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Leo Trotzki 19330312 Brief an das Internationale Sekretariat

Leo Trotzki: Brief an das Internationale Sekretariat

[Nach dem handschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 974, International Institute of Social History, Amsterdam]

Werte Genossen,

der deutsche Stalinismus bricht jetzt zusammen, nicht so sehr unter dem Einfluss der faschistischen Schläge wie als Folge seiner inneren Verfaultheit. Wir hatten die Aufgabe der Wiedergeburt der Partei, solange es die geringste Hoffnung gab, so wie ein Arzt den Kranken nicht verlässt, der noch einen Lebenshauch besitzt. Aber es wäre sträflich, sich an einen Kadaver zu binden. Die KPD stellt heute einen Kadaver dar.

Die Missachtung der Avantgarde der deutschen Arbeiter gegenüber der Bürokratie, die sie getäuscht hat, wird so groß sein, dass die Losung der Wiedergeburt ihnen als falsch und lächerlich erscheinen wird. Sie werden Recht haben. Die Stunde hat geschlagen! Man muss offen die Frage stellen, sich vorzubereiten zur Schaffung der neuen Partei.

Unter welcher Form wird diese Arbeit vor sich gehen? Man muss sich natürlich auf die durch die frühere Entwicklung geschaffen Elemente stützen. Aber die neue Perspektive und die neue Losung werden der Linken Opposition neue Möglichkeiten eröffnen. Vor allem man muss offen aussprechen, was ist. Man muss den Bruch mit der stalinistischen Bürokratie in Deutschland klarstellen. Diese scharfe Wendung unserer Politik, hervorgerufen durch den Umschwung der Lage (der „4. August“ ist eine vollendete Tatsache), wird sich nicht mit einen Schlage von allen unsere Gen. annehmen lassen. Darum ist es notwendig, die Fragen in unseren eigenen Reihen klarzulegen und vor allem bei den deutschen Gen. Diese Aufg. wird außerordentlich erleichtert sein, wenn das Int. Sekretariat sofort eine klare entschlossene Haltung einnehmen wird.

Die stalinistische Bürokratie unternimmt einen Amsterdamer Kongress, diesmal gegen den Faschismus. Wenn der Kongress einberufen wird, wird es notwendig sein, ihn viel besser auszunutzen als den Antikriegskongress. Ausnahmslos alle Sektionen müssen ein Mittel finden, um auf dem Kongress vertreten zu sein. Die Vergabe der Mandate an die Gen. des Landes, in dem sich der Kongress versammeln wird, ist eines dieser Mittel. Prinzipienerklärungen müssen von allen Seiten eingehen (nicht in ihrem eigenen Namen, sondern durch die verschiedenen Arbeiterorganisationen).

Da es sich darum handelt, sich auf dem Kongress als Feinde der zentristischen Bürokraten und liberalen Antifaschisten darzustellen, müssen wir Vereinbarungen zu schließen suchen mit Organisationen wie der Partei (und den Gewerkschaften) Sneevliets in Holland, die SAP in Deutschland und anderen ähnlichen Organisationen. Zu diesem Ziel muss man mit unserer Erklärung, die die Avantgarde der deutschen Arbeiter an die Gründung einer neuen Partei erinnern muss, auch ein kürzeres und einfacheres Dokument ausarbeiten, dem sich nach vorangehenden Besprechungen auch unsere Verbündeten anschließen können (als Generalthema den Irrtum dieses Kongresses aufzeigen). Das ist ein sehr bedeutender taktischer Schritt, der die politische Selbstbestimmung unserer etwaigen Verbündeten vorwärts stoßen wird und uns in Deutschland die Gründung der neuen Partei erleichtern wird.1

Differenzen über diesen oder jenen besonderen Punkt können keine Bedeutung haben und werden sich im Laufe der weiteren politischen Arbeit lösen, wenn wir nur schon über die Grundsätze einverstanden sind, d.h. über die Notwendigkeit, eine scharfe Wendung in unserer Haltung gegenüber der KP Deutschlands zu vollziehen.

Die Wendung besteht natürlich nicht darin, uns als die neue Partei zu erklären. Es kann davon keine Rede sein. Aber wir erklären: Die offizielle Partei ist politisch liquidiert, sie wird sich nicht wieder aufrichten können. Wir wollen das Erbe ihrer Verbrechen nicht auf uns nehmen. Die Fortgeschrittensten der deutschen Arbeiter müssen eine neue Partei aufbauen. Wir Bolschewiki-Leninisten schlagen ihnen unsere Mitarbeit vor.

Hier stellt sich natürlich die Frage: Wie sich gegenüber den anderen Sektionen der KI und zur ihrer Gesamtheit verhalten? Brechen wir unverzüglich mit ihr? Meiner Meinung nach wäre es falsch, auf diese Frage die starre Antwort zu geben: Ja, wir brechen mit ihr. Die politische Entwicklung geht nicht in einer solchen starren Form vor sich. Die Niederlage der KP Deutschl.s vermindert natürlich die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der KI. Aber anderseits kann diese Katastrophe eine gesunde Reaktion in verschiedenen Sektionen hervorrufen. Wir müssen bereit sein, ihr zu helfen. Die Frage der Sowjetunion bleibt ungelöst, die Ausrufung der Losung einer zweiten Partei wäre falsch. Wir rufen heute zur Gründung der neuen Partei in Deutschland, um die Komintern den Händen der stalinistischen Bürokratie zu entreißen. Es handelt sich nicht um die Gründung der 4. Internationale, sondern um die Rettung der dritten.

Die innere Lage in Deutschl. und besonders die der KP zwingen zur Schlussfolgerung: man muss auf weite Sicht anlegen, ohne sich in Kleinigkeiten aufzugeben. Das heißt praktisch: Man muss im Auslande ein theoretisches und politisches Organ der Linken Opp. gründen. Man muss es sofort tun, um dem Denken der Arbeiter einen Anhaltspunkt in der allgemeinen Verwirrung zu geben. Man muss sich auf dem schnellsten Wege mit den deutschen Gen. über diese Erscheinung verständigen.2

12. März 1933

G. Gurow

1In der anderen Übersetzung folgt hier ein Absatz, der stilistisch bearbeitet lautet: „Zusammen mit diesem Brief oder unmittelbar danach schicke ich Ihnen einen Artikel, in dem ich den Leser auf die Notwendigkeit der Schaffung eine neue Partei in Deutschland hinweise . Ich schicke diesen Artikel ausschließlich an Sie, um in dieser höchst bedeutsamen Frage maximale Einmütigkeit mit Ihnen sicherzustellen. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es nötig ist, mutig und entschlossen zu sein. Mein Artikel kann die vorbereitende Diskussion in der ganzen Opposition erleichtern. Aber vor den Zentralkomitees der Sektionen muss man die Frage sehr viel Konkreter stellen. Dieser Brief, den ich an Sie richte, verfolgt dieses Ziel. Noch einmal, ich schicke ihn nur an Sie. Falls wir prinzipiell übereinstimmen, bitte ich Sie, diesen Brief (in Auszügen) samt Ihrer Resolution oder Ihrem eigenen Brief zum selben Thema so rasch wie möglich an die Leitungen aller Sektionen zu schicken.

2In der anderen Übersetzung.folgt: „Die Reise Kellers war sehr nützlich, da sie uns einen klaren Überblick über das, was geschieht, gegeben hat, und uns erlaubt hat, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Aber sein weiteres Verbleiben in Deutschland ist wenig angezeigt. Er wird bei der Redaktion der deutschen Zeitschrift nützlicher sein.

Ich erwarte mit Ungeduld Eure Antwort auf alle diese Fragen.

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