedem Parteiblatt täglich genügend Raum für kritische Artikel geboten werden. Eigene Pressekommissionen, auf Massenversammlungen der Parteimitglieder gewählt, müssen überwachen, dass die Zeitungen der Partei dienen und nicht der Bürokratie.

Die Diskussion wird freilich nicht wenig Zeit und Kraft erfordern. Der Apparat wird sich darauf berufen: in einer solch kritischen Periode könne sich die Partei doch nicht den «Luxus der Diskussion» erlauben. Die bürokratischen Retter meinen, in schwierigen Bedingungen habe die Partei zu schweigen. Die Marxisten hingegen glauben, dass je schwieriger die Lage, desto wichtiger die selbständige Rolle der Partei ist.

Die Führung der bolschewistischen Partei genoss im Jahre 1917 sehr großes Ansehen. Und trotzdem findet während des ganzen Jahres 1917 eine Reihe tiefgehender Parteidiskussionen statt. Am Vorabend der Oktoberumwälzung debattierte die gesamte Partei leidenschaftlich, Welcher der beiden Teile des Zentralkomitees recht habe: die Mehrheit, die für den Aufstand, oder die Minderheit, die gegen den Aufstand ist. Ausschlüsse und überhaupt Repressalien gab es nirgends, trotz der Tiefe der Meinungsverschiedenheiten. In diese Diskussionen wurden die parteilosen Massen hineingezogen. In Petrograd entsandte eine Tagung parteiloser Arbeiterfrauen eine Abordnung in das Zentralkomitee, um dessen Mehrheit zu unterstützen. Gewiss, die Diskussion erforderte Zeit. Dafür aber erwuchs aus der offenen Diskussion, ohne Drohungen, Lügen und Fälschereien, die allgemeine, unerschütterliche Gewissheit von der Richtigkeit der Politik, d. h. das, was allein den Sieg möglich machte.

Welchen Lauf werden die Dinge in Deutschland nehmen? Wird es dem kleinen Rad der Opposition gelingen, rechtzeitig das große Parteirad zu wenden? So steht jetzt die Frage. Oft ertönen pessimistische Stimmen. In den verschiedenen kommunistischen Gruppierungen, in der Partei selbst, wie an ihrer Peripherie gibt es nicht wenige Elemente, die sich sagen: in allen wichtigen Fragen hat die Linke Opposition eine richtige Stellung. Aber sie ist schwach, ihre Kader sind gering an Zahl und politisch unerfahren. Kann sich denn eine solche Organisation mit einem kleinen Wochenblatt («Permanente Revolution») erfolgreich der mächtigen Kominternmaschine entgegenstellen?

Die Lehren der Ereignisse sind stärker als die Stalinsche Bürokratie. Wir wollen die Deuter dieser Lehren vor dem Angesicht der kommunistischen Massen sein. Darin liegt unsere historische Rolle als Fraktion. Wir verlangen nicht wie Seydewitz & Co., dass revolutionäre Proletariat möge uns auf Kredit glauben. Wir weisen uns eine bescheidenere Rolle zu: wir schlagen der kommunistischen Avantgarde unsere Hilfe vor bei der Ausarbeitung der richtigen Linie. Für diese Arbeit sammeln und erziehen wir eigene Kader. Dieses Vorbereitungsstadium lässt sich nicht überspringen. Jede neue Kampfetappe wird die Nachdenklichsten und Kritischsten im Proletariat auf unsere Seite stoßen.

Die revolutionäre Partei beginnt mit einer Idee, einem Programm, das sich gegen die mächtigsten Apparate der Klassengesellschaft richtet. Nicht Kader schaffen die Idee, sondern die Idee schafft die Kader. Die Furcht vor der Macht des Apparates ist einer der hervorstechendsten Züge jenes besonderen Opportunismus, den die Stalinbürokratie hochzüchtet. Die marxistische Kritik ist stärker als alle und jede Apparate.

Welche organisatorischen Formen die weitere Entwicklung der Linken Opposition annehmen wird, hängt von vielen Umständen ab: von der Wucht der historischen Schläge, dem Grade der Widerstandskraft der Stalinschen Bürokratie, von der Aktivität der einfachen Kommunisten, von der Energie der Opposition selbst. Doch die Prinzipien und Methoden, die wir verfechten, sind durch die größten Ereignisse der Weltgeschichte überprüft, durch deren Siege wie durch deren Niederlagen. Sie werden sich Bahn brechen.

Die Erfolge der Opposition in allen Ländern, darunter auch in Deutschland sind unbestreitbar und offenkundig. Aber sie entwickeln sich langsamer, als es viele unter uns erwarteten. Man kann dies bedauern, darf sich aber darüber nicht wundern. Jeden Kommunisten, der auf die Linke Opposition zu hören beginnt, stellt die Bürokratie zynisch vor die Wahl: entweder die Hetze gegen den «Trotzkismus» mitzumachen oder aber aus den Reihen der Komintern hinauszufliegen. Für den Parteibeamten geht es um Posten und Gehalt: auf diesen Tasten weiß der Stalinsche Apparat tadellos zu spielen. Doch unermesslich wichtiger sind die Tausende einfacher Kommunisten, die sich zwischen ihrer Ergebenheit für die Ideen des Kommunismus und dem drohenden Ausschluss aus den Reihen der Komintern zerreißen. Daher gibt es in den Reihen der offiziellen Kommunistischen Partei sehr viele unfertige, eingeschüchterte oder versteckte Oppositionelle.

Diese außergewöhnliche Verquickung der historischen Bedingungen erklärt zur Genüge das langsame organisatorische Wachstum der Linken Opposition. Gleichzeitig dreht sich trotz dieser Langsamkeit, heute mehr denn die das geistige Leben der Komintern um den Kampf gegen den «Trotzkismus». Die theoretischen Zeitschriften und theoretischen Zeitungsartikel der WKP, wie auch der anderen Sektionen der Komintern, sind hauptsächlich dem Kampfe gegen die Linke Opposition gewidmet, bald offen, bald maskiert. Noch symptomatischere Bedeutung besitzt jene rasende organisatorische Hetze, die der Apparat gegen die Opposition betreibt: Sprengung ihrer Versammlungen mit Knüppelmethoden; Anwendung aller anderen physischen Gewalt; Kulissenvereinbarungen mit bürgerlichen Pazifisten, französischen Radikalen und Freimaurern gegen die «Trotzkisten»; Ausstreuung vergifteter Verleumdungen aus dem Stalinschen Zentrum usw. usf.

Die Stalinisten verspüren viel unmittelbarer und wissen besser als die Oppositionellen, in welchem Maße unsere Ideen ihre Apparatpfeiler untergraben. Die Selbstverteidigungsmethoden der Stalinschen Fraktion haben jedoch zweischneidigen Charakter. Bis zu einem gewissen Moment wirken sie einschüchternd. Aber sie bereiten zugleich eine Massenreaktion gegen das System der Falschheit und Gewalt vor.

Als im Juli 1917 die Regierung der Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Bolschewiki zu Agenten des deutschen Generalstabs stempelte, vermochte diese niederträchtige Maßnahme in der ersten Zeit eine starke Wirkung auf die Soldaten, die Bauern und die zurückgebliebenen Arbeiterschichten zu üben. Als aber alle weiteren Ereignisse den Bolschewiki klar recht gaben, begannen die Massen sich zu sagen: man hat also die Leninisten bewusst verleumdet, hat also gegen sie so gemein gehetzt, nur weil sie recht hatten? Und die Gefühle des Verdachtes gegen die Bolschewiki verwandelten sich in Gefühle heißer Ergebenheit und Liebe für sie. Obwohl unter anderen Bedingungen, vollzieht sich dieser sehr verwickelte Prozess auch jetzt. Durch die ungeheuerliche Anhäufung von Verleumdungen und Repressalien vermag Stalinsche Bürokratie unleugbar die einfachen Parteimitglieder für eine Zeitspanne einzuschüchtern; gleichzeitig aber bereitet sie für die Bolschewiki-Leninisten eine gewaltige Rehabilitierung in den Augen der revolutionären Massen vor. Gegenwärtig kann darüber nicht mehr der geringste Zweifel bestehen.

Ja, heute sind wir noch sehr schwach. Die Kommunistische Partei hat noch Massen, aber bereits weder Doktrin noch strategische Orientierung. Die Linke Opposition hat bereits ihre marxistische Orientierung ausgearbeitet, aber noch keine Massen. Die übrigen Gruppen des «linken» Lagers besitzen weder das eine noch das andere. Hoffnungslos siecht der Leninbund dahin, der eine ernste grundsätzliche Politik durch individuelle Phantasien und Launen Urbahns zu ersetzen gedachte. Die Brandlerianer steigen trotz ihrer Apparatkader von Stufe zu Stufe hinab; kleine taktische Rezepte können eine revolutionär-strategische Stellungnahme nicht ersetzen. Die SAP hat ihre Kandidatur auf die revolutionäre Führerschaft des Proletariats aufgestellt. Ein unbegründeter Anspruch! Selbst die ernstesten Vertreter dieser «Partei» überschreiten, wie Fritz Sternbergs letztes Buch beweist, nicht die Schranken des Linkszentrismus. Je beflissener sie eine «selbständige» Doktrin zu schaffen suchen, desto mehr erweisen sie sich als Schüler Thalheimers. Diese Schule aber ist hoffnungslos wie ein Leichnam.

Eine neue historische Partei kann nicht entstehen, einfach deshalb, weil sich eine Anzahl alter Sozialdemokraten mit großer Verspätung vom konterrevolutionären Charakter der Ebert-Welsschen Politik überzeugt haben. Eine neue Partei lässt sich ebenso wenig von einer Gruppe enttäuschter Kommunisten improvisieren, die noch durch nichts ihre Anrechte auf die proletarische Führerschaft bewiesen haben. Zur Entstehung einer neuen Partei bedarf es einerseits großer historischer Ereignisse, die den alten Parteien das Rückgrat brechen würden, andererseits einer durch die Erfahrung der Ereignisse ausgearbeiteten prinzipiellen Stellung und erprobter Kader.

Während wir aus aller Kraft für die Wiedergeburt der Komintern und die Kontinuität ihrer weiteren Entwicklung kämpfen, neigen wir am allerwenigsten zu nacktem Formfetischismus. Das Geschick der proletarischen Weltrevolution steht für uns über dem organisatorischen Geschick der Komintern. Sollte sich die schlimmere Variante verwirklichen; sollten, allen unseren Bemühungen zum Trotz, die heutigen offiziellen Parteien durch die Stalinsche Bürokratie zum Zusammenbruch geführt werden; sollte es in gewissem Sinne heißen, wieder von vorn zu beginnen, dann wird die neue Internationale ihren Stammbaum von den Ideen und Kadern der Linken Kommunistischen Opposition herleiten.

Und deshalb sind die kurzen Kriterien von «Pessimismus» und «Optimismus» nicht auf jenes Werk anwendbar, das wir vollbringen. Es steht über den einzelnen Etappen, den Teilniederlagen und Teilsiegen. Unsere Politik ist eine Politik auf weite Sicht.

Nachwort

Die vorliegende Broschüre, deren Teile zu verschiedenen Zeitpunkten niedergeschrieben wurden, war bereits abgeschlossen, als ein Berliner Telegramm die Nachricht vom Zusammenstoß der überwältigenden Mehrheit des Reichstages mit der Papenregierung und folglich mit dem Reichspräsidenten brachte. Die konkrete Entwicklung der weiteren Ereignisse werden wir in den Spalten der «Permanenten Revolution» zu verfolgen trachten. Hier wollen wir nur einige allgemeine Schlussfolgerungen unterstreichen, die anfechtbar erschienen, als wir die Broschüre begannen und seither dank dem Zeugnis der Tatsachen unanfechtbar geworden sind.

1. Der bonapartistische Charakter der Schleicher-Papen-Regierung ist durch deren isolierte Lage im Reichstage restlos aufgedeckt. Die unmittelbar hinter der Präsidialregierung stehenden agrarisch-kapitalistischen Kreise bilden einen unvergleichlich geringeren Prozentsatz der deutschen Nation, als der Prozentsatz der für Papen im Reichstag abgegebenen Stimmen.

2. Der Antagonismus zwischen Papen und Hitler ist der Antagonismus zwischen den agrarisch-kapitalistischen Spitzen und dem reaktionären Kleinbürgertum. So wie sich einst die liberale Bourgeoisie der revolutionären Bewegung des Kleinbürgertums bediente, ihm aber mit allen Mitteln wehrte, die Macht zu ergreifen, ist die Monopolbourgeoisie bereit, Hitler als Lakai zu entlohnen, nicht aber als Herren. Ohne zwingende Notwendigkeit will sie dem Faschismus die volle Macht nicht aushändigen.

3. Die Tatsache, dass die verschiedenen Fraktionen der Groß-, Mittel- und Kleinbourgeoisie einen offenen Kampf um die Macht führen, ohne einen äußerst riskanten Konflikt zu scheuen, beweist, dass sich die Bourgeoisie nicht unmittelbar durch das Proletariat bedroht sieht. Nicht nur die Nationalsozialisten und das Zentrum, sondern auch die Spitzen der Sozialdemokratie haben den Verfassungskonflikt nur in der festen Zuversicht gewagt, dass er nicht in einen revolutionären umschlagen wird.

4 Die einzige Partei, deren Abstimmung gegen Papen von revolutionären Absichten diktiert war, ist die Kommunistische Partei. Aber von revolutionären Absichten bis zu revolutionären Errungenschaften liegt noch ein weiter Weg.

5. Die Logik der Ereignisse ist derart, dass der Kampf um das «Parlament» und die «Demokratie» für jeden sozialdemokratischen Arbeiter eine Machtfrage wird. Darin liegt der Hauptinhalt des ganzen Konfliktes vom Standpunkt der Revolution. Die Machtfrage ist die Frage der revolutionären Aktionseinheit des Proletariats. Die Einheitsfrontpolitik gegenüber der Sozialdemokratie muss darauf gerichtet sein, schon in der nächsten Zukunft auf Grund der proletarisch-demokratischen Vertretung die Schaffung von Kampf Organen der Klasse, d. h. Arbeitersowjets, zu ermöglichen.

6. Angesichts der Geschenke an die Kapitalisten und des ungeheuerlichen Angriffs auf die Lebenshaltung des Proletariats muss die Kommunistische Partei die Losung der Arbeiterkontrolle über die Produktion aufstellen.

7. Die Fraktionen der besitzenden Klassen können sich nur deshalb untereinander raufen, weil die revolutionäre Partei schwach ist. Die revolutionäre Partei könnte unermesslich stärker werden, wenn sie die Rauferei zwischen den besitzenden Klassen richtig ausnutzen würde. Hierzu muss man die verschiedenen Fraktionen nach ihrem sozialen Bestand und ihren politischen Methoden zu unterscheiden wissen, nicht aber alles auf einen Haufen werfen. Die Theorie des «Sozialfaschismus», die vollständig und endgültig Bankrott gemacht hat, muss man endlich als untauglichen Plunder fortwerfen.

Prinkipo, den 14. September 1932.

L. Trotzki.

Fremdworterläuterungen

Agonie: Todeskampf.

Antagonismus: Gegenwirkung, Widerstreit, Gegnerschaft.

Antipode: Gegenstück, Gegenspieler.

Arithmetik: Rechenkunst.

Ästhetisch: geschmackvoll, anschauungsbetont.

Autarkie: wirtschaftliche Selbstversorgung eines Staates.

Bonapartismus: Herrschaft einer an sich schwachen Kaste, die sich unter Vorspiegelung ihrer Unparteilichkeit durch den Kampf zwischen ihren Gegnern an der Macht hält.

Dialektik: Lehre von der Bewegung infolge des inneren Widerspruches der Dinge und Zustände.

Diskreditieren: verrufen, des Vertrauens berauben.

Dynamisch: bewegt (Gegensatz zu statisch, starr).

Dynamische Betrachtung: Berücksichtigung des Zusammenwirkens verschiedener Kräfte.

EKKI: Exekutivkomitee der Komm. Internationale.

Expansion: Ausdehnung, Ausbreitung.

Feudalität: mittelalterliches System der Adelsvorrechte u. Junkerherrschaft.

Formfetischismus: Formdienerei, Festkleben an Äußerlichkeiten.

Hypothese: Annahme, Vermutung.

Imaginär: in Wirklichkeit nicht bestehend, erdichtet.

Imperialismus («Streben nach Herrschaft»): die gegenwärtige Epoche des Monopolkapitalismus der Kriege und Revolutionen.

Integral: in seiner Gesamtheit, ein Ganzes ausmachend.

Irrealität: Unwirklichkeit, Undurchführbarkeit.

Kapitulation: Waffenstreckung.

Kombination: Zusammenstellung, Verbindung.

Konjunkturzyklus: Marktschwankung, die in gewissen Zeitabschnitten wiederkehrt.

Kontinuität: Stetigkeit, stetiger Übergang.

Liquidierung: Beseitigung, Abschaffung.

Manchestertum: durch keine Gesetzgebung gehemmte Wirtschafts- und Handelsfreiheit der Unternehmer.

Monopolkapital: höchste Entwicklungsform des zusammengeballten Kapitals.

Paralysieren: auflösen, zersetzen, lähmen.

Pazifist: Friedensschwärmer.

Pedantisch: kleinlich, verbohrt.

Philanthrop: Menschenfreund.

Physisch: körperlich.

Plebejisch: im Sinne des Pöbels, herabsetzend gegen die nicht besitzende Klasse gebraucht.

Progressiv: fortschrittlich.

Protektionismus: Zollschutzbegünstigung der Unternehmer (England 1846 Ministerium Robert Peel).

Prosperität: Wohlstand, Epoche wirtschaftlicher Erfolge. Psychologie, Seelenkunde, seelischer Zustand. Sentimental, empfindelnd, gefühlsbetont. Stabilisierung, Festigung.

Trust: Ring, Verband mehrerer Großunternehmer zum Zwecke, die Preise ihrer Erzeugnisse hochzuhalten.

Utopismus: Verfolgen unmöglich zu verwirklichender Ziele, Schönträumerei.

Ultimatismus: Verhandlungsversuche durch willkürliche Bedingungen.

Unmotiviert: unbegründet.

* Während sie die oben zitierte Rede vor der Partei und der Komintern versteckte, unternahm die stalinistische Presse gegen sie einen ihrer üblichen Feldzüge. Manuilski schrieb, ich hätte gewagt, die Faschisten den Jakobinern «gleichzusetzen», die doch unsere revolutionären Vorfahren seien. Das letztere ist mehr oder minder richtig. Leider weisen diese Vorfahren nicht wenige Nachkommen auf, die unfähig sind, das Gehirn zu bewegen. Einen Nachhall des alten Streites kann man auch in den neuesten Erzeugnissen Münzenbergs gegen den Trotzkismus finden. Lassen wir dies aber beiseite.

** Diese Zeilen wurden Anfang August, vor den Verhandlungen zwischen Hindenburg-Papen und Hitler, niedergeschrieben.

*** Der Umstand, dass sich die Brandlerianer (s. ihre Stuttgarter «Tribüne» vom 27. August) auch in dieser Frage sorgfältig von uns abgesondert und die Maskerade von Stalin, Manuilski, Losowski, Münzenberg unterstützt haben, überrascht uns. am allerwenigsten. Nachdem sie das Muster ihrer Einheitsfrontpolitik in Sachsen 1923 geliefert hatten, unterstützten Brandler-Thalheimer hierauf die Stalinsche Politik gegenüber der Kuomintang und dem Anglorussischen Komitee. Wie sollten sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, unter Barbusses Banner zu treten? Anders wäre ja ihre politische Physiognomie nicht abgeschlossen.

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