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Leo Trotzki 19330528 Die deutsche Katastrophe

Leo Trotzki: Die deutsche Katastrophe

[Nach Neue Weltbühne, 2. Jahrgang Nr. 23 (8. Juni 1933), S. 699-706]

Die Epoche des Imperialismus ist, zumindest in Europa, eine Epoche jäher Wendungen. Die Politik gewinnt äußerst beweglichen Charakter und läuft auf Manöver hinaus. Einsatz ist jedes mal nicht die eine oder die andre Teilreform sondern das Schicksal des Regimes. Hieraus folgt die Rolle der revolutionären Partei und ihrer Führung. Glich in der guten alten Zeit – als die Sozialdemokratie planmäßig und ununterbrochen wuchs, ebenso wie der sie ernährende Kapitalismus – der Parteivorstand Bebels einem Generalstab, der in Ruhe Pläne für einen unbestimmten kommenden Krieg entwirft (und vielleicht kommt er auch nie?), so gleicht das Zentralkomitee der revolutionären Partei in den heutigen Umständen dem Hauptquartier einer aktiven Armee. Die Strategie des Studierzimmers ist von der des Schlachtfelds abgelöst worden.

Der Kampf mit einem zentralistischen Feind erfordert Zentralisation. Diesen Gedanken haben sich die deutschen Arbeiter, seit je im Geiste der Disziplin erzogen, mit neuer Kraft während des Kriegs und der ihm folgenden politischen Erschütterungen angeeignet. Die Arbeiter sind nicht blind für die Gebrechen der Führung. Aber keiner kann für sich allein aus dem Schraubstock der Organisation springen. Alle miteinander meinen, dass eine starke Führung, mag sie auch Fehler haben, besser sei als Auseinanderstreben und Freischärlerei. Noch niemals in der Geschichte der Menschheit spielte ein politischer Stab eine solche Rolle und trug eine solche Verantwortung wie in der heutigen Epoche.

Die beispiellose Niederlage des deutschen Proletariats ist die größte Tatsache der jüngsten Geschichte seit der Erkämpfung der Macht durch das russische Proletariat Die erste Aufgabe nach der Niederlage: die Politik der Führung zu überprüfen. Zwar weisen die am meisten verantwortlichen Führer, die sich – dem Himmel sei Dank – in völliger Sicherheit befinden, pathetisch auf die gefangenen Ausführenden hin, um der Kritik den Mund zu stopfen; diesem Beweis falscher Sentimentalität können wir aber nicht anders als mit Verachtung begegnen. Unsre Solidarität mit den Gefangenen Hitlers ist unerschütterlich. Allein, sie erstreckt sich nicht auf die Fehler der Führer. Die erlittenen Verluste werden nur in dem Falle gerechtfertigt sein, wenn das Denken der Besiegten einen Schritt vorwärts tut. Voraussetzung dafür ist mannhafte Kritik.

Die ewigen Sieger

Im Verlauf eines ganzen Monats hat sich nicht eins der kommunistischen Organe, auch nicht die Moskauer ,Prawda', über die Katastrophe des 5. März geäußert: man wartete darauf, was das Präsidium der Kommunistischen Internationale sagen würde. Das Präsidium seinerseits schwankte zwischen zwei entgegengesetzten Varianten: „Das deutsche Zentralkomitee hat uns irregeführt" und: „Das deutsche ZK verfolgte eine richtige Politik". Die erste Variante fiel weg: die Vorbereitung der Katastrophe ging vor den Augen der ganzen Welt vor sich, die Führer der Komintern waren durch die vorausgegangene Polemik mit der Opposition zu stark festgelegt. Der 7. April brachte endlich die Entscheidung: „Die politische Linie … des ZK mit Thälmann an der Spitze war bis zum und im Augenblick des Hitlerschen Umsturzes völlig richtig". Bleibt nur übrig, alle die zu bedauern, die von den Faschisten ins Jenseits befördert wurden, bevor sie diese tröstliche Feststellung erfahren konnten.

Die Resolution des Präsidiums beschäftigt sich nicht, wie man vor allem erwarten dürfte, mit der Analyse der Politik der deutschen Kommunistischen Partei, sondern mit der tausendundersten Anklage gegen die Sozialdemokratie: die Koalition mit der Bourgeoisie, teilt man uns mit, zog sie der Koalition mit den Kommunisten vor; dem wirklichen Kampf gegen den Faschismus wich sie aus; sie fesselte die Initiative der Massen; und da sie die „Führung der Arbeitermassenorganisationen" in ihren Händen zusammenfasste, gelang es ihr, den Generalstreik zu untergraben. Das alles ist wahr. Aber das alles ist nicht neu. Die Sozialdemokratie als Partei der sozialen Reformen erschöpfte ihre fortschrittliche Mission in dem Maße, wie der Kapitalismus sich in den Imperialismus verwandelte. Im Kriege wirkte die Sozialdemokratie als direktes Werkzeug des Imperialismus. Nach dem Krieg verschrieb sie sich offiziell dem Kapitalismus als Hausarzt. Die Kommunistische Partei wollte sein Totengräber sein. Auf wessen Seite war der Gang der Entwicklung? Das Chaos der internationalen Beziehungen, der Zusammenbruch der pazifistischen Illusionen, die beispiellose Krise, die einem Krieg mit einem Schwanz von Seuchen gleicht, – das alles enthüllt offenkundig den Verfallscharakter des europäischen Kapitalismus und die Hoffnungslosigkeit des Reformismus. Wohin aber ist die Kommunistische Partei geraten? Die Kommunistische Internationale übersieht im Grunde genommen ihre eigene Sektion. Indes versammelte diese bei Wahlen bis zu 6 Millionen Stimmen auf sich. Das ist schon nicht mehr eine Avantgarde, das ist eine große selbständige Armee. Warum aber figurierte sie in den Ereignissen nur als Objekt der Verfolgungen und des Pogroms? Warum erwies sie sich in der entscheidenden Stunde als vom Schlag gelähmt? Es gibt Umstände, denen man nicht ohne Kampf entrinnen kann. Die Niederlage kann das Ergebnis der Übermacht der feindlichen Kräfte sein; nach einer Niederlage kann man sich wieder erheben. Passive Auslieferung der entscheidenden Positionen aber bedeutet organische Kampfunfähigkeit; das wird nie verziehen

Das Präsidium sagt uns, dass die Politik der Kommunistischen Internationale richtig gewesen sei „bis zum und im Augenblick des Umsturzes". Allein, eine richtige Politik beginnt mit einer richtigen Einschätzung der Lage. Jedoch hörten wir im Verlauf der letzten vier Jahre, bis hart an den 5. März 1933, tagaus tagein, dass in Deutschland eine mächtige antifaschistische Front ununterbrochen wachse, dass der Nationalsozialismus zurückgehe und sich zersetze, dass die ganze Lage unter dem Zeichen der revolutionären Offensive stehe. Wie konnte eine Politik richtig sein, deren ganze Perspektive zusammengebrochen ist wie ein Kartenhaus?

Das passive Zurückweichen rechtfertigt das Präsidium damit, dass die „der Unterstützung seitens der Mehrheit der Arbeiterschaft beraubte" Kommunistische Partei sich nicht, ohne ein Verbrechen zu begehen, in den Entscheidungskampf einlassen konnte. Jedoch rechnet dieselbe Resolution den Aufruf zum Generalstreik vom 20. Juli der Partei als Verdienst an. In der Aufzählung der Verdienste wird aus irgendeinem Grunde ein ebensolcher Aufruf vom 5. März nicht erwähnt. Der Generalstreik – das ist ja der „Entscheidungskampf". Beide Aufrufe entsprachen vollkommen den Pflichten der Führerin der „einigen antifaschistischen Front" unter den Bedingungen der „revolutionären Offensive". Zum Unglück entsprachen den Aufrufen die Aktionen nicht: es meldete sich nicht ein Mann. Wenn aber zwischen den Perspektiven und den Aufrufen einerseits, den Tatsachen und den Aktionen andrerseits, solch ein schreiender Widerspruch auftaucht, so ist nicht leicht zu verstehen, wodurch sich eine im Grunde richtige Politik von einer verderblichen unterscheidet. Auf jeden Fall vergaß das Präsidium zu erklären: War der zweimalige Aufruf zum Streik richtig, oder war es die Nichtbeachtung des Aufrufs durch die Arbeiter?

Spaltung und Einheit

Wäre jedoch die Ursache der Niederlage in der Spaltung des Proletariats an und für sich zu erblicken? Eine solche Erklärung ist speziell für denkfaule Gemüter geschaffen. Die Einheit des Proletariats ist als Universallosung eine leere Fiktion. Das Proletariat ist ungleichförmig. Die Spaltung setzt zugleich mit seinem politischen Erwachen ein und bildet die Mechanik seines Wachstums. Nur unter den Bedingungen einer gereiften sozialen Krise, angesichts der unmittelbaren Aufgabe der Machtergreifung kann die Avantgarde bei einer richtigen Politik die erdrückende Mehrheit der Klasse um sich vereinigen. Aber der Aufstieg zu diesem revolutionären Höhepunkt führt über die Stufen der Spaltung.

Lenin hat die Einheitsfrontpolitik nicht erfunden; wie auch die Spaltung wird sie von der Dialektik des Klassenkampfs aufgedrängt. Keinerlei Erfolge wären denkbar ohne zeitweilige Vereinbarungen einzelner Teile, Organisationen und Gruppen des Proletariats im Namen unaufschiebbarer Ziele. Streik, Gewerkschaft, Parlamentswahlen, Straßendemonstrationen und so weiter erfordern jedes Mal die praktische Überbrückung des Spalts, das heißt die Einheitsfront ad hoc, mag sie auch nicht immer deutliche Form annehmen. Auf den ersten Stufen der Bewegung entsteht aus eigenem Antrieb die episodische Einheit von unten. Sie muss aber auch oben hergestellt werden, wenn die Massen gewohnt sind, vermittels ihrer Organisation zu kämpfen. Unter den Bedingungen der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder bildet die Losung „Einheitsfront nur von unten" einen groben Anachronismus, der sich von den Erinnerungen an die ersten Etappen der revolutionären Bewegung, besonders des zaristischen Russland, nährt.

Aus einer elementaren Tatsache verwandelt sich der Kampf um die Aktionseinheit auf einer bestimmten Höhe in eine taktische Aufgabe. Die nackte Formel der Einheitsfront entscheidet nichts. Nach der Einheit rufen nicht nur die Kommunisten sondern auch die Reformisten und sogar die Faschisten. Die taktische Anwendung der Einheitsfront ist in jeder gegebenen Periode einer bestimmten strategischen Konzeption unterworfen. Zur Vorbereitung der Arbeitereinheit ohne und gegen den Reformismus ist eine lange, hartnäckige, geduldige Erfahrung in der Anwendung der Einheitsfront mit den Reformisten nötig, – immer unter dem Gesichtswinkel des revolutionären Endziels. Auf diesem Gebiet eben gab uns Lenin unvergleichliche Vorbilder.

Sozialdemokratie und Faschismus

Die strategische Konzeption der Kommunistischen Internationale war von Anfang bis Ende falsch. Ihre deutsche Partei ging davon aus, dass zwischen Sozialdemokratie und Faschismus einfache Arbeitsteilung herrsche, dass ihre Interessen von gleicher Art, wenn nicht übereinstimmend seien. Anstatt die Zuspitzung des Verhältnisses zwischen ihrem wichtigsten politischen Gegner und ihrem Todfeind zu fördern – dazu war nur nötig, die Tatsachen nicht zu vergewaltigen sondern sie laut beim Namen zu nennen, – redete die Kommunistische Internationale auf die Reformisten und die Faschisten ein, dass sie Zwillinge seien, prophezeite sie ihre Versöhnung, erbitterte sie die sozialdemokratischen Arbeiter und stieß sie zurück, befestigte sie die reformistischen Führer. Schlimmer als das: In allen Fällen, wo trotz den Hindernissen örtliche Einheitsausschüsse für Arbeiterselbstschutz geschaffen wurden, zog die Bürokratie die Kommunisten unter der Drohung mit dem Ausschluss aus ihnen zurück. Konsequenz und Beharrlichkeit bewies sie nur in der Sabotage der Einheitsfront, „von oben" und „von unten". Allerdings führte sie dies verderbliche Werk in der besten Absicht durch.

Keine Politik der Kommunistischen Partei hätte die Sozialdemokratie in eine Partei der Revolution verwandeln können. Aber das war auch nicht der Zweck. Notwendig war es, bis zum Schluss den Gegensatz zwischen Reformismus und Faschismus auszunützen – zur Schwächung des Faschismus; und gleichzeitig vor den Arbeitern die Unzulänglichkeit der sozialdemokratischen Führung zu enthüllen – zur Schwächung des Reformismus. Beide Aufgaben verschmolzen naturgemäß zu einer. Die Politik der Kominternbürokratie führte zum umgekehrten Ergebnis: die Kapitulation der Reformisten kam den Faschisten und nicht den Kommunisten zugute; die sozialdemokratischen Arbeiter hielten sich an ihre Führer; die kommunistischen Arbeiter verloren den Glauben an sich und an die Führung.

Die Massen wollten kämpfen, aber beharrlich arbeitete man ihnen von oben entgegen. Gespanntheit, Unruhe und am Ende Desorientiertheit zerfraßen das Proletariat von innen. Gefährlich ist es, Gussmetall zu lange im Feuer zu lassen; noch gefährlicher ist es, die Gesellschaft zu lange im Zustand einer revolutionären Krise zu erhalten. Das Kleinbürgertum wälzte sich in seiner ganzen schweren Masse nur darum auf die Seite des Nationalsozialismus, weil das von oben gelähmte Proletariat sich ohnmächtig zeigte, es auf einen andern Weg zu führen. Das Fehlen eines Widerstands seitens der Arbeiter hob das Selbstvertrauen das Faschismus und verringerte die Furcht der Großbourgeoisie vor dem Wagnis des Bürgerkriegs. Die unvermeidliche Demoralisierung des immer mehr von der Klasse isolierten kommunistischen Vortrupps machte selbst den geringsten Teilwiderstand unmöglich. So wurde der Triumphzug Hitlers über die Knochen der proletarischen Organisationen gesichert.

Die falsche strategische Konzeption der Komintern geriet auf jeder Etappe in Zusammenstoß mit der Wirklichkeit. Daraus ergab sich der zehrende Kurs der unbegreiflichen und unerklärlichen Zickzacks. Das Grundprinzip der Komintern lautete: Einheitsfront mit den reformistischen Führern ist unzulässig. In der kritischsten Stunde aber wandte sich das Zentralkomitee der deutschen Partei ohne Erklärung und Vorbereitung an den sozialdemokratischen Parteivorstand mit einem ultimativen Einheitsfrontvorschlag – heute oder nie! Nicht nur die Führer sondern auch die Arbeiter des reformistischen Lagers sahen in einem solchen Schritt nicht die bloße Frucht der Erschrockenheit sondern umgekehrt eine teuflische Falle. Nach dem unvermeidlichen Durchfall dieser Initiative befahl die Kommunistische Internationale den einfachen Übergang zur Tagesordnung: Von neuem wurde selbst der Gedanke an eine Einheitsfront für konterrevolutionär erklärt. Eine derartige Schmähung des politischen Bewusstseins der Massen konnte nicht ungestraft dahingehen Durfte man bis zum 5. März noch eben vermuten, dass die Komintern es für zulässig hält, sich an die Sozialdemokratie erst in letzter Minute – unter, dem Knüppel des Feindes – zu wenden, so machte der Aufruf des Präsidiums vom: 5. März, der allen sozialdemokratischen Parteien der Welt gemeinsamen Kampf vorschlug, unabhängig von den inneren Bedingungen eines jeden Landes, auch diese Erklärung unmöglich. In dem Universalvorschlag zur Einheitsfront, der jedenfalls für das vom Reichstagsbrand erleuchtete Deutschland zu spät kam, war keine Rede mehr vom „Sozialfaschismus". Die Komintern willigte sogar ein – schwer zu glauben, doch war es schwarz auf weiß gedruckt –, sich für die ganze Dauer des gemeinsamen Kampfes der Kritik an der Sozialdemokratie zu enthalten.

Kaum waren jedoch die Wellenringe dieser panischen Kapitulation vor dem Reformismus verlaufen, als Wels Hitler seine Loyalität schwur und Leipart dem Faschismus Mitarbeit und Unterstützung anbot. „Die Kommunisten hatten recht," erklärte unverzüglich das Präsidium, „wenn sie die Sozialdemokraten als Sozialfaschisten bezeichneten." Diese Menschen haben immer recht. Warum aber hatten sie sich dann wenige Tage vor dieser so handgreiflichen Bestätigung ihrer Theorie vom „Sozialfaschismus" selbst von ihr losgesagt? Gut, dass niemand wagt, den Führern so kitzlige Fragen zu stellen! Aber damit war der Unglücksfälle noch kein Ende, die Bürokratie denkt für das heutige Tempo der Ereignisse zu langsam Kaum war das Präsidium auf die rühmlichst bekannte Offenbarung „Faschismus und Sozialdemokratie sind Zwillinge" zurückgekommen, als Hitler die völlige Zerschlagung der freien Gewerkschaften unternahm, Leipart & Co unterwegs verhaftend. Das Verhältnis zwischen den Zwillingsbrüdern hat sich als alles andre denn als brüderlich entpuppt.

Anstatt den Reformismus als eine geschichtliche Realität zu nehmen, mit all seinen Interessen und Widersprüchen, all seinem Schwanken nach rechts und nach links, operiert die Bürokratie der Kommunistischen Internationale mit Blechschablonen. Leiparts Bereitschaft, nach der Niederlage auf allen Vieren zu kriechen, wird ausgegeben für einen Beweis gegen die Einheitsfront bis zur Niederlage und für deren Vermeidung. Als ob die Politik der Kampfvereinbarungen ausginge von dem Mannesmut der reformistischen Führer und nicht von der Unversöhnlichkeit zwischen den Organen der proletarischen Demokratie und den Banden des Faschismus.

Im August 1932, als Deutschland sich noch unter der Herrschaft des „sozialen Generals" befand, der für das von der Komintern verkündete Bündnis zwischen Hitler und Wels bürgen musste, schrieben wir: „Alles spricht dafür, dass das Dreieck Wels-Schleicher-Hitler auseinanderfiele, ehe es sich noch recht herausgebildet hätte. Vielleicht aber würde es durch die Kombination Hitler-Wels ersetzt werden? … Nehmen wir an, die Sozialdemokratie würde, ohne sich vor den eignen Arbeitern zu scheuen, Hitler ihre Tolerierung verkaufen wollen. Allein, der Faschismus braucht diese Ware nicht; er braucht nicht Tolerierung sondern die Abschaffung der Sozialdemokratie. Die Hitlerregierung kann ihre Aufgabe nur verwirklichen, wenn sie den Widerstand des Proletariats gebrochen und alle möglichen Organe eines solchen Widerstands beseitigt hat. Darin besteht die geschichtliche Rolle des Faschismus." („Der einzige Weg.")

Hitlers Strategie.

Dass die Reformisten nach der Niederlage, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, glücklich gewesen wären, wenn Hitler ihnen erlaubt hätte, legal zu vegetieren, daran kann man nicht zweifeln.

Zu ihrem Unglück aber begreift Hitler – für ihn ist die Erfahrung mit Italien nicht umsonst gewesen –, dass die Arbeiterorganisationen, auch wenn ihre Führer mit einem freiwillig angelegten Maulkorb umher gingen, bei der ersten politischen Krise unausbleiblich zu einer drohenden Gefahr würden.

Dr. Ley, der Feldwebel der heutigen Arbeitsfront, hat viel einsichtiger als das Präsidium der Kommunistischen Internationale die gegenseitigen Beziehungen zwischen den sogenannten Zwillingen bestimmt: „Der Marxismus stellt sich tot," sagte Ley am 2. Mai, „um sich bei günstiger Gelegenheit von neuem zu erheben … Uns täuscht der schlaue Fuchs nicht! Lieber geben wir ihm einen letzten Fangschuss, als dass wir jemals wieder dulden würden, dass er sich erhebe. Die Leiparts und Graßmänner mögen Hitler noch soviel Ergebenheit heucheln – es ist besser, sie befinden sich in Schutzhaft. Deshalb schlagen wir dem marxistischen Gesindel seine Hauptwaffe aus der Hand (die Gewerkschaften) und nehmen ihm damit seine letzte Möglichkeit, sich neu zu stärken." Wäre die Bürokratie der Kommunistischen Internationale nicht so unfehlbar und würde sie den kritischen Stimmen Gehör schenken, so hätte sie zwischen dem 22. März, als Leipart Hitler Treue schwur, und dem 2. Mai, als Hitler Leipart ungeachtet des Schwurs verhaftete, keine neuen Fehler begangen.

Im Grunde bedurfte es, um die Theorie vom „Sozialfaschismus" umzustoßen, gar nicht solch „sauberer" Arbeit wie des räuberischen Einbruchs der Faschisten in die Gewerkschaften. Selbst wenn Hitler es infolge des Kräfteverhältnisses für zweckmäßig gehalten hätte, Leipart einstweilen und dem Namen nach an der Gewerkschaftsleitung zu belassen, so würde diese Übereinkunft nicht die Unversöhnbarkeit der Grundinteressen beseitigen. Vom Faschismus geduldet, hätten sich die Reformisten nach der fetten Suppe der Weimarer Demokratie gesehnt; allein dadurch wären sie versteckte Feinde gewesen. Wie kann man nicht sehen, dass die Interessen von Sozialdemokratie und Faschismus unversöhnlich sind, wenn sogar für den „Stahlhelm" ein selbständiges Dasein im Dritten Reich undenkbar ist? Mussolini hat ziemlich lange die Sozialdemokratie und sogar die Kommunistische Partei geduldet, um sie dann um so schonungsloser zu vernichten. Die Abstimmung der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten für die Außenpolitik Hitlers bedeckt diese Partei mit neuer Schande; aber sie wird ihr Schicksal nicht um ein Jota verbessern!

Als eine der Hauptursachen für den Sieg des Faschismus betrachten die unglückseligen Führer – allerdings im Geheimen – die „Genialität" Hitlers, der alles vorausgesehen und nichts vernachlässigt habe. Es wäre müßig, jetzt die faschistische Politik rückschauend einer Kritik zu unterziehen. Erinnern wir nur daran, dass im vorigen Sommer Hitler den Höhepunkt des faschistischen Vormarsches verstreichen ließ. Aber selbst dieser grobe Tempoverlust – ein Riesenfehler! – hatte keine verhängnisvollen Folgen; Görings Brandstiftung im Reichstag, so plump diese Provokation auch ausgeführt wurde, brachte dann ja doch das gewünschte Ergebnis. Dasselbe kann man von der faschistischen Politik im Ganzen sagen: sie führte trotz allem zum Sieg. Die Übermacht der faschistischen Führung über die Führung des Proletariats zu leugnen, ist unglückseligerweise nicht angängig. Allein, nur aus unangebrachter Bescheidenheit schweigen die geschlagenen Führer über ihren eignen Anteil an Hitlers Sieg. Der faschistische Führer brauchte kein politisches Genie zu sein. Die Strategie der Feinde machte die Unzulänglichkeiten seiner eignen Strategie reichlich wett.

Prinkipo. 28. Mai 1933

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