Die SAP (Sozialistische Arbeiter-Partei)

Die SAP (Sozialistische Arbeiterpartei)

Die SAP eine «sozialfaschistische» oder konterrevolutionäre Partei zu nennen, vermögen nur besessene Beamte, die meinen, ihnen sei alles erlaubt, oder dumme Papageien, die Schimpfwörter wiederholen, ohne deren Sinn zu verstehen. Doch sein Vertrauen im Voraus einer Partei zu schenken, die nach ihrem Bruch mit der Sozialdemokratie sich erst noch auf dem Wege zwischen Reformismus und Kommunismus befindet, mit einer Führung: näher dem Reformismus als dem Kommunismus wäre unverzeihlicher Leichtsinn und billiger Optimismus. Die Linke Opposition trägt auch in dieser Frage nicht die mindeste Verantwortung für die Politik Urbahns.

Dir SAP besitzt kein Programm. Es handelt sich nicht um ein formelles Dokument: einem Programm wohnt Kraft inne nur dann, wenn sein Text verbunden ist mit revolutionärer Erfahrung der Partei, mit Kampfeslehren, die ihren Kaders in Fleisch urd Blut übergegangen sind. Nichts davon bei der SAP. Die russische Revolution, ihre einzelnen Etappen, der Kampf ihrer Fraktionen; die deutsche Krise von 1923: der Bürgerkrieg in Bulgarien: die Geschehnisse der chinesischen Revolution: die Kämpfe des englischen Proletariats (1926); die spanische revolutionäre Krise – alle diese Ereignisse, die im Bewusstsein eines Revolutionärs als leuchtende Marksteine des politischen Weges leben müssten, sind für die Kaders der SAP nur blasse Zeitungserinnerungen. nicht aber verarbeitete revolutionäre Erfahrung.

Dass eine Arbeiterpartei Einheitsfrontpolitik führen muss. ist unbestreitbar. Doch hat die Einheitsfrontpolitik ihre Gefahren.

Erfolgreich kann diese Politik nur von einer gestählten revolutionären Partei geführt werden. Jedenfalls kann die Einheitsfrontpolitik nicht das Programm einer revolutionären Partei ausmachen. Darauf ist indes die ganze Tätigkeit der SAP aufgebaut. Als Ergebnis wird die Einheitsfront ins Innere der Partei hineingetragen, d. h. dient zur Verwischung der Gegensätze zwischen den verschiedenen Tendenzen. Darin besteht aber auch die wesentliche Funktion des Zentrismus.

Die Tageszeitung der SAP ist vom Geiste der Halbheit durchtränkt. Trotz Ströbels Abgang bleibt das Blatt halb pazifistisch und nicht marxistisch. Die vereinzelten revolutionären Artikel ändern nichts an seiner Physiognomie, im Gegenteil, machen sie noch hervorstechender. Die Zeitung ergeht sich in Entzücken über den geschmacklosen, in seinem Geiste durch und durch kleinbürgerlichen Brief Küsters an Brüning über Militarismus. Sie applaudiert einem dänischen «Sozialisten», ehemaligen Minister von Königs Gnaden, für den Verzicht auf die Teilnahme an einer Regierungsdelegation wegen allzu erniedrigender Bedingungen. Der Zentrismus bescheidet sich mit wenig. Die Revolution aber fordert viel. Die Revolution fordert alles, voll und ganz.

Die SAP verurteilt die Gewerkschaftspolitik der KPD: Spaltung der Gewerkschaften und Schaffung der RGO (Roten Gewerkschaftsopposition). Kein Zweifel, die Politik der KPD ist auch auf diesem Gebiete zutiefst irrig: Losowskis Führerschaft kommt die internationale proletarische Avantgarde nicht billig zu stehen. Doch ist die Kritik der SAP nicht minder falsch. Es handelt sich keineswegs darum, dass die KPD die Reihen des Proletariats «spaltet» und die sozialdemokratischen Verbände «schwächt». Das sind keine revolutionären Kriterien, denn unter der heutigen Leitung dienen die Verbände nicht den Arbeitern, sondern den Kapitalisten. Das Verbrechen der KPD liegt nicht darin, dass sie Leiparts Organisation «schwächt», sondern darin, dass sie sich selbst schwächt. Die Teilnahme der Kommunisten an den reaktionären Verbänden ist nicht durch ein abstraktes Einheitsprinzip diktiert, sondern von der Notwendigkeit des Kampfes um die Säuberung der Organisationen von den Agenten des Kapitals. Bei der SAP tritt dieses aktive, revolutionäre, offensive Element zurück vor dem nackten Prinzip der Einheit von Verbänden, die durch Agenten des Kapitals geführt werden.

Die SAP klagt die Kommunistische Partei der Neigung zum Putschismus an. Solch eine Anklage stützt sich gleichfalls auf bekannte Tatsachen und Methoden; ehe sie aber des Rechtes zu dieser Anklage teilhaftig wird, muss die SAP genau formulieren und in der Tat vorführen, wie sie selbst zu den Grundfragen der proletarischen Revolution steht. Die Menschewiki haben die Bolschewiki stets des Blanquismus und Abenteurertums, d. h. des Putschismus beschuldigt. Indes war die leninsche Strategie von Putschismus entfernt wie Himmel und Erde. Doch Lenin verstand und lehrte die anderen die Bedeutung der «Kunst des Aufstandes» im proletarischen Kampf verstehen.

Die Kritik der SAP ist in diesen ihren Teilen umso verdächtigeren Charakters, je mehr sie sich an Paul Levi anlehnt, der, erschreckt durch die Kinderkrankheiten der Kommunistischen Partei, ihnen den Altersmarasmus der Sozialdemokratie vorzog. In engen Beratungen über die Märzereignisse des Jahres 1921 in Deutschland sagte Lenin von Levi: «Der Mann hat endgültig den Kopf verloren». Allerdings fügte Lenin sogleich verschmitzt hinzu: »Er hatte zumindest etwas zu verlieren, von den anderen kann man nicht einmal das behaupten». Unter dem Wort «andere» figurierten: Bela Kun, Thalheimer usw. Dass Paul Levi einen Kopf auf den Schultern hatte, lässt sich nicht leugnen. Aber ein Mensch, der den Kopf verloren hat und einen Sprung aus den Reihen des Kommunismus in die des Reformismus vollführt, eignet sich kaum als Lehrmeister einer proletarischen Partei. Levis tragisches Ende: der Sturz aus dem Fenster im Zustande der Unzurechnungsfähigkeit symbolisiert gleichsam seine politische Bahn.

Ist für die Massen Zentrismus bloß Übergang von einer Etappe zur anderen, so kann für einzelne Politiker der Zentrismus zur zweiten Natur werden. An der Spitze der SAP steht eine Gruppe verzweifelter sozialdemokratischer Beamten, Advokaten, Journalisten. Leute eines Alters, wo man die politische Erziehung für abgeschlossen ansehen muss. Ein verzweifelter Sozialdemokrat bedeutet noch keinen Revolutionär.

Ein Vertreter dieses Typus – sein bester Vertreter ist Georg Ledebour. Kürzlich erst hatte ich die Protokolle seines Gerichtsprozesses von 1919 lesen können. Lind mehr als einmal während der Lektüre applaudierte ich in Gedanken dem alten Kämpen, seiner Ehrlichkeit, seinem Temperament, seinem vornehmen Wesen. Doch die Schranken des Zentrismus hat Ledebour nie überschritten. Wo es um Massenaktionen geht, um höhere Formen des Klassenkampfes, deren Vorbereitung, um die Übernahme einer offenen Verantwortung für die Leitung von Massenkämpfen durch die Partei – dort bleibt Ledebour bloß bester Vertreter des Zentrismus. Das trennte ihn von Liebknecht und Luxemburg. Das trennt ihn jetzt von uns.

Empört darüber, dass Stalin den radikalen Flügel der alten Sozialdemokratie passiver Haltung zum Kampfe der unterdrückten Nationen beschuldigt, beruft Ledebour sich darauf, gerade in der nationalen Frage stets die größte Initiative bewiesen zu haben. Das ist vollkommen unbestreitbar. Persönlich hat Ledebour stets mit größter Leidenschaftlichkeit auf die chauvinistischen Noten in der alten Sozialdemokratie reagiert, wobei er keineswegs das in ihm selbst stark entwickelte deutsche Nationalgefühl verbarg. Ledebour war stets bester Freund der russischen, polnischen und anderen revolutionären Emigranten, Und viele von ihnen haben bis heute ein warmes Gedenken an den alten Revolutionär bewahrt, den man in den Reihen der sozialdemokratischen Bürokratie mit verächtlicher Ironie bald «Ledeburow», bald «Ledebursky» nannte.

Und nichtsdestoweniger hat Stalin, der weder Tatsachen noch Literatur jener Zeit kennt, in dieser Frage recht, zumindest soweit er Lenins Einschätzung wiederholt. Während er versucht sie zu widerlegen, bestätigt Ledebour nur diese Einschätzung. Er beruft sich darauf, in seinen Artikeln mehr als einmal der Empörung gegen die Parteien der 2. Internationale Ausdruck gegeben zu haben, die mit Seelenruhe der Arbeit ihres Parteikollegen Ramsay Macdonald zusahen, der das nationale Problem Indiens mit Hilfe von Flugzeugbombardierungen löste. In dieser Empörung und diesem Protest liegt der unzweifelhafte und ehrenvolle Unterschied zwischen Ledebour und einem Otto Bauer, von Hilferding oder Wels gar nicht zu sprechen: diesen Herren fehlt zur demokratischen Bombardierung nur ein Indien.

Nichtsdestoweniger überschreitet Ledebours Position auch in dieser Frage nicht die Schranken des Zentrismus. Ledebour fordert Kampf gegen koloniale Unterdrückung: er wird im Parlament gegen Kolonialkredite stimmen; wird die kühne Verteidigung der Opfer eines unterdrückten Kolonialaufstandes auf sich nehmen. Aber Ledebour wird nie teilnehmen an der Vorbereitung eines Kolonialaufstandes. Solch eine Arbeit hält er für Putschismus, Abenteurertum, Bolschewismus. Und hier liegt der Kern der Sache.

Was den Bolschewismus in der nationalen Frage kennzeichnet, ist. dass er die unterdrückten Nationen, selbst die rückständigsten, nicht nur als Objekte, sondern auch als Subjekte der Politik betrachtet. Der Bolschewismus begnügt sich nicht mit der Anerkennung ihres «Rechtes» auf Selbstbestimmung und mit parlamentarischen Protesten gegen die Knebelung dieses Rechtes. Der Bolschewismus dringt in die Mitte der unterdrückten Nationen, erhebt sie gegen die Unterdrücker, verbindet ihren Kampf mit dem Kampf des Proletariats der kapitalistischen Länder, unterweist die unterdrückten Chinesen, Inder, Araber in der Kunst des Aufstandes und nimmt die volle Verantwortung für diese Arbeit vor dem Angesicht der zivilisierten Henkersknechte auf sich. Hier erst beginnt auch der wahre Bolschewismus d. h. der revolutionäre Marxismus der Tat: Was diese Schranke nicht erreicht, bleibt alles Zentrismus.

Die Politik einer proletarischen Partei lässt sich nie richtig bewerten auf Grund bloßer nationaler Kriterien. Für den Marxisten ist das ein Grundsatz. Welches sind die internationalen Verbindungen und Sympathien der SAP? Norwegische, schwedische, holländische Zentristen, Organisationen, Gruppen. Einzelpersonen, denen ihr passiver arid provinzieller Charakter gestattet, sich zwischen Reformismus und Kommunismus zu halten. – das sind die nächsten Freunde. Angelika Balabanowa ist eine symbolische Figur für die internationalen Verbindungen der SAP: sie versucht auch jetzt, die neue Partei mit den Splittern der Zweieinhalb-lnternationale zu vereinigen.

Leon Blum, Verfechter der Reparationen, sozialistischer Gevatter des Bankiers Oustric, wird auf den Seiten des Seydewitzblattes «Genosse? geheißen. Was ist das? Höflichkeit? Nein. Prinzipienlosigkeit, Charakterlosigkeit, Rückgratlosigkeit. Kleinigkeitskrämerei wird irgendein Kabinettsweiser sagen. Nein, in diesen Kleinigkeiten zeigt sich das Tiefinnerste der Politik viel Wahrhaftiger und offener als in der abstrakten, durch keinerlei revolutionäre Erfahrung bekräftigten Anerkennung der Sowjets, Es ist sinnlos, Blum einen «Faschisten» zu nennen und sich selbst lächerlich zu machen. Wer aber anderes als Geringschätzung und Hass für diese politische Kreatur übrig hat, ist kein Revolutionär.

Die SAP grenzt sich vom «Genossen» Otto Bauer in jenen Schranken ab. in weichen Max Adler sich von ihm abgrenzt. Für Rosenfeld und Seydewitz ist Bauer lediglich ein vielleicht nur vorübergehender geistiger Gegner, während er für uns ein unversöhnlicher Feind ist, der Österreichs Proletariat in den furchtbarsten Morast hineingeführt hat.

Max Adler ist ein ziemlich empfindliches zentristisches Barometer. Auf den Gebrauch eines solchen Instrumentes darf man nicht verzichten, muss aber streng beachten, dass es den Wetterwechsel zwar registriert, ihn jedoch nicht beeinflusst. Unter dem Druck der kapitalistischen Ausweglosigkeit ist Max Adler, nicht ohne philosophische Bitternis, bereit, die Unvermeidlichkeit der Revolution anzuerkennen. Was ist das aber für eine Anerkennung! Wie viel Klauseln und Seufzer! Das Beste wäre, wenn II. und III. internationale sich vereinigten. Am vorteilhaftesten, den Sozialismus auf demokratischem Wege einzuführen. Aber ach, diese Methode ist augenscheinlich nicht zu verwirklichen. Offenbar wird auch in den zivilisierten Ländern, nicht nur in den barbarischen, die Arbeiterklasse, leider, leider, die Revolution vollbringen müssen. Aber auch diese melancholische Anerkennung der Revolution bleibt nur ein literarisches Faktum. Solche Bedingungen, in denen Max Adler sagen könnte: Die Stunde hat geschlagen!, gab es in der Geschichte weder, noch wird es sie geben. Leute vom Typus Adlers sind fähig, vergangene Revolutionen zu rechtfertigen, ihre künftige Unausbleiblichkeit anzuerkennen, nie aber mögen sie hierzu in der Gegenwart aufrufen. Diese ganze Gruppe alter linker Sozialdemokraten, die weder der imperialistische Krieg umgewandelt hat, noch die russische Revolution, muss man als hoffnungslos ansehen. Als Barometerinstrumente – vielleicht. Als revolutionäre Führer – nein!

Ende Dezember wandte sich die SAP an alle Arbeiterorganisationen mit der Aufforderung, im ganzen Lande Versammlungen zu organisieren, auf denen die Redner aller Richtungen über gleiche Redezeit verfügen würden. Es ist klar: auf diesem Wege lässt sich nichts erreichen. Welchen Sinn hätte es in der Tat für die Kommunistische oder die Sozialdemokratische Partei, sich in gleiche Rednerrechte mit Brandler, Urbahns usw. zu teilen, den Vertretern von Organisationen und Gruppen, die zu bedeutungslos sind, um auf einen besonderen Platz in der Bewegung Anspruch erheben zu können? Einheitsfront ist Einheit der kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitermassen und nicht das Paktieren politischer Gruppen, die bar von Massen sind.

Man wird uns erklären: der Block Rosenfeld-Brandler-Urbahns ist nur ein Block der Einheitsfrontpropaganda. Aber gerade auf dem Gebiete der Propaganda ist ein Block unzulässig. Die Propaganda muss sich auf klare Prinzipien stützen, auf ein bestimmtes Programm. Getrennt marschieren, vereint schlagen. Der Block dient lediglich praktischen Massenaktionen. Spitzenabkommen ohne prinzipielle Grundlage können nichts als Verwirrung bringen.

Die Idee, einen Präsidentschaftskandidaten der Arbeitereinheitsfront aufzustellen, ist eine an der Wurzel falsche Idee. Einen Kandidaten kann man nur auf dem Boden eines bestimmten Programms aufstellen. Die Partei hat kein Recht, während der Wahlen auf die Mobilisierung ihrer Anhänger und auf die Berechnung ihrer Kräfte zu verzichten. Die allen übrigen Kandidaturen gegenüberstehende Kandidatur der Partei kann durchaus nicht eine Übereinkunft mit anderen Organisationen über unmittelbare Kampfziele verwehren. Sämtliche Kommunisten, ob sie nun der offiziellen Partei angehören oder nicht, werden aus allen Kräften Thälmanns Kandidatur unterstützen. Es geht nicht um Thälmann, sondern um das Banner des Kommunismus. Dieses werden wir gegen alle übrigen Parteien verteidigen. Indem sie die von der Stalinbürokratie den einfachen Kommunisten eingeimpften Vorurteile hinweg räumt, wird die Linke Opposition sich den Weg zu deren Bewusstsein bahnen.*

Welches war die Politik der Bolschewiki in Bezug auf Arbeiterorganisationen oder «Parteien», die sich nach links entwickelten, von Reformismus oder Zentrismus zum Kommunismus?

In Petrograd bestand 1917 die Organisation der Interrayonisten, die an die 4000 Arbeiter umfasste. Die bolschewistische Organisation belief sich in Petrograd auf Zehntausende von Arbeitern. Nichtsdestoweniger setzte sich das Petrograder Komitee der Bolschewiki über alle Fragen mit den Interrayonisten ins Einvernehmen, unterrichtete sie über alle seine Pläne und erleichterte damit die völlige Verschmelzung.

Man könnte einwenden, die Interrayonisten hätten politisch den Bolschewiki nahegestanden. Doch beschränkte sich die Sache nicht auf die Interrayonisten. Als die Gruppe der Menschewiki-Internationalisten (Gruppe Martow) sich den Sozialpatrioten entgegenstellte, unternahmen die Bolschewiki entschieden alles, um gemeinsame Aktionen mit den Martowisten zu erzielen, und wenn sie dies in der Mehrzahl der Fälle nicht erreichten, so war es keineswegs Schuld der Bolschewiki. Man muss hinzufügen, dass die Menschewiki-Internationalisten sich formell im Rahmen einer gemeinsamen Partei mit Zeretelli und Dan befanden.

Dieselbe Taktik, jedoch in unvergleichlich breiterem Maßstabe, wurde den Linken Sozialrevolutionären gegenüber wiederholt. Die Bolschewiki reihten einen Teil der linken Sozialrevolutionäre sogar in das Revolutionäre Kriegskomitee ein, d. h. das Organ des Umsturzes, obwohl die Linken Sozialrevolutionäre damals noch immer zur gleichen Partei gehörten wie Kerenski, gegen den der Umsturz gerichtet war. Gewiss, das war nicht sehr logisch seitens der Linken Sozialrevolutionäre und bewies, dass in ihren Köpfen nicht alles in Ordnung war. Würde man aber die Stunde abgewartet haben, wo in aller Köpfe alles in Ordnung wäre, es hätte auf der Welt nie eine siegreiche Revolution gegeben. Die Bolschewiki schlossen später mit der Partei der Linken Sozialrevolutionäre (linke «Kornilowianer» oder linke «Faschisten», nach der heutigen Terminologie) einen Regierungsblock, der mehrere Monate währte und erst nach dem Aufstand der Linken Sozialrevolutionäre sein Ende fand.

Folgendermaßen resümierte Lenin die Erfahrung der Bolschewiki in Bezug auf die nach links strebenden Zentristen: «Eine richtige Taktik der Kommunisten muss in der Ausnutzung dieser Schwankungen bestehen und durchaus nicht in deren Ignorieren; die Ausnutzung erfordert Zugeständnisse an jene Elemente, dann, soweit und der Art, als und inwieweit sie sich dem Proletariat zuwenden» … Die Taktik der Bolschewiki hatte auch in dieser Frage nichts gemein mit bürokratischem Ultimatismus.

Thälmann und Remmele waren vor nicht so langer Zeit noch in der Unabhängigen Partei. Würden sie ihr Gedächtnis anstrengen, so gelänge es ihnen vielleicht, ihre politische Geistesverfassung jener Jahre wiederherzustellen, da sie nach dem Bruche mit der Sozialdemokratie der Unabhängigen Partei beigetreten waren und sie nach links drängten. Was, wenn ihnen damals jemand gesagt hätte, die seien bloß «linker Flügel der monarchistischen Konterrevolution»? Sie hätten wahrscheinlich gefunden, ihr Ankläger sei berauscht oder verrückt. Unterdes bestimmen sie jetzt selbst gerade so den Charakter der SAP.

Erinnern wir daran, welche Schlussfolgerungen Lenin an das Entstehen der Unabhängigen Partei geknüpft hatte: Warum hat in Deutschland ein ebensolcher, vollkommen gleichartiger (wie in Russland 1917) Zug der Arbeiter von rechts nach links nicht direkt zur Verstärkung der Kommunisten, sondern vorerst der Zwischenpartei der «Unabhängigen» geführt? Offenbar war eine der Ursachen die fehlerhafte Politik der deutschen Kommunisten, die ganz furchtlos und ehrlich diesen Fehler bekennen müssen und lernen, ihn zu verbessern … Der Fehler bestand in zahlreichen Äußerungen jener radikalen Kinderkrankheit, die jetzt zum Ausbruch gekommen ist und je schneller, desto besser, mit umso größerem Nutzen für die Organisation, geheilt werden wird.» Das ist ja wirklich direkt für den heutigen Tag geschrieben!

Die gegenwärtige Kommunistische Partei ist weitaus stärker als der damalige Spartakusbund. Wenn nun heute eine zweite Ausgabe der Unabhängigen Partei erscheint, zum Teil mit der gleichen Führung, lastet die Schuld umso schwerer auf der Kommunistischen Partei.

Das Entstehen der SAP ist eine widerspruchsvolle Tatsache. Besser wäre natürlich gewesen, wenn die Arbeiter direkt zur Kommunistischen Partei gegangen wären. Doch dazu hätte die Kommunistische Partei eine andere Politik und andere Führung haben müssen. In der Bewertung der SAP darf man nicht von einer kommunistischen Idealpartei ausgehen, sondern von jener, die existiert. Inwieweit die Kommunistische Partei auf den Positionen des bürokratischen Ultimatismus verharrt und den zentripetalen Kräften innerhalb der Sozialdemokratie entgegenwirkt, war das Entstehen der SAP eine unvermeidliche und progressive Tatsache.

Die Progressivität dieser Tatsache wird indes außerordentlich gemindert durch die zentristische Leitung. Würde sie festen Fuß fassen, es wäre das Verderben der SAP. Sich mit dem Zentrismus der SAP ihrer allgemein progressiven Rolle wegen auszusöhnen, hieße diese progressive Rolle liquidieren.

Die an der Spitze der Partei stehenden im Manövrieren erfahrenen Versöhnlerelemente werden auf jede Weise die Gegensätze maskieren und die Krise hinausschieben. Aber diese Mittel langen bloß bis zum ersten ernsthaften Ansturm der Ereignisse. Die Krise der Partei wird gerade am Siedepunkt der revolutionären Krise ausbrechen können und ihre proletarischen Elemente lähmen. Aufgabe der Kommunisten ist, den Arbeitern der SAP rechtzeitig zu helfen, ihre Reihen vom Zentrismus zu säubern und sich der zentristischen Führerschaft zu entledigen. Dazu ist nötig, nichts zu verschweigen, die guten Absichten nicht für Taten zu nehmen und alles beim rechten Namen zu nennen. Aber wirklich beim rechten Namen und nicht einem ausgedachten. Kritisieren, nicht aber verleumden! Annäherung suchen, nicht aber vor die Brust stoßen!

Über den linken Flügel der Unabhängigen Partei schrieb Lenin: «Einen «Kompromiss» mit diesem Flügel zu fürchten, ist direkt lächerlich. Im Gegenteil, die Kommunisten müssen unbedingt eine geeignete Form des Kompromisses mit ihnen suchen, das einerseits die unerlässliche volle Verschmelzung mit diesem Flügel erleichtern und beschleunigen, anderseits die Kommunisten bei ihrem ideologischen und politischen Kampf gegen den opportunistischen rechten Flügel der «Unabhängigen» nicht behindern würde.» Zu dieser taktischen Direktive kann man auch heute fast nichts hinzufügen.

Den linken Elementen der SAP sagen wir: «Revolutionäre werden nicht nur in Streiks und Straßenkämpfen gestählt, sondern vor allem – im Kampf um die richtige Politik der eigenen Partei. Nehmt die «21 Bedingungen», die seinerzeit für die Aufnahme neuer Parteien in die Komintern ausgearbeitet wurden. Nehmt die Arbeiten der Linken Opposition, wo die «21 Bedingungen» auf die politische Entwicklung der letzten 8 Jahre angewendet sind. Im Lichte dieser «Bedingungen» eröffnet eine planmäßige Offensive gegen den Zentrismus in den eigenen Reihen und führt die Sache bis zum Ende. Sonst wird Euch nichts bleiben als die wenig ehrenvolle Rolle der linken Deckung des Zentrismus.»

Und weiter? Weiter: – mit dem Gesicht zur KPD. Die Revolutionäre stehen durchaus nicht zwischen SPD und Kommunistischer Partei, wie Rosenfeld und Seydewitz es wünschen. Nein, die sozialdemokratischen Führer bilden die Agentur des Klassenfeindes im Proletariat. Die kommunistischen Führer sind verwirrte, schlechte, ungeschickte, vom Wege geratene Revolutionäre oder Halbrevolutionäre. Das ist nicht ein und dasselbe. Die Sozialdemokratie muss man zerstören. Die Kommunistische Partei ausrichten. Ihr sagt, das sei unmöglich? Aber habt Ihr überhaupt versucht, Euch ernsthaft ans Werk zu machen?

Gerade heute, gerade jetzt, wo auf die Kommunistische Partei die Ereignisse eindringen, müssen wir durch den Druck unserer Kritik den Ereignissen nachhelfen. Die kommunistischen Arbeiter werden uns umso aufmerksamer anhören, je rascher sie sich in der Tat überzeugen werden, dass wir keine «dritte Partei» suchen, sondern ehrlich bemüht sind, ihnen zu helfen, die bestehende Kommunistische Partei in den wirklichen Führer der Arbeiterklasse zu verwandeln.

- Und wenn es nicht gelingt?

- Wenn es nicht gelänge, würde es in der gegebenen historischen Lage fast unentrinnbar den Sieg des Faschismus bedeuten. Doch vor großen Kämpfen fragt der Revolutionär nicht danach, was sein wird, wenn es nicht gelingt, sondern, was zu tun, damit es gelänge. Das ist möglich, das ist verwirklichbar, folglich – muss es getan werden.

* In der «Permanenten Revolution» ist leider ein allerdings nicht redaktioneller Artikel erschienen zur Verteidigung eines einheitlichen Arbeiterkandidaten. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die deutschen Bolschewiki-Leninisten eine solche Einstellung zurückweisen werden.

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