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Leo Trotzki 19330305 Erklärung der der Internationalen Linksopposition (Bolschewiki-Leninisten) angehörenden Delegierten

Leo Trotzki: Erklärung der der Internationalen Linksopposition (Bolschewiki-Leninisten) angehörenden Delegierten an den Kongress für den Kampf gegen den Faschismus

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der ILO, Jahrgang 1, Nr. 4 (Anfang Mai 1933), S. 3 f.]

Der Sieg Hitlers in Deutschland zeigt, dass der Kapitalismus weiter weder unter den Bedingungen der Demokratie leben noch um so weniger sich mit demokratischem Plunder verhüllen kann. Entweder die Diktatur des Proletariats, oder nackte Diktatur des Finanzkapitals. Entweder Arbeiterräte, oder bewaffnete Banden der entfesselten kleinbürgerlichen Meute.

Der Faschismus hat und kann kein Programm des Auswegs aus der Krise der kapitalistischen Gesellschaft haben. Aber das bedeutet nicht, dass der Faschismus automatisch als Opfer seiner eigenen Gehaltlosigkeit fällt. Nein, er wird die kapitalistische Ausbeutung unterstützen, indem er das Land zugrunde richtet, die Kultur vermindert und in die Sitten immer größere Verwilderung hinein trägt. Der Sieg des Faschismus war das Ergebnis der Unfähigkeit des Proletariats, die Führung der Geschicke der Gesellschaft an sich zu nehmen. Der Faschismus wird leben, so lange sich das Proletariat nicht erhebt.

Indem sie die proletarische Revolution von 1918 an die Bourgeoisie verriet und so noch einmal den verfallenden Kapitalismus rettete, gab die Sozialdemokratie, gerade sie und nur sie, der Bourgeoisie die Möglichkeit, sich in der folgenden Etappe auf den faschistischen Banditismus zu stützen. Indem sie in den Fesseln des „kleineren Übels" von Stufe zu Stufe herunterstieg, endete die Sozialdemokratie bei der Wahl des reaktionären Feldmarschalls Hindenburg, der seinerseits Hitler zur Macht berief. Indem sie die Arbeitermassen mit den Illusionen der Demokratie unter dem verfaulenden Kapitalismus demoralisierte, nahm die Sozialdemokratie dem Proletariat jegliche Widerstandskraft.

Die Versuche, diese grundlegende geschichtliche Verantwortlichkeit auf den Kommunismus abzuwälzen, sind unsinnig und ehrlos. Ohne den Kommunismus hätte der linke Flügel des Proletariats längst den Weg des Anarchismus, des Syndikalismus und des Terrorismus beschritten oder einfach die Kampftruppen des Faschismus vermehrt. Das Beispiel Österreichs zeigt allzu deutlich, dass auch dort, wo die Sozialdemokratie bei äußerster Schwäche des Kommunismus, die Reihen des Proletariats, ohne sich mit jemandem zu teilen, beherrscht, dazu im Rahmen des von ihr selbst geschaffenen demokratischen Staates ihre Politik Schritt für Schritt den Triumph des Faschismus vorbereitet.

Die Spitzen des deutschen Reformismus versuchen jetzt, sich dem Hitler-Regime anzupassen, um die Reste ihrer legalen Positionen und die damit verbundenen Einkünfte zu retten. Vergebens! Der Faschismus führt Schwärme hungriger, unersättlicher Heuschrecken hinter sich her, die für sich das Monopol auf Posten und Sinekuren beanspruchen und es auch erlangen werden. Die Deklassierung der reformistischen Bürokratie, die ein Nebenresultat der Zertrümmerung der proletarischen Organisationen ist, stellt die geschichtliche Vergeltung dar für die ununterbrochene Kette von Verrat der Sozialdemokratie, beginnend mit dem 4. August 1914.

Die Führer der anderen sozialdemokratischen Parteien sind nun bemüht, sich von ihren deutschen Waffenbrüdern abzugrenzen. Es wäre jedoch unzulässiger Leichtsinn, aufs Wort der „linken" Kritik der reformistischen Internationale zu vertrauen, deren alle Sektionen sich auf verschiedenen Abschnitten des gleichen Wegs befinden. Wie zur Zeit des imperialistischen Krieges. so ist auch im Prozesse des Zusammenbruchs der bürgerlichen Demokratie jede der Partei der zweiten Internationale bereit, ihre Reputation auf Kosten einer anderer nationalen Partei zu reparieren. In Wirklichkeit aber leisten sie alle ein und dieselbe Arbeit. Leon Blum unterstützt die Regierung des militaristischen und imperialistischen Frankreich. Vandervelde, der Vorsitzende der zweiten Internationale, hat, soviel wir wissen, nicht seine Unterschrift von eben jenem Versailler Friedensvertrag zurückgezogen, der dem deutschen Faschismus seine jetzige Entfaltung verliehen hat.

Sämtliche grundlegenden prinzipiellen Erklärungen der ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale, und zwar: über den Niedergangscharakter des imperialistischen Kapitalismus; über die Unvermeidlichkeit des Zerfalls der bürgerlichen Demokratie; über die Ausweglosigkeit des Reformismus; über die Notwendigkeit des revolutionären Kampfes für die Diktatur des Proletariats – haben in den deutschen Ereignissen ihre unverrückbare Bestätigung gefunden. Aber sie haben sich durch eine verkehrte Methode gerechtfertigt: nicht in Form des Siegs, sondern in Form einer Katastrophe. Wenn es der deutschen Sozialdemokratie trotz fast fünfzehnjährigem Bestande der Komintern gelungen ist, die Politik des „kleineren Übels" bis zum letzten Resultat, d. h. bis zum größten in der gegenwärtigen Geschichte denkbaren Übel durchzuführen, so muss die Ursache dessen darin gesucht werden, dass sich der Kommunismus der Epigonen unfähig erwiesen hat, seine historische Mission zu erfüllen.

Bis zum Jahre 1923 ging die Komintern in allen Ländern fast ununterbrochen vorwärts, wobei sie die Sozialdemokratie schwächte und verdrängte. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sie jedoch nicht nur keine neuen zahlenmäßigen Eroberungen mehr gemacht, sondern sie war auch einer tiefen qualitativen Entartung unterworfen. Der Zusammenbruch der offiziellen kommunistischen Partei in Deutschland war die schicksalsmäßige Vollendung der „Generallinie", die verlief über die ersten Kapitulation im Jahre 1923 in Deutschland, die Abenteuer in Bulgarien und Estland, die Theorie und Praxis des Sozialismus in einem Lande,1 die Kapitulation vor der Kuomintang in China, die nicht weniger schändliche Kapitulation vor der Bürokratie der Trade Unions in England, das Abenteuer von Kanton, die Paroxysmen2 der „dritten Periode", der Bruch mit den gewerkschaftlichen Massenorganisationen, die Theorie und Praxis des „Sozialfaschismus", die Politik der „nationalen Befreiung" und der „Volksrevolution", die Ablehnung der Einheitsfront, die Ausstoßung der Linken Opposition und der Hetze gegen sie, schließlich die völlige Unterdrückung der Selbständigkeit der proletarischen Avantgarde und die Ersetzung des demokratischen Zentralismus durch die Allmacht des prinzipienlosen und stumpfen Apparats.

Das Wesen des Bürokratismus bildet Misstrauen gegen die Massen und das Bestreben, ihre revolutionäre Selbsttätigkeit durch Spitzenkombinationen oder bloßes Kommandieren zu ersetzen. In Deutschland wie auch in anderen Ländern hat die Stalinsche Bürokratie der Arbeiterklasse fortwährend Ultimaten gestellt. Von oben ordnete sie Fristen für Streiks oder die „Eroberung der Straße" an; sie setzte für sie willkürlich „Rote Tage" oder „Rote Monate" an. Sie befahl ihr, ohne Kritik alle ihre Losungen und alle Zickzacks hinzunehmen; sie forderte, dass das Proletariat auf Vorschuss und ohne Einwände ihre Führung in der Einheitsfront anerkenne – und auf diesen widerlichen Ultimatismus baute sie ihren durch und durch falschen und kraftlosen Kampf gegen den Faschismus.

Fehler sind im Kampfe des Proletariats unvermeidlich. An den eigenen Fehlern lernen die Parteien, bilden Kader heraus, erziehen Führer. Aber in der jetzigen Komintern haben wir nicht Fehler, sondern ein falsches System, das eine richtige Politik unmöglich macht. Der soziale Träger dieses Systems ist die breite bürokratische Schicht, die, mit ungeheuren materiellen und technischen Mitteln ausgestattet, faktisch von den Massen unabhängig ist und für den Preis der Desorganisation der proletarischen Avantgarde und deren Schwächung gegenüber dem Klassenfeinde einen wütenden Kampf um ihre Selbsterhaltung führt. So ist das Wesen des Stalinismus in der internationalen Arbeiterbewegung.

Die Linke Opposition (Bolschewiki-Leninisten) hat während der letzten Jahren vor den Augen der ganzen Welt das Anwachsen der faschistischen Welle verfolgt und die Politik wahren revolutionären Realismus vorgezeichnet. Schon im Herbst 1929, d.i. dreieinhalb Jahre zurück, ganz zu Beginn der Weltkrise, schrieb die Linke Opposition:

So, wie sich aus dem Konflikt des Liberalismus mit der Monarchie nicht selten eine revolutionäre Situation heraus gestaltete, kann sich aus dem Zusammenstoß der Sozialdemokraten mit dem Faschismus – zweier antagonistischer Bevollmächtigter der Bourgeoisie – eine revolutionäre Situation entwickeln, die im weiteren Verlauf über beide hinauszuwachsen vermag. Kein proletarischer Revolutionär hätte etwas getaugt, der in der Epoche der bürgerlichen Revolution nicht fähig gewesen wäre, die Bedeutung eines Konflikts zwischen den Liberalen und der Monarchie zu begreifen, und, statt diesen Konflikt revolutionär auszunützen, die Gegner auf einen Haufen geworfen hätte? Kein Kommunist taugt etwas, der vor einem Zusammenstoß zwischen Faschismus und Sozialdemokratie stehend, ihn mit der hohlen Formel des Sozialfaschismus, die jeden Inhalts entbehrt, einfach verdeckt."

Auf dieser allgemeinen strategischen Perspektive hätte die Einheitsfrontpolitik aufgebaut sein müssen. Schritt für Schritt verfolgte die linke Opposition im Verlauf der letzten drei Jahre die Entwicklung der politischen Krise in Deutschland. In ihren periodischen Publikationen und in einer Reihe von Broschüren hat sie alle Stadien des Kampfes der Analyse unterzogen, den ultimativen Charakter der Formel über die Einheitsfront „nur von unten" enthüllt, wo sie konnte die Initiative zur Schaffung einheitlicher Abwehrkomitees ergriffen, die Initiative der Arbeiter in dieser Richtung unterstützt und unablässig die Ausdehnung dieser Initiative auf die ganze Land gefordert. Wenn die Kommunistische Partei entschlossen diesen Weg beschritten hätte, wäre die reformistische Bürokratie nicht stark genug gewesen, den Druck der Arbeiter in der Richtung zur Einheitsfront aufzuhalten. Bei jedem Schritt auf eine Barriere stoßend, hätte der Faschismus in allen Fugen gekracht. Die örtlichen Abwehrorgane wären unaufhaltsam erstarkt, indem sie sich dem Wesen nach in Arbeiterräte verwandelt hätten. Auf diesem Wege hätte das deutsche Proletariat mit Gewissheit den Faschismus überrannt und mit einem letzten Schlag die herrschende Oligarchie gestürzt. Der revolutionärer Sieg des deutschen Proletariats war in der ganzen Lage begründet.

Die Stalinsche Bürokratie ging jedoch den Weg der unbewussten, aber nichtsdestoweniger tatsächlichen Sabotage der Revolution. Sie untersagte strengstens Vereinbarungen von Kommunisten mit sozialdemokratischen Organisationen, löste die von den Arbeitern gebildeten gemeinsamen Abwehrkomitees auf, unter der Bezeichnung „Gegenrevolutionäre" schloss sie aus ihren Reihen alle Verteidiger der richtigen revolutionären Politik aus. Diese Art von Vorgehen war wie besonders dazu geschaffen, die Kommunisten zu isolieren, das Band zwischen den sozialdemokratischen Arbeitern und ihren Führern zu festigen, in den Reihen des Proletariats Verwirrung und Zersetzung zu säen und den ungehinderten Marsch der Faschisten zur Macht vorzubereiten. Die Ergebnisse sind augenscheinlich!

Am 5. März, als das Schicksal des deutschen Proletariats schon entschieden war, erklärte das EKKI nicht nur seine Bereitwilligkeit zur Einheitsfront von oben – freilich nur in nationalem, nicht in internationalem Maßstabe –, sondern erklärte sich auch bereit, der reformistischen Bürokratie zu Gefallen für die Periode der Einheitsfront auf gegenseitige Kritik zu verzichten. Ein in seiner Schärfe unwahrscheinlicher Sprung von ultimativem Hochmut zu charakterloser Nachgiebigkeit! Nach der Unterbindung der Kritik innerhalb der eigenen Partei hat die Stalinsche Bürokratie offenbar das Verständnis für die Rolle der Kritik im politischen Kampfe verloren. Die revolutionäre Kritik bestimmt das Verhältnis der proletarischen Avantgarde, d.i. des kritischsten Teiles der gegenwärtigen Gesellschaft, zu allen Ereignissen und Programmen, zu allen Klassen, Parteien und Gruppierungen. Eine wirkliche kommunistische Partei kann ebenso wenig auf Kritik verzichten wie ein lebendiger Organismus auf das Atmen verzichten kann. Die Einheitsfrontpolitik schließt in keinem Falle die gegenseitige Kritik aus, sondern erfordert sie im Gegenteil. Nur zwei bürokratische Apparate, wovon einer mit Verrat und der andere mit einer verhängnisvollen Kette von Fehlern beladen ist, können an der Unterbindung gegenseitiger Kritik interessiert sein, indem sie dadurch gleichzeitig die Einheitsfront in eine verschwiegene Verschwörung gegen die Massen mit dem Ziele eigener Selbsterhaltung verwandeln. Wir Bolschewiki-Leninisten erklären, dass wir uns nie und unter keinen Bedingungen einer solchen Verschwörung anschließen, im Gegenteil, wir werden sie vor den Arbeitern unnachgiebig enthüllen.

Während sie mit dem Verzicht auf Kritik übereinstimmt, klammert sich die Stalinsche Bürokratie gleichzeitig an die widerliche Kriecherei der Wels, Leipart und Co. vor Hitler, um die Theorie des Sozialfaschismus wiederzubeleben. In Wirklichkeit ist diese Theorie heute ebenso falsch wie gestern. Wenn die kürzlichen Herrscher Deutschlands, nachdem sie unter den Stiefel des Faschismus geraten sind, diesen lecken, um Vergebung zu erlangen, so entspricht das völlig der widerwärtigen Natur der reformistischen Bürokratie. Aber das bedeutet keinesfalls, dass für die Reformisten kein Unterschied zwischen Demokratie und Faschistenstiefel besteht, und dass die sozialdemokratischen Masse nicht fähig ist, gegen den Faschismus zu kämpfen, wenn ihr geschickt und rechtzeitig der Zugang zur Kampfarena geöffnet wird.

Die Politik des Faschismus ist auf Demagogie, Lüge, Verleumdung begründet. Revolutionäre Politik lässt sich nur auf Wahrheit bauen. Wir sind deshalb gezwungen, das Organisationsbüro für die Einberufung des gegenwärtigen Kongresses zu verurteilen, das in seiner Einladung ein falsches, optimistisches Bild von dem Stande der Dinge in Deutschland gegeben hat, indem es von der machtvollen Entfaltung des antifaschistischen Kampfes sprach. In Wirklichkeit weichen bisher die deutschen Arbeiter ohne Kampf und in völliger Unordnung zurück. Das ist eine bittere Tatsache, die durch Worte nicht verwischt werden kann. Um wieder zu erwachen, sich umzugruppieren und die Kräfte zusammenzufassen, muss das Proletariat, in Gestalt seiner Avantgarde klar begreifen, was vor sich gegangen ist. Fort mit den Illusionen! Denn gerade die Illusionen haben zur Katastrophe geführt. Es tut Not, klar, ehrlich, offen auszusprechen, was ist.

Die Lage in Deutschland ist tief tragisch. Der Henker hat die Arbeit erst begonnen. Die Opfer werden kein Ende nehmen. Hunderte und Tausende kommunistischer Parteiarbeiter sind in Haft. Diejenigen, die ihrem Banner die Treue bewahren, erwarten schwere Prüfungen. Die Sympathie jedes ehrlichen Arbeiters in der ganzen Welt gehört ungeteilt den Opfern des faschistischen Henkers. Aber es wäre der Höhepunkt der Heuchelei, hinsichtlich der verhängnisvollen Politik des Stalinismus mit der Begründung Schweigen zu fordern, dass ihre deutschen Leiter gleichzeitig mit ihre Opfer geworden sind. Große geschichtliche Probleme werden nicht durch Sentimentalität entschieden. Zweckmäßigkeit ist das oberste Gesetz des Kampfes. Nur die marxistische Erklärung all dessen, was vor sich gegangen ist, kann der proletarischen Avantgarde das Vertrauen zu sich selbst zurückgeben. Mit den Opfern zu sympathisieren, ist zu wenig, es ist nötig, stärker zu werden, um den Henker zu überwinden und zu erdrosseln.

Der deutsche Faschismus ahmt sklavisch das italienische Vorbild nach. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Hitler ähnlich wie Mussolini die Herrschaft für eine Reihe von Jahren gesichert ist. Das faschistische Deutschland beginnt seine Geschichte unter den Bedingungen des bedeutend vorgeschrittenen kapitalistischen Verfalls, einer in der neuzeitlichen Geschichte ungewöhnlichen Not der Massen und drohender Zuspitzung der internationalen Beziehungen. Die Entscheidung kann viel rascher eintreten, als die heutigen Herrschenden glauben. Notwendig ist der revolutionäre Anstoß.

Die sozialdemokratische Presse setzt größere Hoffnungen auf die Risse im Regierungsblocke Deutschlands. Den selben Weg geht dem Wesen nach auch die Moskauer Prawda“, die gestern den Antagonismus zwischen Faschismus und Sozialdemokratie verneinte aber heute Hoffnungen bezüglich des Antagonismus zwischen Hitler und Hugenberg hegt. Die Widersprüche im regierenden Lager stehen außer Zweifel. Aber an sich allein sind sie zu schwach, um die siegreiche Entfaltung der faschistischen Diktatur aufzuhalten, die durch die gesamte Lage des deutschen Kapitalismus bedingt ist. Man soll nicht auf Wunder hoffen. Mit dem Faschismus fertig werden kann nur das deutsche Proletariat. Damit dieses die große geschichtliche Bahn beschreiten kann, ist eine entschiedene Wendung auf dem Gebiete der revolutionären Führung notwendig. Es ist nötig, zur Politik Marx' und Lenin zurückzukehren.

Wir Bolschewiki-Leninisten sind auf diesen Kongress keinesfalls gekommen, um nur irgendwelche Illusionen und falsche Reputation zu unterstützen. Unser Ziel ist – die Ebnung des Weges für die Zukunft. Es besteht für uns natürlich kein Zweifel darüber, dass auf dem gegenwärtigen Kongresse Zehntausende, ja vielleicht Hunderttausende von Arbeitern vertreten sind, die ehrlich zum Kampf bereit stehen. Wir wollen auch glauben, dass die hier anwesenden Delegierten in ihrer Mehrheit die ehrlich Absicht haben, alles zur Niederwerfung des Faschismus zu tun. Nichtsdestoweniger kann der Kongress selbst, so, wie er gedacht ist und einberufen wurde, unserer tiefen Überzeugung nach keine ernste revolutionäre Bedeutung haben. Der Faschismus ist ein furchtbarer Feind. Zum Kampfe mit ihm sind kompakte, Millionen und Zehnmillionen zählende, gut organisierte und richtig geführte Massen notwendig. Es sind feste Grundlagen in den Betrieben und Gewerkschaften nötig; es bedarf des Vertrauens der Massen zu einer durch die Erfahrung von Kämpfen erprobten Führung. Durch feierliche Sitzungen und effektvolle Reden wird das Problem nicht gelöst. Der in Eile improvisierten Kongress stellt einzelne, untereinander nicht verknüpfte Gruppen dar, die nach dem Kongress von den proletarischen Millionen ebenso isoliert sein werden wie vorher.

Mehr noch: „Einzelteilnehmer“ aus den Reihen der bürgerlichen Intelligenz schmücken den Prager Kongress ebenso, wie sie den Amsterdamer zierten. Das ist kein hoffnungsvoller Anstrich. Wahr ist, dass die fortgeschrittenen Arbeiter die Sympathie für ihre Sache aus den Reihen der besten Vertreter von Wissenschaft, Literatur und Kunst hoch zu schätzen wissen. Aber daraus folgt nicht, dass radikale Gelehrte oder Künstler fähig sind, die Massenorganisationen zu ersetzen oder die Führung des Proletariats an sich zu nehmen. Dieser Kongress erhebt doch aber Anspruch auf Führung! Diejenigen von den Vertretern der bürgerlichen Intelligenz, die wirklichen Anteil am revolutionären Kampfe nehmen wollen, müssen bei der klaren Bestimmung ihres Programmes und dem Anschluss an eine Arbeiterorganisation beginnen. Mit anderen Worten, um auf einem Kongress des kämpfenden Proletariats Stimmrecht zu haben, müssen die Einzelteilnehmer aufhören, Einzelteilnehmer zu sein.

Weder das Wirken gegen den Krieg noch der Aufmarsch gegen den Faschismus bilden irgendeine Spezialkunst, die abseits steht vom übrigen Kampfe des Proletariats. Eine Organisation, die nicht imstande ist, sich völlig in der Lage auszukennen, alltägliche Verteidigungs- und Angriffskämpfe zu führen, um sich ständig breitere Massen zu sammeln, die Einheitlichkeit der Abwehrhandlungen mit den reformistischen Arbeitern sicherzustellen indem sie diese gleichzeitig vom Aberglauben des Reformismus befreit –, eine solche Organisation erlebt unvermeidlich ihren Zusammenbruch gerade angesichts des Krieges wie auch angesichts des Faschismus.

Schon der Amsterdamer Kongress musste seine Gegenstandlosigkeit hinsichtlich des räuberischen Überfalls Japans auf China enthüllen. Nicht einmal auf dem Gebiet der Agitation hat das Bündnis der Stalinbürokratie mit einzelnen pazifistischen Persönlichkeiten3 etwas Ernsthaftes getan. Es muss offen gesagt werden: Der jetzige Kongress, genauer dieses seiner Zusammensetzung nach zufällige internationale Meeting, ist berufen, dort den Anschein von Aktivität zu schaffen, wo die Aktivität selbst fehlt. Wenn sich der Kongress gemäß der Absicht seiner Organisatoren auf einen inhaltslosen Aufruf beschränkt, riskiert er, in die Geschichte der Kampfes gegen den Faschismus als eine öde Stelle und eine negative Größe einzuziehen, denn unter den jetzigen Bedingungen besteht das größte Vergehen darin – die Arbeiter bezüglich ihrer wirklichen Stärke und der wahrhaften Kampfmethode irrezuführen.

Nur unter einer Bedingung könnte der jetzige Kongress eine, wenn auch bescheidene, so doch progressive Rolle spielen: wenn er von sich die Hypnose der bürokratische Kulissenregie abschütteln und auf die Tagesordnung den freien Meinungsaustausch über die Ursachen des Sieges des deutschen Faschismus, über die Verantwortung der führenden proletarischen Organisationen und über ein wirkliches Programm des revolutionären Kampfes stellen würde. Auf diesem und nur auf diesem Wege würde der Prager Kongress zu einem Faktor der revolutionären Wiedergeburt.

Die Plattform der Internationalen Linksopposition gibt die einzig richtigen Direktiven für den Kampf gegen den Faschismus. Als nächste, unaufschiebbare Maßnahmen empfehlen wir Bolschewiki-Leninisten:

1. sofortige Annahme des Vorschlag der zweiten Internationale über eine Übereinkunft im internationalen Maßstabe; ein solches Übereinkommen schließt nicht aus, sondern erfordert Konkretisierung der Losungen und Methoden in Anpassung an jedes einzelne Land ;

2. grundsätzliche Verurteilung der Formel „Einheitsfront nur von unten" die der Ablehnung der Einheitsfront überhaupt gleichkommt;

3. Aufgabe und Verurteilung der Theorie vom Sozialfaschismus;

4. in keinem Falle und unter keinen Bedingungen Aufgabe des Rechts auf Kritik des zeitweiligen Verbündeten;

5. Wiederherstellung der Freiheit der Kritik innerhalb der kommunistischen Parteien und aller Organisationen, die unter ihrer Kontrolle stehen, darunter auch des gegenwärtigen Kongresses;

6. Aufgabe der Politik selbständiger kommunistischer Gewerkschaftsorganisationen; aktive Teilnahme an den gewerkschaftlichen Massenorganisationen;

7. Aufgabe der unwürdigen Konkurrenz mit dem Faschismus unter der Losung der „nationalen Befreiung" und der „Volksrevolution";

8. Aufgabe der Theorie des Sozialismus in einem Land, das die Tendenzen des kleinbürgerlichen Nationalismus nährt und die Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen den Faschismus schwächt;4

9. Mobilisierung des europäische Proletariat gegen den Versailler und Anti-Versailler Chauvinismus im Zeichen der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa;

10. auf dem Wege offener und ehrlicher Diskussion Vorbereitung und innerhalb Monatsfrist Einberufung außerordentliche Kongresse aller Sektionen der Komintern zur Beratung der Erfahrung aus dem Kampfe mit der Gegenrevolution und Ausarbeitung des weiteres Aktionsprogramms;

11. binnen Zweimonatsfrist Einberufung eines demokratisch vorbereiteten internationalen Kongresses der Kommunistischen Internationale;

12. Wiederaufnahme der linken Opposition in die Reihen der Kommunistischen Internationale, ihrer Sektionen und aller von ihnen kontrollierten Organisationen.

Die Verhandlungen zwischen der III. und II. Internationale müssen unverzüglich aufgenommen werden, indem an erste Stelle die Frage Österreichs gesetzt wird. In diesem Lande ist noch lange nicht alles verloren. Wenn es ohne Aufschub den Weg aktiver Abwehr beschritte, könnte das österreichische Proletariat bei konsequenter und kühner Entfaltung des Angriffs, der vom Proletariat aller Länder Europas unterstützt würde, den Feinden die Macht entreißen: das innere Kräfteverhältnis gewährleistet den Sieg. Ein rotes Österreich würde sogleich zu einem Schutzwall der Arbeiter Deutschlands werden. Die ganze Lage würde sich jäh zugunsten der Revolution ändern. Das Proletariat Europas würde empfinden, dass es – eine unerschütterliche Kraft ist. Und ihm fehlt doch gerade nur dieses Bewusstsein, um alle seine Feinde niederzuringen.

Die zentrale Position im Kampf mit der Gegenrevolution der Welt stellt die UdSSR dar. Auf diesem Gebiete lassen wir Bolschewiki-Leninisten weniger als auf jedem anderen eine Politik vorgetäuschter Erfolge zu. Bei der Stalinschen Bürokratie ist es um alles und immer wohl bestellt bis fünf Minuten vor der Katastrophe. So war es in Deutschland. Und die gleiche Methode wird in Bezug auf die Sowjetunion angewandt. Indessen war die Lage im ersten Arbeiterstaat noch nie so gespannt wie jetzt. Die von Grund auf falsche Politik der unkontrollierten Bürokratie hat das Land in unerträgliche Entbehrungen gestürzt, hat die Bauernschaft in Gegensatz zum Proletariat gebracht, in der Masse der Arbeiter Unzufriedenheit eingenistet, die Partei an Händen und Füßen gefesselt, alle Stützpunkte und Positionen der Diktatur geschwächt. Die Oktoberrevolution hat keine „Freunde" nötig, die falsche Hymnen singen und die jedem Wort der herrschenden Bürokratie Beifall zollen. Die Oktoberrevolution braucht Kämpfer, welche die Wahrheit sprechen, wie schwerwiegend sie auch sei, aber in der Stunde der Gefahr unerschütterliche Treue bewahren.

Vor dem Angesicht des Weltproletariats geben wir das Alarmsignal. Das Sowjetvaterland ist in Gefahr! Retten kann nur die grundlegende Reform der gesamten Politik. Eben das Programm einer solchen Reform ist das Programm der Linken Opposition in der UdSSR. Tausende ihrer besten Kämpfer, mit Ch. G. Rakowski an der Spitze, füllen zur Zeit die Gefängnisse und Verbannungsstätten der Sowjetunion. Von der Tribüne dieses Kongresses senden wir unseren tapferen Gesinnungsgenossen brüderliche Grüße. Ihre Zahl wächst. Keine Verfolgungen vermögen ihren Geist zu brechen. In den bevorstehenden schweren Tagen wird die Diktatur des Proletariats in ihnen nicht nur tiefgründige Berater, sondern auch opferwillige Soldaten finden.

Die Entwicklung der internationalen und vor allem der europäischen Arbeiterbewegung ist an einem entscheidenden Punkt angelangt. Die Kommunistische Partei Deutschlands ist zerschlagen. Der Gedanke, sie auf den alten Grundlagen, unter der alten Führung zu erneuern, bildet eine hoffnungslose Utopie. Es gibt Niederlagen, die nicht vergeben werden können. Die Partei des deutschen Kommunismus wird nun auf neuen Fundamenten gebaut werden müssen.5 Nur diejenigen Elemente der alten Partei können den Platz von Baumeistern einnehmen, die von sich die Erbschaft des Stalinismus abschütteln. Ob sich die organisatorische Kontinuität der anderen Sektionen und der Komintern im Ganzen erhalten wird, darüber hat die Geschichte offenbar noch kein endgültiges Verdikt gefällt. Eines ist sicher: Zeit zur Korrigierung der ungeheuerlichen Fehler ist nun schon nur sehr wenig verblieben. Wird sie versäumt, geht die Kommunistische Internationale in die Geschichte ein mit einem ruhmreichen Leninschen Anfang und einem ruhmlosen Stalinschen Ende.

Wir Bolschewiki-Leninisten schlagen vor, die Erfahrung des Zusammenbruchs des deutschen Kommunismus zur Ausgangsposition für die Wiedergeburt aller übrigen Sektionen zu machen. Wir sind bereit, hierzu alle unsere Kräfte beizutragen. Im Namen dieser Aufgabe reichen wir unseren erbittertsten Feinden von gestern die Hand. Unnütz zu sagen, dass im Kampfe mit dem Faschismus, in der Abwehr wie im Angriff, die Bolschewiki-Leninisten ihren Kampfplatz in den gemeinsamen Reihen einnehmen – wie sie ihn bisher überall und immer eingenommen haben.

Unter dem Banner von Marx und Lenin vorwärts – für die Weltrevolution!

1 Der Punkt fehlt in der Aufzählung in „Unser Wort, in der französischen Fassung steht: „la théorie et la pratique du « socialisme dans un seul pays »“.

2 In „Unser Wort“ steht „Paradoxa“, die französische Fassung hat „convulsions“.

3 In „Unser Wort“ steht „Persönlichkeiten-Pazifisten“. Ist das ein Russizismus (im Stile von „Minister-Kapitalisten“, „Menschewiki-Internationalisten“ etc.)? Die französische Fassung hat „personnalités pacifistes“.

4 Dieser 8. Punkt fehlt in „Unser Wort“, Die französische Fassung hat „Renoncer à la théorie du socialisme dans un seul pays qui nourrit les tendances du nationalisme petit bourgeois et affaiblit la classe ouvrière dans sa lutte contre le fascisme;“ Die Nummerierung verschiebt sich dadurch gegenüber der Fassung in „Unser Wort“.

5 Diese zwei Sätze fehlen in „Unser Wort“, ergänzt nach der französische Fassung: „Il est des défaites qui ne peuvent être pardonnées. Le parti du communisme allemand s'édifiera maintenant sur des bases nouvelles.“

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