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Leo Trotzki 19340323 „De Fakkel" über den Zentrismus

Leo Trotzki: „De Fakkel" über den Zentrismus

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der Internationalen Kommunisten Deutschlands, 2. Jahrgang 1934, Nr. 11, 1. Aprilwoche 1934 (Nr. 27), S. 2]

Die Kritik der „Fakkel“ an meinem Artikel („Der Zentrismus und die Vierte Internationale“) ist höchst charakteristisch für die Geistesverfassung der Leitung der OSP und der linken Zentristen überhaupt. Daher verdient sie, geprüft zu werden.

Ist es richtig, dass die Haupttendenz der Weltarbeiterbewegung in der Verwandlung des Reformismus in Zentrismus besteht? Die „Fakkel“ bestreitet es. Sie meint, überall sei gleichzeitig das Streben wahrzunehmen, die Bewegung nach rechts zu orientieren. Sie verweist dabei auf die französischen Neosozialisten, die belgische Arbeiterpartei, die englische Labour Party und die holländische Sozialdemokratie. Die von der „Fakkel“ aufgeführten Tatsachen bestätigen nur – wenn man sie marxistisch zu deuten versteht – meine Behauptung. Warum sind die Neosozialisten aus der alten Partei ausgeschieden? Weil diese zentristisch mauserte Der rechte Flügel verwandelt sich in eine konservative, nationalistische Clique, die mit der Arbeiterbewegung nichts mehr zu tun hat. Die in Gärung geratene große Masse der Partei aber schillert in allen Farben des Zentrismus. Das belgische Beispiel ist ebenfalls eine Probe aufs Exempel. Die „Fakkel“ erinnert uns an Vanderveldes kürzliche Bekundung der Königstreue. Das ist aber gar nicht neu. Neu ist der Plan de Man. Seinem Wesen wie auch dem Eingeständnis seines Verfassers nach ist der Plan nichts anderes als ein Versuch, die Scheidelinie zwischen Reform und Revolution zu verwischen. Und darin besteht eben das Wesen des Zentrismus. Die monarchistische Kriecherei beweist nur, dass man zwischen Zentrismus und Zentrismus unterscheiden muss. Es gibt die ehrlichen zentristischen Stimmungen der Masse, und es gibt die bewusst lügnerischen zentristischen Konstruktionen der alten parlamentarischen Betrüger der Masse Doch notwendig sind solche Konstruktionen geworden eben durch den Schub der Parteibasis nach links. Auch bei der englischen Labour Party steht die Sache im Wesen nicht anders, wenngleich in Tempo und Erscheinungsform sehr verschieden. Das Überlaufen der MacDonaldschen Clique zur Reaktion einerseits, das Ausscheiden der ILP aus der Labour Party andererseits, sind zwei höchst markante Symptome des oben aufgezeigten Prozesses. In der nächsten Periode werden wir unausweichlich eine Weiterentwicklung der zentristischen Tendenzen in der Labour Party beobachten. Dass der deutsche SP-Vorstand mit Wels, wie die Führer des Austromarxismus, jetzt ihre spießerischen Vorurteile in die Sprache der „Revolution“ kleiden, ist hinreichend bekannt. In Ländern, wo die politische Entwicklung zurückgeblieben ist, kann sich der sozialdemokratische Apparat vor den ihm drohenden Gefahren – dem Anwachsen des Faschismus und gleichzeitig der inneren zentristischen Opposition den Versuch erlauben, durch Anschluss nach rechts, an den Staat, und durch Repressalien nach links, gegen die eigene Opposition, seine Stellung zu halten. Die Entstehung der OSP in Holland war nur der erste Schritt der offenen Zersetzung der alten holländischen Sozialdemokratie. In dieser Richtung wird die Entwicklung weiter treiben. Für die praktische Politik in jedem Lande ist es natürlich sehr wichtig, nicht nur de allgemeine Entwicklungstendenz im Auge zu behalten, sondern auch die Etappe, die sie durchläuft. Es ist aber für Holland wie für jedes andere Land von Wichtigkeit, dass man die zentristische Maskierung des einmaligen Reformismus rechtzeitig erkennt und den Reformismus selbst nicht mit zentristischen, sondern marxistischen Mitteln bekämpft.

Geschichtlich gesehen hat der Reformismus den sozialen Boden unter den Füßen gänzlich verloren. Ohne Reformen kein Reformismus, ohne blühenden Kapitalismus keine Reformen. Die rechten reformistischen Flügel werden antireformistisch in dem Sinn, dass sie dem Bürgertum direkt oder indirekt helfen, die alten Errungenschaften der Arbeiterschaft niederzutreten. Die Neosozialisten als eine Arbeiterpartei zu betrachten, ist grundfalsch. Die alte französische sozialistische Partei ist durch die Spaltung nicht schwächer, sondern stärker geworden, denn nach der Säuberung genießt sie mehr Vertrauen bei den Arbeitern. Diesem Vertrauen muss sie sich aber anpassen, und die Form der Anpassung heißt Zentrismus.

Linkszentristische Gruppierungen aber wie die OSP legen sich keine Rechenschaft ab über diesen Prozess dessen halb bewussten Bestandteil sie darstellen. Gerade weil sie ihre prinzipielle Schwäche fühlen und der Arbeiterschaft keine klaren Antworten zu geben vermögen, müssen sie die Aufmerksamkeit der Arbeiter von der zentristischen Krankheit auf die reformistische Gefahr ablenken. Sie ähneln darin dem alten Liberalismus, der die Arbeiter immer mit der Reaktion schreckte, um sie vom Kampfe gegen den Liberalismus selbst abzuhalten. Daher wird z. B. auch in den Erklärungsentwürfen der OSP und der ASP zur Jugendkonferenz über den Zentrismus gar nichts oder fast gar nichts gesagt Es ist jedoch genügend bekannt, dass gerade diejenigen Parteien, die sich in der Vergangenheit von der schonungslosen Bekämpfung der liberalen Halbheit nicht zurückhalten ließen, sich immer als die mutigsten Kämpfer gegen die Reaktion erwiesen. Ebenso auch jetzt. Am besten werden den Reformismus diejenigen Revolutionäre bekämpfen, die dem Zentrismus völlig unabhängig, kritisch und unversöhnlich gegenüberstehen.

Das London-Amsterdamer Büro ist unfähig, gegen den Reformismus zu kämpfen, weil es eine Unterstützungsgesellschaft für Schwankende und Halbe ist. Die „Fakkel“ sagt: Ziel des Büros sei doch, so viel wie möglich für die Vierte Internationale zu gewinnen. Mit derselben Rechtfertigung könnte die OSP ja der Zweiten Internationale beitreten. Dass man überall, wo es nur angeht, für die Vierte Internationale kämpfen muss, ist klar. Diese Aufgabe bedeutet jedoch unversöhnlichen Kampf gegen die verbrecherische Politik Tranmæls. keinesfalls aber Waffenbrüderschaft mit ihm. Dass man dabei Tranmæl „kritisiert“, verschlimmert die Sache nur. Denn man kritisiert ihn nur soweit, als dadurch die Arbeitsgemeinschaft nicht gesprengt wird; d.h. man führt eine Scheinkritik, die nur zur Beschönigung des durch und durch reaktionären Blocks dient. Der brave Schauspieler Shakespeares, der bei Hof den Löwen spielen sollte, fürchtete die hübschen Damen zu erschrecken, daher brüllte er ganz sanft ganz milde, – wie eine Taube. Unsere hochgeschätzten linken Zentristen pflegen nur gegen die bolschewistischen „Sektierer“ rabiat zu werden, gegen die Tranmæls brüllen sie wie Tauben

Die „Fakkel“ anerkennt unsere Charakteristik der Kominternrichtung als bürokratischen Zentrismus. Das ist aber nur ein Lippenbekenntnis, denn de ganze Arbeitsgemeinschaft mit ihrem Amsterdamer Büro ist nichts anderes als eine welke, sieche Ausgabe des berühmten Anglorussischen Komitees. Auch dort gab es britische „Linke“ vom Typus eines Finn Moe, die in den Händen der wirklichen Führer als Köder dienten.* Bei der Verteidigung ihrer Brüderschaft mit Tranmael wiederholen „Fakkel“ wie „Neue Front“ alle alten Argumente von Stalin und Bucharin („Masse“, „Masse“, immer mehr „Masse»!), aber in noch schlimmerer Ausprägung.

Ich kann somit kein einziges Argument der „Fakkel“ gegen meinen Artikel gelten lassen, womit ich gar nicht sagen will, dass im Artikel selbst keine Lücken zu finden seien. So z. B. könne man mit Recht darauf hinweisen, dass der Aufsatz nicht genügend die praktische, organisatorische Unzulänglichkeit des Zentrismus aufdeckt. Die Zentristen pflegen gern von Illegalität, Konspiration, unterirdischen Mitteln usw. zu sprechen. In der Regel aber nehmen sie die eigenen Worte nie einst. Sie machen gern Witze über die bürgerliche Demokratie, praktisch aber erweisen sie sich ihr gegenüber als vertrauensselig. Wenn sie z. B. eine internationale Konferenz einberufen, geschieht es so, als handle es sich um ein Picknick; und als Resultat ist dann eine Katastrophe mit schweren menschlichen Opfern zu buchen. Schürft man in der Sache etwas tiefer, so findet man unvermeidlich den Zusammenhang solcher organisatorischen Schlamperei mit der ideologischen zentristischen Zerfahrenheit. Wehe denen, die aus der Erfahrung nicht lernen wollen. Es ist richtig, dass die organisatorische Basis der Vierten Internationale noch recht schmal ist. Im Jahre 1914 war aber die Basis für die Dritte Internationale noch schmaler. Die Aufbauarbeit besteht jedoch nicht in dem Scharwänzeln vor den opportunistischen Organisationen von der Art der NAP, sondern im Gegenteil im Kampf um die Befreiung der Arbeiter von dem Einfluss solcher Organisationen. Die wahren Initiatoren der Vierten Internationale beginnen bei der marxistischen Qualität, um sie dann in Massenquantität umzusetzen. Die kleine, aber gut gehärtete und scharf geschliffene Axt zerteilt, spaltet und formt große Stämme. Mit der Axt aus Stahl soll man beginnen. Auch hier ist das Produktionsmittel entscheidend

In Bezug auf die OSP wie in allen anderen Fällen machen wir einen Unterschied zwischen dem Zentrismus der Arbeiter, der für sie nur ein Übergangsstadium ist, und dem Berufszentrismus mancher Führer, unter denen auch unheilbare sind. Dass wir mit den meisten Arbeitern der OSP auf dem Wege zur Vierten Internationale zusammentreffen werden, dessen sind wir ganz sicher.

Leo Trotzki

23. März 1934

* Außer seinen linken Finn Moes, die mit dem Gesicht zur OSP und SAP sehen, hat Tranmæl seine rechten Finn Moes, deren Gesicht dem Königsschloss zugewandt ist.

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