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Leo Trotzki 19330317 Deutschland und UdSSR

Leo Trotzki: Deutschland und UdSSR

[Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 746, International Institute of Social History, Amsterdam]

Nur für die Mitglieder der Organisation

Deutschland und UdSSR

(Zur Information der Sektionen der Internationalen Linken Opposition)

1. Das völlige Fehlen eines Widerstandes seitens der deutschen Arbeiter hat in unseren Reihen selbst gewisse Bedenken hervorgerufen. Wir rechneten damit, dass die Annäherung der faschistischen Gefahr nicht nur die bösartige Politik der Reformisten, sondern auch die ultimatistische Sabotage der Stalinisten überwinden würde. Diese Hoffnung hat sich nicht verwirklicht. War unsere Rechnung falsch? Man kann diese Frage nicht auf solch eine formelle Weise stellen. Wir waren gezwungen, von einem Kurs auf den Widerstand auszugehen und alles Mögliche zu tun, damit er sich verwirklicht. Die Unmöglichkeit eines Widerstands à priori anzuerkennen, hätten bedeutet, das Proletariat nicht vorwärtszutreiben, sondern eine ergänzendes demoralisierendes Element hinzuzufügen.

Die Ereignisse haben eine Überprüfung gebracht. Das erste Fazit dieser Prüfung ist in Trotzkis Artikel „Die Tragödie des deutschen Proletariats“ gezogen. Jetzt kann man fast mit Sicherheit sagen, dass nur ein Konjunkturwechsel den Anstoß zu wirklichen Massenkämpfen mit sich bringen wird. Bis dahin handelt es sich hauptsächlich um eine Arbeit der Kritik und der Vorbereitung. Das Regime des faschistischen Terrors wird eine ernste Prüfung für die oppositionellen Kader im Ganzen und für jedes Mitglied im Besonderen sein. Gerade in einer solchen Periode stählen und erziehen sich Revolutionäre. Solange die Gewerkschaften von den Faschisten toleriert werden, ist es notwendig, dass die Linksoppositionellen um jeden Preis hineingehen, um darin eine entschieden konspirative Arbeit zu leisten. Der Übergang zur Illegalität bedeutet nicht einfach, sich ins „Unterirdische“ zu begeben (Schaffung einer Zeitung im Auslande, deren Hereinschmuggelung und Verbreitung, illegale Zellen innerhalb des Landes usw.), sondern auch, fähig zu sein, die konspirative Arbeit in den legalen Massenorganisationen zu leisten, insoweit diese vorhanden sind.

2. Die Frage der möglichen Rolle der Rote Armee stellt sich scharf für viele Genossen. Natürlich steht nicht die Frage, unsere prinzipielle Position zu revidieren. Hätte die innere Lage in der UdSSR erlaubt, dann müsste die Sowjetregierung bei der ersten Annäherung Hitlers an die Macht einige Armeekorps in Weißrussland und der Ukraine mobilisieren, natürlich unter dem Zeichen der Verteidigung der Sowjetgrenzen. Sich auf den unbestreitbaren Gedanken stützend, dass die Rote Armee den ausländischen Revolutionen nur helfen, nicht aber sie ersetzen kann, neigen einige Genossen zur Schlussfolgerung, dass es beim Fehlen eines offenen Bürgerkrieges in Deutschland unmöglich sei, zur Mobilisierung in der UdSSR Zuflucht zu nehmen. Eine solche Art der Fragestellung ist zu abstrakt. Natürlich kann die Rote Armee nicht an Stelle der deutschen Arbeiter die Revolution machen, sondern sie kann nur der Revolution der deutschen Arbeiter helfen. Aber in verschiedenen Stadien kann sich diese Hilfe verschieden darstellen: z.B. kann die Rote Armee den deutschen Arbeitern helfen, die Revolution zu beginnen.

Was das deutsche Proletariat paralysierte, war eine Stimmung der Zersplitterung, Isolierung und Hoffnungslosigkeit. Schon allein die Perspektive der Möglichkeit einer bewaffneten Hilfe von draußen hätte auf die Avantgarde einen ungeheuer ermutigenden Einfluss ausgeübt. Der erste ernste Akt des Widerstandes seitens der deutschen Arbeiter gegen Hitler hätte den Bruch zwischen dem faschistischen Deutschland und der UdSSR provozieren und zu einer militärischen Lösung führen können. Die Sowjetregierung kann nicht das geringste Interesse haben, als Angreifer zu handeln. Es ist dies nicht eine prinzipielle Frage, sondern eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit. Für die bäuerlichen Massen wäre ein Krieg mit dem Ziele, dem deutschen Proletariat zu helfen, wenig begreiflich gewesen. Man kann die Bauern in einen derartigen Krieg hineinziehen, wenn er mit der Verteidigung des Sowjetlandes gegen eine drohende Gefahr beginnt. (Alles, was über dieses Thema der Verteidigung und des Angriffs in Trotzkis „Geschichte“ gesagt wurde, betrifft nicht weniger den Krieg.)

Die Formen der Wirkung der Roten Armee in den deutschen Ereignissen müssen sich selbstverständlich dem Gang dieser Ereignisse selbst und der Stimmung der deutschen Arbeitermassen anpassen. Aber gerade, weil die deutschen Arbeiter sich selbst ohnmächtig gefühlt haben, die Ketten der Passivität zu zerreißen, hätte die Initiative des Kampfes, sogar in seiner vorläufigen obengenannten Form der Roten Armee gehören müssen. Jetzt ist das Hindernis dafür nicht die Lage in Deutschland, sondern die Lage in der UdSSR. Es scheint, dass manche ausländischen Genossen dieser Seite der Frage eine ungenügende Beachtung widmen. Vor mehr als einem Jahr haben wir von der Notwendigkeit einer Intervention der Roten Armee im Falle eines An-die-Macht-Kommens des Faschismus gesprochen. Dabei stützten wir uns auf die Hoffnung, dass die notwendige Wendung der Politik nicht nur in Deutschland, sondern auch in der UdSSR herbeigeführt, die wirtschaftliche Lage verbessert und die Sowjetunion dadurch die notwendige Bewegungsfreiheit bekommen würde. In Wirklichkeit aber hat die innere Entwicklung während des letzten Jahres eine außerordentlich ungünstigen Charakter angenommen. Die wirtschaftliche Lage sowie die Stimmung der Massen erschweren einem Krieg im höchsten Grade. Alle aus der UdSSR kommenden Informationen sagen, dass die Parole des militärischen Hilfe für das deutsche Proletariat unter den heutigen Umständen selbst für die fortgeschrittensten russischen Arbeiter als unausführbar, unreal und phantastisch aussehen würde.

Wir gehen kein Jota von unserer prinzipiellen Position ab. Aber die Position des aktiven Internationalismus dient uns heute vor allem dazu, eine unversöhnliche Kritik der stalinistischen Bürokratie, die den Arbeiterstaat in entscheidender Stunde paralysierte, anzuwenden, denn wir können keinesfalls die objektive Lage außer Betracht lassen; die Konsequenzen der Fehler haben sich in objektive Faktoren verwandelt. Unter den jetzigen Umständen die Mobilisierung der Roten Armee zu fordern, würde rein aventuristisch sein. Desto entschiedener muss man die Wendung der Politik der UdSSR fordern im Namen der Festigung der proletarischen Diktatur und der aktiven Rolle der Roten Armee.

17. März 1933

G. G-off.


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