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Leo Trotzki 19330810 Über das unzulässige Verhalten des Genossen A. Nin

Leo Trotzki: Über das unzulässige Verhalten des Genossen A. Nin

[Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 1116, International Institute of Social History, Amsterdam]

Liebe Genossen,

Die letzten Briefe und Dokumente, des vom von Gen. Nin geleiteten ZK der spanischen Sektion rufen ein Gefühl hervor, das schwerlich anders zu bezeichnen ist denn als Empörung. Vor allem muss man über den Ton dieser Briefe staunen: schwerste nach rechts und links gestreute Beschuldigungen, beleidigendste, ohne den Schatten einer Begründung erhobene und nicht selten in direkte Schmähungen übergehende Äußerungen. Dieser Ton allein bezeugt, wie sehr Gen. Nin und seinen nächsten Freunden der Geist revolutionärer Kameradschaft und der elementarsten persönlichen Verantwortung fremd ist. So können nur Leute schreiben, die jeder inneren Disziplin bar sind, dabei in Bezug auf eine Organisation, die sie innerlich als eine fremde und feindliche betrachten.

Die „Beschuldigungen", die von der Gruppe des Gen. Nin erhoben werden, sind Dutzende Male widerlegt worden. Der Vertreter dieser Gruppe war auf der Vorkonferenz, wo er die Möglichkeit hatte, all seine Forderungen und Anklagen vorzubringen. Was war das Ergebnis? Die Politik des Gen. Nin und seiner Freunde wurde von allen Sektionen der Internationalen Linken Opposition verurteilt. Eigentlich sollte diese eine Tatsache Nin und seine Freunde zumindest etwas vorsichtiger machen. Anstatt dessen verdoppeln und verdreifachen sie die Beschimpfungen und Beschimpfungen, die sich im Grunde genommen richten richteten gegen die gesamte Internationale Linke Opposition .

Ich will jetz nur einen Punkt berühren: die Ningruppe wagt es, die Internationale Opposition zu beschuldigen, dass sie zu Unrecht aus ihren Reihen Rosmer, Landau und andere entfernt habe. Indessen bezeugen die Dokumente und die Tatsachen genau das Gegenteil: Rosmer wollte die Entfernung ihm missliebiger Genossen aus der Liga, womit er in der Liga in einer kleinen Minderheit blieb; darauf verließ er die Liga. Ich selbst befand mich anlässlich dieses Zwischenfalls in beständigem Briefwechsel mit Nin, unterrichtete ihn von allen Schritten, die ich unternahm, um Rosmer von einem offensichtlich falschen Schritt abzuhalten, der nicht von revolutionären Erwägungen, sondern von persönlicher Laune diktiert war. Nin schrieb mir trotz seiner Freundschaft mit Rosmer, das Recht ist nicht auf Seiten Rosmers." Auf meine wiederholten brieflichen Anfragen, ob er nicht irgendwelche ergänzenden Schritte vorschlagen könne, um Rosmer von dem falschen Schritt abzuhalten, hat Nin absolut nichts vorgeschlagen und damit anerkannt, dass alle irgend möglichen Maßnahmen erschöpft waren.

Ebenso verhält es sich mit Landau. Bekanntlich hat niemand vorgeschlagen, ihn auszuschließen. Man verlangte von ihm lediglich, dass er an einer demokratisch vorbereiteten Konferenz der deutschen Sektion teilnehme. Von mir wurde zu dieser Frage eine in Inhalt und Ton äußerst friedfertige Resolution eingebracht, der Nin sich in Briefen „voll und ganz" anschloss. Bekannt ist, dass Landau darauf die Mehrheit des deutschen ZK ausschloss" und auf die Teilnahme an einer Konferenz verzichtete, wo er in hoffnungsloser Minderheit bleiben musste.

Als Mitglied des damaligen Internationalen Büros hatte Nin an all unserer Politik Teil und für sie volle Verantwortung. Heute wälzt er, ohne Tatsachen oder Dokumente zu bringen, die Verantwortung für Rosmer und Landau ab auf die Internationale Linke Opposition wobei er seine eigene Verantwortlichkeit vergisst oder verschweigt. Wie sollte man ein solche Handlungsweise kennzeichnen?

Nehmen wir für eine Minute an, dass Nin später zu dem Schluss von der Falschheit unseres Verhaltens zu Rosmer, Landaus usw. gelangt sei. Er müsste sagen: wir haben diesen und jenen Fehler gemacht; wir müssen ihn so und so verbessern." Das wäre ein durchaus rechtmäßiger Weg. Man müsste nur noch klar sagen, wie man den „Fehler" verbessern soll. Rosmers und Landaus Gruppen haben ihre eigenen Veröffentlichungen und entwickeln darin Ansichten, die in einer Reihe von wesentlichen Fragen immer mehr von den unsrigen abweichen. Wenn die Fragen Rosmer und Landau nicht zu einer Intrige, sondern zu einem praktischen Zweck aufgerollt werden, Rosmers und Landaus Gruppen in die Internationale Linke Opposition zurückzuführen, so müsste die Pflicht des Genossen Nin darin bestehen, über ihre Ansichten ein Urteil abzugeben und eine bestimmte Schlussfolgerung zu ziehen: sind diese Anschauungen mit denen der Bolschewiki-Leninisten vereinbar? Erfordern sie von unserer Seite bestimmte Zugeständnisse und welche? Oder müssen umgekehrt Rosmer und Landau auf bestimmte Ansichten und Methoden verzichten, um sich der Linken Opposition wieder anschließen zu können? Eine solche ernste, grundsätzliche und zugleich praktische Stellung der Frage würde die Möglichkeit zu einer Erörterung und vielleicht zu diesen oder jenen praktischen Schritten bieten. Das heutige Verhalten Nins aber beweist, dass ihm an irgendwelchen praktischen Ergebnissen nicht gelegen ist: er braucht nur einen künstlichen Anlass für Insinuationen gegenüber der Internationalen Linken Opposition.

All dies ist umso trauriger, als Nin eine solche unloyale Handlungsweise braucht zur Verdeckung der eigenen politischen Schwankungen und einer ganzen Reihe von Fehlern, die die spanische Linke Opposition hinderten, die Stellung einzunehmen, zu welcher die Voraussetzungen der Revolution die Möglichkeit boten. Jetzt wird als Ergebnis der von Grund auf unrichtigen Politik des Gen. Nin die spanische Sektion nicht stärker, sondern schwächer. Leider führt die Erörterung politischer Fragen mit dem Gen. Nin zu nichts: er weicht stets aus, spielt den Diplomaten, sagt nicht ja und nicht nein, oder noch schlimme: antwortet den Genossen auf politische Argumente mit persönlichen Insinuationen.

Ich bitte Sie, meinen vorliegenden Brief zur Kenntnis aller Sektionen zu bringen, angefangen mit der spanischen . Ich möchte sehr gern, dass der Brief auch zur Kenntnis unserer Freunden in Südamerika gebracht wird; sie werden sich unserer internationalen Organisation umso enger anschließen und auf ihrem nationalen Boden mit umso größerem Erfolg arbeiten, je schneller sie sich von der Falschheit und Schädlichkeit der Politik des Gen. Nin überzeugen werden.

Mit kommunistischen Grüßen

L. Trotzki

P.S. Dieser Brief war schon geschrieben, als meine Freunde mich auf die Dokumente des Gen. Nin und der anderen in Beantwortung des Briefes der Gen. Shachtman und Frank hinwiesen. Weil dieser Brief in Prinkipo geschrieben wurde, enthüllt der Gen. Nin eine Intrige, eine „Komödie" usw. Er gibt zu verstehen, dass hinter den Unterzeichnenden dieses Briefes sich meine Person verberge. Aus welchem Grunde? Kaum aus Angst vor Nin und Konsorten, denn ich habe so manches Mal und – ich hoffe – unzweideutig genug mich über die „Politik" Nins geäußert. Mein Briefwechsel mit ihm ist jetzt den Genossen zugänglich. Ich habe nicht das mindeste Interesse daran, zu verbergen, dass ich die Tätigkeit des Gen. Nins schädlich finde, Warum soll ich mich wohl hinter den Rücken von Shachtman-Frank verstecken? Selbst wenn die Initiative zu diesem Brief von mir ausgegangen wäre, würde das nicht das Mindeste an seinem Inhalt ändern. Es handelt sich um die Tatsachen und die Argumente des Briefs, und diese sind für Nin vernichtend. Doch die Wahrheit ist, dass die Initiative sowohl zu diesem Brief als auch zu seiner Abfassung gänzlich und ausschließlich bei den Genossen liegt, die ihn unterzeichnet haben. Ich habe den Text des Briefes nur als Leser kennen gelernt. Und mit welchem Recht halten Nin und Konsorten Shachtman-Frank für unfähig, sich ein Urteil über ihre Machenschaften zu bilden und es aus eigener Initiative zu äußern? Wenn Nin einigen Zweifel an dem wirklichen Wert des Briefes hat, so möge er sich an die amerikanische, französische Sektion, an ihre Zentral- wie Lokalorgane wenden. Er wird, dessen bin ich sicher, eine klare, wenngleich wenig ermunternde Antwort erhalten.

Mit seiner Methode kleinlicher Ausflüchte verteidigt Nin seine persönlichen Insinuationen, indem er meine übrigens gar nicht rein persönliche Versicherung anführt, dass Politik durch Personen gemacht wird. Er vergisst nur, dass Personen gute Politik ebenso wie schlechte gemacht wird, dass jede Politik sich die Personen auswählt, die ihr entsprechen, und sie sich erzieht.

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